Bloom, Penelope Her Cherry – Süße Verführung

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Aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

 

© Penelope Bloom 2018
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Her Cherry«, Amazon Digital Services LLC, 2018
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2019
Redaktion: Martina Schwarz
Covergestaltung: zero-media.net, München

nach einem Entwurf von Penelope Bloom
Covermotiv: Penelope Bloom

 

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EINS

Hailey

 

Meine Grandma sagte immer, Backen sei das Heilmittel gegen Traurigkeit. Grammy war bezaubernd, und sie konnte Cookies backen, die einen schlichtweg aus den Latschen hauten, aber in diesem Punkt lag sie vollkommen falsch. Ich holte jetzt seit über zwei Jahren frische Kirschkuchen, Pasteten, Croissants, Bagels und jede andere erdenkliche Art von Gebäck aus dem Ofen meiner Bäckerei, und meiner Einschätzung nach half Backen nur gegen schlanke Taillen und die Entschlossenheit, sich an eine Diät zu halten.

Ich war sowieso nicht wirklich traurig. Ich war gerade fünfundzwanzig geworden und konnte es kaum erwarten, dass das Leben mich endlich holen kam. Man hätte mich naiv nennen können, aber ich war bisher davon überzeugt gewesen, dass, wenn ich den Kopf gesenkt hielt, hart arbeitete und mich benahm wie ein anständiges Mädchen, alles andere sich schon von allein ergeben würde. Stattdessen hatte ich einfach nur eine bequeme Routine entwickelt, während die Zeit immer schneller und schneller verging. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich irgendwann als achtzigjährige Jungfrau enden, die Cupcakes backte, die spontane Orgasmen auslösen konnten. Tolle Backkünste, trauriges Leben. Das war nicht gerade mein Traum. Tief im Inneren wusste ich: Wenn ich es weiter vermied, Risiken einzugehen, so, wie ich es vermied, Zahnseide zu benutzen – außer am Tag vor dem Zahnarztbesuch –, würde ich mich zu einer verkrusteten, jungfräulichen Bäckerin entwickeln.

Backen war einfach. Es ergab Sinn. So viel von dieser Zutat, so viel von jener, bei dieser Temperatur backen, den Teig so und so lange ruhen lassen. Es war eine Wissenschaft. Und wenn man sorgfältig arbeitete, wusste man, was man zu erwarten hatte. Das mochte ich am Backen. Es war mein Zufluchtsort. Und wenn meine Schwester und Ryan, mein einziger Angestellter, mir nicht ständig wegen meines fehlenden Soziallebens in den Ohren gelegen hätten, hätte ich mich bereits so tief in die Backkunst vergraben, dass niemand mich jemals wiedergefunden hätte. Meine Pläne für das Wochenende beinhalteten gewöhnlich, auf dem örtlichen Bauernmarkt nach frischen Zutaten von meinen Lieblingshöfen zu suchen, neue Rezepte auszuprobieren und ein paar bereits vorhandene Rezepte zu verbessern. Backen war mein Ein und Alles. Es hätte mich nicht überrascht, wenn durch meine Adern Kirschkonfitüre geflossen wäre. Zumindest trug ich öfter Mehl als Make-up auf der Haut. Es gab das Backen, und es gab mein Leben. Es war nur zu leicht, mir vorzustellen, dass die beiden eines Tages kollidieren würden und dann all meine Träume, den Laden zu erweitern und meine Rezepte zu perfektionieren, mir irgendwie die momentan noch fehlende Aufregung liefern würden. An anderen Tagen fühlte ich mich, als befände ich mich in einem mit Teig überzogenen Gefängnis: durchaus lecker, aber Käfig bleibt Käfig.

Ja, ich liebte, was ich tat … aber nein, Grammy, es war kein Allheilmittel.

Ich musste mir ja nur das ramponierte College-Lehrbuch unter dem Bein meines Ofens ansehen. Ich hatte den alten Ofen gebraucht gekauft, und eines der Beine war ungefähr ein Lehrbuch zu kurz. Meeresbiologie und die Dynamik exzeptioneller Ökosysteme. Der Titel klang, als hätte jemand ein paar wissenschaftliche Wörter in einen Mixer geworfen, überzeugt davon, dass College-Studenten sich klug fühlten, wenn sie das Buch mit sich herumtrugen. Dann hatten sie als Zugabe noch ein Preisschild von dreihundert Dollar draufgeklebt. Als die College-Bibliothek angeboten hatte, es mir für zehn Dollar wieder abzunehmen, hatte ich ihnen mitgeteilt, dass sie sich ihre zehn Dollar sonst wohin stecken könnten.

Nun, streng genommen hatte ich nur gedacht, dass sie sich das Geld sonst wohin stecken könnten. In Wahrheit hatte ich vielleicht sogar höflich gelächelt, »Nein danke« gesagt und dann auf dem Heimweg Matt Costa gehört, um mich zu beruhigen. Ich hatte mein gesamtes Leben über im Service gearbeitet und wusste, wie unfair es war, die Person hinter dem Schreibtisch für etwas anzuschreien, das gar nicht ihrer Kontrolle unterlag.

