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Für Flo Strigl und Andrea Raßhofer

 

© Piper Verlag GmbH, München 2019

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas

Covermotiv: Jan Greune / Lookphotos

Litho : Lorenz & Zeller, Inning a. A.

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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Am Anfang war der Aufbau

 

Jedes Jahr Mitte Juli, etwa zwei Monate vor Beginn des bekanntesten Volksfestes der Welt, fahren die ersten Sattelschlepper über die Münchner Theresienwiese. Geschäftige Handwerker und Zeltbaumeister suchen die ihnen vom Tourismusamt der Landeshauptstadt zugewiesenen Plätze auf – und langsam aber sicher erheben sich auf der große Asphaltfläche mitten in München riesige Bierzelte und bunte Fahrgeschäfte. Bauarbeiter schrauben in schwindelerregenden Höhen am Fünferlooping herum oder bringen die tragenden Teile eines Bierzeltes in Position.

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Dort wo die Container sprießen formt sich bald Asphalt zur Wiesn.

 

Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, was das für eine Schwerstarbeit ist, so ein Zelt aufzubauen. Ich bin jedes Mal wieder fasziniert. Alles beginnt dabei mit den »Bindern« – jenen riesigen tragenden Bauteilen, die quasi das Skelett einer jeden Festhalle sind. Nach und nach entstehen dann die Seitenschiffe, das Dach und das Innenleben des Zeltes. Alles wird schön eins nach dem anderen gebaut: Balkonvorrichtungen, Bodenbretter, Planken, Balken, Elektronik. Zuletzt wird die Ausschmückung vernagelt, verlegt und befestigt. Man hört es von allen Seiten klopfen und bohren, schrauben und hämmern, scheppern und brummen. Aber nicht nur den Ohren wird etwas geboten, auch den Augen und der Nase: Es riecht nach Harz und man sieht Schilder, Büsten, Statuen, Kränze, Schmuck-Fässer, Puppen und Leuchtkonstruktionen herumliegen.

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Er hält schon während des Aufbaus den Krug Brummt kurz und leert ihn in nur einem Zug.

 

Die ganze Wiesn erwacht zum Leben. Drinnen klopfen Zimmermänner die Balken der Zelte fest, draußen überprüfen TÜV-Mitarbeiter die Fahrgeschäfte auf Sicherheit. Überall stehen Schwertransporter und Lieferwägen herum. Stressfrei, aber hochproduktiv sind da Hunderte bei der Arbeit. Es geht drunter und drüber.

Bis heute gehe ich Jahr für Jahr mit meiner Mutter gleich zu Beginn, wenn Münchens »fünfte Jahreszeit« eingeläutet wird, auf die Theresienwiese. Wir lieben die Klopfgeräusche und die Atmosphäre, den Geruch und den Luxus, in solch einer schönen Stadt wohnen zu dürfen und das Entstehen eines so wunderbaren Volksfestes hautnah und live miterleben zu können. Für mich als bekennenden Wiesnfan beginnt nämlich der ganze Spaß schon hier, beim Aufbau.

Das Oktoberfest ist quasi wie eine Achterbahnfahrt, die Mitte Juli langsam und mit viel Vorfreude im Bauch beginnt, sich täglich steigert, dann plötzlich losrauscht, ihre Fahrt über gut zwei Wochen turbulent und mitreißend fortsetzt, um dann Anfang Oktober in einem höchst zufriedenstellenden Finale zu enden. In freudiger Erwartung der nächsten Runde. Bereits den Anfang dieser Reise nehme ich stets mit großer Freude wahr.

