Nachweise

1 www.stern.de, 14.04.2016.

2 www.faz.net, 25.03.2014.

3 www.zeit.de, 20.10.2016.

4 www.spiegel.de, 11.03.2019.

5 amp.focus.de, 01.01.2019.

6 www.sueddeutsche.de, 17.05.2015 »Ohne jeden Zweifel«.

7 Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

8 www.waz.de, 31.01.2019.

9 Eine (nur) im juristischen Examen existente volle Note zwischen den Notenstufen »befriedigend« und »gut«.

10 www.faz.net, 18.02.2015, »Der Justiz gehen die Juristen aus«.

11 www.lto.de, 13.09.2018, »Mit 6,5 Punkten ins Richteramt«.

12 Steffi Burkhart, Die spinnen, die Jungen!, Gabal Verlag, Offenbach 2016, S. 226.

13 Die Zahlen wurden erhoben vom Bundesamt für Justiz; www.bundesjustizamt.de, Juristenausbildung_2009.pdf.

14 Länge und Reihenfolgen der Stationen weichen in den einzelnen Bundesländern teilweise (etwas) voneinander ab, einen guten Überblick findet man unter www.lto.de »Die Stationen im Referendariat« (Stand Mai 2019).

15 An dem sogenannten Votum.

16 Der Aufenthalt in der ersten Kammer beträgt selten mehr als zehn Monate.

17 Das ist allerdings kein auf das Landgericht Düsseldorf beschränktes Phänomen.

18 Master of Laws, ein juristischer, international anerkannter Postgraduierten-Abschluss für Studenten der Rechtswissenschaften.

19 Vgl. z. B. Max Steller, Nichts als die Wahrheit?, 2. Aufl., München 2015, S. 268 f.

20 Birte Englich, »Blind or Biased? Justitia’s Susceptibility to Anchoring Effects in the Courtroom, Based on Given Numerical Representations«, in: Law &Policy, Oktober 2006, S. 497 ff.

21 Erst 2014 wurde die GVVO aufgehoben, ihre Grundprinzipien bei der Besetzung der Behördenleiterposten gelten jedoch fort.

22 www.lto.de, 02.07.2018, »Deutschland würde heute nicht mehr in die EU aufgenommen«.

23 Für diejenigen, die des rheinischen Dialekts nicht mächtig sind: »Was ist der Kölner Klüngel?«

24 Vgl. hierzu www.nrz.de, 29.04.2018: »Gericht untersagt Postengeschacher um Landessozialgericht«.

25 Vgl. www.stuttgarter-zeitung.de, 07.02.2016: »Wenn Richter am Recht zweifeln«.

26 Thomas Fischer, Im Recht – Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter, München 2016, S. 280 f.

27 Eine Art Zeugnisnote, mit der die Leistung eines Richters bewertet werden soll.

28 Präsidialrichter im Dezernat I, das traditionell für richterliche Personalangelegenheiten zuständig ist.

29 Übrigens ist der Kammervorsitz in Spanien kein Beförderungsamt.

30 amp.focus.de, »Angst vor Clans? Gerichtssprecher weist Vorwurf zurück, aber Vermerk belegt Gegenteil«, 29.03.2019.

31 Gemeint ist das Sekretariat des Richters – wobei der Richter nicht weisungsbefugt ist.

32 Im Juli 2018 habe ich einen Jahreswagen von Hyundai erworben.

33 Gegebenenfalls muss hiervon sogar noch die Kostendämpfungspauschale abgezogen werden (vgl. dazu »Bloß nicht krank werden!«)

34 rp-online.de, 09.04.2014, »Richter wird in Nordrhein-Westfalen zum Mangelberuf«.

35 EuGH Urteil vom 21.02.2018 C-518/15.

36 www.lto.de, »Was verdient ein Rechtsanwalt? Gehälter im Durchschnitt«, Stand 2018.

37 www.zeit.de, »Der angeklagte Richter«, 19.02.2015.

38 m.haz.de, »Student mit Einser-Abitur kauft Jura-Examen«, 08.10.2015.

39 m.faz.net, 15.08.2012.

40 www.pfalz-express.de, 20.04.2016.

41 mobil.express.de, 13.01.2012.

42 www.augsburger-allgemeine.de, 13.01.2012.

43 www.abendblatt.de, 31.01.2017.

44 vgl. Patrick Burow, Justiz am Abgrund: Ein Richter klagt an, Stuttgart 2018, S. 46.

45 Keine Sorge: Es gibt kein Landgericht Buxtehude!

46 147 RiStBV Abs. 1 Satz 3.

