Aussicht auf Sternschnuppen

Aussicht auf Sternschnuppen

Katharina Herzog

Für Stefan, Nadine und Thomas,

ohne die es dieses Buch nicht gegeben hätte

Inhalt

Ohne Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Bonusgeschichte „Glühwürmchen im Bauch“

Danksagung

Liebe Leserinnen und Leser!

Alle Titel von Katharina Herzog

Über die Autorin

Ein weiser Mann hat einmal gesagt,

wenn du an eine Weggabelung kommst,

geh´ einfach drauf los.

(Zitat aus dem Film »360«)

1

In dem unwahrscheinlichen Fall, dass ich als überzeugte Katholikin wiedergeboren werde, trete ich in meinem nächsten Leben direkt nach dem Schulabschluss in ein Kloster ein.

Ich stelle es mir wunderbar vor, den ganzen Tag mit andächtigem Gesicht auf Kirchenbänken zu sitzen oder in stillem Zwiegespräch mit Gott versunken in irgendwelchen Kräutergärten umher zu wandeln. Niemand von meiner verrückten Familie könnte unangekündigt vor der Tür stehen. Nie mehr würde von mir erwartet werden, dass ich mich besonders modisch anziehe, und bestimmt hätte keine der anderen Nonnen eine Botox-Flatrate. Aber vor allem: In meinem zweiten Leben als Dienerin Gottes würden Männer überhaupt keine Rolle spielen. Ich würde garantiert niemals unter dem Küchentisch kauern, das Handy meines Freundes in der Hand, und folgende Nachricht lesen: Caro, non vedo l´ora di rivederti. Angela.

Dank des Volkshochschulkurses Italienisch I konnte ich diesen Satz mit »Liebster, ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen« übersetzen. Erbost drückte ich auf die »Löschen«-Taste. So ein Schuft! Legte sich eine italienische Geliebte zu, aber mit mir wollte er nicht mehr regelmäßig ins Bett! Und das, wo bei Frauen ab dreißig die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu bekommen, mit jedem Monat um ein Prozent sinkt. Somit stand ich, was meine Chancen anging, mit sechsunddreißig so gut wie kurz vor der Menopause.

»Warum sitzt du auf dem Boden?«

Ich schreckte hoch und stieß dabei mit dem Kopf an die Tischplatte. Giuseppe, mein Freund, stand nur mit einem Handtuch bekleidet vor mir.

»Dein Handy hat angefangen zu vibrieren und ist vom Tisch gerutscht. Ich wollte es aufheben.«

Diese Erklärung ist einleuchtend, nicht wahr? Vor allem, wenn sie von mir kommt. Ich bin nämlich so gradlinig wie eine Laugenstange. Das behauptet jedenfalls meine Schwester Fee.

»Seltsam! Das Display zeigt gar nichts an.« Giuseppe runzelte die Stirn und drückte ein wenig auf seinem Handy herum, legte es dann aber kommentarlos auf den Küchentisch zurück. »Ich gehe duschen. In einer Stunde muss ich zum Flughafen.«

Er drehte sich um und verschwand im Bad.

Seufzend blickte ich ihm hinterher. Er sah so gut aus! Und er war groß! Endlich ein Mann, neben dem ich nicht wie Averell Dalton wirkte. Ich konnte sogar problemlos hohe Schuhe tragen und immer noch zu ihm aufschauen.

Vielleicht gab es eine ganz harmlose Erklärung für die SMS. Vielleicht hatte eine Verwandte sie geschrieben! Seine Schwester, Mutter oder Oma. Nur leider wusste ich, dass Giuseppe ein Einzelkind war, und dass seine Mamma, auch wenn ich sie bisher noch nicht persönlich kennenlernen durfte, Carla hieß, und dass seine beiden Großmütter bereits gestorben waren. Vielleicht war die SMS auch versehentlich an ihn geraten und eigentlich für jemand ganz anderen bestimmt. Das konnte doch sein, oder? Erst vor zwei Wochen hatte ich eine Nachricht von einer Kollegin bekommen, in der sie mich Puschel nannte.

Ach, es war zu unfair! Da war ich jahrelang auf der Suche nach dem Richtigen durchs Leben geirrt, hatte eine männliche Niete nach der anderen gezogen und ihn kurz vor Schluss doch noch gefunden: Mr. Right. Und nun sollte schon wieder alles vorbei sein?

