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Alle Angaben in diesem Buch stammen aus Quellen, die Autor und Verlag für vertrauenswürdig halten. Eine Garantie für die Richtigkeit kann jedoch nicht übernommen werden. Um Risiken abzufedern, sollten Anleger ihr Vermögen deshalb grundsätzlich streuen. Die Angaben in diesem Buch stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers dar. Die veröffentlichten Informationen geben die Meinung des Autors wieder.

Copyright der deutschen Ausgabe 2020:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Gestaltung Cover: Daniela Freitag

Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek

Herstellung: Daniela Freitag

Vorlektorat: Elke Sabat

Korrektorat: Claus Rosenkranz

Druck: CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978-3-86470-655-4

eISBN 978-3-86470-656-1

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THOMAS GEBERT

KURZFRIST
STRATEGIEN
FÜR ANLEGER

So nutzen Sie Stimmungsschwankungen gewinnbringend aus

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INHALT

EINLEITUNG

1KONSUMENTENVERTRAUEN GLEICH BÖRSENSTIMMUNG?

2DIE GRAFISCHE DARSTELLUNG VON KURSVERLÄUFEN

3DAS TAG-NACHT-PHÄNOMEN

4BELOHNT WIRD NUR DIE RISIKOÜBERNAHME

5STIMMUNGEN DER ANLEGER AM KURSVERLAUF ABLESEN

6DIE SUGGESTIVE KRAFT DER KURSBEWEGUNGEN

7EMOTIONALE EXTREMWERTE

8DER ZEITLICHE RHYTHMUS DER STIMMUNGEN

9STATISTISCHE UNTERSUCHUNGEN

10LANGFRISTIGE ASPEKTE

11AKTIEN ODER ANLEIHEN? WAS IST BESSER?

12DIE INFLATION ALS SCHLÜSSELGRÖSSE

13EINE NEUE THEORIE DES GELDES?

14EIN PAAR GEDANKEN ZU DEN ROHSTOFFEN

15DIE 16-WOCHEN-STRUKTUR

16WELCHE RISIKEN BEDROHEN DIE AKTIENANLAGE?

ZUSAMMENFASSUNG

EINLEITUNG

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Dieses Buch dreht sich zu einem großen Teil um die Kurzfristprognose von Aktienkursen, hauptsächlich am Beispiel des Deutschen Aktienindex DAX. Warum? Scherzhaft könnte ich antworten, dass ich mittlerweile 63 Jahre alt bin. Was soll ich mit einer Langfriststrategie? Ich brauche das Geld morgen … spätestens nächste Woche. Aber dies ist nur ein Teil der Antwort. Es geht nicht in erster Linie um kurzfristige Spekulationen, sondern um die sinnvolle Durchführung von Aktieninvestments. Nehmen wir an, Sie möchten als Geldanlage in Aktien investieren. Dann spielen der Kauf- und der Verkaufszeitpunkt eine entscheidende Rolle. Wie ich im Buch später zeigen werde, verändern sich die Aktienkurse – stellvertretend der DAX für die deutschen Wertpapiere – durchaus um bis zu fünf Prozent oder mehr nach oben oder unten innerhalb von wenigen Tagen. Im Mittel der Jahrzehnte sind die deutschen Aktien inklusive der gezahlten Dividenden seit 1960 pro Jahr um fünf Prozent gestiegen. In der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird aus der Statistik der Vergangenheit auf die Wahrscheinlichkeit für die Zukunft geschlossen. Der Erwartungswert des Ertrags einer Aktienanlage beträgt also fünf Prozent pro Jahr. Kaufen Sie zum Beispiel acht Tage später fünf Prozent billiger, weil die Kurse in dieser Zeitspanne in dieser Größenordnung häufig schwanken, und verkaufen sie ein paar Tage später als geplant fünf Prozent teurer, machen diese zehn Prozent schon den mittleren Ertrag von zwei Jahren Aktienanlage aus. Auch für die langfristige Aktienanlage stellen sich der Kauf- und der Verkaufszeitpunkt somit als bedeutsam heraus.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Wenn man Aktien kauft, verschafft man sich schon einmal einen großen Vorteil, wenn die Aktien nach dem Kauf gleich fünf Prozent steigen. Man erhält so ein Polster, von dem aus man weiter entscheiden kann. Steigen die Kurse, kann man die eingegangene Position behalten und fühlt sich in Sicherheit, weil man schon im Plus ist. Unangenehm sind die Investitionen, bei denen man gleich nach dem Kauf fünf Prozent ins Minus fällt. Zunächst ist da der untergründige Ärger: Man fragt sich, warum man nicht ein paar Tage später wesentlich billiger gekauft hat. Fünf Prozent mehr Aktien hätte man für dasselbe Geld bekommen. Aber auch die eigene Position wird unsicherer. Geht es dann weitere fünf Prozent abwärts, denkt man schon darüber nach, ob es nicht besser wäre, diese Position wieder zu verkaufen. Lieber mit einem kleinen Verlust von zehn Prozent heraus, als dass noch ein größeres Unheil passiert. Klettert man mit der eingegangenen Position dagegen zunächst fünf Prozent ins Plus, kann man, wenn der Markt wider Erwarten gegen einen dreht, mit plus/minus null wieder aussteigen, falls man dann doch nicht mehr in dem Maße von den Aktien oder dem Aktienindex überzeugt ist wie zuvor. Mit Aktien, die im Minus notieren, befindet man sich in einer sehr ungünstigen Lage. Die Frage steht im Raum: Wäre es besser, den Verlust zu begrenzen und die Aktien zu verkaufen oder die Kursschwäche durchzustehen und das Problem auszusitzen? Fallen die Kurse weiter, wird diese Frage immer drängender.

