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Horst Lichter
Bernd Imgrund

Bares für Rares

Horst Lichter
Bernd Imgrund

Bares für Rares

Die spannendsten Geschichten
Die interessantesten Objekte
Die sensationellsten Gebote

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@rivaverlag.de

Originalausgabe

2. Auflage 2020

© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Vielen Dank an den Produzenten von Bares für Rares, Warner Bros. ITVP Deutschland GmbH aus Köln, für die immer gute Unterstützung!

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Desirée Šimeg

Umschlaggestaltung: Manuela Amode in Anlehnung an das ZDF

Umschlagabbildung: © ZDF 2020

Layout: Marc-Torben Fischer, München

Satz: Daniel Förster, Belgern

Alle Bilder im Innenteil: © ZDF 2020 außer:

Logo lizenziert durch ZDF Enterprises GmbH © ZDF 2020

Portrait-Bilder der Protagonisten: ZDF / Frank W. Hempel & ZDF / Helge Articus

Christina Schmitz-Rogge 98; Colmar Schulte-Goltz 46; Daniel Meyer 67 f.; Dr. Elisabeth Nüdling 71; Elke Velten-Tönnies 84; Dr. Heide Rezepa-Zabel 43 f., 57; Jana Naïma Zerlett 102 f.; Julian Schmitz-Avila 77 f.; Katharina Kreutz 96; Ludwig Hofmaier 58; Markus Wildhagen 87 f.; Sheila Bär-Mertens 94; Susanne Steiger 80 f.; Uebemann Rohr- und Walzwerk GmbH & Co. KG 106 f.; Volker Wolf 100; Wolfgang Pauritsch 74 f.

Shutterstock: Leonard Zhukovsky 140; Matej Kastelic 188; Snap Crackle Pop 182

Druck: Firmengruppe APPL, aprinta Druck, Wemding

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-1153-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0822-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0823-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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Inhalt

Vorwort von Horst Lichter

1 Wie alles begann

2 Die Beteiligten

Der Moderator Horst Lichter

Die Experten (in alphabetischer Reihenfolge)

Sven Deutschmanek

Wendela Horz

Detlev Kümmel

Albert Maier

Dr. Heide Rezepa-Zabel

Colmar Schulte-Goltz

Die Händler (in alphabetischer Reihenfolge)

Jan Čížek

Ludwig »Lucki« Hofmaier

Fabian Kahl

Walter Lehnertz

Daniel Meyer

Dr. Elisabeth »Lisa« Nüdling

Wolfgang Pauritsch

Julian Schmitz-Avila

Susanne Steiger

Elke Velten-Tönnies

Markus Wildhagen

Die Menschen hinter der Kamera

3 Drehorte und Formate

4 Besondere Momente

Die größten Fälle

Die größten Flops

Die schrägsten Fälle

Der teuerste Verkauf

Das älteste Objekt

Die höchste Gewinnspanne

Der kürzeste Fall

Die rührendsten Fälle

5 Am Rande notiert

Das Intro

Die Händlerkarte

Horst und die Gretchenfrage

Rekorde und Preise

6 Sammeln gestern und heute

7 Informationen zur Sendung

Glossar

Über die Autoren

Vorwort
von Horst Lichter

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Ich bin mir nicht mehr ganz so sicher, wer mir alles – natürlich in bester Absicht – einen guten Tipp gegeben hat, als ich erzählte, dass ich da wahrscheinlich eine interessante Sendung moderieren könnte. »Meinst du, das wird was? Hört sich ja nicht gerade spannend an!« oder »Riecht nicht gerade nach ’nem Knaller …«, unkte es unsicher aus dem Bekanntenkreis. »Wie heißt das? Bares für Rares? Wieso denn jetzt so was? Biste jetzt Trödelhändler? Was soll das denn schon groß geben?«

So ähnlich klang das alles, damals im Frühjahr 2013. Kinders, leck’ mich in die Täsch’ – was ist das schon wieder lange her! Und ganz ehrlich, ihr Lieben, klar hab ich überlegt, ob es sinnvoll ist, so eine Sendung zu präsentieren. Ganz ehrlich: Ich hatte keinen Schimmer, ob Bares für Rares ein Renner wird. Aber ich war hundertprozentig davon überzeugt, dass es genau die richtige Sendung für mich ist, und wollte sie unbedingt machen. Weil ich das bin, Bares für Rares! Weil ich schon mein ganzes Leben selber ein Sammler und Käufer bin. Jeder, der einmal in meiner legendären Oldiethek war, wird an dieser Stelle ein begeistertes, von Herzen kommendes »Jau, stimmt!« ausrufen.

