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Westend Verlag

Ebook Edition

Arno Luik

Schaden in der Oberleitung

Das geplante Desaster der Deutschen Bahn

Westend Verlag

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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-754-2

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2019

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Der kleine Bahnhof
1 Das Symbol für den Niedergang: Stuttgart 21
»Eine Katastrophe mit Ansage!«
Das Staatsverbrechen
Der Wahnsinn
Der Zynismus
Die Verzweiflung
Die Feuerwehr-Bahre
Dreck. Lärm. Lastwagen.
»Keine Ahnung von der Eisenbahn«
»Ich habe mit der Bahn gebrochen«
»Von der Politik vergewaltigt«
»Dann ist das der Todesstoß«
Bahn von der Tunnelindustrie infiltriert
Der Todesstoß
Tunnel ohne konventionelle Signalanlagen geplant – um Platz zu sparen
Zwei Antworten des Verkehrsministeriums – die sich widersprechen
Zukunft für Pendler: am Stadtrand umsteigen, um zum Hbf zu kommen
Schweiz: Lokführer klagen über Kapazitätsverluste durch ETCS
Bestenfalls 29 Züge pro Stunde im Tiefbahnhof?
Wie fallen Entscheidungen über Milliardenprojekte?
Rückblende: Ein Erklärungsversuch, Stuttgart 2010
Lust am Macht-Ausüben
Nichtwissen als Macht
Egogetriebene Manager
Der Arm von Daimler-Benz
Der Große Amerikanische Straßenbahnskandal
Verschweigen. Vertuschen. Lügen
Rückblende, Frühjahr 2011: Ein Dossier des Projektleiters Hany Azer, bestimmt für den Bahnvorstand, wird mir zugespielt
Eine Art schwäbisches Versailles
Dem Bürger eine Lektion erteilen
Ein Architekt redet Unfug
Ein anderer Architekt leidet
»Wie ein U-Boot aus dem Meer«
Der Herr über die Tunnel und sein Knecht
Historische Figur und Verfassungsbrecher
Das Damoklesschwert
Der Justizskandal
Ungesund im Untergrund
Zufällige Begegnung mit Bahnchef Rüdiger Grube, Dezember 2017
Das größte Sicherheitsrisiko
Desillusionierung in Sachen Demokratie
Infantile Argumentationen
»Die Mafia steckt dahinter!« »Die Nato steckt dahinter!«
Am Anfang war ein Hubschrauber
Die Strippenzieher im Weinberghäusle
Medien: Mitmacher oder 4. Gewalt?
»Vom trommelnden Volksstamm zur 4. RAF- Generation«
Brand im Schacht
Experten im Sondereinsatz
»Ihr hattet recht!«
Der Totengräber kommt an die Macht
2 Mehdorns Weltmachtphantasien
Ein Azubi in der Chefetage
Unheilvolles Gieren nach Boni
DB-Regionalisten gegen DB-Nationalisten
»Etwas fürs Vaterland tun!«
Die Leiden des Eisenbahn-Idealisten
»Wir erobern die Welt!«
Rückblende: Aktion Größenwahn, Januar 2007
Die Bahn im Einkaufsrausch
DB-Krankentransporte in Großbritannien
Ausplünderung der Bahn
Die Parlamentarier haben die Auslandsgeschäfte nie abgesegnet
Rückblende: Berlin, 2008, Konzernzentrale der Deutschen Bahn: »Wenn wir jetzt nicht in England angreifen, dann …«
»Mehdorns radikaler Vernichtungswillen«
Am Rande des Rechts
Verluste, Korruption, Flops
3 Die Kunst der Selbstbereicherung
Der nette Herr Grube. Professor Doktor Grube h. c.
Der Böse mit menschlichem Antlitz
2,3 Millionen Euro – für 30 Tage Arbeit
4 Die Botschaft von Eschede
Brücken marode. Material kaputt
Die Bahn schaut ihrem Zerfall zu
Klotüren schließen, Bremsen abschalten
Stationen des Zerfalls
Das schwerste Eisenbahnunglück
Eine Rückblende in die Jahre 2009/2010: »Die haben aus Eschede nichts gelernt«
Schleichend schleichender
Ein Sternekoch leidet an der Bahn
Bahnchef Lutz kann strampeln, wie er will – er hat keine Chance
5 Ohren zu im Weltkulturerbe
Die Hölle im Paradies
Eine Technik aus dem 19. Jahrhundert, nein, aus dem Mittelalter
Den Bürgern helfen? Die Bahn hat es da nicht eilig
Aggression liegt in der Luft
Ein Bürger kämpft gegen den Moloch Bahn
Ein Pfarrer hofft, dass es im Jenseits keine Züge gibt
Der Tod am Bahnsteig
Der Tod am Bahnübergang
6 Der wichtigste Strippenzieher
Pofalla. Warum Pofalla? Warum bloß?
7 Die Pofalla-Wende
Eine pitoyable Deutsche Bahn, spotten Schweizer Zeitungen
Auf der schwäbsche Eisebahne
Ein Mitarbeiter fällt aus und alle Räder stehen still
Ein kleiner Einschub: Darf ich mal zurückschauen?
Europa. Mobilität. Digitalisierung. Deutsche Bahn
Die trickreiche Bahn
Ein Zug, der nicht fährt, ist ein guter Zug
»Wowig« soll nun das Bahnfahren werden
Man reist nicht, man wird transportiert
Die neue Unbequemlichkeit
Der Wackeldackel-Zug
Der Fahrgast als Störung
Ein wirres Preissystem
Ticket nicht abgestempelt: Kontrolleurin wirft Schulklasse aus dem Zug
Klasse nimmt an Projekt »Courage zeigen in Bus und Bahn« teil
Rauswerfen. Demütigen. Beleidigen
Der Zug soll im Bahnhof halten? Mach winke, winke!
Zufriedene Bahnmitarbeiter? Im Businessplan der DB-Aktiengesellschaft nicht vorgesehen
8 Von wegen Güter auf die Schiene
Die Bahnmanager mühen sich, keinen Erfolg zu haben – vor allem im Güterverkehr. Aber nicht nur da
Ein Tankwagen der Bahn ersetzt vier LKW
Eine Stadt kämpft gegen die Bahn für die Bahn
USA und Schweiz zeigen, wie es geht
Giraffen gucken aus dem Zug
Es fehlt an allem: Loks, Schienen, Menschen
Das Gute wird abgeschafft
9 Der Mythos vom Öko-Champion
Diesel, Atomstrom, Glyphosat, Vollgas im Tunnel und sehr viel Beton: Die Bahn ist ein Umweltfrevler – unnötigerweise
Stinkende Dieselloks
Die Giftspritzer
Tempo 300 ist Ökofrevel
Die Bahn heizt das Klima an
Im Griff der Betonmafia
Das Teuerste muss es sein
Das ist keine Übertreibung
Ein Maulwurf beklagt sich nicht
Teurer Beton statt günstigem Schotter
Profit auf Kosten der Umwelt
576 665 Quadratmeter für 780 000 Euro – plus jede Menge Eisen
Bahnhöfe werden verramscht
Dreist wie die amerikanischen Räuberbarone
Der große Eisenbahnraub
10 Das Teuerste muss es sein
ICE-Trassen dank Tricksereien
»Die Bahn ist eine Scheinverkehrsfirma«
Die Güterzuglüge
Fast im Minutentakt rattern Güterzüge nachts durch Städte
Ein Ministerpräsident, der sich seine Macht was kosten lässt
Unnötig wie Pyramiden
Der Schwabenstreich
Schwabenstreiche in München, Schwabenstreiche hoch im Norden
»Es riecht nach Korruption«
Ein Tunnel tief unter der Ostsee für ein paar Autos und ein paar Züge
11 Protz in Metropolen, Bahnhofs-Ruinen auf dem Land
Eine verblüffende Liebeserklärung an Bahnhöfe
Wer gerne rennt, mag diesen Bahnhof
Milliarden für ein gefährliches Gedrängel
Gerichte müssen die Bahn aufklären
12 Unfähige Verkehrsminister
Ein Benzinkanister auf zwei Beinen
Konsequente Antiklimapolitik
Wenn so jemand wie Scheuer Verantwortung trägt, kann es keine vernünftige Verkehrswende geben
Deutschland muss weniger Treibhausgase ausstoßen
13 Die Einflussagenten
Beraterverträge für Ex-Politiker und Gewerkschafter
14 Endlich ein Eisenbahner
Ein Eisenbahner?
Versprechungen, Versprechungen, Versprechungen
15 Neue Mitspieler und die Folgen
Ein Erfolg wird mit Verwirrung erkauft
16 Verkehrswende? Nicht mit diesen Leuten
Wer eine ökologische Verkehrspolitik will, darf zum Kapitalismus nicht schweigen
Das Denken von Auspuffrohren befeuert
Eine gute Bahn wäre möglich
Von der Schweiz lernen, heißt Bahnfahren lernen
Wenn ein Wolf kommt, werden Gewehre durchgeladen. Und: Wenn ein LKW einen Radfahrer überfährt, dann ist das halt so
Ausblick: Ist diese Bahn noch zu retten? Und wenn ja: wie?

