Hauptmann, Gaby Lebenslang mein Ehemann?

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Für meine Schwester Karin

 

© Piper Verlag GmbH, München 2019
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Sanne

Meine Tochter sagte, es seien die Hochhaus-Hyänen.

Das half mir auch nicht weiter. Aber zumindest bin ich abends mal hingegangen, ich wollte sie mit eigenen Augen sehen, diese Frauen, die aufgespritzt und zurechtgemacht vor den Banktürmen auf ihre Beute warten. Immer zur gleichen Zeit, sagte meine Tochter. Und wenn sie dann aus ihren Büros kommen, die Businessmen, werden sie taxiert. Von Weitem Anzug und Schuhe. Beim Näherkommen Gürtel und Krawatte. Und ganz wichtig: die Uhr! Zum Feinjustieren noch die Frisur. Starfriseur oder Türke um die Ecke?

Dann schlagen sie zu.

Aufrechter Sitz, Beine überschlagen, Busen präsentieren, Lippen schürzen. Die gebleachten Zähne zeigen. Sie wissen: Es gibt Männer, die wollen genau so eine Frau an ihrer Seite. Keine zum Diskutieren, keine für eine gemeinsame Zukunft. Ihre eigene Zukunft haben diese Männer schon fest im Auge, diese Zukunft braucht ein schmückendes Beiwerk, etwas fürs Bett, eine Kreditkarten-Beauty.

Meine Tochter kennt sich aus. Sie arbeitet ebenfalls in einem der Banktürme und sieht sie Abend für Abend dort sitzen.

Ich habe es zu spät gemerkt.

Sie heißt Amanda, hat mir meine Tochter eines Abends gesagt. Oder sie nennt sich zumindest so.

Aha, habe ich total blauäugig geantwortet, und was soll mir das jetzt sagen?

Nur falls du dich wunderst, dass Papa plötzlich Überstunden macht. Und so.

Und so?

Und so??

Er hat einen neuen Chef, antwortete ich naiv.

Ja, sagte sie, der Chef heißt Amanda und ist eine Hochhaus-Hyäne.

Ich war sprachlos. Dann beobachtete ich ihn. Und unser Bankkonto.

Es tat sich was.

Sowohl auf unserem Konto wie auch bei ihm selbst.

Diametral zu seiner schwellenden Brust nahm unser Kontostand ab. Nicht, dass mich das sonderlich beunruhigt hätte, ich verdiene mein eigenes Geld. Ich bin nicht abhängig von seinem Einkommen als Investmentbanker. Aber eines wollte ich doch wissen: Wozu brauchst du zurzeit eigentlich so viel Geld?

Und er: Ich habe ein paar neue Firmen im Blick. Die Aktien gehen gerade runter, aber die werden gewaltig kommen.

Wer gerade gewaltig kam, war er, da war ich mir sicher, allerdings nicht bei mir.

Unser Sex beschränkte sich auf ein Minimum. Midlife-Crisis, sagte er. Ich kann derzeit nicht.

Kopfsache.

Unterleibssache, dachte ich. Amanda.

Eine Hochhaus-Hyäne. Muss ich mich mit so einer auseinandersetzen? Hab ich das nötig? Aber sehen wollte ich sie doch. Ich bin hin, aber sie war nicht da. Wozu auch, sie hatte ihren Fisch ja an der Angel.

An dem Tag aber, als mir meine Tochter verkündete, sie säße wieder dort, wusste ich: Ich hatte meinen Gatten zurück. Nach vier Monaten.

Die schau ich mir an, sagte ich.

Brauchst du nicht, entgegnete sie, die sieht genau aus wie die anderen. Zum Verwechseln ähnlich.

Trotzdem!, sagte ich.

Sie zuckte nur die Schultern. Jedenfalls hast du ihn jetzt wieder, sagte sie und verzog ihr schönes junges Gesicht zu einem schmallippigen Lächeln.

Die Frage war nur: Wollte ich ihn noch?

Amanda

Ich habe den kleinen hellen Streifen an seinem Ringfinger gleich gesehen. Abgestreift oder frisch geschieden. Egal. Wenn abgestreift, dann sucht er was. Wenn frisch geschieden … auch.

Sein Blick war forschend.

Gut, er war jetzt nicht der Beau, auf den ich gleich abgefahren wäre, aber er war ein Typ aus der oberen Etage, das sah ich sofort.

Und dass er hier, in dem kleinen Café, zum ersten Mal auftauchte, sah ich auch.

Zum einen daran, wie er sich umsah, zum anderen, weil ich ihn noch nie gesehen hatte.

Er war sehr gut gekleidet, modern geschnittener Anzug, teures Hemd. Einer, dem die Klamotten morgens anziehbereit auf das Bett gelegt wurden?

Vielleicht.

Vielleicht steckte seine Frau dahinter. Auch seine Schuhe. Nicht die 08/15 aus einem der teuren Schuhgeschäfte aus der Goethestraße … nein, das sah nach individuellem Geschmack aus. Irgendwo aus Italien? Mailand?

Auch das Werk seiner Frau?

Egal.

Sein Blick suchte – und fand mich.

Das war nicht schwer, denn ich saß auf dem Barhocker in der Nähe des Eingangs. Er musste an mir vorbei.

Mein Blick konnte fesseln, das weiß ich, seit ich Johann hatte. Vom ersten Moment an hat mich dein Blick gefesselt, hatte er mir gesagt. Damals war ich sechzehn und er 28. Und mir war klar: Ich hatte was.

Ich konnte Männer fesseln. Einfach so – mit meinem Blick.

Ich glaube, auf die Art hab ich viel erreicht. Dabei bin ich noch nicht mal die Schönste, zumindest nicht hier, denn hier ist die Konkurrenz groß.

Andere haben offensichtlich mehr Geld für Schönheits-OPs.

Und ich?

Ich habe meinen Blick.

Auf den sprang er an.

Ihr Glas ist ja schon fast leer, sagte er.

Ich spielte das Spiel mit, hob das halb leere Sektglas etwas in die Höhe und betrachtete zunächst den Inhalt, dann ihn bedauernd.

Ja, sagte ich einfach.

Wollen wir das wieder füllen?

Gern.

Er nickte, blieb an meinem Tisch stehen und gab dem Kellner ein Zeichen.

Wie er das tat, gefiel mir. Schnell und bestimmt.

Der fackelt nicht lang, dachte ich. Umso besser, dann weiß ich schnell, woran ich bin.

Um viel Zeit zu vergeuden, bin ich bald schon zu alt.

Die nächsten zwei Jahre muss der Sack zu sein. Dann werde ich 32. Time to say goodbye … zumindest meinem bisherigen Leben.

Sanne

Wenn du dir erst mal so richtig bescheuert vorkommst, dann kannst du nicht so schnell in dein altes Leben zurück.

Gut, ich habe ihn wieder.

Ich merkte es schon daran, wie er abends hereinkam, die Krawatte auf den kleinen Beistelltisch warf und sich in den Sessel plumpsen ließ.

Entspannt. Einfach so.

»Schön, wieder hier zu sein«, sagt er.

»Warst du denn fort?«, will ich wissen.

Er grinst nur.

»Jetzt bin ich wieder hier.«

»Schön für dich.«

Wir mustern uns, ich sitze ihm auf der Couch gegenüber, gleiche Ebene, fast gleiche Kopfhöhe.

Ich bin mir nicht sicher, wie ich ihn ansehe. Eine Kampfansage? Scharf? Oder ist mein Blick eher nichtssagend? Gleichgültig?

Er spürt die Spannung.