Ich war und bin immer auf der Suche. Immer bereit, irgendwas Verrücktes zu kaufen, einzutauschen oder zu verticken. Das war nie anders, Herrschaften! Guckt mal: Das erste brandneue Fahrrad, das mir meine Eltern schenkten – was war ich stolz! Und was passierte nur ein paar Tage später? Ich tauschte es gegen das Rad meiner Freundin, weil ich das noch viel besser fand als meines.

Da machste nix, Kinders! Das liegt mir im Blut, das bin eben ich. Und so werde ich immer sein. Ich liebe alte Dinge und noch mehr die Geschichten dahinter. Geschichten von Menschen, die was ganz Besonderes mit diesen alten Dingen verbindet. Wenn ich mich selber beschreiben müsste, dann würde ich aus vollem Herzen sagen: Ich bin ein Menschen- und Geschichtensammler.

Und eigentlich war die Oldiethek, mein ehemaliges Restaurant in Rommerskirchen, nichts anderes als eine völlig verrückte Halle, die ich mit Mopeds, alten Autos, Antiquitäten, Schreibmaschinen und weiß der Kuckuck was noch alles vollgestellt hab. Und in dem ganzen Wahnsinn hab ich meinen alten Kohleherd, Tische und Stühle hingestellt und gekocht. Deswegen kamen die Menschen zu mir – weil da so ein Verrückter in einer noch verrückteren Bude saulecker gekocht hat. Alles nach dem Motto: »Das musst du erlebt haben!« Dann kam – natürlich aus demselben Grund – das Fernsehen zu mir. Und so kam ich ins Fernsehen.

Dass Bares für Rares so ein Riesenerfolg werden würde, konnte niemand ahnen. Aber ein bisschen gehofft hab ich’s schon. Denn was gibt es Schöneres, als eine Sendung zu präsentieren, die all meine großen Leidenschaften unter einen Hut bringt? Ich glaube, dass die Zuschauer das auch spüren: mein Herzblut, mein echtes Interesse, meine Neugier und meine Leidenschaft. Und sie belohnen diese echte Leidenschaft und schalten ihren Fernseher ein. Denn die Menschen lieben Formate, die ehrlich und echt sind. Und sie haben ein Gespür dafür, ob die Beteiligten auch »echt« sind und ihren Job gerne machen.

Für Bares für Rares kann ich sagen: Genau so ist es, Kinders! Wir verstehen uns alle wahnsinnig gut, wir mögen uns wirklich. Die Händler, die Experten und das gesamte TV-Team, das hinter uns steht – es ist ein Träumchen! Diese Show ist wie eine warme Kuscheldecke, die sich an einen schmiegt.

Es freut mich deshalb ganz besonders, dass es jetzt das Buch zur Sendung gibt. Es versammelt die Highlights der letzten Jahre: die größten, die schrägsten und rührendsten Momente. Und selbst große Bares-für-Rares-Fans werden beim Blättern viel Neues entdecken. Denn seien wir doch mal ehrlich: Eine gute Geschichte ist nie zu Ende erzählt, sie geht ja immer weiter!

Ich hoffe, ihr freut euch auch wie Bolle über dieses wunderbare Buch. Passt auf euch auf und viel Spaß beim Schmökern!

Euer Horst

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1

Wie alles begann

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Die Premiere:
4. August 2013, Staffel 1, Folge 1

Erinnert sich noch jemand? »Herzlich willkommen bei Bares für Rares«, begrüßt Horst Lichter am 4. August 2013 das Fernsehpublikum. Und erklärt direkt einmal den Kern der Sendung: »Geht es Ihnen nicht auch so: Sie haben irgendwann mal was gekauft, zwischenzeitlich weggestellt und zufällig wiederentdeckt. Und dann Sie denken sich: ›Oh mein Gott, das muss unfassbar wertvoll sein!‹« Das ist der Moment, in dem Bares für Rares ins Spiel kommt. Denn genau für diese Augenblicke ist die Sendung geschaffen. Man klemmt sich sein Schätzchen unter den Arm, wendet sich an Horst und vertraut sich den Experten an. Um die Antiquität flüssig zu machen, bedarf es nur noch eines allerletzten Türöffners. Off-Stimme Volker Wolf bringt es in der ersten Folge der ersten Staffel auf den Punkt: »Alle wollen die begehrte Händlerkarte!«

