Frida Skybäck

Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse

Aus dem Schwedischen von Hanna Granz

Insel Verlag

1

Mittwoch, 24. August

Der hübsche Einband der Neuauflage von Mrs Dolloway wird Sara bestimmt gefallen, dachte Martinique für einen kurzen Augenblick, doch dann holte die Gegenwart sie wieder ein. Vorsichtig strich sie über den Buchrücken und drückte den Roman an ihre Brust.

Einen knappen Monat war es her, seit ihre Freundin gestorben war, und oft ertappte Martinique sich dabei, an Sara zu denken, als wäre sie noch da. Jedes Mal, wenn sie an der Bäckerei vorbeikam und die Scones mit Moosbeeren sah, die Sara so geliebt hatte, wollte sie ihr welche kaufen, und es dauerte, bis ihr wieder einfiel, was geschehen war.

Sie ließ sich auf einen der Stühle hinter der mächtigen Eichenholztheke der Buchhandlung sinken. Um sie zu trösten, sagte ihr Mann Paul immer, das sei ganz normal, das Gehirn brauche einfach Zeit, um den Verlust eines nahestehenden Menschen zu verarbeiten. Doch trotz dieser gutgemeinten Erklärung war sie immer wieder aufs Neue verzweifelt.

Martinique nahm eine Zeitschrift vom Tisch und fächelte sich Luft zu. In der schwülen Spätsommerluft fühlte sie sich ungefähr so frisch wie ein ausgewrungener Putzlappen. Die halbe Nacht hatte sie nicht schlafen können, weil ihre Tochter Angela so laut Musik gehört hatte, und dann musste sie auch noch früher aufstehen als sonst, um ihre drei Neffen rechtzeitig zur Schule zu bringen, denn deren Mutter Marcia hatte eine Tennisstunde, die sie unmöglich verschieben konnte.

Martinique massierte sich die Schläfen. Wie kam man auf die Idee, eine Tennisstunde auf morgens früh um acht zu legen?

Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und seufzte. Paul fand, sie ließ sich von Marcia ausnutzen. Er fürchtete wahrscheinlich, es könnte ihr alles zu viel werden, doch sie konnte ihrer Schwester nichts abschlagen. Die Scheidung von ihrem Mann Richard war für Marcia traumatisch gewesen, sie brauchte diese Tennisstunden, um nicht vollkommen den Halt zu verlieren. Und da Richard obendrein mit dem Kindermädchen der Familie fremdgegangen war, konnte sie sich bisher noch nicht dazu durchringen, ein neues einzustellen. Martinique war die Einzige, der Marcia noch vertraute.

Sie warf einen Blick auf die große norwegische Waldkatze, die auf ihrem Lieblingsplatz neben dem Abigail-Regal mit den Sachbüchern von A bis K lag und sich das dichte, silbergraue Fell leckte. Am liebsten würde sie nach Hause fahren und es sich mit einer Flasche Wein vor dem Fernseher gemütlich machen, aber sie hatte versprochen, Spencer vom Cricket-Training abzuholen, damit Marcia nicht mit Sterling und Edison zum Sportplatz fahren musste. Paul hatte wie immer gefragt, warum Marcia denn nicht einfach einen Fahrer schickte. Angesichts der Millionen, die sie nach der Scheidung bekommen hatte, wäre das eine viel einfachere Lösung, als Martinique zu bitten, im Feierabendverkehr durch halb London zu fahren. Martinique wäre jedoch nie auf die Idee gekommen, ihr so etwas auch nur vorzuschlagen. Ihr war es immer schwergefallen, Marcia etwas zu verweigern, und angesichts ihrer momentanen Situation war das schier unmöglich. Um des Hausfriedens willen versuchte sie stattdessen vor Paul zu verbergen, wie viel sie tatsächlich für ihre Schwester tat.

»Jetzt muss ich allerdings erst einmal diese niedliche kleine Katze hier in mein Auto bekommen«, sagte Martinique einschmeichelnd.