»Alles okay?«, fragt er, und bevor ich antworten kann: »Was hältst du davon, wenn wir heute Abend essen gehen? Mal wieder zu unserem Lieblingsitaliener? So wie früher?«

»Muss lang her sein.«

»Komm«, sagt er, »das Leben ist schön, es geht weiter, wir müssen feiern.«

»Was müssen wir denn feiern?«, frage ich.

»Das Leben.«

Amanda

Das Appartement, das er mir gemietet hat, war schon mal ein ganz guter Anfang.

Er tut was, habe ich gedacht, als er den Vertrag unterschrieben und mir wie einen kostbaren Diamantring in die Hand gelegt hat.

Ein erster Schritt. Besser wäre ein Kaufvertrag gewesen, aber das kommt noch, habe ich gedacht und ihn mit dem besten Sex belohnt, den er sicher seit Langem gehabt hatte.

Schrittchenweise, das ist die Sache.

Anheizen – und dann nachlassen.

Er muss wissen, dass schön Essen gehen und ein paar teure Fummel keine Höchstleistungen wert sind. Aber er muss ahnen, dass da noch mehr kommen könnte.

So ist es ganz seine eigene Entscheidung.

Jeder Mann, der einigermaßen Grips in der Birne hat, versteht das System schnell.

Gibst du mir was, geb ich dir was.

Für den Mietvertrag gab’s schon mal was, aber noch nicht das, was er sich ersehnt hat. Ich weiß, worauf er scharf ist. Häppchenweise kapiert er, dass wir darauf hinsteuern, aber noch Luft nach oben ist.

Das Ziel muss – wie bei einem Adventskalender – angesteuert werden. Türchen für Türchen. Leistung, Gegenleistung. Und die Aussicht, dass er es dann für immer haben könnte, das volle Programm.

Sanne

Es ist ganz gut, dass ich eingewilligt habe.

Gut, habe ich gedacht, dann gehen wir zum Italiener. Während ich mich umzog, überlegte ich mir, dass ich ihn nun einfach mal darauf ansprechen würde.

»Ich habe Amanda im Café sitzen sehen, also war mir klar, dass es aus ist zwischen euch.«

Und:

»Denkst du wirklich, du könntest einfach zurückkommen, und alles wäre wie früher?«

Oder:

»Willst du jetzt etwa auch wieder Sex?«

Aber dann sehe ich uns beim Italiener in der spiegelnden Fensterscheibe. Da sitzt sich ein Paar an einem kleinen Tisch gegenüber, zwei Gläser Rotwein und eine Flasche Wasser zwischen sich, eine brennende Kerze und frisches Brot mit Olivenöl und Salz – und hat sich nichts zu sagen.

Alex sucht offensichtlich nach einem Gesprächsthema, ich nicht. Das ist jetzt mal die Umkehrung des Gewohnten. All die vielen Jahre an einem dieser kleinen Tische habe ich das Gespräch am Leben gehalten. Hätte ich nichts gesagt, wäre es wie heute gewesen: still.

Giovanni kommt mehrfach zu uns herüber. Inzwischen habe ich den Verdacht, er will helfen, irgendetwas dazu beitragen, dass die Dinge wieder ins Laufen kommen. Dass alles wieder gut ist.

Ich mag ihn. Er ist eigentlich kein Italiener, sondern Albaner, und gemeinsam mit seiner Frau Flora kennt er weder Ruhetag noch Ferien. Die beiden sind unermüdlich. Und was sie auf den Tisch bringen, ist immer gut – und zudem bezahlbar.

Ein bisschen wie Familie. Vielleicht setzt er sich auch deswegen so ein. Er will den Familienfrieden wiederherstellen.

Als er meine Spaghetti mit Soße serviert, seine eigene, scharfe Mischung, kommt mir ein anderer Gedanke.

War Alex mit Amanda hier?

Ist seine große Freundlichkeit Ausdruck seines schlechten Gewissens?

Ich frage ihn nicht, ich bleibe freundlich und Alex gegenüber unverbindlich. Und dann kommt mir plötzlich eine Idee. So urplötzlich und dabei so unglaublich klar und bildhaft, dass ich fast aufgesprungen wäre.

Ja, denke ich und lächele Alex an, der sofort entwaffnend zurücklächelt. Aus meinem Lächeln schließt er wohl, dass wir die Nach-Amanda-Kurve noch einmal kriegen.

Ein Zeichen der Versöhnung.

So sieht er das.

Ich hebe mein Glas und stoße mit ihm an.

»Schön«, sagt er. »Das freut mich.«

»Mich auch«, erkläre ich und spüre, wie die Aufregung nach mir greift.

Ich würde etwas ganz Verrücktes tun, etwas Gewagtes, etwas Unerhörtes, ich würde als Au-pair ins Ausland gehen. Hört man nicht immer wieder davon? Gestandene Frauen, die sich irgendwo auf dieser Welt in einer Familie einbringen? Ein halbes Jahr, denke ich. Sechs Monate. Ich werde im Büro nachfragen. Alle legen ein Sabbat-Jahr ein, überall hört man davon. Warum ich nicht auch mal?

Mir muss Farbe ins Gesicht geschossen sein, denn Alex zwinkert mir zu.

»Geht es dir gut?«

»Ja«, erkläre ich inbrünstig. »Wahnsinn!«

»Wahnsinn?« Seine Augen verraten, dass er unsicher wird. »Meinetwegen?«

Ich greife spontan nach seiner Hand.

»Wir sind beide fast fünfzig Jahre alt. Wir sind unabhängig, gehören noch nicht zum alten Eisen. Wir sind fit, haben keine größeren Sorgen und stehen mitten im Leben …«

Alex rührt sich nicht.

»Wir haben noch Träume«, fahre ich fort.

Er wagt nicht einmal zu nicken. Sicherlich denkt er, ich fange von Amanda an, schießt es mir durch den Kopf. Darüber muss ich lachen.

»Was ist so lustig?«

»Die Komödie«, ich lasse seine Hand los und greife nach meinem Weinglas, »die Komödie des Lebens. Erster Akt. Jetzt kommt der zweite.«

»Ich versteh nicht, was du mir sagen willst.«

»Ich verstehe es grad selbst noch nicht«, gebe ich zu, »aber ich arbeite daran. Da darfst du sicher sein. Ich will ein größeres Stück vom Lebenskuchen abhaben.«

Alex senkt den Kopf und dreht den Ehering an seiner rechten Hand. Er sitzt locker, fällt mir auf. Wie oft hat er ihn wohl in der letzten Zeit an- und abgezogen?

»Heißt das«, er blickt wieder auf, »heißt das …«

»… ob ich mir einen Liebhaber nehme?« Ich schüttele den Kopf. »Keinen Bedarf. Diese Art von Bestätigung brauche ich nicht.«

»Alles in Ordnung?« Flora steht am Tisch.

»Alles bestens«, erklärt Alex sofort. Ich sehe sie irritiert an, dann erkenne ich, was sie meint. Wir haben unser Essen noch gar nicht angerührt.

Amanda

Ich bin keine Hausfrau, wirklich nicht. Ich habe auch keinen echten Beruf, das weiß ich. Ich glaube aber, dass ich eine ganz gute Mutter sein könnte. Zumindest mag ich Kinder und hab Spaß mit ihnen. Wenn Kinder für einen geschiedenen Mann überhaupt noch ein Thema sind. Mit fünfzig hat man das vielleicht schon hinter sich. Macht nichts, ich kann mich anpassen, dann halte ich mir eben ein Haustier. Einen Hund vielleicht oder eine Katze.

