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Michael Kühner

Mord im Aufschwung

Stuttgarter Verbrechen im Schatten des Wirtschaftswunders

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1. Auflage 2019

Redaktion / Lektorat: Anja Sandmann

Layout / Herstellung / Umschlaggestaltung: Susanne Lutz

unter Verwendung eines Fotos © Polizeihistorischer Verein Stuttgart e.V.

E-Book: Mirjam Hecht

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6140-8

Widmung

Für Bettina

Inhalt

Impressum

Widmung

Inhalt

Betäubt, getötet, beerdigt

Der Kindermörder

Der Liebespaarmord

Danksagung

Quellenverzeichnis

Vorwort

Die Spuren des Zweiten Weltkriegs verloschen immer mehr im Stuttgart der 1960er- und der beginnenden 1970er-Jahre: Ganz langsam vernarbten die Wunden im Stadtbild und auf den Seelen der Menschen, die das Inferno des nationalsozialistischen Größenwahns überlebt hatten. Die Ruinen als Zeugen der Zerstörung verschwanden Stein um Stein, Stuttgart wandelte sich betriebsam zur autogerechten Industriestadt. Das sogenannte Wirtschaftswunder, das in den 1950er-Jahren begonnen hatte, nahm immer mehr und immer schwungvoller seine Fahrt auf: Vollbeschäftigung ermöglichte den Menschen einen stetig wachsenden Wohlstand, und nach all den mageren Jahren kamen nun wieder Schnitzel, Schwarzwälder Kirschtorte und – als exotische Neuheit – der »Toast Hawaii« auf den Tisch. Nicht mehr das blanke Überleben, sondern der Blick nach vorn, das berufliche und finanzielle Vorwärtskommen standen jetzt im Vordergrund.

Diese Epoche, sie war eine Zeit des Aufbruchs und des gesellschaftlichen Wandels.

In meiner persönlichen Biografie umfasste dieses Zeitfenster den Übergang vom Kindsein hin zum jungen Erwachsenen. Die von Elend und Tristesse geprägten Bilder der Nachkriegsjahre verblassten immer mehr in meinem Kopf. Das traditionelle Rollenbild, es hatte damals auch in meiner Familie noch voll Bestand: Der Vater arbeitete »Tag und Nacht«, die Mutter versorgte den Haushalt. Anfang der 1960er-Jahre kam ein erster Fernseher ins Haus. Sendungen wie Hans-Joachim Kulenkampffs berühmtes Quiz »Einer wird gewinnen«, »Aktenzeichen XY … ungelöst« oder Straßenfeger-Krimis wie »Das Halstuch« gehörten in unserem Wohnzimmer – wie in so vielen anderen Haushalten dieser Zeit – zum abendlichen Standardprogramm.

Dann begann ich 1967 meine Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei in Göppingen: Marschieren, Formalausbildung, mit Handgranaten werfen, Ausbildung am Maschinengewehr – und vor allem Disziplin, Anpassung und Unterordnung prägten hier den Arbeitstag. Die im Zweiten Weltkrieg groß gewordenen und sozialisierten Ausbilder und Vorgesetzten zeigten uns ohne Umschweife, »wo es lang ging« – für die damaligen Verhältnisse ein »normaler« Umgangston.

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Das Dienstausweisfoto zeigt Michael Kühner zu Beginn seiner Polizeiausbildung bei der Bereitschaftspolizei in Göppingen 1967 als Polizeiwachmann zur Probe

1969 bin ich dann ein »echter« Stuttgarter Polizist geworden. Auf Streife im legendären ersten Polizeirevier, im Rotlichtjargon als »Büchsenschmiere« bezeichnet, begann für mich ein entscheidender beruflicher Abschnitt: Inmitten von Zuhältern, Prostituierten, Vergnügungssüchtigen, Baustellen, angetrunkenen Autofahrern, Verkehrsunfällen, Kleinkriminellen und Obdachlosen musste ich als 21-Jähriger für »Recht und Ordnung« sorgen. Immer als Erster am Brennpunkt der Auseinandersetzungen: Die Streife ist die Feuerwehr der Polizei.