Diese Zwangslage tritt nicht nur im Kleinen bei niedrigen Kursverlusten, sondern auch im Großen bei Baissen auf. Im Nachhinein lässt sich leicht sagen, dass die Kurse sich immer wieder erholen, dass man solche Kursschwächen einfach aussitzen muss. Diesen Rat bekommt man häufig von Unbeteiligten. Denen ist ja schließlich auch vollkommen egal, ob sich mein Verlust vergrößert oder ob er irgendwann wieder ausgeglichen sein wird. Zu dem Zeitpunkt, in dem ich im Minus bin, weiß ich es aber nicht genau. Betrachten wir die Eurokrise des Jahres 2011. Sie war eine der Spätfolgen der Finanzkrise des Jahres 2008. Aufgrund der schweren Rezession waren die Steuereinnahmen eingebrochen und die Länder mussten sich höher verschulden. So gerieten die Staatsschulden von Griechenland und später von Italien in den Blickpunkt der Anleger. Die Marktteilnehmer gingen davon aus, dass Italien ohne ein starkes Wirtschaftswachstum die Zinsen für die Schulden in Höhe von über 130 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts – ein höherer Wert als der von Griechenland, als dort die Zahlungsunfähigkeit vor der Tür stand – nicht mehr bezahlen könnte. Internationale Anleger verkauften deshalb italienische Staatsanleihen, sodass mit den sinkenden Kursen dieser Papiere die Verzinsung anstieg. Auf dem Höhepunkt der Krise waren die Kurse der italienischen Staatsanleihen so stark gefallen, dass sich mit dem Coupon eine Verzinsung von über sieben Prozent ergab. Zinszahlungen von sieben Prozent auf die Staatsschuld von über zwei Billionen Euro hätten den italienischen Staat 150 Milliarden Euro pro Jahr gekostet. Eine Lösung für dieses Problem war nicht in Sicht. Insofern war der Anleger – und damit komme ich auf das Ausgangsproblem zurück – in einem Dilemma gefangen: Aktien verkaufen oder nicht? Auf dem Höhepunkt der Italien-Krise notierte der DAX bei 5.000 Punkten 40 Prozent unter dem Hoch das Jahres 2007 und auch immer noch 40 Prozent unter dem Gipfel des Jahres 2000. Trotzdem schien es in diesem Moment der Krise ratsam zu sein, Aktien zu verkaufen.

Ich kann mich an die Tage erinnern. Es sah für Italien vollkommen aussichtslos aus. Einen Schuldenstand von über 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei einem Zins von sieben Prozent – es schien keine Lösung möglich. Ein Austritt Italiens aus dem Euroraum war vermeintlich unabwendbar. Dies hätte zu dramatischen Konsequenzen geführt, da die italienischen Schulden in die dann neue Währung Lira umgewandelt worden wären. Die Lira wäre vermutlich gleich nach der Einführung auf den halben Wert gestürzt, wie bei der Krise des Europäischen Währungsmechanismus im Jahr 1992, und damit hätten alle, die italienischen Schulden hielten, vor allen Dingen auch europäische Banken, die Hälfte des Wertes dieser Forderungen verloren. Eine Welle der Bankenpleiten wäre über Europa hinweggefegt. Wenige Aktiengesellschaften hätten das überlebt. Es ist nämlich nicht so, dass die Aktien sich immer wieder erholen müssen. Es wird zwar immer das Beispiel von nach dem Zweiten Weltkrieg angeführt. Damals hatten die Aktien durch den verlorenen Krieg und die Zerstörung in Deutschland fast ihren gesamten Vorkriegswert verloren. Doch mit dem Wiederaufbau erholten sich auch die Kurse und stiegen sogar über den Wert von vor dem Krieg. Damals galt aber eine andere Rechtslage. Vergleichbares wäre in dieser Form heute nicht mehr möglich. Ein Unternehmen hat Verpflichtungen den Arbeitnehmern gegenüber, die vorgehen. Wenn einer Firma plötzlich die Aufträge ausgehen und sie macht keinen Umsatz mehr, muss sie trotzdem die Löhne und Betriebsrenten weiterzahlen. Sind die liquiden Reserven erschöpft, muss das Unternehmen zu anderen Mitteln greifen, um sich Kapital zu beschaffen. Dazu gibt es neue Aktien heraus, die am Markt verkauft werden. Mit dieser Ausgabe von neuen Aktien und der Infusion von frischem Kapital verringert sich der Anteil der Altaktionäre an der Firma. Eine Kapitalerhöhung verwässert den Wert der alten Aktien. Während der großen Rezession nach der Finanzkrise des Jahres 2008 sackten die Auftragseingänge im Automobilbau um bis zu 40 Prozent ab. Daimler verkaufte über Wochen weltweit nicht eine einzige S-Klasse. Während dieser ganzen Zeit musste Daimler trotz der gesunkenen Umsätze die laufenden Kosten weiter tragen. Hätte die Wirtschaftsschwäche damals einige Monate länger angedauert, hätte sich Daimler frisches Kapital beschaffen müssen. Damit wäre der Anteil der Altaktionäre an der Firma dezimiert worden. Als Aktionär kann man also seinen Anteil an der Firma so gut wie verlieren, selbst wenn die Firma gar nicht pleitegeht. Wäre Daimler kurzfristig zahlungsunfähig geworden und hätte eine große Kapitalerhöhung starten müssen, wäre man als Daimler-Aktionär seinen Anteil so gut wie los gewesen. Die Firma Daimler hätte danach normal weitergearbeitet, nur man selbst wäre nicht mehr der Eigentümer gewesen, jedenfalls nicht im vorherigen Ausmaß. So ist es zum Beispiel den Aktionären der Deutschen Bank ergangen. Die Deutsche Bank musste sich seit der Finanzkrise so oft frisches Kapital beschaffen, dass der mittlerweile aufgenommene Betrag höher ist, als die ganze Bank heute überhaupt noch wert ist. Der Aktienkurs der Deutschen Bank beträgt heute nur noch ein Zehntel des Wertes von vor der Finanzkrise. Die Firma ist aber nicht um so vieles kleiner geworden. Der Anteil einer Aktie an der Bank ist durch die vielen Kapitalerhöhungen immer weiter geschrumpft. Es ist also nicht so, dass sich die Deutsche-Bank-Aktie von sieben Euro irgendwann wieder auf 90 Euro erholen kann. Mit der Aktie von heute, die sieben Euro kostet, hat man nicht mehr den gleichen Anteil an der Bank wie damals. So ist es also gar nicht ausgemacht, dass sich der DAX nach einem Einbruch zwingend wieder erholen muss, schon gar nicht einzelne Aktien. Insofern war es nur logisch für einen Anleger, während der Italien-Krise seine Aktien in Panik zum Tiefstkurs zu verkaufen. Jemand, der auf sein Kapital angewiesen ist, hätte das Risiko nicht eingehen können, dass Italien die Lira einführt.

