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Dieses E-Book ist die digitale Umsetzung der Printausgabe, die unter demselben Titel bei KOSMOS erschienen ist. Da es bei E-Books aufgrund der variablen Leseeinstellungen keine Seitenzahlen gibt, können Seitenverweise der Printausgabe hier nicht verwendet werden. Stattdessen können Sie über die integrierte Volltextsuche alle Querverweise und inhaltlichen Bezüge schnell komfortabel herstellen.

Für
Ally, Frieda
und Wolke

AUFBRUCH ZUR WISSENSJAGD …

DAS BUCH, DIE (JAGD-)HUNDE UND ICH

Jagdverhalten begleitet mich, seit ich Hunde habe, und blicke ich nun auf die letzten gut fünfzehn Jahre zurück, ist es wohl jenes Verhalten, woran ich am liebsten arbeite – Jagdfieber fühlt sich gut an, Angst und Aggression hingegen sind emotional belastend für den Hund. Natürlich rauft man sich als Mensch anfangs die Haare, wenn man feststellt, der hündische Begleiter jagt, aber umso stolzer ist man am Ende, als Team aus dem gemeinsamen Training hervorzugehen, das statt einer Fernbeziehung nun eine Beziehung eingegangen ist. Unsere Ally, ihres Zeichens Dalmatiner, kam mitten in der Jugendentwicklung an ein Jungkaninchen, und alles, was bis dahin an Rückruf und Co. trainiert war, wurde durch dieses euphorisierende Ereignis gänzlich auf den Kopf gestellt. Alles neu, alles von vorn war damals mein Motto, und auch wenn ich zu Beginn meines Lebens mit Hunden mit dem Wissen über sie noch ganz am Anfang stand, konnte ich bald reife Trainingsfrüchte ernten.
Bei unseren beiden Ungarinnen war ich auf Jagdverhalten vorbereitet, dachte ich. Auf Jagdverhalten ja, nicht aber auf gänzlich unterschiedliche Bedürfnisse zweier Individuen, und so nahm mein Wissen rund um (Jagd)Hunde seinen Lauf. Und mit meinem Jagdschein kam die jagdliche Arbeit hinzu – freundlich sollte nicht nur das Alltagstraining sein, freundlich funktioniert auch im Jagdgebrauch. Was ich mit „dogable – was (Jagd)Hunde wollen“ seit Jahren an interessierte und motivierte Menschen mit ihren (Jagd)Hunden im Training und auf Seminaren weitergebe, um gemeinsame Streifzüge durch Feld, Wald und Flur wieder teamfähig zu machen, verlangte einfach danach, niedergeschrieben zu werden. Kurz bevor der Verlag auf mich zukam, sprach ich mit Dr. Ute Blaschke-Berthold darüber, ob es nicht schön wäre, ein kleines Nachschlagewerk für Menschen mit jagdlich motivierten Hunden zu schaffen und damit das Wissen aus all den Jahren zu Papier zu bringen. Ich dank dir, Ute, für dein unerschöpfliches Wissen, das mein Leben und Arbeiten mit (Jagd)Hunden vollkommen gemacht hat, und es hört nicht auf. Schicksal war es und kein Zufall, als sich unsere Wege vor zehn Jahren kreuzten.
Es ist irgendwie unser Buch, und ich wünsch dir viel Spaß beim Stöbern! Viel Spaß beim Stöbern und in erster Linie beim Training wünsche ich den Lesern meines Buches – Menschen mit Hunden, Jagdhunden und Jagdgebrauchshunden.
Für Letztere, die „grünen Abiturienten“ und ihre Jagdhelfer, gibt es in den praktischen Kapiteln den „Grünen Wink“ für das Übertragen der Trainingswerkzeuge in den jagdlichen Alltag.

Ihre Anja Fiedler

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VORWORT VON DR. UTE BLASCHKE-BERTHOLD

Mit dem vorliegenden Buch halten Sie eine Essenz in den Händen. In dieser Essenz konzentrieren sich Erfahrungen und Reflexionen aus langjähriger Arbeit mit vielen verschiedenen Hunden, Menschen und nicht zuletzt aus kollegialer Zusammenarbeit. Es braucht Zeit, um aus Erfahrungen das Wesentliche herauszuziehen. Es braucht die Fähigkeit zur Eigenreflexion, um Fehlschläge nutzbringend auswerten zu können.

Im Kern handelt dieses Buch von der Form der verschiedenen Hundetypen, der Funktion ihres Verhaltens, den Ansprüchen des Menschen und den vielen Möglichkeiten, mit der Veranlagung eines Hundes zu arbeiten. Viele jagende Hunde sind angenehme Hausgenossen und Begleiter, wenn da draußen nicht das Wild wäre. Die wichtigste Lektion für den Liebhaber bestimmter Hundetypen ist: Hunde sind keine Tonklumpen, die nach Belieben geformt werden können.
Mit einem bestimmten Körperbau kommt dazu passendes Verhalten. Versuche, gegen diesen Zusammenhang zu arbeiten, verformen und deformieren das Verhalten des Hundes, außerdem öffnen sie weiteren Verhaltensproblemen Tür und Tor. Leider ist im Umgang mit jagenden Hunden Verhaltensdeprivation weit verbreitet. Hunde dürfen nicht mehr das tun, wozu sie über viele Generationen gezüchtet wurden. Aber sie werden im Alltag regelmäßig mit Auslösern dieser Verhaltensweisen konfrontiert – ohne befriedigende Alternativen – und das Jagdverhalten mehr oder weniger erfolgreich unterdrückt.

In diesem Buch erfährt der Leser, wie er seinen Hund und vor allem seine Bedürfnisse akzeptieren und dennoch sein Verhalten anpassen kann. Mit den Bedürfnissen des Hundes zu arbeiten, bringt für den Menschen neben dem Erfolg und viel Freude auch noch einen zufriedenen Hund. Bedürfnisbefriedigung, Erziehung und Spaß am Hund funktionieren gemeinsam, schweißen Mensch und Hund zusammen und formen ein echtes Team.

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© Anna Auerbach

Das selektierte Vorstehen wird früh gefördert.

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© Anna Auerbach

Der Labrador Retriever in seinem Element.