47 Ein Nachschlagewerk, in dem Rechtsprechung und Literaturansichten zu den einzelnen Bestimmungen eines Gesetzes erläutert werden.

48 www.drb.de, 03.07.2018, Jens Gnisa: »Polen muss Rechtssystem an die EU-Standards anpassen«.

49 www.spiegel.de, 30.05.2017, »Koblenzer Neonazi-Prozess eingestellt«.

50 Jens Gnisa, Das Ende der Gerechtigkeit, 2. Aufl. München 2017, S. 158.

51 www.abendblatt.de, 29.03.2018, »Justiz-Panne: Geiselnehmer und Vergewaltiger wieder frei«.

52 Die Zahlen entstammen dem Bericht des Statistischen Bundesamtes »Rechtspflege Zivilgerichte 2017«.

53 www.sueddeutsche.de, 17.05.2015, »Ohne jeden Zweifel«.

54 vgl. z. B. Rolf Bossi, Hier stehe ich, Gütersloh 2008, S. 87 ff.

55 Urteil vom 14.04.2016, Az. 117 KLs 19/15.

56 Urteil des Bundesgerichtshofs vom 06.07.2017, Az. 4 StR 415/16.

57 Urteil des Landgerichts Berlin vom 27.02.2017, Az. 535 Ks 8/16.

58 Urteil des Bundesgerichtshofes vom 01.03.2018, Az. 4 StR 399/17.

59 Auch der Strafrest einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann gemäß § 57a Strafgesetzbuch unter bestimmten Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden.

60 Weshalb die Staatsanwaltschaft keine Sexualdelikte angeklagt hat, weiß ich nicht genau; möglicherweise, weil die sexuelle Handlung nicht klar gesetzlich definiert ist, sodass es aus ihrer Sicht zu ungewiss war, ob das Gericht die Handlungen der Mädchen als sexuelle Handlungen ansieht.

61 Siehe oben »Wer war noch mal das Opfer?«

62 Stephan Zantke, Wenn Deutschland so scheiße ist, warum sind Sie dann hier? – Ein Strafrichter urteilt, 4. Aufl. München 2019, S. 201.

63 www.zeit.de, »Gruppenvergewaltiger kommen frei«, 20.10.2016.

64 mobil.stern.de, »Gruppenvergewaltigung von 14-Jähriger – Staatsanwälte wollen Urteil anfechten«, 24.10.2016.

65 Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20.10.2016, Az. 627 KLs 12/16.

66 www.zeit.de, »Als wäre nie etwas gewesen«, 31.03.2017.

67 mobil.stern.de, »Jugendliche Vergewaltiger kommen mit Bewährungsstrafen davon«, 20.10.2016.

68 Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12.07.2017, Az. 5 StR 134/17.

69 Urteil des Bundesgerichtshofes vom 06.07.2017, Az. 4 StR 415/16.

70 www.tagesschau.de, »Zahl der U-Häftlinge stark gestiegen«, 24.04.2019.

71 www.bild.de, »In NRW fehlen 523 JVA-Bedienstete«, 24.05.2019.

Kapitel 1

Geiz ist geil? – Gesucht:
Richter, schnell und billig

Ich blickte in fassungslose Gesichter. Es dauerte eine Weile, bis einer der jungen Polizeibeamten wieder etwas sagte: »Aber, das ist doch unverantwortlich!« Am Ende eines Vortrags, den ich seit einigen Jahren für junge Polizisten halte, findet stets eine offene Fragerunde statt. So war es auch dieses Mal. Ein Polizeibeamter schilderte, dass er seit seiner Einstellung vor einem Jahr schon fünf Strafrichter erlebt habe, die im Sitzungssaal alles andere als eine gute Figur abgeliefert hätten. Unsicher, hilflos, überfordert. »Woran liegt das?«, wollte er von mir wissen. »Daran, dass Richter schlecht ausgebildet werden«, war meine Antwort. Zunächst gab es Gelächter. Die meisten Zuhörer dachten, ich würde einen Witz machen. Als sie mir jedoch ansahen, dass ich es ernst meinte, wurde es still. »Bitte schätzen Sie einmal«, forderte ich sie auf, »wie lange die Ausbildung eines Richters nach seiner Einstellung ist! Wie lange wird ein Richter auf Zeugenvernehmungen, Aussagepsychologie, Sitzungsleitung, Aktenbearbeitung und so weiter vorbereitet.« – »Nachdem Sie uns ja ›vorgewarnt‹ haben, wahrscheinlich nicht so lange. Ein halbes Jahr?«, fragte einer. »Vier Monate?«, meinte ein anderer. Die anderen nickten zustimmend. »Falsch«, antwortete ich, »es sind neun Tage. Wenn Sie an einem dieser Tage erkrankt sind, können es allerdings auch weniger sein. Neun Tage. Und auch nicht sofort nach der Einstellung. Bei mir hat es damals mehrere Monate gedauert, in denen ich bereits als Richter gearbeitet habe, bevor ich meinen ersten Ausbildungstag hatte.«