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Ein Silberservice aus Leichlingen

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Wolfgang Overaths Tasche von 1970

Wer die Premierensendung noch einmal Revue passieren lässt, staunt, wie viel seitdem geschehen ist und wie viele Details trotz aller Weiterentwicklung bis heute unverändert geblieben sind. Die Expertentische waren schon da, klar. Bei der Premiere standen dort, von links nach rechts: Heide Rezepa-Zabel, Albert Maier und Oliver Kircher, der nur die erste Staffel begleitete.

Als erster Gast trat Lutz Gusowski auf, ein Malermeister aus Leichlingen bei Leverkusen. Mitgebracht hat er ein Silberservice, das einst der Oma seiner Frau gehört hatte. »Da durfte niemand dran. Das war ›für gut‹, wie es früher so hieß«, erklärt er Horst und Heide. Diese zeigt sich sehr angetan von dem Ensemble: »Ich bin mir sicher, dass es massives Silber ist.« 2 500 bis 3 000 Euro seien drin, schätzt die Expertin. Aber dieser Verkäufer wollte mehr – und er sollte auch mehr bekommen. »Du bist aber mutig!«, meint Horst, bevor er ihm das Händlerkärtchen reichte. Der Schlüssel ins Reich der potenziellen Käufer kam damals noch recht labbrig daher, glich eher einer herkömmlichen Spielkarte und war falt- und rollbar.

Auch der Weg von der Expertenhalle in den Händlerraum war seinerzeit ein anderer. Zu Anfang wurde in den Kölner Balloni-Hallen gedreht, die Händler erreichte man über eine schmale Treppe. Noch heute, so erzählen die alten Hasen von Bares für Rares, zeigten sich manche Verkäufer erstaunt, dass man Eifel-Waldi & Co. inzwischen ebenerdig erreicht.

»Der Eifel-Waldi« oder »80-Euro-Waldi« – bürgerlicher Name: Walter Lehnertz – ist ein Händler der ersten Stunde. Von der ersten Sendung an saß er ganz links außen. Ihm zur Rechten damals: Sandra Vanessa Schäfer, Wolfgang Pauritsch, Fabian Kahl und Ludwig »Lucki« Hofmaier. Nur Sandra, Kölner Antiquitätenhändlerin und Schmuckexpertin, stieg nach der ersten Staffel aus.

Versteigert wurde an jenem Sommertag im August unter anderem jenes Silberservice, das erstaunliche 10 000 Euro erbrachte. Hinzu kamen diverse antike Schriftstücke, eine Superman-Figur und eine Chaiselongue. Zum Teil konnten auch die weiteren Verkäufer mit einem ordentlichen Batzen Geld nach Hause gehen. An Originalität toppte sie jedoch der damalige Referendar Jan Deurer mit seinem Objekt. Er hatte einst eine alte adidas-Sporttasche für 5 Euro auf dem Flohmarkt ergattert. Zu Hause bemerkte er den mit Kuli geschriebenen Namenszug »Wolfgang Overath« in der Nähe des Reißverschlusses. Als er den Kölner Fußballhelden zufällig einmal traf, ließ er sich seine Vermutung bestätigen: Das war Overaths Sporttasche während der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko gewesen. Zwar wurde Deutschland damals nicht Weltmeister, war aber immerhin am sogenannten Jahrhundertspiel vom 17. Juni 1970 beteiligt, das mit 3:4 gegen Italien verloren ging. Experte Oliver taxierte die Tasche auf 150 bis 200 Euro. Jan hingegen hoffte, an die investierte Fünf noch »zwei Nullen dranhängen« zu können. Gesagt, getan.