Im Nachhinein sieht alles so einfach aus. Alles ist gut gegangen und die Aktienkurse notieren heute doppelt so hoch wie damals. Es hätte nicht so kommen müssen. Gerettet wurde Europa durch Mario Draghi. Mit dem Satz „Whatever it takes“ deutete er an, dass die Europäische Zentralbank im Notfall unbegrenzt italienische Staatsanleihen kaufen würde. Nach dieser Versicherung und der impliziten Garantie der italienischen Staatsschulden sank die Rendite der italienischen Papiere, die Krise war gebannt. Eigentlich war es in den Statuten nicht vorgesehen, dass die Europäische Zentralbank Staatsanleihen der Mitgliedsländer kaufen darf, weil dies als indirekte Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse interpretiert wird. Man konnte diese Möglichkeit der Rettung in letzter Sekunde durch die Europäische Zentralbank also gar nicht ins Auge fassen, weil sie ungesetzlich war. Mario Draghi setzte sich über die rechtlichen Bedenken jedoch hinweg und rettete den Euro. Rückblickend betrachtet wäre es ein Fehler gewesen, auf dem Höhepunkt der Italien-Krise Aktien zu verkaufen. In der Situation selbst war es aber die einzig logische Handlung. Es war nicht sicher, dass sich die Aktien erholen würden. Und der Satz „Die Aktien und der DAX erholen sich immer wieder“ muss nicht stimmen. Hätte die Finanzkrise damals noch ein halbes Jahr länger gedauert, hätten sich viele große deutsche Unternehmen nicht wieder erholt und damit auch der DAX nicht. Bei einzelnen Aktien ist die Wahrscheinlichkeit noch größer, dass sie die alten Kurse nicht wieder erreichen. Dabei geht es noch nicht einmal nur um Wackelkandidaten. Ich kann mich noch erinnern, wie Dr. Friedhelm Busch damals im Börsenfernsehen von Sat.1 die Allianz-Aktie immer als den blauesten der Blue Chips bezeichnet hat. Diese Aktie dürfe man niemals verkaufen, sondern müsse sie in die Schublade legen und verwahren. Diese Aktie hat sich von 2000 bis zum Jahr 2003 fast gezehntelt, was nahezu einem Totalverlust entspricht. Den alten Spitzenwert von über 400 Euro hat sie bis heute nicht wieder erreicht. Ähnlich Münchner Rück: Sie kollabierte auf fast ein Zehntel ihres vorherigen Wertes. Die Geschichte von der Deutschen Telekom kennt jeder. Darüber brauche ich kein Wort zu verlieren.