Die Richterauswahl in Deutschland ist seit vielen Jahren nicht mehr zufriedenstellend. Die Bewerberzahlen nehmen ab. Richter werden händeringend gesucht. Die Anforderungen sind darum herabgesetzt worden, und die Eignungsprüfung der Bewerber erfolgt oberflächlich. Der Bedarf nach neuen Richtern ist so groß, dass man Kandidaten, die den Anforderungen halbwegs genügen, gar nicht ablehnen kann. Neben eine bestenfalls ausreichende Auswahl der Richter tritt eine ungenügende Ausbildung. Das Studium der Rechtswissenschaften bereitet ebenso wenig auf den Richterberuf vor wie das darauf folgende zweijährige Referendariat. Ob ein junger Richter von seinen Kollegen lernt, ist reine Glückssache. Der Staat vernachlässigt die Richterausbildung aus Kostengründen ganz bewusst. Fehlentscheidungen gerade im Bereich des Strafrechts nimmt er sehenden Auges in Kauf.

Wer will noch Richter sein?
Freiwillige an die Front!

Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer nach rechtswissenschaftlichem Studium und erster Staatsprüfung im Anschluss an einen Vorbereitungsdienst, das Referendariat, die zweite Staatsprüfung erfolgreich abschließt. Grundsätzlich ist damit jeder sogenannte Volljurist, also jemand, der beide juristischen Staatsexamina erfolgreich abgeschlossen hat, zum Richter befähigt. Allerdings findet bei der Besetzung der Richterstellen eine Bestenauslese statt – jedenfalls im Moment noch. Das steht in Einklang mit Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat. Ein wichtiges Auswahlkriterium stellt deshalb nach wie vor die Examensnote dar. Noch gehören Richter zu den besten 20 Prozent der Juristen ihres Abschlussjahrgangs. Noch.

Der Staat ist jedoch nicht der Einzige, der die besten Juristen eines Jahrgangs für sich gewinnen will. In Konkurrenz mit der Justiz als Arbeitgeber für Richter und Staatsanwälte stehen deutsche Anwaltskanzleien. Insbesondere die Großkanzleien. Ebenso wie die Justiz setzen Großkanzleien regelmäßig überdurchschnittliche Examensnoten bei ihren Bewerbern voraus. Dabei stellen sie den Berufsanfängern Jahresgehälter in Aussicht, die der Staat nicht einmal seinen Landgerichtspräsidenten zahlt. Berufsanfänger einer Großkanzlei beziehen gegenwärtig ein Jahreseinkommen von bis zu 140 000 Euro brutto. Das ist mehr als das Jahreseinkommen eines Oberlandesgerichtspräsidenten! Bis vor einigen Jahren konnte die Justiz als Arbeitgeber gegenüber Großkanzleien deshalb lediglich mit der sogenannten Work-Life-Balance punkten. Arbeit und Privatleben – vor allem die Familie – waren im Justizdienst erheblich besser zu vereinbaren als in einer Großkanzlei. Doch auch in diesem Bereich haben die Großkanzleien beeindruckend nachgebessert: durch die Einführung fester Arbeitszeiten, die Möglichkeit von Teilzeitarbeit und die Einrichtung kanzleibetriebener Kindertagesstätten.

Hingegen ist es mit der Familienfreundlichkeit in der Justiz in vielen Fällen nicht mehr weit her. So nehmen einige meiner Kolleginnen täglich eine mehr als vierstündige Bahnfahrt in Kauf, um ihren Richterberuf ausüben zu können. Auch aus solchen Gründen hat die Justiz zunehmend an Attraktivität als Arbeitgeber verloren. In den von mir unterrichteten Arbeitsgemeinschaften für Rechtsreferendare versuche ich stets, geeignete Bewerber für den Justizdienst zu gewinnen. In den letzten Jahren kaum noch mit Erfolg. Vor allem aus zwei Gründen lehnen angesprochene Referendare den Richterberuf für sich ab: die schlechte Bezahlung und die fehlende Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsortes.

