REGINE REICHWEIN

LEBENDIG SEIN

Das Phänomen der Selbstorganisation
und
seine Konsequenzen für unser Zusammenleben

Über die Autorin

Mein ganzes bisheriges Leben habe ich mich für neue wissenschaftliche Erkenntnisse interessiert. Ich habe dabei vor allem nach solchen Forschungsergebnissen gesucht, die zwischenmenschliche Beziehungen erleichtern und sich befreiend auf das persönliche Leben auswirken können.

Weil ich sowohl Mathematik und Physik, als auch Psychologie, Philosophie, Pädagogik und Politik studiert habe, konnte ich grundlegende Aussagen der verschiedenen Wissenschaftsbereiche miteinander in Verbindung bringen.

Während meiner über zwanzig Jahre langen Arbeit als Professorin an der Technischen Universität Berlin habe ich diese für mich bedeutsamen disziplinübergreifenden Grundlagen weiter ausgearbeitet.

Dabei wurde mir deutlich, dass alle Lebewesen und eine Reihe anderer Systeme, wie Vulkane, Klima, Meeresströmungen, ökologische und ökonomische Systeme usw., selbstorganisierende Systeme sind. Aus diesem Grund ist das Modell der Selbstorganisation die Grundlage aller meiner Überlegungen und Veröffentlichungen.

Durch die Arbeit mit den Studierenden wurde mir auch bewusst, dass ich zusätzliche Qualifikationen brauche, um meinen eigenen Ansprüchen an ein umfassendes Angebot in der Lehre zu genügen. Ich habe daher eine Ausbildung als Gestaltpsychotherapeutin und Fortbildungen für Supervision gemacht und setze mich bis heute mit den jeweils neuesten Ergebnissen, insbesondere der Hirnforschung, auseinander.

Inzwischen arbeite ich mit großem Vergnügen als Coach, Trainerin, Beraterin und Supervisorin auf Anfrage mit Einzelpersonen, Paaren, Gruppen und verschiedenen Institutionen.

Von Mai bis Oktober lebe ich in Portugal und schreibe dort meine Bücher, insgesamt sind seit 2010 fünf sehr verschiedene Bücher erschienen. Ich plane dort meine Vorträge und Workshops, male und nähe von mir entworfene Kleider. Den Rest des Jahres lebe ich in Berlin, halte meine Vorträge, arbeite mit den unterschiedlichsten Klienten, mache diverse Workshops und das, was mir sonst noch so Spaß macht.

In Portugal und in Berlin kann man mich sowohl telefonisch als auch per Mail erreichen. Genaueres kann man auf meiner Webseite www.reginereichwein.de erfahren. Dort gibt es auch viele pdf’s von Aufsätzen und Vorträgen zum Herunterladen und eine Möglichkeit, mir eine Mail zu schreiben.

Dieses Buch „Lebendig sein – Das Phänomen der Selbstorganisation und seine Konsequenzen für unser Zusammenleben.“ ist zuerst 2010 im Amani Verlag, Frankfurt a. M. erschienen. Dieser Verlag hat leider seine Arbeit eingestellt.

Daher handelt es sich bei dem vorliegenden Buch um eine Neuauflage beim Verlag Tredition.

Auch das 2014 ebenfalls im Amani Verlag erschienene Buch „Verantwortlich handeln – Das Phänomen der radikalen Wechselwirkung und seine Konsequenzen für unser Zusammenleben“ wird bis Ende 2019 im Verlag Tredition veröffentlicht werden und dann wieder überall erhältlich sein.

Über Anfragen, Kritik und Kommentare über wechselwirkungen@ t-online.de werde ich mich freuen.

Für Miriam

Inhalt

Vorwort und Danksagung

Verhängnisvolle Illusionen

Wie Menschen versuchen, sich Kontrolle und Herrschaft zu sichern

Selbstorganisation

Wie Menschen und andere Lebewesen ihre Lebendigkeit aufrechterhalten

Mehr über Selbstorganisation

Wie Menschen und andere Lebewesen trotz ihrer Getrenntheit miteinander verbunden sind