Wenn man also mit einer einzelnen Aktie oder dem DAX ins Minus gerät, tritt das Grundproblem der Aktienanlage zutage: Ist es sinnvoll, die Kursschwäche auszusitzen, oder sollte man besser verkaufen, um noch größere Verluste zu vermeiden? Diese Frage lässt sich nicht immer leicht beantworten. Insofern, und damit komme ich wieder auf den Ausgangspunkt zurück, ist es von solch überragender Bedeutung, dass man einen günstigen Einstiegspunkt erwischt. Damit erweitert man seine Handlungsoptionen. Die Situation, mit Einzelaktien oder dem DAX im Minus zu notieren und zu überlegen, besser jetzt zu verkaufen und den Verlust zu begrenzen oder die Sache auszusitzen, weil sich der DAX oder die Aktien vielleicht doch irgendwann oder immer wieder erholen, ist unangenehm. In diese Zwangslage möchte man besser nicht kommen. Ich glaube, sie ist auch der Grund, warum die Aktienanlage unter den Deutschen nicht so viele Freunde findet. Wer das einmal mitgemacht hat, wie zum Beispiel nach dem Jahr 2000, ist „geheilt“. Wer bei 100 Euro die Telekom-Aktie gekauft und sich an die Durchhalteparolen („Die Aktien erholen sich immer wieder“) gehalten hat, hat faktisch fast seinen gesamten Einsatz verloren, ähnlich wie damals bei der Allianz, der Münchner Rück, in jüngster Zeit der Deutschen Bank und davor bei den Stromversorgern RWE und E.on.

Viele empfehlen Stoppkurse gegen dieses Dilemma. Ich lese oft, dass das automatische Verkaufen von Aktienpositionen, die 10, 15 oder 20 Prozent gefallen sind, den Anleger schützen kann. Ich habe allerdings im Laufe der Zeit die Überzeugung gewonnen, dass Stoppkurse doch nicht so eine gute Idee sind. Als ich mich vor längerer Zeit einmal streng daran gehalten habe, hatte ich den Eindruck, dass ich immer beinahe zum Tiefstkurs ausgestoppt wurde und nach meinem Verkauf die Aktien wieder stiegen. Ich wollte es dann einmal genau wissen. Deshalb habe ich mit den Kursen der letzten zehn Jahre simuliert, was gewesen wäre, wenn ich eine Aktie jeweils nach 20 Prozent Minus, vom letzten Höchstkurs aus gesehen – Trailing Stop, nachgezogenes Verkaufslimit genannt –, verkauft und dafür eine andere gekauft hätte, stellvertretend für alle anderen den DAX. Ich habe also untersucht, ob sich eine Aktie nach dem Ausstoppen in den nächsten zwölf Monaten besser oder schlechter als der DAX entwickelt hat. Das habe ich für alle DAX-Aktien und alle Zeitpunkte durchgeführt. Es ging also nicht darum, einen neuen Zeitpunkt zu wählen und mit der Neuanlage eine Weile zu warten, sondern nur um die Aktienauswahl. Nach dem Ausstoppen wurde sofort die nächste Aktie gekauft. Das Ergebnis war ernüchternd. Nach dem Ausstoppen entwickelten sich die ausgestoppten Aktien in den nächsten zwölf Monaten etwas besser als der DAX, zwei Prozentpunkte besser. Mit dem Ausstoppen ist das Unglück also schon passiert. Danach hat die Aktie die gleiche Chance wie der DAX, sogar eine leicht bessere. Nun gibt es Aktien, die einen stetigen Marsch nach unten vollzogen haben, wie zum Beispiel die Aktie der Deutschen Bank. Da wäre es besser gewesen, die Aktie nach dem Ausstoppen nie wieder anzurühren. Bei anderen hingegen kam man durch das Ausstoppen nicht in den Genuss der langen Aufwärtsbewegung. Allein aus der Adidas-Aktie, dem Renner der letzten zehn Jahre, wäre man in dieser Zeit achtmal mit minus 20 Prozent ausgestoppt worden. In den Genuss der Verzehnfachung des Adidas-Kurses wäre man mit Stoppkursen gar nicht gekommen. Und auch die richtig großen Renner wie Amazon oder Apple hätte man mit Stoppkursen nicht ausreiten können. Die Amazon-Aktie zehntelte sich, bevor sie sich verhundertfachte. Auch die andere große Börsenregel, „Gewinne laufen lassen“, lässt sich statistisch nicht untermauern. Nach einem Kursgewinn von 20 Prozent verläuft die Kursentwicklung in den folgenden zwölf Monaten statistisch genauso wie der DAX. Wenn ich eine Aktie kaufe, die schon stark gestiegen ist, 20 Prozent, erhöhe ich mit dem Kauf nicht die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten zwölf Monaten besser als der DAX abzuschneiden. Auf die Renner zu setzen verspricht also statistisch keinen höheren Ertrag. Die angenommene Selbstevidenz der beiden Börsenregeln ergibt sich vermutlich aus der selektiven Wahrnehmung. Es lassen sich immer Fälle finden, bei denen es toll gewesen wäre, wenn man einen Stopp gesetzt hätte, und auch welche, bei denen man den Kurs einfach hätte weiterlaufen lassen sollen. Statistisch lassen sich aber die beiden Regeln „Stoppkurse setzen“ und „Gewinne laufen lassen“ nicht verifizieren.

