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ÜBER DEN AUTOR

Kevin Kwan wurde 1973 in Singapur geboren und zog als Kind mit seiner Familie in die USA. Von der TIME wurde er auf die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gesetzt. Sein Debüt Crazy Rich Asians stand wie die beiden weiteren Bände der Trilogie monatelang auf zahlreichen Bestsellerlisten auf der ganzen Welt. Der zweite Teil der Trilogie, Crazy Rich Girlfriend, wird derzeit fürs Kino verfilmt. Kevin Kwan lebt in New York und Los Angeles und kennt das in seinen Romanen beschriebene Milieu aus eigener Erfahrung.

ÜBER DAS BUCH

Rachels Hochzeit mit Nick steht bevor, und sie ist voller Vorfreude. Nur ihren leiblichen Vater konnte sie noch nicht aufspüren. Doch als ein Unfall seine Identität enthüllt, findet sich Rachel plötzlich in der Welt der Superreichen Chinas wieder – eine Welt, die alles toppt, was sie bisher erlebt hat. Wo Menschen ihre Sportwagen im Penthouse parken und auf ihrer Jacht die Barhocker mit Walvorhaut bespannen lassen, sind Niedertracht und Intrigen nicht weit. Schnell bekommt Rachel zu spüren, dass nicht jeder in ihrer neuen Familie begeistert von ihrem Auftauchen ist.

Kein & Aber

 

Für meine Brüder und meine Cousinen und Cousins

 

LONDON

8. September 2012, 9:00 Uhr

Heute Nacht zwischen 4:00 und 4:30 Uhr durchbrach ein roter Ferrari 458 Italia das Schaufenster des Jimmy-Choo-Schuhgeschäfts in der Sloane Street. Es gab keine Zeugen. Nach Berichten der Metropolitan Police wurden zwei Insassen mit schweren, aber nicht lebensgefährlichen Verletzungen ins St Mary’s Hospital in Paddington eingeliefert. Der Name des Fahrers wurde aus ermittlungstechnischen Gründen nicht bekannt gegeben.

Sarah Lyre, The London Chronicle

PROLOG

FLUGHAFEN PEKING

9. SEPTEMBER 2012, 19:45 UHR

»Augenblick mal – ich fliege First Class. Bringen Sie mich in die First Class«, fuhr Edison Cheng den Flugbegleiter an, der ihn zu seinem Platz geleitete.

»Sie befinden sich in der First Class, Mr Cheng«, erklärte ihm der Mann in der makellosen dunkelblauen Uniform.

»Aber wo sind die Suiten?«, fragte Eddie immer noch verwirrt.

»Mr Cheng, leider hält British Airways in der First Class keine Privatkabinen bereit.1 Aber wenn ich Ihnen einige der Annehmlichkeiten zeigen dürfte, die Ihr Sitz –«

»Nein, danke.« Eddie pfefferte seine Aktentasche aus Straußenleder auf den Sitz wie ein bockiger Schuljunge. Scheiße, Scheiße, Scheiße, was für Opfer ich wieder für die Bank bringen muss! Edison Cheng, der verwöhnte »Prinz unter den Privatbankiers« – in den Hongkonger Klatschspalten berühmt für seinen ausschweifenden Lebensstil, seine modische Garderobe, seine elegante Ehefrau (Fiona), seine fotogenen Kinder und seinen erstklassigen Stammbaum (seine Mutter ist Alexandra Young von den Singapur-Youngs) –, war solche Unannehmlichkeiten einfach nicht gewohnt. Fünf Stunden zuvor war er während eines Mittagessens im Hong Kong Club unterbrochen und eiligst an Bord des Firmenjets nach Peking gebracht worden, wo er augenblicklich in dieses Flugzeug nach London umsteigen musste. Es war Jahre her, dass er sich zu einem Linienflug hatte herablassen müssen, doch Mrs Bao war an Bord dieses gottverdammten Fliegers, und nach Mrs Bao mussten sie sich richten.

Wo war die Dame überhaupt? Eddie war davon ausgegangen, dass sie in der Nähe saß, doch der Chefsteward informierte ihn, es befinde sich keine Person dieses Namens in der Kabine.

»Das kann nicht sein, sie muss hier sein. Sehen Sie noch mal auf der Passagierliste nach!«, verlangte Eddie.

Kurze Zeit später führte man ihn zu Reihe 37, Sitz E – Economyclass –, wo eine zierliche Frau in weißem Vikunja-Rollkragenpullover und grauer Flanellhose zwischen zwei andere Passagiere gequetscht saß.

»Mrs Bao? Bao Shaoyen?«, erkundigte sich Eddie auf Mandarin.

Die Frau blickte auf und lächelte matt. »Sind Sie Mr Cheng?«

»Ja. Schön, Sie kennenzulernen, wenn auch unter solchen Umständen.« Eddie lächelte erleichtert. Seit acht Jahren verwaltete er die Schwarzgeldkonten der Familie Bao, die jedoch so zurückhaltend war, dass er bis zum heutigen Tage keinen von ihnen zu Gesicht bekommen hatte. Obwohl Bao Shaoyen ziemlich müde aussah, war sie wesentlich hübscher, als er erwartet hatte. Mit ihrer Alabasterhaut, den großen schräg stehenden Augen und hohen Wangenknochen – besonders betont durch den strengen, pechschwarzen Pferdeschwanz im Nacken – wirkte sie längst nicht so alt, als könnte sie einen Sohn im Studentenalter haben.