Sonne und Mond

Wie Menschen ihre Beziehung zu ihrem Umfeld wahrnehmen

Abwehr und Neugier

Wie Menschen sich ihrer Umwelt nähern

Aktiv und passiv

Wie Menschen sich in ihre Umwelt einbringen

Täter und Opfer

Wie Menschen ihre Beziehung zu ihren Mitmenschen wahrnehmen

Macht und Ohnmacht

Wie Menschen ihre Wirkungen in Bezug auf ihre Umwelt empfinden

Ergebnisse der Hirnforschung

Wie Menschen ihre persönliche Wirklichkeit herstellen

Mehr über das Gehirn – Empathie und Spiegelneurone

Wie Menschen Informationen über die Wirklichkeit ihres Gegenübers erhalten

Machtspiele

Wie Menschen versuchen, andere zu manipulieren

Abhängigkeit oder wie man lernt, Machtspiele zu spielen

Wie Menschen lernen, ihre Verantwortung an andere zu delegieren

Verborgene Botschaften der Gefühle

Wie Menschen lernen, ihre Gefühle auf neue Art als bedeutungsvoll zu erleben

Mehr über Gefühle

Wie Menschen lernen, Fühlen und Denken wieder zu verbinden

Hintergrundgefühle

Wie das Erleben durch vergangene Erfahrungen beeinflusst sein kann

Wünsche

Wie Menschen damit Verbindungen zu anderen Menschen herstellen können

Denken

Wie Menschen intern ihre Erfahrungen organisieren

Gehorsamkeit und Rebellion

Wie Menschen lernen, ihren eigenen Willen aufzugeben

Symbiose und Autonomie

Wie Menschen mit den Grenzen zwischen sich und anderen umgehen

Konflikte und Konfliktlösungen

Wie Menschen destruktiv und konstruktiv auf einander eingehen können

Konkurrenz und Kooperation

Wie Menschen ihr Handeln motivieren

Selbstverantwortung

Wie Menschen ihr eigenes Selbst entdecken können

Zwischenmenschliche Kommunikation

Wie Menschen versuchen, geliebt zu werden und einander zu lieben

Selbstorganisierende Dynamiken in kommunikativen Prozessen

Wie Menschen sich oft unbewusst ergänzen und helfen

Literatur

Vorwort und Danksagung

In den folgenden Texten werde ich so weit wie möglich auf jede Auseinandersetzung mit anderen theoretischen Modellen verzichten, da es mir nicht darum geht, zu den vielen bereits vorhandenen Erklärungsmodellen menschlichen Verhaltens ein weiteres mit Wahrheitsanspruch hinzu zu fügen. Ich habe von den Modellen, die andere Menschen entwickelt haben, viel gelernt und bin ihnen für ihre Arbeiten dankbar. Soweit es mir nötig erscheint, werde ich über die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zusammenfassend berichten oder sie zitieren, so dass mit Hilfe der angegebenen Literatur eine eigenständige weiterführende Erarbeitung erleichtert wird.

Ich habe mich gleichzeitig bemüht, die verschiedenen Wirklichkeiten meiner Mitmenschen, soweit sie mir Einblicke gewährt haben, in diese Darstellung mit einzubeziehen, und ich hoffe, dass viele Leserinnen und Leser ihr eigenes Erleben in den vorgestellten Strukturen und Mustern wiedererkennen und mit den vorgeschlagenen Strategien des Redens und Handelns ihr eigenes Potential erweitern können.

Die Aussagen in den folgenden Texten ergeben sich aus meinen persönlichen Erfahrungen, mit mir selbst und mit meinem Umfeld, und stellen – entsprechend den noch folgenden theoretischen Aussagen – ausschließlich meine eigene Wirklichkeit dar. Dabei habe ich manches stark vereinfacht, weil ich versucht habe, mich so verständlich, wie ich konnte, auszudrücken.

Mir geht es in diesem Buch vor allem darum, die Lesenden dazu anzuregen, mehr Bewusstheit für das eigene Leben zuzulassen, um damit unheilvolle Prozesse, die zurzeit noch von Generation zu Generation weitergereicht werden, aktiv unterbrechen zu können.

Meine eigene Bewusstheit verdanke ich unter anderem vielen anderen Menschen und dem, was sie gesagt, geschrieben oder auf andere Weise produziert haben und wie sie mit sich, mit mir und anderen Lebewesen umgegangen sind.

Ich möchte mich daher an dieser Stelle bei diesen Menschen und auch bei all den Autorinnen und Autoren bedanken, deren geistige Arbeiten über die Jahrzehnte Eingang in mein Bewusstsein gefunden und mich bereichert haben, ohne dass ich heute noch im Einzelnen weiß, durch wen ich was gelernt habe. Immer dann, wenn ich mich erinnere, werde ich die Quelle nennen.

Besonders bedanken möchte ich mich auch bei den vielen Menschen, die – als Lehrende und als Lernende – mit mir gearbeitet haben und die mich an der Fülle ihres Innenlebens teilnehmen ließen. Durch sie habe ich viel gelernt.

Mein Dank gilt auch meinem Kater Valentino, der es mir durch seine Anwesenheit und die dadurch in mir entstehenden Fragen und Kommentare erleichtert hat, meine Widerstände zu überwinden und das Manuskript zu schreiben.

Und ich möchte mich vor allem und ganz besonders bei all den Menschen bedanken, die mich direkt oder indirekt bei dem Schreiben dieses Buches unterstützt und mir Anregungen und Kritik geschenkt haben oder einfach nur präsent und damit für mich herzerwärmend waren.