LERNEN IST NICHT ALLES

Es reicht nicht aus, etwas zu lernen. Entscheidend ist die Motivation, das Gelernte auch umzusetzen. Dies gilt sowohl für den Hund als auch für den Menschen. Verschiedene Übungen zur Verhaltenskontrolle sind schnell aufgebaut, denn gutes Training wirkt schnell. Aber in alltäglichen Situationen scheitert der Hund an seiner Motivation, das Gelernte auch zu zeigen. Hunde sollen in Anwesenheit von Auslösern Verhalten zeigen, das sie freiwillig erst einmal nicht zeigen würden: Stehenbleiben an Wild, Anhalten während des Stöberns, aus der Hetze abdrehen und zum Menschen zurückkommen. Dies sind wesentliche Verhaltensreaktionen, mit deren Hilfe die Jagdpassion eines Hundes reguliert werden kann. Dafür aber muss der Hund hoch motiviert sein! In diesem Buch geht es hauptsächlich darum, wie durch die Befriedigung der Bedürfnisse des Hundes die höchstmögliche Motivation erzeugt wird, mit der Bezugsperson zusammenzuarbeiten.

Es sind die Belohnungen, die Verhalten verstärken, wenn sie aktuelle Bedürfnisse des Hundes befriedigen. Die Summe der bereits erlebten Belohnungen in einer Situation, in Verbindung mit Verhalten, beeinflusst die Motivation gravierend. Es ist nicht egal, wie ein Hund belohnt wird. Die Wertigkeit von Belohnungen hängt von der Verfassung des Hundes und von der Situation ab, in der er sich befindet. Damit wird der Einsatz positiver Verstärkung nicht gerade einfach. Ganz im Gegenteil, der Hundehalter muss sein Tier genau kennen und täglich neu einschätzen.

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© Anna Auerbach

Die glatthaarige Version des Fox Terriers ist als vielseitiger Jagdhelfer z. B. auf Bewegungsjagden gern gesehen.

UND WO BLEIBEN BEZIEHUNG UND BINDUNG?

Beziehungen entstehen durch den Austausch von Verhalten. In einer guten Beziehung werden möglichst oft sozial positive Verhalten ausgetauscht. Der Hund zeigt ein für uns akzeptables Verhalten, der Mensch freut sich und zeigt im Gegenzug für den Hund positives Verhalten. Gute Verhaltensweisen machen keinen Ärger, erfreuen uns und verhindern Problemverhalten. Eigentlich ist das ganz einfach!

Ich wünsche meiner langjährigen Kollegin und Freundin, Anja Fiedler, diesem Buch und besonders allen Hunden mit Jagdpassion eine große, interessierte und vor allem motivierte Leserschaft.

Ihre Ute Blaschke-Berthold

JAGDVERHALTEN VERSTEHEN UND VERÄNDERN
— (Jagd)Hund, wer bist du?

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© Anna Auerbach

DEN BEDÜRFNISSEN AUF DER SPUR

(NEURO)BIOLOGIE DES JAGDVERHALTENS

Jagdverhalten …, was aus biologischer Sicht normales Hundeverhalten ist, treibt uns Menschen oftmals Sorgenfalten auf die Stirn. Aus normal wird aufgrund der Aktivität unserer Vierbeiner schnell unnormal. Uns fehlt es an Verständnis für hündische Hobbys, da unsere Zeiten des Jagens und Sammelns doch schon sehr weit zurückliegen. Hierzu kommt mir eine interessante Parallele aus der Menschenwelt in den Sinn, es geht um überaktive (Menschen)Kinder, Hyperaktivität wird ihnen als krankhaft übergestülpt. Thom Hartmann führt 1995 Überaktivität auf die genetische Variabilität und das eben nicht mehr Jagen und Sammeln als biologisches Erbe zurück. Dieses Nicht-mehr-aktiv-Sein, das biologische Zeitbudget für Ressourcensicherung nicht mehr auszufüllen, führt in seinen Augen zu übermäßiger Aktivität an anderer, unpassender Stelle. Erkennen Sie die Querverbindung zu unseren Hunden? Einschränkung, z. B. von Umwelterkundung, lässt sie wuseliger und aktiver werden, von ihrem Zeitbudget ist noch jede Menge übrig, Frustration macht aktiv. Beleuchten wir also das Jagen und Sammeln als hündisches Hobby unter dem Licht der (Neuro)Biologie.

BEUTEGREIFER UND ABSTAUBER

Zum Zweck des Nahrungserwerbs wären unsere Hunde unter natürlichen Bedingungen nicht nur Beutegreifer, sie wären auch Abstauber. Kleinere Beutetiere würden gejagt und vertilgt, alles andere wäre wenig erfolgversprechend, und der Hundemagen bliebe leer. Aas und dergleichen würden gesammelt und vertilgt. Hunde, die z. B. im Süden auf der Straße leben, verdingen sich in puncto Nahrungserwerb bevorzugt im Sammeln. Sie schwärmen aus und grasen nahrungsträchtige Stellen ab, um danach satt zurück nach Hause zu gehen. Jagen ist hingehen nicht unbedingt von Erfolg gekrönt, der Jäger strengt sich an und geht hin und wieder hungrig nach Hause.

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© Anna Auerbach

Galgos wie Oona werden in Spanien als Hetzjäger selektiert, auf der Straße verdingen sie sich als Sammler.

FUNKTIONSKREISE HÜNDISCHEN VERHALTENS

„Futter“, „Freund“ und „Feind“ sind die drei Hauptfunktionskreise hündischen Verhaltens, vielleicht mögen Sie den Wust an Verhalten Ihres Vierbeiners einmal einsortieren? Die Krux für unsere Hunde ist, dass diese drei Funktionskreise nicht fröhlich nebeneinanderher wabern, nein,sie überschneiden sich, weil in der Hundewelt über die Sinnesorgane immer und immer wieder neue Reize ins Hundegehirn dringen. Neue Reize erfordern neue Entscheidungen, und aus der Menschenwelt addieren sich zusätzliche Reize hinzu. Nicht immer fallen Entscheidungen leicht, Motivationskonflikte entstehen. Und nicht immer führen Entscheidungen ans Ziel, vielleicht schränkt der Mensch sie durch die Leine ein, Frustration kommt auf. Erleichtern Sie Ihrem vierbeinigen Begleiter seine Entscheidungen, indem Sie die Funktionen unterbrochenen Verhaltens in den Belohnungen aufgreifen (Stichwort: funktionale Verstärker), und lassen Sie Bestrafung im Training außen vor.