Dabei hatte ich dieses Mal versucht, alles richtig zu machen. Ich hatte einen Italienisch-Kurs besucht, um mich mit Giuseppe in seiner Muttersprache unterhalten zu können. Ich war in ein Steak-Restaurant gegangen. Als Vegetarierin! Und nicht genug damit, dass ich mit ihm zusammen ein Champions-League-Spiel besucht hatte, nein, ich hatte auch noch im Fanbereich der Italiener gestanden. Mein Gott, wie viele Opfer muss ein Mensch denn bringen, um die Liebe seines Lebens an sich zu fesseln? Nein, ich konnte es nicht glauben, dass Giuseppe mich betrog. Obwohl, wahrscheinlich konnte ich es doch, denn sonst hätte ich ja die SMS nicht gelesen. Aber ich wusste, wer es definitiv nicht würde glauben können: Fee! Und die würde ich jetzt anrufen.

Aus dem Badezimmer tönten tiefe italienische Baritonklänge. Die Gelegenheit war günstig.

Ich griff zum Hörer. Fee hob sofort ab. Sie hatte ihr Handy immer griffbereit. Ich hatte sie schon einmal beim Sex mit ihrem Freund Sam erreicht, oder im Flugzeug kurz nach dem Start, selbst auf dem Gynäkologie-Stuhl war sie einmal ans Telefon gegangen.

»Helga, was gibt´s?«

»Ich brauche deinen Rat.«

»Moment.« Sie dämpfte ihre Stimme. »Bring sie irgendwie dazu, in den Hamburger zu beißen. Ist mir egal wie. Öffne ihren Mund zur Not mit Gewalt. Sie wird schließlich dafür bezahlt.« Dann hörte ich sie wieder lauter: »So, jetzt bin ich für dich da.«

Diese Gesprächsfetzen lenkten mich kurzfristig von meinem Problem ab, und ich hakte nach: »Wer soll wem mit Gewalt den Mund öffnen?«

Fee seufzte. »Ich stehe gerade am Karlsplatz und drehe ein Filmporträt von einer Kandidatin für Germanys Next Topmodel. Von der, die das McDonald’s-Casting gewonnen hat. Und jetzt weigert sich die blöde Nuss, einen Burger zu essen. Sie kann das Fleisch angeblich nicht einmal mit den Lippen berühren, weil sie Vegetarierin ist. Und als ich ihr vorgeschlagen habe, lediglich in das Brötchen zu beißen, meinte sie, das gehe auch nicht, weil sie keine Kohlehydrate zu sich nehmen dürfe. Ich hätte ein Leben zu tauschen!«

Das war das Stichwort. Aber ich musste mich kurzfassen. Fee hasste Menschen, die nicht zum Punkt kamen.

»Super! Möchtest du vielleicht meins?«, bot ich ihr an. »Ich habe gerade auf Giuseppes Handy eine SMS gefunden. Eine gewisse Angela kann es kaum erwarten, ihn wiederzusehen, und in einer Stunde macht er sich auf den Weg zum Flughafen. Mir hat er erzählt, dass er auf Geschäftsreise in die Toskana muss.« Also wenn das nicht kurz war!

»Gib mir dreißig Minuten!« Fee legte auf.


Meine Schwester war in zwanzig Minuten bei mir. Gut, meine Wohnung liegt nur ein paar Straßen vom Karlsplatz entfernt. Trotzdem war mir schleierhaft, wie sie es so schnell geschafft hatte, ein widerspenstiges Model zum Verzehr eines Burgers zu überreden, den Dreh zu beenden und dann auch noch vor meiner Wohnung einen Parkplatz zu finden. Aber sie war schon immer die Energischere von uns beiden gewesen.

Fee arbeitete als Redakteurin bei dem Boulevardmagazin Trend. Sie jettete um die Welt und interviewte die Schönen und die Reichen oder Leute, die unbedingt ins Fernsehen wollten. Männer wurden bei ihr, abgesehen von unserem Vater und Opa Willy, konsequent in die beiden Kategorien »Hottie« oder »Langweiler« eingeteilt. Und so hatte sie aus ihrer Verwunderung noch nie einen Hehl gemacht, dass ich mich nach Arschloch-Olli (Typ heißes Otto-Katalog-Model) ausgerechnet in Giuseppe (Typ langweiliger Aktentaschenträger) verliebt hatte.

