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Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Eating the Sun: Small Musings on a Vast Universe bei Penguin Books, New York.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage leider nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Bei der Verwendung im Unterricht ist auf dieses Buch hinzuweisen.

echt EMF ist eine Marke der Edition Michael Fischer

1. Auflage

Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe bei

© 2019 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Copyright der Originalausgabe: © 2019 Ella Frances Sanders

Covergestaltung: Michaela Zander

Nach einer Vorlage von: Ella Frances Sanders und Elizabeth Yaffe

Alle Illustrationen und Lettering: Ella Frances Sanders

Redaktion: Maximilian Philip Bachmann

Satz: Bernadett Linseisen

Herstellung: Anne-Katrin Brode

ISBN 978-3-96093-966-5

www.emf-verlag.de

Widmung: Für diejenigen, die mich komisch finden.

Einleitung

Ein Gefühl des Staunens kann einen auf verschiedene Arten überkommen, manchmal stärker, manchmal als ein Flüstern, manchmal sogar in anderen Gefühlen versteckt – in Verliebtheit, Unausgeglichenheit oder Traurigkeit.

Für mich bedeutet Staunen, so lange die Nacht zu betrachten, bis mir die Augen wehtun und ich noch Stunden später Sterne sehe. Zuzuschauen, wie sich der Ozean in den Schlaf wiegt oder wie sich der Himmel in Farben hüllt, für die ich nie die richtigen Worte haben werde. Eintauchen in eine Welt aus Gesteinsschichten, Fossilien und schillernden Vorstellungen, die mich immer wieder überwältigt, fordert, dass ich einem Detail nach dem anderen meine Aufmerksamkeit schenke, und die dafür sorgt, dass ich nie genau dort weitermachen kann, wo ich aufgehört habe.

Wenn ich über das Universum nachdenke, über all die unerforschte Materie und unseren unbedeutenden Anteil daran, halte ich es für wichtig, geradezu vernünftig, ein Gleichgewicht zwischen Lachen und unbändigem Schluchzen zu suchen.

Schluchzen, weil wir nicht einmal ansatzweise verstehen können, wie schön das Universum ist. Schluchzen, weil wir Menschen schrecklich unvollkommen sind. Schluchzen, weil alles so erstaunlich unwahrscheinlich erscheint, dass unsere Existenz auch einem Traum entstammen könnte. Wir suchen Nadeln – Bedeutung – in einem kosmischen Heuhaufen.

Und dann? Natürlich können wir auch lachen. Lachen, weil der Umstand, dass es in uns nur so von Emotionen wimmelt, ausnahmslos alles und jeden, der zu begreifen versucht, wie unbedeutend und winzig unser Platz im großen Ganzen tatsächlich ist, ganz schön lächerlich, ja völlig absurd erscheinen lässt. Wir haben was im Kopf? Lächerlich! Wir streiten uns darüber, wer hier das Sagen hat? Lächerlich! Das Universum dehnt sich aus? Lächerlich! Wir halten es für nötig, voreinander Geheimnisse zu haben? Vollkommen lächerlich.

Wir verbringen einen Großteil unserer Zeit damit, Liegengebliebenes zu erledigen, die Wogen der Unordnung zu glätten und den Grenzen zu entkommen, die uns festhalten, indem wir etwaige Ungereimtheiten und das Unvermeidliche fröhlich ignorieren. Wir machen Unterschiede zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wenn auch nur, um zu zeigen, dass wir uns verändert haben, dass wir es besser wissen, dass wir etwas Wesentliches verstanden haben; wenn auch nur, um vom Anfang bis zum Ende eine klare Linie ziehen zu können, ohne zurückzublicken.

Das Problem ist, dass das Chaos uns immer direkt gegenübersitzt, auf der anderen Seite des Tischs, und immer wieder von seiner Zeitung aufschaut, von seiner Kaffee­tasse voller verfärbter, implodierender Sterne. Denn das Chaos wartet. Es wartet darauf, dass wir es wahrnehmen, dass wir es als das Überwältigendste begreifen, was wir je gesehen haben. Es wartet darauf, dass all unsere Atome im Gleichklang aufkreischen und mit offenem Mund darüber staunen, wie spät wir doch bemerkt haben, in welchem Maß es alles beeinflusst. Verbindungen neigen dazu, sich im Lauf der Zeit aufzulösen, und insofern sind das Universum und wir uns ähnlich. Denn auch wir sind nicht dafür gemacht, ordentlicher zu sein als alles andere – und das sorgt für einen ziemlich harten Kampf.

Wenn man die Dinge also nie ordentlich abschließen kann, sie nie ganz so hinterlassen kann, wie man sie vorgefunden hat, dann bleibt uns alternativ nur, immer wieder neue Möglichkeiten zu suchen und nicht zum Stillstand zu kommen. Weiter Geschichten zusammenzutragen, Geschichten darüber, wie alles war, und darüber, wie sehr wir geliebt haben.