Deshalb scheint es mir sinnvoller zu sein, die Kaufzeitpunkte so zu wählen, dass man vermutlich zunächst einmal ins Plus läuft. Ich gebe Ihnen daher drei Anhaltspunkte an die Hand, die Ihnen helfen, lokale Hoch- und Tiefpunkte zeitnah zu identifizieren. Dazu zählen erstens emotionale Auffälligkeiten bei den Anlegern, die sich an besonders abrupten Kursbewegungen nach oben oder unten vor einem Gipfel beziehungsweise vor einem Tiefpunkt erkennen lassen. Als zweiter Hinweis tritt ein zeitlicher Punkt hinzu, der Ihnen verrät, wann Sie nach diesen emotionalen Extrempunkten Ausschau halten müssen. Ein dritter Faktor sind die Signale der herkömmlichen Charttechnik. Die herkömmliche Charttechnik, die generell als Charttechnik bezeichnet wird, versucht mit eingezeichneten Linien Anhaltspunkte über den weiteren Verlauf der Kurse zu gewinnen. Ich habe schon vor langer Zeit einmal versucht, diese Regeln der Charttechnik zu programmieren, um dann die Trefferquote des Anlageergebnisses bei Anwendung dieser Regeln vom Computer ausrechnen zu lassen. Das Ergebnis war ernüchternd. Wie ich im Verlauf des Buches im Einzelnen schildern werde, ließ sich keine Steigerung des Anlageergebnisses mit den Anweisungen der herkömmlichen Charttechnik erzielen. Alles andere hätte mich auch außerordentlich gewundert. Wenn die Charttechnik funktionieren soll, müssen im Kursverlauf der Vergangenheit Informationen über die Zukunft verborgen sein. Eine absurde Vorstellung! Es ließ sich mit der herkömmlichen Charttechnik weder ein statistischer Mehrwert zeigen noch wäre für ihn eine logische Erklärung möglich. Da sich aber viele Anleger nach dieser populären Analysemethode richten, sind ihre Signale häufig als kurzfristige Kontraindikatoren aufzufassen. Nach besonders starken Kaufsignalen zum Beispiel entwickelt sich der DAX in der Regel zunächst in die entgegengesetzte Richtung. Aufgrund des Kaufsignals kaufen nämlich zusätzliche Anleger, die den Kurs so in die Höhe treiben, dass in der unmittelbaren Zeit danach dann entsprechende Käufe fehlen. Der einzige Nutzen, den der grafische Auftrag des Kursverlaufs dem Anleger bieten kann, vor allem in der Chartdarstellung in Kerzenform, ist eine Momentaufnahme der aktuellen emotionalen Verfassung der Anleger. Sie liefert Rückschlüsse darüber, wie lange es noch dauert, bis sich die vorherrschende Stimmung ändert. Historische Kurse spielen für die Kurzfristprognose keine Rolle. Warum sollte ein Tag vor 30 Börsentagen, von dem aus eine Linie in die Gegenwart gezogen wird, heute eine Bedeutung haben? Danach kamen 29 weitere Tage. Wirkt dieser eine Tag vor 30 Tagen über 29 Tage hinweg? Die gesamte herkömmliche Charttechnik ist ein sehr seltsames Gedankengebäude. Sinn ergibt nur, aus der aktuellen Kursformation der letzten Tage die Stimmung der Marktteilnehmer herauszulesen. Im Lichte dieser jeweils aktuellen Analyse der emotionalen Befindlichkeit der Anleger werde ich die häufigsten Formationen der Candlestick-Charttechnik im weiteren Verlauf des Buches noch einmal statistisch überprüfen und einordnen.

Des Weiteren beschreibe ich einige statistische Anomalien im Verlauf des DAX, aus denen sich lukrative Strategien herleiten lassen. Das Verhalten des DAX im Tagesverlauf und die Veränderungen, die sich in der Nacht bis zur nächsten Eröffnung ergeben, werden gründlich untersucht. Aus dieser Untersuchung ergeben sich verblüffende Gesetzmäßigkeiten. Neben der Kurzfristprognose gehe ich im weiteren Verlauf des Buches auch auf andere zyklische Strategien ein, die dem Anleger einen Vorteil verschaffen. Zum Schluss des Buches werde ich noch die Gesamtsituation der Börse begutachten. Bevor er sich dazu entscheidet, Aktien als langfristige Investition zu erwerben, ist es für den Anleger wichtig, zu wissen, an welcher Stelle wir im großen Ablauf der Dinge im Moment stehen. Befinden wir uns gerade „oben“ und haben Jahre der unerfreulichen Börsenentwicklung vor uns oder liegen wir relativ unten und die „Mega-Hausse“ wartet auf uns? Tanzen wir gerade auf dem Hochseil mit der Gefahr, jeden Moment abzustürzen, oder wandern wir auf sicherem Grund vor einem langen Gipfelsturm? Dazu lässt sich der historische Kursverlauf des DAX der letzten 50 Jahre in zwei Phasen einteilen. Nach der zyklischen Struktur der bisherigen Bewegung des Dollarkurses gegen den Euro (beziehungsweise davor die D-Mark) richteten sich nicht nur die Aktien, sondern auch die Rohstoffmärkte und der Goldpreis. Die Höchststände des Dollar gegen unsere Währung wurden in den Jahren 1969, 1985, 2001 und 2017 erreicht. In den Jahren der Dollar-Anstiege – von 1980 bis 1985, von 1996 bis zum Jahr 2001 und vom Jahr 2012 bis 2017 – vervielfachten sich jeweils die Aktienkurse. Während der Zeiten, in denen der Dollar tendenziell fiel – nach dem Gipfel des Jahres 1969, nach dem Höchstkurs des Jahres 1985 und während der Abwärtsbewegung der US-Währung nach dem Jahrtausendwechsel –, konnten die deutschen Aktien jeweils zehn Jahre keinen oder so gut wie keinen Gewinn per saldo einfahren. Fast der gesamte Aktienanstieg der letzten 50 Jahre fand in diesen dreimal sechs Jahren statt. In den anderen 30 dieser fast 50 Jahre wurde per saldo kein Gewinn mit Aktien erzielt. So ist es wichtig, zu wissen, wo wir uns in diesem Ablauf gerade befinden. Des Weiteren ist für den Aktionär von Bedeutung, welche wirklichen Gefahren ihm drohen. Welche Ereignisse haben das Potenzial, das Aktiendepot zu dezimieren, wie nach dem Jahr 2000 oder nach dem Jahr 2007?