Deutschlandweit gehen die Bewerberzahlen für den Dienst als Richter und Staatsanwalt in den letzten Jahren zurück. Ganze Einstellungsrunden, in denen geeignete Kandidaten hätten ausgewählt werden sollen, kamen gar nicht erst zustande, da es an Bewerbungen fehlte. Und das, obwohl in den nächsten zehn Jahren vier von zehn Richtern und Staatsanwälten in den Ruhestand gehen werden!

Wird auf die Pensionierungswelle reagiert? Nur scheinbar. »Rechtsstaats-Pakt steht: 2000 neue Staatsanwälte und Richter« titelte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 31. Januar 2019.8 2000 neue Stellen! Toll! Leider vergaß die WAZ zu erwähnen, dass sich keine Bewerber für diese Stellen finden, noch nicht einmal für die bereits bestehenden Stellen. Aber es klingt schon mal gut: »2000 neue Stellen« geschaffen. Das können Sie auch! Überraschen Sie doch mal Ihre bessere Hälfte und sagen in großzügigem Ton: »Schatz, ich habe lange nachgedacht. Du bist überlastet. Kochen, waschen, staubsaugen, Badezimmer und Fenster putzen. Ich habe drei neue Stellen geschaffen: drei Haushaltshilfen. Die übernehmen das alles und entlasten dich! Die Stellen sind bereits fest im Budget eingeplant. Wir müssen nur noch geeignete Bewerber finden. Die Ausschreibung läuft. Kennst du jemanden, der für 2,50 Euro Stundenlohn arbeitet?«

Selbst eine Million neue Stellen helfen nicht, wenn noch nicht mal die bisher bestehenden Stellen besetzt werden können, weil es an geeigneten Bewerbern fehlt. Statt nunmehr die Bezahlung zu erhöhen, um auf diese Weise mehr qualifizierten Bewerbern einen größeren Anreiz zu bieten, schlagen die Justizministerien einen anderen Weg ein. Nordrhein-Westfalen setzte die Einstellungsvoraussetzungen für Richter herab. Früher war die Zeugnisnote »vollbefriedigend«9 im Zweiten Staatsexamen Voraussetzung für den Eintritt in den Richterdienst – übrigens auch für den Beruf des Staatsanwalts. Juristen, die diese Zeugnisnote erzielen, zählen auch heute noch zu den besten 20 Prozent der Juristen ihres Jahrgangs. Auf diese Qualifikation verzichtete das Justizministerium Nordrhein-Westfalen und setzte die erforderliche Notenstufe schrittweise herab, um mehr Bewerber für den Richterdienst zu gewinnen. Bereits am 18. Februar 2015 berichtete der Direktor des Amtsgerichts Bielefeld, Jens Gnisa, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm die Einstellungshürde auf ein glattes »Befriedigend« abgesenkt worden sei.10 Das ist eine Absenkung um eine volle Notenstufe.

In den anderen Bundesländern sieht es nicht rosiger aus: In Berlin mussten im Jahr 2008 sogar noch zwei Prädikatsexamina, das heißt in jeder juristischen Staatsprüfung die Note »vollbefriedigend« erzielt werden, um sich für ein Richteramt bewerben zu können. Mittlerweile genügt die Note »befriedigend« in beiden juristischen Staatsprüfungen.11

Auch in Bayern ist seit einigen Jahren in der dort allein maßgeblichen zweiten juristischen Staatsprüfung die Note »vollbefriedigend« nicht mehr erforderlich, um sich für das Richteramt zu bewerben, die Note »befriedigend« genügt.

Trotz dieser deutlich herabgesetzten Anforderungen blieben die erhofften Bewerberströme deutschlandweit aus. Auch Werbeveranstaltungen für Rechtsreferendare, die in Nordrhein-Westfalen seit einiger Zeit Mode geworden sind, haben keinen Erfolg, was nicht zuletzt an den furchtbaren Veranstaltungen selbst liegt. Dort sprechen junge Nachwuchsrichter oder Richter, die in der Gerichtsverwaltung tätig sind, ausschließlich über die Vorteile des Richterberufs. Ich habe mit mindestens 50 Referendaren gesprochen, die auf derartigen Veranstaltungen waren. Sie beschrieben die Vorträge und das Auftreten der Richter als »nicht offen«, »langweilig« und »nicht authentisch«. Mehr ist von diesen Veranstaltungen auch nicht zu erwarten. Es scheint, als erhielten die jungen Nachwuchsrichter ein ausführliches Coaching zu dem, was sie in den Werbeveranstaltungen sagen dürfen, und vor allem dazu, was sie nicht sagen dürfen. Die Richter der Gerichtsverwaltungen sind meist Karrieristen, die nichts sagen würden, was ihre Karriere gefährden würde. Ehrlichkeit darf man deshalb bei diesen Vorträgen nicht erwarten.