Sobald Tennyson merkte, dass sie ihn ansah, streckte er sich und begann zu schnurren. Er lebte im Riverside Bookshop, seit Martinique ihn vor ein paar Jahren reingelassen hatte, als er kläglich maunzend vor der Tür saß. Nass und zerzaust war er an ihr vorbeigehuscht und hatte sich unter einem Bücherregal versteckt, bis es Sara Stunden später gelungen war, ihn mit einem Teller Heringe, die sie beim Fischhändler auf dem nahe gelegenen Borough Market gekauft hatte, hervorzulocken.

Da Tennyson ein Halsband trug und offensichtlich eine Rassekatze war, waren sie überzeugt gewesen, dass sein Besitzer bald auftauchen würde, aber niemand meldete sich. Am nächsten Morgen rief Sara alle Tierarztpraxen in der Umgebung an, kontaktierte die Polizei und hängte Zettel auf, alles vergeblich. Zum Glück, denn schon bald wurde Tennyson Teil der Familie, und niemand konnte sich mehr vorstellen, wie es gewesen war, bevor der große dicke Kater um die Regale der Buchhandlung strich.

Martinique ging neben Tennyson in die Hocke. Die regenbogenfarbenen Perlen ihrer Halskette klapperten. Solange Tennyson in der Buchhandlung bleiben durfte, war er der liebste Kater der Welt. Seit Saras Tod hielt Martinique es jedoch für besser, ihn abends mit zu sich nach Hause zu nehmen.

»Komm, Katerchen«, lockte sie. »Zeit, nach Hause zu fahren.«

Tennyson kniff die Augen zusammen und warf ihr einen Blick zu, der sagte: Moment mal, Madame, dieses Reihenhaus, zu dem du mich jeden Abend schleppst, ist gar nicht mein Zuhause. Ich wohne hier.

Martinique seufzte. Jeden Abend musste sie sich etwas Neues ausdenken, um ihn in den Transportkäfig zu locken, und sich dann die ganze Fahrt über sein klägliches Miauen anhören.

Vorsichtig streckte sie die Hand aus und kraulte Tennyson hinter den großen Luchsohren. Der Arme schien immer noch nicht begriffen zu haben, was passiert war. Obwohl bereits mehr als vier Wochen vergangen waren, schlich er sich häufig in Saras Wohnung hinauf, setzte sich vor ihre Schlafzimmertür und miaute, als hätte sich sein Frauchen nur mal eben zurückgezogen, um sich auszuruhen, als käme sie jederzeit wieder heraus.

Mühsam richtete Martinique sich auf. Ihre Glieder schmerzten und sie spürte, wie angespannt Schultern und Nacken waren. Die letzten Wochen hatte sie nichts anderes getan, als zu arbeiten.

Mit einer Hand auf der Schulter, die am meisten wehtat, legte sie den Ordner mit den Bestellungen neben die Kasse. Vor anderen hätte sie es niemals zugegeben, aber manchmal war sie geradezu wütend auf Sara, weil sie so plötzlich gestorben war. Wenn die Freundin ihr wenigstens gesagt hätte, wie krank sie war, hätte sie mehr Zeit gehabt, sich darauf einzustellen, doch Sara hatte bis zuletzt geschwiegen und niemand in ihrem Umfeld hatte geahnt, wie schlimm es wirklich um sie stand.

Erst im Nachhinein begriff Martinique, dass Sara die ganze Zeit gewusst hatte, dass sie es nicht schaffen würde. In einem Brief, den sie ihr hinterlassen hatte, schrieb sie, sie habe nicht gewollt, dass die Krankheit einen Schatten auf ihre letzten Lebenstage wirft. Das bedeutete jedoch auch, dass keiner ihrer Freunde auf ihren Tod vorbereitet war.

Noch immer schauderte Martinique, wenn sie an den Anruf dachte, den sie eines frühen Morgens mitten im Urlaub bekommen hatte. Sie war so geschockt gewesen, dass sie sich nicht einmal selbst anziehen konnte. Paul musste ihr helfen, ihr die Haare kämmen und sie anschließend ins Krankenhaus fahren.

Martinique war wirklich verletzt, weil Sara ihr nicht mehr Zeit zum Abschiednehmen gegeben hatte. Es kam ihr unwürdig vor, sich in einem kahlen Krankenzimmer von ihrer Freundin verabschieden zu müssen, in dem Sara bleich und fremd mit Schläuchen in den Armen und in der Nase dalag, auch wenn es natürlich viel wert war, ihre letzten zwei Tage zusammen zu erleben.

