Über Naomi Klein

Die Autorin

Naomi Klein, Jahrgang 1970, ist eine der renommiertesten Intellektuellen unserer Zeit. Die kanadische Journalistin feierte ihren Durchbruch 2000 mit dem internationalen Bestseller No Logo!, über die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken Südostasiens. Er gilt als die »Bibel einer Bewegung« (New York Times). Naomi Klein war u.a. Miliband Fellow an der London School of Economics und erhielt einen Ehrendoktortitel für Zivilrecht des University of King’s College in Nova Scotia. Sie schreibt und berichtet regelmäßig für große Sender und Zeitungen wie CNN, BBC und The Washington Post.

 

Die drei Übersetzerinnen

Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher und Barbara Steckhan studierten Literaturwissenschaft in Hamburg bzw. München und sind Mitbegründerinnen des Kollektivs Druck-Reif. Seit über 30 Jahren übertragen sie dort in kleinen Teams Bücher und andere Schriften – vorwiegend aus dem Englischen – ins Deutsche.

Fußnoten

Die Entwicklung hat sich seither umgekehrt, und die Werte sind Anfang 2019 rasch gestiegen. Eine Studie des Yale Program on Climate Change Communication von Januar 2019 ergab, dass 72 Prozent der Amerikaner den Klimawandel als für sie »persönlich wichtig« bezeichneten – ein Anstieg um 9 Prozent seit März 2018. Eine klare Mehrheit erkannte auch, dass der Klimawandel vor allem durch menschliches Handeln verursacht wird. Die Studie fand außerdem heraus, dass »fast die Hälfte der Amerikaner (46 Prozent) sagen, sie hätten persönlich die Auswirkungen der globalen Erwärmung erlebt, eine Zunahme um 15 Prozentpunkte seit März 2015«. Ebenso aufschlussreich ist eine Umfrage von Pew Research von 2017, die zeigt, dass 65 Prozent der Amerikaner den Ausbau nichtfossiler Energiequellen befürworten, während nur 27 Prozent eine Verdoppelung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe für eine gute Sache halten.

Innerparteilich bestehen scharfe Gegensätze, so lassen sich nur 26 Prozent der konservativen Republikaner vom wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel überzeugen. Allerdings ist unter den liberal-gemäßigten Wählern der Republikaner die Zahl der Leugner gesunken: Einer Yale-Studie zufolge machen mittlerweile 55 Prozent von ihnen die Menschheit für die globale Erwärmung verantwortlich.

Das ist möglicherweise der größte Meinungsumschwung überhaupt: Eine Umfrage des Pew Research Center von Anfang 2019 ergab, dass 44 Prozent der US-Wähler meinen, der Klimawandel solle oberste Priorität erhalten; 2011 sahen das nur 26 Prozent so. Besonders bemerkenswert ist das Ergebnis einer CNN-Umfrage, die zeigt, dass für registrierte Wähler der Demokratischen Partei im Wahlkampf um die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten der Klimawandel das wichtigste Thema ist und sogar höher rangiert als die Gesundheitspolitik.

Das Center on Global Energy Policy der Columbia University berichtet ermutigende neue Trends: China ist inzwischen bei Wind-, Solar- und Wasserkraft Weltführer. Der Kohleverbrauch, der zuvor stetig gestiegen war, sank 2017 um 3 bis 4 Prozent. Doch obwohl die öffentliche Empörung über Luftschadstoffe zur Schließung vieler Kohlekraftwerke innerhalb Chinas geführt und den Bau neuer Anlagen verhindert hat, werden in anderen Ländern unter Beteiligung Chinas einhundert neue Kraftwerke gebaut. Mit anderen Worten, so wie Nordamerika und Europa einen Großteil ihrer Emissionen zusammen mit ihrer verarbeitenden Industrie nach China verlagert haben, so verlagert nun China einen Teil seiner Emissionen in ärmere Länder.

Deutsche Übersetzung zitiert aus Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum, München 2017, S. 98.

Das ist ein systemisches Problem. Einer Studie zufolge, erschienen 2014 in der Zeitschrift Climatic Change, erhalten die Think Tanks der Leugner und andere Interessengruppen, die der Soziologe Robert Brulle die »Klimawandel-Gegenbewegung« nennt, insgesamt über 900 Millionen Dollar pro Jahr für ihre Arbeit zu verschiedensten rechtsorientierten Themen, und zwar zumeist in Form von »grauem Geld«, Mitteln aus konservativen Stiftungen, deren Herkunft ungeklärt ist.

Gates ist Mitbegründer einer in Harvard ansässigen Forschergruppe, die ein bahnbrechendes Experiment angekündigt hat: Schon bald sollen Aerosole in die Atmosphäre gesprüht werden. Dieser Plan hat heftige Kontroversen ausgelöst, und seine Umsetzung wurde mehrfach verschoben. Wie der führende Klimawissenschaftler Kevin Trenberth anmerkte, ist »solares Geo-Engineering nicht die Antwort« auf unsere Unfähigkeit, die Emissionen zu senken. »Die Verminderung der Sonneneinstrahlung beeinflusst das Wetter und den Wasserkreislauf. Dies fördert Dürren. Es wirkt destabilisierend und kann Kriege auslösen. Die Nebenwirkungen sind vielfältig, und unsere Modelle reichen nicht aus, um die Folgen vorherzusagen.«

Hierbei handelt es sich um eine Strategie für ein rückläufiges Wirtschaftswachstum. (A.d.Ü.)

Inzwischen wissen wir, dass auch ein Großteil des dritten »Rs« eine Luftnummer ist: In ganz Nordamerika werden Berge von Plastikmüll und unerwünschten Werbesendungen, von denen die Leute annahmen, dass sie in Recyclingstellen landen, geradewegs in einer Mülldeponie entsorgt oder verbrannt, beides bedeutende Quellen für Treibhausgase. Grund hierfür ist eine Maßnahme Chinas von 2018, weitaus weniger Recyclingmüll ins Land zu lassen, nachdem festgestellt wurde, dass dieser wenig gewinnbringende Wirtschaftszweig bedenkliche gesundheitliche und ökologische Auswirkungen hatte.

