Tomasi di Lampedusa, Giuseppe Der Leopard

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Übersetzung aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber

 

© Piper Verlag GmbH, München 2019
Die Originalausgabe erschien 1958 unter dem Titel »Il Gattopardo« bei Giangiacomo Feltrinelli Editore, Mailand
Neuübersetzung© Giangiacomo Feltrinelli Editore, 1969, 2002
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

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Erster Teil

Rosenkranz und Präsentation des Fürsten – Der Garten und der tote Soldat – Audienzen beim König – Das Abendessen – In der Kutsche nach Palermo – Besuch bei Mariannina – Rückfahrt nach San Lorenzo – Gespräch mit Tancredi – Im Verwaltungstrakt: die Lehnsgüter und politische Erörterungen – Im Observatorium mit Pater Pirrone – Entspannung beim Mittagessen – Don Fabrizio und die Bauern – Don Fabrizio und sein Sohn Paolo – Die Nachricht von der Landung und erneut Rosenkranz

1Mai 1860

»Nunc et in hora mortis nostrae[1]. Amen.«

Das tägliche Rosenkranzbeten war zu Ende. Eine halbe Stunde lang hatte die ruhige Stimme des Fürsten an die ruhm- und schmerzensreichen Mysterien erinnert; eine halbe Stunde lang hatten sich andere Stimmen zu einem auf- und abwallenden Gemurmel verwoben, aus dem die goldenen Blüten besonderer Worte herausragten: Liebe, Jungfräulichkeit, Tod; und solange dieses Gemurmel anhielt, schien der Rokokosaal seinen Charakter geändert zu haben; selbst die Papageien, die ihre buntschillernden Flügel auf den Seidentapeten spreizten, hatten eher verschüchtert gewirkt, und sogar die Magdalena zwischen den beiden Fenstern war wie eine Büßerin erschienen und nicht wie die etwas üppige blonde, in Träume versunkene Schönheit, als die man sie sonst immer sah.

Nun aber, als die Stimme verstummt war, kehrte alles wieder zurück zur gewohnten Ordnung respektive Unordnung. In der Tür, durch die das Dienstpersonal hinausgegangen war, erschien die lackschwarze Dogge Bendicò, betrübt über ihren Ausschluss, und kam schwanzwedelnd hereingetrottet. Die Frauen erhoben sich langsam, und das Zurückschwingen ihrer Röcke ließ da und dort die mythologischen Nuditäten erkennen, die sich auf dem milchigen Grund der Bodenfliesen abzeichneten. Nur eine Andromeda blieb verhüllt, da ihr die Soutane des noch in Zusatzgebeten verharrenden Paters Pirrone eine nicht unbeträchtliche Zeit lang verwehrte, den silbernen Perseus wiederzusehen, der sich, über den Wassern schwebend, ihr Hilfe und Kuss zu bringen beeilte.

Im Deckenfresko erwachten die Gottheiten. Die Scharen von Tritonen und Dryaden, die sich von Bergen und Meeren zwischen himbeer- und veilchenfarbenen Wolken zu einer verklärten Conca d’Oro[2] stürzten, um den Ruhm des Hauses Salina zu preisen, schienen plötzlich so überwältigt von Jubel, dass sie gegen die einfachsten Regeln der Perspektive verstießen; und die höheren Götter, die Fürsten der Götterwelt, der blitzeschleudernde Zeus, der finster blickende Mars, die schmachtende Venus, die dem Haufen der minderen Götter vorangeeilt waren, hielten freudig das blaue Wappen mit dem Leoparden hoch. Wussten sie doch, dass sie nun für die nächsten dreiundzwanzigeinhalb Stunden die Herrschaft über die Villa zurückhaben würden. An den Wänden hoben die Affen wieder an, den Papageien Grimassen zu schneiden.

Unter diesem palermitanischen Olymp stiegen nun auch die Sterblichen des Hauses Salina eilig aus den mystischen Sphären hernieder. Die Mädchen strichen sich ihre Kleider glatt, wechselten einverständige Blicke und Worte im Schülerinnenjargon; seit über einem Monat, seit dem Ausbruch der »Unruhen« am 4. April[3], waren sie vorsichtshalber aus der Klosterschule heimgeholt worden und vermissten die Schlafsäle mit Himmelbetten und die kollektive Intimität des »Erlöser-Konvents«. Die Buben rauften sich schon um ein Bild des heiligen Franz von Paola; der Erstgeborene und Erbe des Titels, Herzog Paolo, hätte gerne geraucht, aber aus Scheu, es in Gegenwart seiner Eltern zu tun, betastete er nur durch den Stoff seiner Hosentasche das strohumflochtene Zigarrenetui. Auf seinem hageren Gesicht lag eine metaphysische Melancholie; der Tag war schlecht gelaufen: Guiscardo, sein irischer Fuchs, war ihm nicht gut in Form erschienen, und Fanny hatte keine Möglichkeit gefunden (oder keine Lust gehabt?), ihm das übliche veilchenblaue Billet-doux zu schicken. Wozu war der Erlöser dann Mensch geworden?

Getrieben von ängstlicher Überheblichkeit, ließ die Fürstin den Rosenkranz achtlos in ihre jettbestickte Handtasche fallen, während ihre schönen, leicht irren Augen auf den gehorsamen Kindern und dem tyrannischen Herrn Gemahl ruhten, zu dem sich ihr schmächtiger Körper in einem vergeblichen Streben nach liebender Herrschaft reckte.

Er selbst, der Fürst, erhob sich derweilen; der plötzliche Druck seiner Hünengestalt ließ den Boden erzittern, und einen Moment lang spiegelte sich in seinen hellblauen Augen der Stolz auf diese flüchtige Bestätigung seiner Herrschaft über Menschen und ihre Werke. Er legte das riesige rote Messbuch auf den Sessel, der während des Rosenkranzbetens vor ihm gestanden hatte, faltete das Tuch zusammen, das er sich unters Knie gelegt hatte, und ein Anflug von Unmut trübte seinen Blick, als er den kleinen Kaffeefleck wiedersah, der es seit dem Morgen gewagt hatte, das geräumige Weiß seiner Weste zu inkommodieren.