Martinique versuchte tief durchzuatmen. Noch immer fiel es ihr schwer, nach allem, was passiert war, wieder normal zu funktionieren. Da sie diejenige war, die am längsten in der Buchhandlung arbeitete, fiel es ihr zu, sich um Tennyson und den Laden zu kümmern, bis Saras Nichte Charlotte auftauchen würde, die das Haus geerbt hatte. Ihre Kollegin Sam arbeitete nur in Teilzeit und es war auch kein Geld da, um sie für zusätzliche Stunden zu bezahlen. Außerdem war Sam sehr impulsiv. Die wenigen Male, die sie eine Lieferung entgegennehmen oder eine größere Bestellung aufgeben musste, hatte das in einer mittleren Katastrophe geendet.

Egal, wie verzweifelt Martinique war und wie schlecht sie auch schlief, es war ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Buchhandlung jeden Tag zur gewohnten Zeit öffnete. Um Punkt zehn Uhr schloss sie die schwere Glastür auf, holte den kleinen Wimpel hervor, der an der Fassade befestigt wurde, und drehte das kleine Schild in der Scheibe herum, sodass die Besucher mit einem freundlichen Welcome begrüßt wurden.

Martinique wischte mit einem feuchten Lappen über die Theke, an der vor ein paar Stunden Parnella und Herbert gesessen hatten. Wären da nicht Saras viele Freunde in der Nachbarschaft, die immer wieder hereinschauten, um zu plaudern und Kaffee zu trinken, hätte sie es kaum ausgehalten. Dank ihnen hatte Martinique etwas, worauf sie sich jeden Tag freuen konnte. Außerdem erweckte es den Anschein, die Buchhandlung sei gut besucht, was auf Dauer hoffentlich weitere Kunden anlockte. Denn die hatte der Laden bitter nötig.

Energisch versuchte Martinique die Ringe wegzurubbeln, die Herberts und Parnellas Kaffeetassen auf dem Holz hinterlassen hatten. Bereits vor Saras Tod war der Umsatz zurückgegangen, doch jetzt stagnierte er völlig. Sosehr Martinique sich auch bemühte – sie gab jedem, den sie traf, Leseempfehlungen, startete immer wieder Kampagnen und achtete darauf, die Neuerscheinungen gut sichtbar im Schaufenster zu platzieren –, nun hatten sie einen absoluten Tiefpunkt erreicht.

Martinique kannte sich mit den Finanzen der Buchhandlung nicht genügend aus, um zu wissen, wie schlecht es stand, doch die wenigen Verkäufe waren kein gutes Zeichen. Was, wenn die Buchhandlung keinen Gewinn mehr abwarf? Würde Saras Nichte sie dann überhaupt weiterführen wollen?

Bei diesem Gedanken wurde ihr schlecht. Sie kannte Charlotte nicht, und sie hoffte, dass Sara gewusst hatte, was sie tat, als sie ihrer Nichte alles vererbte. Wenn die Buchhandlung in Konkurs ging, verlor Martinique nicht nur das Letzte, was ihr noch von Sara blieb, sondern auch ihren Job, und eine Frau mittleren Alters mit einem Abschluss in Literaturwissenschaft war auf dem britischen Arbeitsmarkt wirklich nicht besonders gefragt.

Tennyson maunzte, und Martinique warf ihm einen liebevollen Blick zu. Es wurde Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Am liebsten bliebe Tennyson wahrscheinlich immer in der Buchhandlung, aber Martinique wagte nicht, ihn nachts allein zu lassen. Nicht weil sie glaubte, er könnte gestohlen werden. Das soll mal einer versuchen, dachte sie und musterte die Kratzer an ihrer linken Hand. Sie fürchtete eher, dass er ein gewaltiges Chaos anrichten würde, wenn man ihn unbeaufsichtigt ließ. Bei ihr zu Hause hatte er bereits ein Sofa zerkratzt und mehrere Vorhänge heruntergerissen.

Sie legte den Kopf schief und betrachtete den trägen Kater, der noch vor kurzem so lebhaft und verspielt gewesen war.

»Mir fehlt sie auch«, flüsterte sie.