KAPITEL 1

KONSUMENTENVERTRAUEN GLEICH BÖRSENSTIMMUNG?

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Dieses Buch geht der Frage nach, welche Informationen in der grafischen Darstellung von Kursverläufen stecken und vor allem auch welche nicht. Wenn man die sich verändernden Preise von Aktien, Anleihen, Gold und anderen Anlageinstrumenten über der Zeitachse aufträgt, ergibt sich ein Bild, das man Chart nennt. Was verrät solch ein Chart dem Anleger? Dieser Frage möchte ich an Beispielen von Charts nachgehen. Ich beginne mit einer Abbildung, die diesem Buch zugrunde liegt und die dahinterstehende Theorie erhellen soll.

1

Die Veränderungen des US-Konsumentenvertrauens und der Aktienkurse

Jährliche Veränderungsrate in Prozent

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Quelle: Natixis

Diese Grafik zeigt in Blau die jährliche Veränderungsrate des amerikanischen S&P-500-Index. Ein Wert von 10 bedeutet beispielsweise, dass zu diesem Zeitpunkt die Aktien zehn Prozent höher notieren als zwölf Monate zuvor. In Blau darübergelegt sieht man die jährliche Veränderungsrate des amerikanischen Konsumentenvertrauens (Consumer Confidence). Diese beiden Kurven verlaufen fast deckungsgleich.

AKTIENKURSE UND KONSUMENTENVERTRAUEN VERLAUFEN PARALLEL

Was kann man daraus schließen? Richtet sich das Konsumentenvertrauen nach den Aktienkursen? Sind die Menschen bereit, mehr Geld auszugeben, wenn die Börsenkurse gestiegen sind, weil sie sich dann wohlhabender fühlen? Oder ist es genau umgekehrt? Steigen die Aktienkurse, wenn die ausgabefreudigen Amerikaner für mehr Umsätze in den Geschäften und damit für eine Ankurbelung der Konjunktur sorgen? Treibt die bessere Konjunktur aufgrund der optimistischer gestimmten Konsumenten die Aktienkurse nach oben? Was war zuerst da? Die Henne oder das Ei? Ich glaube, weder noch. Ich nehme an, es handelt sich um ein und dasselbe Phänomen, um zwei Aspekte oder zwei Betrachtungswinkel desselben Objekts. In beiden Fällen dreht es sich um Stimmungen der agierenden Personen, entweder der shoppenden Konsumenten oder der kaufenden Börsianer. Meine These ist nun, und ich werde versuchen, sie im Verlauf dieses Buches herauszuarbeiten, dass diese Stimmungen ein Eigenleben führen. Sie zeigen sich sowohl bei den Konsumenten als auch bei den Anlegern und veranlassen diese dazu, mehr oder weniger zu konsumieren beziehungsweise Aktien zu kaufen oder zu verkaufen. Für die Kursprognose, und um nichts anderes geht es in diesem Buch, wird es deshalb wichtig sein, die Stimmung der Anleger aus einem Chart herauszulesen und vor allem Anhaltspunkte dafür zu detektieren, ob ein Stimmungsumschwung bevorstehen könnte. Interessant und sogar ein wenig mysteriös scheint die Tatsache, dass diese Stimmungen und Stimmungsumschwünge häufig weltweit synchron auftreten. Die Finanzkrise des Jahres 2008 ereilte fast alle Weltbörsen mit dem gleichen zeitlichen Ablauf. Bei diesem Börseneinbruch war es nicht so, dass nur die Aktienkäufer streikten, sondern auch die Konsumenten hielten sich plötzlich zurück.