Ich kann mich erinnern, als ich im Alter von etwa neun Jahren mit Schulfreunden das erste Mal diesem jährlichen Entstehungs-Spektakel beiwohnte. Wir fuhren mit der S-Bahn von Pasing zur Hackerbrücke und liefen rüber zur Theresienwiese in der Erwartung, eine Art Volksfest-Geisterstadt vorzufinden, da es ja noch viele Wochen vorm Anstich war – jenem wunderbaren Zeremoniell, das den offiziellen Beginn des Oktoberfests mit einem sauberen Schlegelschlag des jeweiligen Oberbürgermeisters markiert. Als wir Buben aber ankamen und anstatt einer bereits fertig errichteten aber halt noch ausgestorbenen Festwiese lauter halb fertige Zelt-Gerippe, fleißige Handwerker, herumrennende Schausteller und zahlreiche, emsig brummende Lieferfahrzeuge vorfanden, staunten wir nicht schlecht. Ein älterer Münchner, der auf einer Bank am Rand der Theresienwiese saß, bemerkte unsere Verwirrung. Wenn ich mich recht erinnere, sagte er etwas missbilligend: »Da kennas wieder recht rumgschaftln alle mitanander!« (»Da können sie sich alle wieder schön wichtigmachen.«) Und gleich darauf hatte er einen bahnbrechenden Einfall: »Warum lassens des Zeig denn ned glei as ganze Jahr steh? Na hättens ned oiwei aufs Neie des Gfrett.« (»Warum lassen diese Leute das Gelumpe nicht einfach das ganze Jahr über stehen? Dann hätten sie nicht jedes Mal erneut diese Umstände.«) Damals wusste ich keine Antwort auf diese durchaus berechtigte Frage. Heute würde ich sagen: »Weil es halt einfach der Lauf der Dinge ist. Des is doch logisch. Ohne Ebbe gäb es keine Flut, ohne Ying kein Yang und ohne Aufbau keinen Abbau, ergo: keine vernünftige Wiesn.« Außerdem finden auf der Theresienwiese während des restlichen Jahrs immer wieder andere Veranstaltungen statt, wie würde denn das ausschauen, wenn mitten im Tollwood-Weihnachtsmarkt plötzlich eine Achterbahn oder ein großes Bierzelt stehen würde?

 

Fazit: In jedem wahren Münchner wächst die Vorfreude auf das schönste Ereignis des Jahres, sobald der Oktoberfest-Aufbau begonnen hat. Dann ab jetzt sind es nämlich wirklich nur noch ein paar Wochen, bis es endlich es wieder heißt: »Ozapft is!«

 

Da wie bei jeder größeren Baustelle auch für das leibliche Wohl gesorgt werden muss, gibt es einzelne »Zelt-Kantinen«, wo die Arbeiter zu fairen Preisen (genauso wie beim eigentlichen Oktoberfest) feine und mit Liebe zubereitete Speisen und Getränke kaufen können. Da während des Aufbauzeitraums auch oft Schaulustige und Spaziergänger des Weges kommen, war es eine Zeit lang zwar nicht offiziell gestattet, aber dennoch geduldet, dass auch Nichtbeschäftigte in den Genuss des Kantinenbesuches kamen. Das nahm auch niemals überhand oder wurde zu einem Problem, dennoch benötigt man mittlerweile im Idealfall einen Mitarbeiter-Ausweis, um in der schönen Sommersonne vor der Wiesn-Kantine ein Bier und ein Hendl zu verköstigen. Setzt man sich ohne Ausweis dazu, wird es im Zweifelsfall von den Mitarbeitern der Kantinen geduldet. Hab ich mir sagen lassen.

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Sonne, Trunk und auch Terrinedas alles gibts in der Kantine.

 

Das Wort »Oktoberfest«

Etwa 90 % der Weltbevölkerung kennt das Wort »Oktoberfest«. Damit ist es das berühmteste deutsche Wort.

 

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Taxi, Kranz und Chili-Nuss Oktoberfest ist ein Genuss.

 

Geschichtliches zum Münchner Oktoberfest

Zur Gründung Münchens

Es heißt, dass sich Mitte des achten Jahrhunderts nach Christi Geburt zwei Mönche aus dem heiligen Kloster Schäftlarn auf die Suche nach einem ruhigen und schönen Ort etwas weiter nördlich machten, um Besinnung und Erquickung zu finden. Sie ruhten sie sich unterwegs auf einer kleinen, von Bäumen umringten Anhöhe aus. Nachdem sie ihre mitgebrachte Brotzeit verspeist hatten, dürstete es die beiden und sie tranken das wohlschmeckende und kristallklare Wasser aus dem nahe gelegenen, reißenden Fluss.

»Oh, wie wohl tät es mir jetzt, wenn dies Wasser etwas süffiger im Geschmack wär«, rief da wohl der eine Mönch aus und der andere pflichtete ihm sicherlich sogleich bei.

Sie sprachen vielleicht sogar noch ein Gebet mit dem Wunsch, dass hier eines Tages ein erfrischender Trunk – ähnlich des ihnen bereits wohlbekannten Bieres – gereicht werden solle, an dem sich die Menschen gleichwohl am Tage und bei Nacht gütlich tun können würden. Nach der Andacht beschlossen sie, genau an dieser Stelle eine Kirche aus Holz zu errichten und benannten sie traditionell nach dem heiligen Petrus. Gesagt, getan! Beide sprachen damals schon gepflegtes Bairisch und überliefertes Keltisch, aber als gute Mönche auch ein wenig Latein und so hießen sie das gewünschte Getränk »Salvator« (»Heiler der Welt«), die Anhöhe »Petersbergl« und das Gewässer »ys ura« (»rasant dahinfließendes Wasser«). Sie lebten bis an ihr Ende in Bescheidenheit und Dankbarkeit.