Nicht dass Fürst Fabrizio dick gewesen wäre; er war nur sehr groß und stark; sein Kopf streifte (in Häusern gewöhnlicher Sterblicher) die untere Rosette der Kronleuchter, seine Finger konnten Dukatenmünzen zusammendrücken wie Seidenpapier, und es gab ein häufiges Kommen und Gehen zwischen der Villa Salina und dem Laden eines Silberschmieds wegen der Reparatur kleiner Gabeln und Löffel, die sein verhaltener Zorn ihn oftmals bei Tisch hatte krumm biegen lassen. Dieselben Finger konnten jedoch beim Berühren und Liebkosen auch sehr zartfühlend sein, woran sich seine Gattin Maria Stella nicht immer nur mit Freude erinnerte; und die Schrauben, Ringe und blankgeschmirgelten Knöpfe der Teleskope, Fernrohre und »Kometensucher«, die im Obergeschoss der Villa sein privates Observatorium füllten, blieben unter seinen sanften Berührungen völlig intakt. Die Strahlen der sinkenden, aber noch hochstehenden Sonne jenes Mainachmittags ließen die rosige Haut und das honigfarbene Haar des Fürsten hell aufleuchten; beide verrieten die deutsche Herkunft seiner Mutter, jener Fürstin Carolina, deren Hochmut vor dreißig Jahren den laxen Hof des Reiches beider Sizilien hatte gefrieren lassen. Doch in seinem Blut gärten noch andere germanische Wesenszüge, die für diesen sizilianischen Aristokraten im Jahre 1860 weit unangenehmer waren, als seine helle Haut und sein blondes Haar ihn unter lauter Olivbraunen und Schwarzhaarigen attraktiv machen mochten: ein autoritäres Temperament, eine gewisse moralische Rigidität und eine Neigung zu abstraktem Denken, aus denen im verweichlichten Milieu der Gesellschaft Palermos launische Überheblichkeit, permanente moralische Skrupel und Verachtung für seine Verwandten und Freunde geworden waren, welche sich, wie ihm schien, willenlos im trägen pragmatischen Fluss Siziliens treiben ließen.

Als erster (und letzter) eines Geschlechts, das jahrhundertelang nicht imstande gewesen war, seine eigenen Ausgaben zusammenzurechnen und die Schulden davon abzuziehen, besaß er eine starke und tiefe Neigung zur Mathematik; er hatte sie auf die Astronomie angewandt, und das hatte ihm nicht nur genügend öffentliche Ehrungen, sondern auch große private Freuden eingebracht. Man könnte fast sagen, Stolz und mathematische Analyse hatten sich in ihm so eng verbunden, dass er sich der Illusion hingab, die Himmelskörper gehorchten seinen Berechnungen (was sie tatsächlich zu tun schienen) und die zwei Kleinplaneten, die er entdeckt hatte (Salina und Svelto hatte er sie getauft, nach seinem Lehen und einem ihm unvergesslichen Jagdhund), verbreiteten den Ruhm seines Hauses in den sterilen Himmelsgegenden zwischen Mars und Jupiter, und folglich seien die Deckenfresken in seiner Villa eher eine Prophezeiung als Ausdruck einer Götzenverehrung.

Gedrängt einerseits vom Stolz und intellektuellen Anspruch seiner Mutter, andererseits von der Sinnenlust und Leichtfertigkeit seines Vaters, lebte der arme Don Fabrizio in stetem Unbehagen, wenn auch unter zeusartig gerunzelten Brauen, und betrachtete den Niedergang seines Standes und seines Vermögens, ohne irgendeiner Tätigkeit nachzugehen oder auch nur die geringste Lust zu verspüren, etwas dagegen zu tun.

Die halbe Stunde zwischen Rosenkranz und Abendessen gehörte zu den weniger unerquicklichen Zeiten des Tages, und so freute er sich schon Stunden vorher auf diese doch eher dubiose Ruhe.

*

Hinter dem freudig vorauseilenden Bendicò stieg er die kurze Treppe zum Garten hinunter. Dieser, eingeschlossen zwischen drei Mauern und einer Seite der Villa, erweckte in seiner Abgeschiedenheit den Eindruck eines Friedhofs, der noch verstärkt wurde durch die parallelen Erdwälle zur Begrenzung der Bewässerungsrinnen, die wie Grabhügel magerer Riesen aussahen. Auf der rötlichen Erde wuchsen die Pflanzen in dichtem Durcheinander, die Blumen sprossen, wo Gott es wollte, und die Myrtenhecken schienen mehr dazu da, die Schritte zu behindern, als sie zu lenken. Am hinteren Ende stellte eine mit gelb-schwarzen Flechten befleckte steinerne Flora resigniert ihre mehr als hundertjährigen Reize zur Schau; an den Seiten trugen zwei Bänke eingerollte Steppkissen, auch sie aus grauem Marmor, und in einer Ecke leuchtete das Gold einer Akazie in ungehöriger Fröhlichkeit. Aus jeder Scholle schien das Gefühl eines Verlangens nach Schönheit aufzusteigen, das rasch von Trägheit abgeschwächt wurde.

Aber der Garten, eingeengt und fast zerdrückt von seiner Umfriedung, strömte Gerüche aus, die ölig, fleischlich und leicht faulig rochen wie die von den Reliquien gewisser Heiliger abgesonderten aromatischen Säfte. Die Nelken übertrumpften mit ihrem Pfeffergeruch den protokollarischen Duft der Rosen und den ätherischen der Magnolien, die schwergebeugt in den Ecken standen, und dazwischen war auch das feine Aroma der Minze zu spüren, vermischt mit dem kindlichen der Akazie und dem süßlichen der Myrte, während aus dem Zitrusgarten jenseits der Mauer ein erotischer Hauch von ersten Orangenblüten herüberschwappte.

Es war ein Garten für Blinde: Das Auge wurde fortwährend beleidigt, doch dem Geruchssinn bot er einen starken, wenn auch nicht eben feinen Genuss. Die edlen Paul-Neyron-Rosen, deren Setzlinge der Fürst persönlich in Paris erworben hatte, waren aus der Art geschlagen: Erst hochgeschossen, dann zermürbt von den starken und drängenden Säften des sizilianischen Bodens, dazu verbrannt von der apokalyptischen Julisonne, hatten sie sich in eine Art obszön fleischfarbener Kohlköpfe verwandelt, die jedoch einen betäubenden, ja fast schamlosen Duft verströmten, den sich kein französischer Züchter zu erhoffen gewagt hätte. Der Fürst hielt sich eine unter die Nase, und ihm war, als rieche er am Schenkel einer Ballerina der Pariser Oper. Bendicò, dem er die Rose ebenfalls hinhielt, wich angeekelt zurück und beeilte sich, zwischen Düngerresten und toten Eidechsen nach gesünderen Sinneseindrücken zu suchen.

In Don Fabrizio löste dieser duftende Garten jedoch düstere Assoziationen aus. »Jetzt riecht es hier gut, aber vor einem Monat …«

Er erinnerte sich an den Ekel, den süßliche Schwaden in der ganzen Villa verbreitet hatten, bis ihre Ursache gefunden und behoben war: die Leiche eines jungen Soldaten des Fünften Jägerbataillons, der sich, tödlich verwundet im Kampf gegen die Rebellen bei San Lorenzo, hierhergeschleppt hatte, um einsam unter einem Zitronenbaum zu sterben. Man hatte ihn im dichten Klee auf dem Bauch liegend gefunden, das Gesicht verklebt von Blut und Erbrochenem, die Nägel in die Erde gekrallt, überkrabbelt von Riesenameisen; die lila Eingeweide hatten eine Pfütze unter dem Wehrgehänge gebildet. Russo, der Oberaufseher, hatte die verwesende Leiche gefunden, hatte sie umgedreht, mit seinem roten Taschentuch das Gesicht bedeckt, mit einem kleinen Zweig die Innereien durch den klaffenden Schlitz in den Bauch zurückgeschoben und die grünen Schöße des Uniformrocks über die Wunde gezogen, dabei mehrmals vor Ekel ausspuckend, nicht direkt auf die Leiche, aber knapp daneben. All das mit besorgniserregender Routine. »Diese Mistkerle stinken sogar noch, wenn sie tot sind«, hatte er vor sich hin gebrummt. Das war alles gewesen, was zum Gedenken dieses einsamen Todes gesagt worden war.