»Das kann nicht sein«, wisperte sie, als sie bei einer Tasse Kaffee mit mir auf meinem kleinen Balkon saß, während Giuseppe sich im Schlafzimmer anzog. »Für die SMS muss es eine ganz harmlose Erklärung geben. Giuseppe fährt einen gelben Van, er trägt im Bett Schlafanzüge und er geht zur Wirbelsäulengymnastik. Und hattest du nicht erwähnt, dass er darüber nachdenkt, Reitstunden zu nehmen? Im Grunde seines Herzens ist er bestimmt schwul.«

»Du spinnst doch. Er ist nicht schwul. Er ist nur sensibel und …«, ich überlegte einen kleinen Moment, »… vielseitig interessiert.«

»Sag ich doch. Schwul. Oder zumindest ein ziemliches Weichei.« Sie sah mich eindringlich an. »Helga, Giuseppe hat letztens einen Strafzettel bekommen, weil er auf der Autobahn zu langsam gefahren ist. Wenn er eine Weinflasche öffnet, bin ich fast verdurstet, bis der Korken endlich raus ist. Ich kann es nur wiederholen: Er trägt im Bett Schlafanzüge!« Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. »Wie zum Teufel soll es so jemand schaffen, zwei Frauen auf einmal zu befriedigen?«

Na ja, mit mir will er ja schon seit einiger Zeit nicht mehr schlafen, flüsterte eine böse kleine Stimme in meinem Kopf, die ich aber sofort energisch in ihre Schranken verwies.

»Und wer sollte ihm sonst eine solche SMS schreiben, wenn nicht eine Geliebte?«, fragte ich lahm. »Caro, non vedo l´ora di rivederti. – Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen.«

»Vielleicht ist diese Angela eine italienische Geschäftspartnerin.«

»Eine Geschäftspartnerin würde so etwas nie schreiben.«

»Warum nicht? Du kennst doch diese Italiener. Die sind halt manchmal ein wenig überschwänglich.«

»Giuseppe nicht.«

Fee verdrehte die Augen. »Nein, Giuseppe nicht.«

In diesem Moment betrat der Stein des Anstoßes den Balkon. Trotz des warmen Aprilwetters trug Giuseppe eine schwarze Hose und ein langärmliges hellblaues Hemd mit Jackett und dazu passender Krawatte. Seine lockigen dunklen Haare lagen nass an seinem Kopf. Misstrauisch beäugte ich ihn. Wirkte er anders als sonst? Schuldbewusst?

»Ich muss gleich los, Cara. Das Taxi wird jeden Moment da sein.« Er strich mir kurz über den Kopf und wandte sich dann an meine Schwester. »Felicitas. Ich habe gar nicht gehört, dass du gekommen bist.« Obwohl er seit mittlerweile zehn Jahren in München lebte und fehlerfrei Deutsch sprach, hatte er immer noch diesen leicht singenden italienischen Akzent, den ich so sexy fand. Doch meine Schwester konnte er damit nicht beeindrucken.

»Und? Wohin geht die Reise dieses Mal?«, fragte sie kühl.

»Ich muss nach Lucca. Ein wichtiges Projekt, das sich kurzfristig ergeben hat. Leider!« Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu uns.

»Oh, da wird Helga aber traurig sein. Wo sie sich doch schon seit ewigen Zeiten wünscht, einmal in die Toskana zu fahren! Du könntest sie mitnehmen!«

Ich trat ihr unter dem Tisch gegen das Schienbein.

»Das wäre wundervoll gewesen. Aber ich werde wahrscheinlich jede Sekunde arbeiten müssen.« Giuseppe zuckte bedauernd mit den Schultern. »Außerdem muss Helga dieses Wochenende ein Seminar halten. Was ist noch einmal das Thema, Cara?« Er legte seine Hand auf meine.

»Argumentationstraining gegen rechts.« Ich zog meine Hand weg. Von wegen Cara … Seine tatsächliche Liebste, wartete wahrscheinlich schon sehnsüchtig am Flughafen, um mit ihm zu einem Liebesurlaub nach Italien aufzubrechen. Und solange diese Sachlage nicht geklärt war, wünschte ich keine Zuneigungsbekundungen.

Unten hupte es. Ich begleitete Giuseppe zur Tür.

»Ich rufe dich an«, sagte er und nahm mein Gesicht in beide Hände. »Wenn mir dieser isländische Vulkan keinen Strich durch die Rechnung macht, werde ich gegen halb sieben in Pisa sein.«

»Im Moment sind nur Flugziele im Norden gestrichen.« Mit äußerster Anstrengung schaffte ich es, ihm in die Augen zu sehen.

Giuseppe interpretierte meine Stimmung falsch, denn er zog mich noch einmal an sich. »Jetzt sei nicht traurig. Am Dienstag bin ich doch wieder da.« Dann gab er mir einen Kuss auf den Mund und war auch schon verschwunden.