Verhängnisvolle Illusionen

Wie Menschen versuchen, sich Kontrolle und Herrschaft zu sichern

Valentino, mein silbergrauer Kater mit dem weichsten Fell, was ich jemals angefasst habe, beobachtet mich, wenn er nicht gerade schläft, mit seinen goldgelben Augen ganz genau und meistens kommentiert er anschließend das, womit ich gerade beschäftigt bin. Er sitzt auf meinem Schreibtisch, sieht auf den Bildschirm, liest die Überschrift und sagt: „Ich verstehe nicht, was du gegen Illusionen hast. Sie erleichtern das Leben doch einfach ganz ungemein. Ich mache mir jeden Tag neue.“ „Ich habe nichts gegen Illusionen“, sage ich, „es gibt erst Probleme, wenn man sie für die Wahrheit hält.“ „Aber wer macht denn so etwas? Das Schöne ist doch, dass sie nicht wahr sind und man in ihnen herumträumen kann, wie man will. Und das geht doch nicht mehr, wenn man denkt, sie seien wahr.“ Valentino ist ganz irritiert. Ich sage: „Aber wenn man doch glaubt, dass man es dringend braucht, daran zu glauben, dass eine Illusion wahr ist, dann glaubt man es eben.“

Valentino sieht mich an, als sei ich nicht ganz zurechnungsfähig. „Weißt du, wenn ich hungrig bin, brauche ich dringend etwas zum Fressen. Aber die Illusion, meine Schüssel sei vollgefüllt, wird mich nicht satt machen. Also, wenn ich etwas brauche, heißt das noch nicht, dass ich es mir einfach ausdenken kann und dass es dann auch so ist. Meine Schüssel ist trotz meiner phantasievollen Gedanken dann immer noch leer.“ Und mit einem Blick auf mich, den ich als sehr vorwurfsvoll empfinde, fügt er noch hinzu: „Und ich gucke hin und gucke hin, und sie bleibt auch leer, obwohl ich sehr phantasievoll bin. Das finde ich zwar ausgesprochen ärgerlich, aber daran kann ich nichts ändern.“ „Was ist es denn, was du jetzt gerade brauchst?“ frage ich ihn und er sagt: „Hähnchenbrust in Gelee.“ Ich stehe auf, gehe in die Küche, um ihm eine Büchse aufzumachen und Valentino läuft laut schnurrend vor mir her. „Ich liebe es, wenn du tust, was ich will“, sagt er dabei und ich sage: „Und ich liebe es, zu hören und zu sehen, dass du dich freust.“

Die in unserer Kultur am weitesten verbreitete Illusion ist die Vorstellung, wir könnten unsere Umwelt kontrollieren und andere Menschen so manipulieren, dass sie das fühlen, denken oder tun, was wir von ihnen wollen.

Irgendwie haben wir immer schon geahnt, dass das nicht immer klappt, dass wir häufig nicht das erreichen können, wofür wir uns anstrengen, auch wenn wir das noch so gerne wollen. Immer wieder werden wir damit konfrontiert, dass unsere Vorstellungen über die Beeinflussbarkeit anderer Menschen nicht stimmen. Und trotzdem orientieren wir unser alltägliches Verhalten in der Familie und im Beruf an der Phantasie, wir hätten solche Möglichkeiten.

„Wie wirke ich, und wie findet mich mein Gegenüber“ sind Fragen, die Menschen sich immer wieder stellen, und meistens wollen sie dabei gleichzeitig noch etwas anderes wissen: Wie kann ich Kontrolle über mein Gegenüber und dessen Gefühle, Gedanken und Handlungen erlangen? Wie kann ich mein Gegenüber dazu kriegen, das zu tun, was ich will: z. B. mich zu lieben, mir die Stelle zu geben, mich zu heiraten, mich zum Flughafen zu fahren, mir etwas zu schenken oder zu leihen, mich zum Essen einzuladen, mich ernst zu nehmen und dergleichen mehr. Gleichgültig, wie banal oder existentiell das ist, was man will, stets ist damit die Frage verknüpft, was man tun kann, um zu erreichen, was man möchte. Dies ist an sich eine sehr sinnvolle Frage, wäre sie nicht mit der Vorstellung verbunden, dass man alles erreichen kann, was man möchte, wenn man nur die notwendigen Fähigkeiten und Mittel zur Verfügung hätte. Erst durch die Illusion der unbegrenzten Möglichkeiten werden viele Probleme produziert oder verstärkt, mit denen wir es in unserer Zeit zu tun haben.

Wie sehr wir uns mit den Wünschen, andere zu manipulieren, beschäftigen, merken wir an den Fragen, die wir uns selbst stellen: „Wie muss ich sein und mich verhalten, damit andere mir das geben, was ich brauche.“ Was ein Mensch „braucht“, ist von Person zu Person und von Situation zu Situation verschieden. Einer braucht Liebe, ein anderer Mensch Hilfe und Unterstützung, einer braucht Geld und wieder ein anderer einen Platz zum Schlafen usw.

Was Menschen glauben zu brauchen, wird in unserer Kultur sehr stark von wirtschaftlichen Interessen bestimmt und unter anderem vor allem durch die Werbung in den Medien verbreitet. Die meisten solcher aus Profitgier künstlich erzeugten „Wünsche“ basieren letztlich auf ganz anderen Wünschen, nämlich den Wünschen, „dazu zu gehören“, „wertgeschätzt zu werden“, „eine Bedeutung zu haben“ und „eine Wirkung auf andere auszuüben“ usw.

