Montemurro, Silvia Das Haus der Schmetterlinge

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Aus dem Italienischen von Karin Diemerling

 

© Silvia Montemurro 2018
© First published in Italy by Rizzoli 2018
This edition published in arrangement with Grandi & Associati
Titel der italienischen Originalausgabe:
»La Casa delle Farfalle«, Rizzoli, Mailand 2018
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Pendo Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2019
Redaktion: Ulrike Nikel
Covergestaltung: u1 berlin / Patrizia Di Stefano nach einem Entwurf von Francesca Leoneschi / Rizzoli
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

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Widmung

Für meine Mutter,

die schönste Blume in diesem Garten.

Und für meine Großmütter,

die zu zwei prächtigen weißen Schmetterlingen

geworden sind.

Japan, vor langer Zeit …

Japan, vor langer Zeit …

 

Ein bekanntes japanisches Sprichwort lautet: Eine einmalige Liebe reicht bis zum Himmel.

Vor vielen Monden lebte in Japan ein Mann namens Takahama. Er wohnte in einem kleinen Haus direkt hinter dem Friedhof. Aufgrund seines hohen Alters wurde er von seinen Nachbarn sehr geachtet, doch etwas gab den Leuten Anlass zum Klatsch: Takahama war nie in Gesellschaft einer Frau gesehen worden.

Soweit man wusste, war er nie verheiratet gewesen und hatte nie ein Interesse in dieser Hinsicht gezeigt, weshalb er als Sonderling galt. Da er auch nicht viele Freunde hatte, rief er, als er schwer krank wurde und sein Ende nahen fühlte, seine Schwester und seinen Neffen zu sich, damit sie ihm beistanden. Er wusste, dass der Tod noch tagelang auf sich warten lassen konnte, selbst wenn er sich längst angekündigt hatte.

Tatsächlich musste er noch eine ganze Weile leiden, wobei sich heftige Schmerzattacken mit Phasen unruhigen Schlafes abwechselten. Da es Sommer und sehr warm war, stand das Fenster seines Zimmer immer offen. Und so kam eines Nachmittags ein weißer Schmetterling hereingeflogen. Die Schwester des Alten, die gerade in einem Buch las, erhob sich und wollte den Falter verscheuchen, aber der flatterte auf das Kopfkissen des Kranken und setzte sich direkt neben seine Wange.

Takahama lächelte im Schlaf.

Am nächsten Tag bemerkte der Neffe ebenfalls den weißen Schmetterling, der erneut durchs Fenster hereingeflattert kam und sich in der Nähe seines Onkels niederließ. In diesen Momenten stellte sich ein merkwürdiger Friede im Zimmer ein.

Als Takahamin, so hieß der Neffe, den kleinen Schmetterling zum Fenster hinausfliegen sah, beschloss er, ihm zu folgen. Wie ein Verrückter – oder wie ein Kind – rannte er ihm hinterher. Der Falter erreichte den Friedhof, flatterte dort ein wenig um ein Grab herum und verschwand dann. Der Junge ging hin und las den Namen auf dem Grabstein: Akiko, gestorben mit achtzehn Jahren.

Am Abend erzählte er seiner Mutter davon, die bestürzt und betroffen die Hand vor den Mund schlug.

»Hör zu, Takahamin«, erklärte sie, »als dein Onkel jung war, lernte er ein Mädchen kennen, in das er sich unsterblich verliebte. Sie hieß Akiko. Die beiden wollten heiraten, doch kurz vor der Hochzeit wurde Akiko sehr krank und starb. Takahama schwor damals, nie eine andere Frau zu lieben und sich bis zu seinem Tod um Akikos Grab zu kümmern. Und da der Onkel in den letzten Tagen nicht mehr zu ihr auf den Friedhof gehen konnte, ist Akiko in Gestalt eines weißen Schmetterlings zu ihm gekommen.«

Anita

 

Man kehrt stets dorthin zurück,

wo die liebsten Erinnerungen dem Flug

Tausender weißer Schmetterlinge gleichen.

Schmetterling_unten

 

Zitronenfalter

Zitronenfalter

 

1. Kapitel

Schmetterling

 

Ossuccio, Januar 2014

 

Sie hörte es nicht gleich. Es dauerte eine Weile, bis das Lied an ihre Ohren drang, vielleicht, weil sie mehr auf den leichten Wellenschlag am Seeufer achtete, ein Geräusch, das sie lange nicht gehört hatte. Als ihr bewusst wurde, dass eine Melodie ihre Schritte begleitete, blieb sie stehen, um herauszufinden, woher sie kam.

Es war keine Menschenseele unterwegs. Nicht weiter ungewöhnlich, da es schon nach neun Uhr abends und eiskalt war. Dennoch spazierte sie in einem für diese Temperaturen eindeutig ungeeigneten kurzen Wollmantel herum, ohne Schal, auf dem Kopf eine alte Mütze, die sie bei ihrer Mutter im Schrank gefunden hatte. Ihre Hände waren bereits steif gefroren, und die Zehen begannen langsam, vor Kälte zu schmerzen, aber sie wollte nicht umkehren, bevor sie nicht wusste, woher der Gesang kam.

Es war eine weibliche Stimme, so viel stand fest. Sie sang ein Klagelied, das ihr irgendwie bekannt vorkam. Oder bildete sie sich das möglicherweise nur ein?

Sie ging ein paar Schritte weiter und verfluchte dabei die spärliche Beleuchtung auf dem schmalen Weg, der von der Kirche Santa Maria Maddalena zum Strand von Ossuccio hinunterführte. Um ein Haar wäre sie gestürzt.

Das Ufer war hier, ganz ungewöhnlich für den Comer See, kein normaler Kiesstrand, sondern ein Wiesenstreifen. Er lag ein wenig erhöht über dem See und wurde durch ein Eisengeländer begrenzt, auf dem sie als Kind gerne herumgeturnt war.

Nie würde sie die herrlichen Sommerferien vergessen, die sie hier verbracht hatte, mit Freundinnen aus dem Ort, alle immer in Badesachen, im Schatten der Olivenbäume lümmelnd oder unbemerkt vom Bootssteg ins Wasser tauchend. Dabei war der See selbst an den heißesten Tagen kalt, und deshalb hatte sie es meist vorgezogen, erst auf einem Steinmäuerchen zu sitzen, die Füße hineinzustecken und sich an die Kälte zu gewöhnen, bevor sie sich langsam weiter ins Wasser gleiten ließ.

Ihre Freundinnen hingegen waren stets gleich ins Tiefe gesprungen und hatten wegen des Kälteschocks gekreischt – aber dafür nie die kleinen Fische gesehen, die einem um die Beine flitzten, wenn man erst abwartete und lediglich die Füße im Wasser baumeln ließ und sich zur Abkühlung mit den Händen Wasser über Bauch und Schultern goss.

»Anita ist ein Angsthase«, hatten die anderen sie geneckt, ohne dass es sie je gekümmert hätte.