»Sie haben es wahrscheinlich schon gemerkt, dass alle unsere Klos defekt sind. Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Aber auf Gleis 3 steht ein Zug, dort funktionieren die Klos. Wenn Sie also unbedingt müssen – gehen Sie durch die Unterführung rüber, wir warten auf Sie!«*

Der kleine Bahnhof

Ich bin schon immer gerne Zug gefahren, schon als Kind und auch als Jugendlicher. Manchmal habe ich spöttisch gelacht über die Bahnhöfe bei uns auf der Schwäbischen Alb, damals in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, etwa über den Bahnhof in Königsbronn, wo ich losfuhr, erst in die Schule, später zum Studium – wie diese Bahnhöfe rausgeputzt waren, mit Rosen, die an Wänden hochkletterten, mit Geranien, die aus alten Schubkarren blühten, mit Blumengebinden, die an Zäunen hingen oder an der Bahnhofsuhr. Und habe auch gegrinst über die Beamten mit ihren roten Mützen und ihren blauen Uniformen, die mit Trillerpfeife und grünen Täfelchen die Züge abfahren ließen – und danach persönlich die Blumen gossen. Ich fand das spießig.

Mein Vater war übrigens Bahnhofsvorsteher von Königsbronn. Er hatte die rote Mütze auf, und er hatte die Geranien gepflanzt. Die Vorhänge in seinem Bahnhofsvorsteherzimmer hatte meine Mutter genäht und gewaschen, sie hängen noch immer dort, nach über 50 Jahren – jetzt wehen sie über Trümmern im total ramponierten Bahnhof, der kein Bahnhof mehr ist.

Heute, im Blick zurück, erinnert all das daran, dass für viele Eisenbahner damals ihr Beruf mehr war als bloß ein Job – es war ein Zeichen dafür, dass sie ihre Bahn liebten. Und die Reisenden spürten das. Wenn der Zug drei Minuten zu spät kam, dann schämte sich der Schaffner. So habe ich das erlebt.

Die nach 1980 Geborenen wissen gar nicht mehr, was noch vor knapp 30, 40, 50 Jahren selbstverständlich war in jeder Stadt, in fast jedem Dorf auch auf dem Land. Dass die Bahnhöfe wirklich noch Bahnhöfe waren – mit Wartesälen (im Winter beheizt und jedem zugänglich), mit ordentlichen Sitzbänken, mit Fahrkartenschaltern und echten Menschen, bei denen man spontan Fahrkarten selbst zu Zeiten des Kalten Kriegs bis nach Wladiwostok kaufen konnte, falls man das wollte. Probieren Sie das heute mal im Netz oder an einem Service-Point in den wenigen Bahnhöfen, in denen Sie als Reisender noch persönlich bedient werden!

Kurz: Es war ein heute unfassbarer Komfort, der aus dem kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung nahezu komplett verschwunden (worden) ist.

Heute bietet der Bahnhof in Königsbronn, ein wuchtiger, stolzer Bau aus dem 19. Jahrhundert, der Aufbruchszeit der Bahn, einen traurig-trostlosen Anblick: Der Warteraum – geschlossen. Die Schalterhalle – verrammelt. Viele Scheiben – eingeschlagen. Die Eingangstür – mit einem »Baufreigabeschein« von 2011 versehen, der für recht befindet, dass aus diesem Bahnhof ein Spielcasino werden soll. Aber das ist auch schon wieder Geschichte.

2005 versprach der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn in einer Sonderausgabe »Eisenbahn-Atlas Deutschland«: »In den nächsten Jahren liegt besonderes Augenmerk auf der Verschönerung der kleineren Stationen«, dafür stelle der Bund (also nicht die Bahn) in den kommenden Jahren 50 Millionen Euro zur Verfügung.

Und was ist dabei herausgekommen? Zum Beispiel in der kleinen Station in Königsbronn? Alles ist hier nur noch trist, versifft, mit Graffiti besprüht, der Bahnsteig ist vollgespuckt, verdreckt, überall Zigarettenkippen. Der Fahrkartenautomat ist in einem zugigen Glasverschlag, bei Sonnenschein erkennt man kaum die Tasten, im Winter muss man das Bedienfeld von Eis freikratzen, wenn es regnet. wird man nass, oft funktioniert der Apparat nicht.

Vor ein paar Jahren traf ich den Bahnchef Hartmut Mehdorn zu einem Gespräch, und ich sagte ihm, dass meine 80-jährige Mutter nicht mehr mit dem Zug von Königsbronn in die nahe Kreisstadt fahren kann, weil sie den Automaten nicht beherrscht und sich nicht traut, schwarzzufahren. »Muss sie auch nicht«, knurrte der Bahnchef, »sie kann doch ihre Fahrkarte im Internet bestellen!«

Dieser verkommene Halt, inzwischen gibt es Tausende seiner Art in Deutschland – ist nicht bloß ein verkommener Bahnhof. Er ist ein Symbol. Er steht, Pars pro Toto, für den Zustand des gesamten Landes.