Seit kurzer Zeit hängen in nordrhein-westfälischen Großstädten billig gestaltete Werbeplakate für die Justiz mit dem Slogan »Dem Recht verpflichtet sein statt nur dem Chef. Versuchen Sie das mal in einem anderen Beruf.« Mit anderen Worten bedeutet das: Wenn Sie nicht bei der Justiz arbeiten, halten Sie sich nicht an das Gesetz, sondern an das, was Ihnen Ihr Chef sagt. Ein sehr interessantes Menschenbild, das den Erstellern dieses Werbetextes vorschwebt. Wie sieht es mit Ihnen aus? Verhalten Sie sich auch regelmäßig gesetzeswidrig in Ihrem Beruf, wenn Ihr Chef das von Ihnen verlangt? Als Lehrer. Als Schreiner. Als Bäcker. Als Polizist. Wenn ja, dann geben Sie sich einen Ruck und kommen Sie in die Justiz. Denn nur bei der Justiz können Sie ein gesetzestreues Leben führen. Noch ist es für Sie nicht zu spät! Retten Sie Ihre Seele!

Sogar mit einer groß angelegten Werbefilmkampagne versucht das Justizministerium Nordrhein-Westfalen, mehr Mitarbeiter zu gewinnen. Mittlerweile gibt es sogar ein Making-of zu der Produktion dieser Werbespots. Für den Teil der Bevölkerung, dem der Audiokommentar des Regisseurs in Suaheli für die Extended Version der Herr-der-Ringe-Trilogie noch nicht hart genug ist. Sollten Sie also einmal ganz viel Zeit und Langeweile haben und einen guten Grund für einen Selbstmord suchen, schauen Sie auf der Internetseite des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen vorbei.

Vor drei Jahren, als die Kampagne zur Imageverbesserung des Richterberufs bereits angelaufen war, kam es zu einer besonders – wenn auch unfreiwillig – komischen Situation, als die Tinte auf einem Werbeplakat noch nicht getrocknet war, der auf dem Plakat abgebildete Proberichter jedoch von der Justiz offensichtlich schon genug hatte und den Richterdienst bereits wieder quittiert hatte. Es erinnert ein wenig an den Lungenkrebstod des Marlboro-Mannes Wayne McLaren.

Mit welchen weiteren geistreichen Einfällen das nordrhein-westfälische Justizministerium zukünftig mehr Bewerber gewinnen will, bleibt abzuwarten. Vielleicht erleichtert man demnächst die Prüfungen (oder hebt wenigstens die Benotungen heimlich an), um auf diese Weise mehr Absolventen den Zugang zum Richteramt zu ermöglichen. Oder man verzichtet gleich ganz auf den erfolgreichen Abschluss der zweiten juristischen Staatsprüfung. Eine Teilnehmerurkunde mit dem Aufdruck »Vielen Dank fürs Mitmachen« reicht doch auch. Schließlich genügt die Examensnote »ausreichend« auch, um Justizminister zu werden, sogar Bundesjustizminister.

Der Mangel an geeigneten Bewerbern für den Richterdienst ist nicht ohne Folgen für den Bürger. Stellen Sie sich vor, Sie führen ein Scheidungsverfahren und kämpfen um das Sorgerecht für Ihre Kinder. Wollen Sie, dass über die Zukunft Ihrer Kinder ein Richter entscheidet, der so gerade eben noch das Staatsexamen bestanden hat?

Natürlich: Ein gutes Staatsexamen ist keine Garantie für ein richtiges Urteil. Aber ein schlechtes Examen erhöht das Risiko eines Fehlurteils erheblich!

Berufswechsler? Fehlanzeige

Häufig und in sehr vielen Fällen zu Recht wird die mangelnde Lebenserfahrung junger Richter kritisiert. Ich stimme zu: Es wäre großartig, wenn mehr Richter mit größerer Lebenserfahrung eingestellt würden. In Deutschland ergreifen die meisten Kollegen den Richterberuf unmittelbar nach dem Referendariat. Viele sind erst 26 Jahre alt, einige sogar noch jünger. Selbst die wenigen Kollegen, die zuvor als Rechtsanwälte oder wissenschaftliche Mitarbeiter in Rechtsanwaltskanzleien tätig gewesen sind, waren dies durchschnittlich nicht länger als etwa zwei Jahre. In anderen Ländern ist eine langjährige Tätigkeit als Rechtsanwalt Voraussetzung für die Verleihung des Richteramtes, zum Beispiel in England. Auch in den Niederlanden muss ein Bewerber sieben Jahre juristische Berufserfahrung nachweisen.