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© Wolfgang Lang-Graf

Funktionen und Emotionen hündischen Verhaltens

Funktionskreis „Futter“

Schauen wir uns den Funktionskreis „Futter“ bzw. das Jagen und Sammeln genauer an. Zum Zweck des Nahrungserwerbs auszuschwärmen, wirft Fragen auf: Was ist ess- und jagdbar? Wo und wie sind Ess- und Jagdbares zu suchen und zu finden? Wie findet der Jäger und Sammler zurück? Genießbares und Ungenießbares, diese zwei groben Kategorien sind angeboren, was genau Hund so alles essen kann, dafür beginnt das Lernen tatsächlich bereits im Mutterleib. Körperumrisse, Bewegungs- und geruchliche Muster potenzieller Beute sind teils ebenso angeboren und werden durch Lernen verfeinert und ergänzt. Am Lernen sind anfangs die Mutterhündin und später die Gruppenmitglieder oder andere Artgenossen beteiligt. So kann aus einem Sichtjäger schnell ein Nasenjäger werden, wenn der Hundefreund ihn entsprechend anleitet. Such- und Erkundungsverhalten führen den Hund in seine Sammel- und Jagdgründe. Es gilt, Suchengebiete zu finden, die Ess- oder Jagdbares beherbergen, und diese möglichst flächendeckend abzusuchen, um fündig zu werden. Such-, Erkundungs- und Neugierverhalten werden von einem emotionalen System gesteuert, das Jaak Panksepp das SEEKING-System nennt. Suchen müssen unsere Jäger und Sammler nicht lernen, wir müssen innerhalb von Sucharbeit ihre Motivation für Suchobjekte/-gerüche nur bilden und erhalten.

Suchen mit Suchenglück

Ein flächendeckendes Suchmuster führt den Jäger und Sammler zu mehr Jagdbarem und Essbarem, verschiedene Individuen und Hundetypen unterscheiden sich deutlich in ihrer Art, eine Fläche abzusuchen. Diffus, von außen nach innen, in kleinen, engen oder großen, weiten Querschlägen, vieles ist praktikabel und erfolgversprechend. Suchfelder, in denen der Jäger und Sammler erfolgreich war, legt das Hundegehirn im Hippocampus ab, in dem das Ortsgedächtnis verankert ist.
Hunde sind wahre Meister darin, sich an ergiebige Örtlichkeiten zu erinnern, genauer gesagt erinnern sich ihre „Platzzellen“, die an diesen Stellen anspringen und den Hund motivieren, hier genauer nachzusehen. Die „Platzzellen“ werden uns auch später im Buch immer mal wieder begegnen. Im Erkundungsmodus zwischen den Suchfeldern merkt sich das Ortsgedächtnis Landmarken in der Hundewelt, und Urinmarken sorgen zudem für einen Wiedererkennungswert. Unwegsame Hindernisse im Gelände werden umlaufen und der ursprüngliche Weg fortgesetzt, die Ausweichbewegung wird durch eine entsprechende Gegenbewegung ausgeglichen. Mit einer Brise Suchenglück wird etwaige Beute lokalisiert, und damit beginnt das große Rechnen. Die Sinneseindrücke über Ohren, Augen und Nase werden beidseitig trianguliert, über kleine Bewegungen des Kopfes werden die Reizintensitäten ab- und ausgeglichen, bis sich der Beutegreifer in direkter Verlängerung seiner Beute befindet. Schaut man Vorstehhunden bei der Arbeit zu, wird schnell klar, wie genau Beute geortet werden kann. Schauen Sie sich die Anordnung ihrer Augen an, die Sichtfelder überlappen sich – ein anschauliches Beispiel für „form follows function“. Geortet! Die Kopfbewegungen stoppen, und was nun folgt, ist der Beutesprung. Nach dem Beutezug geht es zurück nach Hause. Während der Bewegung bildet sich das Ortsgedächtnis, der Hippocampus merkt sich den Startpunkt, die zurückgelegte Entfernung wird abgelegt, und aus all diesen Informationen wird der kürzeste, sparsamste Heimweg ermittelt. Gestresst kann der Jäger und Sammler auf dieses innere GPS nicht zurückgreifen, ihm bleibt der energieaufwendigere Weg auf seiner Eigenspur. Verschwindet Ihr hündischer Begleiter einmal in den ewigen Sammel- oder Jagdgründen, warten Sie dort auf ihn, wo er Ihnen abhandengekommen ist. Jagen und Sammeln sind ein biologisches Erbe, das unsere Hunde in ihrem Verhaltensrepertoire nicht leugnen können.

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© Shutterstock/richardernestyap

Orientierungsreflex: Die Aufmerksamkeit des Dingos ist gebündelt.

DIE JAGDSEQUENZ UND WAS SIE ANTREIBT

Als fester Bestandteil des Nahrungserwerbs ist das Jagdverhalten unseren Hunden angeboren, und ihre Sinnesorgane reagieren auf die passenden Auslösereize: So werden über die Augen optische Signalbilder wahrgenommen, Bewegung, Beuteschemata …, über die Nase olfaktorische, Witterung, Fährten, Spuren, Geläufe …, und über die Ohren akustische. Schmecken und Fühlen gesellen sich zu den hündischen Sinnen hinzu.
Es braucht eine Beutefangsequenz, die angepasst an die jeweilige Beute, die angeborenen Verhaltenspuzzleteile in die richtige Reihenfolge bringt: Orientieren, Fokussieren, Beschleichen, Verfolgen, Festhalten, Töten, Zerlegen und Vertilgen. Kaninchen und Hasen als Beute zu erkennen, ist angeboren, dass man die Puzzleteile seiner Beutefangsequenz an beide anpassen muss, ist eine Frage des Lernens. Die angepassten Jagdstrategien werden abgespeichert, hervorgekramt und fortlaufend verfeinert.

Wildhunde, wie der Australische Dingo, zeigen alle Puzzleteile in einer völlig ausgewogenen Ausprägung. Alle Puzzleteile sind gleich groß, eine Selektion hat nicht stattgefunden. Seine Beutefangsequenz ist zielführend, denn so macht er Beute. Werfen wir später einen Blick auf die Selektionsgeschichte der Jagd- und Hütehelfer, gilt der Begriff „zielführend“ in erster Linie für den Menschen, denn viele der vergrößerten Puzzleteile machen, biologisch betrachtet, überhaupt keinen Sinn. So käme der Beutegreifer nicht an seine Beute – bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag vorstehen oder mit heiterem Geläut Fährten und Spuren verfolgen, würde unter natürlichen Bedingungen jeden Jagderfolg vereiteln. Ursprüngliches Jagdverhalten ohne Selektionshintergrund ist aus biologischer Sicht ganz normales Verhalten. Im Verlauf der Beutefangsequenz liefert das jeweils vorhergehende Puzzleteil die nötige Erregung für das nachfolgende Puzzleteil, bis für das Festhalten und Töten ein ausreichendes Erregungsniveau erreicht ist. Das Vertilgen würde bei einem Dingo die Beutefangsequenz zum Abschluss bringen und das Erregungsniveau gleichermaßen senken. Begleitet der Botenstoff Dopamin die Beutefangsequenz vom Orientieren bis zum Zerlegen, bringen die Endorphine beim Vertilgen die Zufriedenheit.