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Polizeiobermeister im Kriminaldienst Michael Kühner in seinem Stuttgarter Büro 1975

»Live« mit einem Tötungsverbrechen wurde ich zum ersten Mal am 19. November 1970 im Polizeirevier konfrontiert. Kurz vor 20 Uhr wurde dort an diesem Tag über den Polizeifunk eine Fahndung nach einem missglückten Raubüberfall auf eine Tankstelle ausgestrahlt, ein Mann, so hieß es, war erschossen worden und die Täter seien mit einem Pkw geflüchtet. Den weiteren Verbrechensverlauf können Sie im Kapitel »Der Liebespaarmord« nachlesen. Noch war ich als Streifenpolizist damals weit weg von dieser Art Verbrechen, um die sich die Kollegen von der Kripo kümmern mussten, aber meine berufsbezogene Neugier war geweckt …

Bis ich 1989, also fast 20 Jahre später, die Leitung der Stuttgarter Mordkommission übernahm, wurde die Geschichte des Verbrechens im Stuttgart der 1960er- und 1970er- Jahre aber wie überall weitergeschrieben. Verbrechen und ihre Verfolgung und Bestrafung, das zeigt der Blick zurück, spiegeln immer den moralischen Standard, den technischen Fortschritt und den Intellekt ihrer Zeit.

Die Facetten des Mordes sind reich in ihrer Brutalität und in ihren Folgen. Unschuldige Opfer werden von einem Moment zum anderen aus ihrem Leben gerissen. Für überlebende Opfer eines Verbrechens und für die Angehörigen gerät mit einem Schlag die ganze Welt ins Straucheln, es ist nichts mehr, wie es vorher war. Plötzlich das geliebte Kind nie wiederzusehen, das gestern noch gelacht und das man umsorgt hat. Opfer einer grausamen Mörders. Die Zurückgebliebenen für ein Leben gezeichnet …

Die in diesem Buch beschriebenen Fallstudien aus den 1960er- und frühen 1970er-Jahren gehen auf authentische Kriminalereignisse zurück und greifen dabei mehreres auf: zum einen das sich immer wiederholende und letztlich nicht erklärbare rücksichtslose, brutale, enthemmte Töten von Menschen – ein Rätsel, das in allen Epochen gleich bleibt. Zum anderen spiegeln die hier vorgestellten Mordfälle die geänderten Randbedingungen im neuen Lebensgefühl dieser Zeit und den damaligen neuen Entwicklungsstandard bei den Möglichkeiten der Forensik und der Kriminaltechnik wider. Dank dem Siegeszug des Fernsehens in den 1960er-Jahren konnte zum Beispiel mit dem Format der »Aktenzeichen-XY«-Sendung eine bislang nicht möglich gewesene, bundesweite Resonanz bei der Fahndung nach Schwerverbrechern erreicht werden.

Aber all diese Veränderungen – sei es nun die beginnende TV-Fahndung in den 1960er-Jahren oder die digitale Spurensuche im frühen 21. Jahrhundert – ersetzen nicht den motivierten Kriminalbeamten, der das Mosaik der Indizien zusammensetzt, der zweifelt, verwirft, Fehler macht und nur von einem Ziel beherrscht wird: den Täter zu ermitteln und vor seinen Richter zu bringen. Der Blick in die menschlichen Abgründe, das Entschlüsseln des Bösen: Das war und ist die Aufgabe des Kriminalbeamten. In diesem psychischen Sumpf Mensch zu bleiben und nicht in eine irrationale »Kriminalitätspanik« zu geraten oder zum Misanthropen oder Zyniker zu mutieren, erfordert eine starke Persönlichkeit, emotionale Stabilität und Herzensbildung – Qualitäten, die man bei jedem Fall aufs Neue beweisen muss.

Ich werde versuchen, verehrte Leser, Ihnen diesen Arbeitsalltag mit all seinen Anstrengungen, Erfolgen und Misserfolgen näher zu bringen.

Aus rechtlichen Gründen wurden teilweise Namen von den in den Texten vorkommenden Personen und Handlungen verfremdet. Dies ändert jedoch nichts an der Authentizität der beschriebenen Fälle, die ausschließlich auf den Fakten der polizeilichen Ermittlungsakten beruhen.

Werfen wir also einen Blick zurück ins Stuttgart der 1960er- und frühen 1970er-Jahre …