Tennyson blinzelte und ließ den Kopf auf die groben Dielen sinken. Vorsichtig stellte Martinique den Käfig vor ihn hin und öffnete die Tür.

»Ich gucke nur schnell nach, ob überall das Licht aus ist. Wäre toll, wenn du in der Zwischenzeit schon mal einsteigen könntest.«

Martinique drehte eine letzte Runde durch den Laden. Sie mochte diesen ruhigen Moment kurz vor dem Schließen. Wenn alles still war, meinte sie beinahe, Saras Anwesenheit spüren zu können.

Sie ließ die Hand über die Buchrücken gleiten. Die Buchhandlung am Riverside Drive hatte Sara mehr als fünfundzwanzig Jahre geführt, und jeder Einrichtungsgegenstand erinnerte an sie. Die alte Holztreppe mit ihrem handgeschnitzten Geländer, das Sara, inspiriert durch einen französischen Film, erbsengrün angestrichen hatte, die zerschlissenen Sessel, die sie immer wieder neu beziehen ließ, statt sie durch andere zu ersetzen, sowie die bunt zusammengewürfelten Tassen in der Küche, die sie im Laufe der Jahre gesammelt hatte – das alles war typisch für Sara. Sie hatte diese alte Buchhandlung geliebt und erzählte jedem, der es hören wollte, seine wunderbare Geschichte.

Der erste Besitzer, Pastor Waters, hatte den Riverside Bookshop vor über hundert Jahren eröffnet, weil er erbauliche Literatur unter die Leute bringen wollte. Er zimmerte eigenhändig die zwölf gewaltigen Regale, die den Innenraum des Ladens prägen, und widmete jedem seiner Kinder eins. Wenn man genau hinsah, konnte man noch die kleinen Messingschilder entdecken, auf denen ihre Namen eingraviert waren, und wenn ein Stammkunde ein bestimmtes Buch suchte, reichte es oft, wenn man sagte: Schauen Sie doch mal drüben bei Josephine.

Die Sessel wiederum waren ein Geschenk an die Buchhandlung gewesen. Während der Sommermonate 1958 trieben rechtsextreme Gruppen auf den Straßen der Nachbarschaft ihr Unwesen, sodass die Kinder der Einwandererfamilien nach der Schule nicht draußen spielen konnten. Die damaligen Besitzer, Mr und Mrs Mantle, hatten ihr Bestes getan, um sie mit Lesen und Basteln bei Laune zu halten, bis ihre Eltern von der Arbeit kamen und sie mit nach Hause nehmen konnten. Zum Dank hatten die Familien zusammengelegt und vier handgeschnitzte Sessel mit gepolsterten Rückenlehnen und gedrechselten Beinen gekauft, die seitdem im Laden standen.

Martinique versicherte sich, dass die Bürotür abgeschlossen war, und schmunzelte über das handgemalte Protestplakat an der Wand. Sara war ebenso sozial engagiert gewesen wie ihre Vorgänger, hatte jeden willkommen geheißen, und so war die Buchhandlung ein Treffpunkt für die gesamte Nachbarschaft geblieben. Hier setzte man sich zusammen, um lokale Probleme zu diskutieren, Kulturfestivals zu organisieren oder Geld zu sammeln, wenn die Schulkinder im nahe gelegenen St Andrews kein Geld für den alljährlichen Ausflug nach Brighton hatten, oder aber auch, um Demos vorzubereiten.

Doch die Zeiten hatten sich geändert. Bereits als Martinique in der Buchhandlung anfing, ging das nachbarschaftliche Engagement zurück. Die Leute waren zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, und Martinique konnte das gut verstehen. Sie selbst fühlte sich ebenfalls ständig gestresst von den Aktivitäten in Angelas Schule, bei deren Organisation man ihre Hilfe erwartete und für die sie backen oder Lose verkaufen sollte.

Martinique warf noch einen kurzen Blick in die Küche, um sicherzugehen, dass die Kaffeemaschine ausgeschaltet war. Trotz des abnehmenden Interesses in der Nachbarschaft hatte Sara weiterhin Suppen-Lunchs und Gesprächskreise in der Buchhandlung organisiert, doch seit ihrem Tod befanden sich alle in einer Art Limbus und warteten auf Charlotte, die laut Saras Anwalt jeden Tag eintreffen konnte.