Und da Menschen im Allgemeinen große Sehnsüchte danach haben, diese Wünsche erfüllt zu bekommen, kaufen sie die „Produkte“, mit deren Hilfe sie glauben, die zugehörigen Wunscherfüllungen zu erreichen. Die angepriesenen „Produkte“ sind vielfältiger Art, sie reichen von materiellen Gütern, über die Arten, sich zu kleiden und zu verhalten, zu wohnen, zu reisen usw. bis dahin, den eigenen Körper durch Trainings, Diäten und Operationen den jeweiligen gesellschaftlichen „Erwartungen“ und den darin verborgenen „Versprechungen“ anzupassen. Und gläubig unterwerfen sich viele Menschen diesen gesellschaftlichen Erwartungen, weil sie sich dadurch mehr Einfluss, Kontrolle und Macht über ihre Mitmenschen und damit die Erfüllung ihrer Wünsche erhoffen. Ihre eigene damit verbundene Unterwerfung verlieren sie dabei meist ebenso aus ihrer Wahrnehmung wie eventuelle Gedanken daran, wem ihr Gehorsam und ihre Unterwerfung nützt.

Es gibt Ratgeberbücher für alles. Viele Illustrierte sind voller Ratschläge und auch im Fernsehen und im Internet finden Menschen Vorschläge, wie sie mehr Einfluss, Kontrolle und Macht über sich und andere gewinnen können: Wie man sich gesund hält, wie man seine Kinder erzieht, wie man den Abbau von Fähigkeiten im Alter verhindert, wie man das Interesse, die Wertschätzung oder die Liebe von anderen aktiviert, wie man den perfekten Körper erzeugt, wie man seine Intelligenz vergrößert, wie man sich reizvoll anzieht, wie man seine sexuelle Anziehungskraft verbessert, wie man Freunde gewinnt, wie man erfolgreich im Beruf ist, usw. Auch in den verschiedenen Bereichen von Wissenschaft und Technik sind Vorstellungen, wie mit Hilfe wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in zunehmender Weise Kontrolle und damit auch Macht über körperliche und psychische Prozesse, über die Gestaltung des eigenen Lebens und der jeweiligen Umwelten erreicht werden können, weit verbreitet. Aber auch Fragen, wie mit Hilfe technischer Erzeugnisse und deren Möglichkeiten, wie mit Hilfe bilanztechnischer und anderer Methoden usw. Macht und Kontrolle über Unternehmen, über ganze Wirtschaftsbereiche, über Aktien- und Absatzmärkte, über politische Entscheidungen, das Wetter und vieles andere mehr erreicht werden können, stehen im Vordergrund der Diskurse. Macht und Kontrolle spielen in unserer Kultur bereits seit langer Zeit eine außerordentliche Rolle, unser Fühlen und Denken und unser gesamter Sprachgebrauch ist davon durchsetzt und unser Verhalten, sowohl uns selbst als auch unseren Mitmenschen gegenüber ist davon geprägt, meist ohne dass uns das bewusst ist. Von daher wird die Möglichkeit von Kontrolle und Macht im Allgemeinen auch nicht in Frage gestellt. Es wird erwartet, dass man seine Gefühle im Zaum hält, sein Leben im Griff hat, dass einem die Kinder gehorchen, der Hund aufs Wort folgt, der eigene Körper funktioniert, die Medikamente wirken, die Freunde sich den Erwartungen entsprechend verhalten, das Berufsleben sich erfolgreich ge-stalten lässt, dass mit Hilfe gelernter Strategien die gewünschten Ziele erreicht werden, dass Mitarbeiter durch geschicktes Taktieren motiviert werden können, und dass man, wenn man nur in jeder Hinsicht gut genug ist, in seinem Leben alles erreichen kann, was man will.

Alle Berufszweige, nicht nur die, in denen Menschen mit anderen Menschen – Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen – arbeiten, sind betroffen von den Vorstellungen, es gäbe diese Möglichkeiten von Macht und Kontrolle. Denn die in den verschiedensten Bereichen arbeitenden Menschen glauben häufig, dass sie, wenn sie die gewünschten Ziele nicht erreichen, in verschiedenster Hinsicht einfach nicht gut genug waren, die anderen dazu zu bringen, das zu tun, wozu sie diese aufgefordert hatten oder die sonstigen angestrebten Ziele zu erreichen. Die entsprechende Fachliteratur unterstützt diese Interpretation. So sollen z. B. Lehrerinnen und Lehrer die Kinder motivieren, disziplinieren, belehren und wenn sie es nicht schaffen, die Kinder in der Klasse dazu zu bringen, ruhig zu sein und aufmerksam und interessiert mitzuarbeiten, dann haben sie angeblich versagt. Eltern sollen ihre Kinder gut erziehen, sie dazu bringen, ihre Zimmer aufzuräumen, pünktlich zu Schule zu gehen, ihre Hausaufgaben zu machen, freundlich zu ihren Geschwistern zu sein, ihre Vokabeln zu lernen und worauf es sonst so noch ankommt.