»Warum sitzen Sie denn hier? Liegt ein Irrtum vor?«, fragte Eddie.

»Nein, ich fliege immer Economy«, gab Mrs Bao zurück.

Eddie konnte seine Entgeisterung nicht unterdrücken. Mrs Baos Mann, Bao Gaoliang, war einer der hochrangigsten Politiker in Peking, außerdem hatte er eine der größten Pharmafirmen Chinas geerbt. Die Baos waren nicht irgendwelche Kunden, sie waren seine ultrahochvermögenden Kunden.

»First Class fliegt nur mein Sohn«, erklärte Bao Shaoyen, die Eddies Blick richtig deutete. »Carlton verträgt dieses noble westliche Essen. Außerdem kann er als Student jede Minute Ruhe gebrauchen, die er kriegen kann. Er steht ja so stark unter Druck. Aber für mich lohnt es sich nicht. Flugzeugessen rühre ich nicht an, und schlafen kann ich auf Langstreckenflügen ohnehin nicht.«

Beinahe hätte Eddie die Augen verdreht. Typisch Festlandchinesen! Überschütteten ihren Thronfolger mit Geld und litten schweigend. Tja, und was hatten sie davon? Der dreiundzwanzigjährige Carlton Bao steckte eigentlich gerade in den letzten Zügen seiner Masterarbeit, hatte am gestrigen Abend jedoch sein Bestes gegeben, Prinz Harry nachzueifern – er hatte rund achtunddreißigtausend Pfund in diversen Londoner Nachtclubs gelassen, seinen brandneuen Ferrari zu Schrott gefahren, öffentliches Eigentum zerstört und sich dabei um ein Haar umgebracht. Und das war noch nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste – so Eddies ausdrückliche Anweisung – durfte Bao Shaoyen unter keinen Umständen erfahren.

Eddie steckte in der Zwickmühle. Er musste dringend mit Mrs Bao den Plan durchgehen, aber eher würde er sich einer Darmspiegelung unterziehen, als die nächsten elf Stunden mit dem Pöbel in der Touristenklasse zu verbringen. Herr im Himmel, was, wenn ihn jemand erkannte? Ein Foto von Edison Cheng, der sich in einen Sitz der Economyclass zwängte, würde innerhalb von Sekunden viral gehen. Dennoch musste sich Eddie zähneknirschend eingestehen, dass es ungehörig war, eine ihrer wichtigsten Kundinnen hier hinten ihrem Schicksal zu überlassen, während er sich in der First Class auf seinem in ein Bett verwandelten Sitz ausstreckte und an einem zwanzig Jahre alten Cognac nippte. Er beäugte erst den Jugendlichen mit der Stachelfrisur, der sich gefährlich nah in Mrs Baos Richtung lehnte, dann die ältere Frau auf ihrer anderen Seite, die sich über einer Kotztüte die Nägel knipste. Da kam ihm eine Idee.

Mit gedämpfter Stimme sagte Eddie: »Mrs Bao, natürlich hätte ich nichts dagegen, mich hier zu Ihnen zu setzen, aber da wir einige streng vertrauliche Details zu besprechen haben, würden Sie mir erlauben, Ihnen einen Sitz vorn bei mir zu organisieren? Ich bin mir sicher, die Bank würde darauf bestehen, dass ich Ihnen ein Upgrade in die First Class anbiete – selbstverständlich auf unsere Kosten –, damit wir uns dort in wesentlich privaterem Rahmen unterhalten können.«

»Nun, wenn die Bank darauf besteht …«, erwiderte Bao Shaoyen zögerlich.

Nach dem Start, als sie sich mit Aperitifs auf den gegenüberliegenden Sitzen eingerichtet hatten, kam Eddie ohne Umschweife zur Sache.

»Mrs Bao, ich habe kurz vor dem Boarding mit London gesprochen. Der Zustand Ihres Sohnes ist stabil. Der Milzriss konnte erfolgreich operativ behoben werden, und nun können die Orthopäden übernehmen.«

»Oh, den Göttern sei Dank!« Seufzend lehnte sich Bao Shaoyen zum ersten Mal entspannt in ihrem Sitz zurück.

»Wir haben bereits den besten wiederherstellenden plastischen Chirurgen in London engagiert. Dr. Peter Ashley. Er wird sich gemeinsam mit dem orthopädischen Ärzteteam im OP um Ihren Sohn kümmern.«

»Mein armer Junge«, stieß Bao Shaoyen mit feuchten Augen hervor.

»Ihr Sohn hat großes Glück gehabt.«

»Und das britische Mädchen?«

»Das Mädchen befindet sich noch im OP. Aber ich bin mir sicher, dass alles gut wird«, sagte Eddie und setzte sein aufmunterndstes Lächeln auf.