Nach dem Bad im See war sie sofort zu ihrem Handtuch gerannt, um sich in der Sonne liegend aufzuwärmen. Damals war sie fast den ganzen Sommer barfuß herumgelaufen und unbekümmert über die spitzen Steine gesprungen. Jetzt war sie nicht mehr daran gewöhnt. Sie musste sich unbedingt ein Paar flache Schuhe zulegen, die für Spaziergänge über steinige Wege taugten, und aufhören, sich wie eine Städterin zu benehmen, schließlich war sie nicht mehr in Köln.

Der Gesang brach ab und damit der Strom ihrer Erinnerungen. Anita blieb seufzend stehen. Obwohl sie irgendwie beinahe erleichtert war, ohne zu verstehen, warum, hätte es sie zugleich gereizt, die Sängerin zu entdecken.

Versonnen blickte sie auf den See hinaus, diese schwarze Wassermasse, die in der Dunkelheit kaum von der Umgebung zu unterscheiden war, und verweilte bei dem einzigen Licht, das zu ihr herüberdrang. Es kam von der Isola Comacina, wo sich einst eine Zitadelle erhoben hatte, eine der letzten Festungen des weströmischen Reiches, auf dessen Resten später die Kirche San Pietro in Castello errichtet worden war. 1169 wurden alle Kirchen und Befestigungsanlagen auf der Insel im Verlauf der Feldzüge von Kaiser Friedrich Barbarossa gegen den oberitalienischen Städtebund dem Erdboden gleichgemacht. Danach hatte jahrhundertelang niemand mehr ein Gebäude auf der Insel errichtet. Inzwischen gab es dort ein angesagtes Restaurant.

Anita hörte sich immer wieder gern die alten Geschichten an. Comacina war für sie ein magischer Ort, ein uraltes Juwel, vom Festland isoliert. Ein Ausflugsboot brachte im Sommer alle halbe Stunde Touristen hinüber, die ein wenig herumspazierten und die Überreste der Basilika Sant’ Eufemia bewunderten. Sie konnte es kaum erwarten, selbst einmal wieder einen Ausflug nach Comacina zu machen. Doch erst einmal musste sie sich einleben, auf lästige Fragen harmlose Erklärungen geben und sich in das Dunkel der Nacht flüchten, um ein wenig Frieden zu atmen.

Sie zündete sich eine Zigarette an und merkte, dass ihre Finger ihr nicht richtig gehorchten. Es wurde wirklich Zeit umzukehren.

 

Um zur Villa delle Farfalle, dem Haus ihrer Mutter, zu gelangen, konnte sie den gleichen Weg zurückgehen, den sie gekommen war. Kürzer, dafür abenteuerlicher war der Weg am Seeufer entlang über den Strand. Während sie die beiden Möglichkeiten gegeneinander abwog, dabei den Zustand ihrer Füße bedachte, fing die Stimme wieder an zu singen.

Es klang näher, als sie zunächst geglaubt hatte.

Als umweltbewusste Deutsche entsorgte sie den Zigarettenstummel in ihrem Taschenaschenbecher und machte sich auf den Weg zum Strand.

Das melancholische Lied hielt an. Sie war wie hypnotisiert davon, und dann endlich sah sie die Sängerin. Es war ein Mädchen im Grundschulalter, wobei ihre zierliche Gestalt eine genaue Einschätzung erschwerte.

Nicht sonderlich verblüffend, sie hatte schon vermutet, dass es eine kindliche Stimme sein musste. Was sie allerdings wunderte, war, wie sehr ihr der Gesang zu Herzen ging, und sie blieb erneut stehen, um die Kleine aus der Ferne zu beobachten. Sie kehrte ihr den Rücken zu und blickte auf den See hinaus, genauso wie sie selbst noch vor wenigen Minuten. Ans Geländer gelehnt, stand sie da, während der frische Wind ihre pechschwarzen Haare durcheinanderwirbelte. Sie war in eine blauviolette Wollstola gehüllt, die ihr graues Kleid, das mindestens zwei Nummern zu groß war, höchst unzureichend bedeckte. Es sah aus, als hätte sie die Sachen einer erwachsenen Frau, vielleicht ihrer Mutter, entwendet.

Anita kniff die Augen zusammen. Wieso stand ein so kleines Mädchen um diese Uhrzeit allein am Seeufer, ohne dass jemand auf sie aufpasste, und sang zudem ein so trauriges Lied?

Denn das war es, wenngleich sie den Text nicht verstand. Entweder handelte es sich um eine erfundene Sprache, oder die Kleine war Ausländerin. Anita lauschte fasziniert, ohne sich zu rühren. Trotz ihrer Besorgnis um dieses seltsame Wesen, das von dort leicht ins Wasser fallen konnte, wollte sie den Gesang nicht unterbrechen.

Er erinnerte sie an ihre Kindheit und an das, was sie wieder in diesen kleinen Ort am Comer See verschlagen hatte. Als wäre alles, was sie sich später aufgebaut hatte, von einer Riesenwelle fortgerissen und sie schließlich hier angespült worden – hier, wo alles begonnen hatte.

In Ossuccio, in der Villa delle Farfalle, der Schmetterlingsvilla.

Anita machte einen Schritt vorwärts, um die kleine Gestalt mit der bezaubernden Stimme besser betrachten zu können. Dabei blieb sie mit dem Absatz an einem Pflasterstein hängen, und das dabei entstehende Geräusch brach den Bann.

»Scheiße«, entfuhr es ihr auf Deutsch.

Das Mädchen drehte sich zu ihr um, und Anita hielt die Luft an. Regungslos stand sie da, während die kindliche Sängerin, die asiatische Gesichtszüge hatte, sie aus schwarzen Augen erschrocken anstarrte.

Sie merkte, dass ihr Absatz sich gelockert hatte, und bückte sich kurz, um den Schaden zu untersuchen.

Als sie wieder aufsah, war das Mädchen verschwunden.

Suchend blickte sie sich um, war sich sicher, dass das kleine Wollbündel auf eines der Häuser in der Nähe zugelaufen war. Aber da war nichts mehr als der Nachhall dieses Gesangs und der kalte Wind, der noch unwirtlicher geworden zu sein schien.

 

Anita fröstelte, was nicht allein an der Kälte lag. Etwas an diesem Mädchen hatte sie verstört. Sie glaubte gewiss nicht an Geister, doch die kleine Sängerin schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Prompt kamen ihr die Gruselgeschichten ihrer Großmutter in den Sinn, von den Geistern der im See Ertrunkenen, die in eisigen Winternächten manchmal erschienen, um über ihre Lieben zu wachen.

»Ich gehe jetzt mal besser nach Hause«, murmelte sie, wie um sich mit dem Klang ihrer eigenen Stimme zu beruhigen.

»Du bist ja halb erfroren«, rief Margherita ihr gedämpft entgegen, sobald sie zur Tür hereinkam.

Anita zwang sich, ihr Schlottern zu verbergen. Auf einmal fühlte sie sich wie damals als Kind, wenn sie mit Schnee in den Haaren und bloß einem Handschuh nach Hause gekommen war.

»Darf man erfahren, was dir eingefallen ist, bei dieser Kälte rauszugehen?«, erkundigte sich ihre Mutter, während Anita ihre Schuhe auszog und sich die Hände rieb.