Mit Alexander hätte ich zumindest einen Mann, der sich ein gutes Leben leisten kann. Und wenn er ein gutes Leben führt, tut es seine Frau automatisch auch. Also ich. In Zukunft.

Ja, ehrlich, ich könnte keinen nehmen, bei dem ich arbeiten müsste. So groß kann die Liebe gar nicht sein. Ich hab das bei meinen Eltern gesehen, die sind aus dem Schlamassel einfach nie rausgekommen. Irgendwann hatte mein Vater keine Lust mehr, drei Mäuler zu stopfen, und weg war er. Da saß meine Mutter alleine mit uns da, was die Sache auch nicht besser machte. Jetzt lebt sie von einer Rente, die keine ist – und er hat sich in Luft aufgelöst.

Ganz sicher werde ich auf keinen dieser Typen hereinfallen. Aufgeblähte Oberarme, markige Sprüche – und sonst nichts auf der Pfanne, mit mir nicht.

Die Mischung macht’s, das habe ich gelernt, und dafür bin ich meiner Schulkameradin Bea total dankbar. Ihre Eltern führten ein so großes und offenes Haus, dass es nicht auffiel, ob sie zwei oder mehr Schulkameraden mit nach Hause brachte. Weißer Marmor, teure Teppiche und eine Haushälterin, die alles in Schuss hielt. Beim ersten Mal dachte ich, ich sei in einem Film. Ich war gerade mal zehn und dank der Fürsprache meiner Lehrerin aufs Gymnasium gekommen. Als sogenanntes Arbeiterkind, das war an sich schon mal eine Sensation. Dass mich dann ausgerechnet Bea als Freundin auserkor, war fantastisch. Ich sehe mich noch, wie ich an der Haustüre die Schuhe auszog und durch die Räume schlich, immer in der Sorge, ich könne etwas kaputt machen. Oder überhaupt falsch machen. Ich traute mich ja kaum, am Tisch zu essen. Das ganze Geschirr hatte das gleiche Muster. Ich fand das beeindruckend und erzählte meiner Mutter abends davon. Sie meinte nur: »Hoffentlich setzen die dir keine Flausen in den Kopf.«

Ich dachte nur: Hoffentlich will Bea nicht irgendwann mit zu mir nach Hause.

Sanne

Wenn man voller Zuversicht ist, ist das einfach ein geniales Gefühl. So geht es mir, seitdem ich diese Idee geboren habe. Ich bin beschwingt, leichtfüßig, wache morgens mit guten Gedanken auf und gehe meinen Tag mit einem Lächeln an. So bin ich lange nicht mehr draufgewesen. Ich bin so gut drauf, dass ich sogar mit Alex geschlafen habe, obwohl ich das gar nicht vorhatte. Und auch nicht brauchte. Die Endorphine durchströmen meinen Körper auch ganz ohne Sex.

Was mich erstaunte, war, dass er keine Probleme hatte.

Ich hätte die als Mann schon, wenn ich gerade die eine verlassen hätte und von der anderen nicht so richtig wüsste, was sie eigentlich im Schilde führt.

Denn dass etwas kommt, das ahnt er. Er weiß nur noch nicht, was. Und ich habe nicht vor, irgendjemandem etwas zu erzählen, solange meine Idee noch nicht konkret genug geworden ist. Gerade läuft mein Antrag auf Freistellung im Büro. Für ein Jahr. Dies sei kaum zu realisieren, vor allem nicht so schnell, das war die direkte Auskunft. Ich reduzierte auf sechs Monate, was ich ja sowieso vorhatte. Darüber wird jetzt nachgedacht.

Aber ich merke, dass ich doch eine Gesprächspartnerin brauche, und rufe meine Tochter an. Sie ist totale Realistin, anders als ich. Und völlig anders strukturiert. Der wissenschaftliche Typ, während ich eher der Empfindungsmensch bin. Kopfmensch gegen Bauchmensch. Wahrscheinlich ist sie auch das einzige Kind, das je der Mutter erklärt hat, sie hätte strenger sein sollen. An dieses Gespräch, da war sie etwa 18, erinnere ich mich noch gut:

»Aber ich wollte dir Freiheit geben.«

»Ein Kind braucht keine Freiheit, es braucht Regeln.«

»Die hattest du doch.«

»Ich habe sie aber nicht eingehalten.«

»Na ja. Zwischendurch … habe ich sogar darüber nachgedacht, dich in ein Internat zu geben. Ich habe mir damals Informationsmaterial aus Salem kommen lassen.«

»Das hättest du mal tun sollen.«

»Du wolltest aber nicht.«

»Du hättest dich halt durchsetzen müssen. Woher soll ein Kind wissen, was gut für es ist und was schlecht?«

»Ein Internat. Das war mir dann doch zu hart!«

»Es hätte mir sicher gutgetan, und ich wäre mit internationalen Schülern aufgewachsen. Netzwerke weltweit. Überleg doch mal.«

»Ich überlege gerade.«

»Ja, aber zu spät.«

Das ist meine Tochter. Ich glaube, ich möchte nicht ihre Tochter sein, sollte sie je eine bekommen.

Trotzdem. Ich rufe sie an.

»Es ist gerade ungünstig«, erklärt sie mir. »Geht es auch um 18.20 Uhr?«

»Brauch ich jetzt einen Telefontermin bei dir?«

»Nein, aber ich brauche Zeit, um dir zuzuhören. Das dauert doch ein bisschen länger, oder?«

Langsam komme ich mir wirklich schon vor, als hätten sich unsere Rollen vertauscht. Um dem gleich entgegenzuwirken, lade ich sie zum Essen ein. Essen gehen ist immer gut, sie verdient noch nicht so viel, und ein eigenes Leben ist teuer. Zumal in einer Großstadt.

Amanda

Gegen eine Ehefrau anzukommen ist nicht einfach. Die meisten fremdgehenden Männer wollen ein Abenteuer, aber keine Verantwortung. Sie wollen ihr Nest zu Hause, das Gewohnte, den normalen Ablauf, keine unnötige Aufregung.

Die Aufregung soll ihnen diejenige bescheren, die sie ihre Geliebte nennen. Oder ihr Abenteuer. Oder die Nebenfrau. Oder was auch immer.

Aus der Rolle der Nebenfrau herauszuwachsen, das ist eine Kunst.

Und sollte man es doch geschafft haben, bei ihm zu landen, dann weiß man genau, was passieren kann, wenn sich die Nächste anschleicht.

Einmal Fremdgeher, immer Fremdgeher.

Also: Vorsicht, dass es nicht eine so macht, wie man es selbst geschafft hat. Wachsam sein.

Ich hatte die feste Absicht, das Heimchen an Alex’ Herd zu vertreiben.

»Wärst du auch so, wenn du nicht meine Geliebte wärst?«, fragte er mich eines Abends, als er ins Appartement kam und ich alles schön gerichtet hatte … Kerzenlicht, Wein, kleine Snacks – und mich selbst.

»Was meinst du?«, fragte ich betont arglos.

»Na, das alles hier«, er machte eine ausgreifende Bewegung und griff dann an meinen nackten Po, was nicht schwer war, denn ich trug nichts weiter als ein durchsichtiges Spitzenkleidchen.

»Ich wüsste nicht, wie es anders sein sollte«, sagte ich.