Nach dem Großfeuer bei Los Angeles, das die Stadt einem Ungeheuer der Apokalypse gleich umzingelt hatte, erkundigte ich mich schriftlich bei einer dort lebenden Freundin nach ihrem Befinden. »Ein paar Tage lang war die Luft so dick, dass sie wie in einem verrauchten Nachtclub der achtziger Jahre stank, und niemand sprach von etwas anderem als von Evakuierungsplänen«, berichtete sie. »Inzwischen aber sind alle wieder zu ihren normalen Geschäften zurückgekehrt, und ich frage mich, was geschehen muss, damit […] sie sich anders verhalten.« Ja, was?

Deutsche Übersetzung zitiert nach Papst Franziskus: Enzyklia Laudato Si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, abrufbar auf der Homepage des Heiligen Stuhls w2.vatican.va; gedruckt erschienen beim Herder Verlag 2015.

Dieser Zusammenhang muss bei der Gestaltung und Umsetzung jedes zeitgenössischen Green New Deal im Vordergrund stehen. Um die Wiederholung solcher kolonialen Muster zu verhindern, müssen indigenes Wissen und indigene Führung von Beginn an mit einbezogen werden, insbesondere wenn es um ehrgeizige Aufforstung und ökologische Renaturierungsprojekte geht, die als Kohlenstoffsenken und zum Unwetterschutz dringend und in großem Maßstab benötigt werden.

Der Gedanke, dass der Zusammenbruch des Klimas nicht das Werk der Menschheit als homogener Einheit ist, sondern vielmehr auf bestimmten imperialen Projekten beruht, wurde Anfang 2019 erneut bestätigt. Ein Wissenschaftlerteam des University College London veröffentlichte in der Zeitschrift Quaternary Science Reviews einen Artikel, in dem überzeugend dargelegt wurde, dass die Periode weltweiter Abkühlung, die sogenannte »Kleine Eiszeit« im 16. und 17. Jahrhundert, unter anderem auf den Genozid indigener Völker auf dem amerikanischen Kontinent nach dem Kontakt mit Europäern zurückzuführen ist. Die Wissenschaftler zeigten, dass angesichts der Millionen, die durch Krankheit ums Leben kamen oder abgeschlachtet wurden, riesige zuvor landwirtschaftlich genutzte Landstriche von Wildpflanzen und Bäumen zurückerobert wurden. Die Tatsache, dass sie Kohlenstoff banden, hatte eine Abkühlung des gesamten Planeten zur Folge. »Das Große Sterben der indigenen Völker auf dem amerikanischen Kontinent führte dazu, dass wegen der riesigen Flächen Brachland die terrestrische Kohlenstoffbindung eine nachweisbare Auswirkung sowohl auf das atmosphärische CO2 wie auch auf die globale Lufttemperatur hatte«, heißt es in dem Artikel. Professor Mark Maslin, einer der Autoren, nennt es eiskalt eine »durch Genozid entstandene CO2-Absenkung«.

Im Jahr 2016, als ich diesen Vortrag hielt, starben laut der International Organization for Migration 5143 Flüchtlinge bei der Überfahrt.

In den letzten Jahren ist Europa dem australischen Vorbild mit Begeisterung gefolgt. Um die Einwanderung zu begrenzen, hat die italienische Regierung die bekanntermaßen gesetzlose libysche Küstenwache mit Geld überschüttet, sie ausgebildet und logistisch und mit Ausrüstung unterstützt – all das, damit sie die Migrantenboote abfangen kann, bevor sie europäische Gewässer erreichen. Unter diesem neuen Regime werden Migranten, die überleben – es ertrinken immer noch Tausende –, zwangsweise nach Libyen zurückgeführt und landen dort in häufig als »Konzentrationslager« bezeichneten Camps, wo Folter, Vergewaltigung und andere Arten von Missbrauch weit verbreitet sind. Unterdessen werden internationale humanitäre Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF, Médecins sans Frontières), die zuvor Tausende Migranten auf dem Meer gerettet hatten, kriminalisiert und ihre Schiffe konfisziert. Als MSF Ende 2018 gezwungen wurde, die Operationen mit ihrem Rettungsschiff Aquarius einzustellen, bemerkte die Generaldirektorin der Organisation Nelke Manders: »Dies ist ein schwarzer Tag. Europa zeigt nicht nur keine Einsatzbereitschaft, es sabotiert auch aktiv die Versuche anderer, Leben zu retten. Das Ende von Aquarius bedeutet mehr Tote im Meer und mehr sinnloses Sterben, für das es nicht einmal Zeugen geben wird.«

Obwohl Donald Trump mehrfach versucht hat, das 8 Milliarden Dollar teure Projekt mittels Präsidentenverfügung durchzuboxen, ist es bei Drucklegung dieses Buches weiterhin durch juristische Verfahren blockiert.

»The Leap« war in vielerlei Hinsicht eine Art Urfassung des Plans für einen Green New Deal, ein Versuch, ein ehrgeiziges Klimaprojekt mit dem Übergang in eine weitaus gerechtere und für alle offene Wirtschaftsordnung zu vereinbaren. Stärken und Schwächen unseres Experiments bieten gutes Anschauungsmaterial für die Versuche, das Modell des Green New Deal in verschiedenen Ländern zu erproben.