»Warum sprichst du so leise?«

»Tante Maria ist drüben.«

Mutter und Tochter verdrehten die Augen. Maria war keine Verwandte, sondern eine alte Freundin von Lucrezia, Anitas verstorbener Großmutter. Inzwischen über neunzig, war sie immer noch rüstig und klar im Kopf. Sie hatte sehr an Lucrezia gehangen und vielleicht noch mehr an der Schmetterlingsvilla.

All die Jahre, die Margherita in Deutschland gewesen war, hatte sie sich um beide gekümmert, um die Großmutter und das Haus, und war an Lucrezias Seite geblieben, bis Margherita nach dem Tod ihres Mannes zurück nach Ossuccio gekommen war. Von daher betrachtete Maria sich als Familienmitglied und fand es ganz selbstverständlich, nach wie vor zu jeder Tages- und Nachtzeit im Haus oder in dem großen Garten aufkreuzen zu dürfen.

»Anita«, zwitscherte sie sogleich und breitete die Arme aus, um sie an ihre Brust zu drücken, ohne sich aus dem grünen Sessel zu erheben, der früher Lucrezias Stammplatz gewesen war.

Die junge Frau erinnerte sich gut an ihre Großmutter und ihre besondere Beziehung zu diesem Sessel. Er habe Zauberkräfte, hatte sie immer behauptet, er entspanne einen und nehme einem alle Sorgen und trüben Gedanken. Deshalb war er der »Sorgenfreisessel« getauft worden, und Anita hatte sich als Kind oft hineingesetzt, um zu sehen, ob gewisse Grübeleien wirklich Flügel bekamen und davonflogen.

Sie beugte sich hinunter, um die Tante zu umarmen und auf die faltige Wange zu küssen. Der Geruch nach Mottenkugeln und Pfefferminz, der genauso zu Maria gehörte wie ihre weißen, schimmernden Locken und die klaren, lebhaften Augen, überwältigte sie fast.

»Dich haben wir ja lange nicht mehr zu Gesicht bekommen«, sagte Maria und musterte sie eindringlich. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich vor dem Sommer blicken lassen würdest.«

»Und siehe da, Überraschung!«, kam Margherita ihrer Tochter zu Hilfe.

»Erzähl, Kind, läuft alles gut an der Universität?«, fragte Maria und griff nach der Tasse Kräutertee, die Margherita ihr gemacht hatte.

»Ehrlich gesagt, habe ich gekündigt«, erklärte Anita, die es besser fand, gleich damit herauszurücken, bevor Maria Lunte roch, was unweigerlich früher oder später geschehen würde.

Die alte Dame machte ein betroffenes Gesicht und setzte ihre Tasse ab. »Ach, Liebes, wieso das denn? Hattest du Heimweh nach Italien?«

Anita zuckte die Achseln. Sie verspürte keine Lust, groß darüber zu reden.

Erneut mischte sich Margherita ein. »Ich bin jedenfalls froh, sie hierzuhaben. Das Haus ist sonst so groß und leer.«

Maria nickte und blickte auf die gelblichen Wände des Salons. »Auch Lucrezia hätte sich darüber gefreut, weißt du«, murmelte sie wehmütig und fuhr lebhafter fort: »Die Villa ist eigentlich sowieso zu groß für euch beide. Wann macht ihr endlich was hübsches Kleines, du und dein Hans?«

Anita zog eine Grimasse. Das wurde ja immer schlimmer.

»Ihr habt euch hoffentlich nicht getrennt, oder?«, hakte die Tante nach.

Marias Taktgefühl schien mit dem Alter nicht gerade besser zu werden, dachte Anita. Überhaupt war ihr des Öfteren aufgefallen, dass alte Leute dazu neigten, über einschneidende Ereignisse zu reden wie übers Wetter. Eben noch jammerten sie über tragische Todesfälle, um plötzlich mit erschreckender Unbekümmertheit zu anderen Themen überzugehen.

Unwillkürlich fragte sie sich, ob ihre Großmutter genauso geworden wäre. Vielleicht hätte Lucrezia ebenfalls so leichthin über den Tod geredet, wenn sie lange genug gelebt hätte. Doch das waren müßige Gedanken, sie würde ihre Nonna immer mit den bewundernden Augen eines kleinen Mädchens sehen.

»Sagen wir, wir haben uns eine Auszeit genommen«, antwortete sie knapp.

Sie hatte das Vorgefallene selbst noch nicht verarbeitet und fühlte sich absolut nicht in der Lage, jemand anderem davon zu erzählen.

»Gibt es noch ein bisschen Kräutertee für mich?«, fragte sie zur Ablenkung.

Margherita nickte und ging in die Küche, um ihr eine Tasse zu holen.

Derweil blickte Maria nachdenklich vor sich hin. Dann sah sie auf und lächelte breit.

»Da ist der Bruder von dem Kioskbesitzer an der Ecke. Er hat sich gerade getrennt.«

Ihre Adoptivnichte sah sie fragend an. »Und?«

»Unter uns, er sieht ziemlich gut aus«, raunte Maria ihr zu und schielte zur Küche, als sollte Margherita sie nicht hören. »Deiner Mutter habe ich das auch schon gesagt, aber für sie ist er vielleicht zu jung.«

Anita musste lachen.

»Lach nur, mein Mädchen. Ihr solltet euch ranhalten, denke ich. Leider bin ich schon über neunzig, sonst würde ich es mir selbst überlegen.«

Margherita kam mit einer dampfenden Tasse zurück, die sie ihrer Tochter reichte.

»Wann bist du eigentlich angekommen, Liebes?«, erkundigte Maria sich.

»Gestern Abend, Tante. Ich bin noch ein bisschen müde von der Reise.«

»Nun, du hast wirklich keine gesunde Gesichtsfarbe.«

Den Seitenhieb kommentarlos hinnehmend, trank Anita einen Schluck Tee und zwinkerte ihrer Mutter unauffällig zu.

»Ich glaube, ich nehme erst mal eine heiße Dusche«, entschuldigte sie sich anschließend und erhob sich. »Den Tee trinke ich lieber hinterher in aller Ruhe.«

»Geh nur, Liebes«, erwiderte Maria ein wenig pikiert. »Die jungen Leute und ihre Manie mit dem heißen Wasser. Zu meiner Zeit wurde sich einmal die Woche am Waschbecken gewaschen, und um nicht unnötig Wasser zu verschwenden, beeilte man sich dabei. Aber heutzutage mit all diesen Bequemlichkeiten …«

Anita stahl sich schnell aus dem Wohnzimmer, solange die Tante noch ihren Erinnerungen nachhing.

 

Sie ging durch den langen Flur mit zahllosen geschlossenen Türen, hinter denen Zimmer lagen, die nicht mehr genutzt wurden, und stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf. Die Villa war in der Tat riesig für zwei Personen. Sie war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet und im Laufe der Jahre mehrfach umgebaut worden, was ihrer herrschaftlichen Pracht und Eleganz aber keinen Abbruch getan hatte.