Als die abgestumpften Kameraden ihn dann weggetragen hatten (jawohl, sie hatten ihn unter den Schultern gepackt und zum Karren geschleift, wobei die Füllung des toten Leibes[4] wieder herausgerutscht war), wurde dem abendlichen Rosenkranz ein De Profundis für die Seele des Unbekannten angefügt, und man sprach nicht mehr davon – dem Gewissen der Damen des Hauses war Genüge getan.

Don Fabrizio trat zu der steinernen Flora, um ein paar Flechten von ihren Füßen zu kratzen, und ging dann noch eine Weile auf und ab. Die Abendsonne warf seinen Schatten riesig auf die friedhöflich-tristen Beete. Von dem Toten war nicht mehr gesprochen worden – nun ja, schließlich sind Soldaten eben Soldaten, um für den König zu sterben! Aber das Bild jenes aufgeschlitzten Körpers ging ihm nicht aus dem Sinn, als bitte der Tote, man möge ihn auf die einzige für den Fürsten mögliche Weise in Frieden ruhen lassen: indem er sein äußerstes Leiden mit einer allgemeinen Notwendigkeit rechtfertigte und verklärte. Denn für jemanden oder etwas zu sterben ist schon in Ordnung, man sollte nur wissen oder zumindest sicher sein, dass irgendjemand weiß, für wen oder was man gestorben ist. Das war’s, was jenes entstellte Gesicht gefragt hatte, und genau da begann der Nebel.

»Aber er ist doch für den König gestorben, lieber Fabrizio«, würde sein Schwager Màlvica geantwortet haben, wenn Don Fabrizio ihn gefragt hätte, jener Màlvica, den der Kreis seiner Freunde immer zu ihrem Sprecher wählte. »Für den König, der die Ordnung verkörpert, die Kontinuität, den Anstand, das Recht, die Ehre; für den König, der allein die Kirche verteidigt, der allein die Abschaffung des Eigentums verhindert, das oberste Ziel des ›Geheimbunds‹[5].«

Lauter wunderschöne Worte, die alles bedeuteten, was dem Fürsten zutiefst lieb und teuer war. Aber etwas stimmte noch nicht. Der König, nun ja. Er kannte ihn gut, den König, zumindest den, der vor kurzem gestorben war; der jetzige war bloß ein als General verkleideter Seminarist. Und taugte wirklich nicht viel. »Aber das ist doch kein Argument, Fabrizio«, erwiderte Màlvica, »ein einzelner Herrscher kann schon mal nicht auf der Höhe sein, aber trotzdem bleibt die Idee der Monarchie, was sie ist, denn sie ist unabhängig von den Personen.«

Auch das stimmt; aber Könige, die eine Idee verkörpern, können, ja dürfen nicht Generationen hindurch unter ein bestimmtes Niveau absinken; sonst, lieber Schwager, leidet auch die Idee.

Auf einer Bank sitzend, betrachtete Don Fabrizio stumm die Verwüstungen, die Bendicò in den Beeten anrichtete; ab und zu schaute der Hund mit Unschuldsmiene zu ihm auf, als erwarte er, für das vollbrachte Werk gelobt zu werden: vierzehn geknickte Nelkenstauden, eine halbe Hecke ausgegraben, eine Bewässerungsrinne verstopft. »Genau wie ein Christenmensch«, dachte der Fürst. »Brav, Bendicò, komm her.« Und das Tier kam gelaufen und legte die erdige Nase auf die Hand seines Herrn, um ihm zu zeigen, dass es die törichte Unterbrechung seiner schönen Arbeit gnädig verzieh.

*

Die Audienzen, die vielen Audienzen, die König Ferdinand ihm gewährt hatte, in Caserta, in Neapel, in Capodimonte, in Portici und weiß der Teufel, wo …

An der Seite des diensttuenden Kammerherrn, der ihn schwatzend führte, den Zweispitz unterm Arm und den neuesten neapolitanischen Klatsch auf den Lippen, durchquerte man endlose Säle mit großartiger Architektur und abstoßendem Mobiliar (abstoßend wie die ganze bourbonische Monarchie), passierte schäbige Korridore und schlecht erhaltene Treppen und gelangte in einen Vorraum, wo allerlei Leute warteten: verschlossene Gesichter von Polizisten oder Polizeispitzeln, habgierige Gesichter von Bittstellern mit Empfehlungsschreiben. Der Kammerherr entschuldigte sich, bahnte dem Besucher einen Weg durch die Meute und lotste ihn zu einem weiteren Vorraum, der den Angehörigen des Hofes vorbehalten war: ein in Blau und Silber gehaltenes Kabinett aus der Zeit Karls III. Nach kurzem Warten kratzte ein Diener an der Tür, und man wurde zu Seiner Erhabenen Präsenz vorgelassen.

Das private Arbeitszimmer war klein und betont schlicht: an den weißgetünchten Wänden ein Porträt von König Franz I. und ein mürrisch dreinblickendes der aktuellen Königin; über dem kleinen Kamin eine Madonna von Andrea del Sarto, die sich zu wundern schien, dass sie von farbigen Lithographien drittklassiger Heiliger und neapolitanischer Wallfahrtsorte umgeben war; auf einer Konsole ein wächsernes Jesuskind mit brennender Kerze davor; und auf dem schmucklosen Schreibtisch stapelweise Papiere, weiße, gelbe und blaue – die ganze Verwaltung des Reiches, in ihr Endstadium gelangt: in das der Unterzeichnung durch Seine Majestät (D. G.)[6].

Hinter dieser Absperrung aus Papierkram der König. Schon stehend, um nicht zeigen zu müssen, wie er sich erhob. Der König mit seinem massigen welken Gesicht zwischen dicken gelbblonden Koteletten, in diesem Waffenrock aus derbem Stoff, unter dem der blauviolette Katarakt seiner weit ausladenden Hose hervorquoll. Er machte einen Schritt vorwärts, die Rechte schon zum Handkuss hingestreckt, den er dann jedoch ablehnen würde.

»He, Salina, selig die Augen, die dich sehn!« Sein neapolitanischer Akzent übertraf den des Kammerherrn noch bei weitem an Derbheit.

»Ich bitte Eure Majestät zu verzeihen, dass ich nicht Hofkleidung trage. Ich bin nur auf Durchreise in Neapel und wollte nicht versäumen, Eurer Majestät meine Ehrerbietung zu bezeigen.«

»Salina, was red’st’n du da! Du weißt doch, dass du in Caserta wie zu Hause bist. Genau wie zu Hause«, wiederholte er, während er hinter dem Schreibtisch Platz nahm und einen Augenblick wartete, bevor er auch seinen Gast Platz nehmen ließ.

»Und was machen die süßen kleinen Mädels?« Der Fürst begriff, dass er jetzt diese schlüpfrige und zugleich bigotte Zweideutigkeit parieren musste.