Der Historiker Greg Grandin hat in seinem Buch The End of the Myth: From the Frontier to the Border Wall in the Mind of America kürzlich aufgezeigt, dass US-Politiker gesellschaftliche und ökologische Konflikte vornehmlich dadurch lösten, dass sie neue Möglichkeiten hinter den weiter nach Westen verschobenen Siedlungsgrenzen in Aussicht stellten. War der Boden durch Unbedachtsamkeit der Farmer ausgelaugt oder verlangte eine Gruppe armer (weißer) Einwanderer nach größerer Gerechtigkeit, beschlagnahmte man auf brutale Weise das Land amerikanischer Ureinwohner und dehnte so den eigenen Lebensbereich aus. Inzwischen aber sind wir sprichwörtlich an eine Mauer gestoßen: Wir haben kein Neuland zum Ausdehnen mehr, weder auf der Landkarte noch im Finanzwesen oder in der Atmosphäre. Grandin schlägt vor, Donald Trump und seine Grenzmauer als Reaktion auf den Zusammenbruch des Mythos der Pioniere zu deuten: Ohne neues Land, das erobert werden kann, verlegt sich Trump darauf, einer Gruppe von Auserwählten den Wohlstand zu bewahren und alle anderen auszuschließen. Dies ist der Grund, weshalb wir überholte nationale Narrative nicht einfach still und leise sterben lassen dürfen. Wir müssen ihnen neue Narrative entgegenstellen, die auf unser gewachsenes Wissen und auf unsere Rolle in der Welt verweisen, die wir in Zukunft einnehmen wollen – denn sonst beginnen diese alten Geschichten zu eitern und werden nur noch gefährlicher.

In den Jahren 2016 und 2017 bleichte das Great Barrier Reef, ausgelöst durch erhöhte Meerestemperaturen, massiv aus, und was einst eine Orgie schillernd bunten Lebens gewesen war, verwandelte sich in einen gruseligen, gespenstischen Friedhof. Nahezu die Hälfte der Korallen des riesigen Riffs starb in dieser Zeit ab. Im April 2019 wurden neue Forschungsergebnisse veröffentlicht, die zeigten, dass sich das Riff nicht erholte. So berichtete der New Scientist: »Die Menge an Korallenlarven auf dem Riff war 2018 um 89 Prozent auf ein historisches Tief gesunken. ›Eine tote Koralle bekommt keine Babys‹, sagt Terry Hughes von der James Cook University in Australien, der die Studie leitete.«

Mit der Wahl Jair Bolsonaros zum Präsidenten von Brasilien ist dieser Krieg in eine neue, tödliche Phase eingetreten. Bolsonaro hat die Öffnung des Amazonasgebiets für ungezügelte Entwicklung zu seiner Top-Priorität gemacht, geht gegen indigene Landrechte vor und erklärte: »Wir werden jedem Farmer ein Gewehr und einen Waffenschein in die Hand geben.« Eine unheilvolle Ankündigung.

Nur ein Jahr später war die Bilanz in Griechenland noch schlimmer. Durch eine Reihe von Bränden in den Küstengebieten Attikas kam es zu einem Inferno. Mit über hundert Opfern gelten sie als die tödlichsten im Europa der Gegenwart. In der Nähe der Küstenklippen fand man nach den Löscharbeiten die Mitglieder einer großen Familie eng umschlungen vor. Als die Flammen heranrückten, »haben sie wohl geahnt, dass ihnen das Ende bevorstand, und sie haben sich in die Arme genommen«, sagte Nikos Economopoulos, der Leiter des griechischen Roten Kreuzes, einem Fernsehteam.

Wie 2018 im Fall der 27000 Einwohner zählenden kalifornischen Stadt Paradise, die durch einen Großbrand dem Erdboden gleichgemacht wurde. Kein anderes Feuer in der Geschichte des Bundesstaates forderte so viele Opfer wie dieses.

Im darauffolgenden Jahr 2018 nutzte Trumps (inzwischen ehemaliger) Innenminister Kaliforniens Waldbrände der Superlative, um unbeachtet riesige Waldstücke zum Kahlschlag freizugeben. Ryan Zinke hatte darin Übung, denn 2015 unterstützte er, noch als Kongressabgeordneter, ein Gesetz, das den Schutz öffentlicher Wälder bedrohte. Drei Jahre später wiederholte er unbeirrt sein Mantra, Abholzung sei die sicherste Methode, um Waldbrände zu vermeiden. »Jahr für Jahr sehen wir unsere Wälder brennen, und Jahr für Jahr fordert man Maßnahmen. Doch wenn man Schritte unternehmen und versuchen will, durch das Schlagen von totem und sterbenden Holz den Wald auszudünnen, oder wenn wir auf nachhaltige Weise Holz aus dichten und brandgefährdeten Wäldern holen, greifen uns radikale Umweltgruppen mit lächerlichen Gerichtsverfahren an. Sie sehen die Wälder und Gemeinden lieber brennen, als einen Holzfäller hineinzulassen.« Zweifellos braucht Kalifornien sowohl eine bessere Forstverwaltung als auch eine vernünftigere Landnutzungspolitik. Betrachtet man jedoch die unverzichtbare Funktion der Bäume, was den Abbau von Kohlenstoff aus der Atmosphäre betrifft, ist Abholzung die denkbar schlechteste Methode zum Schutz vor Waldbränden.

Dieser traurige Rekord wurde 2018, nur ein Jahr später, mit einer historischen Brandsaison jedoch schon wieder gebrochen.

Im Juni 2017 brach in dem 24-stöckigen Sozialbau im Londoner Stadtteil North Kensington ein Brand aus, bei dem mehr als 70 Menschen ums Leben kamen. In den nachfolgenden Untersuchungen stellte sich heraus, dass diverse Schlampereien für die rasche Ausbreitung des Feuers verantwortlich gewesen waren. Wie die mit Plastik gefüllten Verschalungen, die das Gebäude von außen ansehnlicher machen sollten, sich dann aber als leicht entflammbar erwiesen, oder die vernachlässigte Ausrüstung zur Brandbekämpfung, die defekte Belüftungsanlage und fehlende Fluchtwege.

Bei den Parlamentswahlen 2017 konnte die Labour Party ihren Stimmenanteil deutlicher erhöhen als je zuvor seit 1945. Die Konservativen verloren die Mehrheit, hielten sich aber an der Macht, indem sie mit der nordirischen Democratic Unionist Party eine Duldung aushandelten.