Keine dreißig Minuten zuvor hatte sich Eddie an Bord eines anderen Flugzeugs in einem Privathangar des Pekinger Flughafens im Rahmen eines überstürzt einberufenen Krisentreffens mit Mr Tin, dem grauhaarigen Sicherheitschef der Familie Bao, und Nigel Tomlinson, dem Asienchef seiner Bank, die unschönen Details angehört. Die beiden Männer waren unmittelbar nach der Landung an Bord des Learjets gekommen und hatten sich über Nigels Laptop gebeugt, während einer der Londoner Partner sie per Videokonferenz über eine sichere Verbindung auf den neuesten Stand brachte.

»Carlton ist jetzt im Aufwachraum. Er hat ordentlich was abbekommen, aber da er auf dem Fahrersitz mit Airbag und so saß, waren seine Verletzungen noch am leichtesten. Aber bei dem englischen Mädchen steht alles auf der Kippe – sie liegt im Koma, sie haben den Druck auf ihr Hirn durch die Schwellung gemindert, mehr können sie jedoch im Augenblick nicht tun.«

»Und das andere Mädchen?«, fragte Mr Tin mit zusammengekniffenen Augen in Richtung des pixeligen Pop-up-Fensters.

»Uns wurde gesagt, sie sei beim Aufprall gestorben.«

Nigel seufzte. »Und sie war Chinesin?«

»Wir glauben ja, Sir.«

Eddie schüttelte den Kopf. »Was für ein Riesenhaufen Scheiße. Wir müssen so schnell wie möglich die nächsten Angehörigen ermitteln, ehe die Behörden sie benachrichtigen.«

»Wie kriegt man überhaupt drei Leute in einem Ferrari unter?«, fragte Nigel.

Mr Tin ließ sein Handy nervös auf der lackierten Walnusskonsole kreiseln. »Carlton Baos Vater ist mit dem Premierminister von China auf Staatsbesuch in Kanada, dabei darf er unter keinen Umständen gestört werden. Ich habe die Anweisung von Mrs Bao, dass ihm niemals auch nur der Hauch eines Skandals zu Ohren kommen darf. Er darf nichts von dem toten Mädchen erfahren. Haben Sie mich verstanden? Bei seinem politischen Rang steht einfach zu viel auf dem Spiel, gerade in dieser empfindlichen Phase des Führungswechsels der Partei – das geschieht schließlich höchstens alle zehn Jahre.«

»Sicher, sicher«, beschwichtigte ihn Nigel. »Wir behaupten einfach, das weiße Mädchen wäre seine Freundin gewesen. Der Vater darf nur von einem Mädchen im Auto erfahren.«

»Muss Mr Bao überhaupt von dem weißen Mädchen erfahren? Keine Sorge, Mr Tin. Bei einigen dieser Scheichkinder habe ich schon wesentlich Schlimmeres gedeichselt«, prahlte Eddie.

Nigel warf Eddie einen bösen Blick zu. Die Bank schrieb sich selbst höchste Diskretion auf die Fahnen, und nun saß hier ein Partner, der sich das Maul über andere Kunden zerriss.

»Wir haben ein taktisches Einsatzteam in London zusammengestellt, das ich persönlich leite, und ich versichere Ihnen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, damit nichts davon an die Öffentlichkeit gelangt«, sagte Nigel, ehe er sich an Eddie wandte. »Wie viel wird es kosten, die Fleet Street zum Schweigen zu bringen?«

Eddie holte tief Luft und versuchte, die Summe im Kopf zu überschlagen. »Mit der Presse ist es ja nicht getan. Da wären auch noch Polizisten, Krankenwagenfahrer, Klinikpersonal, die Familien. Arschviele Leute also, da kommt einiges an Schweigegeld zusammen. Unter zehn Millionen Pfund kommen wir da vermutlich nicht weg.«

»Also, Sie bringen Mrs Bao nach der Landung unverzüglich in unser Büro. Sie muss die Befugnis unbedingt unterzeichnen, bevor Sie mit ihr ins Krankenhaus zu ihrem Sohn fahren. Die Frage ist bloß, was wir Mr Bao sagen, wenn er uns fragt, wofür wir so viel Geld brauchen«, grübelte Nigel.

»Sagen Sie einfach, das Mädchen braucht ein paar neue Organe«, schlug Mr Tin vor.

»Wir können auch behaupten, wir müssten der Boutique Schadenersatz zahlen«, fügte Eddie hinzu. »Jimmy Choos sind schließlich verdammt teuer.«

HYDE PARK 2, LONDON, 10. SEPTEMBER 2012

Eleanor Young nippte an ihrem Morgentee und tüftelte eine Notlüge aus. Sie war mit drei ihrer besten Freundinnen – Lorena Lim, Nadine Shaw und Daisy Foo in London, und nachdem sie zwei Tage pausenlos mit den dreien verbracht hatte, brauchte sie dringend ein paar Stündchen für sich. Der Londonausflug war für alle vier als Ablenkung gedacht – Lorena erholte sich vom Schrecken einer allergischen Reaktion auf Botox, Daisy hatte sich wieder einmal mit ihrer Schwiegertochter über die Kindergartenwahl für ihre Enkel gestritten, und Eleanor selbst war deprimiert darüber, dass ihr Sohn Nicky seit über zwei Jahren nicht mit ihr sprach. Und Nadine – nun, Nadine war entgeistert über den Zustand der Wohnung ihrer Tochter.

»Alamaaaak! Fünfzig Millionen Dollar, und man kann nicht mal die Klospülung betätigen!«, kreischte Nadine beim Betreten des Frühstücksraums.

