Cover

Der Zauber guter Gespräche

In Liebe für meine Söhne

Inhalt

Einführung

Teil 1
Was können wir Eltern zu guten Gesprächen mit unseren Kindern beitragen?

Das Geschenk der ungeteilten Aufmerksamkeit

Gute Gespräche schaffen Nähe

Dem Zauber die Tür öffnen

Aktives Zuhören

Gespräche brauchen Raum und Zeit

Wenn Eltern zugewandt kommunizieren, lernt das Kind es auch

Mehr als Textmessage und Chat – einfach miteinander reden

Teil 2
Gelungene Kommunikation in herausfordernden Situationen

Gespräche und Nähe im trubeligen Familienalltag ermöglichen

Kommunikation in Konfliktsituationen

Von Wölfen und Giraffen – gewaltfreie Kommunikation

Getrennt lebend – durch Gespräche (wieder) Nähe zum Kind finden

Zeit zum Reden mit den Großeltern

Liebe macht viel richtig

Teil 3
100 Fragen, die Kinderwelten öffnen

Fantastische Szenarien

Wünsche

Favoriten

Einstellungen und Werte

Kreativität

Gegensätze

Gefühle

Anhang

Dank

Anmerkungen

Literatur

Über die Autorin

Einführung

Ich muss dieses Buch mit einem Geständnis beginnen:

Ich bin keine Bastel-Mama. Ich bin handwerklich absolut ungeschickt. Ich kann nicht malen, nicht töpfern, nicht häkeln, nicht stricken, nicht werkeln – das Talent, mit meinen Händen etwas kreativ zu erschaffen, ist bei mir absolut nicht existent. Mit Kindern, gerade mit kleinen Kindern, ist das gemeinsame Basteln, Werken, Malen eine wunderschöne Aktivität, die Kreativität befördert und Nähe schafft. Leider konnte ich dies mit meinen Kindern überhaupt nicht ausleben. Die Tage der Einschulung meiner drei Söhne waren für mich immer der Tag, der »Moment of shame«, an dem meine kreative Unfähigkeit brutal ans Tageslicht befördert wurde: Gefühlt alle anderen Klassenkameraden und -kameradinnen meiner Jungs wurden zum Schulbeginn von ihren Müttern mit liebevoll selbst gebastelten, ideenreich und individuell dekorierten Schultüten ausgestattet. Meine Söhne nicht. Ich weiß gar nicht, ob ihnen das auffiel – angesprochen haben sie es bis heute nicht. Warum erzähle ich das? Nun, wenn man in einem Bereich ein Komplett-Ausfall ist, muss man sich in einem anderen sehr anstrengen, um irgendwie zu punkten. Das, was ich immer mochte, war, Gespräche zu führen. Die Berufswahl der Psychologin liegt bei dieser Affinität nahe, und im Hinblick auf meine Kinder bedeutete dies, dass ich die Zeit, in der nicht gebastelt wurde, mit Sprache füllte:

Sprechen und Lesen. Das mochte ich, da fühlte ich mich sicherer als mit einem Lötkolben, einem Pinsel oder einer Laubsäge.

Wenn ich mich an schöne und wichtige Gespräche mit meinen Kindern erinnere, begannen sie meistens mit einer für mich unerwarteten Bemerkung:

Dies sind nur einige Sätze, die zu sehr interessanten Gesprächen führten, in denen ich manchmal Erstaunliches über meine Kinder erfuhr. Gespräche mit den eigenen Kindern sind ja gerade dann spannend, wenn wir etwas über sie erfahren, was wir gar nicht wussten, oder wenn wir etwas hören, was wir nicht vermutet hätten, da wir sie ganz anders eingeschätzt hatten – Ängste, von denen wir bisher nichts bemerkt haben, die Sehnsucht nach Risiko, von der wir nichts ahnten, Anziehungen oder Abneigungen, die wir nicht erwartet hatten, Fantasievorstellungen, die besonders sind. Wie spannend, all diese Dinge von unseren Kindern hören zu dürfen! Zu erfahren, wer sie wirklich sind, im Gegensatz zu unserer Vorstellung von ihnen und unseren Erwartungen.

Teilen unsere Kinder ihre Ideen und Gedanken mit uns, ist dies ein unglaublicher Reichtum für uns – kennen wir ihre Ängste, können wir ihnen helfen, damit umzugehen; wissen wir von ihren Sehnsüchten, Abneigungen, Vorlieben und Fantasievorstellungen, so können wir darauf eingehen.

Es ist eine wunderbare Gelegenheit, wenn ein Kind eine zufällige Bemerkung macht, die wir für ein Gespräch aufgreifen können – wir müssen also nur gut hinhören und uns Zeit nehmen und nachfragen.