Dafür, dass sich der Staat von seiner Fürsorgepflicht zurückzieht. Es verschwinden der Bahnhof, die Post – Orte der Begegnung, an denen man lebende Menschen traf, die miteinander redeten. Vorbei. Diese staatlich verordnete Vernachlässigung sagt viel aus über dieses Land. Wie die Verantwortlichen in Berlin mit ihren Bürgern, im Politjargon »den Menschen draußen auf dem Land«, umspringen. Roh. Kalt.

Wer an einem so rohen Ort im Winter auf einen Zug wartet, der muss abgehärtet sein und duldsam, wer an einem so kalten Ort, wo alles schäbig und verkommen ist, auf einen Zug wartet, der häufig gar nicht kommt, der spürt sehr konkret, was die Regierenden bei der Bahn und der Politik in Berlin von ihm halten. Erschreckend wenig.

Der weiß: Ich bin ein Abgehängter und soll dies ruhig fühlen.

Von diesem Gefühl der Unbehaustheit ist es nur ein kurzer Schritt zur Politikverdrossenheit. Nur ein kleiner Sprung zur AfD und dem Ruf: Ihr kotzt mich an, ihr alle, ihr Politiker dort in Berlin, aber wirklich alle!

Dieser kleine Bahnhof, er sagt auch, dass die Bahn gar nicht wirklich will, dass Sie Zug fahren. Zwei Gleise hat es heute in Königsbronn, früher waren es acht, als es den Güterbahnhof samt Industriegleisen noch gab.

Wenn Ihr Zug heute in Königsbronn auf Gleis 1 abfährt, haben Sie Pech. Sie müssen durch eine verdreckte Unterführung, um auf Gleis 2 am Automaten eine Fahrkarte zu lösen. Sind Sie behindert und auf einen Rollstuhl angewiesen, dann wird der Kauf der Fahrkarte zum Projekt: Sie müssen erst 200 Meter zur Ortsmitte mit dem Rollstuhl fahren, dort über den Bahnübergang, dann 200 Meter zurück nach Gleis 2 rollen, dort Ihre Fahrkarte lösen, dann wieder 200 Meter zurück zum Bahnübergang in der Dorfmitte, dann die 200 Meter wieder zurück zum Gleis 1 – übrigens über einen holprigen Schotterpfad, eine Tortur.

Was da geschieht, man kann es nicht anders sagen, ist ein staatlich toleriertes, ein staatlich gefördertes Umerziehungsprogramm mit der klaren Botschaft: Fahren Sie Auto, ist doch viel bequemer.

Ein Auslöser, dieses Buch zu schreiben, war ein Lachanfall.

Es war im Januar 2018 auf der Fahrt von Königsbronn nach Ulm, auf der Brenztalstrecke. Beim Halt in der Kreisstadt Heidenheim krächzte es aus den Lautsprechern, der Zugchef meldete sich, um im breiten Schwäbisch dies zu sagen: »Sie haben es wahrscheinlich schon gemerkt, dass unsere Klos defekt sind. Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Aber auf Gleis 3 steht ein Zug, dort funktionieren die Klos. Wenn Sie also unbedingt müssen – gehen Sie durch die Unterführung rüber, wir warten auf Sie!«

Es ist ja ein Volkssport geworden, über die Bahn zu spötteln, zu höhnen, zu lachen. Früher in der DDR spotteten die Bürger über ihre runtergekommene Reichsbahn so: Vier Feinde hat sie – Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und das, genau das, gilt seit einigen Jahren auch für die Bahn AG.

Sie fährt – wie die DDR-Reichsbahn damals – heute auf Verschleiß. Und sie hat noch einen weiteren, einen überaus mächtigen Feind: die Bahnchefs. Aber dazu später.

Laut Grundgesetz ist die Bahn ein besonderer Betrieb – sie hat einen klaren, einen grundgesetzlich vorgeschriebenen Auftrag: den Bürger mit einem günstigen Transportmittel zu versorgen. Jeden Bürger, egal wo. Die Bahn soll agieren »zum Wohl der Allgemeinheit«, so steht es in Artikel 87e des Grundgesetzes. Und sie soll – auch aus ökologischen Gründen – dafür sorgen, dass mehr Personen- und vor allem auch mehr Güterverkehr auf die Schienen kommt und runter von der Straße. So sagen es die Politiker seit Jahrzehnten.

Beides funktioniert nicht. Bei beidem versagt die Bahn. Es ist absurd, konstatierte die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, »wenn ein Konzern, der zu 100 Prozent im Staatsbesitz ist, sich nicht um die Gesetze des Staats kümmert«.

Die Deutsche Bahn hat sich verselbstständigt. Sie ist – auch unter tätiger Mithilfe vieler Politiker – zu einem Staat im Staate geworden. Die Bahn macht, was sie will.

Nein, übrigens: Das ist keine Polemik.

Es stellen sich viele Fragen: Wie konnte es passieren, dass dieser Staatskonzern dermaßen aus dem Ruder läuft? Der jährlich weit über zehn Milliarden Euro an Steuergeldern bekommt – aber seinen Bürgern, den tatsächlichen Besitzern dieser Bahn, immer weniger bietet, schlimmer noch: sogar rücksichtslos ihnen gegenüber ist? Der aus Kostengründen an Bahnschranken spart – und so Tote in Kauf nimmt. Der aus Kostengründen auf Bahnsteigen Durchsagen einspart – und so Tote in Kauf nimmt.

Der, wie der Bundesrechnungshof im Januar 2019 scharf kritisierte, keines, aber auch wirklich keines der Ziele verwirklicht hat, die mit der Bahnreform 1993/94 (also mit der Abschaffung der Deutschen Bundesbahn) hätten verwirklicht werden sollen: etwa Ausbau und Erhalt des Schienennetzes, finanzielle Konsolidierung.

Der stattdessen in über 140 Ländern agiert, einfach so, keine Regierung hat ihn dazu beauftragt, aber dieser imperiale Größenwahn bringt den Bürgern hierzulande nichts – außer Zerfall und Ärger. Der ökonomisch so mies wirtschaftet, dass er, um den Verkehr irgendwie noch aufrechtzuerhalten, ständig nach mehr staatlichen Mitteln ruft. Und sie auch bekommt – ohne an der desaströsen Strategie etwas ändern zu müssen, die dazu geführt hat, dass der Konzern heute mit über 20 Milliarden Euro verschuldet ist. Im Grunde pleite ist.

Der aber seinen Chefs, Vorständen (und Aufsichtsräten) hohe Millionengehälter bezahlt, obwohl die seit Jahrzehnten unverantwortlich handeln und gegen das Aktienrecht verstoßen – eigentlich ein Fall für Gerichte.

Stattdessen darf dieser Konzern weiterhin – ungerührt und ungestraft – Milliarden Euro in so gigantische wie unnötige Großprojekte verschleudern, etwa in Stuttgart 21, in Münchens zweite Stammstrecke, in Hamburg-Diebsteich – alles unfassbar teure Megaprojekte, die den Verkehr behindern, die Reisenden ärgern, aber die Beton-, Stahlindustrie- und die Tunnelbohrmaschinenunternehmen erfreuen.