»Warum hast du ihn nicht auf die SMS angesprochen?«, zischte Fee mir zu, kaum dass ich den Balkon wieder betreten hatte. »Dann hättest du gewusst, was es mit dieser Angela auf sich hat.«

Ich lachte freudlos auf. »Wie naiv bist du? Glaubst du etwa, er sagt mir die Wahrheit, wenn er tatsächlich eine Affäre hat?«

»Keine Ahnung. Aber wenn er gewusst hätte, dass du davon weißt, hätte es ihm zumindest das Wochenende verdorben.« Sie sah mich ungeduldig an. »Und was willst du jetzt machen? Abwarten bis Dienstag und ihn dann auf die SMS ansprechen, ihn in Italien anrufen und eine Riesenszene machen - oder die ganze Sache auf sich beruhen lassen?«

Ich zuckte die Achseln. Traurigerweise wahrscheinlich Letzteres. Eine Riesenszene kam auf jeden Fall nicht in Frage. Im Gegensatz zu meiner Mutter und meinen Schwestern Fee und Mia war ich einfach nicht der Typ fürs Dramatische. Ich würde Giuseppe nie vor Wut, wie Fee es bei einem ihrer Freunde getan hatte, Kaffee ins Gesicht kippen. Schließlich könnte mir das Zeug das Parkett ruinieren. Und ich würde nie wie meine Schwester Mia Porzellan durch die Gegend schmeißen. Schließlich müsste ich dann hinterher die Scherben aufkehren, und wenn ich nicht alle erwischte, könnte es passieren, dass ich mir an einem Splitter den Fuß aufritzte. Es war ein Jammer mit mir! Allzu oft war ich so mit den möglichen Folgen meiner Handlungen beschäftigt, dass es zu der Tat gar nicht erst kam. Wie sollte ich nur das Wochenende überstehen?

Ein tiefes schwarzes Loch tat sich vor mir auf und ich sah, wie das Bild von mir, wie ich mit vier dunkelgelockten, kulleräugigen Kindern im Englischen Garten herumtollte, darin verschwand. Stattdessen stieg eine Seifenblase auf, in der ich gestochen scharf Giuseppe erkennen konnte, wie er mit einem dunkelhaarigen Penelope-Cruz-Verschnitt auf dem Bett lag, und wie die beiden sich leidenschaftlich küssten.

Wann hatte er in den letzten Wochen überhaupt mit mir geschlafen? Einmal hatten wir in den fünf Minuten zwischen Aufwachen und Aufstehen Sex gehabt. Aber das musste kurz vor Weihnachten gewesen sein, denn danach waren wir zur Münchner Freiheit gefahren und hatten einen Christbaum gekauft. Und nun war es Anfang April! Himmel! Das würde ja bedeuten, dass wir seit drei Monaten keinen Sex mehr gehabt hatten. Nein! Das konnte nicht sein. Dazwischen musste es noch mindestens vier bis fünf weitere Male gegeben haben. Oder vielleicht doch nicht?

Und auf einmal war ich überhaupt nicht mehr verzweifelt, sondern nur noch wütend. So wütend wie schon seit langem nicht mehr. Dieser miese Sack! Ich griff nach meiner Kaffeetasse. Ja! Ich würde sie nehmen und auf den Boden werfen, und es wäre mir vollkommen egal, dass der Kaffee die Wand bespritzte und ich hinterher die Scherben aufkehren müsste. Nein, halt! Noch besser! Ich würde die Kaffeetasse wieder hinstellen, ein Taxi rufen, zum Flughafen fahren und Angela und Giuseppe tüchtig die Meinung sagen. Schluss, aus, vorbei, würde ich sagen und danach … Ja, was würde ich danach sagen? Ach was! So weit im Voraus wollte ich nicht denken.

Ich stand auf. »Ich fahre zum Flughafen.«

»Warum das denn?« Fee sah mich erstaunt an.

»Ich muss mir Gewissheit verschaffen. Wenn Giuseppe mich betrügt, will ich es wissen.«

»Aber wenn Angela Italienerin ist und er ein Flugticket nach Pisa gebucht hat, wäre es doch logischer, wenn er sie erst in Italien treffen würde, oder? Und du kannst dich ja schlecht als blinder Passagier in den Flieger schmuggeln.« Sie zupfte nervös an ihrem Armband.

»Ich werde ihm auf jeden Fall nachfahren«, wiederholte ich stur.

»Aber du hast kein Auto!«

»Aber die Nummer vom Taxidienst.« Entschlossen ging ich zur Tür.

»Warte!« Fee lief mir hektisch hinterher. »Ich fahre dich hin. Aber nur, wenn du Giuseppe deine Handtasche überziehst, falls er wirklich dabei ist, sich mit einer Geliebten nach Italien abzusetzen.«