Im Händlerraum sind es an jenem Tag ausgerechnet ein Thüringer und ein Bayer, die sich um das kunstlederne Behältnis des kölschen Wolfgang balgen. Bei 480 Euro erst gibt Fabian auf, und Lucki erhält den Zuschlag. Der hohe Preis überrascht nicht nur Horst und die Zuschauer, sondern auch den mit allen Wassern gewaschenen Waldi: »Wenn die wenigstens FC-Fans wären …«, nörgelt er. Um sich dann an Lucki zu wenden: »Sag mal, kann es sein, dass du in deinen jungen Jahren zu lange auf den Händen gelaufen bist?« Und auch der Moderator resümiert: »Die sind total bekloppt, die Händler!«

Wie sich herausstellen sollte: So ein bisschen Wahnsinn ist offenbar eine gute Basis, um eine erfolgreiche Show aus der Taufe zu heben.

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Fortsetzung folgt!

Niemand wusste zu Anfang, was der Sendung zuzutrauen war. Deshalb platzierte man sie beim ZDF zunächst einmal vorsichtig. Horst Lichters neue Trödelshow lief ausschließlich sonntags um 13 Uhr. Bestand die erste Staffel aus gerade einmal 6 Folgen, so erweiterte man die zweite schon auf 26 Episoden, die von Februar bis Mai 2014 abgedreht wurden. Doch auch diese waren ausschließlich am Sonntag zu sehen. Aber die Quoten stiegen, und so beschloss man, im Juli 2014 testweise eine tägliche Sendung auszustrahlen. Sie setzte sich zunächst aus älteren Folgen zusammen, ergänzt um jeweils einen neuen Fall. Parallel dazu wurde die im Hauptprogramm des ZDF laufende Show auf ZDFneo wiederholt. Im Frühjahr 2015 folgte der nächste große Schritt: Ab dem 18. Mai erschien Bares für Rares täglich mit neuen Folgen. Kurioserweise ersetzte die Show des Fernsehkochs Lichter auf diesem Programmplatz ausgerechnet eine Kochsendung: Die Topfgeldjäger wurden in 966 Episoden von 2010 bis 2015 gezeigt.

Die Zuschauerzahlen waren unterdessen immer weiter gestiegen. ZDFneo ging ab Mai 2016 dazu über, Bares-für-Rares-Wiederholungen mehrmals täglich zu senden. Das Team um Horst, seine Händler und Experten wuchs sich zu einer bedeutenden Marke in der deutschen Fernsehlandschaft aus. Die Feuilletons diskutierten, die Klatschspalten jubelten. Und auch die TV-Branche reagierte: 2018 gewannen Horst & Co. die Goldene Kamera für die beste Dokutainment-Show. Ein Jahr später folgte der Deutsche Fernsehpreis für das Beste Factual Entertainment. »Dat wär’n Sensatiönchen!«, hatte der Moderator vorher frohlockt.

Und dann wurde es wahr, das Sensatiönchen.

2

Die Beteiligten

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Der Moderator Horst Lichter:
»Mein Studium war mein Leben«

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Horst bei seiner liebsten Freizeitbeschäftigung: dem Motorradfahren

Mit Horst Lichter hat Bares für Rares nicht »irgendeinen« Moderator. Der Mann passt zu dieser Sendung wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Denn Horst ist Sammler, schon sein ganzes Leben lang. Alte Schätzchen ziehen ihn magisch an, vor allem Autos und Motorräder. Aber Horst sammelt nicht einfach nur totes Material. Stets geht es ihm um die Geschichten hinter dem Objekt und um die Menschen, die diese Geschichten schrieben. Handeln und Verkaufen stehen für ihn nicht im Vordergrund, viel wichtiger als der materielle ist der ideelle Wert eines Sammlerstücks.

Im Interview erzählt er, wie es anfing mit seiner Leidenschaft. Er erzählt von der Faszination, die alte Gegenstände auf ihn ausüben, aber auch von den Steinen, die sie ihm zuweilen in den Weg legen.

Dein einstiges Restaurant hieß Oldiethek. Nicht gerade ein typischer Name für ein Speiselokal.

Ich habe damals nach einem Namen gesucht, der so einprägsam ist, dass man ihn nie vergisst. Dabei kam mir, warum auch immer, »Hoffmanns Sprühstärke« in den Sinn. Die hilft normalerweise beim Bügeln von Hemden, Tischdecken und so weiter. Hoffmann war also der Mensch hinter der Sprühstärke, und so ähnlich wollte ich es bei meinem Laden auch machen. In dem standen viele Dinge, die mein Leben ausmachen, alles altes Zeug. Damals hatte ich so viel gesammelt, dass ich damit vier Jahre Bares für Rares hätte ausstatten können. Minimum! Damit war ich dann schon bei »Lichters Oldies«, aber etwas fehlte noch. Denn schließlich sollte es um Essen und Trinken gehen, und dafür stand die Theke. Und so wurde daraus »Lichters Oldiethek«.