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© Wolfgang Lang-Graf

Die Beutefangsequenz eines Dingos

Das SEEKING und sein Botenstoff

Vertilgen und Zufriedenheit sind genau das, was den Spezialisten am Ende ihrer Jagd- oder Hütesequenz fehlt, ohne Ermüdung läuft sie in einer Dauerschleife ab. Zur Beutefangsequenz eines Dingos gehört es, dass er seine Signalbilder in geringer Intensität erkennt und blitzschnell reagiert, extra schnelle Reizleitungen seines Nervensystems und ein entsprechender Körperbau helfen ihm dabei. Schauen wir uns das Dopamin als Botenstoff des Nervensystems genauer an. Es ist der Botenstoff des emotionalen Systems SEEKING, das Panksepp als eine der grundlegenden Emotionen der Säugetiere beschreibt. Distanzverringerung an potenziellen Ressourcen ist die Funktion des SEEKINGs, sein hohes Erregungsniveau und seine euphorisierende Komponente machen es recht robust gegen Störungen, und das genau ist es, was es uns Menschen so schwer macht, den Hund in seiner Hundewelt zu stören. Das SEEKING motiviert Neugier- und Erkundungsverhalten, Kontaktaufnahme mit Artgenossen, die Suche nach Ressourcen, angeborenen Auslösern und Bedürfnisbefriedigung, es motiviert die Puzzleteile der Beutefangsequenz, und was motiviert wird, setzt das Dopamin in Bewegung um. Motivation und das Aktivieren von Bewegung sind die Grundlage des Lernens, und beides holen wir uns ins Trainingsboot, das SEEKING und seinen Treibstoff, das Dopamin. Unsere Eintrittskarten in die Hundewelt sind unsere Marker-, Ankündigungs- und Verhaltenssignale, die wie ihre „wilde“ Signalverwandtschaft SEEKING und Dopamin verheißen. Vorfreude ist das, was das SEEKING schürt, und Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Darin sind wir Säugetiere uns alle gleich.

SELEKTION DER (JAGD-)HUNDETYPEN

Aus einer biologisch sinnbringenden Beutefangsequenz hat der Mensch für die Arbeit spezialisierte Helfer selektiert – Helfer für die Jagd und Helfer für die Hütearbeit. So addiert sich zum biologischen Erbe unserer jagdlich motivierten Vierbeiner ihre Selektionsgeschichte hinzu – beides unglaublich alt und genetisch fest verankert. In Populationen gibt es immer eine Normalverteilung: die goldene Mitte und die Schnarchnasen und ICEs nach unten und oben. Um für die Arbeit gezielt die spezifischen Puzzleteile der Beutefangsequenz zu vergrößern, nahm und nimmt man jene Individuen, die das Verhaltenselement am deutlichsten zeigen und auf die spezifischen Auslöser am stärksten und impulsivsten reagieren. Form und Funktion gehen bei der Selektion auf Arbeit Hand in Hand. So wird mit dem spezifischen Verhalten auf ein spezifisches Ex- und Interieur selektiert: eine/n passende/n Körperbau und Haartextur, sensible Sinnesorgane, ein impulsives Nervensystem mit noch schnelleren Reizleitungen, einen impulsiven Sympathikus, der blitzschnell Beute (und auch Gefahren) ortet. Adrenalin und Noradrenalin gibt es für das genetische Paket obendrauf, damit die Verhaltensreaktionen außen ebenso impulsiv sind wie das Innere. Jagd- und Hütehelfer werden auf das SEEKING und seinen Botenstoff, das Dopamin, selektiert, denn sowohl die Jagd- als auch die Hütesequenz sollen frei von Ermüdung ablaufen, ohne dass dabei Hunger eine Rolle spielt. Die spezialisierten Vierbeiner werden in ihr Arbeitsumfeld mit ihren spezifischen Auslösern verbracht, und dort spulen sie ihr Verhaltensprogramm in einer Endlosschleife ab. Für die Arbeit top, für den Alltag ein Flop. Die Selektionsmerkmale können wir daheim nicht ablegen, nur weil wir entspannt durch die Stadt schlendern oder durch Feld, Wald und Flur streifen wollen. Geruchliche, optische und akustische Signalbilder lauern überall, zur Not müssen unpassende Auslöser herhalten, wenn das Gehirn überreizt und gestresst ist. Dann treten die großen Puzzleteile übersteigert zutage und bahnen sich im schlimmsten Fa/ell ihren Weg in zwanghaftes, stereotypes Verhalten. Ein erhöhter Dopaminspiegel ist charakteristisch für die Jagd- und Hütehelfer, SEEKING-Verhalten in der Arbeit muss robust gegen Störungen sein, und nun? Wir wollen und müssen doch ab und zu stören, und das schaffen wir auch, aber wir schaffen es nur mit starkem Training. Nur starkes Verhalten vermag es, sich der SEEKING-Welle entgegenzustellen und den Stirnlappen ansprechbar zu halten. Allzu oft überrollt das SEEKING den Stirnlappen im Überschwang des Jagdfiebers, Entscheidungsfindung und Impulskontrolle sind damit gleichermaßen außer Kraft gesetzt. Mit dem SEEKING re/agiert das Reptiliengehirn (s. Kapitel „Das dreieinige Gehirn nach Paul MacLean“ hier und hier).

Idealbilder stehen in der Selektionsgeschichte zwar im Vordergrund, doch nicht alle Individuen spiegeln das Ideal wider, die genetische Variabilität und die individuellen Umwelten nehmen auf ihre Verhaltensentwicklung Einfluss. Für das Training schauen wir uns beides an: den Hundetyp und das Individuum in seiner individuellen Umwelt.

Je größer das Puzzleteil, desto schlechter ist die Unterbrechbarkeit – wollen wir stören, dann lautet die Devise, je früher, desto besser! Auch die engen Verzahnungen sind robust gegen Störungen. Wir stellen uns nicht gegen die großen Puzzleteile, wir holen sie uns ins Trainingsboot – wie, das erfahren Sie beim Lesen des Buches.

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© Sabine Otto

Als Allrounder geht dem Vizsla seine Quersuche auch im Wald leicht von der Pfote, dort wird dann buschiert.

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© Sabine Otto

Ob nun buschierend oder stöbernd, geschwind und geschickt geht es dort über Stock und über Stein.