Ich hoffe, dieses Buch ist ein kleiner Teil einer solchen Geschichte.

Ich breche die Sterne am Himmel auf und finde nichts und wieder nichts, und dann ein Wort aus fremder Sprache. Ein Zitat von Elisabeth Borchers

Alles ist aus Sternenstaub

Wir bestehen aus den Überbleibseln von Sternen.

Über uns aufgespannt wie Lichterketten, unaufdringlich, wundersam und zugleich überwältigend, wie es nur das Unmögliche sein kann, sind sie es, denen wir unseren einzigartigen, zerbrechlichen Körper verdanken.

Wenn Sterne sterben, holen sie sozusagen ein letztes Mal tief Luft und fallen dann in sich zusammen wie ein Soufflé, das man etwas zu lange gebacken hat. Wenn das passiert, werfen sie ihre äußeren Schichten ab und geben ihren Inhalt an das prachtvolle Nichts des Universums ab. Jedes Jahr fallen 40.000 Tonnen dieses Sternenstaubs auf die Erde. Er enthält die Elemente, die auf dem ganzen Planeten in jedem Lebewesen unaufhörlich wiederverwendet werden.

Unser Körper setzt sich aus den Produkten solcher kosmischen Ereignisse zusammen, den Resten brennender Riesensterne. Junge Sterne, ähnlich dem, den Sie und ich so liebevoll „Sonne“ nennen, bestehen hauptsächlich aus Wasserstoff. In ihren 10 Millionen Grad Celsius heißen Zentren wird der Wasserstoff zu Helium, und aus diesem Helium bilden sich allmählich Kohlenstoff, Stickstoff, Sauer­stoff, Eisen und jedes andere Element in uns und um uns herum – alles, was wir sind.

Egal, wo wir hinschauen und was wir berühren, wir verändern uns die ganze Zeit. Der Kohlenstoff, der etwa 18 Prozent Ihres Körpers ausmacht, könnte bereits in beliebig vielen Lebewesen oder Naturphänomenen existiert haben, bevor er zu Ihnen fand. Dieses eine Atom da, irgendwo über Ihrer linken Augenbraue, könnte auch gut ein Kiesel in einem Flussbett gewesen sein, bevor es beschloss, Sie sein Zuhause zu nennen.

Wie Sie sehen, sind Sie doch nicht so zerbrechlich. Sie sind Felsen und Wellen und abblätternde Baumrinde, Marienkäfer und der Duft eines Gartens nach dem Regen. Wenn Sie Ihr Bestes geben, versetzen Sie buchstäblich Berge.

Wir essen die Sonne zu Mittag

Man ist, was man isst – und wir alle essen die Sonne.

Obwohl die Sonne schon seit Milliarden von Jahren munter vor sich hin brennt und das wohl auch weiterhin tun wird, bemerken wir sie gewöhnlich nur ein oder zwei Mal am Tag. Öfter höchstens, wenn sie uns beim Auto­fahren blendet oder wir darauf warten, dass unsere Wäsche auf der Leine trocknet.

Aber wenn Sie heute eine Pflanze gegessen haben oder ein Tier, das zuvor eine Pflanze gefressen hat, dann haben Sie die Sonne gegessen, kurzum: Licht und Energie.

Fast alle Pflanzenarten betreiben einen Prozess namens Fotosynthese, durch den sie ihre (und damit auch unsere) Nährstoffe selbst allein mit Wasser, Chlorophyll, Kohlendioxid und etwas Lichtenergie herstellen. Während der ersten Schritte dieses Prozesses spaltet die Sonnen­energie existierende Wassermoleküle in Sauerstoff und Wasserstoff auf, wobei der Sauerstoff von der Pflanze wieder an die Atmosphäre abgegeben wird. Dadurch können wir atmen. Der Wasserstoff wird zur Herstellung von Glucose verwendet, aus der sich die Pflanze die Energie zum Wachsen zieht – und um sich ein wenig von einer Seite zur anderen zu neigen, die verstreichende Zeit zu verfolgen oder neugierige Finger zu bemerken, die ihr manchmal vorsichtig über die Blätter streichen. Und auch diesen wichtigen Sonnenkraftstoff tanken wir.

Im Gegensatz zu Pflanzen ziehen wir Tiere unsere Energie nicht direkt aus dem Leuchten der Sterne. Tatsächlich sind wir erstaunlich schlecht darin, uns selbstständig zu bewegen, zu atmen oder an die Person zu denken, die uns gestern Nachmittag so freundlich zugelächelt hat, ohne dabei gänzlich von der Vegetation abhängig zu sein.

Schon erstaunlich, sich vorzustellen, dass wir bereits seit unseren frühesten Anfängen rein von Solarenergie angetrieben werden.

Wer ist der Hellste im ganzen Universum?