Es gab drei Stockwerke. Im Erdgeschoss mit dem großen Salon und der Bibliothek voller kostbarer Raritäten war der Glanz der Belle Époque nahezu unverändert erhalten. Beide Räume hatten Zugang zu einer großen Veranda mit Blick auf den weitläufigen Garten und den See.

Im ersten Stock befanden sich die Schlafzimmer, von denen jedes anders gestaltet war und den Namen einer Schmetterlingsart trug, der auf einem Türschild stand. Das Zitronenfalterzimmer hatte von jeher Anita gehört, wenn sie mit ihrer Mutter zu Besuch gekommen war. Obwohl das kleinste im ganzen Haus, liebte sie es, weil es einen traumhaften Ausblick bot und die Decke mit verspieltem Stuck verziert war. Lucrezia hatte die Wände gelb und hellgrün streichen lassen und bunte Schmetterlinge an den Kronleuchter gehängt.

Der zweite Stock, in dem einst die Dienstboten gewohnt hatten, war ganz und gar den Schmetterlingen gewidmet. Man könnte sagen, dass ihre Großmutter ihnen hier gewissermaßen einen Tempel errichtet hatte.

Anita war gespannt, ob ihre Mutter seit ihrem letzten Besuch etwas verändert hatte.

Irgendwann würde sie sich dazu durchringen müssen, das eine oder andere Zimmer zu vermieten, doch dazu müsste sie einige Renovierungen vornehmen, und die kosteten Geld. Die Alternative wäre, die Villa zu verkaufen, was aber für Margherita nicht infrage kam, das würde sie niemals zulassen. Hier hatte sie ihre Kindheit verbracht, und selbst wenn sie später der Liebe wegen nach Köln gezogen war, hatte das Haus immer eine magische Anziehungskraft für sie gehabt. Sämtliche Sommerferien und Feiertage waren sie an den Comer See gefahren, und nachdem Anitas Vater vor fünf Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war, hatte Margherita sich entschlossen, nach Ossuccio zurückzukehren.

Es hatte nicht mehr viel gegeben, was sie mit Deutschland verband.

Bei Anita war das anders. Sie war in der Stadt am Rhein geboren worden und aufgewachsen, hatte dort studiert und schließlich eine Stelle an der Universität erhalten.

Und jetzt hatte sie das alles weggeworfen, schoss es ihr durch den Kopf, während sie darauf wartete, dass das Wasser in der Dusche wenigstens lauwarm wurde.

Sie hätte sonst was dafür gegeben, dass Lucrezias Sorgenfreisessel funktionierte. Nur waren ihre Gedanken leider zu schwer, um einfach davonzufliegen.

Als sie sich mit Duschgel einseifte, merkte sie, dass heiße Tränen sich mit dem mittlerweile heißen Wasser mischten.

Unter dem Wasserstrahl stehend, versuchte sie, tief in den Bauch zu atmen, wie sie es im Yogakurs gelernt hatte. Vielleicht war es ja falsch gewesen, Köln fluchtartig zu verlassen, doch sie hatte darin die einzige Rettung gesehen.

Anita drehte das Wasser ab und hüllte sich in einen Bademantel. Sie war todmüde. In Köln hatte sie kilometerweit joggen können und sich trotzdem fit gefühlt. Hier genügte ein Spaziergang am Seeufer, und sie war völlig erschöpft.

Was vermutlich nicht am See lag.

Margherita klopfte an. »Alles in Ordnung, Schatz?«

»Komm ruhig rein«, forderte Anita sie auf.

»Sie ist endlich gegangen, nach zehn Uhr abends! Woher nimmt sie nur all diese Energie?«

»Das frage ich mich auch. Bei aller Liebe, manchmal kann ich sie schwer ertragen.«

Margherita seufzte und nickte verständnisvoll.

»Mama, ich habe etwas Seltsames erlebt unten am See.«

Ihre Mutter runzelte schweigend die Stirn.

Anita nahm ihre Haarbürste und begann, die Knoten aus ihren stets wirren, kastanienbraunen Haaren zu kämmen.

»Ich habe ein Mädchen am Strand gesehen, so kam es mir jedenfalls vor. Sie hat aufs Wasser hinausgeblickt und dabei gesungen. Sie sah asiatisch aus, vielleicht japanisch. Oder meinst du, das sind die ersten Anzeichen von Wahnsinn bei mir?«

Die Reaktion war merkwürdig. Margheritas Blick schweifte unstet herum, als suchte er nach etwas zum Festhalten. Also schien es dieses Mädchen wirklich zu geben.

»Mama, was ist?«, fragte Anita besorgt.

»Du bist müde, Schätzchen«, sagte ihre Mutter, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Ich rate dir, dich bald schlafen zu legen und nicht mehr draußen herumzulaufen bei dieser Kälte. Sonst kriegst du noch Frostbeulen.«

»Du übertreibst wie immer. Was ist mit dem Mädchen?«

»Keine Ahnung, es gibt viele Kinder in Ossuccio«, antwortete Margherita ausweichend, die weder gut lügen noch etwas verheimlichen konnte. »Ich werde unten noch ein, zwei Dinge erledigen und dann auch schlafen gehen«, verabschiedete sie sich lächelnd und schloss die Tür hinter sich.

»Gute Nacht, Mama«, murmelte Anita.

Sobald sie im Bett lag, wurde ihr klar, dass der Schlaf auf sich warten lassen würde.

Vor dem Geschehenen zu fliehen, hatte nicht bewirkt, dass sie es hinter sich lassen konnte. Wenngleich sie damit nicht gerechnet hatte, war sie voller Hoffnung gewesen, dass durch die Distanz alles etwas leichter würde.

Sie sah auf ihr Handy und lehnte den zigsten Anruf von Hans ab. Es war alles gesagt, was es zu sagen gab. Warum musste er sie so bedrängen? Sie stellte ihn sich in ihrer gemeinsamen Wohnung vor, wie er blicklos auf den Fernseher starrte.

Auf einmal fror sie noch mehr als zuvor.

 

Margherita ging in ihr Schlafzimmer und kroch unter die Decke. Ihre Tochter war so anders als sonst, irgendwie komisch. Früher war sie gemeinsam mit Hans gekommen, verliebt, lebenssprühend, von tausend Dingen erzählend.

Als sie sie diesmal in Empfang genommen hatte, war sie erschrocken. Anita hatte stark abgenommen, war hohlwangig, blass und schien ihr kaum in die Augen sehen zu können. Sie hatte sich ihr in die Arme geworfen, um sich gleich darauf dafür zu schämen und unnötigerweise zu entschuldigen.

»Was ist passiert? Ich habe nicht mit dir gerechnet und nichts vorbereitet«, hatte Margherita gesagt. »Und was ist mit Hans und mit deiner Arbeit?«

Anita hatte sich auf die Lippen gebissen. Eine typische Reaktion. Das hatte sie schon als Kind getan, wenn sie ihren Kummer für sich behalten wollte. Margherita war deshalb sogar stolz auf sie gewesen – sie hatte es als Zeichen genommen, dass sie nicht war wie die anderen Kinder, die wegen jeder Kleinigkeit heulten.