»Was erwartest du? Ist eben alles Super-Hightech!«, sagte Lorena lachend. »Hat die Toilette dir wenigstens dabei geholfen, sue kha-tshng2

»Nein, lah! Ich hab gewedelt und gewedelt, aber diese blöden Sensoren haben einfach nicht reagiert!« Resigniert ließ sich Nadine auf einen ultramodernen Stuhl plumpsen, der aussah, als bestünde er aus einem unordentlichen Knäuel roter Samtkordeln.

»Ich will ja nicht meckern, aber ich finde das Apartment deiner Tochter nicht nur schrecklich modern, sondern auch schrecklich überteuert«, kommentierte Daisy zwischen zwei Bissen Rousong-Toast.

»Aiya, sie zahlt eben für den Namen und die Lage«, sagte Eleanor abfällig. »Ich hätte ja eine Wohnung mit Blick auf den Hyde Park statt auf Harvey Nichols gewählt.«

»Du kennst doch meine Francesca, lah! Der Park ist ihr scheißegal, sie will bloß neben ihrem Lieblingsgeschäft einschlafen! Gott sei Dank hat sie endlich jemanden geheiratet, der ihren Dispo ausgleichen kann.« Nadine seufzte.

Die Damen schwiegen. Nadine hatte es nicht leicht, seit ihr Schwiegervater Sir Ronald Shaw nach sechs Jahren aus dem Koma erwacht war und seiner kauffreudigen Familie den Geldhahn abgedreht hatte. Ihre verschwenderische Tochter Francesca (einst vom Singapore Tattle unter die fünfzig bestgekleideten Frauen gewählt) kam gar nicht damit zurecht, beim Shopping haushalten zu müssen, und entschloss sich kurzerhand zu einer dreisten Affäre mit Roderick Liang (von den Liang-Finance-Group-Liangs), der gerade erst Lauren Lee geheiratet hatte. Singapurs Who is Who war empört, und Laurens Großmutter, die gefürchtete Mrs Lee Yong Chien, übte Vergeltung, indem sie dafür sorgte, dass jede Familie der alten Garde in ganz Südostasien sich von den Shaws und den Liangs abkehrte. Schließlich beschloss der gründlich geläuterte Roderick, bei seiner Frau zu Kreuze zu kriechen, statt mit Francesca durchzubrennen.

Die plötzlich gesellschaftlich geächtete Francesca floh nach England und rettete sich kurz darauf in die Ehe mit »irgend so einem iranischen Juden mit einer halben Milliarde Dollar«3. Seit sie in einer abartig teuren Eigentumswohnung im Hyde Park 2 lebte, dem Luxuswohnblock der Königsfamilie von Katar, sprachen sie und ihre Mutter endlich wieder miteinander. Natürlich waren die Damen unter dem Vorwand angereist, die Neuvermählten besuchen zu wollen, in Wirklichkeit jedoch waren sie nur darauf erpicht, sich das viel gerühmte Apartment anzuschauen, und wichtiger noch, kostenlos unterzukommen.4

Während die Frauen den heutigen Shoppingplan besprachen, setzte Eleanor zu ihrer Notlüge an. »Ich kann heute Morgen leider nicht mitkommen. Ich treffe mich mit diesen laaangweiligen Shangs zum Frühstück. Wenn ich abreise, ohne ihnen wenigstens einen Besuch abzustatten, sind sie tödlich beleidigt.«

»Du hättest ihnen gar nicht sagen sollen, dass du hier bist«, tadelte Daisy.

»Alamak, Cassandra Shang findet es doch sowieso raus! Diese Frau hat einen speziellen Radar für so was, und wenn sie wüsste, dass ich in England bin, ohne ihre Eltern zu besuchen, müsste ich mir das bis in alle Ewigkeit anhören. Was bleibt mir anderes übrig, lah? Das ist eben der Fluch daran, in die Young-Familie eingeheiratet zu haben«, beklagte sich Eleanor gespielt. In Wirklichkeit hatten die »königlichen Shangs«, wie die Cousins und Cousinen ihres Mannes Philip Young allseits genannt wurden, in den über dreißig Jahren Ehe nicht einmal einen Anstandsbesuch von ihr erwartet. Wäre Philip mit in London, wären sie bestimmt auf das palastähnliche Anwesen der Shangs in Surrey eingeladen worden, oder zumindest zu einem Dinner in der Stadt, aber wenn Eleanor allein in England war, herrschte Grabesstille von Seiten der Shangs.

Natürlich hatte Eleanor es längst aufgegeben, sich dem hochnäsigen, engstirnigen Clan ihres Ehemanns anzupassen, aber die Lüge bezüglich der Shangs war die einzige Möglichkeit, ihre Freundinnen davon abzuhalten, neugierig nachzubohren. Egal, mit wem sie sich sonst träfe, ihre ke-po5 Freundinnen hätten garantiert mitkommen wollen, doch die bloße Erwähnung der Shangs schüchterte sie so sehr ein, dass sie von allen weiteren Fragen absahen.