AUCH DIE EINZELHANDELSUMSÄTZE VERÄNDERN SICH WIE DIE AKTIENKURSE

Die Finanzkrise zeigte wieder, dass sich die Verläufe von Dow Jones und Konsumentenstimmung auf die gleiche Ursache zurückführen lassen. Ich habe dazu den Nasdaq-Index der amerikanischen Technologiewerte über die amerikanischen Einzelhandelsumsätze gelegt. Wieder sieht man, dass es sich um fast die gleichen Kurven handelt. Anhand dieser Grafik kann man die oben angesprochenen Kausalitäten noch einmal widerlegen. Würde sich eine gute Konsumentenstimmung über höhere Einzelhandelsumsätze auf (dann steigende) Unternehmensgewinne auswirken, die dann zu höheren Aktienkursen führen würden, ergäbe sich eine zeitliche Verzögerung zwischen der Konsumentenstimmung und der Bewegung der Aktienkurse. Bis sich höhere Profite in den Kursen niederschlagen, dauert es Wochen, wenn nicht Monate, bis die neuesten Unternehmensgewinne veröffentlicht werden. Diese Kausalität kann man also ausschließen. Andersherum müssten fallende Aktienkurse, wenn sie denn kausal auf das Konsumentenverhalten wirken, sich auch mit Zeitverzögerung auswirken. Es finden ja nicht nur Spontankäufe der Konsumenten statt, es sind auch Lebensnotwendigkeiten, die besorgt werden müssen. Größere Anschaffungen wie zum Beispiel Möbel oder Autos werden mit einem Vorlauf geplant. Da weder die Aktienkurse den Einzelhandelsumsätzen vorweglaufen noch die Einzelhandelsumsätze den Aktienkursen, kann man wohl jede der beiden einzelnen Kausalitäten ausschließen. Das Phänomen muss ganzheitlich betrachtet werden. Es handelt sich um eines, das sich in zwei verschiedenen Ausformungen manifestiert. Zugrunde liegen beiden synchron verlaufenden Kurven die jeweiligen Befindlichkeiten der Menschen – der Anleger und der Konsumenten.

2

Die US-Einzelhandelsumsätze und der Nasdaq

in relativen Werten (nicht maßstabsgetreu)

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Quelle: Federal Reserve Economic Data (FRED)

WECHSELNDE STIMMUNGEN BEEINFLUSSEN DAS KAUF- UND DAS ANLAGEVERHALTEN

Die Bereitschaft, zu kaufen – Aktien oder Waren –, wird durch die jeweilige Stimmung gesteuert. Sie hängt damit offensichtlich nicht von den jeweils einlaufenden Wirtschaftsdaten ab. Als Aktionär ist man es ja gewohnt, sich von einer Veröffentlichung bis zur nächsten zu zittern und auf positive Werte zu hoffen. Der Kalender ist vollgestopft mit Veröffentlichungsterminen: am Montag die Einzelhandelsumsätze, am Dienstag die Industrieproduktion und die Leistungsbilanz, am Mittwoch der Ifo-Index. Besonders gefürchtet sind die Daten aus den USA. An jedem vierten Freitag erscheinen die Arbeitsmarktdaten, die „Nonfarm Payrolls“, die neu geschaffenen Stellen außerhalb der Landwirtschaft, dann folgt das von der Notenbank veröffentlichte „Beige Book“, das den aktuellen Puls der Wirtschaft fühlt, und dann die Hausverkäufe. Doch wenn das stimmt, was ich vermute, dass die Börse von Stimmungen und nicht von Daten getrieben wird, sind diese einlaufenden Zahlen nichts als Hintergrundrauschen. Es ist zwar noch nachzuvollziehen, dass schlechte oder gute Arbeitsmarktdaten in den USA einem zartbesaiteten Anleger einen Schrecken einjagen oder ihn zu Käufen veranlassen. Es ist aber nicht zu erkennen, warum Konsumenten aufgrund eines veröffentlichten Einkaufsmanagerindex oder eines PCE-Deflators (ein weit gefasstes Inflationsmaß in den USA) plötzlich aufhören sollten zu kaufen. Da aber Konsumentenstimmungen und Börsenkurse ziemlich parallel laufen, kann man ausschließen, dass Wirtschaftsdaten nur auf eine der beiden Größen einwirken. Da es schwer vorstellbar ist, dass diese herniederprasselnden Wirtschaftsdaten die Konsumenten nachhaltig in ihren Einkaufsentscheidungen beeinflussen, folgt daraus, dass ihr Einfluss auf die Aktienkurse im Mittel ebenfalls verschwinden muss.

UM WIRTSCHAFTSDATEN MUSS MAN SICH NICHT KÜMMERN

Es ergibt also keinen Sinn, sich nach irgendwelchen Wirtschaftsdaten zu richten. Vor allem überhaupt, nach welchen? Und wenn man es doch tun würde: Welche Änderungen sind wie zu bewerten? Positiv oder negativ? Wie oft höre ich in den Nachrichten, dass die Aktienkurse trotz guter Daten vom Arbeitsmarkt gefallen sind. Dann heißt es, die guten Daten wären schon in den Kursen „eingepreist“ gewesen. Der Markt hätte sie antizipiert. Ein anderes Mal steigen die Kurse aufgrund von guten Wirtschaftsdaten. Warum waren die guten Daten da nicht bereits vorweggenommen? Den einlaufenden Wirtschaftsdaten hinterherzuhecheln und Investitionsentscheidungen von ihnen abhängig zu machen ist also sowohl in theoretischer als auch meiner eigenen Erfahrung nach in praktischer Hinsicht ein vollkommen fruchtloses Unterfangen. Wichtig sind offensichtlich in erster Linie die Stimmungen der Börsianer.

DAX UND DOW VERLAUFEN ZIEMLICH PARALLEL, MIT WENIGEN AUSNAHMEN

Interessant ist dabei, dass diese Stimmungsänderungen global auftreten. Wenn man einen drei- oder fünfjährigen Chart des DAX über einen solchen des Index der Emerging Markets legt, erhält man fast das gleiche Bild. Die Aktienkurse und damit sowohl die Stimmungen der Börsianer als auch die Stimmungen der Konsumenten schwingen weltweit ziemlich synchron. Zu zwischenzeitlich leichten Abweichungen kommt es in den verschiedenen Regionen der Welt. Ich habe hierzu den Verlauf des Dow Jones und den des DAX mit demselben Startpunkt in ein Diagramm kopiert.

