Brandhorst, Andrea Omni

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© Piper Verlag GmbH, München 2016
© »Die Sterne zählen« Piper Verlag GmbH, München 2019
Covergestaltung: Guter Punkt, München
Coverabbildung: Lorenz Hideyoshi

 

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Zitate

Jede hinreichend fortschrittliche Technologie
ist von Magie nicht zu unterscheiden.

Arthur C. Clarke

 

Was in mir dunkel ist, erleuchte du,

Was in mir niedrig, heb und stütze du.

Sie wanderten mit langsam zagem Schritt

Und Hand in Hand aus Eden ihres Wegs.

Paradise Lost

John Milton

Prolog

Der Asteroid, ein Felsbrocken mit einem Durchmesser von knapp fünfhundert Kilometern, zog einsam seine Bahn am Ende des Perseusarms der Milchstraße, viele Lichtjahre vom nächsten Sonnensystem entfernt. An seinem dunklen Himmel leuchtete das Feuerrad der Galaxis, hell genug, um auf der rauen, zerklüfteten Oberfläche des Asteroiden Muster aus Licht und Schatten zu erschaffen. Der Felsbrocken hatte keine Atmosphäre, die Schallwellen übertragen konnte, aber der Mann hörte, wie die dünne Kruste aus Methan- und Ammoniakeis unter seinen Stiefeln knirschte, als er sich der Mulde mit der Figur näherte, die älter war als er selbst, älter als zehntausend Jahre. Der Kontinua-Film – die für gewöhnliche Augen unsichtbare zweite Haut, die ihn vor dem kalten Vakuum des Alls und der harten Strahlung schützte – verwandelte die Vibrationen in Geräusche.

Die Figur erhob sich am tiefsten Punkt der Mulde; sie war einem Humanoiden nachempfunden, vielleicht einer Frau, die Gesichtszüge wirkten weich und sanft. Beide Arme waren erhoben, den Sternen entgegengestreckt. Wie bei seinem ersten Besuch vor mehr als tausend Jahren betrachtete der Mann die jadegrünen Augen und versuchte zu verstehen, was ihr Blick bedeutete. Sehnsucht? Staunen angesichts der Unermesslichkeit des Universums? Zum siebten Mal befand sich der Mann an diesem Ort, und wieder lag etwas anderes in den Augen, diesmal vielleicht ein Hauch von Melancholie.

Ein Licht erschien neben ihm, ein blauer Punkt, der zur senkrechten Linie einer Kontinua-Brücke wurde. Eine Gestalt trat aus ihr, legte mit einem Schritt so viele Lichtjahre zurück, wie der Mann alt war: zehntausend.

»Wieder hier, Aurelius?« Die Worte der Gestalt klangen wie leiser Gesang. »An diesem Ort?«

Der Mann lächelte kurz, vielleicht ein wenig wehmütig. »Von hier aus kann ich die Erde sehen.«

»Die Erde, Aurelius?«

»Beziehungsweise den Punkt der Galaxis, wo sich das Sol-System befindet.« Er deutete nach oben zum Orionarm der Galaxis. »Dort. Es gibt nicht mehr viele Menschen, die sich daran erinnern.«

»Außer dir nur fünf. Die anderen ausgewählten Reisenden.«

Der Mann namens Aurelius, vor zehn Jahrtausenden auf der Erde als Lukas Jaylen Ciriako geboren, deutete auf die Figur. »Wer hat die Statue erschaffen? Sie ist eine Million Jahre alt. Das sagen die Sensoren meines Schiffes.«

»Wir sind Omni, aber selbst wir wissen nicht alles.« Die Gestalt, die aus dem blauen Leuchten der Kontinua-Brücke gekommen war, breitete dünne Arme aus. »Warum wählst du für unser Treffen ausgerechnet diesen abgelegenen Ort?«

»Weil er abgelegen ist. Weil man hier Abstand hat, die Dinge aus einer anderen Perspektive sieht. Auf der Erde gibt es – oder gab es – ein Sprichwort: ›Man muss den Wald verlassen, um ihn zu sehen.‹«

Aurelius wandte sich von der Statue ab, die seit einer Million Jahren die Arme zu den Sternen hob. Das Wesen, das aus der Brücke gekommen war, schien mehr Licht als feste Substanz zu sein. Es ähnelte den Engeln des Sprawl, durch das die Raumschiffe der Menschen und einiger Äquivalent-Zivilisationen flogen. Vielleicht war es so alt wie die Statue, vielleicht noch viel älter. Aurelius kannte es seit fast zehntausend Jahren: Thrako von den Inper, der dreizehnten von vierzehn ihm bekannten Superzivilisationen des Omni.