Während die Damen beschlossen, den Morgen mit der Verkostung all der Gratis-Delikatessen zu beginnen, die es in den berühmten Food Halls bei Harrods gab, verließ Eleanor das protzige Gebäude am Knightsbridge unauffällig gekleidet in einem schicken kamelfarbenen Akris-Hosenanzug, einem ausgestellten Mantel von Max Mara in British Racing Green und mit ihrem Markenzeichen, der Cutler-and-Gross-Sonnenbrille mit Goldrand6 auf der Nase, und ging zwei Blocks in östlicher Richtung zum Berkeley-Hotel, wo ein silberner Jaguar XJL vor einer Reihe kugelrund geschnittener Büsche auf sie wartete. Noch immer von der Paranoia getrieben, ihre Freundinnen könnten sie verfolgt haben, warf Eleanor einen hastigen Blick über die Schulter, ehe sie in die Limousine stieg und davonbrauste.

In der Connaught Street in Mayfair stand Eleanor schließlich vor einer hübschen Reihe Stadthäuser. Nichts an der rot-weißen georgianischen Backsteinfassade oder der glänzenden schwarzen Tür ließ auch nur ansatzweise vermuten, was sich dahinter befand. Sie drückte einen Knopf auf der Gegensprechanlage, und nahezu augenblicklich ertönte eine Stimme: »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Eleanor Young. Ich habe einen Termin um zehn Uhr«, sagte sie mit einem Akzent, der auf einmal sehr viel britischer klang als vorher. Noch bevor sie den Satz beendet hatte, klickten hörbar mehrere Schlösser, und ein einschüchternd breiter Mann in Nadelstreifenanzug öffnete die Tür. Eleanor betrat ein helles, schlichtes Vorzimmer, in dem eine attraktive junge Frau hinter einem kobaltblauen Maison-Jansen-Schreibtisch saß. Die Frau begrüßte sie freundlich lächelnd: »Guten Morgen, Mrs Young. Es geht sofort los – wir haben schon Bescheid gesagt.«

Eleanor nickte. Sie kannte den Ablauf. Die gesamte Rückwand des Vorzimmers bestand aus Glastüren mit Stahlrahmen, hinter denen ein Innenhof mit Privatgarten lag, und sie konnte dort bereits einen glatzköpfigen Mann in schwarzem Anzug erkennen, der auf sie zukam. Der Türsteher im Nadelstreifenanzug führte sie zu dem Mann mit der Glatze und sagte schlicht: »Mrs Young für Mr D’Abo.« Eleanor fiel auf, dass beide kaum sichtbare Ohrstöpsel trugen. Der Glatzköpfige eskortierte sie einen glasüberdachten Weg entlang, der sich im Innenhof teilte und an einer Formschnitthecke vorbei in das angrenzende Gebäude führte – ein ultramoderner Bunker aus schwarzem Titan und getönten Scheiben.

»Mrs Young für Mr D’Abo«, wiederholte der Mann noch einmal in seinen Ohrstöpsel, und eine weitere Reihe von Sicherheitsschlössern öffnete sich klickend. Nach einer kurzen Fahrt im Aufzug verspürte Eleanor zum ersten Mal an diesem Morgen so etwas wie Erleichterung, als sie endlich den pompös ausgestatteten Empfangsraum der Liechtenburg Group betrat, einer der exklusivsten Privatbanken der Welt.

Wie so viele hochvermögende Asiaten unterhielt Eleanor Konten bei den unterschiedlichsten Finanzinstituten. Ihre Eltern, die einen Großteil ihres ursprünglichen Vermögens verloren hatten, als sie während der japanischen Besatzung Singapurs im Zweiten Weltkrieg in ein Konzentrationslager deportiert wurden, hatten ihren Kindern ein Mantra mit auf den Weg gegeben: Lege niemals alle Eier in ein Körbchen. Daran erinnerte sich Eleanor, während sie im Laufe der nächsten Jahrzehnte ihr eigenes Vermögen anhäufte. Dass ihre Heimatstadt Singapur inzwischen zu einem der weltweit sichersten finanziellen Knotenpunkte geworden war, kümmerte sie nicht. Wie so viele ihrer Freundinnen verteilte sie ihr Geld noch immer auf diverse über den Globus verstreute Banken, sichere Häfen, die lieber ungenannt blieben.

Das Konto bei der Liechtenburg Group jedoch war das Juwel in ihrer Krone. Dort wurde der größte Batzen ihres Anlagevermögens verwaltet, und ihr Privatbankier Peter D’Abo brachte ihr fortwährend die höchste Rendite ein. Mindestens einmal im Jahr erfand Eleanor eine Ausrede, nach London zu reisen, wo sie ihren Wertpapierbestand genüsslich mit Peter durchging. (Es war dem Genuss durchaus zuträglich, dass er wie ihr Lieblingsschauspieler Richard Chamberlain aussah – ungefähr zur Zeit der Dornenvögel. Eleanor saß Peter so manches Mal an seinem Schreibtisch aus hochglanzpoliertem Makassar-Ebenholz gegenüber und stellte ihn sich mit Priesterkragen vor, während er ihr erklärte, nach welchem genialen System er ihr Geld nun wieder angelegt hatte.)