Momentum ist eine an die Labour Party angeschlossene Basisbewegung, die progressive Kandidaten unterstützt und die Partei nach links drängt.

Als Rich den Artikel 2019 zu einem Buch erweiterte, räumte er dieses Missverständnis aus.

Arthur Manuel

19512017

– Kim Stanley Robinson

An einem Freitag Mitte März 2019 strömten sie, aufgeregt wegen ihres trotzigen, widerständigen Akts des SchuleschwänzensSchulstreiks, plappernd in schmalen Rinnsalen aus den Schulen. Die kleinen Gruppen strebten zu den großen Alleen und Boulevards, wo sie sich mit anderen Strömen singender und schwatzender Kinder und Jugendlicher in Leggings mit Leopardenmuster, sauberen Uniformen oder Jeans und T-Shirt vereinten.

Bald wurden aus den Rinnsalen rauschende Flüsse: 100000 Teilnehmer in Mailand, 40000 in Paris, 150000 in Montreal.

Pappschilder tanzten über der Menschenwelle: Es gibt keinen Planeten B! Verbrennt nicht unsere Zukunft! Das Haus steht in Flammen!

Einige Transparente waren etwas komplexer. In New York hielt ein Mädchen ein üppig bemaltes Bild voller filigraner Hummeln,

Die jungen Menschen, die am ersten weltweiten SchulstreikSchulstreiks für das Klima teilnahmen, waren im Unterricht radikalisiert worden. Nachdem sie in ihren Schulbüchern und in aufwendigen Dokumentarfilmen von alten GletschernGletscher, atemberaubenden KorallenriffenKorallenriffe und exotischen Säugetieren als den vielen Wundern unseres Planeten erfahren hatten, mussten sie – aufgerüttelt durch Lehrer, ältere Geschwister oder neuere Dokus – feststellen, dass ein Großteil dieser Wunder bereits verschwunden und der Rest dem Untergang geweiht sein würde, bevor sie ihren dreißigsten Geburtstag feiern würden.

Doch nicht nur, was sie über den Klimawandel gelernt hatten, bewog diese jungen Leute dazu, massenhaft dem UnterrichtSchulstreiks fernzubleiben. Sehr viele von ihnen erfuhren ihn bereits am eigenen Leib. Vor dem Parlamentsgebäude im südafrikanischen KapstadtKapstadt riefen Hunderte junge Streikende ihre gewählten Politiker in Sprechchören dazu auf, keine neuen Vorhaben mehr zu genehmigen, bei denen fossile EnergieträgerFossile Energieträger zum Einsatz kämen. Erst ein Jahr zuvor hatte sich die Stadt mit vier Millionen Einwohnern im Griff einer so schweren DürreDürre befunden, dass die WasserversorgungWasserversorgung bei drei Vierteln der Bewohner zusammenzubrechen drohte. »KapstadtKapstadt nähert sich der ›Stunde null‹ nach der DürreDürre«, lautete eine typische Schlagzeile. Der Klimawandel war für diese jungen Menschen nicht etwas, worüber sie in Büchern lasen oder was sie in ferner Zukunft zu befürchten hatten. Er war so gegenwärtig und akut wie der Durst nach Wasser selbst.

Dasselbe galt für den Klimastreik auf der Pazifikinsel VanuatuVanuatu, wo die Bewohner in der ständigen Angst vor weiteren KüstenerosionenErosion leben. Der benachbarte Inselstaat, die SalomonenSalomonen, hatte

»Hebt eure Stimme, nicht den MeeresspiegelMeeresspiegel (Anstieg)!«, skandierten die Schüler.

In New YorkNew York kamen 10000 junge Menschen aus Dutzenden Schulen am Columbus Circle zusammen und marschierten mit dem Ruf »Geld zählt nicht mehr, wenn wir tot sind!« zum TrumpTrump, Donald Tower. Die Teenager unter ihnen hatten noch lebhafte Erinnerungen an den Tag im Jahr 2012, als der Supersturm SandyHurrikan Sandy in ihrer Küstenstadt gewütet hatte. »Mein Haus stand unter Wasser, und ich war total bestürzt«, erinnerte sich Sandra RogersRogers, Sandra. »Das hat mich dazu gebracht, der Sache nachzugehen, weil man in der Schule nichts darüber erfährt.«

Die große puertoricanische Gemeinde von New YorkNew York war an diesem unverschämt heißen Tag ebenfalls in großer Zahl vertreten. Manche Schüler hatten sich die Flagge des Inselstaats um die Schulter gelegt, um an die Verwandten und Freunde zu erinnern, die immer noch unter den Nachwehen des Hurrikans MariaHurrikan Maria litten, der 2017 in großen Teilen des Landes für fast ein Jahr die Strom- und WasserversorgungWasserversorgung lahmgelegt hatte – ein totaler Zusammenbruch der Infrastruktur, der etwa dreitausend Menschen das Leben gekostet hatte.

Auch in San FranciscoSan Francisco brodelte die Stimmung. Hier trafen sich mehr als tausend SchülerSchulstreiks, die aufgrund von Schadstoffen aus den benachbarten Industriebetrieben unter chronischem Asthma litten. Ihr Leiden hatte sich noch verschlimmert, als wenige Monate zuvor der RauchRauch eines großen Waldbrands in die Bay Area gewabert war. Ähnliche Klagen erhoben Streikende im gesamten Pazifischen NordwestenPazifischer Nordwesten, wo WaldbrändeBrändeWaldbrände nie gesehenen Ausmaßes zwei Sommer hintereinander die Sonnenstrahlen abgeblockt hatten. Auf der anderen Seite der Grenze, in VancouverVancouver, hatten junge Menschen bereits die Ausrufung des Notstands durch den Stadtrat erreicht.