Ein Staatskonzern, der so konsequent wie frech das politisch-offizielle Mantra des Staats konterkariert, nach dem mehr Verkehr auf die Schiene soll – der seit Jahrzehnten Schienen rausreißt, Weichen abbaut, Bahnhöfe stilllegt, die Infrastruktur sträflich verkommen lässt, der, so muss man es leider sagen, sich im Autoland Deutschland, offenkundig sehr anstrengt, den Bahnverkehr zu behindern, nein, ihn auf Dauer zu zerstören.

Ist das in diesem Autoland ein Zufall?

Vielleicht.

Vielleicht aber auch nicht?

Und so muss dieses Buch mit Stuttgart beginnen, mit dem dortigen Bahn- und Immobilienprojekt Stuttgart 21. Einem milliardenschweren Mega-Unterfangen.

S21 ist längst zur Chiffre geworden für den strukturellen Irrsinn der Bahn: wie überehrgeizige Bahnmanager und ignorante Politiker sich ein unfassbar teures Denkmal setzen wollen. Auf Kosten des Bahnverkehrs. Auf Kosten der Bürger. Auf Kosten der Sicherheit. Auf Kosten der Umwelt.

Bei S21 findet sich alles, was den Bahnverkehr zerstört. S21 ist der Meilenstein im Niedergang der Bahn.

Wie konnte das alles bloß geschehen? Wie konnte die Bahn, Deutschlands größter Staatskonzern, bloß so verkommen?

Für dieses Bahndesaster gibt es Verantwortliche, gibt es Täter. Es ist Zeit, sich mit den Tätern anzulegen.

Toter Bahnhof im Heimatort des Autoren: Kein Wartesaal mehr, kein Schalter, kein Mensch, der einen berät, Foto: Markus Brandhuber

* Die den Kapiteln vorangestellten Zitate (so nicht anders vermerkt) sind Durch­sagen in Zügen, die der Autor während der Arbeit an diesem Buch erlebte.

»Ich müsste Sie eigentlich schlagen. Aber es hat keinen Wert, Sie bleiben ja doch bei Ihrer Meinung.« (Bahnchef Hartmut Mehdorn zu Arno Luik, 2007)

2 Mehdorns Weltmachtphantasien

Ein Azubi in der Chefetage

Über 170 Jahre lang war die deutsche Bahn eine Bahn, die in Deutschland Züge fahren ließ, deren Geschäft das Bahnfahren war – und sonst nichts. Diese Bahn erreichte fast sämtliche Dörfer auf dem Land und agierte, unvorstellbar heute, nach einem vergessenen Grundsatz: Dass jede Stadt mit mehr als 20 000 Einwohnern von jeder anderen Stadt dieser Größe mindestens zweimal täglich zu erreichen sein musste, und das mit nur einmal Umsteigen.

Noch 1999 wurden mehr als 95 Prozent des DB-Umsatzes im Inland und mehr als 90 Prozent mit der Schiene erwirtschaftet. Aber dann kam Hartmut Mehdorn und mit ihm der Drang, die Welt zu erobern.

Heute macht die Bahn über 50 Prozent ihres Umsatzes im Ausland – gut 50 Prozent ihres Gesamtumsatzes macht sie mit Geschäften, die nichts mit dem Bahnfahren zu tun haben.

Als Mehdorn Chef der Deutschen Bahn war (von 1999 bis 2009), sagte er: »Unser Markt ist nicht Deutschland. Unser Markt ist die Welt.« 2005 erklärte dieser Bahnchef, ohne gerügt zu werden, dass ihm die Bahn nicht so wichtig sei: »Bis zum Ende des Jahrzehnts werden wir 60 Prozent unserer Umsätze mit Non-Rail-Aktivitäten erwirtschaften. Über 50 Prozent unserer Umsätze werden von jenseits der Grenzen Deutschlands kommen.«

Non-Rail-Aktivitäten. Heute ist die Bahn AG in »über 130 Ländern« (DB Konzernbericht) beziehungsweise in »über 140 Ländern« (DB-Pressestelle auf Twitter) unterwegs, so genau weiß das der Konzern offenbar selbst nicht, aber es hört sich beeindruckend an. Ist es aber nicht. Sondern nur ärgerlich. Und überaus schädlich für die Bahn hierzulande.

Die Bahn AG besteht aus einem wirren Konglomerat von fast 1 000 Firmen, über neun engbedruckte Seiten zieht sich im aktuellen Geschäftsbericht ihre Auflistung hin, die Palette reicht von der Bayern Express GmbH & P. Kühn GmbH bis zur Autobusni kolodovr d. o. o. Karlovac/Kroatien oder der Kiinteistömaaliikenne Oy, Helsinki/Finnland – ein hoch kompliziertes Geflecht, das um den ganzen Globus reicht: Die Deutsche Bahn selbst ist bloß noch ein Anhängsel in einem weltumspannenden Großreich, in dem die Sonne nie untergeht.

Zehn Jahre lang durfte Mehdorn die Geschicke der Bahn bestimmen. Die Bahn hat sich von ihm und seinem unheilvollen Tun noch nicht erholt. Ob sie es jemals wieder schafft, ist fraglich.

»Wie oft wird diese Weiche gebraucht?«, wollte er von seinen Bahnern in seinem Sparwahn wissen, der ihn an die Börse bringen sollte. Was? Nur zehnmal im Jahr! Raus damit. Und wieder war eine Ausweichmöglichkeit verschwunden. So agierte er, und das ist ein Grund, weshalb heute Zugverspätungen der Normalfall sind.

Unglaublich viel Schaden hat dieser Mann angerichtet: Beraten von McKinsey-Leuten, hat er einen ruppigen Managementführungsstil durchgesetzt, ein rigides Kontrollsystem eingeführt (fast vergessen: wegen der Überwachung und Bespitzelung auch von Journalisten musste er ja gehen – mit einer satten Abfindung von rund sechs Millionen Euro), das zu einer verheerenden Stimmung in der Bahn führte: Führungskräfte verließen den Konzern oder wurden in Frührente geschickt, viele Bahner gingen in die innere Emigration.

Unheilvolles Gieren nach Boni

Das Missachten von Menschen und deren Knowhow, hat(te) tiefwirkende Folgen: Abteilungen, die sich vorher dem Ganzen verpflichtet sahen, kümmerten sich nur noch um ihre eigene Performance, Führungskräfte nur noch um ihre eigenen Boni, die es nun gab – auf Kosten des Ganzen.

Verschärft wurde und wird diese Gierhaltung zu Lasten des Gesamtbahnsystems durch eine wirre Firmenstruktur. Unterhalb des Vorstands agieren acht Töchter – DB Fernverkehr, DB Regio, DB Cargo, DB Netze Fahrweg, DB Netze Personenbahnhöfe, DB Netze Energie, DB Schenker, DB Arriva, fast alles eigenständige Aktiengesellschaften, die, was riesige Wasserköpfe schafft und auch noch Geld verschlingt, meist vollausgestattet sind mit Vorstand und Aufsichtsrat. Und jede dieser Gesellschaften soll für sich Profit machen – was nur auf Kosten der anderen möglich ist.