Oft wurde ich in den letzten Jahren im Rahmen meiner therapeutischen Arbeit und auch außerhalb davon gefragt: Wie können wir als Eltern Gespräche mit unseren Kindern anstoßen, in denen wir mehr über sie erfahren? Wie können wir dazu beitragen, dass unsere Kinder sich öffnen?

Eltern scheint es oft richtig schwerzufallen, mit ihren Kindern in ein Gespräch zu kommen. Nicht in die üblichen »Wie war es in der Schule?«-Gespräche, sondern solche, die darüber hinausgehen. Gespräche, in denen Eltern erfahren, was in ihren Kindern vorgeht, was sie bewegt.

Mit einigen Eltern zusammen habe ich überlegt, welche Themen interessant sein könnten, um tiefe Gespräche und im besten Fall einen echten Gedankenaustausch anzustoßen, und was wichtig ist, damit Gespräche dieser Art überhaupt zustande kommen.

Aus dieser Idee heraus entstand dieses Buch. Die Grundidee war zunächst einmal, inspirierende Fragen zu sammeln, die dazu dienen, andere Gespräche als organisatorische Alltagsgespräche mit Kindern zu führen. Fragen, die dazu dienen, Persönliches von unseren Kindern zu erfahren. Es sind keine Fragen, die versuchen, intelligent zu wirken, sondern die nur ein Ziel haben: offene Gespräche in Gang zu setzen.

100 Fragen habe ich zusammengetragen, Fragen, mit denen Eltern ihre Kinder spielerisch zu einem Austausch einladen können – ohne Hintersinn, also, ohne einen konkreten Nutzen, außer dem, etwas mehr über die Gefühle und Gedanken der Töchter und Söhne zu erfahren. Die Fragen eignen sich für Kinder ab vier bis fünf Jahren und können auch mit Jugendlichen und Erwachsenen diskutiert werden.

Zu jeder Frage gibt es Platz für eigene Eintragungen. Entweder, um sich die Antwort des Kindes zu notieren – so kann das Buch später auch als eine Art Tagebuch für die Ideen, Gedanken und Gefühle der Kinder genutzt werden. Oder Sie notieren Ihre eigenen Gedanken und Ideen, zum Beispiel für weiterführende Gespräche mit Ihrem Kind. Zu jeder Frage gibt es kleine Zusätze, die das Thema noch ein wenig öffnen.

Vor den 100 Fragen finden sich gut umsetzbare Anregungen dazu, was wir Eltern dazu beitragen können, damit innige Gespräche mit unseren Kindern stattfinden und gelingen können, im Alltag wie in speziellen Situationen.

Was können wir Eltern zu guten Gesprächen mit unseren Kindern beitragen? Welche Haltungen und Gesprächstechniken können wir anwenden, damit Gespräche mit unseren Kindern gelingen? Wie können wir diese Gespräche gestalten, damit eine konstruktive Gesprächsatmosphäre entsteht, in der unser Kind gern erzählt? Weiterhin gehe ich darauf ein, wie Kommunikation in herausfordernden Situationen gelingen kann – im trubeligen Familienalltag, in Konfliktsituationen und bei getrennt lebenden Eltern.

Und schlussendlich gibt es ein Kapitel über die für viele Kinder so wichtigen Großeltern: Was ist besonders bei der Kommunikation zwischen Großeltern und ihren Enkeln?

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und Fragen und Zuhören.

Teil 1

Was können wir Eltern zu guten Gesprächen mit unseren Kindern beitragen?

Das Geschenk der ungeteilten Aufmerksamkeit

Erinnern Sie sich, mit wem Sie sich als Kind besonders gern unterhalten haben? Mit wem hatten Sie die schönsten Gespräche? Ich habe Erwachsene und Kinder danach gefragt:

Thomas, 41 Jahre

»Die schönsten Gespräche führte ich mit meiner Großmutter auf der Küchenbank. Sie saß da, hatte immer eine Strickarbeit auf dem Schoß und hörte endlos zu. Ich konnte ihr alles erzählen. Sie interessierte sich für alles und hatte so viel Zeit. Ich stand für sie immer im Mittelpunkt.«

Beatrice, 38 Jahre

»Seit meiner Kindheit habe ich die besten Gespräche mit meiner Freundin Andrea. Sie kennt mich seit der ersten Klasse und weiß einfach, wie ich ticke. Ich habe nie Angst, ihr etwas zu erzählen, schäme mich auch nie. Ich weiß, alles ist bei ihr gut aufgehoben.«

Lea, 8 Jahre

»Am liebsten mag ich es, wenn meine Tante Lisa kommt. Dann spielen wir Zirkus, ich bin Akrobatin und turne, meine Tante schaut zu. Ich erkläre ihr dann alles, was ich mache, und sie hört mir die ganze Zeit zu.«

Linus, 11 Jahre

»Die schönsten Gespräche habe ich mit meinem Papa, bevor ich schlafen gehe. Dann kann ich ihm auch geheime Sachen sagen. Er hört mir zu und erzählt mir, wie es bei ihm in der Schulzeit war. Das finde ich schön.«

Schöne Gespräche verbinden wir mit Interesse am anderen, sich Zeit nehmen füreinander und Vertrauen haben. Wir spüren, dass wir für unseren Gesprächspartner im Mittelpunkt stehen. Sowohl aus den Antworten der beiden Erwachsenen als auch der beiden Kinder können wir herauslesen, was den Zauber der guten Gespräche für sie ausgemacht hat: ungeteilte Aufmerksamkeit!