DIE PUZZLETEILE DER JAGDHELFER

Jagd ohne Hund ist Schund! So heißt es unter Jägern. Seine/n Jagdhelfer bemüht der Jäger immer dann, wenn er vor oder nach dem Schuss auf dessen Fertigkeiten angewiesen ist, um des Wildes – gesund, krank oder tot – habhaft zu werden. Mit den jagdlichen Fertigkeiten wird selektiert auf ein passendes Äußeres, so braucht es in puncto Geschwindigkeit, Ausdauer und Kraft die passenden Gebäudestrukturen und Bewegungsabläufe: den Galopp-, Trab- oder Krafttyp und ihre Übergangsformen. Windhunde als Galopptyp haben ein quadratisches Gebäude für kurze Sprints mit weniger Ausdauer. Vorstehhunde rangieren je nach Spezialisierung zwischen Trab- und Galopptyp (Rechteck und Quadrat), ausdauernd und mit hoher Nase soll ihre Suche sein, aber auch flott und weit. Der Labrador unter den Retrievern z. B. verkörpert fürs Schwimmen und Apportieren die rechteckige Übergangsform vom Trab- zum Krafttyp. Im Inneren helfen z. B. ein entsprechendes WAS-, WO- und WIE-VIEL-System des Geruchssinnes beim Suchen und Verfolgen „wilder“ Gerüche und Kreaturen. Ein ausgeprägtes WO-System des Sehsinnes wird bei den Retrievern und ihrer Merkfähigkeit von Fallstellen mehr als deutlich. Kooperationsbereitschaft und Selbständigkeit sind sowohl für den Jäger als auch für den Nichtjäger interessante Selektionsmerkmale. Die nachfolgend abgebildeten Idealtypen entspringen einer Selektion auf Spezialisten. Mehr und mehr geht die Tendenz heute hingegen zum Allrounder, einem Hund, der für die Jagd, vielfältige Reviere und ein vielseitiges Aufgabenpotpourri viele Talente mitbringt. Viele Talente verwaschen die großen Puzzleteile, das ist aber nichts, was man nicht durch gutes Training wieder auffangen könnte.

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© Wolfgang Lang-Graf

Die Jagdsequenzen der Jagdhelfer

Kooperative Jagdhelfer

Beginnen wir mit den lenkbaren, kooperativen Jagdhelfern, die in ihren Arbeitsaufträgen vor und nach dem Schuss eng/er mit dem Jäger zusammenarbeiten.

Vorstehhunde, allen voran die Pointer und Setter, als Federwildspezialisten selektiert, zeigen im Feld eine raumgreifende, flotte, systematische Quersuche mit hoher Nase und nutzen dabei den Wind. Ist Federwild geortet, zeigen sie aus vollem Galopp festes Vorstehen, ziehen nach, wenn Fasan oder Rebhuhn sich drücken, und stehen durch, wenn diese abstreichen und der Jäger seinen Schuss anträgt: Suche, Vorstehen und Nachziehen sind eng miteinander verzahnt und das Nachprellen (Verfolgen) eher verkümmert. Mit dem Apport endet der Arbeitsauftrag, und die Suche beginnt aufs Neue.

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© Anna Auerbach

Vorstehhund

Retriever sind jene Spezialisten, deren Stunde nach dem Schuss schlägt. An der Seite seines Jägers wartet der Retriever geduldig und beobachtet das Jagdgeschehen, ob nun am Wasser oder an Land, äußerst penibel, er merkt sich eine oder mehrere Fallstellen von Ente, Fasan und Co. punktgenau, geht raus und landet geländeschonend, um das gefallende Wild zu apportieren – Rausgehen und Picken sind eng miteinander verzahnt. Hat er mal keinerlei Kenntnis etwaiger Fallstellen, kann er seine besondere Lenkbarkeit unter Beweis stellen und wird eingewiesen.

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© Anna Auerbach

Retriever

Stöberhunde wie die Spaniels buschieren oder stöbern unter der Flinte, auch quer, dabei weniger weit, aber nicht minder flink und in viel engeren Schleifen, sie tragen ihre Nase im Bewuchs. Die akribische Suche des Spaniels hat die Anmutung eines felligen Nähmaschinchens, jeder Halm, jedes Blatt … wird umgedreht. Wild drücken sie zwar aus dem Bewuchs heraus, verfolgen es dabei aber nur sehr kurz. Trifft der Schütze, kommen auch sie zum Apport.

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© Sabine Otto

Stöberhund

Selbstständige Jagdhelfer

Bei Jagdhelfern, die das Gros ihrer Arbeitsaufträge außer Sicht des Jägers erledigen und auf sich gestellt Entscheidungen treffen müssen, macht eine enge Zusammenarbeit wenig Sinn.

Teckel und Terrier müssen unter und über Tage insbesondere an wehrhaftem Wild selbstständige Entscheidungen treffen, haben sie wehrhaftes Wild gefunden, schlägt ihr Beutefangverhalten in defensive Aggression um.
Stöbernd machen sie auf der Suche nach Wild ordentlich Strecke, fallen frische Fährten oder Spuren laut und energisch an, um den abgestellten Schützen Anblick zu verschaffen.

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© Anna Auerbach

Teckel

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© Anna Auerbach

Terrier

Bracken brackieren: Hat die Bracke z. B. einen Hasen aufgemacht, ist es nicht seine Optik, die zum Verfolgen einlädt, es ist seine Spur, welche die Verfolgerin mit heiterem Geläut extrem weit voranbringt, bis das Langohr nach einigen hundert Metern oder gar Kilometern in seinen Einstand zurückkehrt und dort vom Jäger erlegt werden kann. In Ermangelung üppiger Brackier-Reviere sind Bracken gern gesehene Gäste auf Drückjagden, um Schalenwild auf die Läufe zu bringen und den Schützen zuzutreiben.

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© Tierfotoagentur/K. Mielke

Bracke

Schweißhunde sind zwar mit den Bracken verwandt, dennoch werden sie ausschließlich als Spezialisten für die Nachsuche am Riemen geführt: Sie suchen krank geschossenes Schalenwild auf seiner Wundfährte nach, der Jäger begibt sich dabei vertrauensvoll in die Pfoten seines Jagdgefährten und verlässt sich auf seine Expertise. Ganz im Sinne kniffeliger Nachsuchen wird diese herausragende, wichtige Fertigkeit durch nichts verwässert, also kein fröhliches Stöbern oder Verfolgen gesunder Fährten. Auf Lebendfunde wird der Verfolger zur Hatz geschnallt.

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© Tierfotoagentur/K. Mielke

Schweißhund

Windhunde, so z. B. der Galgo, und Podencos werden zwar oft in einem Atemzug genannt, weisen jedoch Unterschiede in ihren jagdlichen Strategien auf. Windhunde jagen rein auf Sicht, sie haben ein extrem weites Sichtfeld, damit ihnen nichts entgeht. Hat der Galgo einen Hasen erspäht, wird dieser geschwind gehetzt und gefangen. Podencos sind keine reinen Sichtjäger, bei ihnen spielen auch die Nase und die Ohren eine große Rolle, wenn sie Kaninchen suchen, finden, hetzen, fangen und bringen. Angepasst an die Lebensweisen von Hasen und Kaninchen machen diese Differenzen durchaus Sinn.