Als sie jedoch so vor ihr gestanden hatte, mit verkniffenem Mund und völlig kraftlos, wäre es ihr lieber gewesen, sie hätte geweint und ihre Gefühle herausgelassen.

»Wir sprechen darüber, wenn ich so weit bin«, hatte sie kurz angebunden geantwortet, woraufhin Margherita beschlossen hatte, sie nicht weiter zu drängen.

Jetzt hingegen, in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers, überlegte sie, ob das richtig gewesen war. Was mochte ihrer kämpferischen Tochter bloß zugestoßen sein, um sie in einen derart erbarmungswürdigen Zustand zu versetzen?

»Bist du geflogen?«, hatte sie gefragt.

»Nein, Mama, ich bin mit dem Zug gefahren. Wie du weißt, hasse ich Fliegen.«

»Ja, aber es ist viel bequemer«, hatte sie törichterweise insistiert.

Dabei wusste sie genau, dass Anita seit einiger Zeit kein Flugzeug mehr bestieg. Sie litt neuerdings an Höhenangst und Schwindel und brachte es nicht einmal mehr fertig, auf eine Leiter zu steigen.

Margherita fragte sich, woher diese Empfindlichkeit nach einer ungetrübten Kindheit und einer alles in allem unproblematischen Jugend plötzlich gekommen war. Anita wurde ihrer Großmutter mit jedem Tag ähnlicher, dachte sie verdrossen.

Dann fiel ihr etwas ein, das ihr zu denken gab: Hatte die Schmetterlingsvilla nicht nur sie, sondern auch Anita zurückgerufen? In diesem Moment beschloss Margherita, unter keinen Umständen zuzulassen, dass das Unglück sich erneut in diesen Mauern breitmachte.

Diesmal nicht. Nicht bei ihrer Tochter.

Sie redete sich gut zu, Anita sei stark, mache bloß eine schwierige Phase durch. Ja, so war es bestimmt. Sie würde in Ruhe mit ihr sprechen, sobald sie sich bereit dazu fühlte. Gemeinsam würden sie alles bewältigen.

Ein dumpfes Gefühl jedoch ließ sie trotz aller guten Vorsätze erschauern. Ihre Tochter war noch in anderer Weise Lucrezias Ebenbild: Sie hütete eifersüchtig ihre Geheimnisse.

Monarchfalter

Monarchfalter

 

2. Kapitel

Schmetterling

 

Anita übte auf der Terrasse den Sonnengruß. Dazu breitete sie die Arme aus und blickte melancholisch in den grauen Himmel, der nicht den kleinsten Sonnenstrahl durchließ.

In ihrer Wohnung in Deutschland Yoga zu machen, hatte ihr immer das Gefühl gegeben, eine Karrierefrau zu sein, die sich sammelte und Energie tankte, bevor sie es mit dem großstädtischen Alltag aufnahm. Hier in dieser alten Villa dagegen fühlte es sich ganz anders an. Sie registrierte ihren Körper weniger und vernahm ihren Atem kaum. Es war schwierig, sich zu konzentrieren, wenn sie sich selbst nicht spürte und hörte.

Ihrem Yogalehrer zufolge war es die höchste Form der Meditation, dem eigenen Atem zu lauschen, leider versagte sie dabei gerade jämmerlich. Obendrein verdeckten die tief hängenden Wolken an diesem Morgen die Berge, sodass man meinen konnte, an einem aus Zeit und Raum gefallenen Ort zu sein.

Tatsächlich wirkte Ossuccio zu allen Jahreszeiten ein wenig so: ein Ort in der Schwebe, fern der Welt.

Margherita war früh aus dem Haus gegangen und hatte ihr eine Nachricht auf einem Zettel am Kühlschrank hinterlassen:

Ich gehe mit Tante Maria einkaufen. In der Espressokanne ist noch Kaffee und im Ofen Nusskuchen.

 

Sie hatte nicht mehr als einen Schluck Kaffee getrunken und zwei trockene Kekse gegessen. Ihr Magen war wie zugeschnürt. Die ganze Nacht hatten sie Albträume geplagt – oder vielmehr in den Teilen der Nacht, in denen sie überhaupt ein Auge zugetan hatte.

Anita legte die Handflächen aneinander und sang das abschließende Mantra. Dabei ließ sie den Blick durch den Garten schweifen, wo Reihen von mit Pfählen gestützten Olivenbäumen darauf warteten, beschnitten zu werden. Darum würde sie sich dieses Jahr kümmern, ansonsten gab es ja in Ossuccio nicht viel für sie zu tun. Einige Nachbarn hatten diese Arbeit bereits erledigt, darunter Ernesto, ein betagter Herr, der alles noch selber machen wollte, obwohl er es eigentlich nicht mehr schaffte und die Straße immer mit Haufen von abgeschnittenen Olivenzweigen versperrte. Margherita hatte neulich eine gute Viertelstunde in ihrem alten Peugeot warten müssen und dafür noch böse Blicke von Ernesto geerntet, die zu besagen schienen: Wieso muss diese Frau ausgerechnet hier und jetzt an meinem Haus vorbeifahren?

Anita lächelte bei der Erinnerung, während sie ihre violette Yogamatte aufrollte. Langsam wurde ihr kalt. Sie ging in den Salon und wärmte sich ein Weilchen am Feuer in dem prachtvollen Kamin.

Dann beschloss sie, nicht länger untätig herumzusitzen, sondern sich nützlich zu machen. Ihr war aufgefallen, dass die Villa nicht gerade vor Sauberkeit glänzte, nachdem Margherita die Putzfrau entlassen hatte. Ihre Mutter glaubte nämlich wie der alte Ernesto, alles selbst machen zu können. Dabei lag vieles im Argen. Sich um dieses Haus zu kümmern, war ähnlich aufwendig, wie einen hinfälligen Menschen zu pflegen. Und da sie Zeit im Überfluss hatte, sollte sie ihr Scherflein dazu beitragen, die Villa auf Vordermann zu bringen. Vielleicht würde sie mit dieser Ablenkung ja gleichzeitig ihren Kopf einer Generalreinigung unterziehen und die bohrenden Gedanken in die hintersten Winkel kehren können.

Sie ging durch den langen Flur im ersten Stock und stieg in den zweiten hinauf, den ihre Mutter fast nie betrat. Die Zimmer waren alle unverschlossen. Wer sollte sich auch für diese Überbleibsel verflossener Zeiten und verlorener Schätze interessieren? Lucrezias ganzes Leben war inzwischen hierher verbannt worden. Der Flur hing voller Schaukästen mit Schmetterlingen, was in dem herrschenden Halbdunkel etwas leicht Unheimliches hatte.

Nach kurzem Zögern betrat sie das erste Zimmer, an dessen Tür die Zeichnung eines Monarchfalters hing. Hierhin hatte Margherita all die Sachen ihrer Mutter geschafft, die sie nicht wegwerfen konnte, aber auch nicht unten im Erdgeschoss haben wollte. Nach kurzem Zögern drückte Anita die Klinke hinunter und ging hinein. Der Geruch der Großmutter schwebte nach wie vor über allem, hier allerdings stärker als in den anderen Stockwerken. Häuser wussten, wer ihnen wirklich zugetan war und wer sie hegte und pflegte. Ihre Wände waren vollgesogen mit der Liebe verstorbener Menschen, und der Staub trug dazu bei, deren Energie zu bewahren.