Es ist eine Organisationsstruktur, die für den Börsengang zurechtgeschustert wurde, aber einen Bahnverkehr unmöglich macht. So sieht es der Schweizer Bahnchef Andreas Meyer in einem Gespräch mit der »Frankfurter Allgemeinen« am 26. Juni 2019, das sich wie ein Bewerbungsschreiben liest. Bei so einem Firmenkonstrukt hätte er es »abgelehnt, die Bahn in der Schweiz zu führen. Weil das riesige Auswirkungen hat nicht nur auf die Effizienz, sondern auch die Pünktlichkeit«.

Die Bahn – das Absurde ist bei ihr Realität.

Monolog des Bahndirektors a. D. Klaus-Dieter Bodack

»Meine Frau wurde unlängst 70, ich 80. Wir wollten also für diesen 150. Geburtstag mit dem Zug in die Berge fahren, mit 50 Freunden, in einem Sonderwagen. Es hieß, das geht nicht. DB Fernverkehr hatte einen Wagen, den ich in meiner Dienstzeit bei der DB gestaltet hatte, im Abstellbahnhof Pasing stehen. Nach etlichen Anfragen und Ablehnungen fand ich jemanden, der mir diesen Wagen für einen Tag lieh. Er war auf einer Seite besprayt, und in beiden Toiletten gab es kein Wasser. Egal.

Ich bekam nach der Reise eine Rechnung über 1 273 Euro und 26 Cent. Ich bezahlte sie ohne Beanstandung, denn ich glaube, Kollegen waren viele Stunden damit beschäftigt, diese Rechnung zusammenzustellen.

Die verschiedenen Aktiengesellschaften der DB Aktiengesellschaft mussten alle untereinander abrechnen. Der Wagen gehört DB Fernverkehr. Die Rangierlok, die den Wagen an den Zug hängt: DB Regio. Auf Gleisen wird gefahren, die DB Netz gehören. Der Wagen stand dann im Münchner Hauptbahnhof, gehört also DB Netze Personenbahnhöfe. Wie haben die diese Rechnung bloß zusammengepuzzelt? Alles muss ja minutengenau unter allen Aktiengesellschaften aufgelistet und abgerechnet werden. Wie funktioniert das? Wie lange stand der Wagen da und dort? Wie lange wurde rangiert? Das Vorheizen des Wagens, es war ja März, hat noch x-Kilowattstunden verbraucht, die abgerechnet werden müssen mit DB Netze Energie – und DB Absatz stellt schließlich die Rechnung zusammen.

Im Grunde hatten sie recht mit der ursprünglichen Verweigerung des Wagens: ›Das geht nicht!‹

Früher, als die Bahn noch nicht so zerlegt war, ging so eine Sonderfahrt problemlos. Anfang der 90er habe ich schon mal so eine Fahrt mit 50 Freunden gemacht. Da hieß es ganz einfach: Kaufen Sie 50 Bayern-Tickets 1. Klasse, und wir hängen für Sie einen Extra-Wagen an den Zug. Dazu waren nur ein Telefonat und ein Fax notwendig.«

DB-Regionalisten gegen DB-Nationalisten

Die Bahnreform von 1994, die eine effiziente und geldbringende Bahn schaffen sollte, hat nicht nur eine wuchernde Bürokratie im Überbau, sondern auch ein Chaos an der Basis provoziert, das eine funktionierende Bahn heute kaum noch zulässst.

Nur ein Beispiel: Im Fernverkehr fällt eine Lok aus. Auf einem Abstellgleis stehen mehrere Lokomotiven. Eine von denen könnte man ganz rasch vor den gestrandeten Zug spannen, nur: Diese rumstehenden Loks gehören DB Regio und nicht DB Fernverkehr. Und, salopp gesagt, die DB-Regionalisten denken nun überhaupt nicht daran, den DB-Nationalisten zu helfen. Auf die sie neidisch sind, weil die mit ihren Fernzügen stets Vorfahrt haben. Und schon bricht wegen dieser künstlich kreierten Konkurrenz unter den verschiedenen DB-Gesellschaften der Fahrplan zusammen.

»Etwas fürs Vaterland tun!«

Seit der Bahnreform 1993/94 wird die Bahn von hochbezahlten erwachsenen Azubis geführt, von Leuten, die bei ihrem Amtsantritt keine Ahnung vom System Bahn, wohl auch ganz prinzipiell kein großes Interesse an der Bahn hatten. Sie kamen (bis auf den Staatssekretär Ludewig) ausnahmslos aus der Auto- oder Luftfahrtindustrie – wie Hartmut Mehdorn, einer der wohl unfähigsten Bahnchefs in der 185-jährigen deutschen Bahngeschichte.

Als ihn Kanzler Gerhard Schröder 1999 zu dem Job verhalf, sagte er gewichtig, er sei »happy, endlich mal was fürs Vaterland tun zu können«. Und damit fing das Elend an.

Er war nur ein paar Tage im Amt, und schon verblüffte Bahn-Novize Mehdorn die Bahnprofis mit einer Reihe von Strategiepapieren, etwa »Die Bahn aus einem Guss« und seiner »Schienen-Verkehrs-Politischen-Vision«, er nannte das die »Deutsche Bahn 2020«. Es ist ein schmales Dossier mit farbigen Charts, mit vielen roten Punkten, die sich vermutlich bahnferne Berater ausgedacht hatten. Die Experten, die es damals bei der Bahn noch gab, schüttelten die Köpfe. Die Visionen verschwanden in den Schubladen.

Aber Mehdorn hielt an diesen »Visionen« dennoch fest: Er sah nur die Großstädte, die Business-Leute, die zwischen den Metropolen hin- und herzischen.

Das flache Land aber, die Menschen abseits der Metropolen, waren ihm herzlich egal. Und so war es nur konsequent, dass er die erfolgreichste Zugart der Bahn, den Interregio, der vor allem in der Fläche Klein- und Mittelstädte bediente, einstellte.

Die Leiden des Eisenbahn-Idealisten

Armin Götz ist ein Unternehmer, Herr über eine kleine Flotte von Zügen. Er ist eigentlich ein recht gelassener Mensch, ein Bayer, den nichts so schnell aus der Bahn wirft. Aber wenn der 60-jährige über die Bahn redet, wird er schnell traurig. Und wütend.

Die Bahn ist sein Leben, das ist nicht bloß so dahingeschrieben. Götz lässt seit vielen Jahren Personen- und Güterzüge fahren; in den 80ern hat er mit Reichsbahn-Zügen, eine Sensation, westdeutsche Touristen in die DDR gebracht. Heute ist sein mittelständisches Unternehmen täglich mit 15 Güterzügen unterwegs, die 2018 insgesamt zwei Millionen Tonnen Fracht transportieren – das entspricht etwa 80 000 LKW-Fahrten.

Götz ist ein Eisenbahn-Idealist, nur so lässt es sich erklären, dass er diese Frachtzüge auf Deutschlands Schienen fahren lässt, denn: »Ärger mit der Bahn AG und hier insbesondere mit der DB Netz AG haben wir täglich. Der Laden ist einfach nicht mehr richtig organisiert. Diese Bahn AG hat ihren Betrieb nicht im Griff. Fehlplanungen von Zügen, Baustellen und so weiter sind an der Tagesordnung.« Sein Fazit: »Die DB Netz AG behindert eher den Schienenverkehr, anstatt ihn zu fördern.«

Götz, Generaldirektor der Internationalen Gesellschaft für Eisenbahnverkehr (IGE), wollte eigentlich zur Deutschen Bahn, aber es gab damals, als er da hin wollte, einen Einstellungsstop. Jetzt, sagt er, »bin ich sehr froh, dass ich nicht zur Bahn konnte, damals war ich traurig, aber in dem Laden, der sich unter Mehdorn und Grube entwickelt hat, wäre ich als Bahner untergegangen«.