»Die süßen kleinen Mädels, Majestät? In meinem Alter und in den heiligen Banden der Ehe?«

Der Mund des Königs verzog sich zu einem Lächeln, während seine Hände gereizt die Papiere ordneten. »Aber, Salina, das hätte ich mir doch nie erlaubt! Ich habe nach deinen Töchtern gefragt, den kleinen Fürstinnen. Concetta, unser liebes Patenkind, muss ja inzwischen groß sein, eine Signorina.«

Von der Familie ging es zur Wissenschaft über. »Salina, du machst nicht bloß dir selber Ehre, sondern dem ganzen Reich! Eine große schöne Sache, die Wissenschaft, wenn sie sich nicht in den Kopf setzt, die Religion anzugreifen!« Danach aber wurde die Maske des Freundes abgelegt und die des gestrengen Gebieters aufgesetzt. »Sag mal, Salina, wie redet man in Sizilien über Castelcicala[7]?«

Don Fabrizio wich aus: Er hatte über den Statthalter schlecht reden hören, sowohl unter den Königstreuen als auch auf Seiten der Liberalen, doch er wollte den Freund nicht verraten und hielt sich an Allgemeinheiten: »Ein großer Herr, glorreich verwundet, vielleicht ein bisschen zu alt für die Strapazen des Statthalteramtes.«

Die Miene des Königs verdüsterte sich: Salina wollte nicht den Spitzel geben, Salina war also nicht von Nutzen. Die Hände auf den Schreibtisch gestützt, machte er Anstalten, ihn zu verabschieden. »Ich hab viel zu tun; das ganze Reich lastet auf meinen Schultern.« Jetzt war das Zuckerbrot fällig, die Freundesmaske wurde noch einmal kurz aus der Schublade geholt. »Wenn du nächstes Mal nach Neapel kommst, bring doch Concetta mit und führ sie der Königin vor. Das Mädel ist noch zu jung, um offiziell bei Hof vorgestellt zu werden, aber gegen ein kleines privates Essen kann niemand was sagen. Makkaroni und hübsche Gören, so heißt’s doch bei uns. Adieu, Salina, mach’s gut.«

Einmal jedoch war der Abschied unschön gewesen. Don Fabrizio hatte bereits die zweite Verbeugung im Rückwärtsgehen gemacht, da rief ihn der König noch einmal zurück: »Salina, hör mal. Man hat mir gesagt, dass du in Palermo schlechten Umgang hast. Dieser Neffe von dir, Falconeri, wieso rückst du dem nicht den Kopf zurecht?«

»Aber, Majestät, Tancredi denkt doch bloß an Weiber und Karten.«

Der König verlor die Geduld: »Salina, Salina, was red’st du da! Verantwortlich bist du, sein Vormund. Sag ihm, er soll aufpassen, dass er nicht seinen Hals riskiert. Adieu.«

Als der Fürst durch die pompös-mediokren Säle zurückging, um sich ins Gästebuch der Königin einzutragen, überkam ihn Mutlosigkeit. Der plebejische Kumpelton hatte ihn ebenso deprimiert wie das polizeiliche Grinsen. Glücklich diejenigen seiner Freunde, die das familiäre Getue als Freundlichkeit und die Drohung als Ausdruck königlicher Macht sehen wollten. Er konnte das nicht. Und während er Klatsch und Tratsch mit dem untadeligen Kammerherrn austauschte, fragte er sich, wer wohl dazu bestimmt sein mochte, diese Monarchie zu beerben, die schon die Zeichen des Todes auf der Stirn trug. Der Piemontese, der sogenannte Galantuomo[8], der so viel Lärm in seiner kleinen, abgelegenen Hauptstadt machte? Liefe das nicht aufs selbe hinaus? Turiner Dialekt statt des neapolitanischen, das wäre alles.

Sie waren beim Gästebuch angekommen. Er schrieb hinein: Fabrizio Corbera, Fürst von Salina.

Oder vielleicht die Republik von Don Peppino Mazzini[9]? »Nein danke. Dann wäre ich einfach Signor Corbera.«

Die lange Rückfahrt nach Neapel heiterte seine Stimmung nicht auf. Nicht einmal das vereinbarte Rendezvous mit Cora Danòlo konnte ihn trösten.

Was blieb zu tun, wenn die Dinge so lagen? Sich an den Status quo klammern, ohne Sprünge ins Ungewisse zu wagen? Dann bedurfte es jener trockenen Gewehrsalven, wie sie erst kürzlich auf einem öden Platz in Palermo zu hören gewesen waren. Aber auch diese Schüsse, was nützten sie? »Mit ›Peng-peng!‹ erreicht man gar nichts. Stimmt’s, Bendicò?«

»Kling-ling-ling!«, machte indessen die Glocke, die zum Abendessen rief. Bendicò rannte los, schon sabbernd in Vorfreude auf das Mahl. »Ganz wie ein echter Piemontese«, dachte Salina, als er die Treppe hinaufstieg.

*

Das Abendessen in der Villa Salina wurde mit dem leicht beschädigten Prunk serviert, der damals zum Stil des Reiches beider Sizilien gehörte. Allein schon die Anzahl der Speisenden (vierzehn, mit den Kindern, Gouvernanten und Hauslehrern) genügte, um der Tafel eine imposante Aura zu verleihen. Bedeckt mit einem geflickten Tischtuch aus feinstem Linnen, glänzte sie im Licht einer mächtigen Carcel-Lampe, die prekär befestigt unter der »Nymphe« am Kronleuchter aus Muranoglas hing. Durch die Fenster drang noch Licht herein, aber die weißen Figuren auf dem dunklen Grund der Supraporten, simulierte Basreliefs, verloren sich schon im Schatten. Massiv das Silber und funkelnd die Gläser, die auf dem glatten Medaillon zwischen den Kristallfacetten die Buchstaben F. D. (Ferdinandus dedit) trugen, zur Erinnerung an eine königliche Wohltat, aber die Teller, jeder mit einer illustren Signatur versehen, waren nur Überbleibsel der von den Küchenjungen veranstalteten Gemetzel und stammten aus verschiedenen Servicen. Die großformatigen, edelstes Capodimonte mit breitem mandelgrünem Rand, signiert mit kleinen vergoldeten Ankern, waren dem Fürsten vorbehalten, der gerne alles um sich herum nach seiner Statur hatte, ausgenommen die Gattin.