Im 11000 Kilometer entfernten DelhiDelhi trotzten streikende SchülerSchulstreiks der allgegenwärtigen LuftverschmutzungLuftverschmutzung (die häufig weltweit Rekorde bricht) und riefen durch ihre weißen

Der vom Kohlenstaub offenbar benebelte australische Industrieminister erklärte: »Das Beste, was man von dem Protest lernen kann, ist, wie man arbeitslos wird.« Doch unbeeindruckt davon strömten 150000 junge Leute auf die Plätze von Sydney, Melbourne, Brisbane, Adelaide und anderen Städten.

In AustralienAustralien ist die junge Generation zu dem Schluss gekommen, dass sie einfach nicht mehr so tun kann, als wäre alles normal. Nicht mehr, seit Anfang 2019 in der südaustralischen Stadt Port AugustaPort Augusta (Australien) die TemperaturenTemperaturanstieg auf sagenhafte 49,5 Grad Celsius gestiegen waren. Nicht, nachdem die Hälfte des Great Barrier ReefGreat Barrier Reef, der weltweit größten natürlichen Struktur aus Lebewesen, zu einem verrottenden Massengrab unter Wasser geworden war. Nicht, nachdem sie in den Wochen unmittelbar vor dem Streik hatten mit ansehen müssen, wie sich im Bundesstaat Victoria mehrere BuschbrändeBrändeBuschbrände zu einem massiven Großfeuer ausgewachsen und Tausende Bewohner gezwungen hatten, aus ihren Häusern zu fliehen. Nicht, nachdem in TasmanienTasmanien Wildfeuer Primärwälder zerstört hatten, deren Ökosysteme weltweit kein zweites Mal existierten. Nicht, nachdem im Januar 2019 extreme Temperaturschwankungen und Misswirtschaft bei der WasserversorgungWasserversorgung dazu geführt hatten, dass das ganze Land zu den Morgennachrichten apokalyptische Bilder des Darling River serviert bekam, der von schwimmenden Fischkadavern verstopft wurde.

»Ihr habt uns alle furchtbar im Stich gelassen«, sagte die fünfzehnjährige Organisatorin des Streiks, Nosrat FarehaFareha, Nosrat, und meinte damit die gesamte politische Klasse. »Wir haben etwas Besseres verdient. Junge Leute, die nicht einmal wählen dürfen, werden mit den Folgen eurer Tatenlosigkeit leben müssen.«

In MosambikMosambik beteiligte sich unterdessen niemand am internationalen SchülerstreikSchulstreiks. Vielmehr bereitete sich das ganze Land auf den Zyklon IdaiZyklon Idai vor, einen der schlimmsten Stürme in der Geschichte

Diese Generation hat, wo immer man in der Welt hinschaut, eins gemeinsam: Sie ist die erste, für die der Zusammenbruch des Klimas in weltweiter Dimension keine ferne Bedrohung mehr ist, sondern erlebte Wirklichkeit. Und nicht nur an ein paar Brennpunkten, die besonderes Pech haben, sondern auf jedem einzelnen Kontinent, wobei nahezu alles bedeutend schneller aus den Fugen gerät, als es die meisten wissenschaftlichen Modelle vermuten ließen.

Die Meere erwärmen sich um 40 Prozent schneller, als die Vereinten Nationen noch vor fünf Jahren vorausgesagt haben. Und eine umfassende, 2019 in der Zeitschrift Environmental Research LettersEnvironmental Research Letters veröffentlichte Studie unter Leitung des Glaziologen Jason BoxBox, Jason zum Zustand der ArktisArktisAbschmelzen des MeereisesArktis zeigt, dass Eis in verschiedenen Formen so rapide abschmilzt, dass sich das »biophysikalische System der ArktisArktis inzwischen deutlich von seinem Zustand, wie er im 20. Jahrhundert herrschte, zu einem nie dagewesenen hinbewegt, mit Folgen nicht nur in der ArktisArktis selbst, sondern auch über ihre Grenzen hinaus«. Im Mai 2019 veröffentlichte der Weltbiodiversitätsrat IPBESIPBESUN-Weltbiodiversitätsrat IPBESUN-Weltbiodiversitätsrat IPBES (United Nations Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) einen Bericht über den alarmierenden Verlust von Wildtieren und warnte, dass eine Million Tier- und Pflanzenspezies auszusterben drohen. »Die Gesundheit der Ökosysteme, von denen wir und alle anderen Arten abhängig sind, nimmt rascher ab als je zuvor«, erklärte der Vorsitzende des Rates Robert WatsonWatson, Robert. »Wir höhlen weltweit die Grundlagen der Volkswirtschaften, unserer Erwerbsquellen, der Nahrungssicherheit, Gesundheit und Lebensqualität aus. Wir haben schon genug Zeit verloren. Jetzt müssen wir handeln.«

Und so fiel bei vielen der Schüler, die schon im Kindergarten gelernt hatten, wie man im Fall eines Amoklaufs in Deckung geht,

Es ist inzwischen dreißig Jahre her, dass Regierungsvertreter und Wissenschaftler erstmals zu offiziellen Treffen zusammenkamen und über die notwendige ReduzierungKlimawandelReduktion der Emissionen von TreibhausgasemissionenTreibhausgasemissionen sprachen, um einen Zusammenbruch des Klimas zu verhindern. Seither hören wir immer wieder Appelle, zu handeln, in denen von »den Kindern«, »den Enkeln« und »den nächsten Generationen« die Rede ist. Man sagt uns, wir seien es ihnen schuldig, rasch Maßnahmen zu ergreifen und Veränderungen vorzunehmen. Man warnt uns, bei unserer heiligsten Aufgabe, dem Schutz dieser Kinder, nicht zu versagen. Und man droht uns, jene Kinder würden uns scharf verurteilen, wenn wir nicht in ihrem Sinne handelten.