In Deutschland stellen Bewerber mit entsprechender Berufserfahrung eine Ausnahme dar. Der Grund dafür ist die unzureichende Besoldung der Richter (dazu mehr in Kapitel 4, »Let’s talk about money!«). Eine langjährige Tätigkeit als Rechtsanwalt führt aufgrund der guten Einkommensverhältnisse dazu, dass der Rechtsanwalt seinen Lebensstandard über einen längeren Zeitraum entsprechend anhebt. Großes Haus, schönes Auto, tolle Reisen. Insoweit ist zu bedenken, dass aufgrund der guten Examina, die für die Verleihung des Richteramts (jedenfalls noch) erforderlich sind, die hierfür infrage kommenden Rechtsanwälte regelmäßig in erfolgreichen Anwaltskanzleien tätig sind. Der durchschnittliche (und wohlverdiente) Lebensstandard des Rechtsanwalts einer Großkanzlei lässt sich mit dem deutschen Richtergehalt nicht mal ansatzweise finanzieren. Der Richterberuf ist daher für jene Rechtsanwälte ganz und gar unattraktiv.

Richter »Next Generation«

Der deutsche Arbeitsmarkt erlebt gegenwärtig die gewaltigste Veränderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Deutschland schrumpft und altert. Infolge des riesigen Flüchtlingszustroms wächst der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Allmählich verabschiedet sich die Baby-Boomer-Generation in die Rente. Die Generation X (geboren in den Jahren 1965 bis 1980) ist bereits fest im Berufsleben verankert. Gegenwärtig kommt die Generation Y (das sind die Jahrgänge 1980 bis 2000) von der Uni auf den Arbeitsmarkt, auch auf den juristischen.

Die Generation Y ist – das meine ich völlig wertfrei – dadurch gekennzeichnet, dass sie im materiellen Überfluss aufgewachsen ist. Sie misst Eigentum und Besitz einen geringeren Wert bei als noch die Jahrgänge bis 1980. Für diese Generation hat sich das Verständnis eines Ausgleichs von Freizeit und Beruf (die Work-Life-Balance) weiterentwickelt zu einer Vermischung von Freizeit und Beruf (Work-Life-Blending12). Sie hat kein Interesse an einem Beruf, in dem sie acht Stunden täglich im Büro verbringen muss. Sie sucht einen Job, bei dem sie mit dem Laptop zu Hause, im Park, am See oder wo auch immer arbeiten kann. Es kommt nicht darauf an, ob den Justizministerien dieser Gedanke gefällt. Es ist nun einmal Realität. Der Einwand, es gebe auch deshalb weniger Bewerber, weil es weniger Studenten der Rechtswissenschaften gibt, ist ebenso zutreffend wie nutzlos. Der Grund, weshalb sich weniger Studenten für das Studium der Rechtswissenschaften entscheiden, ist nämlich mit den geschilderten Interessen der Generation Y identisch. Klassische Berufe, die einen juristischen Studienabschluss erfordern, sind (allen voran) Rechtsanwalt, Richter und Staatsanwalt. Typische »Bürojobs«, gekennzeichnet durch lange Arbeitszeiten am Schreibtisch. So will die Generation Y nicht arbeiten und leben.

Kürzlich hörte ich, die Justizministerien würden diesem Problem mit der Einführung der elektronischen Akte begegnen. Damit sollen Richter künftig von zu Hause aus Verfahren bearbeiten können. Bis die elektronische Akte flüssig funktionieren wird, also der Richter jedes Verfahren jederzeit an jedem Ort bearbeiten kann, vergehen jedoch mindestens noch zehn Jahre. Und wie häufig es danach zu einem Totalausfall, etwa aufgrund eines Hackerangriffs, kommt, vermag ich nicht abzuschätzen. Ich kann mir schon jetzt lebhaft vorstellen, wie ich dem Angeklagten erkläre: »Ich kann Sie heute leider nicht freisprechen: Wir haben Probleme mit dem Server.«

In zehn Jahren steht die Generation Y bereits nicht mehr zur Verfügung. Auf Berufswechsler aus dieser Generation darf die Justiz nicht hoffen. Die dann auf den juristischen Arbeitsmarkt strömende (oder besser gesagt: tropfende) Generation Z hat nicht nur ähnliche Ansprüche an einen potenziellen Arbeitgeber wie die Generation Y. Die demografische Entwicklung spielt ihr bei der Durchsetzung ihrer Forderungen auch noch in die Hände. Die großen und mittelständischen Kanzleien werden um juristisch gut qualifizierte Bewerber kämpfen, und sie werden den Arbeitgeber Justiz mit Leichtigkeit besiegen.