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So mancher Krug, ja da schau her ist nach dem ersten Schluck schon leer.

 

 

400 Jahre später erbaute Heinrich der Löwe, der damalige Herzog von Bayern und Sachsen, eine prachtvolle Brücke, die das eine Ufer des Flusses (dessen Name »ys ura« sich inzwischen wegen der leichteren Aussprache in »Isar« gewandelt hatte) mit dem anderen verband, wo mittlerweile eine romanische Klosterkirche stand. Der Herzog liebte die Gegend und die kleinen Flussinseln am Brückenfuß. Noch mehr jedoch liebte er den Handel. Deshalb ließ er vorsorglich die weiter nördlich gelegene, dem Bistum Freising zugehörige und bislang wirtschaftlich unentbehrliche Oberföhringer Brücke in Schutt und Asche legen, um somit anhand seiner eigenen Brücke (der nun einzigen weit und breit) die Pferdefuhrwerke besser kontrollieren und die Staatskasse kräftigenden Zoll verlangen zu können.

Damit alles seine Ordnung hatte, beantragte er in Augsburg das Markt-, Zins- und Zollrecht, welches ihm Friedrich I. Barbarossa gern zusprach. Heinrich der Löwe freute sich, scherzte, dass dieser Ort in ferner Zukunft einmal die »nördlichste Stadt Italiens« werden würde und übernahm deshalb zusätzlich sicherheitshalber auch den Brenner.

Im »Augsburger Schied«, jener am 14. Juni 1158 von Friedrich I. abgefassten Urkunde, findet sich auch der früheste Beleg des Namens dieser nördlichsten Stadt Italiens. In der Urkunde ist die Rede vom »forum apud … Munichen«, also einem Markt in der Nähe einer Mönchs-Siedlung. »Munich« ist also nicht nur das englische Wort für »München«, sondern auch ein althochdeutsches Wort, das später zu »Münich, Münech, Münch« wurde. Der Name »München« kommt also von den »Mönchen«, wahrscheinlich von denen auf dem Petersbergl.

Zur Entstehung des Oktoberfestes

Die ursprünglichen, in ganz Bayern noch heute weitverbreiteten Volksfeste im Oktober dienten zum Verzehr des (bis dahin noch nicht verbrauchten) Märzenbieres vor Beginn der neuen Brausaison. Diese beginnt übrigens traditionell mit dem Einkauf der Bier-Rohstoffe im Herbst und endet im Frühjahr, unter anderem deshalb, weil in den »heißen« Sommermonaten früher Brandgefahr beim Biersieden herrschte. Das Märzenbier ist ein untergäriges Lagerbier. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es in jeder Hinsicht ein wenig kräftiger ist als ein gewöhnliches Helles: Sowohl der Geschmack, als auch die Farbe, als auch der Alkoholgehalt sind etwas stärker. Ein Helles verhält sich zum Märzen wie Benzin zum Super.

 

Das heute in der ganzen Welt bekannte Münchner Oktoberfest hatte allerdings einen ganz anderen Hintergrund: eine Hochzeit. Am 12. Oktober 1810 nämlich heiratete der damalige Kronprinz Ludwig (der künftige Ludwig I. von Bayern) die Prinzessin Therese Charlotte Luise Friederike Amalie von Sachsen-Hildburghausen, die er dem ebenfalls heiratswilligen Napoleon einfach vor der Nase weggeschnappt hatte. Fünf Tage nach der Hochzeit fand im Zuge der großen Feierlichkeiten auf einer Wiese vor den Toren Münchens ein Pferderennen statt, zu dem viele Herrschaften von hohem Rang geladen waren. Zu Ehren der jungen Braut benannte man den Platz nach ihr: Theresienwiese.

Theresienwiese

Ein Maßkrug wollt den Baum erklimmen sich stählen, stärken, wappnen, trimmen. Dann machte er an einem Ast gemütlich (und bis heute) Rast.

 

Auf den guten Rat eines Mitarbeiters hin entschloss sich der Kronprinz, in den darauffolgenden Jahren wieder jeweils im Oktober ein Fest abzuhalten – nun aber im Stile antiker olympischer Spiele. Ludwig war nämlich dem damaligen Zeitgeist des Klassizismus und Neuhumanismus verfallen, ein begeisterter Anhänger der griechischen Antike und daher auch sofort Feuer und Flamme – vor allem für die Idee, das Oktoberfest olympisch zu gestalten. Er liebte den Gedanken, München in ein »Isar-Athen« zu verwandeln.