Während Eleanor in der Empfangslounge wartete, zückte sie ein letztes Mal ihr seidenes Lippenstiftetui von Jim Thompson und überprüfte in dem winzigen Spiegel darin den Zustand ihres Lippenstifts. Sie bewunderte die riesige Glasvase mit den lilafarbenen Callas, deren leuchtend grüne Stiele spiralförmig angeordnet waren, und überlegte, wie viele britische Pfund sie auf diesem Kurztrip abheben sollte. Der Singapur-Dollar war diese Woche schwach, es war im Augenblick also besser, in Pfund zu bezahlen. Daisy hatte gestern das Mittagessen spendiert und Lorena das Abendessen, also wäre heute sie an der Reihe. Die drei hatten sich darauf geeinigt, abwechselnd für alle zu zahlen, da sie ja wussten, wie knapp die arme Nadine bei Kasse war.

Die mit Silber eingefasste Flügeltür schwang auf, und Eleanor erhob sich erwartungsvoll. Doch statt Peter D’Abo kam eine chinesische Dame durch die Tür, in Begleitung von Eddie Cheng.

»Meine Güte, Auntie Ellie! Was machst du denn hier?«, platzte Eddie unwillkürlich heraus.

Eleanor wusste natürlich, dass der Neffe ihres Mannes für die Liechtenburg Group arbeitete, aber Eddie war der Geschäftsführer der Zweigstelle in Hongkong, und sie hätte im Leben nicht damit gerechnet, ihm hier über den Weg zu laufen. Sie hatte ihr Konto absichtlich in der Londoner Zweigstelle eröffnet, um keinesfalls zufällig jemand Bekanntes zu treffen. Mit hochrotem Gesicht stammelte sie: »Oh … oh, hallo. Ich treffe mich bloß mit einem Freund zum Frühstück.« Aiya, aiya, aiya, ich bin aufgeflogen!

»Ach, natürlich, Frühstück«, antwortete Eddie, dem die Situation ebenfalls unangenehm war. War ja klar, dass dieses gerissene Luder ein Konto bei uns hat.

»Ich bin seit vorgestern hier. Mit Nadine Shaw – um Francesca zu besuchen.« Verfluchter Mist, jetzt weiß die ganze Familie, dass ich heimlich Geld in England angelegt habe.

»Ach, Francesca Shaw. Hat sie nicht irgendeinen Araber geheiratet?«, fragte Eddie höflich. Und Ah Ma macht sich immer Sorgen, dass Onkel Philip nicht genug Geld zum Leben hat. Wenn ich ihr das erzähle!

»Einen iranischen Juden, sehr gut aussehend. Sie sind gerade in eine Wohnung am Hyde Park 2 gezogen«, erwiderte Eleanor. Gott sei Dank kennt er meine sechzehnstellige Kontonummer nicht.

»Oho, dann verdient er sicher nicht schlecht«, sagte Eddie mit geheuchelter Bewunderung. Mein Gott, ich muss Peter D’Abo über ihr Konto ausfragen. Aber dieser Wichtigtuer verrät mir garantiert nichts.

»Ziemlich gut sogar, würde ich schätzen – er ist Bankier, genau wie du«, konterte Eleanor. Ihr fiel auf, dass die chinesische Frau es eilig zu haben schien, und sie fragte sich, wer sie wohl war. Für eine Festländerin war sie geradezu elegant und dezent gekleidet. Das musste eine seiner ganz wichtigen Kundinnen sein. Deshalb stellte Eddie sie ihr natürlich auch nicht vor. Was machen die beiden bloß hier in London?

»Gut, dann frühstücke mal schön«, sagte Eddie beim Gehen schmunzelnd.

Nachdem Eddie seine Kundin auf die Intensivstation des St Mary’s Hospital begleitet hatte, führte er Bao Shaoyen zum Essen bei Mandarin Kitchen am Queensway aus, weil er hoffte, die Hummernudeln7 könnten sie aufmuntern, doch anscheinend verging Frauen beim Weinen der Appetit. Shaoyen war nicht im Geringsten auf den Anblick ihres Sohnes vorbereitet gewesen. Sein Kopf war auf die Größe einer Wassermelone angeschwollen, und überall ragten Schläuche hervor – aus seiner Nase, seinem Mund, seinem Hals. Er hatte sich beide Beine gebrochen, Verbrennungen zweiten Grades an den Armen erlitten, und der Teil von ihm, der nicht bandagiert war, sah aus wie eine eingedrückte Plastikflasche. Sie wollte bei ihm bleiben, doch das ließen die Ärzte nicht zu, denn die Besuchszeit war zu Ende. Niemand hatte ihr gesagt, dass es so schlimm war. Warum hatte ihr das niemand gesagt? Nicht einmal Mr Tin. Und wo war ihr Mann? Sie war so wütend auf ihn. Sie war wütend, weil sie das alles allein durchstehen musste, während er feierlich Bänder durchschnitt und irgendwelchen Kanadiern die Hand schüttelte.