Also hatte ich das Buch in den letzten sechs oder sieben Jahren für mich arbeiten lassen. Wenn sie mir meine dreihundert Dollar nicht zurückgeben wollten, dann – so hatte ich beschlossen – würde ich Wege finden, das Buch einzusetzen, die dreihundert Dollar wert waren. Zuerst hatte es in meinem College-Zimmer als Türstopper gedient, während ich meinen Soziologieabschluss machte – mein Diplom lag inzwischen irgendwo in einem Aktenschrank und setzte Staub an. Ich war über das Buch gestolpert, war darauf getreten und hatte es so quasi entwürdigt – einmal hatte ich es sogar als fett bezeichnet, als ich mir den Zeh daran gestoßen hatte, womit ich zugegebenermaßen eine rote Linie überschritten hatte. Aber ich hatte nicht vor, mich bei einem Buch zu entschuldigen. Außerdem hatte es als Nebenjob noch als Spinnenvernichter gearbeitet, wann immer es keine Türen aufhielt. Ich hatte es auch als Kopfkissen verwendet, nachdem meine Katze sich auf mein eigentliches Kissen übergeben hatte, und sogar Kritzeleien auf den meisten Seitenrändern hinterlassen. Und jetzt? Jetzt diente es als Stütze für das zu kurze Bein meines Ofens. Letztendlich war es sogar eine Stütze für mein Geschäft.

Okay, damit ging ich vielleicht ein wenig zu weit. Aber die Wahrheit und Teig waren sich ähnlicher, als den meisten Menschen bewusst war. Wenn man an der richtigen Stelle zog, an einer anderen etwas abschnitt und vielleicht ein wenig daran herumknetete … voilà, hatte man eine leicht zu schluckende Pille geschaffen. Oder einen Muffin.

Alles in allem hätte ich geschätzt, dass ich über die Jahre mindestens zwanzig Dollar Wert wettgemacht hatte. Jetzt lagen nur noch zweihundertachtzig vor mir. Es gab natürlich noch einen anderen Grund, warum ich das dämliche Buch behalten hatte, statt es wie alle anderen überteuerten Fachbücher für Cent-Beträge zu verkaufen. Es war dieses Buch gewesen, in das ich zum ersten Mal seinen Namen, umrahmt von kleinen Herzchen, gekritzelt hatte. Dieses Buch hatte ich mir direkt über mein rasendes Herz an die Brust gedrückt, als wir uns nach dem Unterricht das erste Mal unterhalten hatten. Nathan. Der Mann meiner Träume, der sich zum gruseligen Stalker aus der Hölle entwickelt hatte. Er war zumindest teilweise für meine Jungfräulichkeit verantwortlich. Ich war mir nicht sicher, ob es so etwas wie eine posttraumatische Gruselstörung gab, aber falls ja, hatte Nathan mich damit infiziert. Nach ihm hatte ich mich zu einer Meisterin darin entwickelt, jeden Menschen mit einem Penis von mir zu stoßen. Dieses Buch zu behalten, war sozusagen meine Art, ein Warnschild mitten in meinem Leben aufzustellen: »Hüte dich vor dem Penis, denn von ihm droht Gefahr.«

Ich stellte den letzten Kirschkuchen auf den mehlbestäubten Stahltisch neben dem Ofen. Die Kuchen sahen perfekt aus. Und das sollten sie auch. Als ich das Backen für mich entdeckt hatte, war ich entschlossen an die Sache herangegangen. Ich besaß ein ganzes Notizbuch voller Rezepte und Abwandlungen davon, die ich über die Zeit ausprobiert hatte, um ein perfektes Gleichgewicht zwischen Aroma und Konsistenz zu schaffen. Seite um Seite war gefüllt mit den Unterschieden zwischen einer Tasse Zucker, einer leicht gehäuften Tasse und einer nur knapp gefüllten Tasse oder Notizen darüber, was geschah, wenn man erst eine halbe Tasse und dann noch eine halbe Tasse hinzufügte, und ähnlichen Dingen. Wenn Backen eine Wissenschaft war, war ich die verrückte Wissenschaftlerin dazu. Die Cupcake-Zauberin. Wenn Leute in meinen Laden kamen, um sich etwas zu gönnen, dann konnten sie ihren Hintern darauf verwetten, dass sie jeden einzelnen Bissen genießen würden.

Backen vertrieb nicht das leere Gefühl, das sich tief in meinem Herzen eingenistet hatte, aber es gab mir eine Aufgabe. Ich wusste, dass ich gut darin war, und irgendwann wollte ich mein Geschäft erweitern. Der erste Schritt auf diesem Weg bestand darin, herauszufinden, wie ich meine Rechnungen bezahlen sollte … aber hey, wäre es einfach, die Weltherrschaft zu übernehmen, würde jeder es versuchen.

Wie jeden Tag schaute auch heute meine kleine Schwester Candace vor der Arbeit bei mir im Laden vorbei. Sie war Redakteurin bei Business Insights, und sie kam auf dem Weg ins Büro immer zu mir, um sich einen Bagel zu holen. Ihr kurzes blondes Haar wippte, als sie mit federnden Schritten zum Verkaufstresen lief. Sie schob sich ihre Sonnenbrille in die Haare und wackelte mit den Augenbrauen.