Leider Gottes war der Name nur logisch für mich, alle anderen haben ihn missverstanden. Bis zum Schluss, auch noch nach Jahren, riefen mich Leute an und fragten, welche Musik bei uns laufe. Die dachten, es handele sich um eine Diskothek mit alter Musik. Letztlich lief es darauf hinaus, dass die Gäste »zum Lichter« oder »zum Horst« gingen, während der Name »Oldiethek« nur noch nebenherlief. Ich selber spreche immer von »meinem Laden«.

Hast du ihn eher als Koch oder als Sammler eingerichtet?

Der Laden war nichts anderes als die Erfüllung all meiner Träume. Nach meinem zweiten Schlaganfall hab ich mich gefragt: Was will ich wirklich im Leben? Warum läuft mein Leben so schief, dass ich darüber krank geworden bin? Als ich mich dann während der Reha mal mit diesen Fragen auseinandergesetzt habe, kamen die Dinge recht einfach zusammen: Ich wollte wieder Koch sein. Und zwar nicht deshalb, weil ich nun der leidenschaftlichste Löffelschwinger auf Erden war. Sondern weil ich Menschen an einen Tisch kriegen wollte, um dort lecker zu essen. Am Tisch kommt man zusammen, da isst man, trinkt man, lacht und weint man gemeinsam. Von der Taufe bis zur Beerdigung: Alles findet rund um den Tisch statt, das ist also ein ganz besonderer Ort. Und solch einen Ort wollte ich den Menschen bieten, die zu mir kommen.

Und der Sammler in dir stieß dann dazu?

Auf alte Sachen und Oldtimer stand ich schon seit frühester Kindheit. Meine Eltern haben das nie verstanden, und es gab durchaus auch mal Ärger deswegen. Mit dem Laden wollte ich mir zugleich meine eigene Welt schaffen. Da sollten Autos rein, Motorräder, meine ganzen Antiquitäten, Kunst, Kitsch und Trödel. Gott sei’s gedankt, hatte ich zu jener Zeit gar kein Geld – denn genau deswegen wurde die Oldiethek so schön, wie sie war.

Gab es Lieblingsstücke?

Darüber könnte man Monate reden. Die Einrichtung ist organisch entstanden, ich könnte gar nichts herausheben. Ich hatte da beispielsweise 4 500 Kaffeekannen stehen, ohne je ernsthaft Kaffeekannen gesammelt zu haben. Dasselbe galt für Hunderte Schreibmaschinen und den Raum mit den Filmvorführgeräten. Sei es der komplette Friseursalon, die Carrera-Bahn oder sonst irgendwas: Das gehörte alles zusammen, war alles eins.

Ein zentrales Objekt war dein Küchenherd.

Und selbst der war ja hundertfünfzig Jahre alt! Als ich meinen Laden plante, hab ich mir zur Bedingung gemacht, dass dort alles echt sein muss. Schon damals, 1990, gab es viel zu viel Pfuschwerk, und heute ist es mit der Elektronik noch viel unübersichtlicher geworden. Eigentlich braucht man das alles nicht. Um lecker zu kochen, reichen Feuer, eine Pfanne und ein Pott. Ich wollte kochen wie früher, auf Kohle. Wenn du einmal im Leben einen Braten gegessen hast, der im Backfach eines Holzkohleofens geschmort hat, dann willst du nichts anderes mehr.

Wie hast du ihn gefunden, den Kohleherd?

Auf ’nem Trödelmarkt, wo sonst! Ich hatte absolut keine Ahnung, wie das Teil funktioniert. Man muss bedenken: Das war kein deutscher, sondern ein flämischer Herd, ganz anders konstruiert. Der stand längs statt quer, und am Ende lag der Fang für den Rauch, während vorn in einer Kugel geheizt wurde. Die Hitze zieht nach oben durch die Platte und schließlich hinten in den Abzug.

Klingt kompliziert.