Eddie rutschte unangenehm berührt auf seinem Stuhl herum, während Shaoyen ihm gegenüber untröstlich schluchzte. Konnte sie sich nicht zusammenreißen? Schließlich hatte Carlton überlebt! Nach ein paar Schönheitsoperationen würde er wieder so gut wie neu aussehen. Vielleicht sogar besser als vor dem Unfall. Wenn Peter Ashley, der Michelangelo der Harley Street, erst mal Hand anlegte, würde ihr Sohn hinterher vermutlich wie ein chinesischer Ryan Gosling anmuten. Vor ihrer Ankunft in London hatte Eddie angenommen, dass die Sache innerhalb von ein, zwei Tagen gegessen sein und er noch genug Zeit haben würde, sich einen neuen Frühlingsanzug bei Joe Morgan maßschneidern zu lassen, und dazu vielleicht ein Paar neue Cleverleys. Doch der Damm hatte bereits Risse bekommen. Jemand hatte der asiatischen Presse einen Tipp gegeben, und die Reporter schnüffelten gnadenlos herum. Er musste sich mit seinem Kontakt bei Scotland Yard treffen. Er musste seine Fleet-Street-Kontakte anzapfen. Die Sache drohte aus dem Ruder zu laufen, er hatte jetzt keine Zeit für hysterische Mütter.

Gerade als es nicht mehr schlimmer kommen konnte, sah Eddie aus dem Augenwinkel ein vertrautes Gesicht. Mist, das war schon wieder Auntie Ellie, die das Lokal mit Mrs Q. T. Foo betrat, dieser Soundso aus der L’Orient-Jewelry-Familie und dieser stillosen Nadine Shaw. Scheiße, Scheiße, Scheiße, wieso müssen denn alle Chinesen auf Londonbesuch unbedingt in den gleichen drei Restaurants essen?8 Das war genau das, was er brauchte – dass die größten Tratschtanten Asiens den Nervenzusammenbruch von Bao Shaoyen miterlebten. Wobei, vielleicht war das gar nicht so schlecht. Seit er Eleanor heute Morgen in der Bank getroffen hatte, wusste Eddie, dass er sie sprichwörtlich an den Eiern hatte. Er konnte praktisch alles von ihr verlangen. Und jetzt gerade musste sich jemand, dem er wirklich vertrauen konnte, um Bao Shaoyen kümmern, während er sich um den Rest kümmerte. Wenn die Dame mit Asiens Schickeria bei einem opulenten Mahl in London gesehen würde, könnte ihnen das sogar zum Vorteil gereichen und diese Aasgeier von Reportern vom Hals schaffen.

Eddie stand auf und schlenderte zu dem runden Tisch in der Mitte des Gastraums. Eleanor entdeckte ihn als Erste und biss genervt die Zähne zusammen. Natürlich muss Eddie Cheng hier sein. Wenn dieser Idiot unsere Begegnung heute Morgen auch nur mit einem Ton erwähnt, verklage ich die Liechtenburg Group!

»Auntie Ellie, bist du das?«

»Ach du meine Güte, Eddie! Was machst du denn in London?«, stieß Eleanor hervor und tat völlig überrascht.

Eddie beugte sich mit einem breiten Grinsen vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Mein Gott, das war ja eine oscarreife Darbietung. »Ich bin geschäftlich hier. Was für eine schöne Überraschung, dich ausgerechnet hier zu treffen!«

Eleanor seufzte erleichtert auf. Gott sei Dank spielt er mit. »Ladys, ihr kennt doch bestimmt meinen Neffen aus Hongkong? Er ist der Sohn von Philips Schwester Alix und dem weltberühmten Herzchirurgen Malcolm Cheng.«

»Aber sicher doch! Ach, wie klein die Welt doch ist, lah!« Die Frauen schnatterten aufgeregt durcheinander.

»Wie geht es denn Ihrer lieben Mutter?«, fragte Nadine eifrig, obwohl sie Alexandra Cheng noch nie in ihrem Leben getroffen hatte.

»Sehr gut, danke. Mum ist gerade in Bangkok und besucht Auntie Cat.«

»Ach, deine Thai-Auntie«, antwortete Nadine in ehrfürchtigem Tonfall, weil sie wusste, dass Catherine Young in den Thai-Adel eingeheiratet hatte.

Eleanor musste sich das Augenrollen verkneifen. Dass Eddie auch keine Gelegenheit zum Namedropping ausließ.

Eddie wechselte ins Mandarin und sagte: »Meine Damen, darf ich Ihnen Mrs Bao Shaoyen vorstellen?«

Alle vier schenkten der Frau, die jetzt an ihren Tisch trat, ein höfliches Nicken. Nadine fiel sofort auf, dass sie eine Kaschmirstrickjacke von Loro Piana, einen wunderschön geschnittenen Bleistiftrock von Céline, praktische flache Pumps von Robert Clergerie und eine hübsche Lacklederhandtasche ohne erkennbares Logo trug. Urteil: Langweilig, aber erstaunlich viel Klasse für eine Festländerin.

Lorena stach der Diamantring ins Auge. Ein Klunker von bestimmt acht bis achteinhalb Karat, Farbe D, Reinheitsgrad VVS1 oder VVS2, Radiantschliff, flankiert von zwei dreieckigen gelben Diamanten von je drei Karat, in Platin eingefasst. Die Kombination schrie nach Ronald Abram in Hongkong. Urteil: Nicht zu protzig, aber bei L’Orient hätte sie einen besseren Stein bekommen.

Daisy, der das Äußere von Menschen völlig egal war und die sich stattdessen wesentlich mehr für Stammbäume interessierte, fragte auf Mandarin: »Bao? Sind Sie etwa mit den Baos aus Nanjing verwandt?«

»Ja, Bao Gaoliang ist mein Mann«, sagte Mrs Bao mit einem Lächeln. Wenigstens eine, die anständig Mandarin spricht! Und weiß, wer wir sind.