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© Anna Auerbach

Windhund

DIE PUZZLETEILE DER HÜTEHELFER

Hüteverhalten? Was hat das hier zu suchen, mögen Sie sich fragen. Hüteverhalten ist verändertes Jagdverhalten, statt an Wild arbeiten die Hütehelfer an Nutztieren und üben an ihnen Bewegungskontrolle aus. Bewegung ist das Stichwort, denn Wild bewegt sich auch, und Wildtieren ist es egal, ob sie gehütet oder gejagt werden, stressend ist es allemal. Ausgestattet mit sensiblen Ohren und Augen, um Veränderungen an einer Herde sofort ausmachen zu können, entgeht ihnen auch im Alltag ohne Arbeitshintergrund keine Bewegung, kein Geräusch bleibt lange ungehört. An einer Herde müssen auch kleine Umweltkontraste blitzschnell registriert werden, in einer Großstadt kann ihnen das schnell zum Verhängnis werden, unzählige Reize prasseln in das Gehirn des Hütehundes, kaum etwas wird ausgefiltert, scheint doch alles bedeutsam. Gerade das Dopamin ist es, was die Aufmerksamkeit dieses Hundetyps immer wieder in die Ferne schweifen lässt, nichts bleibt unentdeckt. Blättern Sie kurz zurück, zu den Selektionsmerkmalen der Jagd- und Hütehelfer. Wie so oft kann man das eine nicht ohne das andere haben, so kümmert sich der Sympathikus nicht nur um das Ermitteln von Auslösern für Bewegungskontrolle, er stuft insbesondere Geräusche schneller als bedrohlich ein. Schauen Sie sich um, in unserer Umwelt ist eine Menge los, blitzschnell verknüpfen sich Angst- und Hüteverhalten zu einem brisanten Cocktail, wenn z. B. der Border Collie versucht, motorisierte Fahrzeuge aller Art zu stoppen. Distanz- und Treibhunde sind die Unterkategorien der Hütehunde, sie unterscheiden sich gemäß ihrer spezifischen Arbeit an verschiedenen Nutztieren in der Ausprägung ihrer großen Puzzleteile, Form und Funktion.

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© Wolfgang Lang-Graf

Die Hütesequenzen der Hütehelfer

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Beeindruckendes Belauern an einer Schafherde.

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© Anna Auerbach

Der Australian Cattle Dog packt seine Spielbeute.

Spezial

UNERWÜNSCHTEM HÜTEVERHALTEN BEGEGNEN
— von Petra Elsbeck-Möller

Um hunderte von Weidetieren zusammenzuhalten, sind wichtige Selektionsmerkmale von Hütehunden sensible Augen, Ohren und eine impulsive Reaktionsfähigkeit. Hüteverhalten geht immer mit einem hohen Erregungsniveau einher, sowohl bei der Hütearbeit als auch bei Verhaltensauffälligkeiten.

Weidetiere werden von einem jungen Hütehund im ersten Kontakt oft beschwichtigt, Hüteverhalten kommt noch unvollendet zum Ausdruck. Die Puzzleteile des Hütens sind zwar genetisch angelegt, aber nicht sofort sinnvoll nutzbar, um z. B. Schafe zu betreuen. Erst durch eine durchdachte Anleitung lernt der Hund, diese kontrolliert und schafschonend einzusetzen.

ERLERNTE BEWEGUNGSKONTROLLE

Die so erlernten Techniken werden in stressenden Situationen auf den Stressauslöser übertragen, z. B. Fahrzeuge kontrollieren, die bedrohlich wirken.

BEWEGUNGSKONTROLLE VORBEUGEN

Augenarbeit gehört in die Belohnungskiste!

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© Anna Auerbach

Der Border Collie hat den Auslöser fokussiert, er belauert.

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Frisbee mal anders: Auch als optisches Target macht es Laune.

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© Anna Auerbach

Dem Belauerten bereitet das Belauern nicht wirklich Freude.

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Kurzhaar Collies schätzen das Verfolgen bewegter Objekte.

BEDINGUNGEN, UNTER DENEN (JAGD)VERHALTEN ENTSTEHT

LEBENDIGER JÄGER IN LEBENDIGER UMWELT

Was wir Menschen von unseren vierbeinigen Begleitern in jagdlich reizvollem Umfeld erwarten, ist klar, was wir nicht mehr erwarten, umso klarer. Der Trainingsplan ist geschmiedet, und es geht frisch ans Werk. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn weder unerwünschtes Jagdverhalten noch die erwünschten Puzzleteile der Jagdsequenz und alternativen Verhaltensreaktionen entstehen in luftleerem Raum – wir trainieren nicht im Labor, sondern in jagdlich reizvoller Umgebung, und unsere Lehrlinge sind Individuen mit Gehirnen, Emotionen und Bedürfnissen. Die Lerntheorie ist die eine Seite der Trainingsmedaille, die es zu beleuchten gilt, und eine optimale Lerngrundlage die andere. Ungünstige Bedingungen erschweren das Lernen erwünschten Verhaltens und erleichtern das Auftreten unerwünschten Verhaltens – wie wir es auch drehen und wenden, die Bedingungen, unter denen (Um)Lernen stattfinden soll, müssen passen. Erfassen Sie die Bedingungen penibel genau, verändern Sie ungünstige kurz-, mittel- und langfristig und starten Sie unter günstigen Bedingungen in das Projekt: Impulskontrolle in „wilder“ Umwelt oder Warten und Unterbrechen dort, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen.

AUSLÖSER UNERWÜNSCHTEN JAGDVERHALTENS

Nicht alle der Bedingungen bringen wir gleich mit unerwünschtem Jagdverhalten in Verbindung, doch dass es dafür Auslöser gibt, ist ein schlüssiger Zusammenhang. Machen Sie sich ein detailliertes Bild davon, wie es um die individuellen Auslöser Ihres Hundes bestellt ist:

Die Auslöser des Individuums

Je umfangreicher das Bild ist, das Sie mit den Auslösern, ihren Vorboten und Sequenzen gezeichnet haben, desto bedachter sollten Sie das Lernumfeld auswählen. Mehr Auslöser und Vorboten machen mehr unerwünschtes Jagd- oder Hüteverhalten und weniger erwünschte/s Puzzleteile oder Alternativverhalten. Es macht einen gewaltigen Trainingsunterschied, ob Ihr Jäger alle paar Wochen mal ein Reh erspäht, das ihn in Wallung versetzt, es bei Ihnen ansonsten kein Schalenwild gibt und er auf kleinere (Wild-)Tiere gar nicht anspringt oder ob Ihr Vierbeiner auf alles reagiert, was sich bewegt: Nutztiere, Wildtiere, Katzen … und zahlreiche, unpassende Auslöser. Jagd- und Hüteverhalten, das leicht auslösbar ist – die großen Puzzleteile Ihres Individuums geben darüber Auskunft –, tritt nicht nur oft auf, es muss ebenso oft unterbrochen werden, also spielt auch Frustration bei unseren Überlegungen eine Rolle. Frustration wirkt stressend, Stress macht erwünschtes Verhalten unwahrscheinlicher und selbstbelohnendes Verhalten wird bevorzugt.