Als er in den Speisesaal trat, waren schon alle versammelt, die Fürstin als einzige sitzend, die anderen stehend hinter ihren Stühlen. Vor seinem Platz, flankiert von einer Säule aus Tellern, prangte silberbäuchig die riesige Suppenterrine, auf deren Deckel sich ein tanzender Leopard erhob. Der Fürst teilte höchstpersönlich die Suppe aus, eine gern übernommene Mühe, Symbol seiner stolzen Pflichten als pater familias. An diesem Abend jedoch erklang, wie es seit langem nicht mehr passiert war, ein drohendes Klirren der Suppenkelle gegen die Innenwand der Terrine, Anzeichen eines noch verhaltenen Zorns – eines der schrecklichsten Geräusche, die es gab, wie noch vierzig Jahre später ein überlebender Sohn sagte: Der Fürst hatte bemerkt, dass der sechzehnjährige Francesco Paolo nicht an seinem Platz war. Im selben Moment erschien der Bengel (»Entschuldigung, Papà«) und setzte sich. Er bekam keinen Vorwurf zu hören, doch Pater Pirrone, der mehr oder minder die Funktion eines Wachhundes hatte, beugte den Kopf und befahl sich Gott. Die Bombe war dann zwar nicht geplatzt, aber ihr Luftzug hatte die Tafel gefrieren lassen, und das Abendessen war trotzdem ruiniert. Während man schweigend aß, fixierten die hellblauen Augen des Fürsten, leicht verengt zwischen halbgeschlossenen Lidern, die Kinder eins nach dem anderen und hießen sie ehrfürchtig schweigen.

Von wegen! »Schöne Familie«, dachte er. Die Töchter wohlgenährt und blühend vor Gesundheit, mit schelmischen Grübchen und jener kleinen Falte zwischen den Brauen, die das Erbteil der Salina war; die Söhne schlank, aber kräftig, das Gesicht voll modischer Melancholie, während sie Messer und Gabel mit kontrollierter Brachialgewalt handhabten. Einer von ihnen fehlte schon seit zwei Jahren, Giovanni, der Zweitgeborene, der meistgeliebte und schwierigste. Eines schönen Tages war er verschwunden, und zwei Monate hörte man nichts von ihm. Bis dann ein kühl respektvoller Brief aus London kam, in dem er um Entschuldigung für die verursachten Sorgen bat, versicherte, dass er gesund sei, und die sonderbare Erklärung abgab, er ziehe das bescheidene Leben eines Angestellten in einer Kohlenhandlung dem »allzu umsorgten« (lies: angeketteten) Dasein zwischen den Bequemlichkeiten in Palermo vor. Die Erinnerung an den Jungen und die Sorge um ihn, wie er durch den verräucherten Nebel jener Ketzerstadt irrte, stachen dem Fürsten böse ins Herz und quälten ihn sehr. Seine Miene verdüsterte sich noch mehr.

Sie verdüsterte sich so sehr, dass die neben ihm sitzende Fürstin ihre kindliche Hand ausstreckte und seine mächtige Pranke auf dem Tischtuch streichelte. Eine unerwartete Geste, die eine Reihe von Gefühlen auslöste: Irritation und Ärger über die versuchte Tröstung, wiedererwachte Sinnlichkeit, aber nicht gegenüber der, die sie ausgelöst hatte. Blitzartig erschien vor dem inneren Auge des Fürsten das Bild von Mariannina, wie sie ihren Kopf in den Kissen vergrub. Trocken hob er die Stimme. »Domenico«, rief er einen Diener, »geh und sag Don Antonio, er soll die Braunen anspannen. Ich fahre gleich nach dem Essen nach Palermo.« Als er in die glasig erstarrten Augen seiner Frau sah, bereute er seine Worte, aber da es undenkbar war, eine einmal gegebene Anordnung zu widerrufen, beharrte er darauf und ergänzte die Grausamkeit noch um Hohn: »Pater Pirrone, Ihr werdet mich begleiten, um elf sind wir wieder zurück. Ihr könnt ein paar Stunden bei Euren Freunden im Ordenshaus verbringen.«

Abends nach Palermo zu fahren, noch dazu in diesen unruhigen Zeiten, dafür gab es offenkundig keinen triftigen Grund außer dem eines galanten Abenteuers von der niederen Sorte. Dazu aber dann als Begleiter den Hauskaplan mitzunehmen, das war beleidigende Arroganz. So jedenfalls empfand es Pater Pirrone und war beleidigt; aber natürlich fügte er sich.

Der letzte Bissen war kaum hinuntergeschluckt, da hörte man schon die Kutsche vors Tor rollen; während im Saal ein Diener noch Don Fabrizio den Hut und dem Jesuiten den Dreispitz reichte, machte die Fürstin, nun mit Tränen in den Augen, einen letzten, vergeblichen Versuch: »Aber, Fabrizio, in diesen Zeiten … mit den Straßen voller Soldaten und voller Gesindel … da kann doch so viel passieren!«

Er lachte verächtlich, »Unsinn, Stella, Unsinn. Was soll denn passieren, mich kennen doch alle: Männer von meiner Körpergröße gibt es nicht viele in Palermo. Addio.« Und er küsste sie eilig auf die noch faltenlose Stirn, die sich knapp unter der Höhe seines Kinns befand. Doch sei’s, dass der Duft ihrer Haut ihm zärtliche Erinnerungen wachrief, sei’s, dass Pater Pirrones Büßerschritte hinter ihm fromme Ermahnungen weckten – als er die Kutsche erreichte, fand er sich erneut bereit, den Ausflug abzusagen. In diesem Moment, als er schon den Mund aufmachte, um dem Kutscher zu sagen, er solle in den Stall zurückfahren, ertönte aus dem Fenster über ihm plötzlich ein schrilles »Fabrizio, mein Fabrizio!«, gefolgt von lauten Schreien. Die Fürstin hatte einen ihrer hysterischen Anfälle. »Los, abfahren«, rief er dem Kutscher zu, der mit schräg vor dem Bauch gehaltener Peitsche auf dem Bock saß. »Los, ab nach Palermo, um Hochwürden dort im Haus seines Ordens zu lassen.« Und er warf den Wagenschlag zu, ehe der Diener ihn schließen konnte.

*

Es war noch nicht ganz dunkel, und die zwischen hohen Mauern verlaufende Straße wirkte sehr weiß. Kaum hatten sie das Besitztum Salina verlassen, war links die halbverfallene Villa der Falconeri zu sehen, die jetzt Tancredi gehörte, dem Neffen und Mündel des Fürsten. Ein verschwenderischer Vater, Ehemann der Schwester des Fürsten, hatte das ganze Vermögen durchgebracht und war dann gestorben. Es war eine jener totalen Pleiten gewesen, bei denen man sogar noch die Silberfäden der Livreetressen einschmelzen lässt; und nach dem Tod der Mutter hatte der König die Vormundschaft für das damals vierzehnjährige Waisenkind auf dessen Onkel Salina übertragen. Der Junge, den er anfangs kaum kannte, war dem reizbaren Fürsten bald sehr lieb geworden, da er in ihm eine streitbare Lebenslust und ein frivoles Temperament entdeckte, dem manchmal eine plötzliche Ernsthaftigkeit widersprach. Ohne es sich einzugestehen, hätte er lieber ihn statt des kindischen Paolo als Erstgeborenen gehabt. Jetzt, mit zwanzig, machte sich Tancredi ein schönes Leben von dem Geld, mit dem sein Vormund nicht geizte, wobei er auch die eigene Tasche nicht schonte. »Was der Bengel wohl gerade wieder anstellt«, dachte der Fürst, als sie an der Villa Falconeri vorbeifuhren, der die riesige Bougainvillea, die ihre Kaskaden von bischöflicher Seide über das Torgitter schwappen ließ, in der Dämmerung eine unangemessene Pracht verlieh.