Ich klopfte mir das Mehl von den Händen, dann trat ich zur Sicherheit noch einmal gegen das Buch. Ich wünschte mir, ich hätte stattdessen ihn treten können, aber das Buch würde reichen müssen. Zu dumm, dass es nicht wie eine Voodoo-Puppe funktionierte.

»Wie geht es meiner liebsten Jungfrau heute Morgen?«, fragte Candace fröhlich.

»Du weißt, dass ich jederzeit auf deinen Bagel spucken könnte, richtig?« Ich wappnete mich innerlich. Candace führte das Jungfrauen-Gespräch ungefähr einmal im Monat mit mir, wahrscheinlich an Tagen, an denen ich besonders angespannt wirkte.

»Oh, die Spucke einer Jungfrau. Ich höre, die besitzt magische Kräfte. Bitte, ich hätte gerne etwas davon zu meinem Frischkäse.«

»Du bist widerlich. Und die einzige Magie in meiner Spucke dürfte darin bestehen, dass sie wie ein Anti-Aphrodisiakum wirkt.«

»Hm. Das geht mir dann doch zu weit.«

»Weißt du, wenn du aufhören würdest, mich ständig lautstark in der Öffentlichkeit als Jungfrau zu bezeichnen, dann müssten es nicht alle Menschen in meinem Leben erfahren.«

»Alle Menschen in deinem Leben. Okay. Also Ryan und Grammy?«

»Blöde Kuh«, murmelte ich. Ich drehte mich um und begann, meine Fäuste in einen Teigfladen zu rammen. Das war nicht gerade die Technik, die sich als der Weg zur perfekten Konsistenz herausgestellt hatte, aber es half wunderbar beim Stressabbau.

»Nun, ich nehme an, da gibt es auch noch …«

»Wir reden nicht über ihn, schon vergessen?«

»Es ist nicht gesund, Dinge in sich hineinzufressen, Hailey. Hast du je Ich, beide & sie gesehen? Jim Carrey dachte in diesem Film, das wäre eine gute Idee … und was ist aus ihm geworden?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Ist es schlecht ausgegangen?«

»Darauf kannst du einen lassen. Er hat eine gespaltene Persönlichkeit entwickelt, wurde irre. Wenn du nicht aufpasst, wird es damit enden, dass du dir deinen Körper mit einem verrückten Weib namens Hanketta teilst, das anfängt, sich in Restaurants mit Sechsjährigen zu streiten. Ist es das, was du willst?«

»Ist das eine rhetorische Frage?«

Sie lehnte sich auf den Tresen und sah mich an, als wäre ich ein trauriges, verwundetes Tier. »Ich will doch nur, dass du glücklich bist.«

»Nun, und ich will, dass meine Schwester sich weniger Sorgen um mein nicht-existentes Sexleben macht und mehr Sorgen um Dinge, die wirklich wichtig sind.«

»Oh, genau. Sex ist nicht wichtig. Lass mich kurz losziehen und der Menschheit verkünden, was sie bis jetzt falsch gemacht hat. Stoppt die Druckmaschinen! Packt die Penisse weg! Zerstört alle Gussformen für Dildos! Schließt die Beine, wir sind hier fertig! Sex wurde die ganze Zeit überschätzt!«

»Gussformen für Dildos? Ernsthaft?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Was glaubst du, wie die hergestellt werden?«

Ich starrte sie böse an. »Ich würde lieber nicht darüber nachdenken. Und ich will damit auch nur sagen, dass ich es nicht eilig habe, den erstbesten Kerl zu poppen, der mir über den Weg läuft.«

»Vielleicht solltest du es aber eilig haben. Denk darüber nach. Du bist verdammt noch mal fünfundzwanzig Jahre alt. Das sind fünfundzwanzig Jahre, in denen du dir deinen ersten Sex als riesiges, weltbewegendes Ereignis ausmalen konntest. Du legst die Messlatte zu hoch, Mädel. Zieh dir einfach den Stock aus dem Arsch und lass mal los.«

»Mir den Stock aus dem Arsch ziehen und loslassen … Worte der Weisheit von Candace. Vielleicht werde ich sie auf deinen Grabstein meißeln lassen.«

»Wer behauptet, dass ich zuerst sterbe? Ich werde ›Hier liegt der weltälteste, traurigste Jungfrau. Hätte sie einen Mann fünfzehn Zentimeter tief in sich gelassen, hätten wir dieses tiefe Loch vielleicht nicht graben müssen‹ auf deinen schreiben.«

Ich schnappte mir einen Bagel aus der Auslage und schmierte mit heftigen Bewegungen Frischkäse darauf. Es war mehr Käse, als Candace eigentlich mochte, aber das war mir egal. Ich wickelte ihn in Wachspapier und gab ihn ihr. »Wenn du jetzt fertig bist, hier ist dein Bagel. Ryan wird in ein paar Minuten auftauchen, und dank dir ist er fast genauso nervig wie du mit seinen ständigen Versuchen, mich mit jemandem zu verkuppeln. Also, wieso machst du nicht eine Pause und lässt ihn übernehmen?«

Sie nahm den Bagel. »Der einzige Grund, warum ich es ihm erzählt habe, war, dass ich gehofft hatte, er wäre derjenige, der deine staubbedeckte Kirsche pflücken würde – dir dein Blümchen stehlen, dir die Unschuld nehmen, sprich, dich entjungfern. Woher sollte ich wissen, dass er sich kopfüber in eine platonische Freundschaft stürzen und sich zu Mr Superkuppler entwickeln würde?«

Ich verzog das Gesicht. »Deine Begabung für verstörende Bilder ist manchmal wirklich schwer zu ertragen.«

»Du bist so süß. Hey, was ist das?«, fragte sie und griff nach einem Umschlag, den ich gestern geöffnet und auf den Tresen gelegt hatte.