Ärzte und Therapeuten sollen ihre Patienten heilen und Sozialarbeiter ihre Klienten dazu bringen, ein selbstverantwortliches Leben zu führen; man sollte es schaffen, seine Kollegen von neuen Maßnahmen zu überzeugen und vieles andere mehr. Es ist durchaus sinnvoll, alle diese Ziele anzustreben, aber es bleibt die Frage offen, wer denn die Verantwortung hat dafür, dass diese Versuche erfolgreich sind.

„Ich schaffe es nicht, mein Baby dazu zu kriegen, abends einzuschlafen“, klagt eine junge Mutter, eine andere darüber, dass sie es nicht hinkriegt, ihr Kind dazu zu bringen, soviel zu essen, wie sie es für richtig hält. Das Versagen, das Scheitern und die begleitenden Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht über die vergeblichen Versuche oder von Wut über das Misslingen sind nur die eine – die belastende - Seite dieser Überzeugung, es gäbe diese Möglichkeiten von Kontrolle und Macht. Die andere Seite ist erfreulicher, denn wenn man es geschafft hat, kann man sich das Gelingen als persönlichen Erfolg anrechnen:

• „Stell dir vor, ich habe meinen Chef dazu gekriegt, mir eine Gehaltserhöhung zu geben.“

• „Ich bin so stolz. Ich habe meinen Mann dazu gebracht, doch mit mir in die USA zu fliegen.“

• „Also ich habe es endlich geschafft, die Klasse dazu zu bringen, konzentriert mitzuarbeiten.“ Usw.

Die selbstverständliche Annahme, man könne andere Menschen manipulieren und kontrollieren, ohne dass diese das wollen, der Glaube, man könne Macht über andere Menschen ausüben, ohne dass man deren Zustimmung braucht, hat noch eine weitere Seite: Das, was man glaubt, mit anderen machen zu können, können andere auch einem selbst antun. Damit ist man nicht nur der potentielle Täter mit der vermeintlichen Möglichkeit, andere zu kontrollieren und Macht über sie auszuüben, man ist auch das potentielle Opfer der vermeintlichen Kontrolle und der Macht von anderen. Und das hört sich dann so an:

• „Sie haben mich völlig verunsichert.“

• „Er hat mich gezwungen, mich zu entschuldigen.“

• „Die Schüler haben mich mit ihrem Geschrei völlig fertig gemacht.“

• „Das Verhalten meiner Freundin hat mich sehr verletzt.“

• „Er hat mich durch seine Art einfach an die Wand gedrückt.“

• „Die Nachbarn ärgern mich von morgens bis abends.“

• „Sie hat mir mein Leben zerstört.“ Usw.

Diese beliebten Vorstellungen von unbegrenzter Macht und Kontrolle vergiften einerseits die zwischenmenschlichen Interaktionen ganz erheblich, scheinen aber so viele Vorteile zu bieten, dass Menschen auf diesen Glauben nicht verzichten wollen. Die meisten Menschen würden wahrscheinlich sogar bestreiten, dass es sich dabei um eine Illusion handelt und stattdessen behaupten, es handele sich um die Wahrheit. Dieses allerdings wird von den Ergebnissen der Forschungen über neuronale Prozesse, Selbstorganisation und nichtlineare dynamische Systeme nicht bestätigt, wie sich im Verlaufe dieses Buches noch herausstellen wird.

Ich möchte die bisher kulturell unterstützen Grundannahmen mit dem folgenden – ironisch übertriebenem – „Bekenntnis “ verdeutlichen.

Das bisherige „Bekenntnis“ zu unseren kulturellen Grundannahmen:

Wir glauben an eine einzige, gemeinsame,

von allen in gleicher Weise erkennbare Welt

und daran, dass Abweichungen von dieser

als richtig erkannten Wirklichkeit umgehend und im Zweifelsfalle

auch mit Gewalt korrigiert werden müssen.

Und wir glauben an das von uns erkannte

Richtige, Gute, Wahre und Schöne,

welches für immer getrennt ist

vom Falschen, Schlechten und Hässlichem

und wir glauben, dass wir stets das eine vom anderen

unterscheiden können.

Wir glauben an die Überlegenheit des Geistes über die Materie,

der Vernunft über die Gefühle,

der Kultur über die Natur

und des Mannes über die Frau

und daran, dass das Überlegene das Unterlegene

kontrollieren, beherrschen und ausbeuten darf.

Wir glauben an die Allmacht der Manipulation

Und die unbegrenzten Möglichkeiten der Kontrolle.

Und daran, dass wir andere zwingen können und zwingen dürfen,

zu fühlen, zu denken und zu handeln,

wie wir es wollen

und dass wir mit allen Mittel verhindern müssen,

dass die anderen das Gleiche mit uns tun.