»Na«, er zog sein Jackett und auch gleich seine Hose aus, »normalerweise kommt man heim, und niemand ist da. Dann geht man durchs Haus und schließlich in die Küche, macht den Kühlschrank auf. Alles da, bloß nichts, was einem schmeckt. Grünfutter und irgendwelche seltsamen Brotaufstriche. Dann entdeckt man die Nachricht auf dem Handy. Bin länger im Büro, richtest du schon mal was? Und die Wäsche ist noch in der Waschmaschine. Die sollte in den Trockner. Dann denkst du, wieso bin ich nicht Single und habe eine Haushälterin? Und du schreibst: Ich kann die Waschmaschine nicht bedienen, weiß nicht, wie das geht. Und du bekommst postwendend die Antwort: Darüber müssen wir reden. Und du bist für den Rest des Abends bedient.«

»Ach, du Armer«, sagte ich verständnisvoll. »Das ist ja bitter. Nein, da, wo ich aufgewachsen bin, sind die Männer die Nummer eins. Da arbeiten die Frauen nicht und nehmen sich Zeit, sich um ihre Männer zu kümmern.«

»Du sprichst vom Paradies«, sagte er und zog mich aufs Sofa. »Dann bist du jetzt Eva, und ich bin Adam.«

Sanne

Elena sitzt schon an einem der kleinen Tische, als ich komme, und wirft einen kurzen Blick auf ihre Uhr.

»Sorry«, sage ich, und sie steht auf, um mich zu begrüßen, »ich habe so schnell keinen Parkplatz gefunden. Musste kreisen.«

»Das kennt man ja in Frankfurt«, sagt sie.

»Meine perfekte Tochter«, witzele ich, worauf sie nur etwas die Achseln hebt.

Sie sieht gut aus, denke ich, während ich mich ihr gegenüber hinsetze. Der strenge Businesslook steht ihr, sie ist sehr dezent geschminkt, und ihre langen Haare hat sie seitlich zusammengebunden.

»Na, und«, will sie wissen, »seid ihr nun wieder ein glückliches harmonisches Paar, Papa und du?«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

»Wie würdest du nach so einer Geschichte reagieren?«

Sie schüttelt nur leicht den Kopf und greift nach der Speisekarte, die ihr die Bedienung gerade hinhält. »Ich hätte schon früher reagiert.«

»Und wie?«

»Ich hätte ihn rausgeschmissen.«

»Kurz und zackig«, sage ich und denke, sie ist halt doch eine Reiterin, das merkt man. Durch hieß die Devise während ihrer aktiven Turnierjahre, egal, was da kam, wie hoch das Hindernis oder wie breit der Graben war.

Wir sitzen in ihrem Lieblingsrestaurant, ebenfalls ein Italiener, aber vom Ambiente gehobener als unser Lieblingsitaliener. Beim Durchblättern der Speisekarte finde ich es erstaunlich, dass es neben der italienisch gehobenen Küche doch auch Pizza und Pasta auf der Karte gibt. Und zwar zu passablen Preisen. Hätte ich nicht gedacht. Dafür lockt das Beiblatt mit seinen Feinschmecker-Empfehlungen: Die gefüllten Ravioli in Buttertrüffelsauce stechen mir ins Auge oder die Doradenfilets in Champagnersauce.

»Bist du oft hier?«, frage ich sie.

Aber sie durchschaut mich sofort.

»Nein, leider selten. Nur wenn ich eingeladen werde.«

»Jedenfalls sehr gemütlich.«

Das stimmt. Die Räumlichkeiten sind ansprechend, der Name des Restaurants auch: La dolce vita. Das war genau mein Thema.

Der Wirt kommt um die Ecke und begrüßt meine Tochter so herzlich, dass ich die Sache mit den seltenen Besuchen nicht mehr glauben kann. »Schön«, sagt er lächelnd. »Warte, ich habe deinen Lieblingsaperitif, genau wie du ihn magst … und …«, er sieht mich fragend an.

»Das ist meine Mama«, erklärt meine Tochter schnell, und seine Freude dehnt sich sofort auf mich aus. »Wie schön, Signora, Sie auch einmal bei uns begrüßen zu dürfen.« Er dreht sich nach seiner Mitarbeiterin um. »Dann pronto pronto, den Lieblingsaperitif an den Tisch. Und einen ganz besonders guten Rotwein habe ich heute auch für dich!« Er zwinkert meiner Tochter zu, die ihm sofort ein strahlendes Lächeln schenkt. Und als ich dieses Strahlen sehe, das über ihr gesamtes Gesicht gleitet, weiß ich sofort, weshalb alle so um sie herumwuseln: Sie hat einen ganz natürlichen Charme. Und der steht ihr ins Gesicht geschrieben. Wenn sie will.

»Toll, Mama«, sagt sie zu mir, nachdem wir wieder alleine sind. »Ich freue mich total, mal wieder hier zu sein. Die sind hier alle so nett!«

Ich nicke.

»Und ich weiß auch schon, was ich esse«, erklärt sie.

»Du bist aber schnell.«

»Nein, ich esse das immer hier. Ich freu mich schon drauf.«

»Aha.«

Vielleicht hat sie ja eine Gehaltserhöhung bekommen und es vorgezogen, uns davon mal nichts zu erzählen – denn schließlich schießen wir noch regelmäßig zu.

»Und was?«

»Pasta mista. Das sind drei verschiedene Sorten. Trüffelnudeln, Ravioli gefüllt mit Feige und Parmaschinken und Spaghettini al pesto.«

»Hört sich gut an.«

»Ja«, sie sprüht förmlich, »und wenn nicht das, dann Tagliatelle im Parmesannest mit Trüffeln. Das ist auch super!« Sie überlegt. »Aber das kannst du ja nehmen, dann haben wir beides …«

Ich ergebe mich. Auch dem Aperitif, der uns eben serviert wird.

»Kir Royal«, sagt der Mitarbeiter im weißen Hemd und schwarzer Krawatte und nickt uns zu. »Gruß vom Chef.«

Zunächst komme ich nun nicht mehr zu Wort, denn Elenas Leben steht gerade vor ein paar beruflichen Weggabelungen. Sie überlegt laut, welcher Weg für ihre Karriere wohl der bessere sei, und ich überlege mit, ohne allzu viel davon zu verstehen.

Macht aber nichts, ich glaube, sie braucht nur eine Zuhörerin, um sich anschließend selbst zu beraten. Jedenfalls sind wir schon beim Dessert, als ihr mein Anruf wieder einfällt.

»Aber du wolltest mir ja was erzählen, hast du gesagt.«

»Ja. Ich habe eine Idee. Vielleicht ein bisschen verwegen, aber genau darüber wollte ich mit dir reden. Findest du es gut oder abwegig?«

»Wenn du mir sagst, worum es sich handelt, kann ich es beurteilen.«

»Gut.« Ich hebe mein Rotweinglas, und meine Tochter stößt mit mir an. »Wie schmeckt er dir?«, fragt sie.

»Sehr gut«, lobe ich, »fast zu gut! Ich muss noch fahren.«

Sie zuckt mit den Achseln. »Du hast ja gut gegessen. Aber schieß los, ich bin jetzt wirklich neugierig.«

Ich erzähle ihr von meiner Idee. Und dass ich auch gleich im Internet gestöbert und einen Anbieter gefunden habe. Und jede Menge Berichte von Grannys, die tatsächlich überall auf der Welt unterwegs sind. Ich kann meine Begeisterung kaum bremsen

»Haben wir Geldsorgen?«, will sie wissen.