Ich riss ihn ihr aus der Hand. »Das ist nichts. Nur Werbung.«

»Ah ja, der gute alte Werbebrief, auf den sie Räumungsbefehl schreiben, um Aufmerksamkeit zu erregen. Auf die falle ich auch immer wieder rein. Okay, Mädel, bleib jungfräulich.« Sie warf mir einen Luftkuss zu und verschwand mit ihrem Bagel in der Hand.

Sobald meine Schwester gegangen war, sah ich auf den Brief hinunter. Es war die Mitteilung, dass ich eine Woche Zeit hatte, die Miete für meine Wohnung zu zahlen, weil es sonst zu einer Räumung kommen würde. Mir war immer noch nicht ganz klar, wie ich das hinkriegen sollte – vor allem, da mir nur zwei Wochen Zeit blieben, um die Miete für die Bäckerei zu berappen, bevor ich die dritte Zahlung in diesem Jahr schuldig bleiben würde. Ich seufzte. Ich fand immer einen Weg, mich irgendwie über Wasser zu halten, und mehr war nicht nötig. Nur noch ein paar Wochen mehr, ein paar Kunden mehr, und irgendwann würde die Bäckerei endlich Gewinn abwerfen.

Ich rüttelte ordentlich am Rührgerät, bis es so funktionierte, wie es sollte. Die meisten Geräte in der Bäckerei hatten schon bessere Tage gesehen, aber sie gehörten mir. Ich empfand tiefe Befriedigung bei dem Gedanken, dass ich für alles hier drin gearbeitet hatte. Der Laden war mein Baby, und die Kirschkuchen waren … Die Babys meines Babys? Wenn ich das Bild zu weit trieb, wurde es vermutlich etwas seltsam. Wie auch immer, ich liebte die Bäckerei. Selbst, wenn ich das Gefühl hatte, dass der Rest meiner Welt zerbrach, konnte ich mich immer auf den Laden verlassen. Er war mein Zufluchtsort, auch wenn er sich manchmal anfühlte wie ein Käfig.

Ryan erschien auf die Minute pünktlich, wie immer. Er kam frisch aus dem College und war unglaublich attraktiv; vielleicht sah er sogar atemberaubend aus. Doch aus irgendeinem Grund hatte ich in Bezug auf ihn vom ersten Moment an eher wie für einen kleinen Bruder empfunden. Er musste es auch gespürt haben, denn wir waren sofort in eine Dynamik verfallen, als wären wir lange verloren geglaubte Geschwister. Er versuchte ständig, mir dabei zu helfen, mein Leben in Ordnung zu bringen, und ich versuchte zu verhindern, dass er in Schwierigkeiten geriet … wofür er eine echte Begabung besaß.

Er hatte einen rasierten Kopf, ein paar Tätowierungen (wenn auch nichts allzu Verrücktes) und einen muskulösen Körperbau mit den definierten Unterarmen eines Mannes, der schon jede Menge Zeit damit verbracht hatte, Teig zu kneten. Seine Augen zeigten ein warmes Braun. »Heißes Date heute Abend?«, fragte er.

»Weißt du, Candace hat gerade erst versucht, mir gut zuzureden. Vielleicht könnten wir das Jungfrauen-Gespräch heute einfach überspringen.« Ich fing an, vorsichtig die Kuchen von ihren Blechen zu nehmen.

Ryan kam zu mir und lehnte sich an die Arbeitsplatte, boxte mich sanft gegen den Arm und schenkte mir einen Blick, der – wie üblich – so mitfühlend war, dass ich nicht anders konnte, als ihn liebenswert zu finden. Ich mochte ja Ryans ständige Versuche, mich zu Dates zu überreden, leid sein, aber ich wusste, dass er es gut meinte, also konnte ich ihm sein Drängen irgendwie nicht übel nehmen. »Du wirst Folgendes tun: Such dir heute einen Kerl aus. Irgendeinen.« Er lächelte breit, weil ihm anscheinend gerade eine Idee gekommen war. »Den ersten Kerl, der einen Kirschkuchen kauft. Den wählst du aus. Sei einfach mutig. Sei du selbst. Sag etwas Kokettes. Du musst ihn nicht um ein Date bitten oder irgendwas. Mach dem Kerl einfach, na ja, ein Kompliment … und darauf bauen wir dann auf.«

Ich seufzte. »Selbs, wenn ich mich darauf einlassen würde – was ist, wenn der erste Kerl, der einen Kirschkuchen kauft, einen Walrossbart hat und an seinem Ärmel Popel kleben?«

»Okay. Der erste Kerl, der einen Kirschkuchen kauft und nicht deinen Widerling-Alarm auslöst. Wie wäre es damit? Außerdem, wer zum Teufel hat Popel an seinem Ärmel kleben? Mit was für Leuten umgibst du dich?«

»Witzig«, sagte ich. Dann dachte ich intensiv darüber nach, wie ich den Vorschlag abwehren konnte, bevor ich womöglich noch zustimmte. Ryan und Candace schienen beide zu glauben, dass Sex all meine Probleme lösen würde. Ich war mir da nicht so sicher – obwohl es mir nichts ausgemacht hätte, nicht mehr mit der ironischen Situation leben zu müssen, dass ich das Mädchen war, das den ganzen Tag über Kirschkuchen an Leute verkaufte, ohne je jemandem ihre Kirsche zu schenken.