Überprüfen Sie Ihren gemeinsamen Trainingserfolg: Hat (Um)Lernen stattgefunden? Sehen Sie mehr erwünschtes und weniger unerwünschtes Verhalten? Wie steht es um die individuellen Jagdsequenzen Ihres Gefährten?

Wenn nicht, dann leisten Sie Detektivarbeit und stöbern nach ungünstigen Lernbedingungen.

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© Wolfgang Lang-Graf

Die Auslöser des Individuums

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© Wolfgang Lang-Graf

Die Puzzleteile des Individuums vor und nach dem Training

IMPULSIVITÄT: OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE

Impulsives Verhalten? Leidgeprüfte Besitzer jagdlich motivierter Vierbeiner müssen nicht lange überlegen, denn schnell sehen sie vor ihrem geistigen Auge, wie ihr Jäger voller Verzückung jeglichen Bewuchs auf links dreht, im Jagdfieber verheißungsvollen Spuren folgt und in den „wilden“ Jagdgründen verschwindet, hopsend und schreiend in der Leine baumelt, weil Nachbars Katze den Weg kreuzt, einen Hasen aufmacht, um diesen gleich darauf mit fröhlichem Jagdgeläut über Stock und Stein zu verfolgen.
Es geht um Bewegung, die rasch startet, sobald jagdliche Auslöser und ihre Vorboten ausgemacht sind. Gerade in jagdlich reizvoller Umwelt sind die hündischen Sinne geschärft, denn „wilde“ Reize sind hier höchstwahrscheinlich. Das SEEKING bringt das Jagdfieber und das Dopamin die passenden Bewegungen, impulsive Verhaltensreaktionen sind nicht nur schnell, sie sind auch emotional. Impulsivität beantwortet Reize ohne Umschweife, der erste Impuls, die erste Reaktion, das Verhalten erster Wahl starten sofort.

Und das passt zur leidvollen Ausgangslage, Warten und Unterbrechen sind aus Hundesicht keine Option. Die Emotionen, Auge in Auge mit den „wilden“ Bewohnern von Feld, Wald und Flur ist es das SEEKING, schäumen über, und an eine Hemmung von Jagdverhalten, z. B. Stöbern, Verfolgen …, ist nicht zu denken.

Selektionsmerkmal Impulsivität

An der Fähigkeit, das Verhalten erster Wahl zu hemmen, damit ein Verhalten zweiter Wahl starten kann, daran gilt es zu arbeiten. Dem ersten Impuls ohne Rückfragen zu folgen, birgt Gefahren, doch Gefahren und Risiken werden gerne in Kauf genommen, kein Weg ist zu weit, keine Brombeerhecke zu dicht, keine Strömung zu stark, kein Schilf zu scharf, kein Wild zu wehrhaft …, merken Sie etwas? Genau, da holt sie uns wieder ein, die Selektionsgeschichte der Spezialisten. Impulsivität ist ein Selektionsmerkmal unserer Jagd- und Hütehelfer, für die Arbeit werden jene Individuen bevorzugt, die auf ihre spezifischen Auslöser am schnellsten und impulsivsten reagieren.

Robust soll selektiertes Verhalten sein, robust gegen Ablenkung – was für die jagdliche und die Hütearbeit ein unabdingbares Gütesiegel ist, bringt uns im Alltag ein ums andere Mal in die Bredouille, denn die unerwünschten Puzzleteile der Jagd- oder Hütesequenz starten, und unsere Verhaltenssignale prallen an ihnen ab. Und nun? Jagd- und Hüteverhalten zu unterdrücken, hieße, sich gegen die Selektionsgeschichte zu stellen und über Bestrafung die großen Puzzleteile zu schwächen. Was gegen ein Training über Bestrafung spricht, durchleuchten wir im Kapitel rund ums Lernen. Es mag verlockend klingen, sind doch gewisse Hundetypen mit Attributen wie „leichtführig“ oder „will to please“ etikettiert, und „Gefallenwollen“ meint nichts anderes, als Bestrafung gegenüber sensibel zu sein. Doch holen wir uns die Selektionsgeschichte bzw. ihr Ergebnis ins Trainingsboot, arbeiten wir stressfrei, bedürfnisgerecht und nachhaltig. Irgendwie ist es paradox, da wird selektiert auf Robustheit, der Deutsch Drahthaar und der Deutsche Jagdterrier sind dafür ganz sicher herausragende Vertreter der Jagdgebrauchshundezunft, und damit einher geht eine Verschärfung möglicher Strafmaßnahmen, frei nach dem Motto: Harte Hunde brauchen hartes Training! Die „grünen Winke“ im Buch geben erste Hinweise auf einen freundlichen Umgang mit Hunden für den Jagdgebrauch. Doch nun zurück zu impulsivem (Jagd)Verhalten und der Frage, ob uns Impulsivität nicht doch von Fell zu Fell in die Karten spielt. Definitiv, denn auch Impulsivität hat zwei Seiten einer Medaille. So lassen sich die Reaktionen auf unsere Verhaltenssignale so trainieren, dass sie dem Hund impulsiv von der Pfote gehen – schnelles Stoppen, schnelles Herankommen, das gefällt der Bezugsperson. Wie so oft kann man das eine nicht ohne das andere haben, impulsive Reaktionen auf angeborene und erlernte Reize. Schnelle Hunde reagieren schnell. Robustem, angeborenem Verhalten stellen wir erlerntes Verhalten in den Weg, das wir durch eine gehaltvolle Verstärkungs- und Generalisierungsgeschichte immer robuster gegen Ablenkung machen.

VERSCHIEDENE URSACHEN VON IMPULSIVITÄT

Selektionsmerkmal Die Selektion auf spezifische Auslöser, SEEKING und Dopamin, defensive Aggression … bringen Impulsivität z. B. im jagdlichen Kontext.

Persönlichkeitsmerkmal Ein sympathisch dominantes Nervensystem sorgt für eine SEEKING- und gefühlsbetonte, stressanfällige Hundepersönlichkeit.