»Das klingt nachdenklich«, sagte Thrako. Aurelius dachte von ihm als »er«, aber vermutlich hatte der Inper gar kein Geschlecht. Elfenbeinfarben und halb durchsichtig stand er vor dem Blau der Brücke, die Gliedmaßen lang und dünn, der Rumpf in der Mitte wie zusammengeschnürt, der schmale Kopf ein nach hinten führender Bogen. Die großen, silbernen Augen nahmen die Hälfte des Gesichts ein.

»Ich bin nachdenklich«, sagte Aurelius. »Ich denke über unsere Missionen nach. Sie scheinen nicht viel zu bewirken. Wir greifen hier und dort ein, vorsichtig, mit sanfter Hand, oft an Stellen, die auf den ersten Blick betrachtet unwichtig sind, und offenbar verändert sich nicht viel.«

»Zehntausend Jahre sind nicht viel Zeit.«

»Für Menschen schon.«

»Für einzelne von ihnen, für Individuen, aber nicht für die ganze Spezies, nicht für ihre Rolle auf der galaktischen Bühne.«

Aurelius seufzte, blickte erneut nach oben und betrachtete die Milchstraße. Eine große Bühne, ja, mit mehr Darstellern, als ein Mensch zählen konnte, und es fand nicht nur ein Stück auf ihr statt, sondern viele, vor allem Dramen und Tragödien.

»Eine letzte Mission«, sagte er langsam und fühlte das Gewicht in den Worten. »Dann möchte ich zurück ins Omni. Zurück zu euch. Für hundert Jahre.«

»Du hast dir eine Rückkehr verdient, Aurelius. Du könntest sofort zurückkehren, und für mehr als nur hundert deiner Jahre.«

»Eine letzte Mission«, wiederholte Aurelius. »Damit ich genug Zeit bekomme für eine Neubesinnung.«

»Was hast du vor?«, fragte Thrako.

Aurelius schickte ihm die Daten.

Mehrere Sekunden verstrichen, und als Aurelius’ Blick zu den jadegrünen Augen der Figur zurückkehrte, schienen sie sich erneut verändert zu haben. Etwas Abwartendes lag jetzt in ihnen.

»Es würde dich in Gefahr bringen«, sagte Thrako schließlich.

»Das lässt sich nicht vermeiden.«

»Du kannst sterben, Aurelius. Du bist nicht vor Gewalt geschützt.«

»Ich weiß.«

»Wir würden es sehr bedauern, dich zu verlieren.«

»Omni wird mich nicht verlieren.«

»Du willst deine Anonymität aufgeben, dich zu erkennen geben.«

»Das sieht der Plan vor, ja. Ich werde auf alles vorbereitet sein.«

Thrako klang fast traurig, als er sang: »Man kann nie auf alles vorbereitet sein, Aurelius. Das Unerwartete liegt immer auf der Lauer, überall.«

»Ich werde so gut vorbereitet sein wie möglich. Ist Omni einverstanden?«

Wieder folgten zwei oder drei Sekunden der Stille. Im blauen Spalt der Kontinua-Brücke flackerte es.

»Natürlich. Es liegt in deinem Ermessensspielraum. Es betrifft dich. Ich/wir sind einverstanden.«

Aurelius neigte kurz den Kopf. »Gut. Ich mache mich sofort auf den Weg. Wir sehen uns bald wieder.« Er drehte sich um und ging in Richtung seines Schiffes, das hundert Meter entfernt zwischen den Felsen auf ihn wartete.

»Aurelius?«

Er blieb stehen und drehte sich halb um.

»Ich wünsche dir Glück«, sagte Thrako und winkte mit beiden schmalen Händen.

»Das Glück«, erwiderte Aurelius, »ist ein unsicherer Verbündeter.«

Ein verlorenes Paradies

1

Das Wohnboot schaukelte sanft auf den Wellen des globalen Ozeans. Mit geschlossenen Augen empfing Forrester das letzte warme Licht der untergehenden Sonne. Erst nach einer Weile merkte er, dass es still geworden war; er hörte nur noch das leise Plätschern, mit dem das Boot durchs Wasser glitt.

Er hob die Lider.

Eine junge Frau, vor kurzer Zeit noch ein Mädchen, saß zwei Meter entfernt auf den Fersen: eine schmale Silhouette, das lange Haar ebenso rot wie ihre Augen. Forrester betrachtete sie wie ein Wunder, das Wunder des Lebens, von ihm gezeugt, eine Crohani von Javaid. Die crohanische Reife hatte vor fünf Jahren auf diesem namenlosen Planeten eingesetzt und das Mädchen zu einer Frau heranwachsen lassen, aber Forrester sah noch immer das Kind, das sie gewesen war, als sie sich auf dieser Welt niedergelassen hatten, in der Hoffnung, von niemandem gefunden zu werden. Eine schöne Frau, dachte er mit dem Stolz des Vaters. Dass sie menschliche – seine – Gene in sich trug, dass sie nur zur Hälfte Crohani war, sah man ihr nicht an.