»Nicht witzig«, sagte Ryan. »Wir machen eine Wette daraus. Ich meine das ernst, Hailey.«

»Eine Wette?«

»Ja. Du erinnerst dich an all die Urlaubstage, die ich angesammelt habe?«

»Ja …«, sagte ich langsam, weil ich mich davor fürchtete, was gleich kommen würde.

»Du ziehst das durch, oder ich nehme mir während der gesamten Sheffield-Fair-Woche frei.«

Panik stieg in mir auf. Meine Bäckerei lag am Rande der Innenstadt von New York, aber eine der besten Gelegenheiten, um für Publicity zu sorgen, war der Sheffield-Fair-Backwettbewerb. Dort tauchte sogar ein Team von Food Network auf und filmte ein paar der Gewinner. Der Wettbewerb bedeutete eine Menge Arbeit, und Ryan wusste, dass ich niemand anderen hatte, der mir dabei helfen konnte, alles vorzubereiten und zu backen.

»Das würdest du nicht tun«, sagte ich.

Er zuckte mit den Achseln. »Ich schätze, du musst dich einfach fragen, ob du es darauf ankommen lassen willst, Jungfrau? Hm?«

»Arschloch«, stöhnte ich.

Er wirkte viel zu selbstgefällig, aber er hatte mich in eine Ecke getrieben, und das wusste er. »Also, gilt die Wette?«

»Du weißt, dass ich jetzt nicht mehr Nein sagen kann. Aber du wirst die Regeln nicht mehr ändern. Ich muss nur irgendeinen flirtenden Kommentar machen. Einen Satz. Mehr nicht.«

»Das ist alles, was ich will. Für den Moment.«

Und damit war die Sache geritzt. Der Morgen verlief nicht viel anders als die meisten anderen Vormittage, die ich zusammen mit Ryan in der Bäckerei verbrachte – mal abgesehen von der lächerlichen Wette, natürlich. Die hatte den Druck, den mein sonst so sanftmütiger Freund auf mich ausübte, in ganz neue Dimensionen getrieben. Doch schon nach ein paar Minuten hatte ich die Sache vergessen.

Wir bestückten die Vitrine, backten das Brot, das viel schneller an Frische verlor als das süße Gebäck, und bereiteten als Letztes die Bagels zu. Die verkauften sich morgens immer besonders gut, und eine Menge Kunden würden, wenn sie kamen, um sich ihren Bagel zu holen, noch einen Laib Brot für später oder einen Kuchen für nach dem Abendessen mitnehmen.

Wie fast jeden Morgen war Jane unsere erste Kundin. Ich hätte schwören können, dass sie einen Designer-Hosenanzug für jeden Tag des Jahres besaß, denn ich hatte sie meiner Erinnerung nach noch nie zweimal im selben Outfit gesehen. Sie war vielleicht Mitte vierzig und alles, was ich hoffentlich eines Tages sein würde. Sicher. Souverän. Selbstbewusst. Modisch. Vermutlich hatte sie zu Hause auch nirgendwo ein altes College-Fachbuch herumliegen, das sie als Boxsack benutzte, um ihren Frust wegen eines Stalker-Exfreundes daran auszulassen.

Ich sah auf meine mehlbestäubte Schürze und die langweiligen Jeans hinab, die ich darunter trug. Mein Top war einfach nur ein schlichtes pinkfarbenes T-Shirt mit dem Namen meiner Bäckerei darauf: The Bubbly Baker. Das Logo zeigte einen untersetzten kleinen Mann mit Bäckermütze, der eine große Kaugummi-Blase machte. Wahrscheinlich wäre es realistischer gewesen, meinen Laden »Die Bäckerin, die Probleme damit hat, Blickkontakt mit Ihnen aufzunehmen« oder vielleicht auch »Haileys intakte Kirsche« zu nennen, aber irgendwie bezweifelte ich, dass ich damit irgendetwas verkauft hätte.

Jane dankte mir und riss denselben Witz, den sie jedes Mal machte. »Ich sollte losrennen, um den Verkehr zu schlagen.« Sie lachte. »Natürlich nicht im wörtlichen Sinn.«

Ich wusste nie, ob sie die Idee witzig fand, tatsächlich zu rennen, oder ob der Witz in der Andeutung lag, dass sie Leute im Verkehr verprügelte. Auf jeden Fall lächelte ich und winkte, als sie die Bäckerei verließ, wie ich es immer tat.