Wir glauben daran, dass es notwendig ist,

zu allem, was existiert und geschieht,

Standpunkte, Meinungen und Überzeugungen zu haben.

Und daran, dass es wichtig ist,

diese mit aller Entschiedenheit gegenüber anderen zu verteidigen.

Die Auseinandersetzung mit Problemen

halten wir für meist für belastend

und die Entwicklung von Erkenntnissen und Möglichkeiten

durch Prozesse für Zeitverschwendung.

Jedenfalls meistens,

da wir sowieso schon wissen, dass wir im Recht sind.

Diesem „Bekenntnis“ und den darin ausgesprochenen Grundannahmen ist inzwischen einiges entgegenzusetzen, weil durch die wissenschaftliche Forschung der letzten Jahrzehnte eine Reihe von neuen Erkenntnissen zusammengetragen worden ist, die Anlass zu völlig neuen Überlegungen bietet. Aber die Aussichten, dass sich diese neuen Überlegungen ausbreiten und eine neue Basis für soziale Prozesse und gesellschaftspolitische Entscheidungen werden, sind nach Ansicht einer Reihe von Wissenschaftlern bisher sehr gering. So schreibt Rupert Riedel in „Evolution und Erkenntnis“:

„Und tatsächlich entsprechen unsere Ursachenvorstellungen nicht mehr der Komplexität unseres wissenschaftlich-technischen Milieus. Wir haben in unserem Glauben an lineare, unvernetzte Kausalität alles für machbar gehalten. Namentlich seit der GALILEIschen Wende zur Naturwissenschaft und beschleunigt seit der Aufklärung hat die Zivilisation der westlichen Prägung gemeint, alles zum Nutzen Denkbare auch zum Nutzen durchsetzen zu können. Immer tiefer hat sie in das Milieu des Menschen und in seine Umwelt eingegriffen. Und sie ist in jenen Teufelskreis von Zugzwängen geraten, den sie sich in ihrer Schulweisheit nicht hat träumen lassen. Wir hängen am Verursacherprinzip, konkurrieren mittels Wachstum, verpuffen unsere Reserven, überhitzen die Atmosphäre, untergraben die Innovation, verteilen mehr als wir geschaffen haben, werfen das Steuer der Ökonomie hin und her, pendeln zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit, also zwischen schleichender Enteignung und Verhinderung von Wertschöpfung; kurz: Wir steuern in allem einen selbstmörderischen Kurs. (Riedl, 1990, S. 193)

Dieser selbstmörderische Kurs, von dem nicht nur Rupert Riedl spricht, ist heute – trotz vieler internationaler Anstrengungen – überall zu beobachten und sicher nicht so leicht zu unterbrechen. Trotzdem meine ich, dass sich jeder Versuch lohnt, sich die neuen Erkenntnisse anzueignen, soweit sie bisher bekannt sind. Deutlich geworden scheint allerdings schon, dass diese auf die Unmöglichkeit verweisen, subjektunabhängige „Wirklichkeit“ erkennen zu können. Stattdessen sind die Erkenntnisprozesse solcher Systeme an die Produktion von Modellen in Bezug auf eine jeweils vermutete Wirklichkeit gebunden und damit immer auch abhängig vom jeweiligen Beobachter.

Damit hat „leider“ bei diesen Forschungsergebnissen auch der Begriff der „objektiven Wahrheit“ gelitten, so dass man heute von „Wahrheit“ vielleicht eher im Sinne von „Evidenz“ oder von „Stimmigkeit“ im Rahmen eines Modells sprechen würde. Und da in der modernen Wissenschaft verstärkt mit Modellen gearbeitet wird und Wissenschaftler sich heute eher für das eine oder andere Modell entscheiden, als anzunehmen, sie würden sich sukzessive einer objektiv erkennbaren Wirklichkeit nähern, fallen für mich auch die neuen Erkenntnisse eher in den Bereich dessen, wofür man sich entscheidet oder wovon man überzeugt ist. In den individuellen Produktionen unserer Wirklichkeiten wirken jedoch unsere kulturellen Grundannahmen, die wir uns von klein auf zu Eigen gemacht haben und für die wir uns daher meist nicht bewusst entschieden haben. Prozesse der Veränderung können daher dauern, manchmal über viele Generationen. Aber wir können antizipieren, wie die kulturellen Grundannahmen auf der Basis der neuen Forschungsergebnisse in der Zukunft aussehen könnten und damit beginnen, die bisherigen Annahmen zu bezweifeln.

Ich habe die neuen Tendenzen ebenfalls in einem „Bekenntnis“ zusammengefasst, um die Unterschiede zwischen den alten „Grundsätzen“ und den neuen, in die Zukunft weisenden Entwicklungen, um die es in diesem Buche geht, plakativ deutlich zu machen.

Das neue „Bekenntnis“:

Wir glauben an die Vielfalt der uns umgebenden Welt,

die von jedem Menschen in eine einzigartige,

ihm ganz allein gehörende Wirklichkeit entfaltet wird,

die sich von der aller anderen unterscheidet.