Das war ein Lernprozess über Jahre. Ich hab allein schon Monate gebraucht, bevor ich den ersten Pfannkuchen heile von diesem Herd herunterbekam. Geschweige denn, wie ich später für siebzig Gäste à la carte kochte. Unter der Dauerbelastung rissen die Gussplatten hin und wieder. Wir haben mal die Temperatur gemessen, da lagen tatsächlich über 1 200 Grad drauf! Eine haben wir sogar extra anfertigen lassen, aber selbst die wölbte sich nach einiger Zeit. Letztlich hab ich mehrere dieser Küchenherde durchgezogen und nachher auch jemanden gefunden, der auf deren Restauration spezialisiert war.

In der Oldiethek hast du vor aller Augen gekocht.

Die Leute standen um mich herum, sahen zu, erzählten Geschichten. Alles drehte sich um meinen Herd. Die Oldiethek war ja auch nicht zuletzt ein Treff für meine Motorradkumpels. Die Jungs haben in ihrer Lederkombi geschwitzt wie die Ferkel und mir beim Kochen zugesehen.

Lag in der Oldiethek ein Gästebuch aus?

Zum einen gab es ein Club-Buch. Weil ich in meinem ersten Jahr keine Gastroerlaubnis hatte, hab ich den Spinner-Club gegründet: eine Mark Beitritt, und dann warst du lebenslang Mitglied. Wenn man einen Traum hat, muss man eben erfinderisch sein. Denn nun durfte ich – für meine Clubmitglieder – Getränke und Speisen zubereiten. Das Buch besitze ich noch, das ist eine echt beeindruckende Namensliste. Jedenfalls hatten wir innerhalb eines Jahres gut 2 500 Mitglieder. Mein eigentliches Gästebuch war allerdings der Laden selbst.

Ein Kanadier fing damit an, einen Dollarschein mit seiner Visitenkarte an die Decke zu heften. Der erzählte mir, das sei in Kanada so üblich: Wenn man sich in einer Kneipe so richtig wohlfühlt, hängt man da seinen letzten Dollar auf. Und wenn man irgendwann völlig pleite ist, kann man den Dollar dann am schönsten Platz der Welt versaufen. Die Sache hat sich danach verselbstständigt. Ich bekam Zigtausende Visitenkarten, die Leute beschrieben Servietten und was weiß ich nicht alles.

War dein Sammeln zielgerichtet?

Nie, und darüber hab ich in den letzten Jahren auch ernsthaft nachgedacht. Ich hab immer Menschen beneidet, die zum Beispiel Briefmarken sammeln. Die können mit den deutschen anfangen, mit den europäischen weitermachen und mit den weltweiten aufhören. Denen geht nicht so viel durch den Kopf durch die Spezialisierung. Kumpels von mir fahren ihr Motorrad seit vierzig Jahren. Die lieben ihre Maschine, hegen und pflegen die, schrauben mal links, mal rechts, aber kämen nie auf den Gedanken, sich davon zu trennen. Ich hingegen fand immer alles schön: von der NSU Quickly bis zur Münch Mammut; vom Goggomobil bis zum Ferrari. Und genauso ging das mit meinen Büchern. Ich besaß zeitweise Hunderttausende, und auch die waren querbeet gemischt: Romane, Sachbücher zur Architekturgeschichte, Gedichte – alles. Weil ich eben alles lesens- und »sammelnswert« finde.

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Daumen hoch: ein Mann - ein Oldtimer

Gibt es im Trödel- und Kunstkosmos Bereiche, die dir völlig an der Hacke vorbeigehen?

Vorsichtig ausgedrückt: moderne Kunst. Da hab ich keinen echten Zugang. Wann ist was Kunst? Das meiste von Herrn Beuys zum Beispiel erinnert mich eher an des Kaisers neue Kleider. Zur Kunst gehört für mich Können, das muss sichtbar sein. Mag aber auch an meiner Herkunft liegen. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, hab die Hauptschule besucht und nie studiert. Mein Studium war mein Leben.

Was ist beim Nachdenken über deine Sammelleidenschaft herausgekommen?

Dass ich unterm Strich eigentlich immer nur eine Sache gesammelt hab: die Geschichten der Menschen. Das erklärt auch, warum ich immer wieder alles abgeben kann. Viele meiner Bekannten können nicht verstehen, warum ich etwa eine traumhafte Motorradsammlung auf einen Schlag komplett verkaufe. Denen antworte ich: Wenn etwas anfängt, Ballast zu werden, ist das sofort weg. Oder auch wenn ich ganz schnöde das Geld brauche.