Monolog des Eisenbahnunternehmers Armin Götz

»Für mich ist die Schiene das einzig vernünftige Verkehrsmittel. Es kann Güter und Menschen schnell und sicher von A nach B befördern. Die Bahn ist klimafreundlich, zuverlässig und schnell – im Prinzip. Die Bahn erfüllt all die Kriterien, nach denen wir heute so sehr schreien. Aber es passiert nichts Richtiges. Warum? Wir sind ein Land im Autowahn. Und das System Bahn ist unter Leute gefallen, die nichts von diesem System verstehen.

Seit der Jahrtausendwende hat man angefangen, systematisch alles kaputtzumachen. Den Gedanken, dass Bahntransporte LKWs und verstopfte Straßen entlasten könnten, den hat Bahnchef Mehdorn entsorgt.

Wenn ich an die 70er-, 80er-Jahre zurückdenke, als die Bundesbahn das Inter-City-System eingeführt hat – jede Stunde, jede Klasse, beim Umsteigen gab es in den Knotenbahnhöfe korresponierende Bahnsteigübergänge, das war wirklich toll durchdacht im Sinne des Reisenden. Die Bundesbahn hat damit den Taktfahrplan realisiert, den jetzt die Bahn AG so verzweifelt wieder anstrebt.

Früher war die Bahn eine Organistion, da war alles ganz fein aufeinander abgestimmt. Ein Rädchen griff ins andere. Aber heute passt in dem Gesamtsystem nichts mehr ineinander. Die einzelnen Töchter der Bahn agieren unabgestimmt, und sie agieren gegeneinander: Wenn Sie mit einem ICE ein wenig verspätet in den Bahnhof reinfahren, ist ihr Anschlusszug, der von einer anderen Bahntochter betrieben wird, einfach weg.

Früher, ich will nichts verklären, war die Bahn zuverlässig wie ein Uhrwerk. Wenn Sie aus Ihrer Uhr ein winziges Rädchen ausbauen, läuft sie nicht mehr richtig. Aber Mehdorn und Co. haben bei der Bahn nicht ein Rädchen, sondern Hunderte von Rädchen brutalst rausgerissen – und ob das System daher jemals wieder richtig funktionieren kann? Ich glaub es nicht. Die wissen nicht mal, wo ihre Güterzüge rumfahren oder wo sie stehen. Da fragen Kunden, warum der Zug, der früh um sechs Uhr zum Entladen da sein sollte, nachmittags immer noch nicht da ist – und wenn diese Kunden nachfragen, kann ihnen keiner eine Antwort geben, weil die Zentrale in Duisburg nicht weiß, was draußen auf ihren Schienen abläuft.

Aber dafür macht die Bahn auf der ganzen Welt, was sie will.

Zu Herrn Mehdorn habe ich mal gesagt: ›Sie sind für mich der Zerstörer des System Eisenbahn.‹

Er hat mich nur angelächelt.«

»Wir erobern die Welt!«

An einer funktionierenden Bahn in Deutschland war Bahnchef Mehdorn nicht wirklich interessiert. Kurz nach Amtsantritt verkündete er jedenfalls, dass Bahnfahren über »vier Stunden eine Tortur« sei. Er erklärte, dass er, wenn er von Frankfurt nach Berlin müsse, meist das Flugzeug nehme. Und zu Beginn seiner Amtszeit orderte er 500 Dienstwagen für seine Führungskräfte.

Über seinen Kundenservice ließ er mich wie viele bahnComfort-Kartenbesitzer eines Tages wissen: »Als bahnComfort-Kunde unterbreiten wir Ihnen ein exklusives Mietwagenangebot: den Phaeton für 139 statt 169 Euro pro Tag. Das ist Fahrspaß pur!«

Das ist der Sound eines Autoverkäufers, nicht der eines Bahnchefs.

Warum hat die Politik viele Jahre lang so bahnignorante Leute wie Mehdorn oder Grube an die Bahnspitze gebracht, warum bloß? Und nicht Profis von dort hergeholt, wo man weiß, wie eine Bahn funktioniert und attraktiv gemacht wird. Etwa aus dem eigenen Bahnbetrieb? Aus der Schweiz? Aus den Niederlanden? Aus Österreich? Der Fußballclub Bayern München würde, wenn er einen Top-Trainer sucht, jedenfalls nie auf die Idee kommen, den Chefarzt der Charité zu verpflichten.

Die Bahn ist eines der wichtigsten Mittel der Politik, um in Zeiten des Klimawandels den Verkehr Richtung ökologischer Vernunft zu steuern. Dass sie so konsequent auf die Falschen an der Spitze dieses Unternehmens setzt, ist nicht bloß unachtsames Versehen – steckt ein strategisches Konzept dahinter? Soll die Bahn in Deutschland nie so attraktiv werden, dass sie der Autoindustrie gefährlich wird?

Dass die Bahn nach und nach ihrer Leistungskraft jedenfalls beraubt wurde, dafür sorgten Bahnchefs wie Mehdorn und Grube. Mehdorn war nur an einem wirklich interessiert: an sich. Im Grunde war dieser Mann nichts als ein mit Geld zugeschütteter Totengräber der Bahn; er hat es vor allem geschafft, innerhalb kürzester Zeit sein Gehalt um 400 Prozent zu steigern, allein in den Jahren 2005/2006 hat er es verdoppelt – auf 3,18 Millionen Euro. Damit hätten zum Beispiel 3 500 Kinder in Stuttgarter Kindertagseinrichtungen ein ganzes Jahr kostenlos verpflegt werden können.

Ja, Mehdorn wollte in die Weltwirtschaftsgeschichte eingehen als der Mann, der die Bahn privatisierte und als Global Player an die Börse brachte. Seine Gier nach einem Weltkonzern erinnert fatal an Jürgen Schrempps Traum von der DaimlerChrysler-Welt AG. Seinen alten Rivalen Schrempp wollte Mehdorn übertrumpfen.

Er wollte groß sein, richtig groß, ein ganz Großer – wie sein Vorbild Napoleon: »Dass er klein und dick wie ich war, ist reiner Zufall.«

Rückblende: Aktion Größenwahn, Januar 2007

Es ist kurz vor neun Uhr, ein nasskalter Januartag. Tief hängen die Wolken über dem Hamburger Hafen. Breitbeinig steht Hartmut Mehdorn auf einer Schiene am Bahnhof Alte Süderelbe, um ihn herum ein paar Männer, die wie er gekleidet sind, dunkle Anzüge, dunkle Mäntel. Mehdorn ruft begeistert: »Er rollt schon!«

Ein Güterzug kommt langsam auf Mehdorn zu, ein paar Meter vor dem Bahnchef stoppt er, »Zukunft bewegen« steht auf der roten, frisch gewaschenen Lok, ein Dutzend Raketen zischen plötzlich in die Luft, Knall, Rauch. Hostessen eilen herbei, sie halten ein Schild vor der Lok hoch, »Demonstration Train Peking – Hamburg-Container-Express, 10 000 km«. Es nieselt. Mehdorn und die anderen dunklen Mäntel bauen sich davor auf, sie alle lächeln, die Kameras klicken, Ole von Beust, Hamburgs Bürgermeister sagt: »Tolle Show!«

Dann eilen die dunklen Mäntel, abgeschirmt von rüde agierenden Sicherheitsleuten, in ein weißes Partyzelt.