Wir glauben an die nicht auflösbare und sich ständig ändernde

Wechselwirkung zwischen dem, was wir für richtig oder falsch,

für gut oder böse, für gerecht oder ungerecht,

oder für schön oder hässlich halten

und dass das eine immer auch das andere bedingt

und dass sich immer wieder das eine im Verlauf der Zeit

in das andere verwandeln kann,

außer wir treffen bewusst die Entscheidung,

jedes Lebewesen und die Umwelt,

die es zum Überleben braucht,

wahrzunehmen, zu achten und zu schützen.

Wir glauben, dass jeder etwas anderes glaubt

und dass jede Person das Recht hat,

zu fühlen, zu denken, zu glauben und zu wünschen,

was sie möchte,

aber nicht einfach so handeln darf, wie sie will,

wenn sie anderen damit Schaden zufügt.

Stattdessen glauben wir, dass wir über Wunscherfüllungen

und deren Grenzen

miteinander reden können und müssen.

Und wir glauben, dass das Erleben

von Unterschieden und Differenzen

für die persönliche Entwicklung unerlässlich ist.

Wir glauben an die Wechselwirkung

zwischen Geist und Materie,

Vernunft und Gefühl,

Kultur und Natur,

und Mann und Frau und daran,

dass nicht das eine dem anderen

überlegen oder unterlegen,

sondern einfach nur anders ist,

und dass sich alles wechselseitig befruchtet.

Wir glauben daran, dass sich lebendige Wesen

prinzipiell nicht kontrollieren lassen,

und dass wir es besser auch nicht versuchen sollten,

wenn wir uns nicht in kleinere oder größere

Schwierigkeiten bringen wollen.

Wir glauben daran, dass unsere Gefühle

in unserem eigenen Inneren entstehen

und bedeutsame Informationen für uns bereithalten,

wenn wir uns die Zeit nehmen und die Mühe machen,

sie zu entschlüsseln

und wir glauben, dass jeder Mensch

nur für seine eigenen Gefühle, Gedanken und Wünsche

verantwortlich ist

und nicht für die Gefühle, Gedanken und Wünsche von anderen,

da es zwar zwischen dem,

was sich in einem anderen Menschen

und dem, was sich in einem selbst abspielt,

ununterbrochene Wechselwirkungen gibt,

wir aber keinen gezielten Einfluss

aufeinander haben können.

Und wir glauben, dass das Beharren

auf Standpunkten, Meinungen und Überzeugungen

unter der Annahme, es gäbe etwas Richtiges

und alles, was davon abweicht, sei falsch,

nur zu Kämpfen führt.

Und wir glauben, dass es sinnvoller ist,

sich darauf zu konzentrieren, welche Probleme

Menschen allein oder miteinander,

mit ihrer Umwelt,

oder in Bezug auf ihre Vergangenheit,

ihre Gegenwart oder ihre Zukunft haben,

und daran, dass Problemlösungen

nicht gegen die existenziellen Interessen anderer Lebewesen

durchgesetzt werden dürfen,

weil sonst Schaden für alle entsteht.

Und wir glauben, dass es wichtig ist,

sich wechselseitig

in der jeweiligen Andersartigkeit

zu akzeptieren,

und sich neugierig auf Prozesse des Erforschens

auf die in uns selbst und anderen

verborgenen

Wirklichkeiten und Möglichkeiten

einzulassen.

Die in diesem zweiten „Bekenntnis“ angesprochenen Überlegungen und deren Konsequenzen sind das Thema dieses Buches. Sie werden sukzessive deutlicher werden. Gleichzeitig wird auch beschrieben, welche neuen Herausforderungen durch diese neuen Forschungsergebnisse auf uns zu kommen und wie schwierig es ist, sich diesen wirklich zu stellen. Dabei geht es mir insbesondere darum, herauszuarbeiten, was die neuen Erkenntnisse für das Verstehen von sich selbst und von anderen, sowie für den Umgang mit sich selbst und mit anderen und für die Strukturierung des eigenen Lebens bedeuten.

Der mit den neuen Erkenntnissen einhergehende notwendige Verzicht auf die Illusionen von Macht und Kontrolle wird dabei eine große Rolle spielen und dieser Verzicht wird leider zu dem Schwierigsten gehören, was die Menschen unserer Kultur tun können. Der Gewinn dabei wird allerdings eine Zunahme an persönlicher Freiheit sein.

Aber der Weg ist nicht leicht. Viele Menschen, darunter auch viele WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und BeraterInnen weisen seit längerer Zeit darauf hin, wie dringend ein Umdenken und eine Veränderung des Handelns erforderlich ist, um das Gesamtsystem Erde mit allem, was dazu gehört, nicht zugrunde zu richten.