Ob erwachsen oder Kind, durch ungeteilte Aufmerksamkeit fühlen wir uns geschätzt und wertvoll. Nach solchen Momenten sehnt sich jeder. Als Erwachsene geben wir dieses Bedürfnis nicht mehr so offen zu. Kinder können es direkt formulieren: Es ist schön, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen!

Wann hat Ihnen ein Gesprächspartner oder eine -partnerin das letzte Mal aufmerksam zugehört? Mit wem sprachen Sie? Und worüber? Versuchen Sie einmal, sich an dieses Gespräch zu erinnern und noch einmal das positive, wohlige Gefühl abzurufen, das es bei Ihnen auslöste. In Ihrer Erinnerung spüren Sie: Es tut gut, von einem Gesprächspartner als wichtig empfunden zu werden.

Wir alle kennen die Situation von Festen oder anderen Veranstaltungen, bei denen man auf viele Menschen trifft, die man begrüßt. Einige sind herzlich, und wir haben das Gefühl, dass sie sich wirklich freuen, uns zu sehen. Andere gucken, noch während sie uns die Hand schütteln, im Raum umher, wen sie denn sonst noch begrüßen könnten und was sie gerade verpassen, während sie sich mit uns befassen. Sie vermitteln uns mit ihrem flackernd-suchenden Blick, dass es durchaus Wichtigeres gibt als uns. Das fühlt sich nicht gut an – manchmal wäre es sogar besser, diese Person hätte uns gar nicht begrüßt als nur so halbherzig.

Ganz anders fühlen wir uns, wenn wir mit unserem Partner oder einer Freundin sprechen, und der andere erhält während des Gesprächs einen Anruf, nimmt diesen aber nicht an, um das Gespräch mit uns nicht zu unterbrechen. Wir fühlen uns wertvoll und beachtet – wir spüren: Wir und das Gespräch mit uns sind tatsächlich im Moment die Priorität für den anderen.

Wenn es uns in unserem Alltag manchmal gelingen sollte, unserem Kind für kurze Momente genau das zu vermitteln: »Du bist jetzt gerade das Wichtigste für mich und alles andere blende ich für einen kurzen Moment aus«, dann machen wir nicht nur unserem Kind ein Geschenk, sondern auch uns selbst: Wir schaffen uns und unseren Kindern Inseln der Nähe und Geborgenheit.

Gute Gespräche schaffen Nähe

Woran erkennen wir gute Gespräche? Am deutlichsten an den Gefühlen, die sie bei uns auslösen: Gute Gespräche mit unseren Kindern beglücken, sie stellen Verbindung und Nähe her. Aber auch an der Art und Weise, wie die Gespräche sich entwickeln, lässt sich viel erkennen: Gute Gespräche »fließen« mit Leichtigkeit – ein Satz führt zum nächsten. Wir erfahren etwas vom anderen und geben auch etwas preis von uns – wir tauschen uns tatsächlich aus. Es ist ein Dialog, in dem beide Seiten zu Wort kommen und beiden Seiten Gehör verliehen wird.

Gute Gespräche schaffen eine Atmosphäre der Intensität und gegebenenfalls auch der Tiefe. In solchen Gesprächen bleiben wir nicht an der Oberfläche wie in Plaudereien oder kurzen Textnachrichten (die auch nett sein können) – im Gegenteil: Wir haben das Gefühl, dass dieser Austausch eine Bedeutung hat.

Äußerlich sieht man Menschen die Verbundenheit während dieser Gespräche an: Die Körper sind einander zugeneigt, sie schauen sich in die Augen, manchmal berühren sie sich während der Unterhaltung, und ihre Mimik drückt durch einen interessierten Blick, einen freundlichen Gesichtsausdruck, ein Lächeln Zugewandtheit und Wertschätzung aus.

Gute Gespräche bleiben uns im Gedächtnis, sie haben eine emotionale Bedeutung – sowohl für uns als auch für unsere Kinder – und dadurch einen positiven Effekt auf unsere Beziehung zueinander: Es entsteht Nähe zwischen uns und unserem Kind. Selbst wenn so ein Gespräch vor Jahren stattgefunden hat, erinnern wir uns manchmal noch heute, dass wir es an einem verschneiten Sonntagmorgen bei einer Tasse Kakao im Bett geführt haben.