Die Show: Vor 15 Tagen war der Güterzug in Peking gestartet, jetzt ist er in Hamburg.

Mehdorn tritt ans Mikrofon, seine Betonscheitelfrisur ist festgezurrt, er schaut auf ein paar Unternehmer, auf die Vertreter der russischen und weißrussischen, der mongolischen, der chinesischen und polnischen Eisenbahnen, er schaut auf Mitglieder seines Vorstandes, auf Leute, die das Gleiche wollen wie er: Märkte erobern. Geschäfte machen. Big Deals und Fusionen.

Alles Leute, die die gleiche Vision haben: Endlich die Staatsbahnen privatisieren! Die Fesseln der Politik sprengen! An die Börse gehen! China. Saudi-Arabien. Amerika. Überall Märkte. Überall warten Geschäfte. Die Wirtschaft wächst.

Sektgläser klirren, ein Hauch von Klondike, Goldgräberstimmung, liegt über dem Zelt an diesem tristen nasskalten Morgen im Hamburger Hafen.

Und vorneweg Mehdorn: A Master of the Universe.

Die Bahn im Einkaufsrausch

»Die Strategie des weltweiten Konzerns ist gescheitert.« So sieht es Professor Christian Böttger, er sagt: »Die Zinsen für die teuren Einkäufe fressen die Gewinne auf. Die Deutsche Bahn zahlt jedes Jahr drauf, und am Ende haftet der Steuerzahler.«

Wenn Böttger über die Bahn spricht, hat man das Gefühl, er würde am liebsten randalieren vor Wut. Oder vor Verzweiflung. Aber da er ein Wissenschaftler ist, müht er sich um zurückhaltende Worte, um kühle Analyse.

Böttger, der einen Lehrstuhl an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin hat und dessen Spezialgebiet die Bahn ist, ist perplex über dieses Gebilde, das sich da entwickelt hat. Er sagt über die Bahnchefs Mehdorn und Grube, »sie hatten Weltmachtphantasien«. Und um die umzusetzen, sei »die Bahn ausgeplündert worden«.

Anders sah das natürlich Mehdorn, anders sah es auch sein Nachfolger Rüdiger Grube, der behauptete einfach: »Im Jahr 2020 wollen wir das weltweit führende Mobilitäts- und Logistikunternehmen sein.«

Es ist kompliziert zu verstehen, wie aus der Deutschen Bahn so klammheimlich ein multinationaler Konzern werden konnte.

Den Anfang machte Mehdorn. 2002 ging es mit der Welteroberung los. Damals erwarb die Bahn den Logistik-Konzern Schenker für 2,5 Milliarden Euro. 2005/6 erwarb die Deutsche Bahn für mehr als eine Milliarde Euro den US-amerikanischen Logistikkonzern BAX Global (später nur als Bax bezeichnet). Unter anderem wurden in diesen Jahren noch schnell die niederländische und dänische Güterbahn einverleibt, auch im Nahen und Mittleren Osten engagierte sich der Konzern.

Als Welteroberer Mehdorn bei der Bahn wegen seiner Spitzeleien ausscheiden musste, lebte sein System im Nachfolger Rüdiger Grube weiter. Auch der fand, dass die Deutsche Bahn möglichst weltumspannend agieren müsste – warum soll man da noch Züge in Vorpommern fahren lassen?

Und so steckte auch er viel Geld in bahnferne Geschäfte rund um den Globus, auch in Geschäfte, die in direkter Konkurrenz zur Bahn stehen.

Der wichtigste Zukauf in dieser unverantwortlichen Expansionpolitik unter Rüdiger Grube war der Kauf des britischen Busunternehmens Arriva am 11. August 2011. Die Kosten – einschließlich übernommener Schulden: knapp drei Milliarden Euro, der größte Unternehmenszukauf in der Geschichte des Konzerns. Plötzlich war die Deutsche Bahn der größte Busbetreiber in Europa.

Heute ist die Deutsche Bahn mit Bussen, Flugzeugen, Schiffen, Autos, Lastwagen, Krankenwagen, Elektroautos weltweit unterwegs. In 140 Ländern. Das Logo der Deutschen Bahn oder ihrer Töchter, also DB Schenker oder DB Arriva oder DB Cargo oder DB Engeneering & Consulting kann man auf dem ganzen Globus sehen, etwa in:

Armenien, Aserbaidschan, Australien, Bahrain, Bangladesch, Brunel, China, Hongkong, Indien, Indonesien, Irak, Iran, Israel, Japan, Jemen, Jordanien, Kambodscha, Kasachstan, Katar, Kirgisien, Kuwait, Laos, Libanon, Macau, Malaysia, Malediven, Mauritius, Myanmar, Neuseeland, Nepal, Oman, Pakistan, Palästinensische Gebiete, Philippinen, Republik Korea, Saudi-Arabien, Singapur, Sri Lanka, Syrien, Tadschikistan, Taiwan, Thailand, Turkmenistan, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate, Vietnam, Ägypten, Algerien, Angola, Äthiopien, Botswana, Dschibuti, Ghana, Kenia, Madagaskar, Malawi, Marokko, Mosambik, Namibia, Nigeria, Sambia, Senegal, Simbabwe, Südafrika, Tansania, Tunesien, Uganda, Argentinien, Aruba, Barbados, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Curaçao, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Honduras, Jamaika, Kanada, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Trinidad und Tobago, Uruguay, USA, Venezuela, Dänemark, Großbritannien, Italien, Kroatien, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Belgien, Frankreich, Rumänien, Russland, Schweiz, Spanien, Albanien, Bosnien, Estland, Finnland, Georgien, Griechenland, Irland, Island, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Moldawien, Norwegen, Österreich, Rumänien, Türkei, Ukraine, Weißrussland, Zypern, Deutschland, Mongolei.

Die Deutsche Bahn agiert auch entlang der »neuen Seidenstraße« über Russland nach China und so weiter, seit 2017 auch in Kamerun, Malawi, Tschad, Afghanistan, Brunei, Mongolei, es gibt kein Halten – auch unter dem neuen Bahnchef Lutz nicht. 2018 erklärte in Tiflis der heute zweitwichtigste Mann im Konzern, Finanzchef Alexander Doll, dass die »strategische Partnerschaft (der DB AG, Anm. d. Verf.) mit der Georgian Railway (…) uns helfen wird, unsere Geschäfte weiter auszubauen.«

DB-Krankentransporte in Großbritannien

Dieser deutsche Staatskonzern, der hierzulande für einen ordentlichen Bahnverkehr sorgen soll, das aber nicht schafft, treibt im nahen und fernen Ausland alles Mögliche: Er betreibt (mit vielen, vielen Töchtern und Firmen) beispielsweise Wein- und Minenlogistik in Australien, lässt Schnellzüge zwischen Bakersfield und San José in Kalifornien fahren, unterhält in Kopenhagen mit 350 Autos die weltweit größte Elektroflotte für Carsharing, betreibt in Großbritannien Krankentransporte, lässt in London Doppeldeckerbusse fahren, steuert den Royal Train; betreibt im Nordwesten Englands die Northern Rail und macht dort, was sie in Deutschland auch so gut kann: Chaos auf den Schienen. So waren dort 75 Prozent aller Züge beispielsweise im Juli 2018 gestrichen, von einer Katastrophe war die Rede und von Verlusten in Höhe von 37 Millionen Pfund.