Die nächsten paar Stunden brachten eine gute Mischung aus Stammkunden, neuen Gesichtern und Leuten, die irgendwo dazwischenlagen. Ich kümmerte mich überwiegend darum, die Vitrine ständig wieder aufzufüllen, während Ryan den Verkauf übernahm. Ich mochte Menschen, doch ich hatte die Tendenz, sie aus Versehen zu verschrecken. Vor Nathan war ich die Königin des »zu viel, zu schnell« gewesen, bevor ich mich langsam zu »niemand, nie« entwickelt hatte – womit ich sehr effektiv den Grundstein für meine überwiegend einsame Existenz gelegt hatte.

Die kleine Glocke über der Tür bimmelte. Ich drehte mich in der Absicht um, den neuen Kunden zumindest mit einem schnellen Nicken und einem Lächeln zu begrüßen, nur um innezuhalten, als ich ihn sah. Er war groß und breit, mit dunklem Haar, das er auf eine unordentliche Weise verwuschelt trug, wie es sich nur die bestaussehenden Kerle leisten konnten. Es war ein wenig zu lang und hatte keinen richtigen Schnitt, aber genau das machte es zu einem sexy Statement. Dieses Haar schien zu sagen: »Ich brauche keinen dämlichen Kamm oder irgendwelche Pflegeprodukte, denn schau dir mal das Gesicht und den Körper an, über denen ich throne.« Und nach dem, was ich von hier aus sehen konnte, wollte ich ihm da nicht widersprechen. Nicht, dass ich vorhatte, mich auf eine Diskussion mit den Haaren von irgendjemandem einzulassen – zumindest nicht laut.

Er trug seinen Anzug auf eine Weise, die ich bisher nur bei Bösewichten in Filmen gesehen hatte. Um wirklich professionell zu wirken, stand an seinem Hemd ein Knopf zu viel offen, und er schien fast stolz die Andeutung von Tätowierungen auf Brust und Unterarmen zu präsentieren. Alles an diesem Mann wirkte so selbstbewusst und trotzig, dass man schon hätte blind sein müssen, um ihn zu übersehen.

Und ich? Ich war nicht blind. Ich stand dümmlich mit offenem Mund da, die Augen weit aufgerissen, meine Arme schlaff an den Seiten, bis mir klar wurde, dass Ryan den Mann absichtlich ignorierte.

Der Fremde sah mich aus den unglaublichsten blauen Augen an, die ich je zu Gesicht bekommen hatte. Dann zog er langsam eine Augenbraue hoch. Die Zeit selbst schien die Luft anzuhalten. Ich konnte nicht sagen, wie lang diese unangenehme Stille bereits andauerte. Drei Sekunden? Vier?

»The Bubbly Baker«, meinte er mit einer wunderbar tiefen Stimme, die auf perfekte männliche Art rau war. »Offensichtlich bezieht sich das nicht auf Sie, sonst hieße dieser Laden Die taubstumme Bäckerin.«

Jetzt wusste ich, wie Fische sich fühlten, wenn sie aus dem Meer gezerrt wurden. In einem Moment kümmerten sie sich um ihren eigenen Kram, und im nächsten wurde plötzlich ihre gesamte Welt auf den Kopf gestellt. Ein einziger Augenblick sorgte dafür, dass ihr Leben nie wieder das gleiche sein würde. Selbst, wenn es ihnen gelang, wieder vom Boot zu gleiten, würden sie danach immer wissen, dass über der Oberfläche diese seltsame, erstaunliche Welt wartete. Oder, in meinem Fall, ein megaheißer Kerl, nach dem jeder andere Mann wirken musste wie vom Grabbeltisch.

Er räusperte sich. »Oder starren Sie mich so an, weil der Laden eigentlich geschlossen ist, Sie aber vergessen haben, die Tür zu verriegeln?«

Der Klang seiner Stimme reichte aus, um mich zurück in die Realität zu holen. Ich schloss den Mund, schluckte – obwohl meine Kehle staubtrocken war – und formte Worte, wie das normale menschliche Wesen, als das ich mich erweisen wollte.

»Ich bin weit geöffnet. Wir, ähm, haben geöffnet«, fügte ich eilig hinzu, sobald ich das amüsierte Glitzern in seinen Augen sah. »Der Laden hat geöffnet. Ja.«

»Okay«, sagte er langsam. »Also, kann ich einen Bagel bekommen?«

»Tatsächlich«, sagte Ryan, der in diesem Moment mit einem Ausdruck auf dem Gesicht an den Tresen eilte, der nichts Gutes für mich verhieß, »sind uns die Bagels gerade ausgegangen. Aber Sie werden unseren Kirschkuchen lieben.«

Der Blick des Mannes glitt an uns vorbei zu den Aberdutzenden von Bagels in der Auslage, die nur darauf warteten, aufgeschnitten und bestrichen zu werden. »Und das da sind …«

»Show-Bagels. Absolut nicht essbar«, erklärte Ryan. »Sie würden sich die hübschen Zähne daran ausbeißen, sollten Sie versuchen, einen davon zu essen.«

»Was soll ich um neun Uhr morgens mit einem Kirschkuchen anfangen?«, fragte er.