Anita spürte eine Art elektrische Entladung, als sie zu dem Kleiderschrank hinüberging und ihn öffnete. Dort waren sämtliche Blusen Lucrezias mit fast manischer Sorgfalt aufgehängt. Einige davon schienen neu und ungetragen zu sein, zumindest hatte Anita sie nie an der Großmutter gesehen.

Wie viele Frauen ihrer Generation hatte Lucrezia Kleidungsstücke für alle möglichen Anlässe besessen: fürs Haus, für Einkäufe, für Einladungen. Und dann die Stücke, die man lediglich zu besonderen Gelegenheiten herausholte wie zu großen Familienfesten, Theaterbesuchen, Kommunionen oder Weihnachtsfeiern. Anita strich über eine rosafarbene Hemdbluse und dachte, dass sie darin beim versunkenen Herumhantieren in ihrem Schmetterlingshaus ebenso großartig ausgesehen hätte wie bei einer sommerlichen Gartenparty.

Und auf einmal verstand sie, warum Margherita es nicht geschafft hatte, die Zimmer auszuräumen oder einen Teil des Hauses zu vermieten. Lucrezias Kleider und andere Besitztümer zu entsorgen oder zu verschenken, wäre ihr vorgekommen, als würde sie einen Teil von ihrer Mutter wegwerfen. Lucrezia war noch lebendig – in diesem Schrank, in dem Nähkorb voller Garnknäuel in diversen Stärken und Farben, in der Truhe mit der lavendelparfümierten Bettwäsche. Das Haus wusste das. Es war, als würden in diesem Zimmer nach wie vor die Atemzüge seiner einstigen Besitzerin herumflattern, gleich den Flügelschlägen ihrer geliebten Schmetterlinge.

Anita wurde von einer Wolke aus Erinnerungen eingehüllt.

Den Großteil ihrer Zeit hatte die Großmutter im Schmetterlingszimmer verbracht, das am Ende des Gangs auf der rechten Seite lag. Anita hatte es nie ohne sie betreten dürfen.

»Es ist wegen der Schmetterlinge«, hatte Lucrezia gesagt. »Sie sind sehr scheu, verstehst du? Wenn jemand ohne mich hereinkäme, würden sie am Ende alle verschwinden, und du könntest sie nicht mehr bewundern.«

Die Enkelin hatte genickt, die Erklärung überzeugte sie. Inzwischen war sie sich nicht mehr sicher, ob die Großmutter nicht in Wahrheit befürchtet hatte, dass sie einen der kostbaren Schaukästen kaputt machte.

»Können die Schmetterlinge uns denn hören, obwohl sie tot sind?«, hatte sie ängstlich geflüstert.

»Was wissen wir schon darüber?«, war die Antwort der Großmutter gewesen. »Sie könnten sich ja nur tot stellen. Sieh, wie schön sie sind.«

Fasziniert war Anita damals an den Reihen von Glaskästen entlanggegangen, in denen sich Schmetterlinge aus allen Teilen der Welt befunden hatten. Ihr Liebling war ein blauer Morphofalter oder Morpho Menelaus, ein großer, prachtvoller Edelfalter mit kobaltblauen Flügeln.

Als kleines Mädchen hatte sie es geliebt, der Großmutter hier oder im Schmetterlingshaus draußen im Garten zur Hand zu gehen – einem Pavillon, in dem man immer leise sprechen musste und der sie unendlich in seinen Bann geschlagen hatte. Vielleicht deshalb, weil Lucrezias Gesichtsausdruck dort stets ein anderer geworden war, trauriger und rätselhafter, als würde diese Umgebung ein Geheimnis bergen, das sie der Welt nicht enthüllen mochte.

Lange Zeit hatte Anita ihre Nonna deshalb insgeheim für eine Hexe gehalten.

 

Seufzend schob sie ihre kindliche Angst, das Zimmer leer und ohne Schmetterlinge vorzufinden, beiseite.

Sie tat ja nichts Verbotenes, Lucrezia hätte mit Sicherheit nichts dagegen.

Nonna, kannst du mich hören, obwohl du tot bist?

Ihre stummen Worte verursachten ihr eine Gänsehaut. Ein eiskalter Luftzug schien trotz der geschlossenen Fenster ihren Rücken zu streifen.

Sie nahm sich zusammen. Nach dem Staub und Schmutz zu urteilen, kam Margherita wohl nie hier herein, vielleicht aus einer Art Ehrfurcht heraus.

Auf dem Arbeitstisch lagen noch die alten Pinzetten sowie einige Nadeln mit feiner Spitze, außerdem der Füller, mit dem Lucrezia die Namen der Falter notiert hatte, und sogar ein letzter Schmetterling, den sie nicht mehr hatte katalogisieren können. Er machte den Eindruck, als würde er sofort zu Staub zerfallen, sollte jemand es wagen, ihn zu berühren.

Anita erschauerte. Das Haus an sich war schon unheimlich genug mit seinen Türen, die manchmal selbst ohne jeden Luftzug zuschlugen, und den verdächtigen Geräuschen zu jeder Tages- und Nachtzeit, aber dieses Zimmer war mit Sicherheit der Dreh- und Angelpunkt aller Rätsel. Hier wehte nicht allein der Atem der Großmutter, hier weste Lucrezia selbst, war lebendiger denn je. Die Enkelin meinte, sie förmlich vor sich zu sehen, wie sie mit geschickten Fingern und konzentriertem Blick Schmetterlinge präparierte.

Jetzt war sie es, die mit den Fingern über die staubigen Rahmen fuhr und staunend die Falter betrachtete, die ihre Leuchtkraft nicht verloren hatten und tatsächlich lebendig wirkten.

»Da gibt es einiges zu tun«, sagte sie laut, um der Stille etwas entgegenzusetzen, doch ihre Stimme klang irgendwie gedämpft.

Sie bahnte sich einen Weg zwischen alten Büchern, die sich überall türmten, und Kartons voller Rahmen und Glasplatten hindurch. Dabei stieß sie gegen die Tischkante und fluchte unwillkürlich. Als sie sich umdrehte, um hinauszugehen und Lappen und Putzmittel zu holen, fiel ihr Blick auf eine Schachtel, an die sie sich gut erinnerte. Niemand hatte sie je öffnen dürfen.

Sie hatte es als Kind einmal probiert, worauf Lucrezia einen Schrei ausgestoßen hatte.

»Da drin sind die aufsässigen Schmetterlinge«, hatte sie ihr erklärt. »Ich muss noch entscheiden, ob ich sie freisetze oder sterben lasse. Sie sind nicht gerade brav gewesen.«

Die kleine Anita hatte ihr geglaubt und die rote Schachtel stets wachsam beäugt, weil sie damit rechnete, dass die rebellischen Schmetterlinge von einem Moment auf den anderen herauskommen und durch das Fenster entwischen könnten.