»Wie kommst du denn jetzt darauf?«

»Ja, warum machst du nicht einfach eine Weltreise, zigeunerst so ein bisschen herum? So ein Au-pair-Job, das hört sich doch stressig an.«

»Ich denke jetzt mal, nicht stressiger als zu Hause mit dir und Papa, dem Haushalt, den Schwiegereltern und meinem Job.«

»Den Schwiegereltern.« Sie muss lachen. »Ja, stimmt. Papa hat ja einfach seine Eltern bei dir abgegeben. Also Oma Elfriede war schon …«, sie überlegt, »… gewöhnungsbedürftig mit ihren ganzen Marotten.«

Kurze Pause. »Aber auch eine liebe Oma.«

Weil man über Tote ja nicht schlecht sprechen soll, denke ich.

»Und du willst wirklich? So als Au-pair? Die sind doch eigentlich jung?«

Ich nehme noch einen Schluck. Vielleicht musste ich mich ja auch selbst überzeugen.

»Ja. Früher. Inzwischen hat der Markt die Au-pairs über fünfzig entdeckt.«

»Ja«, sagt sie und sieht mich an. »Macht ja auch irgendwie Sinn. Aber noch mal. Wieso verreist du nicht einfach? Kreuzfahrt, Studienreise, was weiß ich?«

Ja, komisch, denke ich selbst. Wieso verreise ich nicht einfach? Die Idee ist mir gar nicht gekommen.

»Vielleicht will ich ein Ziel haben? Vielleicht brauche ich ein Nest? Vielleicht fehlt mir aber einfach auch der Mut, alleine zu reisen?«

Elena schüttelt den Kopf. »Aber um in irgendeine fremde Familie in einem fremden Land zu gehen und dich dort mit den Kindern und dem Haushalt herumzuschlagen, dafür fehlt dir der Mut nicht?«

»Nein.«

»Du bist eine seltsame Mutter!«

»Danke, das wollte ich hören.«

»Wieso?«

»Das bestärkt mich!«

Elena muss lachen. »Okay. Ich gebe zu, das hat was. Ich find’s gut! Und ich bin sicher, dass du das gut packst!«

»Ehrlich?«

»Ja, wer mit Elfriede ausgekommen ist, der muss mit der ganzen Welt klarkommen.«

Amanda

Es dauerte etwa vier Wochen, dann spürte ich, dass Alex zu mir tendierte. Weg von zu Hause. Ich hatte das Gefühl, dass er seine Arbeitszeit verkürzte, nur um schnell bei mir sein zu können.

Mein Appartement wurde unser Nest. Ich kümmerte mich darum, es für ihn rundum gemütlich zu machen. Gut, ich schummelte auch ein bisschen. Was ich aus der Küche zauberte, war nicht immer von mir gekocht, aber zumindest gut serviert. Und ich fing an, regelmäßig Nachrichten zu hören, war fröhlich und witzig, schlagfertig und smart. Wenn er ein Thema ansprach, konnte ich mitreden.

Bei manchen Dingen wartete ich ab, worauf er den Fokus legte, ich wollte keine politischen Diskussionen, das hätte ich auch gar nicht gekonnt – ich wollte nur etwas zu seiner Meinung beisteuern. Das gelang mir. Eines Abends hielt er mich nach den Tagesthemen im Arm und fand, dass eine Frau, die für alles Verständnis habe, einfach Spaß mache.

Und mir machte es auch Spaß. Ehrlich.

Ich war gut versorgt, ich hatte Zeit und keine Geldsorgen, er zahlte alles und ließ mir immer ein sattes Spielgeld da.

Ich war zwar nicht verliebt, aber ich fing an, ihn wirklich zu mögen. Er hat einen guten Charakter, er lästert nicht über seine Frau, sondern lässt seine häuslichen Angelegenheiten einfach unerwähnt. Mir war das sehr lieb. Wer über seine Frau herzieht, wird das bald auch über die Geliebte machen – oder überhaupt über alle anderen Menschen. Ich mag von keinen sexuellen Eroberungen hören, und ich mag auch keine preisgeben.

Schön häuslich, so ließ es sich gut an.

Häuslich mit einem Schuss Spannung, denn er wusste nie, was ich mir hatte einfallen lassen.

Die erste kleine Kostprobe waren seine verbundenen Augen. Er lag ausgestreckt und nackt auf dem Bett und wusste nicht, wo ich ihn berühren, was ich tun würde. Es machte ihn tierisch an. Und mir war klar, dieser Mann liebte Spielchen.

Die würde er bekommen.

Nach und nach, mehr und mehr.

Dann lud er mich ein. Auf ein Wochenende in Berlin.

Nun gut, Berlin war nicht London, Mailand oder Paris, aber auch nicht schlecht.

Ich fragte nicht nach, wie er das zu Hause erklärt hat.

Ich packte meinen Koffer und vergaß natürlich die passenden Schuhe zu meinem neuen Designerkleid, das er mir erst kürzlich geschenkt hatte.

Ich glaube, das freute ihn sogar, denn so konnte er mir neben all den bekannten Sehenswürdigkeiten auch noch beweisen, dass er sich auskannte. Ein Mann von Welt eben, der sofort einen sündteuren Schuhtempel ansteuerte und sich dort einen Spaß daraus machte, mich mindestens zwanzig Schuhe anprobieren zu lassen. Es gefiel ihm, wenn ich mich mit meinem kurzen Rock hinsetzte, langsam die Schuhe anzog und dann vor ihm hin- und herstöckelte. Ich glaube, im Geheimen sah er etwas ganz anderes und malte sich auch etwas anderes aus, denn er kaufte gleich drei Paar.

Ich verbot mir den Gedanken, dass doch alle Männer gleich sind.

Ich wollte ihn haben, also war das mein Job.

So sehe ich das.

Sanne

Das Gespräch mit meiner Tochter hat mich bestärkt. Ich setze mich abends gleich an den PC und gehe es an. Auf der Agentur-Seite für Granny-Au-pairs steht: Benutzername, E-Mail-Adresse … und dann schlägt mein Herz heftiger:

Granny

Familie sucht Granny-Au-pair

Suche Gesellschafterin

Suche Housesitterin.

Genial, denke ich.

Mensch! Was es alles gibt? Und vor allem: Was es alles gibt, von dem ich nichts weiß!

Soll ich für Alex gleich mal eine Gesellschafterin suchen, während ich als Granny unterwegs bin?

Der Gedanke bringt mich zum Lachen. Nein, sicher nicht. Er muss sich schon selbst helfen. Und bestimmt wird er sich zu helfen wissen.

Ich gebe meine Daten ein.

Es ist ein Gefühl, als würde ich etwas wahnsinnig Abenteuerliches tun. Als würde ich mich für die Besteigung des Himalaja anmelden. Oder zum Tiefschneefahren in Kanada. Oder Wildwasserrafting im Grand Canyon. Irgendetwas, das mein derzeitiges Vorstellungsvermögen übersteigt. Und eine echte Herausforderung ist. Und mir gleichermaßen Freude und Angst einflößt.

In diesem Moment höre ich die Haustüre zugehen.

Alex ist da, früher, als ich es in den letzten Monaten von ihm gewöhnt war.

Euphorisch laufe ich ihm entgegen und küsse ihn auf die Nasenspitze.

»Hoppla«, sagt er. »Das passt ja dann gerade zu dem …«, und er zieht einen Blumenstrauß hervor, den er hinter seinem Rücken versteckt hat. Rote Rosen, Baccara, meine Lieblingsblumen.

Oje, denke ich und ziehe mich innerlich sofort zurück. Und ich glaube, dass mein Mund offen stehen geblieben ist.

»Möchtest du mich heiraten?«, fragt er und deutet einen Kniefall an.