»Ähm, na ja«, stammelte Ryan. »Sie könnten ihn mit in die Arbeit nehmen. Mit den Kollegen teilen. Sie arbeiten doch irgendwo, oder?«

Jetzt wirkte er genervt. »Ja, das tue ich.«

»Entschuldigen Sie meinen Angestellten«, stieß ich hervor. »Er findet das komisch. Diese Bagels sind absolut essbar. Sehen Sie?« Ich schnappte mir einen gewöhnlichen Bagel aus der Auslage und nahm einen Bissen, der genauso groß wie unnötig war. Jetzt war ich gezwungen, intensiv zu kauen, während Ryan und der Mann mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Unbehagen dabei beobachteten.

Ich räusperte mich. »Absolut essbar«, wiederholte ich, etwas leiser.

»Dann bekomme ich bitte einen absolut essbaren Bagel, wenn Sie so freundlich wären. Aber vielleicht einen, von dem Sie noch nicht abgebissen haben.«

Ich versuchte, mit reiner Willenskraft zu verhindern, dass das ganze Blut aus meinem Körper in meine Wangen schoss, die bereits leuchten mussten wie ein Feuerwehrauto. Ich fragte ihn nicht einmal, welche Art von Bagel er wollte, sondern warf einfach nur einen in eine Tüte und legte sie auf den Tresen.

»Und ich nehme auch Ihre Kirsche.«

Ich verschluckte mich am letzten Bissen meines Bagels, sodass ich husten musste und ein würgendes Geräusch von mir gab, das Ryan sofort dazu veranlasste, mir viel zu fest auf den Rücken zu schlagen.

»Meine Kirsche?«, fragte ich. Woher zur Hölle weiß er, dass ich noch Jungfrau bin, und welche Art von Mann sagt so etwas einfach … einfach … offen heraus? Und selbst wenn …

»Kirschkuchen«, sagte er, doch die Art, wie er meine Verlegenheit genau beobachtete, ließ mich vermuten, dass seine erste Formulierung kein Versehen gewesen war.

Ich legte einen Kuchen für ihn in eine Schachtel und stellte auch die auf den Tresen. Ryan stieß mich an, als wäre ich mir nicht bereits schmerzhaft darüber im Klaren gewesen, warum er den Mann dazu überredet hatte, einen Kirschkuchen zu kaufen. Ich wusste, dass ich jetzt mit ihm flirten sollte.

Der Mann zahlte und machte Anstalten, den Laden zu verlassen. Ich fühlte mich, als hätte sich eine unsichtbare Hand um meine Kehle geschlossen, was wahrscheinlich göttliche Fügung war, denn wenn ich jetzt irgendetwas gesagt hätte, hätte ich mich mit Sicherheit unendlich blamiert.

»Moment!« Ryan stieß mich an. »Meine Freundin möchte Sie etwas fragen.«

Der Kerl drehte den Kopf, gerade weit genug, um mich aus dem Augenwinkel beobachten zu können. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich behauptet, dass er genau wusste, was in meinem Kopf vor sich ging. Und in meinem Körper.

»Ich habe Ihren Namen nicht verstanden.«

Ich bemerkte, dass Ryan mich mit einem Das-nennst-du-flirten?-Blick anstarrte, versuchte aber, ihn zu ignorieren. Ich war noch in der Aufwärmphase, okay?

»William«, sagte er mit einem Grinsen. »Soll ich Sie einfach Cherry nennen?«

Es war ein Wunder, dass ich nicht in Ohnmacht fiel, als gefühlte zehn Liter Blut in meine Wangen schossen. Er wusste, dass ich Jungfrau war. Irgendwoher wusste er es. Vielleicht gab es eine Geheimgesellschaft von heißen Kerlen, die sich regelmäßig trafen, um die Namen ansässiger Jungfrauen auszutauschen. Oder vielleicht war es einfach offensichtlich, wenn man mich ansah.

Mir war klar, dass Ryan mich nicht vom Haken lassen würde, wenn ich nur nach seinem Namen fragte, also wappnete ich mich und bemühte mich, zu flirten … was sich anfühlte, als versuchte ich, ein altes, rostiges Auto zu starten, das fünfundzwanzig Jahre lang in der Garage gestanden hatte.

»Sie können mich nennen, wie auch immer Sie wollen«, sagte ich. Fast – fast – hätte ich dabei in der Imitation einer sinnlichen Verführerin die Hand in die Hüfte gestemmt, doch selbst ich wusste, dass das zu viel gewesen wäre. Ich konnte förmlich fühlen, wie Ryan sich neben mir wand und sich bemühte, nicht zu lachen. Es war egal, dass ich die Vorstellung hasste, Cherry genannt zu werden, wie eine Liebesdienerin … allein die peinliche Art, wie ich die Stimme gesenkt hatte, würde mich für den Rest meines Lebens verfolgen.

Jetzt drehte er sich ganz um, schenkte mir seine volle Aufmerksamkeit, komplett mit zusammengekniffenen Augen und schiefem Grinsen. Falls er meine Unbeholfenheit bemerkte, ließ er sich jedenfalls nichts davon anmerken. »Vorsicht. Könnte sein, dass ich Sie beim Wort nehme.«

Ryan riss tatsächlich eine Faust in die Luft, was meiner Konzentration auch nicht weiterhalf. »Würden Sie?«, fragte ich.