»Wie friedlich alles ist, wie still«, sagte Zinnober. So lautete die Übersetzung des crohanischen Namens, Isdina-Iaschu, in InterLingua, und so nannte Forrester sie seit fünf Jahren, seit er wusste, dass er eine Tochter hatte. Ein passender Name, fand er.

Sie blickte zum Himmel hoch, an dem bereits die ersten Sterne erschienen – hier am Äquator dauerte die Dämmerung nur wenige Minuten. Ihre Augen suchten etwas, wie jeden Abend, wenn das Firmament für wenige Minuten den Schleier hob und reflektiertes Licht der Sonne hinter der Krümmung des Planeten Objekte zeigte, die sich aus dem Orbit näherten.

»Denk nicht daran«, sagte Forrester. Er wusste, was Zinnober durch den Kopf ging.

»Ich hätte gern Gelegenheit gehabt, meine Mutter besser kennenzulernen«, sagte Zinnober und hielt noch immer Ausschau, nach einem glitzernden Punkt, der sich bewegte, nach einem Schiff. Sie lachte gern, sie war wie eine Blume, die das Licht liebte, aber ihre Stimmung konnte auch schnell umschlagen, als genügte manchmal der Hauch eines Schattens, um ihre Seele zu verdunkeln.

Forrester dachte an Nala, Zinnobers Mutter, die auf Javaid gestorben war. Er erinnerte sich an ihre letzten Worte, an ihr Blut und seine Schuld. »Sie hätte sich darüber gefreut zu sehen, was aus dir geworden ist.«

Ein Lächeln huschte über Zinnobers Lippen und verschwand wieder. Weitere Sterne erschienen. »Der Himmel wird nicht immer leer bleiben, Vinz. Irgendwann wird man uns finden.«

Forrester lag noch immer auf dem Vorderdeck des Wohnbootes und stützte sich auf die Ellenbogen. Warmer Wind strich über sie hinweg. »Wir haben unsere Spuren verwischt. Niemand weiß, dass wir hier sind. Außerdem liegt dieses Sonnensystem am Ende eines Nebenstrangs, fernab aller Hauptrouten; von hier aus geht es nur mit einem Sprungschiff oder einem Horati-Segler weiter. Warum sollte jemand hierherkommen?«

»Du hast dem Duka von Javaid ein Omni-Artefakt gestohlen, seinen Talisman. Und ich habe dabei geholfen. Ich bin zur Verräterin geworden. Schlimmer noch, ich bin das Produkt eines Verrats, denn Nala, eine seiner Exquisitinnen, hat sich mit einem Außenweltler eingelassen, mit dem Mann, der ihm später den Talisman stahl. Der Duka sucht uns beide, aber vor allem sucht er mich, denn ich verkörpere eine besondere Schmach für ihn. Wenn er mich findet, wird er mich bestrafen, ein Exempel an mir statuieren, um seine Ehre wiederherzustellen.«

Forrester hörte diese Worte nicht zum ersten Mal, aber sie schmerzten erneut. »Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.«

»Wir sind hier ganz allein«, sagte Zinnober. Sie sah übers Meer, das unruhiger zu werden begann. »Hier kann uns niemand helfen. Vielleicht hat der Duka einen Likotha geschickt. Likotha geben nie auf, auch wenn sie jahrelang unterwegs sind.«

Das Boot schaukelte heftiger.

»Es geht los.« Forrester stand auf. Vier Monde kletterten über den Horizont: der erste goldgelb; der zweite weiß und nicht weit von ihm entfernt; der dritte etwas weiter im Nordosten, blau wie Saphir und von grauen Linien durchzogen; der vierte rot wie Rubin. »Die Flutwelle kommt, so hoch wie seit Jahren nicht.«

»Vinz …« Sie benutzte oft die Kurzform seines Vornamens, hatte ihn nie »Vater« genannt. Die Gründe dafür kannte Forrester nicht.