Warum Lucrezia wohl nie gewollt hatte, dass man die Schachtel öffnete?

Sie ging darauf zu, die Versuchung war unwiderstehlich.

»Verzeih, Nonna«, wisperte sie, hob den Deckel ab und wich albernerweise ein Stück zurück, als hätte sie Angst, von wild gewordenen Faltern bestürmt zu werden. Die kindliche Vorstellungswelt, die von der Großmutter heraufbeschworen worden war, besaß unverändert Macht über sie.

Die Schachtel enthielt nichts weiter als ein vergilbtes Foto und einen goldenen Anhänger in Form eines Blattes.

Deswegen all diese Geheimniskrämerei?

Das Foto war offenbar sehr alt. Anita erkannte ihre Großmutter als junge Frau in einem züchtigen blauen Kleid. Geistesabwesend lächelte sie in die Kamera und hatte einen Arm um ein junges Mädchen gelegt.

Plötzlich schien sich das Zimmer um Anita zu drehen, und sie schloss kurz die Augen.

Das durfte nicht wahr sein. Dieses Mädchen unbestimmten Alters sah der Kleinen, die sie am Abend zuvor hatte singen hören, unglaublich ähnlich.

Sie hielt das Foto dichter vor die Augen. Konnte sie es sein? Nein, unmöglich. Aber was hatte ihre Großmutter mit einem japanischen Mädchen zu schaffen gehabt, das einen Kimono trug?

Auf einmal, als ob sich beim Aufwachen nach und nach Teile eines Traumes wieder einstellten, sah sie sich selbst in genau diesem Kimono.

 

Es war an einem Regentag gewesen, als man nicht an den See gehen oder draußen im Garten herumtollen konnte und sie eine ihrer Ferienfreundinnen zum Spielen in die Villa eingeladen hatte.

»Wir könnten Entdeckerinnen spielen, oben auf dem Dachboden«, hatte Martina vorgeschlagen, die mit drei Geschwistern in einer kleinen Wohnung lebte und noch nie in einem so großen Haus gewesen war. Also hatten sie zwei Taschenlampen, eine Tüte Bonbons und eine Flasche Limonade genommen und waren unter Ausnutzung von Lucrezias Nachmittagsschläfchen auf den Dachboden gestiegen, der durch den auf das Dach trommelnden Regen urgemütlich gewirkt hatte.

»Genau der richtige Tag, um Geheimnissen auf die Spur zu kommen«, fand Martina.

»Meine Großmutter hat keine«, behauptete Anita und richtete den Strahl der Taschenlampe auf eine Reihe von ordentlich zusammengeschnürten Zeitungsstapeln.

»Jeder hat etwas zu verbergen«, beharrte Martina. »Das habe ich mal in einem Krimi im Fernsehen gehört. Wirst sehen, wir finden bestimmt Sachen, die du nicht erwartet hättest.«

Sie kramten den ganzen Nachmittag dort herum und hatten unheimlich viel Spaß. Unter anderem entdeckten sie ein altes Schulheft von Margherita und amüsierten sich damit, die Rechtschreibfehler herauszupicken. Sie blätterten in Büchern und Postkarten und probierten alte Perücken auf.

Schließlich legten sie sich auf den Bretterboden unter die zum Trocknen aufgehängte Wäsche, von wo aus man durch das kleine Dachfenster dem Regen zusehen konnte.

»Und was ist das da?«, rief Martina plötzlich.

Anita folgte dem Blick der Freundin.

In einem der oberen Fächer eines alten Kleiderschranks lag ein Bündel aus blaugrünem, leicht verblichenem Stoff.

Sie musste sich auf Martinas Schultern stellen, um daran zu gelangen. Als sie an dem Stoff zog, fielen ein paar staubige Kissen mit heraus. Die beiden Mädchen schütteten sich aus vor Lachen.

Dann breitete Anita das Bündel mit Martinas Hilfe langsam aus. »Wie weich!«, rief sie.

»Unglaublich weich«, pflichtete die Freundin ihr bei.

»Was ist das, ein Morgenmantel?«

»Weißt du das wirklich nicht?«

Anita hätte gern etwas Schlaues erwidert, aber Martina drängte sie bereits, ihren Pullover auszuziehen, und half ihr, den Kimono anzulegen.

»Du siehst klasse aus!«, erklärte sie. »Wie eine echte Japanerin.«

Als Lucrezia sie in diesem Moment zum Tee rief, vergaß Anita in der Hektik, den Kimono auszuziehen, und bemerkte das Versäumnis erst, als sie den Salon betrat.

»Wo hast du das her?«, fragte die Großmutter, die ganz blass geworden war, tonlos.

»Ich, ich …«, stammelte sie.

»Wir haben uns ein bisschen auf dem Dachboden umgesehen«, warf Martina mit unschuldiger Miene ein.

Anita hätte sie erwürgen können.

»Zieh das sofort aus«, zischte die Großmutter, die plötzlich so böse wurde, wie die Enkelin es nie zuvor erlebt hatte.

»Verzeih«, murmelte sie, während Martina verlegen grinste.

Sie hatten nie mehr darüber gesprochen. Lucrezia, die sonst liebend gern Geschichten und Legenden erzählte, war unerklärlich schweigsam gewesen, was die Herkunft des Kimonos betraf und warum er ihr so viel bedeutete. Anita selbst hatte diese Kindheitserinnerung zusammen mit vielen anderen vergessen und sich darüber keine Gedanken mehr gemacht.

Jetzt hingegen kam sie mit Macht zurück, fordernd und spöttisch, ausgelöst von diesem rätselhaften Foto.

Wohl wissend, dass sie aus ihrer Mutter nichts herausbringen würde, fiel ihr Maria ein, die normalerweise geradezu darauf brannte, von früher zu schwadronieren.

Sie hatte der alten Dame ohnehin versprochen, am Nachmittag auf eine Tasse heiße Schokolade vorbeizukommen. Rasch steckte sie das Foto in die Hosentasche und verließ das Zimmer. Zum Saubermachen war es jetzt zu spät, also stellte sie sich in der Küche an den Herd und bereitete ein Hühnchencurry fürs Mittagessen vor.

»Hm, hier riecht es ja gut!«, rief Margherita beim Heimkommen und stellte lächelnd ihre Einkaufstüten auf den Tisch.

»Ich dachte, ich könnte mich ein bisschen nützlich machen. Das hält mich außerdem vom Grübeln ab.«

»Wenn du über etwas reden möchtest – du weißt, ich bin hier und höre dir zu«, sagte ihre Mutter.

Anita nickte. Sie hatten nie ein sehr vertrautes Verhältnis gehabt, und trotzdem war sie der einzige Mensch, bei dem sie nach allem, was passiert war, hatte Zuflucht suchen wollen. Vor allem war sie froh, dass Margherita nicht weiter in sie drang. Sie wusste, dass sie sich ihretwegen Sorgen machte – umso dankbarer war sie für ihre Zurückhaltung.

»Etwas später gehe ich zu Tante Maria«, kündigte sie an, während sie gemeinsam vor dem Fernseher aßen.