»Was er wohl gerade anstellt.« Jaja, als König Ferdinand vom schlechten Umgang des jungen Mannes sprach, war das zwar unschön gewesen, aber in der Sache hatte er recht gehabt. Umgeben von Spielerfreunden und »leichtlebigen« Freundinnen, wie man sie nannte, die er alle mit seinem grazilen Charme beherrschte, war Tancredi so weit gegangen, mit den »Sekten« zu sympathisieren und in Verbindung zu dem geheimen Nationalkomitee zu treten; vielleicht ließ er sich sogar von ihm bezahlen, wie übrigens auch aus der Kasse des Königs. Und es hatte beträchtliche Mühen gekostet, Besuche bei dem skeptischen Castelcicala und dem allzu höflichen Maniscalco[10], um zu verhindern, dass der Junge nach dem 4. April in ernstliche Schwierigkeiten geriet. All das war unschön, andererseits konnte Tancredi in den Augen des Onkels nie unrecht haben; schuld waren mithin allein die Zeiten, diese aus den Fugen geratenen Zeiten, in denen ein junger Mann aus guter Familie nicht mal eine Partie »Pharao«[11] spielen konnte, ohne in kompromittierende Freundschaften zu geraten. Schlimme Zeiten!

»Schlimme Zeiten, Exzellenz!« Die Stimme Pater Pirrones klang wie ein Echo seiner Gedanken. Zusammengekauert in einer Ecke der Kutsche, beengt von der Masse des Fürsten und niedergedrückt von dessen Überheblichkeit, litt der Jesuit sowohl körperlich als auch geistig, und da er kein mittelmäßiger Mann war, übertrug er seine vergänglichen Leiden sogleich in die dauerhafte Welt der Geschichte. »Sehen Sie, Exzellenz«, und er deutete auf die schroffen Berge der Conca d’Oro, die im letzten Dämmerlicht noch zu sehen waren. An den Hängen und auf den Gipfeln brannten Dutzende von Feuern, die Leuchtfeuer der Rebellentrupps, die sie jede Nacht anzündeten als stumme Drohung an die Stadt des Königs und der Klöster. Sie sahen aus wie die Lichter, die man in den Kammern der Todkranken während ihrer letzten Nächte brennen sieht.

»Ich sehe, Pater, ich sehe«, und dabei dachte er, dass vielleicht Tancredi bei einem dieser unheilkündenden Feuer stand, um mit seinen aristokratischen Händen die Glut anzufachen, die genau zu dem Zweck brannte, Hände dieser Art zu entwerten. »Ich bin wahrhaftig ein schöner Vormund, dessen Mündel jede Dummheit macht, die ihm gerade einfällt!«

Die Straße war jetzt leicht abschüssig, unten sah man das nahe Palermo liegen, nun völlig im Dunkeln. Seine niedrigen, eng zusammengedrängten Häuser wurden gleichsam erdrückt vom Übermaß der Klöster, von denen es Dutzende gab, alle riesig, oft in Gruppen von zwei oder drei verbunden, Klöster für Mönche und Klöster für Nonnen, Klöster für Reiche und Klöster für Arme, Klöster für Adlige und für Plebejer, Klöster für Jesuiten, für Benediktiner, für Franziskaner, für Kapuziner, für Karmeliter, Liguorianer, Augustiner … Flache Kuppeln mit welken Rundungen, ähnlich leergesogenen Brüsten, erhoben sich da und dort noch über sie, aber es waren die Klöster, die der Stadt ihre Düsternis und ihren Charakter verliehen, ihren Schmuck und zugleich jenen Hauch von Tod, den nicht einmal das gleißende sizilianische Licht je ganz zu vertreiben vermochte. Besonders zu dieser Stunde, bei Einbruch der Nacht, waren sie die despotischen Herren des Panoramas. Und gegen sie waren die Feuer auf den Bergen in Wahrheit gerichtet, angefacht übrigens von Menschen, die den Bewohnern der Klöster sehr ähnlich waren, genauso fanatisch, genauso verschlossen, genauso gierig nach Macht oder, wie in der Regel, nach Muße.

Dies waren die Gedanken des Fürsten, während die Pferde gemächlich den Hang hinabtrabten; Gedanken im Widerspruch zu seiner wahren Wesensart, ausgelöst durch die Sorge um das Schicksal Tancredis und durch den sinnlichen Reiz, der ihn dazu trieb, gegen die von jenen Klöstern verkörperten Zwänge aufzubegehren.

Die Straße führte jetzt nämlich durch blühende Zitrusplantagen, und das hochzeitliche Aroma der Orangenblüten erdrückte alles, so wie der Vollmond eine Landschaft erdrückt: den Schweißgeruch der Pferde, den Ledergeruch der Polsterung, den Fürstengeruch und den Jesuitengeruch. Alles erlosch unter diesem islamischen Duft, der paradiesische Jungfrauen und fleischliche Lüste im Jenseits heraufbeschwor.

Auch Pater Pirrone war davon angerührt. »Was für ein schönes Land wäre dies, Exzellenz, wenn …« Wenn es hier nicht so viele Jesuiten gäbe, dachte der Fürst, den die Stimme des Priesters aus süßen Vorahnungen gerissen hatte. Doch sofort bereute er die zum Glück unausgesprochene Bosheit und pochte mit seiner großen Hand auf den Dreispitz des alten Freundes.

An der Vorstadtgrenze bei Villa Airoldi hielt eine Patrouille die Kutsche an. Apulische und neapolitanische Stimmen befahlen »Halt!«, überlange Bajonette blitzten im schwankenden Licht einer Laterne, doch bald erkannte ein Unteroffizier den Fürsten, der mit dem Zylinder auf den Knien dasaß. »Entschuldigung, Exzellenz, Ihr könnt weiterfahren.« Er ließ sogar einen Soldaten auf den Kutschbock steigen, der ihn bei den nächsten Wachposten durchwinken sollte. Die schwerer gewordene Kutsche fuhr etwas langsamer weiter, vorbei an Villa Ranchibile, durch Terrerosse und die Gärten von Villafranca, und erreichte die Innenstadt durch die Porta Maqueda. Im Café Romeres an den Quattro Canti di Campagna scherzten Offiziere der Wachabteilung und schlürften Granita aus enormen Gläsern. Aber das war das einzige Lebenszeichen in der Stadt; die Straßen waren menschenleer, zu hören war nur der Gleichschritt, in dem die Patrouillen vorbeimarschierten, mit ihren weißen Schulterriemen gekreuzt vor der Brust. An den Seiten das Ostinato der Klöster, die Badia del Monte, die Stigmata, die Crociferi, die Theatiner … Dickhäuter, schwarz wie Pech, in einen Schlaf versunken, der dem Ende alles Lebendigen glich.

»In zwei Stunden komme ich Euch wieder abholen, Pater. Auf gutes Beten!«

Und der arme Pirrone klopfte verstört an die Tür seines Ordenshauses, während die Kutsche weiter durch die Gassen fuhr.