Doch keiner dieser emotionalen Appelle konnte überzeugen, jedenfalls nicht die Politiker und ihre Hintermänner aus der Wirtschaft, die mutige Schritte hätten unternehmen können, um die Klimakrise zu stoppen, die wir alle heute erleben. Im Gegenteil, seit Beginn jener Gespräche auf Regierungsebene im Jahr 1988 haben die weltweiten CO2-EmissionenCO2-Emissionen um gut 40 Prozent zugenommen, Tendenz steigend. Seit wir KohleKohleenergie auf industriellem Niveau verbrennen, hat sich der Planet um etwa ein Grad erwärmt, und die DurchschnittstemperaturenTemperaturanstieg werden bis zum Ende des Jahrhunderts vermutlich um weitere vier Grad steigen. Das letzte Mal, dass sich eine solche Menge Kohlendioxid in der AtmosphäreAtmosphäreKohlendioxidgehaltAtmosphäre befand, gab es noch keine Menschen auf diesem Planeten.

Und die Kinder, Enkelkinder und Generationen, die so häufig heraufbeschworen werden? Sie sind nicht mehr nur Gegenstand von emotionalen Reden. Sie sprechen (schreien und streiken) jetzt für sich selbst. Und sie machen füreinander den Mund auf als Teil einer wachsenden internationalen Bewegung von Kindern und als

Und ja, wie vorhergesagt sind diese Kinder im Begriff, ihr moralisches Verdikt über die Menschen und Institutionen zu sprechen, die genau darüber Bescheid wussten, was für eine gefährliche, ausgelaugte Welt sie hinterlassen würden, und dennoch nicht gehandelt haben.

Sie wissen, was sie von Donald TrumpTrump, Donald in den Vereinigten Staaten, von Jair BolsonaroBolsonaro, Jair in Brasilien und Scott MorrisonMorrison, Scott in Australien und von all den anderen Mächtigen zu halten haben, die trotzig und freudig den Planeten in Brand setzen und gleichzeitig die elementarsten wissenschaftlichen Erkenntnisse bestreiten, die bereits die Achtjährigen unter diesen Kindern mühelos verstehen. Ebenso vernichtend ist das Urteil dieser jungen Menschen über die Politiker, die leidenschaftliche und bewegende Reden über die zwingende Notwendigkeit halten, das Pariser KlimaabkommenPariser Klimaabkommen zu respektieren und »den Planeten wieder groß zu machen« (Emmanuel MacronMacron, Emmanuel, der kanadische Ministerpräsident Justin TrudeauTrudeau, Justin, Angela MerkelMerkel, Angela und viele andere), dann aber die FossilFossilindustrie- und Agrobusiness-Riesen mit SubventionenFossilindustrieSubventionen, Zuwendungen und Lizenzen überschütten, die den ökologischen Zusammenbruch anheizen.

Junge Menschen auf der ganzen Welt dringen zum Kern der Klimakrise vor, sprechen von einer tiefen Sehnsucht nach einer Zukunft, die sie zu haben glaubten, die aber mit jedem Tag mehr dahinschwindet, an dem die Erwachsenen angesichts des Ernstfalls, in dem wir uns befinden, tatenlos abwarten.

Darin besteht die Kraft der jugendlichen KlimabewegungKlimabewegung. Im Gegensatz zu vielen Erwachsenen, die an den Hebeln der Macht sitzen, haben sie noch nicht gelernt, die unvorstellbaren Gefahren unserer Zeit mit bürokratischen Floskeln und unnötig komplizierten Phrasen zu verschleiern. Sie begreifen, dass sie für das fundamentale Recht kämpfen, ein erfülltes Leben zu führen – ein Leben, in dem sie nicht, wie die dreizehnjährige Streikende Alexandria VillaseñorVillaseñor, Alexandria sagt, »vor Katastrophen davonlaufen müssen«.

Gretas »Supermacht«

Das Mädchen, das ich meine, ist Greta ThunbergThunberg, Greta, und von ihr kann man eine Menge darüber lernen, was wir für die Sicherung einer lebenswerten Zukunft brauchen, und zwar nicht für eine abstrakte Idee von »zukünftigen Generationen«, sondern für Milliarden heute lebender Menschen.

So wie viele Gleichaltrige erfuhr GretaThunberg, Greta vom Klimawandel, als sie acht Jahre alt war. Sie las Bücher und sah sich Dokumentarfilme über aussterbendeMassenaussterben Arten und schmelzende GletscherGletscher an. Und es ließ sie nicht mehr los. Sie begriff, dass die Verbrennung fossiler EnergieträgerKlimawandelfossile Energieträger und eine auf Fleisch beruhende Ernährung in erheblichem Maße zur Destabilisierung des Planeten beitrugen, und entdeckte, dass zwischen unserem Handeln und den Reaktionen der Erde eine gewisse Zeitspanne liegt, das heißt eine weitere ErwärmungErderwärmung bereits feststeht, unabhängig davon, was wir jetzt tun.

In den folgenden Jahren beschäftigte sie sich weiter mit dem Thema, insbesondere mit wissenschaftlichen Vorhersagen darüber, wie radikal sich die Erde bis 2040, 2060 und 2080 verändern wird, sollten wir unseren gegenwärtigen Kurs beibehalten. Sie stellte sich vor, was das für ihr eigenes Leben bedeuten würde: die Schocks, die sie erfahren würde, der Tod, der sie umgeben könnte, die Lebensformen, die für immer verschwinden würden, die Schrecknisse und Entbehrungen, die ihre eigenen Kinder erwarteten, sollte sie sich entschließen, Mutter zu werden.