Martinique strich über Joyce Carol Oates' Blond, das jemand in einem der Lesesessel vergessen hatte, und stellte es an seinen Platz im Louisa-Regal zurück. So positiv sie auch zu denken versuchte, sie machte sich doch Sorgen, was Charlotte von der Buchhandlung halten würde. Für sie selbst war es einer der schönsten Orte Londons. Sie liebte die geschmackvolle Einrichtung aus der Zeit der Jahrhundertwende; die handgeschnitzten Leisten aus dunklem Holz, den massiven Dielenboden, den alten Kamin mit dem Sims aus grünem Marmor und die fantastische Aussicht auf die Themse, doch sie sah plötzlich auch all die Mängel. Zudem kam es ihr merkwürdig vor, dass Saras Nichte sich nicht längst gemeldet hatte. Das konnte durchaus bedeuten, dass sie die Buchhandlung gar nicht behalten wollte.

Martinique wrang den Putzlappen aus, den sie immer noch in der Hand hielt. Paul sagte ihr, sie solle so nicht denken, doch das war nicht so einfach, schließlich hing ihre berufliche Existenz an einem seidenen Faden.

Müde ließ sie den Blick auf einer kaputten Fußbodenleiste ruhen. Wahrscheinlich mussten sie eine gewaltige Charmeoffensive starten, um Charlotte für die Buchhandlung zu gewinnen. Sie hatte bereits ein langes Gespräch mit Sam geführt, ebenso mit William, der die Wohnung neben Saras gemietet hatte, und sie hoffte, dass ihnen der Ernst der Lage klar war. Wenn Saras Nichte das alles hier nicht gefiel, konnte es gut sein, dass sie das Haus an den Höchstbietenden verkaufte.

Allein der Gedanke, dass Saras Lebenswerk verlorengehen könnte, brach Martinique das Herz. Sie mussten es schaffen, Charlotte davon zu überzeugen, wie großartig und wichtig die Buchhandlung war.

Martinique blickte auf Tennyson, der sich noch immer nicht vom Fleck gerührt hatte. Wie Charlotte zu ihm stehen würde, war ein ganz anderes Thema. Doch was wusste sie schon. Vielleicht liebte Saras Nichte starrsinnige alte Kater.

»Tut mir leid, mein Guter, aber es wird Zeit.«

Martinique griff nach ihrer Handtasche und deutete mit dem Kopf auf den Käfig.

»Hereinspaziert.«

Tennyson warf ihr einen amüsierten Blick zu und rollte sich dann auf die Seite. Er hatte offenbar keinerlei Absicht, mit ihr zu kooperieren.

Martinique seufzte, ging dann auf die Knie, fasste den schweren Kater um den Bauch und setzte ihn in den Käfig. Tennyson leistete zwar keinen Widerstand, zeigte seinen Unmut allerdings deutlich, und als sie den Käfig schloss und ihn maunzen hörte, bekam sie erneut ein schlechtes Gewissen.

»Wir kommen doch morgen wieder«, sagte sie beschwichtigend, »und wenn wir Glück haben, taucht Charlotte bald auf und ist genauso wunderbar wie ihre Tante.«

Bei diesen letzten Worten versagte ihr die Stimme und sie musste schlucken. Sie hoffte, dass Charlotte bald kam, denn sie wusste nicht, wie sie es schaffen sollte, noch länger alleine die Stellung zu halten.

Durch die Gitterstäbe blickte Tennyson sie vorwurfsvoll an, und sie fügte schnell hinzu: »Wir haben Thunfisch zu Hause. Wenn du jetzt lieb bist, kriegst du nachher ein bisschen.«

Dabei bemühte sie sich um einen strengen Blick, wusste aber schon, wie es ausgehen würde: Noch ehe der Abend vorbei war, würde Tennyson sich die letzten beiden Thunfischdosen erbettelt haben und es würde in der ganzen Küche stinken, denn obwohl sie immer gefunden hatte, dass Sara ihn viel zu sehr verwöhnte, hatte sie nicht das Herz, ihm etwas zu verwehren. Schließlich hatte er gerade seine Lebensgefährtin verloren.