»Ich …«, stammele ich. Im Moment weiß ich wirklich nicht, wie ich reagieren soll. Vom ersten Gefühl her: schroff. Ich will nicht. Natürlich nicht. Ich will ihn und seine ganze Amanda-Geschichte hinter mir lassen. Auf und davon, das will ich.

Auf der anderen Seite will ich ihn nicht verletzen.

Ha! Ich will ihn nicht verletzen! Bin ich noch ganz bei Trost? Was hat er denn getan?? Mich etwa nicht verletzt?

Trotzdem. Ich kann nicht aus meiner Haut. Ich bin einfach ein Mensch, der keinem anderen wehtun kann. Nicht mal meinem eigenen Mann.

»Wie lieb von dir …«, stammele ich.

»Ja, gut«, er zieht zwei Tickets hervor, »unsere zweite Hochzeitsreise habe ich auch schon in der Tasche …« Über den Witz muss er lachen. »Wir nehmen beide Urlaub und fangen noch einmal von vorn an. Australien. Da wolltest du doch immer hin! Drei Wochen Rundreise. Mit allem Pipapo!«

In meinem Hirn jagt ein Gedanke den nächsten. Seit Jahren versuche ich ihn zu mehr Urlaub zu bewegen. Angeblich war das nie möglich. Wer nach oben will, kann nicht einfach für drei Wochen in den Urlaub gehen, das war die Devise. Jetzt auf einmal doch?

»Jetzt auf einmal?«, frage ich, und ich glaube, mein Misstrauen steht mir ins Gesicht geschrieben.

»Lass uns doch erst mal reingehen«, sagt er. Stimmt. Wir stehen immer noch auf dem Flur.

»Und dann?«, frage ich.

»Dann trinken wir ein Gläschen Champagner, und ich zeige dir unsere Reiseroute.«

»Wir haben keinen Champagner.« Den Zusatz: Ich heiße schließlich nicht Amanda, verkneife ich mir.

»Ich werde schon eine Flasche auftreiben.«

Ganz der alte, ganz der Mann von Welt, denke ich. Zurück in seiner Versorgerrolle, zurück in der Welt, in der er alles beherrscht und vermag. Sogar Champagner auftreiben, wenn keiner da ist.

»Gut«, sage ich und überlege, wann der Zeitpunkt perfekt für meine eigene Ansage wäre. Ich habe allerdings noch nichts in der Hinterhand. Es gibt noch keine Familie, kein Reiseziel, keine Zusage, kein Vertrag, kein gar nichts. Ich kann nichts gegen seine konkreten Pläne anführen.

Ich gehe in unser Wohnzimmer und lasse mich in den Sessel fallen. In genau den, der seit Kurzem seine Rückkehr dokumentiert. Das fällt mir erst auf, als ich schon sitze. Eigentlich wäre ich gern wieder aufgestanden, aber er kniet schon vor mir und hält mir die Blumen hin.

»Willst du sie nicht nehmen?«

»Sie müssen ins Wasser«, weiche ich aus.

Er legt mir den Strauß in den Schoß und geht hinaus. Ich höre ihn an der eingebauten Schrankwand unter der Treppe hantieren, dann seine Schritte in der Küche. Wenig später ist er mit einer wassergefüllten Vase wieder da.

Immerhin weiß er, wo unsere Vasen stehen, denke ich. Das hätte ich bis vor fünf Minuten nicht gedacht.

Er stellt die Vase auf den Couchtisch, pflückt die Rosen aus meinem Schoß und steckt sie in das gläserne Gefäß, nicht ohne sie noch ein bisschen in Form zu zupfen.

Ich betrachte ihn. Er ist auf den ersten Blick kein schöner, aber doch ein ansehnlicher Mann. Groß, schlank, gepflegt. Seine dunkelbraunen Haare bekommen hellere Strähnen, aber er hat noch volles Haar, was ihn jünger macht. Es gibt eigentlich nichts Auffälliges an ihm. Auch sein Gesicht ist harmonisch geschnitten. Ein Mann, dem man gern ins Gesicht sieht, weil das Größenverhältnis von Mund, Nase und Augen stimmt, aber gleichzeitig auch ein Gesicht, das man schnell vergessen kann. Es ist so ebenmäßig, dass es schon fast wieder langweilig ist.

Jetzt lächelt er mich an.

»Ich bin gleich zurück!«

Seine Zähne sind auch ebenmäßig. Von einem natürlichen Weiß. Es gibt weder Ecken noch Kanten an ihm.

Bei mir ist das anders. Mein Kopf beispielsweise ist sogar größer als seiner. Das stört mich auf Fotos, wenn wir nebeneinanderstehen. Um mich zu trösten, schieb ich das immer auf meine Haare, die ich mir vor Jahren zu einem Bob habe schneiden lassen und die manchmal arg wild von meinem Kopf abstehen. Anscheinend mögen meine Haare den Bob nicht. Ich schon, aber so richtig gut sieht es tatsächlich nur aus, wenn ich gerade vom Friseur komme. Ich vertraue aber drauf, dass ich es eines Tages mit Föhn und Rundbürste schon schaffen werde.

Und dann finde ich auch, dass mein Oberkörper im Vergleich zu meinen Beinen zu lang ist. Warum hat mein Körper das im Wachstum verwechselt? Bei einer Frau gehören die Beine lang, nicht der Oberkörper. Bis zu meinem 19. Geburtstag hoffte ich, dass sich das auswachsen würde, aber dann gab ich die Hoffnung auf. Außerdem finde ich, dass mein Becken zu weiblich ist. Heutzutage haben Frauen männliche Becken. Schmal, nicht ausladend. Was wollte mir das Schicksal sagen? Zehn Kinder, wie meine Urgroßmutter? Ich bekam nur eines. So ein »gebärfreudiges« Becken war also von vornherein eine völlige Fehlplanung von Mutter Natur gewesen.

Dafür habe ich straffes Gewebe. Ich tu noch nicht einmal was dafür, es ist einfach da. Vielleicht, weil ich besser gepolstert bin als andere. Zumindest sieht es so aus. In Wahrheit habe ich weder Übergewicht noch Untergewicht, sagt mein Arzt. Er meint, ich sei genau richtig.

Na, ich weiß nicht. Wahrscheinlich hat er auch so ein schmales Reh als Frau und möchte den weiblichen Elchen einfach nur Mut machen.

Aber, und das weiß ich, ich habe ein hübsches Gesicht.

In das hat sich Alex damals sofort verliebt. Sagt er wenigstens.

Ich habe mich zwar nicht sofort in ihn verliebt, als wir uns auf dem Campus kennengelernt haben, aber er legte mir seine Liebe so überschwänglich zu Füßen, dass es mich plötzlich auch überkam. Ich kann mir das heute selbst nicht mehr erklären. Seine Liebe reichte einfach für zwei. Plötzlich liebte ich ihn auch.

Den Moment weiß ich noch genau.

Er hatte mich abends nach Hause begleitet, und als er an der Haustüre umdrehte und wegging, hatte ich auf einen Schlag ein unbändiges Verlustgefühl. Ich wollte ihn nicht gehen lassen.

Auf mein Rufen hin kam er sofort zurück – und das war unsere erste Nacht in dem kleinen Zimmer meiner Studenten-WG. Kurz darauf zogen wir zusammen.

Wir waren 23 und voller Pläne. Er wollte in einer Bank Karriere machen, ich als Steuerberaterin. Wir hatten beide eine Schwäche für Zahlen und viel Fantasie. Wir wollten nie spießig werden, wir wollten alles zusammen machen, wir wollten völlig gleichberechtigt sein. Wir wollten uns immer lieben.