GretaThunberg, Greta lernte auch von Klimawissenschaftlern, dass es so schlimm

Wenn all das wahr wäre, überlegte sie, »würden wir doch über nichts anderes mehr reden. […] Wenn die Verbrennung fossiler EnergieträgerKlimawandelfossile Energieträger unsere Existenz bedrohte, wie konnten wir dann einfach so weitermachen wie bisher? Warum wurde das nicht eingeschränkt? Warum wurde das nicht verboten?«

Es war einfach unbegreiflich. Zweifellos müssten sich Länder, insbesondere wenn sie über die nötigen Mittel verfügten, ihrer Verantwortung stellen und innerhalb eines Jahrzehnts für grundlegende Änderungen des KonsumverhaltensKonsum und eine Umgestaltung der Basis-Infrastruktur sorgen, bis GretaThunberg, Greta Mitte zwanzig sein würde. Tatsächlich bewegte sich jedoch die Regierung ihres Landes, das sich zum Vorreiter des Klimaschutzes stilisierte, viel zu langsam, und die weltweiten Emissionen stiegen weiter an. Es war Wahnsinn: Die Welt stand in Flammen, und doch plauderten die Leute, wo immer GretaThunberg, Greta hinsah, über Prominente, machten Selfies, bei denen sie die Posen der Stars nachahmten, kauften sich neue Autos und neue Klamotten, die sie nicht brauchten – als hätten sie alle Zeit der Welt, die Flammen zu löschen.

Mit elf Jahren war sie in eine tiefe Depression gestürzt. Es gab viele Faktoren, die dazu führten, und manche hingen damit zusammen, dass sie in einem Schulsystem, in dem erwartet wurde, dass alle Kinder mehr oder weniger gleich waren, anders war (»Ich war das unsichtbare Mädchen in der letzten Reihe«). Aber sie verspürte auch großen Kummer und Hilflosigkeit angesichts des sich rapide verschlechternden Zustands des Planeten – und der unfassbaren Tatenlosigkeit der Regierenden.

ThunbergThunberg, Greta hörte auf zu sprechen und zu essen. Sie wurde

Autistische Menschen neigen dazu, alles extrem ernst zu nehmen und haben deshalb Schwierigkeiten im Umgang mit der kognitiven Dissonanz, also der Kluft zwischen dem, was wir verstandesmäßig erkennen, und unserem Handeln, ein Phänomen, das unser modernes Leben prägt. Viele von einer Form des AutismusAutismus Betroffene sind zudem kaum anfällig dafür, das soziale Verhalten der Menschen in ihrem Umfeld nachzuahmen – sie nehmen sogar oft gar keine Notiz davon –, und folgen eher ihrem ganz eigenen Weg. Dazu gehört auch oft, dass sie sich mit großer Intensität auf ihre Interessenschwerpunkte fokussieren und sich schwertun, sie auszublenden (die sogenannte Kompartimentierung). »Für uns Autismusbetroffene«, sagt ThunbergThunberg, Greta, »ist fast alles schwarz oder weiß. Wir können nicht gut lügen, und in der Regel nehmen wir nicht gern an dem sozialen Spiel teil, das der Rest von euch so zu mögen scheint.«

Diese Eigenschaften erklären, warum manche Menschen mit derselben Diagnose wie GretaThunberg, Greta kompetente Wissenschaftler werden oder sich der klassischen Musik verschreiben und ihre starke Fokussierung höchst wirksam nutzen. Sie machen auch verständlich, warum ThunbergThunberg, Greta, als sie ihre laserartig präzise Aufmerksamkeit auf den Zusammenbruch des Klimas lenkte, vollkommen überwältigt war und sich weder vor der Angst noch vor der Trauer schützen konnte. Sie sah und spürte deutlich die Folgen der Krise und war für Ablenkung unzugänglich. Zudem war die Tatsache, dass andere Menschen in ihrem Leben (Klassenkameraden, Eltern, Lehrer) relativ wenig betroffen schienen, kein beruhigendes Signal für sie, wie es bei Kindern der Fall ist, deren soziale Bindungen stärker sind. Im Gegenteil, der offenkundige Mangel an Besorgnis in ihrem Umfeld verstärkte ThunbergsThunberg, Greta Ängste noch.

Laut GretaThunberg, Greta und ihren Eltern spielte die Tatsache, dass sie Mittel und Wege fand, die unerträgliche kognitive Dissonanz zwischen

Die Menge an KohlenstoffKohlenstoff, die aufgrund dieser persönlichen Entscheidungen nicht in die AtmosphäreAtmosphäreKohlendioxidgehaltAtmosphäre gelangte, war minimal. GretaThunberg, Greta war sich dessen bewusst, dennoch entlastete es sie psychisch, dass sie ihre Familie überzeugen konnte, mit der Änderung ihrer Lebensweise eine Antwort auf die Notlage des Planeten zu geben. Zumindest tat sie jetzt nicht mehr so, als wäre alles in Ordnung, wenn auch nur in ihrem eigenen bescheidenen Rahmen.

Die wichtigste Veränderung, die ThunbergThunberg, Greta vornahm, hatte nichts mit Ernährung und Fliegen zu tun, sondern betraf die Suche nach einer Möglichkeit, der Welt zu zeigen, dass es an der Zeit war, nicht mehr so zu tun, als sei alles normal, wo doch das Normale unmittelbar in die Katastrophe führte. Wenn sie erreichen wollte, dass mächtige Politiker den Notstand anerkannten und den Klimawandel bekämpften, dann musste sich dieser Notstand auch in ihrem eigenen Leben widerspiegeln.

Und so beschloss sie mit fünfzehn, nicht länger das zu tun, was Kinder tun sollten, wenn alles normal ist: in die Schule zu gehen und sich auf ihre Zukunft als Erwachsene vorzubereiten.