Ist Sammeln eine Leidenschaft, die Leiden schafft?

Sammeln kann tatsächlich zur Sucht werden, so wie Alkohol, Rauchen oder Glücksspiel. Ich kenne viele Sammler, die ich für hochgradig süchtig halte. Die geben ein Vermögen aus für ihre Sammlung und gehen auch bis an ihre körperlichen und nervlichen Grenzen. Aber mir liegt das fern: Bevor etwas Leiden schafft, trenne ich mich lieber davon. Ich kann das, das weiß ich, und werde das auch in Zukunft so handhaben.

Gutes Gefühl, oder?

Ein wunderbares Gefühl! Bevor ich die Oldiethek abgegeben hab, nach zwanzig Jahren, hab ich lange überlegt. Keine Ahnung, wieso, aber alle großen Entscheidungen fälle ich in einem geheimnisvollen Dreijahresrhythmus; ist mir irgendwann mal aufgefallen. Es beginnt immer mit der grundsätzlichen Idee, mit dem Nachdenken über eine Veränderung. In der Zeit redet man dann erst mal eher locker darüber. Die echte Beschäftigung damit ist intensiver und läuft während des zweiten Jahres. Im dritten treibe ich die Sache richtig voran, und am Ende steht die Trennung vom Alten und der Schritt ins Neue.

Hattest du ein persönliches Verhältnis zu deinen Arbeitsutensilien als Koch, etwa zu den Messern?

Für viele Köche sind ihre Messer Heiligtümer. Auch ich besitze einen Satz traumhaft schöner Messer, den ich mir mal Anfang der 2000er gegönnt hab. Ich finde es wunderschön, die anzugucken, aber geschnitten hab ich vielleicht zweimal mit einem von denen. Meine Arbeitsutensilien müssen schön und praktisch sein. Ich liebe zum Beispiel Kupfertöpfe, aber da würde ich mir zum Beispiel nie die ganz alten besorgen. Auf den modernen Herden sind die Mist, und die musst du auch ganz komisch schrubben. Die neuen hingegen sind innen beschichtet, haben einen tollen Boden drunter und trotzdem die Optik, die ich so mag.

Für die Pfannen auf deinem Kohleofen galt das aber nicht?

Nein, das waren ausschließlich uralte Gusspfannen. Witzigerweise funktionieren die aber auch auf den modernen Induktionsherden.

Ist in Zeiten von Bares für Rares die Händlerkarte zu deinem Werkzeug geworden?

Für mich hat die Händlerkarte vor allem mit Respekt zu tun. Da geht es um die Übereinstimmung von Expertise, Gegenstand und dem Menschen, der ihn mitgebracht hat. Wenn da realistische Vorstellungen herrschen, kann ich einen Verkäufer guten Gewissens zu den Händlern schicken. Häufig genug vergebe ich die Karte ja auch nicht. Zum Beispiel wenn der emotionale Wert für die Menschen zu groß ist im Verhältnis zum tatsächlichen Preis. Schon immer hab ich mich mit dieser Frage beschäftigt: Was ist wann etwas wert? Durch Bares für Rares hab ich in der Hinsicht unglaublich viel dazugelernt.

Zum Beispiel?

Jedes Objekt wird durch mindestens vier Werte bestimmt. Nehmen wir eine Rolex Daytona. Eine hochbegehrte Uhr! Der reine Materialwert mag ein paar hundert Euro betragen. Der Händler jedoch verlangt neu um die 9 000 dafür und verdient dabei 40 Prozent. Damit haben wir dann schon einen dritten Wert: die rund 3 600, die der Händler dabei Plus macht. Nun bekommst du diese Rolex aber nicht sofort, und aus zweiter Hand werden bis zu 15 000 Euro dafür bezahlt.

Also, was ist die Uhr nun wirklich wert? Was ist sie für dich wert? Mit dem Wert ist es offenbar eine hochkomplexe Sache. Und erschwert wird das Ganze noch dadurch, dass auch Emotionen eine große Rolle spielen.

Gab es schmerzhafte Trennungen von Dingen?