Mit 25 kam Elena.

Das war so früh nicht geplant gewesen, jetzt musste die Strategie geändert werden. Unsere Eltern drängten auf Hochzeit. Wir nicht.

Dann lockte Alexanders Vater mit einem Bausparvertrag, der bald fällig werden würde. Eine kleine Wohnung als Hochzeitsgeschenk.

Wir wollten uns nicht erpressen lassen.

»Sieh doch mal …«, sagte meine Mutter. »Mit Kind! Wenn er dich sitzen lässt?«

»Heutzutage …«, wollte ich kontern.

»Wenn du heiratest, bist du abgesichert. Dann kann er nicht so einfach davonlaufen.«

»Mama! In welcher Welt lebst du?«

In der wahren, erklärte sie mir. Mich hielt sie für eine Traumtänzerin.

Wir heirateten.

Aus Liebe, wie wir betonten. Nicht weil unsere Eltern Druck machten.

Unter einer Ehe hatte ich mir immer was Besonderes vorgestellt: Jetzt bist du verheiratet, jetzt bist du irgendwie erwachsen. Die Partnerschaft ist anders, du fühlst dich anders, verantwortungsbewusster, als Teil eines Ganzen.

Nichts davon ist eingetreten. Ich fühlte mich wie vorher, nur dass ich plötzlich mit einem Baby angebunden war – und Alex nicht. Er musste ja studieren und nebenher jobben, um uns eine Zukunft aufzubauen.

Und ich saß da und fragte mich, wo denn nun eigentlich meine Zukunft war?

Meine eigene Zukunft, mein spezielles Ich?

Wo war ich geblieben?

Irgendwie fühlte ich mich nicht mehr existent. Ich war eine von vielen. Eine, die mit dem Staubsauger durch die Wohnung raste, Windeln im Sonderangebot kaufte, Wäsche wusch, bügelte, Essen kochte, eine, die vor lauter Baby und Haushalt zu nichts mehr kam. Nicht mal mehr zu sich selbst.

Was machst du eigentlich den ganzen Tag?

Wahrscheinlich war es nur ein nettes Nachfragen, das Bekunden von Anteilnahme an meinem Tag. Aber es reichte, dass ich total ausrastete. Ich schrie ihn an, ich tobte so herum, dass Elena aufwachte und ebenfalls anfing zu schreien. Ich nahm sie aus ihrem Bettchen, und mit dem Baby an der Brust bekam ich einen Heulkrampf.

Alles war vorbei, alles war zu spät, ich war Mutter!

Für Alexander brach eine Welt zusammen.

Da arbeitete er Tag und Nacht – und ich war ein undankbares Nervenbündel.

Ich bot ihm einen Rollentausch an: Ich würde wieder an die Uni gehen, in einer Pizzeria jobben, wo ich sowieso mehr Trinkgeld bekäme als er, und er würde den Haushalt schmeißen. Mitsamt Baby und allem, was dazu gehört. Ach ja, Krabbelgruppe. Dorthin bitte nur mit selbst gebackenen Vollkornkeksen, vegan und mit Karottenspänen. Ist gut für die Augen. Das Baby soll ja klar und deutlich sehen können, wie sich seine Mutter aufopfert. Respektive der Vater. Denn das sei ja von vornherein ausgemacht gewesen: Gleichberechtigung.

Diese Übereinkunft war noch keine drei Jahre alt. Aber Alex fand, dass er keinen guten Hausmann abgeben würde. Zu ungeschickt. Leider. Sonst gern.

Im ersten Moment dachte ich sofort an Scheidung!

Dann: okay. Dann halt anders. Uni mit Kind. Muss auch gehen. Meinen Abschluss mach ich auf jeden Fall. Schluss mit gebügelten Hemden, zusammengelegten Socken, zu bügelnden Wäschebergen. Sollen doch die Wollmäuse durch die Wohnung zischen, wer bin ich denn, dass ich die ausschließliche Jagderlaubnis habe?

Ich beschimpfte Alex als typischen Sohn seines erzkonservativen Spießervaters, da sei ja wohl auch nichts anderes zu erwarten gewesen, und ging mit Elena ins Bett. Ins Elternschlafzimmer, wohlgemerkt, und schloss ab. Eine Drei-Zimmer-Wohnung, auch wenn sie klein war, bot ja wohl genug Schlafplatz für einen ausquartierten Mann.

Im Nachhinein denke ich, es war vor allem eines: Trotz!

Aber Trotz mobilisiert unglaubliche Kräfte.

Am nächsten Tag marschierte ich mit Elena an die Uni und informierte mich, wie es weitergehen könnte. Und es ging weiter.

Heute bin ich stolz auf mich.

Und ich bin auch stolz auf Elena.

Sie ist tough und selbstbewusst, selbstständig und intelligent. Und zudem auch schlau.

Schläue ist ein besonderes Geschenk. Ähnlich wie eine besondere Begabung. Mit Lernen kann man schon einiges erreichen. Aber wenn man zudem noch schlau ist, sieht man Wege oder Möglichkeiten, die andere nicht einmal ahnen. Genau wie ein Pianist ohne Begabung das Gefäß seines Könnens nie sprengen wird. Er ist gut, aber er hat Grenzen. Erst mit einer Begabung wächst er darüber hinaus, sprengt die Fesseln.

Ich selbst bin weder schlau, noch habe ich eine besondere Begabung. Vielleicht habe ich sie aber auch noch nicht entdeckt. Vielleicht wäre ich eine talentierte Künstlerin? Ich habe es nie ausprobiert. Ich bin einfach eine Frau, die ungern den Boden unter ihren Füßen verliert. Und ich sehe gern, was auf mich zukommt, um es besser abschätzen zu können. Ich liebe Überraschungen nur bedingt. Schon deshalb nicht, weil ich nicht dumm dastehen will, falls ich nicht damit umgehen kann.

Und nun hat sich genau diese Frau für ein Abenteuer in einem fremden Land angemeldet. Als Granny!

Ganz ehrlich, eigentlich schüttle ich den Kopf über mich. Ich bin mit dieser Aktion so weit von mir entfernt, meinem eigentlichen Ich, dass ich mich fast von außen betrachte.

Während ich noch über mich nachdenke, höre ich Alex zurückkommen. Da ist er doch tatsächlich weggefahren, um eine Flasche Champagner aufzutreiben. Ich habe es noch nicht einmal bemerkt.

Aber jetzt kommt er freudestrahlend herein und bringt einen kalten Luftzug mit.

»Sag ich es nicht?«, ruft er und hält triumphierend die Flasche hoch.

Ich verkneife mir die Frage, ob sie auch kalt sei … ich frage mich eher, wo er sie herbekommen hat. Hat er Amandas Appartement geplündert? Zahlt er es am Ende immer noch?

Amanda

In Berlin habe ich zum ersten Mal gedacht, dass Alexander nicht nur Beute, sondern wirklich ein Mann zum Verlieben sein könnte. Seine ruhige Art, seine Überlegenheit gegenüber Situationen, aber auch gegenüber Menschen, nicht aufgesetzt, sondern einfach da, sein Humor, das alles fand ich zunehmend anziehend. Es kamen Momente, da dachte ich, ich hätte mehr lernen müssen – oder sollte ich mich nun einfach nebenher fortbilden? Es war mir schon klar, dass ich ihm bei manchen Themen einfach keine vollwertige Gesprächspartnerin war. Politik beispielsweise. Ich lese nun halt mal keine anspruchsvollen Zeitungen oder Magazine. Ich lese leichte Kost. Wer mit wem, was passiert, Stammtisch-Politik. Auf den Leser abgestimmt und zugeschnitten, so sagte es mal ein Ex-Lover abschätzig, und in Alexanders Gegenwart denke ich, er hatte recht. Mein Wissen ist bloß Volkes Stimme.