»Aiya, die Welt ist so klein! Ich habe Ihren Mann getroffen, als er das letzte Mal mit der chinesischen Delegation in Singapur war! Ladys, Bao Gaoliang ist der ehemalige Gouverneur der Provinz Jiangsu. Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns. Wir wollten gerade bestellen!«, bat Daisy die beiden großzügig.

Eddie strahlte. »Sie sind zu nett. Ehrlich gesagt freuen wir uns über Gesellschaft. Wissen Sie, Mrs Bao macht gerade eine schwere Zeit durch. Ihr Sohn wurde vorgestern bei einem Autounfall verletzt –«

»GOTTgütiger!«, fiel Nadine ihm ins Wort.

Eddie fuhr fort: »Ich fürchte, ich muss wieder los, weil ich mich noch um einige wichtige Angelegenheiten der Familie Bao kümmern muss, aber ich bin mir sicher, Mrs Bao würde sich Ihnen gern anschließen. Sie kennt sich in London kaum aus, also ist sie ziemlich aufgeschmissen.«

»Keine Sorge, wir nehmen sie unter unsere Fittiche!«, bot Lorena großzügig an.

»Da bin ich aber erleichtert. Sag mal, Auntie Ellie, könntest du mir zeigen, wo ich am schnellsten ein Taxi finde?«

»Aber sicher«, sagte Eleanor und verließ das Restaurant mit ihrem Neffen.

Während die Damen Bao Shaoyen trösteten, briefte Eddie vor dem Lokal seine Tante. »Ich weiß, dass das ein großer Gefallen ist, um den ich dich hier bitte. Kann ich mich darauf verlassen, dass ihr Mrs Bao eine Weile beschäftigt und ablenkt? Noch wichtiger, kann ich auf eure absolute Diskretion zählen? Ich muss sicher sein, dass deine Freundinnen der Presse gegenüber, vor allem der asiatischen, kein Wort über Mrs Bao sagen. Ich stehe zutiefst in deiner Schuld.«

»Aiya, du kannst dich hundertprozentig auf uns verlassen. Meine Freundinnen würden niemals tratschen«, beteuerte Eleanor.

Eddie nickte ernst, obwohl er ganz genau wusste, dass jede einzelne der Frauen ihre Begegnung in Lichtgeschwindigkeit nach Asien melden würde, kaum dass er weg war. Diese nervtötenden Klatschreporterinnen würden die Nachricht in ihre täglichen Kolumnen aufnehmen, und schwups wären alle in dem Glauben, dass Shaoyen lediglich zum Shoppen und Essen in London weilte.

»Kann ich mich denn auch auf deine Diskretion verlassen?«, fragte Eleanor und sah ihm direkt in die Augen.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, Auntie Ellie«, erwiderte Eddie schmunzelnd.

»Ich spreche von meinem Frühstück … heute Morgen.«

»Ach, keine Sorge, das habe ich doch längst vergessen. Ich habe einen Verschwiegenheitseid abgelegt, als ich in die Welt der Privatbanken eingetreten bin, und es würde mir nicht im Traum einfallen, ihn zu brechen. Wofür stehen wir bei der Liechtenburg Group, wenn nicht für Diskretion und Vertrauen?«

Erleichtert über diese seltsame Wendung ging Eleanor zurück ins Restaurant. Jetzt war sie mit ihrem Neffen quitt. Eine riesige Platte mit einem noch riesigeren Hummer auf einem Bett dampfend heißer Nudeln stand auf dem Tisch, doch niemand aß etwas. Ihre Freundinnen sahen Eleanor mit merkwürdigem Gesichtsausdruck an. Vermutlich platzten sie alle vor Neugier auf das, was sie vor der Tür mit Eddie besprochen hatte.

Daisy lächelte breit, als Eleanor sich setzte, und sagte: »Mrs Bao hat uns gerade Fotos von ihrem gut aussehenden Sohn auf dem Handy gezeigt. Sie macht sich solche Sorgen wegen seinem Gesicht, aber ich habe ihr versichert, dass die Schönheitschirurgen hier zu den besten der Welt gehören.«

Daisy reichte ihr das Handy, und Eleanors Augen weiteten sich unmerklich bei dem Anblick.

»Findest du nicht auch, dass er gut aussieht?«, fragte Daisy in etwas zu fröhlichem Tonfall.

Eleanor blickte vom Display auf und sagte nonchalant: »Aber ja, sehr gut.«

Keine der Frauen verlor ein weiteres Wort über Mrs Baos Sohn, doch das ganze restliche Abendessen über dachten alle dasselbe. Es konnte unmöglich Zufall sein. Bao Shaoyens verletzter Sohn sah genauso aus wie die Frau, die der Grund für die fürchterliche Entfremdung zwischen Eleanor und ihrem Sohn Nicholas war.

Ja, Carlton Bao war Rachel Chu wie aus dem Gesicht geschnitten.

TEIL EINS

Heutzutage behauptet jeder, er wäre Milliardär.

Aber du bist erst einer,

wenn du auch Milliarden ausgibst.

Aufgeschnappt im Hongkonger Jockey Club