Unsere Leuchtkraft kommt aus dem Inneren, aber wie hell jemand wirkt, liegt im Auge des Betrachters. In der Astronomie ist die Leuchtkraft eines Objekts die Gesamtmenge an Energie, die es im Lauf der Zeit auf allen Wellenlängen ausstrahlt. Sterne werden oft mithilfe ihrer Leuchtkraft beschrieben. Diese wiederum ist abhängig von ihrer Größe, Masse und Temperatur. Die Helligkeit (genauer gesagt die „scheinbare Helligkeit“) hat zwar etwas mit der Leuchtkraft zu tun, variiert jedoch stark je nach Standort, Position beziehungsweise Nähe des Betrachters. Etwas mit großer Leuchtkraft kann uns wie ein bloßes Staubkorn erscheinen, einfach weil es in unfassbar großer Entfernung friedlich vor sich hin brennt.

Von der Erdoberfläche aus betrachtet, ist das hellste Objekt am Nachthimmel der Stern Sirius – vor allem, weil er gerade mal 8,6 Lichtjahre entfernt ist. Er ist jedoch keinesfalls der Stern mit der größten Leuchtkraft. Allein im Sternbild Großer Hund (Canis Major), zu dem er gehört, leuchten mindestens drei andere Sterne um ein Tausendfaches stärker – sie wirken nur schwächer, weil sie so viel weiter entfernt sind. Und so deuten wir auf diese uralten Lichtpünktchen, bewundern ihre Helligkeit und weisen ihnen Namen und Nachbarn zu, da von unserem Standpunkt aus betrachtet selbst die allergewöhnlichsten Sterne bemerkenswert erscheinen.

Im Februar 1963 untersuchte der niederländische Astronom Maarten Schmidt einen ungewöhnlich hellen Punkt am Himmel und merkte schließlich, dass es sich bei dem vermeintlich nahegelegenen Stern in Wirklichkeit um etwas ganz anderes handelte: Er war überhaupt nicht nah, sondern vielmehr zwei Milliarden Lichtjahre entfernt. Um auf diese Entfernung noch so hell zu erscheinen, musste er stärker leuchten als alles damals Bekannte. Schmidt nannte das Objekt einen „Quasar“ oder QSO, kurz für engl. „quasi-stellar object“. Er erhielt den Namen 3C 273, befindet sich im Sternbild Jungfrau und ist, optisch gesehen, der Hellste seiner Art.

In den über fünfzig Jahren seit dieser Entdeckung wurden hunderttausende Quasare beobachtet. Sie zählen noch immer zu den erstaunlichsten Dingen im Universum und verfügen über die vielleicht größte Leuchtkraft, die es gibt. Sie bilden die Mitte von Galaxien, Galaxien mit riesigen schwarzen Löchern, die milliardenfach größer sein können als die Sonne. Die Temperatur eines Quasars kann Zigmillionen Grad erreichen und ihre immense Strahlung sorgt dafür, dass sie alles um sich herum verdecken, sodass sie alle Sterne in ihrer Nähe in den Schatten stellen. Aber sie sind nicht unveränderlich. Ein Quasar kann im einen Moment blendend strahlen und zehn Jahre später zu einer ganz gewöhnlichen Galaxie geworden sein. In der Astronomie sind zehn Jahre nur ein winziger Augenblick, doch genau solche Ereignisse und Beobachtungen lassen uns das Fressver­halten schwarzer Löcher besser verstehen – wie sie im einen Moment hungrig wie ein Wolf und im nächsten völlig desinteressiert sein können.

Planetenbewegungen

Innerhalb des kleinen und zugleich riesigen Teils des Universums, der unser Sonnensystem bildet, ist die Sonne das mit Abstand größte Objekt: Sie ist gut tausendmal schwerer als unser größter Planet Jupiter. Wir alle kreisen im Wesentlichen aus denselben Gründen um die Sonne, die auch den Mond um uns kreisen lassen: Schwerkraft, Geschwindigkeit und scheinbare Magie (siehe Kapitel 17).

Fast alles in unserem Sonnensystem rotiert in derselben Richtung wie die Sonne um ihre eigene Achse, also „rechtläufig“ oder „prograd“. Doch es gibt auch Ausnahmen, wie die Planeten Venus und Uranus. Die Venus dreht sich in entgegengesetzter, „rückläufiger“ oder „retrograder“ Richtung und braucht für eine Rotation 243 Erdentage. Die Drehbewegung des Uranus ist sogar noch eigenartiger. Seine Achse ist dramatisch schief, fast rechtwinklig zur Seite geneigt, und er wälzt sich quasi um die Sonne. Man könnte meinen, er weiß nicht so genau, was er tut. Ansonsten tanzt im Universum jedoch seit jeher kaum jemand aus der Reihe. Die Galaxie Milchstraße, in der sich unser Sonnensystem befindet, entstand aus einem rotierenden Durcheinander von Gas und Staub, und da Dinge in Bewegung bleiben, solange es keinen sehr guten Grund gibt damit aufzuhören, drehen wir alle uns auch weiterhin.