Das hat mich nie gestört. Jetzt doch. An unserem ersten Abend in Berlin kam ich mir ungebildet vor. Er sprach über Politik, über das Verhältnis zu anderen Staaten, über die EU, über notwendige Veränderungen und die neuesten Entwicklungen – und ich hörte nur zu, bemüht, alles irgendwie zu verstehen, zu verarbeiten und möglichst intelligent darauf zu antworten. Aber schnell war mir bewusst, dass meine Antworten aus meinem Revolverblatt stammten und von mir selbst überhaupt nicht durchdacht oder hinterfragt waren. Also hielt ich lieber den Mund.

Er bemerkte es nicht, oder er war charmant genug, es mich nicht merken zu lassen. Ich ging in dieser Nacht jedoch mit einem unbestimmten Gefühl von Unterlegenheit mit ihm ins Bett. Und es kostete mich Mühe, auf Touren zu kommen.

Amanda, sagte ich mir, das tut dir nicht gut.

Du bekommst ihn vielleicht sexuell. Aber du musst mehr liefern, um einen solchen Mann zu halten.

Was ist, wenn er sein Ziel erreicht hat, die bedingungslose Befriedigung seiner sexuellen Befürfnisse?

Wenn ich nicht mehr zu bieten habe, was wird er vorziehen?

Seine gebildete Frau zu Hause mit allem Drum und Dran, und immer mal wieder einen sexuellen Ausflug – oder Sex mit allem Drum und Dran, aber keine Gesprächspartnerin auf seinem Niveau?

Es verhagelte mir in jener Nacht die Laune, und ganz Berlin stand schließlich unter der Erkenntnis: Du musst was tun.

Wieder zu Hause angekommen stürzte ich mich also auf ein für mich völlig neues Feld: Ich las politische Magazine und täglich die Süddeutsche. Ich probierte ein paar neue Kochrezepte aus. Nebenher arbeitete ich an meinem Körper und meinem Aussehen und überlegte mir für jeden Abend ein neues Spielchen.

Ich war so vollauf beschäftigt, ich kam zu sonst nichts mehr. Nicht einmal mehr zu einem Kaffee mit meinen Freundinnen, bildete ich mir ein. Aber jede Abweichung stand meinem Ziel im Weg – und das Ziel hieß: diesen Mann zu kriegen. Mit Haut und Haaren. Ganz.

Scheidung.

Hochzeit.

Amanda.

Nur noch Amanda.

Sanne

Wie er so vor mir steht, die Flasche Champagner triumphierend in der Hand, die vollen Haare durcheinander, das erhitzte Gesicht voller Erwartung, kommt er mir vor wie damals. Plötzlich sehe ich in ihm wieder den jungen Mann von 25 Jahren, den Mann, mit dem ich ein Kind aufziehen und in ein gemeinsames Leben starten wollte.

Es ist verrückt.

Plötzlich habe ich wieder Lust auf ihn.

Mein kurzer Gedanke, woher die Flasche wohl stammen könnte, vergeht so schnell, wie er gekommen ist.

Amanda war gestern.

Heute bin ich da.

Kann das sein? Ich verstehe mich selbst nicht mehr.

Wir ziehen uns aus wie früher. Alles irgendwie runter. Und bevor die Flasche offen ist, sind wir schon auf der Couch, lieben uns so heftig, als hätten wir wochenlang sehnsüchtig aufeinander gewartet. Es ist wie im Rausch, und so empfinde ich es dann auch, als wir schließlich nebeneinanderliegen und uns ansehen. Jeder auf seine Weise erstaunt.

»Hallo, Sanne«, sagt Alex.

»Ach, du bist es?«, antworte ich.

Wir müssen beide lachen, und das vertraute Aneinanderschmiegen ist vielleicht noch schöner als der gierige Sex.

Schließlich steht Alex auf, holt zwei Gläser und öffnet die Flasche.

»Auf uns«, sagt er, als er mir mein Glas reicht. Ich habe mich, nackt, wie ich bin, aufgesetzt und denke dann trotzdem plötzlich an Amanda. An seine Geliebte mit dem jungen Körper.

Der Gedanke tut mir nicht gut.

Wie er mich jetzt wohl sieht?

Alex sieht aus wie immer. Schlanker Körper, das Alter hat ihm nichts anhaben können, vielleicht ein paar hellere Brusthaare, das ist alles.

Andererseits hatte ich bisher nie Probleme mit meinem Körpergefühl, also versuche ich, das beiseitezuwischen.

»Auf uns …«, erwidere ich, »und unser neues Leben.«

Er stößt zwar an und trinkt, aber dann setzt er sich neben mich.

»Unser neues Leben?«, wiederholt er fragend. »Du meinst unsere Zukunft? Unser neues Leben – nach einer kurzen Abstinenz?«

»Nein, das meine ich nicht.«

»Nicht?« Sein Ton ist verständnislos. »Was meinst du dann?«

»Na«, sage ich, »du hast ein neues Leben außerhalb dieser Mauern – und ich auch.«

Sofort verändert sich sein Gesichtsausdruck und bekommt die professionelle Miene des Bankers. Bloß nicht in die Karten schauen lassen, Pokerface.

»Welches neue Leben hast du?«

Auch das war typisch Alex. Sich selbst bedeckt halten und erst mal auf den anderen zu sprechen kommen.

»Ich werde nicht nur die Wohnung wechseln, sondern ein ganzes Land.«

»Du wirst was?«

»Nicht für immer. Für drei Monate vielleicht. Vielleicht auch für sechs. Ja, du hast richtig gehört. Du musst unsere Hochzeitsreise leider verschieben, die Verlobungsreise unternehme ich alleine.«

Er ist so sichtlich eingeschnappt, dass es auch hörbar »klick« hätte machen können.

»Wieso denn das?«, will er wissen und runzelt die Stirn.

Das ist bei seiner außerehelichen Episode unglaublich anmaßend, aber auch irgendwie urkomisch. Vor allem, weil wir hier zu zweit nackt sitzen, ein altes Ehepaar, das gerade tollen Sex gehabt hat und endlich die Wahrheit auspackt.

»Du kannst doch nicht einfach abhauen!«, sagt Alex vorwurfsvoll.

»Kann ich nicht?«, frage ich und nehme einen Schluck.

»Nein!«, erklärt er. »Wie kommst du überhaupt auf so eine Idee? Und wohin?« Sein Blick wird misstrauisch. »Und mit wem?«

»Vielleicht mit Amanda?«, sage ich schneller, als ich denken kann.

»Mit Amanda?«, das kommt langsam. Sein Rücken versteift sich.

»Nun«, erkläre ich, »immerhin verbindet uns doch was.«

Er antwortet nicht, sondern sieht mich nur starr an.

»Ein gemeinsamer Mann«, fahre ich fort.

Er schweigt noch immer. Diese Information muss er offensichtlich erst einmal verdauen.

»Woher weißt du …?«

»Von deiner Tochter. Die sogenannten Hochhaus-Hyänen, die im Café sitzen und gutgläubige Banker abgreifen. Oder notgeile. Kommt wahrscheinlich auf dasselbe raus.«

»Elena?«, das scheint ihn am meisten zu beunruhigen, »wieso Elena?«