Hätte ich bisher in unserem Gespräch irgendwelche Punkte gesammelt, hätte spätestens meine stotternde Antwort dafür gesorgt, dass ich sie wieder verlor – aber entweder es fiel ihm nicht auf, oder es war ihm egal. Er stand einfach nur da, wirkte vollkommen ruhig und kontrolliert und musterte mich von Kopf bis Fuß. Er steckte sich den Bagel in den Mund und hielt ihn mit den Zähnen fest. Dann schob er sich die Kuchenschachtel unter den Arm und schnappte sich eine Vase voller Blumen, die auf dem Tresen stand. Er schenkte mir ein freundliches Nicken und wandte sich ab, um zu gehen.

»Was zur Hölle?«, fragte ich. Mein Hirn war zwar noch mit dem verzweifelten Versuch beschäftigt, die ganze Situation zu verarbeiten, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er gerade meine Blumen stahl.

»Tut mir leid«, sagte er, seine Worte gedämpft von dem Bagel zwischen seinen Zähnen. »Ich stehle Dinge. Das ist eine Krankheit.« Oder zumindest glaube ich, dass er das sagte.

Und ohne ein weiteres Lächeln oder auch nur ein Zwinkern verschwand er.

»Wow!«, sagte Ryan und fing langsam an zu klatschen. Ich hatte nicht vor, mich dem Applaus anzuschließen. »Dieser schöne, schöne Mann. Er hat deine Kirsche geklaut und dir gleich auch noch das Blümchen gestohlen. Respekt.«

Ich stemmte erschöpft meine Ellbogen auf den Tresen und stieß die Luft aus, von der ich nicht mal gewusst hatte, dass ich sie angehalten hatte. »Streng genommen«, sagte ich schlecht gelaunt, »hat er für meine Kirsche bezahlt. Er hat nur mein Blümchen gestohlen.«

Ryan schnaubte. »Du unartiges Mädchen.«

Ich schlug ihn auf den Arm, grinste aber trotzdem. »Du bist schrecklich. Das ist alles deine Schuld. Dessen bist du dir doch bewusst, oder?«

Er schlenderte zu der Stelle, von der William die Blumen genommen hatte, und hob etwas auf, was wie eine Visitenkarte aussah. »Was genau hältst du mir vor? Dass ich Thor dazu gebracht habe, dich anzubaggern … oder die Tatsache, dass er dir seine Nummer hinterlassen hat?«

»Lass mich das sehen«, sagte ich und riss ihm die Visitenkarte aus der Hand. »William Chamberson«, las ich langsam. »CEO von Galleon Enterprises. Kennst du die Firma?«

»Galleon?« Ryan zog mir die Karte wieder aus den Fingern, starrte sie an und zuckte schließlich mit den Achseln. »Nie gehört. Aber ich habe schon von CEOs gehört.«

»Muss eine ziemlich kleine Firma sein, wenn der Chef herumläuft und Blumen aus Bäckereien stiehlt.«

»Wen interessiert’s? Dieser Kerl könnte der Chef eines Hotdog-Standes sein. Du wirst von keinem Mann ein direkteres Angebot bekommen. Er ist zum Abschuss freigegeben.«

Ich schnaubte. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast glauben, du willst mit ihm ausgehen.«

Ryan lachte. »Ich bin mir sicher, dass es dort draußen Männer gibt, die dieses Angebot nicht ablehnen würden. Aber ich meine ja nur. Du bist wie eine Schwester für mich, und ich habe gesehen, wie du manchmal dreinschaust.«

»Und das wäre?«, fragte ich, obwohl ich eine ziemlich klare Vorstellung davon hatte, wovon er sprach.

»Als wärst du das Mädchen beim Schulball, das den ganzen Abend über von keinem einzigen Jungen auch nur angesprochen wird.«

»Bin ich wirklich so jämmerlich?«

Er schenkte mir sein sanftes Lächeln. »Jämmerlich? Nein. Aber ich hasse es, dich so zu sehen. Gib dem Kerl eine Chance. Was ist das Schlimmste, was passieren könnte?«

»Ich ende in seinem Tiefkühlschrank, in kleine Stücke gehackt? Oder vielleicht hat er eine Sammlung von präparierten Tieren, die er mir zeigen will.«

Ryan sah auf und neigte leicht den Kopf, als müsse er über diese Vorstellung nachdenken. »Okay. Lass mich die Frage anders formulieren. Was ist das Beste, was passieren könnte?«

Ich grinste. »Er entpuppt sich als heimlicher Back-Enthusiast, und wir backen zusammen Kekse, füttern uns gegenseitig mit Zuckerguss, um uns dann mit Schokosirup …«

»Igitt! Sorg dafür, dass er niemals von dieser Fantasie erfährt. Und auch sonst niemand. Sonst müssen wir den Laden in Die perverse Bäckerin umbenennen.«

»Spielt sowieso keine Rolle. Ich werde auf keinen Fall um ein Date betteln. Hast du irgendeine Vorstellung, wie erniedrigend das wäre? Er hat schon Glück, wenn ich ihn überhaupt anrufe.«

 

Ein Apfel am Tag hält jeden fern, wenn man ihn nur hart genug wirft.