*

Bei seinem Stadtpalast angelangt, ließ der Fürst die Kutsche stehen und ging zu Fuß weiter. Der Weg war kurz, doch das Viertel verrufen. Soldaten in voller Montur, an der man sofort sah, dass sie sich heimlich von ihren auf Plätzen biwakierenden Einheiten entfernt hatten, kamen mit glasigen Augen aus niedrigen Häusern, auf deren schmalen Balkonen eine Basilikumpflanze erklärte, warum sie so leicht hineingekommen waren. Zwielichtige junge Männer in langen Hosen stritten sich in den tiefen Tonlagen wütender Sizilianer. In der Ferne ertönten ab und zu Schüsse, wohl von nervösen Wachsoldaten. Als er dieses Viertel hinter sich hatte, führte sein Weg an der »Cala« entlang: Im alten Fischerhafen schaukelten die schon halb vermoderten Boote, trostlos anzusehen wie räudige Hunde.

»Ich bin ein Sünder, ich weiß, ein zwiefacher Sünder, vor Gottes Gesetz und vor Stellas menschlicher Liebe. Daran gibt es keinen Zweifel, und morgen werde ich vor Pater Pirrone beichten.« Er lächelte innerlich bei dem Gedanken, dass dies wohl unnötig sein würde, denn der Jesuit war doch sicher über seine heutigen Sünden im Bilde; aber schon gewann der Sinn für Spitzfindigkeiten wieder die Oberhand. »Ich sündige, ja gewiss, aber ich sündige, um nicht noch mehr zu sündigen, um mir diesen Dorn der Fleischeslust zu ziehen und nicht in noch größere Untaten zu verfallen. Und das weiß der Herrgott.« Ein gerührtes Bedauern mit sich selbst überkam ihn, sodass er mental zu jammern begann. »Ich bin ein schwacher Mensch«, dachte er, während sein schwerer Schritt den losen Schotter festtrat, »ich bin schwach, und niemand steht mir bei. Stella! O, ja, gewiss! Der Herr weiß, wie ich sie geliebt habe: Als wir heirateten, waren wir zwanzig. Aber jetzt verlangt sie zu viel, und sie ist auch zu alt.« Der Schwächeanfall war vorüber. »Ich bin noch ein kräftiger Mann. Wie kann ich mich da mit einer Frau begnügen, die sich im Bett vor jeder Umarmung bekreuzigt und danach in den Augenblicken höchster Wonne nichts andres zu sagen weiß als ›Jesusmaria!‹ Als wir frisch verheiratet waren, fand ich das alles erregend, aber jetzt … sieben Kinder habe ich mit ihr gezeugt, sieben, und nie habe ich auch nur ihren Nabel gesehen. Ist das recht?« Er schrie fast, aufgeputscht von seiner exzentrischen Selbstquälerei. »Sagt: Ist das recht? Ich frage euch alle.« Dabei drehte er sich zur Säulenvorhalle der Santa Maria della Catena[12]. »Die wahre Sünderin ist sie!«

Diese beruhigende Entdeckung tröstete ihn, und so klopfte er entschlossen an Marianninas Tür.

*

Zwei Stunden später saß er schon wieder in der Kutsche auf dem Rückweg mit Pater Pirrone. Der war voller Sorge: Seine Mitbrüder hatten ihn über die politische Lage aufgeklärt, die sehr viel angespannter war, als es in der abgehobenen Ruhe von Villa Salina schien. Man fürchtete eine Landung der Piemontesen im Süden der Insel, in der Nähe von Sciacca, und die Behörden hatten im Volk eine stumme Gärung bemerkt: Der städtische Pöbel wartete nur auf das erste Zeichen von Schwäche der Macht, um sich in Plünderung und Vergewaltigungen zu stürzen. Die Patres waren alarmiert, und drei von ihnen, die ältesten, waren mit dem nachmittäglichen »Paketboot« nach Neapel geschickt worden, um die Ordenspapiere in Sicherheit zu bringen. »Der Herr beschütze uns und bewahre dieses Allerheiligste Königreich!«

Der Fürst hörte ihm kaum zu, er war in eine satte Zufriedenheit versunken, in der auch ein wenig Widerwillen mitschwang. Mariannina hatte ihn mit großen verschleierten Augen einer Bäuerin angesehen und ihm nichts verweigert, hatte sich unterwürfig und gefällig erwiesen. Eine Art Bendicò im seidenen Unterröckchen. In einem Moment besonderer Lust war ihr sogar der Ausruf »Du Riesenfürst!« entfahren. Er lächelte immer noch darüber, befriedigt. Besser dies, gewiss, als das »Mon chat« oder »Mon singe blond«[13], das in solchen Momenten von Sarah zu hören gewesen war, der kleinen Pariser Nutte, die er vor drei Jahren ein paarmal aufgesucht hatte, als ihm auf dem Astronomenkongress in der Sorbonne eine Silbermedaille zuerkannt worden war. Besser als »Mon singe blond«, ohne Zweifel, und entschieden besser als »Jesusmaria«; wenigstens kein Sakrileg. Sie war ein gutes Mädchen, die Mariannina; das nächste Mal würde er ihr drei Ellen karmesinrote Seide mitbringen.

Aber wie traurig auch: dieses misshandelte junge Fleisch, diese resignierte Schamlosigkeit. Und er selbst, was war er? Ein Schwein, nichts anderes. Ihm kam ein Vers in den Sinn, den er ganz zufällig in einer Pariser Buchhandlung gelesen hatte, beim Blättern in einem Band von … er wusste den Namen nicht mehr, es war einer von diesen Poeten, die Frankreich jede Woche hervorbringt und wieder vergisst. Er sah den zitronengelben Stapel der unverkauften Exemplare vor sich, die aufgeschlagene Seite, eine linke mit gerader Seitenzahl, und er hörte die Verse wieder, die ein überspanntes Gedicht beendeten:

Seigneur, donnez-moi la force et le courage[14] de regarder mon cœur et mon corps sans dégout!

Und während Pater Pirrone fortfuhr, von einem gewissen La Farina und einem gewissen Crispi[15] zu reden, döste der »Riesenfürst« ein, versunken in eine Art verzweifelter Euphorie, eingelullt vom Trott der Braunen, deren pralle Hinterbacken das Licht der Kutschenlampen widerspiegelten. Bei der Wegbiegung vor der Villa Falconeri erwachte er mit einem Ruck. »Auch der da, ein schöner Dummkopf, der schürt die Höllenfeuer, die ihn verschlingen werden!«

Als er ins eheliche Schlafzimmer trat, überkam ihn ein Gefühl von Rührung und Zärtlichkeit beim Anblick der armen Stella, die leise seufzend mit ordentlich unter das Häubchen gestecktem Haar in dem riesigen hohen Messingbett schlief. »Sieben Kinder hat sie mir geschenkt, und sie ist immer einzig die Meine geblieben.« Ein leichter Geruch von Baldrian lag in der Luft, letzte Spur ihres hysterischen Anfalls. »Meine arme Stelluccia«, murmelte er voller Mitleid, als er ins Bett stieg. Die Stunden vergingen, und er konnte nicht einschlafen. Herrgott – mit mächtiger Hand schürte er drei Brände in seinen Gedanken: den der Liebkosungen von Mariannina, den der Verse des Unbekannten und den der zornigen Feuer auf den Bergen.