»Tatsächlich? Ich dachte, nach dem Verhör gestern Abend hättest du genug von ihr«, spottete Margherita. »Die Tante ist ein Schatz, leider steckt sie ihre Nase zu gern in die Angelegenheiten anderer.«

»Ich kann mich durchaus wehren«, versicherte Anita.

In Wahrheit hätte sie lieber auf den Besuch verzichtet, doch nach der Entdeckung dieses Fotos drängte es sie, ein paar Nachforschungen anzustellen. Offenbar gab es eine Verbindung zwischen dem Mädchen am Seeufer und ihrer Großmutter. Irgendetwas, das ihr verheimlicht worden war. Oder sie deutete irgendwas in die Vergangenheit hinein, dachte sie bitter, um sich nicht ihren aktuellen Problemen stellen zu müssen.

»Pass bloß auf, dass sie dich nicht zum Abendessen dabehält«, schärfte die Mutter ihr ein. »Jetzt, wo du hier bist, habe ich nicht die Absicht, alleine zu essen.«

»Keine Sorge«, versprach Anita, »meine Geduld ist begrenzt, zumal Maria es immer schafft, sie in kürzester Zeit zu erschöpfen.«

Sie lachten, und es schien, als ob die Wände davon widerhallten und das Haus mit ihnen zusammen lachen wollte.

 

Die Tante wohnte in einem kleinen, schmucken Häuschen oberhalb des Ortes an der Straße, die zur Wallfahrtskirche der Madonna del Soccorso führte. Verglichen mit den Ausmaßen der Schmetterlingsvilla wirkte es wie eine Gnomenhütte, und tatsächlich hatte Maria eine Schwäche für Zwerge und Kobolde, die überall im Haus, auf der Terrasse und im Garten herumstanden. Wenn man dort in der Abenddämmerung vorbeispazierte, kam es einem vor, als würde man von schwarzen zudringlichen Äuglein beobachtet.

Eine Sammelleidenschaft, die einen krassen Gegensatz zu der nahen Pilgerstätte darstellte. Die Leute in der Gegend waren mit Marias Spleen vertraut und betrachteten ihren »Zaubergarten«, wie sie ihn nannten, mit Nachsicht, aber so mancher frömmelnde Wallfahrer hatte schon die Augen zum Himmel verdreht und vor sich hin gebrummt, dass gewisse Respektlosigkeiten nun wirklich nicht sein müssten.

Als Anita auf die altmodische Klingel drückte, war es fast vier. Die Tante öffnete ihr ganz aufgeregt. Sie hatte eine rot-weiß karierte Schürze umgebunden und die Hände voller Mehl.

»Ich backe gerade einen Kuchen, komm rein, Liebes.« Ihre Augen glänzten seltsam, als hätte sie am Likör genippt, was sie durchaus gerne tat. »Der Kakao ist gleich fertig«, fuhr Maria fort und verschwand wieder in der Küche.

»Soll ich dir helfen?«, rief Anita ihr nach, während sie ihren Mantel auszog.

»Nein, ich bin fast fertig.«

Also setzte sie sich aufs Sofa und streichelte Marias alte sanftmütige Perserkatze. Sie war so träge und bewegte sich so wenig, dass sie zuweilen mit der Einrichtung zu verschmelzen schien.

Kurz darauf kam Maria mit zwei Tassen und einer Zuckerdose ins Wohnzimmer, von dem aus man einen Blick auf den im Tal liegenden See hatte.

Bevor sie ihr irgendwelche Fragen stellen konnte, sagte Anita rasch: »Ich habe beschlossen, das Schmetterlingszimmer gründlich zu säubern und aufzuräumen.«

»Oh, Liebes, du weißt ja, wie sehr deine arme Großmutter daran gehangen hat.«

»Genau deshalb will ich mich auch daranmachen, wenn ich schon mal hier bin. Heute Morgen habe ich dort übrigens ein altes Foto gefunden.«

»Ein Foto?«

»Ja, es stammt aus dem Jahr 1945, jedenfalls steht das auf der Rückseite. Das Merkwürdige ist, dass es Großmama zusammen mit einem japanischen Mädchen zeigt, über das ich überhaupt nichts weiß. Und halte mich für verrückt, aber ich glaube, genau dieses Mädchen neulich abends am See gesehen zu haben.«

Maria musterte sie stirnrunzelnd, wie um sich zu vergewissern, dass sie nicht auf den Arm genommen wurde. Dann brach sie in ein gezwungen klingendes Lachen aus.

»Da gibt es nichts zu lachen«, beschwerte sich Anita. »Ich rede von einem japanischen Mädchen, das plötzlich aus einer Schachtel aufgetaucht ist, die mir als Kind verboten war.«

Die Tante legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Bist du sicher, dass du kein Fieber hast, Schätzchen?«

Anita zog das Foto heraus und reichte es ihr. »Hier, sieh selbst.«

»Ich muss erst meine Ersatzaugen holen«, seufzte Maria und verschwand, um kurz darauf mit einer grauen Brille mit dicken Gläsern zurückzukommen. »Gut, lass sehen.«

Sie nahm das Foto und betrachtete es aufmerksam. Anita hatte den Verdacht, dass sie sofort gewusst hatte, von wem die Rede war.

»Wie hübsch Lucrezia in diesem Kleid aussah«, wich sie aus.

»Ja. Ihr wart zu der Zeit eng miteinander befreundet, nicht wahr?«, drängte Anita und fuhr fort, als Maria nickte: »Dann musst du dich eigentlich an diese Japanerin erinnern.«

Ein Schauer überlief die alte Frau, und Anita sah, dass sich eine Abfolge unterschiedlichster Gefühle auf ihrer Miene spiegelte: Groll, Neid, Enttäuschung, Abneigung.

»Tut mir leid«, sagte sie schließlich, »ich erinnere mich nicht an …«

Ehe sie den Satz beenden konnte, klingelte es an der Tür.

»Himmel, bereits so spät!«, rief sie und reichte ihr das Foto.

Anita verstand die Welt nicht mehr. Die geschwätzige Maria tat, als wüsste sie nichts.

Erneut kam ihr der verrückte Gedanke, dass die junge Japanerin vom See ein Geist aus der Vergangenheit sein müsse, der ihr etwas Wichtiges über ihre Großmutter sagen wollte.

»Federico! Willkommen«, flötete Maria und drehte sich zwinkernd halb zu ihr um.

Anita, immer noch mit der unerklärlichen, abweisenden Reaktion der Tante beschäftigt, sah fragend zu dem etwa vierzigjährigen Typen im Arbeitsoverall hin, der sie seinerseits verdutzt anstarrte.

»Ach, wie dumm von mir! Ihr beide kennt euch ja gar nicht. Das ist meine Nichte Anita, gerade aus Deutschland eingetroffen. Und das ist Federico.« Tante Maria beugte sich zu ihr herunter und raunte ihr hinter vorgehaltener Hand zu: »Der Bruder des Zeitungshändlers. Er ist Single

Anita musste sich das Lachen verbeißen und reichte dem Handwerker die Hand.