Wann immer ich flüssig war, hab ich mir den Traum vom jeweiligen Wunschmotorrad erfüllt. Aber recht zügig kam auch immer wieder der Moment, wo ich Kohle brauchte. Während des Hausbaus mit meiner ersten Frau hatte ich meine erste Königswellen-Ducati. Anderthalb Jahre lang hab ich die restauriert, Ersatzteile besorgt und so weiter. Und als sie dann fertig war – wunderschön anzusehen! –, war klar, dass das mit dem Hausbau vorne und hinten nicht funktionierte. Ich wusste, ich musste die Ducati verkaufen. Als sie schließlich vom Hof fuhr, hab ich schon die eine oder andere Träne verdrückt.

Was ist dir so wertvoll, dass du es nie abgeben würdest?

Allem voran die Taschenuhr meines Vaters. Die hat er sich in den Siebzigerjahren zugelegt, ein total unscheinbares Teil für 15 D-Mark. Mein Vater war Bergmann und durfte im Arbeitsoverall keine Armbanduhr tragen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Vater und Mutter am Küchentisch saßen und Tränen gelacht haben über diese Uhr. Aber heute ist die mir mehr wert als jede goldene oder silberne – weil sie eben von meinem Papa ist.

Geht’s dir mit deinen Autos und Motorrädern ähnlich?

Mein erstes Mokick war eine Yamaha TY 50, die damals neu 1 600 Mark gekostet hat. Die hab ich natürlich irgendwann verloren, aber mir später beim gleichen Händler noch mal gekauft. Das Mopedchen macht mich nicht ärmer oder reicher. Aber jedes Mal, wenn ich davorstehe, bin ich wieder sechzehn.

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Der Schnurres sitzt, die Weste auch

Du sagst immer, dass du nicht Gegenstände, sondern Menschen und Geschichten sammelst. Was meinst du damit?

Gegenstände werden erst wertvoll durch die Menschen, die mit ihnen Umgang hatten. Gerade deswegen fasziniert mich so vieles. In meiner Tasche trage ich immer einen ganz kleinen, bronzenen Schutzengel mit mir. Materiell betrachtet, ist der nichts wert, aber den hat mir mal ein Kind mit Behinderung geschenkt. Dieses Mädchen kam immer mit seinen Eltern in meinen Laden. Es konnte nicht wirklich reden und litt unter einer ganz schlimmen Krankheit. Aber wenn sie reinkam, dann immer mit großen Äugelchen. Die saß vor dem Ofen und hat gelächelt. Ich hab mit dem Kind immer lustigen Blödsinn gemacht, ohne zu wissen, ob es mich versteht oder nicht. Irgendwann kam die Familie dann ein letztes Mal: Das Mädchen lag im Sterben und musste ins Krankenhaus. Und ihr Wunsch sei es, dass ich den Schutzengel bekomme, den ihr einst die Großeltern geschenkt hatten. Diese Geschichte macht den Schutzengel für mich so wertvoll, dass ich ihn mein Leben lang behalten werde.

Wie steht es mit dem ideellen Wert und der persönlichen Bindung, wenn sich ein Geschenk als materiell wertvoll entpuppt?

Auch dazu hab ich eine gute Geschichte: Eines Tages kam eine alte Dame in den Laden und fragte nach meiner Büchersammlung. Dann zeigte sie mir einen Band einer Brockhaus-Erstauflage – wunderschön! Ich sagte ihr: Hätte ich sehr gern, kann ich mir aber nicht leisten. Sie antwortete nur: »Na ja, das sehen wir dann.« Ein paar Wochen später kam ihre Tochter mit der kompletten Auflage, die ich in einer hübschen alten Vitrine aufreihte. Nur wiederum zwei Tage darauf erschien ein kaufwilliger Mann in der Oldiethek. Der war wirklich hartnäckig und bot mir 200 D-Mark pro Band. Aber ich erklärte ihm: »Die habe ich geschenkt bekommen, und Geschenktes verkauft man nicht.« Am nächsten Tag kam die Oma mit der Tochter und jenem Mann, der sich als deren Ehemann entpuppte. Die hatten mich also testen wollen – und ich hatte den Test bestanden. Tatsächlich habe ich den Brockhaus nie weiterverkauft, sondern meinem Sohn geschenkt.

Mit deiner langjährigen Erfahrung als Moderator einer Trödelshow: Wie spürt man, ob jemand emotional mit dem zu verkaufenden Objekt verbunden ist oder nicht?