Die folgende Tabelle vermittelt sehr anschaulich den Rückgang der Volljuristen in Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, das traditionsgemäß die meisten Juristen ausbildet.13

Jahr

Kandidaten im zweiten Staatsexamen

Abschluss vollbefriedigend oder besser

2009

3090

523

2010

3000

572

2011

2501

509

2012

2413

486

2013

2253

444

2014

2229

446

2015

2183

404

2016

2151

371

Deutschland sucht den Superrichter

Daniel hat es geschafft: Er gehört zu den besten Juristen Deutschlands. Vor zwei Tagen hat er das zweite Staatsexamen mit der Note »gut« bestanden, was ihm zuvor bereits auch bei der ersten juristischen Staatsprüfung gelungen ist. Solche »Doppel-gut-Juristen« sind äußerst selten, bundesweit gelingt ein Doppel-gut-Examen nur etwa 3 Prozent aller Examenskandidaten. Die Großkanzleien hätten für Daniel den roten Teppich ausgerollt. Doch Daniel wollte immer in den Staatsdienst. Und so bewarb er sich gleichzeitig bei dem Oberlandesgericht um eine Richterstelle und bei der Generalstaatsanwaltschaft um eine Stelle als Staatsanwalt. Zunächst erhielt er eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch bei der Generalstaatsanwaltschaft, kurz darauf auch eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch beim Oberlandesgericht. Zwischen den Terminen der beiden Bewerbungsgespräche lagen rund zwei Wochen, das Gespräch bei der Generalstaatsanwaltschaft sollte zuerst stattfinden. Soweit, so gut. Sollte man meinen.

Zwei Tage nach Erhalt der Einladung des Oberlandesgerichts erhielt Daniel einen Anruf seitens des Oberlandesgerichts: »Die Generalstaatsanwaltschaft hat Ihre Personalakte für ein Bewerbungsgespräch angefordert. Haben Sie sich da etwa auch beworben? Das geht nicht, Sie müssen sich schon entscheiden. Es ist nicht möglich, die Personalakte in der kurzen Zeit zwischen den Bewerbungsgesprächen hin und zurück zu senden!« Daniel war verwirrt.

In der »kurzen Zeit« von zwei Wochen (!) ist es also nicht möglich, eine Personalakte vom Oberlandesgericht zur Generalstaatsanwaltschaft »hin und zurück« zu schicken? Hatte sich Daniel versehentlich auf zwei verschiedenen Kontinenten beworben? Nein, das Oberlandesgericht und die Generalstaatsanwaltschaft liegen auf demselben Kontinent, in demselben Bundesland, ja sogar in derselben Stadt. Nur etwa vier Kilometer voneinander entfernt. Ein kleiner Spaziergang für einen Menschen, eine unüberbrückbare Entfernung für ein Oberlandesgericht. »Sie müssen sich jetzt entscheiden! Wollen Sie das Bewerbungsgespräch bei der Generalstaatsanwaltschaft oder beim Oberlandesgericht?«, fuhr der Mitarbeiter des Oberlandesgerichts unfreundlich fort. Daniel antwortete: »Kann ich bitte eine Nacht drüber schlafen?« – »Nein!«, herrschte der Mitarbeiter Daniel an, »so viel Zeit habe ich nicht! Entscheiden Sie jetzt, was Sie wollen!« Nach diesem freundlichen Gespräch mit dem Oberlandesgericht zog Daniel seine Bewerbung auf eine Richterstelle zurück.