An den eigentlichen »olympischen« Plan für das Oktoberfest erinnert heutzutage nicht mehr viel – wenn man nicht gerade direkt vor der Bavaria steht und zur Ruhmeshalle raufschaut. Wer das macht, sollte sich allerdings auch gleich kurz Zeit nehmen, die Augen schließen und sich vorstellen, Mitte des 19. Jahrhunderts (vielleicht gerade während eines schönen Sonnenunterganges) am Fuße der Bavaria zu sein. Die Theresienwiese war seinerzeit weder mitten im Zentrum noch asphaltiert, sondern eine tatsächliche Wiese vor den Toren Münchens, weit und breit nur Natur und freie Sicht, einzig diese riesige Statue ragte vor jenem antik anmutenden Tempel gen Himmel. Dieses Experiment sollte man mindestens einmal während eines Oktoberfestbesuchs machen. Dem Ludwig I. zuliebe.

König Ludwig I. von Bayern

König Ludwig I. war Vater von neun Kindern, darunter der spätere König Maximilian II. (der seinerseits der Vater vom »Kini« Ludwig II. war) und Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach, der wiederum später König von Griechenland war. Ottos Walten in Griechenland hatte übrigens zur Folge, dass dort zeitweise das bayrische Reinheitsgebot galt. Der bayerische Braumeister Johann Karl Fix war der Hoflieferant des Königs und gründete die erste Großbrauerei Griechenlands zu Zeiten der Regentschaft Ottos. Das bayerische Fix-Bier wird seit 2009 wieder in Griechenland gebraut. Die griechische Flagge, die Otto seinerzeit eingeführt hatte, trägt bis heute die bayrischen weiß-blauen Farben, und eine Seelenverwandtschaft zwischen Bayern und Griechen ist unbestritten. Ludwig I. ist zudem verantwortlich, dass »Bayern« mit Ypsilon geschrieben wird, als Zeichen der Verbundenheit zu Griechenland und in Anlehnung an das dortige Alphabet. Ähnliche Verhaltensweisen wie Sturheit, Herzlichkeit, Mutterwitz und Misstrauen gegenüber Obrigkeiten sind beiden Bevölkerungsgruppen zutiefst vertraut. In Griechenland gibt es ein wichtiges wie in seinem Kern jedem Bayern wohlbekanntes Sprichwort: »Fassuli, Fassuli, je missito Sakkuli« (»Böhnchen für Böhnchen füllt sich das Säcklein«) – auf Bayrisch: »A bisserl was geht oiwei.« (»Ein bisschen was geht immer.«) Auf hochdeutsch »Kleinvieh macht auch Mist.«

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Erst gut zwanzig Jahre nach dem ursprünglichen Oktoberfest auf der Theresienwiese begann der Architekt Leo von Klenze mit der Planung der Ruhmeshalle, kurze Zeit später entwarf der Bildhauer Ludwig Schwanthaler die ersten Skizzen der Bavaria, der Patronin Bayerns, die in ihrer linken Hand einen Eichenkranz und in der rechten ein Schwert hält. In ihr Gewand ist ein Bärenfell eingearbeitet und ein Löwe begleitet sie. Historiker diskutieren bis zum heutigen Tage, welche Bedeutung die verschiedenen Attribute haben mögen. Vor allem der Löwe bereitet vielen Wissenschaftlern Kopfzerbrechen. Steht er für die Wehrhaftigkeit der Bavaria oder ist er nur das Wappentier? Der Münchner Turnverein von 1860 hat damit nichts zu tun, da er erst 10 Jahre nach Einweihung der Bavaria ins Leben gerufen wurde. (Nur zur Information: Der FC Bayern wurde im Jahre 1900 gegründet.) Jedenfalls wurde die Bavaria in der heutigen Erzgießereistraße unter der Aufsicht des Erzgießers Johann Baptist Stiglmaier gegossen. Auch wenn die Ruhmeshalle zum Zeitpunkt der Errichtung der Bavaria noch nicht fertiggestellt war (ihre Einweihung folgte drei Jahre später), wurde die Bavaria im Jahre 1850 am 9. Oktober feierlich eingeweiht.

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Löwe, Schwert und Eichenkranz

wachen über Bier und Tanz.