Weiter: Die Deutsche Bahn hält die Mehrheit an Kroatiens größtem privaten Busbetreiber, betreibt Elektrobusse in Tschechien, baut eine neue Metro in Canberra; macht in vielen europäischen Ländern (etwa in Portugal, Polen, Dänemark, Spanien) mit ihren Bussen Konkurrenz zu den dortigen Staatsbahnen, bedroht also dort den staatlichen Schienenverkehr; war in Saudi-Arabien am Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke beteiligt, in Katar baute sie Eisenbahnstrecken auf, ist nun »strategischer Partner« für die Entwicklung des dortigen Verkehrsnetzes; dieser Konzern befördert 1,3 Millionen Tonnen Luftfracht rund um die Welt, transportiert inzwischen 2,17 Millionen Tonnen Seefracht auf allen Meeren, ist Marktführer im Schiffsverkehr zwischen China und den USA.

Hierzulande aber hat die DB AG, was Fahrpläne durcheinander brachte und Kunden verärgerte, ihre Schiffe, die auf dem Bodensee und nach Dänemark im Einsatz waren, längst veräußert.

Ausplünderung der Bahn

Merkwürdig ist, dass diese gigantischen Auslandseinsätze der Deutschen Bahn in den hiesigen Medien wenig oder meist verblüffend unkritisch gesehen werden. Dieser Einsatz im Ausland, heißt es oft, »liefert gute Gewinne«. Falsch.

Im Ausland verdient die Bahn kein Geld. Riesig sind die Auslandsumsätze, das stimmt, über die Hälfte des Konzernumsatzes in Höhe von 44,1 Milliarden Euro stammt 2018 aus dem Auslandsgeschäft, viel Geld wird da bewegt, mickrig aber sind die Profite. Sie sind kleiner, als für Tilgung und Verzinsung des eingesetzten Kapitals aufgebracht werden muss.

Alles in allem haben diese Aufkäufe von Firmen im Ausland in den vergangenen Jahren mehr als zehn Milliarden Euro verschlungen. Schon in der Mehdorn-Ära hat der Bundesrechnungshof die expansive Auslandsstrategie so heftig wie folgenlos gerügt: die Bahn unterlasse deswegen Reparaturarbeiten in Milliardenhöhe und spare an Investitionen in Deutschland.

So sieht es auch Professor Christian Böttger, er drückt sich nur wissenschaftlicher aus: »Der DB AG gelang es, etliche Milliarden Euro durch Gewinnausschüttung, Desinvest und Immobilienverkäufe aus der Infrastruktur abzuziehen und in andere, bahnferne Geschäfte zu investieren. Bereits seit vielen Jahren führt der Kapitalabzug aus der Infrastruktur zu einer Zustandsverschlechterung.«

Die Bahn hält das für eine böswillige Unterstellung, die sie rituell zurückweist. Als Grube noch Bahnchef war, behauptete er: »In Deutschland wird nicht ein Cent für Aktivitäten im Ausland gespart.« Und betonte, man habe in den vergangenen Jahren im Schnitt 1,4 Milliarden Euro in die Instandhaltung der Infrastruktur gesteckt, deutlich mehr als vorgeschrieben.

Unabhängige Bahn-Experten widersprechen Grube. Christian Böttger geht davon aus, dass mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr in das System hätten investiert werden müssen. Aber da waren ja diese Weltmachtphantasien. Mehdorn und Grube, sagt Böttger, hätten einfach die Tatsache ausgenützt, dass sich die Politik nicht wirklich um die Bahn kümmere, »dieses Vakuum nutzten sie, um aus der Bahn ein weltweites Logistik-Kombinat zu machen«.

Im Januar 2019 attackiert der Rechnungshof wieder einmal die Auslandseinsätze der Bahn: »Aus der globalen Geschäftstätigkeit der DB AG ergeben sich bislang keine positiven Effekte für die Ertrags- und Finanzlage der Eisenbahn in Deutschland.«

Und so wird es auch auf unabsehbare Zeit bleiben.

Aber noch aus einem anderen Grund hält Böttger das Auslandsgeschäft für gefährlich: Es koste »zu viel management-attention«. Ständig müssten der Chef oder seine Manager Entscheidungen treffen in ihrem kaum zu überblickenden Riesenreich: Wer sich mit Korruptionsfällen in Griechenland, Ruanda, Thailand, Algerien beschäftigen muss oder mit Kartellstreitigkeiten weltweit, wer in Mexiko Leute rauswerfen muss, »der hat wenig Zeit für Züge, die in Deutschland unpünktlich sind«.

Wenn man ein paar Mal mit Böttger geredet hat, denkt man: Die Bahn herrscht über die Politik. Sie ist ein Staat im Staat. Sie treibt die Politik vor sich her.

Und sie macht, da hat der Bahnunternehmer Götz recht, was sie will.

Die Parlamentarier haben die Auslandsgeschäfte nie abgesegnet

Dass die Deutsche Bahn AG, die zu 100 Prozent im Staatsbesitz ist, im Klartext: den Bürgern gehört, dass dieser Betrieb seit Mehdorns Wirken weltweit private Unternehmen aufkauft – diese unternehmerische Ausrichtung ist von keinem Abgeordneten je abgesegnet worden. Die Bahn hat es einfach getan – und verstößt damit, so der Bundesrechnungshof, gegen den »grundgesetzlichen Gewährleistungsauftrag des Bundes« hierzulande.

Dass Politiker dieses Aufkaufen von Firmen tolerieren, dass Politiker, für die Verstaatlichungen normalerweise Todsünden sind, dies bei der Bahn dulden und ermöglichen, verwundert. Es ist putzig, wie ein deutscher Staatskonzern mit deutscher Staatsknete weltweit private Unternehmen sozialisiert, sie also verstaatlicht. Die FDP müsste eigentlich den Bahn-Tower in Berlin stürmen.

Man könnte das Handeln der Bahn AG eventuell akzeptieren, wenn ihre auch ordnungspolitisch fragwürdige Aktionen große Gewinne einspielten. Milliarden Euro für eine funktionierende Bahn in Deutschland generierten. Aber so ist es ja nicht, im Gegenteil. Die Bahn hierzulande ist die Milchkuh für Auslandsabenteuer, die der Bahn und den Bürgern hierzulande nichts bringen außer: Zerfall.

Rückblende: Berlin, 2008, Konzernzentrale der Deutschen Bahn: »Wenn wir jetzt nicht in England angreifen, dann …«