Peter Senge, ein bekannter amerikanischer Unternehmensberater schreibt in einem seiner Bücher in Bezug auf die heute notwendigen Lernprozesse:

„Heute stehen wir an einer Art Scheideweg, unsere Kultur sagt uns, dass die Menschheit den richtigen Weg gewählt hat: Wir sind die Krone der Schöpfung, dazu bestimmt, über die Welt zu herrschen. Aber immer mehr Anzeichen mehren sich, dass sich dieser Weg seinem Ende nähert. Wir haben gelernt, unsere Umwelt so weitgehend zu beeinflussen, dass heute unser Überleben als Spezies auf dem Spiel steht. Wir haben unser Ego so weitgehend entwickelt, dass wir heute meinen, unser persönliches Glück sei irgendwie losgelöst vom Glück unserer Mitmenschen. Wir haben uns selbst so weitgehend von der Natur getrennt, dass wir nicht nur unsere Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Lebens verloren haben, sondern auch unser Gefühl von Zugehörigkeit zu etwas, das größer ist als wir selbst.“ (Senge, The Fieldbook, S. 650)

Es wird vielen Menschen immer deutlicher, dass dieser Weg von Kontrolle und Herrschaft, Macht und unkontrollierter Ausbeutung mit Sicherheit zu Ende ist, auch wenn wahrscheinlich die meisten es noch nicht gemerkt haben. Dabei will ich nicht von den Menschen sprechen, die aufgrund ihrer Lebensumstände kaum eine Chance haben, mehr zu tun als Möglichkeiten zum Überleben zu suchen. Aber in unserer Kultur verfügen die meisten über genügend freie Energie und Zeit, um über sich selbst und die Art, wie sie mit ihresgleichen und mit ihrer Umwelt umgehen, nachzudenken. Aber der neue Weg ist für uns auf Grund der einseitig entwickelten Gewohnheiten und Überzeugungen in unserer Kultur nur schwer zu erkennen und noch schwerer zu gehen. Denn es geht darum, ein „Verstehen“ für das, was man heute „Selbstorganisation“ nennt, zu entwickeln. Ich schreibe deshalb „Verstehen“, weil es sich um Prozesse des Wahrnehmens der ständigen Veränderungen innerhalb selbstorganisierender Systeme handelt, die kausal-logischen Erklärungsversuchen meist nicht zugänglich sind. Die Prozesse selbstorganisierender Systeme sind daher nur sehr eingeschränkt vorhersagbar und deshalb meist auch nur in Echtzeit beobachtbar.

Aber weder die Interpretationen unserer Wahrnehmungen, noch die unseres Fühlens und Denkens, weder unsere Problemlösungsstrategien noch unser spontanes Handeln sind den neuen Erkenntnissen, wie unser gemeinsames Überleben auf diesem Planeten zu organisieren ist, angemessen, weil wir aufgrund unserer Wünsche nach kontrollierter Gestaltung unserer Umwelt große Schwierigkeiten mit dem Phänomen der Selbstorganisation haben.

In diesem Buch geht es mir darum, Möglichkeiten zu zeigen, wie wir die neuen Erkenntnisse in Bezug auf Phänomene der Selbstorganisation in ein anderes Miteinander Umgehen und in ein neues Handeln in unserem Umfeld umsetzen und damit längerfristig auch unser eigenes Leben erleichtern können.

Die neuen Erkenntnisse beziehen sich aber nicht nur auf persönliche Beziehungen, es geht um wesentlich mehr: Wir können es uns nicht mehr leisten, zugunsten der Illusionen von Kontrolle und Macht das eigenständige Leben unserer Kinder zu opfern, ihre Zukunft mit Füßen zu treten, indem wir die Ressourcen unseres Planeten verbrauchen und unsere Umwelt schädigen, ohne uns darum zu kümmern, wie unsere Nachkommen überleben können.

Aber wir opfern nicht nur die Zukunft, sondern auch die Qualität unserer Beziehungen in der Gegenwart. Wir gehen oft mit den Menschen, die wir lieben, am hässlichsten um und sind häufig höflicher und freundlicher zu Menschen, denen wir eher zufällig begegnen.

Wir verbergen unsere innersten Gefühle vor den Menschen, mit denen wir uns am intensivsten verbunden fühlen, weil wir solche Angst haben, uns ihnen auszuliefern, so als seien sie unsere schlimmsten Feinde.

So viele Menschen sind unglücklich. Und viele nicht allein deshalb, weil sie ein leidvolles Leben haben, sondern oft nur, weil sie an alten Illusionen hängen, die ihnen Sicherheit, Unabhängigkeit, Kontrolle und Macht versprechen, ohne dass diese Versprechen jemals eingelöst werden können.

Es gibt diese Sicherheit nicht, wir können andere nicht kontrollieren, wir sind nicht von anderen unabhängig und haben auch keine Macht über sie. Und wegen aller dieser Gründe brauchen wir ein neues Denken, einen neuen Umgang mit unseren Gefühlen, eine neue Strukturierung dessen, was wir für wirklich halten und einiges mehr. Mit diesem Buch will ich versuchen, deutlich zu machen, was und wie dieses Neue sein könnte und was dieses Neue für unseren Umgang mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen und mit unserer Umwelt bedeutet.