 

Blöderweise war König Ludwig I. von Bayern da schon nicht mehr König. Er hatte den Bogen überspannt. Er hatte nämlich im Jahre 1844 (34 Jahre nach dem ersten Oktoberfest) die Anhebung des Bierpreises um einen Pfennig geplant. Die Erhöhung des Brotpreises hatte die Bevölkerung noch hingenommen, aber die Nachricht von einer möglichen Bierpreiserhöung war zu viel. Über zweitausend Menschen stürmten noch am selben Abend Brauereien, Gasthäuser und Bierkeller, bedienten sich eigenmächtig am guten Gerstensaft und schlugen alles kurz und klein. Die Bierrevolution war ausgebrochen. Sofort wurde das Militär verständigt. Es zeigte sich aber solidarisch mit den Aufständischen und verweigerte das Einschreiten. Wenige Tage später zog der König sein Vorhaben wieder zurück, um kurze Zeit später den Bierpreis sogar zu senken, »um dem Militär und der arbeitenden Klasse einen gesunden und wohlfeilen Trunk zu bieten.« (Im Jahre 1995 wiederholte sich die Geschichte in abgewandelter Form, als in München 25.000 Bürger erfolgreich auf die Straße gingen, um eine Sperrzeitverkürzung in Biergärten zu verhindern.) Der Münchner versteht eine Menge Spaß, außer wenn es ums Bier geht.

Als der König nach diesem Biereklat auch noch durch die skandalöse Affäre mit der irischen Tänzerin Lola Montez die Wut der Bevölkerung auf sich zog, kam es zu erheblichen Unruhen, die letztlich zum Abdanken des Königs führten. Er überließ den Thron und die feierliche Enthüllung der Bavaria seinem erstgeborenen Sohn Maximilian II. von Bayern. Hätten die Münchner damals geahnt, welche Bedeutung das Oktoberfest einmal weltweit für ihre Stadt haben würde, wären sie vielleicht ein bisschen freundlicher mit dem armen Ludwig I. umgesprungen.

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Auf dem Oktoberfest kamen über die Jahre hinweg immer neue Attraktionen dazu und das Theresienwiesen-Oktoberfest wurde größer und größer. Immer mehr Jahrmarktbetreiber meldeten sich an und so gab es nach kurzer Zeit zahlreiche Schaukeln, Karusselle, Kletterbäume, Losbuden und Kaschperltheater. Nicht gerade »olympisch«, aber schön. Das Volk nahm dies jedenfalls begeistert auf. Schon bald war klar, was die Münchner meinten, wenn sie im Spätsommer/Frühherbst sagten: »Mir gehn aufd Wiesn.« Sie würden sich den Wonnen des Oktoberfestes auf der Theresienwiese hingeben.

1881 gab es dann endlich das erste Wiesnhendl und die bisherigen einfach gezimmerten Bierbuden wichen ersten Bierhallen. Laufend wurde etwas verbessert und erneuert. Irgendwann verwendete man auch elektrisches Licht. In heutigen Tagen gibt es sogar Heizstrahler. Doch keine technische Errungenschaft konnte dem innersten Wesenskern der Wiesn Einhalt gebieten: Die Ursprünglichkeit hat das Oktoberfest sich immer behalten.

Trittbrettfahrer

Durch die wachsende Beliebtheit des Münchner Oktoberfestes gibt es zahlreiche Trittbrettfahrer. In Asien, Kanada, den USA, Australien, Brasilien, Österreich und vielen anderen Orten werden Oktoberfeste nachgestellt und teils halbwegs authentisch, teils komplett misslungen imitiert. Aber auch im Deutschland gibt es Nachahmer, wie zum Beispiel das Cannstatter Volksfest (im Volksmund »Wasen« genannt), das zum ersten Mal acht Jahre nach dem Münchner Oktoberfest im Jahre 1818 in der Nähe von Stuttgart stattfand und sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreut. Vergleiche mit dem Münchner Oktoberfest sind unsinnig, aber ich war schon dort und kann den Wasen als ordentliches und schönes Volksfest durchaus empfehlen. Unter anderem findet auch in Hannover ein rege besuchtes Oktoberfest statt, im thüringischen Hildburghausen wird das Theresienfest gefeiert und in Hamburg gibt es die Wandsbeker Wies’n. Mit falschem Apostroph.

Trittbrettfahrer

 

 

Warum schon im September?