3

Der DAX und der Dow von März 2009 bis März 2019

in Prozent

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Quellen: Gebert, TeleTrader

Neben dem insgesamt sehr ähnlichen Verlauf und den Zacken und Ausschlägen zu jeweils den gleichen Zeitpunkten fallen drei markante Abweichungen auf. In den Jahren 2011 und 2015 schoss der DAX über den Dow hinaus. Im Jahr 2015 entwickelte er sich sogar sehr deutlich von ihm weg. Warum waren die Börsianer in Deutschland zu diesen zwei Zeitpunkten auf einmal so viel optimistischer als die Amerikaner? Vielleicht hilft ein Blick auf die Konsumentenstimmung in den USA und in Europa zu den betreffenden Zeiten. Von Wirtschaftsforschungsinstituten wird regelmäßig das Verbrauchervertrauen sowohl in den USA als auch in Europa abgefragt.

4

Das Konsumentenvertrauen in den USA und in Europa

in Punkten

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Quelle: Cantor Fitzgerald

Sowohl im Jahr 2011 als auch im Jahr 2015 verspürten die Konsumenten in Europa ein deutlich größeres Vertrauen als die in den USA. Hier stellt sich wieder die Frage, ob die freundlicheren Aktienkurse in Deutschland das größere Konsumentenvertrauen in Europa widerspiegelten oder umgekehrt das Konsumentenvertrauen auf die Aktienkurse reagierte. Oder, und das ist meine These, es handelt sich bei beidem um zwei Aspekte ein und desselben Phänomens: Konsumentenvertrauen ist gleich Anlegervertrauen. Es handelt sich um eine Stimmung, die die Welt oder einen Teil der Welt ergreift und sich in zunehmendem Verbrauchervertrauen und Anlegervertrauen manifestiert oder zu anderen Zeiten umgekehrt in dem Verschwinden von beidem. Dadurch wird die Sache natürlich noch mysteriöser, als sie ohnehin schon ist. Geben die Aktienkursentwicklungen für sich allein genommen schon genügend Rätsel auf, verwirrt die Tatsache, dass sie parallel zum Verbrauchervertrauen laufen, und dass sie in der Regel weltweit synchron auftreten, befremdet noch zusätzlich. Im Jahr 2018 erlebten wir den gegenteiligen Fall. Der DAX zeigte das ganze Jahr über Relative Schwäche gegen den Dow. Insgesamt verlor er in diesem Jahr fast 15 Prozent mehr als der Dow.

TRUMP BEFLÜGELTE 2018 DEN DOW, WÄHREND ER DEN DAX BREMSTE

Falls Sie sich gefragt haben, warum sich die amerikanischen Aktien in dem Jahr so viel besser entwickelt haben als die deutschen, kann man klar sagen, dass das am Verbrauchervertrauen lag. Im Jahr 2018 zog das amerikanische Verbrauchervertrauen deutlich an, während das europäische nachgab. Das ist aber noch keine Erklärung, dazu müsste man wissen, warum das Konsumentenvertrauen in den USA so wesentlich größer als in Europa war. Auch wenn sich deutsche Ohren dabei querstellen: Es könnte an Donald Trump gelegen haben. Während seine Präsidentschaft die Menschen in Europa eher finster in die Zukunft blicken ließ, sorgte sie in den USA offensichtlich für eine gute Stimmung der Börsianer und der Konsumenten. Die Bereitschaft, zu kaufen, ob jetzt Aktien oder Waren, kann also durchaus vorübergehend in einer Weltgegend von der in einer anderen Weltgegend abweichen. Für ein Land aber oder eine Weltgegend kann man für alle praktischen Zwecke Konsumentenvertrauen und Börsenstimmung gleichsetzen. Wenn wir jetzt noch den japanischen Nikkei-Index über den DAX legen, zeigt sich, dass dieser Ablauf der Stimmungsveränderungen in Japan genauso stattgefunden hat wie in den USA oder Deutschland.

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Der DAX und der japanische Nikkei-Index von März 2014 bis März 2019

in Prozent

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Quellen: Gebert, TeleTrader

Da drängt sich aber die Frage auf, was eine US-Technologie-Aktie wie Intel mit einem japanischen Lebensmittelkonzern wie zum Beispiel Asahi zu tun hat. Warum fallen die beiden Aktien im gleichen Takt, verlaufen im gleichen Rhythmus? Diese Synchronizität der Stimmungen war nicht nur auf die Finanzkrise beschränkt. Es handelt sich immer um ein und dasselbe Phänomen. Allem scheint die Stimmung der Menschen zugrunde zu liegen, ob sie nun konsumieren oder Aktien kaufen.

WOHER KOMMEN DIESE STIMMUNGSSCHWANKUNGEN?

Mit diesen Stimmungen werden wir uns nun eingehender beschäftigen. Dabei wollen wir herausfinden, woher die Stimmungsschwankungen stammen und woran man eine Änderung der Stimmungslage