»Warum«, fragte sich GretaThunberg, Greta, »sollen wir für eine Zukunft lernen, die es vielleicht bald nicht mehr gibt, weil niemand etwas unternimmt, um diese Zukunft zu retten? Und was für einen Sinn hat es, im Bildungssystem Dinge zu lernen, wenn die wichtigsten Tatsachen, die uns die beste Wissenschaft in ebendiesem Bildungssystem liefert, von unseren Politikern und unserer Gesellschaft ignoriert werden?«

So ging ThunbergThunberg, Greta im August 2018, zu Beginn des neuen Schuljahrs, nicht zum Unterricht. Sie stellte sich mit einem handgeschriebenen Plakat vor das schwedische Parlament, auf dem einfach nur stand: SchulstreikSchulstreiks für das Klima. Das wiederholte sie jeden Freitag,

Doch nach und nach schenkten die Medien dem donquijottischen Protest eine gewisse Aufmerksamkeit, und weitere Schüler sowie ein paar Erwachsene tauchten mit eigenen Plakaten neben ihr auf. Dann kamen die Einladungen, eine Rede zu halten – zunächst bei Kundgebungen zum Klimawandel, dann bei der UN-Klimakonferenz, bei der Europäischen UnionEuropäische Union (EU), bei TEDxStockholm, im VatikanVatikan, vor dem britischen Parlament. Sie wurde sogar gebeten, auf den berühmten Schweizer Berg zu kommen, um beim WeltwirtschaftsgipfelWeltwirtschaftsgipfel (Davos) in Davos vor den Reichen und Mächtigen zu sprechen.

Bei ihren Reden hielt sich GretaThunberg, Greta kurz, sie sprach schnörkellos und war harsch: »Sie sind nicht reif genug zu sagen, wie es ist«, erklärte sie den Klimaunterhändlern im polnischen Katowice. »Selbst diese Bürde überlassen Sie uns Kindern.« Und die britischen Parlamentarier fragte sie: »Ist mein Englisch okay? Ist das Mikrofon eingeschaltet? Denn allmählich wundere ich mich.«

Den Reichen und Mächtigen in DavosWeltwirtschaftsgipfel (Davos), die sie als Hoffnungsträgerin lobten, erwiderte sie: »Ich will Ihre Hoffnung nicht. […] Ich will, dass Sie in Panik geraten. Ich möchte, dass Sie die Angst spüren, die ich jeden Tag spüre. Ich möchte, dass Sie handeln. Ich möchte, dass Sie handeln wie in einer Krise. Ich möchte, dass Sie handeln, als stünde das Haus in Flammen, denn das tut es.«

Den Leuten im anspruchsvollen Publikum von Davos, all den Prominenten und Politikern, die von der Klimakatastrophe sprachen, als wäre sie ein Problem allgemeiner menschlicher Kurzsichtigkeit, schleuderte sie entgegen: »Wenn alle schuldig sind, kann man niemanden verantwortlich machen, aber jemand trägt die Schuld. […] Manche Leute, manche Unternehmen, vor allem manche Entscheidungsträger wissen genau, welche unschätzbaren Werte sie geopfert haben, um weiterhin unvorstellbare Mengen

Ihre schärfste Zurechtweisung der in DavosWeltwirtschaftsgipfel (Davos) Versammelten aber war wortlos. Statt in einem der Fünf-Sterne-Hotels zu übernachten, die zur Verfügung standen, trotzte sie der Temperatur von −18 Grad und schlief, eingekuschelt in einen leuchtend gelben Schlafsack, in einem Zelt. (»Ich bin kein großer Fan von Wärme«, erklärte mir GretaThunberg, Greta.)

Wenn sie in diesen Sälen voller Erwachsener in Anzügen sprach, die klatschten und mit ihren Smartphones Videos von ihr machten, als wäre sie ein Popstar, zitterte ihre Stimme nur selten. Aber die Tiefe ihrer Gefühle – Gefühle des Verlusts, der Angst, der Liebe zur Natur – war stets deutlich spürbar. »Ich appelliere an Sie«, sagte sie im April 2019 in einer emotionalen Rede vor dem Europäischen Parlament, »Sie dürfen hier nicht versagen!«

Auch wenn Greta ThunbergsThunberg, Greta Reden wenig Einfluss auf das Handeln der Politiker in all den imposanten Sälen hatte, so beeindruckte es die vielen Menschen draußen umso mehr. Fast jedes Video des Mädchens mit dem eindringlichen Blick wurde millionenfach geteilt. Es war, als hätte sie durch ihren Ruf »Es brennt!« auf unserem dichtbesiedelten Planeten zahllosen Mitmenschen das Selbstvertrauen gegeben, das sie benötigten, um ihrer eigenen Wahrnehmung zu trauen und den Rauch zu riechen, der unter all den fest verschlossenen Türen hindurchdrang.

Aber es ereignete sich noch etwas anderes. Wenn ThunbergThunberg, Greta darüber sprach, dass sie durch unsere kollektive Tatenlosigkeit in der Klimafrage beinahe ihren Lebenswillen verloren hätte, schien genau dies bei anderen den Überlebenswillen zu wecken. Viele von uns haben den puren Schrecken darüber, was es bedeutet, mitten im sechsten großen MassenaussterbenMassenaussterben zu leben und ständig wissenschaftliche Warnungen zu hören, dass uns die Zeit davonläuft, unterdrückt und abgespalten. GretasThunberg, Greta klare Stimme wies uns darauf hin, was wir da taten.

Plötzlich war GretaThunberg, Greta – das Mädchen, das sich selbst niemanden

GretasThunberg, Greta außergewöhnlicher Weg von einem unscheinbaren Schulmädchen zu einer globalen Stimme des Gewissens verrät uns bei näherer Betrachtung viel darüber, was wir alle brauchen, um uns zu retten. ThunbergsThunberg, Greta übergeordnete Forderung lautet, die Menschheit als ganze müsse dem Beispiel folgen, das sie und ihre Familie gesetzt haben, und die Lücke schließen zwischen unserem Wissen um die Dringlichkeit der Klimakrise und unserem Verhalten. Der erste Schritt besteht darin, diese Dringlichkeit zu benennen, denn erst wenn wir den Notstand anerkennen, sind wir in der Lage, das Nötige zu tun.

Im Grunde genommen fordert sie uns Durchschnittsmenschen, die wir weniger zu extremer Fokussierung neigen und mit moralischen Widersprüchen ganz gut leben können, auf, zu werden wie sie. Das ist eine gute Idee.