Ursprünglich begann das Oktoberfest tatsächlich im Oktober. Da es in diesem Monat aber oftmals bereits recht ungemütlich ist, wurde hin- und herüberlegt, ob es da nicht eine geschicktere Lösung gäbe. Bereits im Jahre 1828 wurde beantragt, einige Wochen früher anzufangen. Der Stadtrat, bis heute ein mitunter zäher Haufen, lehnte es ab, da die um die Theresienwiese liegenden Felder seinerzeit noch landwirtschaftlich bewirtschaftet wurden und man den Pächtern den Ertrag nicht verwehren wollte. Denn schon damals war das Fest bei den Münchnern sehr beliebt und das Schuhwerk fest, sodass die Befürchtungen, die Ernte könne »zertrampelt« werden, mehr als berechtigt waren. Petrus missfiel diese ungemütliche Entscheidung des Stadtrates allem Anschein nach, denn es regnete während des Oktoberfestes in Strömen. Im Jahr darauf blieb alles beim alten und Petrus ließ einen Schneesturm über die Theresienwiese hinwegfegen. »Ja Herrschaft, hat man denn nie seine Ruh?«, riefen da die Stadträte. Es musste eine sinnvolle Lösung her. Die Mühlen in Bayern mahlen langsamer als anderswo und so verging beinahe ein halbes Jahrhundert, bis man sich bei nächtelangen winterlichen Debatten in gutbeheizten Hinterzimmern Münchner Gastronomiebetriebe dazu durchgerungen hatte, die Theresienwiese und die darum herum liegenden Felder in Bauland umzuwandeln und ab sofort das Oktoberfest am ersten Sonntag im Oktober enden und somit im September beginnen zu lassen.

»Über das Clima Münchens verlauten vielfache, theils schlimme Gerüchte«

Münchner Reiseführer, 1863

Sonne

 

 

Nun war allen geholfen und der Anstich konnte zu angenehmen Temperaturen stattfinden. Traditionell wird an einem Samstag »angestochen« und an einem Sonntag »abgezapft«. Als allerdings im Jahre 1989 ein Pfälzer Bundeskanzler grußlos den Tag der deutschen Einheit auf den Todestag seines Mentors Franz Josef Strauß legte – noch dazu (zufällig) ein Jahr nach dessen Ableben – entschieden sich die Münchner Oktoberfestverantwortlichen, jenen zwiefachen Feiertag zum großen Wiesnfinale zu erheben. Die Regel lautet seither: Wenn der 3. Oktober auf einen Montag oder einen Dienstag falle, soll in diesen Fällen das Fest um einen oder gar zwei Tage verlängert werden. Mindestens dauert die Wiesn also 16 Tage und im Idealfall 18 Tage.

 

Der liebe GOTT mag die Wiesn, möchte man meinen. Deshalb lässt er den Petrus auch oft die Sonne scheinen und die Biergartenbedienungen auf der Theresienwiese frohlocken ebenso wie die Besucher, denen die Stimmung im Zelt etwas zu gewaltig ist. Im Biergarten geht es nämlich insgesamt etwas gesitteter zu. Man muss halt auf den Genuss der Stimmungsband verzichten. Dafür gibt es draußen frische Luft, wenn man nicht gerade an einem Tisch mit alteingesessenen Zigarrenrauchern sitzt. Für Raucher ist es auf dem Oktoberfest nämlich organisatorisch etwas schwierig geworden, wenn sie sich innerhalb des Zeltes niedergelassen haben. Möchten sie dem Tabakgenuss frönen, müssen sie vors Zelt gehen. Allerdings gibt es Alternativen wie Raucherbalkons oder ähnliches. Denn, wir erinnern uns: A bisserl was geht oiwei.

Tabakgenuss unter weiß-blauem Himmel

Man darf seit 2010 offiziell nicht mehr innerhalb der Bierzelte rauchen. Für viele war die Durchführung dieses Verbotes unvorstellbar, aber dann kam der profilierungssüchtige Chef einer unbedeutenden Partei auf die Idee, ein Volksbegehren einzuleiten. Kaum jemand nahm es ernst, daher war die Abstimmungsbeteiligung sehr gering. Resultat: Rauchverbot in ganz Bayern. Also auch auf dem Oktoberfest. Das Problem dabei ist zum einen, dass es der Gemütlichkeit schadet, wenn ständig Leute zum Rauchen weggehen, und zum andern, dass mancher das Pech hat, nicht mehr ins Zelt eingelassen zu werden, weil es während seines Zigarettengenusses wegen Überfüllung geschlossen wurde. Die Zeltwirte jedoch waren nicht träge und haben für gut funktionierende Alternativen gesorgt. Zum Beispiel kann man im Winzerer Fähndl – sofern man auf der vorderen Galerie reserviert hat – auf einem hübsch gestalteten Balkon rauchend verweilen und dabei einen atemberaubenden Blick auf die Festwiese und auf die Bavaria werfen. Auch das Hackerzelt hat durch seinen 2016 neu erbauten wunderschönen Südbalkon für eine attraktive Lösung gesorgt. Übrigens sind auch Nichtraucher auf diesem Balkon herzlich willkommen. Ansonsten gibt es meist hinter oder an den Seiten der Zelte kleine abgesperrte Raucherbereiche.