Die Justiz sollte sich mittlerweile über jeden Bewerber freuen, der wenigstens die (nunmehr noch) erforderlichen Examensnoten aufweist. Allerdings versteht sie es, ihre Freude geschickt zu verbergen. Auch das unterscheidet die Justiz als Arbeitgeber von einer Großkanzlei. Schon im Bewerbungsgespräch macht der Personalchef der Anwaltskanzlei dem Bewerber deutlich: »Wir wollen Sie!« Hingegen vermitteln die Bewerbungsgespräche der Justiz den Bewerbern allzu häufig: »Warum sollten wir ausgerechnet Sie nehmen?«

Die Auswahlverfahren der einzelnen Bundesländer bei der Richtereinstellung sind ohnehin zweifelhafter Natur. Einige Länder setzen auf klassische Vorstellungsgespräche (z. B. Hessen und Schleswig-Holstein), andere auf von einer Kommission geführte Interviews (z. B. Berlin, Saarland und Mecklenburg-Vorpommern), wieder andere auf sogenannte Assessment-Center, eine Art Castingshow vom Format »Deutschland sucht den Superrichter« (Nordrhein-Westfalen). In Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, in dem mehr als ein Viertel aller »ordentlichen« Richter Deutschlands tätig sind, sieht ein solches Richter-Casting so aus:

Zunächst prüfen in einer Art Interview mehrere Richter der Gerichtsverwaltung (regelmäßig der Präsident oder Vizepräsident des jeweiligen Oberlandesgerichts, ein Präsident eines Amts- oder Landgerichts, ein Vertreter des Bezirksrichterrats und die Gleichstellungsbeauftragte) den Bewerber einzeln auf seine Eignung für das Richteramt. Einige Prüfer beschränken sich darauf, verschiedene Alltagssituationen zu erläutern und den Bewerber nach einer angemessenen Reaktion zu fragen. Hierbei fällt bereits auf, dass die Prüfer nicht mehr viel mit dem Alltag eines Richters zu tun haben: Häufig schildern sie Fälle, die ihren Verwaltungsbereich betreffen.

Eine Zeit lang wurde zum Beispiel die Frage gestellt: »Wie gehen Sie mit einem Wachtmeister um, der Alkoholiker ist?« Die zutreffendste Antwort wäre: »Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen. Die Verwaltung des nichtrichterlichen Personals ist Aufgabe des Geschäftsleiters, nicht meine.« Wahrscheinlich würde jedoch ein Kandidat, der diese Antwort geben würde, in hohem Bogen rausfliegen. Leider stellen manche Prüfer auch Fragen sehr privater Natur. Manchmal zu sehr inspiriert vom Stil eines Dieter Bohlen, weshalb sich bereits viele Bewerber in diesen spaßeshalber auch »Grill-Interviews« genannten Gesprächen äußerst unwohl fühlen.

In der anschließenden Gruppendiskussion erörtern sämtliche Bewerber derselben Auswahlrunde (zwischen fünf und acht Kandidaten) unter Aufsicht der Prüfungskommission ein juristisches oder justizpolitisches Thema. Hierdurch soll vermutlich festgestellt werden, ob die zukünftigen Richter in der Lage sind, eine Diskussion ohne gegenseitige Beschimpfungen oder die Anwendung körperlicher Gewalt zu führen. Sicher bin ich mir aber nicht.

Schließlich erfolgt in einigen Assessment-Centern auch eine praktische Arbeitsprobe. Hierbei wird den Kandidaten ein Stapel Gerichtsakten zur Bearbeitung vorgelegt. Die Bewerber sollen dann entscheiden, wie mit der jeweiligen Akte weiter zu verfahren ist. Wenn man mir diese Aufgabe gestellt hätte, wäre ich wahrscheinlich durchgefallen. Denn während meines Referendariats habe ich nicht gelernt, wie ein richterliches Dezernat bearbeitet wird, sondern erst als Richter von meinem ersten Vorsitzenden. So ergeht es den meisten Referendaren. Daher taugt diese »Arbeitsprobe« zur Richtereignungsprüfung auch nicht mehr als etwa die Aufgabe, den Weg zur Gerichtskantine mit Buntstiften aufzumalen.

Es ist fraglich, ob bei diesen Auswahlverfahren tatsächlich festgestellt werden kann, ob ein Kandidat als Richter taugt oder nicht. Auf die Ausarbeitung eines qualifizierten Eignungstests zur Feststellung, ob ein Kandidat über Verantwortungsbewusstsein und Entscheidungsstärke verfügt, verzichtet die Justiz. Ebenso auf die Hinzuziehung eines geschulten Psychologen – oder eines erfahrenen Richters. Wieso sollten gerade die – in der Regel der Gerichtsverwaltung angehörenden – Kommissionsmitglieder die richterlichen Fähigkeiten eines Kandidaten beurteilen können? Wie es eine ständige Prüferin eines Assessment-Centers einmal erfrischend ehrlich formulierte: »Wir sind doch keine Psychologen! Wir können den Bewerbern doch auch nur vor den Kopf gucken!«

Richter, was kannst du eigentlich?