Normalverteilung In einer Population gibt es immer eine Normalverteilung, ob nun züchterische Selektion oder nicht, es gibt die ausgewogenen Modelle in der Mitte, die Schnarchnasen und ICEs als Extreme an den Rändern. Wird nun selektionsbedingt mit den ICEs weitergezüchtet und von jenen Nachkommen gibt es noch impulsivere ICEs, kommen wir zu immer extremeren Reaktionen.
Die Leistungslinien verschiedener Hundetypen sind dafür ein gutes Beispiel – für die jagdliche Arbeit fast grenzwertig und für den Alltag kaum kompatibel.

Lerndefizit Nicht impulsiv zu reagieren, hat keine Lern- bzw. Trainingsgeschichte. Leinenführigkeit, alles rund ums Warten und Unterbrechen … sind dem Hund nicht bekannt.

Operant gelernt Impulsives Verhalten lohnt sich. Jagd- und Hüteverhalten sind selbstbelohnend, und die „wilde“ Umwelt sorgt zusätzlich für verstärkende Momente.

Konditionierte Erregung Örtlichkeiten werden rasch zu Vorhersagern jagdlicher Auslöser und Erregung: Orte, an denen der Hund bereits Wild getroffen hat, oder die jagdlich reizvolle Umwelt per se. Auch die jagdlichen Auslöser selbst sagen schnell ausnahmslos Erregung und SEEKING vorher, wenn wir nicht für ein entspannendes Moment sorgen. Rasch wird die Leine zum Vorhersager von Frust und Erregung, zu oft schränkt sie Bewegung und SEEKING ein.

Stress Die Instanz für Impulskontrolle sitzt im Frontallappen, der wiederum sehr stressanfällig ist. Stress begünstigt demnach impulsives Verhalten, ob der Hund nun bereits gut trainiert ist oder nicht. Motivationskonflikte, aufgebrauchte Impulskontrolle, Frustration, Hintergrundstress …
verdienen darum besondere Beachtung.

Trainings- und Lerngeschichte Haftet der Trainingsgeschichte das Lernen über Bestrafung an, begünstigt die stressende Wirkung ängstigender Strafe impulsives Verhalten.

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© Sabine Otto

Ob mit oder ohne Hindernis, der Apport des Kaninchens ist für den Kleinen Münsterländer eine leichte Übung.

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© Tanja Fittkau

Ein Federwildspezialist bei der Arbeit: der Pointer.

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© Sabine Otto

Buschieren, des English Springer Spaniels Sparte.

Impulsivität und das Warten auf Belohnungen

Impulsiven Hunden fällt es schwer, auf Belohnungen zu warten, und das Warten schwächt deren Wertigkeit extrem. Könnten Hunde wählen, ob eine minderwertige Belohnung sofort zur Verfügung stehe oder eine hochwertige etwas auf sich warten lasse, würden sie sich für die sofortige, minderwertige Belohnung entscheiden. Kennen Sie das alte Sprichwort: „Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.“? Betrachten wir das Problem von der biologischen Warte aus, dann sichert diese Einstellung das Überleben, denn wer weiß schon, ob die Taube tatsächlich vom Dach gepflückt und im Hundemagen landen kann. Die Suche nach dem goldenen Ei macht nicht satt, unter natürlichen Bedingungen machen solche Motivationskonflikte keinen Sinn. Nun beobachten wir keine Dingos in freier Wildbahn, sondern wir wollen unsere hündischen Gefährten in „wilder“ Umwelt zur Kooperation bewegen. Alles, was die „wilde“ Umwelt ihnen anbietet, verspricht prompte Bedürfnisbefriedigung, alles, was vom Menschen kommt, lässt auf sich warten. Stoppen und warten, bis die Bezugsperson den Hund abholt, auf das Rückrufsignal reagieren und den langen Weg zum Menschen zurücklegen …, Wartezeiten werten die tollsten Superbelohnungen ab. Können wir gegen die Halbwertszeit von Belohnungen etwas tun? Ja! Warmsignale und insbesondere das Ankersignal des doppelten Rückrufs überbrücken Wartezeiten, sie erinnern nicht nur an den hündischen Auftrag und geben Hilfestellung, sie erinnern ebenfalls an die herannahende Belohnung. Drehen wir den Spieß um, dann erreichen wir mit verlängertem Stehen und Gucken an Wild eine reduzierte Attraktivität. Hilfreich dabei ist natürlich, dass es beim Ausfindigmachen von Wild zu einer euphorisierenden Dopaminausschüttung kommt, beim längeren Betrachten hingegen bleibt der Spiegel gleich.
Eng verzahnt mit der Wertminderung von Belohnungen ist eine geringe Frustrationstoleranz: In puncto Aufmerksamkeit hat der Vierbeiner wenig Ausdauer, diese auf die Menschenwelt zu fokussieren, und er lässt sich durch seine Hundewelt leicht ablenken. Viele der Belohnungsmöglichkeiten im gleichnamigen Kapitel trainieren eine bessere Frustrationstoleranz und das Warten auf Belohnungen gleich mit, zum Laben an der Belohnung gehört ein Belohnungsverhalten:
Belauern, bevor die abspringende Spielbeute geschnappt werden darf, Verfolgen der Rückspur, bevor am Ende die begehrte Spielbeute wartet, Suchen, bevor der Futterbeutel gefunden wird …, viele kleine Dinge, die dem Hund dabei helfen, dranzubleiben. Kleinschrittigkeit führt uns auch bei den Belohnungsvarianten ans Ziel, und sind diese dann verstanden und wichtig, nutzen wir sie als hochwertige Verstärker erwünschten Verhaltens rund ums Warten und Unterbrechen.
Impulskontrolle in „wilder“ Umwelt muss sich lohnen! Im Trainingsendeffekt sorgen der Aus- und Aufbau von Frustrationstoleranz und Impulskontrolle für einen Abbau von Impulsivität.

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Auch Bracken-Mixe können das Belauern lernen.

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Belauern, verfolgen, schnappen und vertilgen, …

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… ein Gros der Beutefangsequenz in einem Rutsch.

SEEKING UND FRUSTRATION: EIN PREKÄRES DUO

Frustration kommt immer dann auf, wenn eine erwartete Belohnung ausbleibt oder ein Verhaltensziel nicht erreicht wird. Um frustriert zu sein, muss die Belohnung nicht unbedingt ganz ausfallen, auch wenn sie kleiner ist oder seltener kommt als erwartet, kann Frust entstehen. Des Weiteren kann eine geringere Wertigkeit der Belohnung eher ein Ärgernis als eine Freude sein. Werfen wir einen Blick auf unsere hoch motivierten Begleiter in „wilder“ Umwelt, anfangs managen wir die unerwünschten Puzzleteile über eine lange Leine, später regulieren wir sie über unsere Verhaltenssignale rund ums Warten und Unterbrechen.
siehe hier