Innerhalb des Zeltes und überall anders auch ist lediglich der gute alte Schnupftabak erlaubt. Man erhält ihn an den Oktoberfest-Tabakständen und bei »fliegenden Händlern« im Bierzelt.

Tabakgenuss

 

 

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Vergesst doch Kummer und Verdruss

und frönt dem Schnupftabak-Genuss.

 

Hinkommen und Orientierung

Anfahrt

Am besten erreicht man die Festwiese mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder geht zu Fuß. Fahrzeuge selbst zu bewegen ist zwar eine feine Sache, aber zum einen darf man in der Nähe der Wiesn eh nirgends parken und außerdem kann man dann nix trinken. Und nix trinken mag zwar oft sinnvoll sein, auf dem Oktoberfest jedoch ist es ein ausgemachter Schmarrn.

Die U-Bahn

Wenn man sich in München nicht auskennt, fährt man am besten mit den U-Bahn-Linien U4 oder U5 zur Station »Theresienwiese«. Von der Innenstadt kommend in Fahrtrichtung vorn (Süd) gelangt man direkt ins Herz des Oktoberfestes. Da das viele Leute wissen, ist dieser Ausgang oft überfüllt. Je nach Andrang wird man manchmal vom Personal der Verkehrsbetriebe über den hinteren Ausgang bei der Paulskirche umgeleitet. Am besten lässt man sich schon hier treiben und marschiert einfach der Meute hinterher. Verfehlt hat nach meinen gründlichen Recherchen das Oktoberfest noch keiner.

Wenn man sich ein bisserl auskennt, kann man alternativ auch mit den Linien U3 oder U6 zum »Goetheplatz« oder zur »Poccistraße« fahren. Von dort ist es nur ein kurzer Fußmarsch. Kommt man von Westen her, empfiehlt sich die U-Bahn-Station »Schwanthalerhöhe«. Diese Station erreicht man mit den Linien U4 und U5. Und auch hier nutzt man nach dem Ausstieg entweder eine Stadtkarte oder folgt einfach den Menschen über den schönen Marsch vorbei an der Bavaria. Keine Sorge: Die gehen auch alle auf die Wiesn.

Die S-Bahn

Die S-Bahn hält ebenfalls in der Nähe des Oktoberfestes, nämlich an der »Hackerbrücke«. Diese Station liegt zwischen dem »Hauptbahnhof« und der Haltestelle »Donnersbergerbrücke« und wird glücklicherweise von sämtlichen S-Bahnlinien angefahren. Von der Hackerbrücke aus läuft man nur ein paar Minuten bis zur Wiesn und landet direkt beim Haupteingang. Auch hier: einfach dem Strom folgen. Gibt es keinen Strom, dem man folgen kann, hat man sich entweder in der Himmelsrichtung, der Uhrzeit oder dem Datum vertan.

Die Trambahn

Mit den Trambahnlinien 18 und 19 kann man ebenfalls aufs Oktoberfest gelangen, am besten steigt man bei der Haltestelle »Hermann Lingg-Straße« aus. Wie immer: einfach den Leuten mit den bayerischen Gewändern hinterherrennen.

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Für Freunde hält man jederzeit ein schönes Plätzchen stets bereit.

 

Der Bus

Eine sehr gute Haltestelle ist die »Hans-Fischer-Straße«. Hier hält der Bus Nummer 56. Man folgt einfach den Geräuschen und Düften.

Die Wohnmobile

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Der Hut schützt mich vor Sonnen-Hitz

wenn ich bei Fisch und Biere sitz.

 

Während des Oktoberfestes sind die Straßen rund um die Wiesn für Wohnmobile nicht befahrbar. Am Straßenrand zu übernachten klingt zwar verlockend, ist im ganzen Stadtgebiet aber nicht erlaubt. Die Polizei kontrolliert ständig – wirklich! Parkmöglichkeiten mit sanitären Einrichtungen für ca. 1.000 Wohnmobile gibt es im Osten Münchens am De-Gasperi-Bogen am Messegelände Riem. Von dort aus kann man gemütlich mit den Öffentlichen auf die Wiesn fahren. Haltestelle: Messestadt Ost. Weitere Camping-Möglichkeiten:

  • Obermenzing (Lochhausener Str. 59)
  • Thalkirchen (Zentralländstr. 49)
  • Wiesn-Camp (Schichtlstr. 46–48)

Der Pkw

Zur Sicherheit noch einmal: Den sollte man lieber stehen lassen. Erstens wegen Alkohol am Steuer und zweitens weil man, wie eingangs schon erwähnt, eh keinen Parkplatz findet.