Doch als die Dämmerung nahte, hatte die Fürstin Anlass, sich zu bekreuzigen.

*

Am nächsten Morgen schien die Sonne auf einen wieder erstarkten Fürsten. Er hatte seinen Kaffee getrunken, stand in einem rot-schwarz geblümten Morgenrock vor dem Wandspiegel und rasierte sich. Bendicòs schwerer Kopf ruhte auf einem seiner Pantoffeln. Als er sich die rechte Wange schabte, sah er im Spiegel hinter sich das Gesicht eines jungen Mannes, ein schmales, distinguiertes Gesicht mit einem Ausdruck von besorgtem Spott. Er rasierte sich weiter, ohne sich umzudrehen. »Tancredi, was hast du letzte Nacht angestellt?«

»Guten Morgen, Onkel. Was ich angestellt habe? Nichts, gar nichts. Ich habe ein paar Freunde getroffen. Es war eine rundum keusche Nacht. Nicht wie bei gewissen Bekannten von mir, die sich in Palermo amüsiert haben.«

Don Fabrizio konzentrierte sich auf die Rasur der heiklen Stelle zwischen Lippe und Kinn. In der leicht näselnden Stimme des jungen Mannes lag so viel jugendlicher Elan, dass man ihm unmöglich böse sein konnte; überrascht zu sein war jedoch wohl erlaubt. Er drehte sich um, das Handtuch unter dem Kinn, und betrachtete seinen Neffen. Der trug Jagdkleidung, mit eng anliegendem Rock und Schaftstiefeln. »Und wer waren diese Bekannten, darf man das wissen?«

»Du, großer Onkel, du. Ich habe dich mit eigenen Augen gesehen, am Wachposten von Villa Airoldi, wie du mit dem Sergeanten gesprochen hast. Schöne Geschichten, in deinem Alter! Noch dazu in Begleitung eines hochwürdigen Herrn! Alter Bock!«

Er war wirklich zu frech, er glaubte wohl, sich alles erlauben zu können! Die blassblauen Augen seiner Mutter – seine eigenen Augen – blickten ihn spöttisch lächelnd durch den schmalen Schlitz der zusammengezogenen Lider an. Der Fürst fühlte sich beleidigt; dieser Bengel wusste wirklich nicht, wie weit er gehen durfte, aber man konnte es ihm nicht übelnehmen, und er hatte ja recht. »Aber warum bist du denn so angezogen? Was ist los? Gibt es einen Maskenball am Vormittag?«

Der junge Mann wurde ernst, sein Dreiecksgesicht bekam einen unerwartet männlichen Ausdruck. »Ich breche auf, großer Onkel, in einer halben Stunde breche ich auf. Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.«

Dem armen Salina zuckte das Herz zusammen. »Ein Duell?«

»Ja, Onkel, ein großes Duell. Gegen den kleinen Franz, Gott schütze ihn. Ich gehe in die Berge, nach Corleone. Sag es niemandem, schon gar nicht Paolo. Große Dinge bereiten sich vor, lieber Onkel, und da möchte ich nicht zu Hause herumsitzen. Wo sie mich ja übrigens auch sofort verhaften würden, wenn ich hier bliebe.«

Der Fürst hatte eine seiner jähen Visionen: eine grausame Szene im Guerillakrieg, Schießerei in den Wäldern und sein Tancredi, am Boden liegend, mit heraushängenden Eingeweiden wie neulich jener unselige Soldat. »Du bist ja verrückt! Dich mit solchen Leuten einzulassen! Das sind doch alles Mafiosi. Ein Falconeri muss auf unsrer Seite sein, für den König.«

Die blassblauen Augen begannen wieder zu lächeln. »Für den König, sicher, aber für welchen?« Der junge Mann fiel wieder in jenen Ernst zurück, der ihn undurchdringlich und liebenswert machte. »Wenn wir bei denen nicht mitmischen, dann bescheren sie uns die Republik. Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern. Du verstehst schon, was ich meine.« Er umarmte seinen Onkel mit einem Anflug von Rührung. »Auf baldiges Wiedersehen. Ich kehre mit der Trikolore zurück.«

Die Rhetorik jener Freunde hatte wohl schon auf ihn abgefärbt; doch nein, in seiner näselnden Stimme lag ein Ton, der die Emphase Lügen strafte. Was für ein Junge! Redet dummes Zeug und widerruft es im selben Moment. Und was hatte Paolo in diesem Moment im Kopf? Sicher bloß die Sorge um die Verdauung seines ›Guiscardo‹! Und dieser Paolo war sein richtiger Sohn. Don Fabrizio stand eilig auf, riss sich das Handtuch vom Hals und kramte in einer Schublade. »Tancredi, Tancredi, warte!« Er lief dem Neffen nach, schob ihm ein Röllchen Goldunzen in die Tasche und drückte ihm die Schulter. Tancredi lachte. »Unterstützt du jetzt die Revolution? Aber danke, großer Onkel, auf bald. Und grüß mir die Tante.« Damit sprang er die Treppe hinunter.

Bendicò wurde zurückgerufen, er war dem jungen Herrn nachgelaufen und erfüllte die Villa mit Freudengebell. Die Rasur war beendet, das Gesicht abgetrocknet. Der Kammerdiener erschien, um dem Fürsten in Kleider und Schuhe zu helfen. »Die Trikolore! Na bravo, die Trikolore! Sie nehmen das Maul voll mit diesem Wort, die Gauner. Was bedeuten schon diese geometrischen Streifen, diese Nachäfferei der Franzosen, verglichen mit dem herrlichen Weiß und Gold unseres Lilienwappens? Was versprechen die sich von diesem grellen Farbengepansche?« Es war der Augenblick, sich die monumentale schwarzseidene Krawatte umzubinden; eine schwierige Operation, bei der man die politischen Gedanken lieber ruhen ließ. Einmal herum, zweimal, dreimal herum. Die großen feinfühligen Finger legten die Falten zurecht, strichen glatt, was noch knittrig war, und steckten das Medusenköpfchen mit den rubinroten Augen in die Seide. »Ein sauberes Gilet[16] bitte. Siehst du nicht, dass dieses schmutzig ist?« Der Kammerdiener stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm in den »Redingote« genannten braunen Gehrock zu helfen, und reichte ihm das Taschentuch mit den drei Tropfen Bergamottparfüm. Die Schlüssel, die Uhr mit Kette und das Portemonnaie steckte er sich selbst in die Tasche. Er betrachtete sich im Spiegel: Keine Frage, er war noch immer ein stattlicher Mann. »Von wegen ›alter Bock‹! Üble Scherze macht dieser Kerl! Ich möchte ihn sehen, wenn er in meinem Alter ist, dieses dürre Knochengestell.«

Sein kraftvoller Schritt ließ die Scheiben der Säle erklirren, durch die er ging. Das Haus war heiter, hell, schön dekoriert, und vor allem war es das seine. Als er die Treppe hinabschritt, begriff er: »Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist …« Tancredi würde es weit bringen, das hatte er schon immer gewusst.

*