Das Taxi

Taxifahrer rund um das Oktoberfest schalten ihr Leuchtschild selten an, damit sie erst mal überprüfen können, in welchem Rauschzustand sich der potenzielle Fahrgast befindet und ob womöglich mit »bösen Überraschungen« zu rechnen ist. Eigentlich ist dieses Verhalten umstritten, allerdings aufgrund langjähriger Erfahrung des Autors mit betrunkenen Festwiesnbesuchern durchaus nachvollziehbar. Verwerflich sind einzig jene Taxifahrer, denen die Fahrt nicht genug Profit abwirft und die deshalb die Fahrgastmitnahme verweigern. Solche Fahrer sollte man sofort bei der Taxizentrale melden, sofern man sich noch verständlich artikulieren kann. Gern werden gut gekleidete Pärchen befördert, die machen selten Probleme. An der Hans-Fischer-Straße (Südseite der Wiesn, kurz nach der Bavaria) stehen abends haufenweise Taxis bereit.

Die Rikschafahrer

Rikschafahren macht Spaß und man bleibt an der frischen Luft. Aber Obacht! Viele Rikschafahrer verlangen schamlos horrende Unsummen. Nicht alle, aber viele. Man sollte deshalb wissen, wie weit das Ziel entfernt ist und vorher einen angemessenen Preis aushandeln, den man zu zahlen bereit ist. Sonst: Lieber schnell zu Fuß laufen, als für eine Strecke von fünfhundert Metern zu zweit 50,– € zu bezahlen.

Behindertenstellplätze

Es gibt rund 100 Schwerbehindertenstellplätze im Südteil der Theresienwiese, die Zufahrt ist an der Stielerstraße. Die Fahrzeuge der diversen Hilfsorganisationen fahren bitte über die Anlieferstraße WEST hinter dem Marstallzelt.

Was ist wo, und wo bin ich?

Die Struktur der Wiesn ist im Grunde sehr klar und übersichtlich. Es gibt zwei große Eingänge, die sich jeweils am nördlichen Ende der beiden großen Gassen des Oktoberfestes befinden:

Der Haupteingang mit dem »Willkommen zum Oktoberfest«-Tor ist am Anfang der Wirtsbudenstraße (im Volksmund auch gern »Zeltstraße«, »Bierstraße« oder »Biergasse« genannt, weil es hier das »flüssige Gold« gibt), an deren beiden Seiten sich so gut wie alle maßgeblichen Festzelte nebeneinander aufreihen.

Der (südliche) U-Bahn-Ausgang »Theresienstraße« ist am Anfang der Schaustellerstraße (im Volksmund auch »Schaubudengasse«, »Fahrgeschäftestraße« oder »Sensationsgasse« genannt), die in ca. 150 Metern Luftlinie parallel zur Wirtsbudenstraße verläuft und in der sich Karusselle, Autoscooter, Geister- und Achterbahnen befinden. In der Schaustellerstraße gibt es auch Schnapsstände. Die gibt es in der Wirtsbudenstraße nicht.

Kurz zusammengefasst: Beim Haupteingang gibt es Essen und Bier, parallel davon Attraktionen und Schnaps. Wenn man nicht an chronischer Unlust oder Klaustrophobie leidet, ist hier garantiert für jede Frau, jeden Mann, jede Greisin, jeden Greis, jedes Mädel und jeden Knaben ein alles ausfüllendes Kurzzeitvergnügen zu finden. Die Wirtsbuden- und die Schaustellerstraße sind durch fünf übersichtliche Zwischengassen miteinander verbunden. So ist die Wiesn in gewissem Sinne ein leicht verzogenes Schachbrett der Glückseligkeit.

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Wer so zufrieden ist wie ich, den freut das Dasein sicherlich.

 

Uebersichtsplan_mit_Fahrgeschaeften_2019

 

Einige sehr schnell und gut sichtbare Punkte sollte man sich vor dem Biergenuss einprägen, damit man immer weiß, wo man ist:

  • Paulskirche am nördlichen Ende außerhalb der Wiesn (vor dem Haupteingang).
  • Haupteingang am nördlichen Ende der Wirtsbudenstraße.
  • Turm vor der Augustiner Festhalle (auf der Hälfte der Wirtsbudenstraße).
  • Paulaner-Maßkrug oben auf dem Winzerer Fähndl (dort gehts zur Bavaria).
  • Bavaria.
  • Riesenrad.
  • U-Bahnhof »Theresienwiese« am nördlichen Ende der Schaustellerstraße.
  • Löwenbräu-Löwe vor dem Löwenbräuzelt.
  • Fischer-Kahn neben dem Fischer-Vroni-Zelt.

 

Gepäckaufbewahrung

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