Er stand auf und ergriff ihre Hand. »Komm zum Ruder.«

»Vinz …«

Er zog sie mit sich übers Deck zum Ruderstand, und dort kam sie, die Welle, eine silberne Wand, zwanzig Meter hoch, wie die Instrumente anzeigten, erzeugt von den Gezeitenkräften der vier Monde, die sich alle sieben Jahre in dieser Konstellation trafen. Sie waren vorbereitet, sie hatten geübt und den Autopiloten programmiert, für alle Fälle. Aber sie brauchten ihn nicht, denn jeder Handgriff saß, als sie das Wohnboot in den Wind drehten und die Segel setzten. Zinnober vergaß, was sie ihm hatte sagen wollen, und das war auch gut so. Erleichtert hörte Forrester ihr fröhliches Lachen, als sie selbst das Ruder übernahm und mit dem Boot die Welle ritt, fast fünfzig Kilometer weit, es dann über den Kamm hinweg in die glatte See dahinter steuerte.

»Und morgen sehen wir uns den Tempel am Riff an!«, rief Zinnober nach dem langen Wellenritt. Sie umarmte ihn und es schien wieder ein unbeschwertes Kind zu sein, das die Arme um ihn schlang.

 

In jener Nacht fand Forrester keine Ruhe. Als das Meer Stunden nach der großen Welle glatt wie Glas lag, als selbst das Plätschern am Rumpf des Wohnbootes aufhörte und es völlig still wurde, verließ er sein kleines Schlafzimmer, ging auf leisen Sohlen die Kajütentreppe hoch und trat auf dem Hauptdeck an die Reling. Fünf Jahre, dachte er; seine Gedanken schienen in dieser stillen Nacht laut im Kopf widerzuhallen. Seit fünf Jahren versteckten sie sich, aber selbst wenn sie niemand auf dieser abgelegenen Welt fand, irgendwann mussten sie fort von hier. Zinnober sollte mehr vom Leben erfahren als nur eine leere Welt und die Gesellschaft ihres Vaters; dort draußen wartete ein ganzes Universum auf sie. Aber wie sollte er sie schützen? Vor fünf Jahren, nach der Mission auf Javaid, hatte er die Agentur verlassen, um Zinnober in Sicherheit zu bringen – ein leichter Schritt, denn nach Nathans Ausscheiden war die Agentur ohnehin immer weniger Heimat für ihn gewesen. Leider bedeutete er, dass er nicht auf die früheren Ressourcen zurückgreifen konnte; er war, mehr oder weniger, auf sich allein gestellt.

Forrester atmete die kühle Luft tief ein, blickte nach oben und betrachtete das Band der Milchstraße am dunklen Himmel. Zahllose Sterne, zahllose Planeten, wimmelndes Leben … Zinnober hatte es verdient, das alles kennenzulernen.

Zwischen zwei besonders hellen Sternen blitzte es. Forrester hielt die Augen weit offen und wartete, aber das kurze Glitzern wiederholte sich nicht. Im Westen glühte eine Sternschnuppe auf; abgesehen davon rührte sich nichts am dunklen Himmel. Die Nacht blieb still, unbewegt.

Ich sehe Gespenster, dachte Forrester und kehrte unter Deck zurück.

2

Der Bioadapter des Wohnbootes stattete sie am nächsten Morgen mit Kiemen und einer dünnen Schuppenhaut aus, die Zinnober das Aussehen einer Nixe mit Flammenhaar verlieh.

»Die Rückbildung nachher kann recht unangenehm sein.« Forrester lauschte dem Klang seiner veränderten Stimme und betastete die Kiemenlappen an Hals und Brust. Der Adapter hatte dafür gesorgt, dass sie sich nicht wie Fremdkörper anfühlten.

»Damit werden wir schon fertig.« Im Licht der gerade über den fernen Horizont gekletterten Sonne trat Zinnober zum Rand des Wohnbootes, sprang und verschwand mit dem Kopf voran im grünblauen Meer.

Forrester folgte ihr.

Das Wasser war warm und klar wie Glas – alle Einzelheiten des Riffs ließen sich deutlich erkennen. Zinnober schwamm zwischen den Nesselbündeln von Äquivalent-Quallen, deren Gift ihrer Schuppenhaut nichts anhaben konnte. Ein Schwarm silbriger Stangenfische teilte sich vor ihr, als sie tiefer tauchte, dem Rücken des Riffs entgegen. Sie wirkte fast selbst wie ein Fisch, der einen roten Schleier trug.

Die Sensoren des Wohnbootes hatten weder Leviathane noch Äquiv-Haie in der Nähe geortet, aber Forrester hielt trotzdem mit seinen veränderten Augen – ein dünner Film schützte sie vor dem Salzwasser und erfüllte auch die Funktion einer Linse – nach ihnen Ausschau. Unter ihm tauchte Zinnober mit der Agilität, die ihr auch außerhalb des Wassers zu eigen war. Ihre Bewegungen wirkten wie ein Tanz, mal schneller, mal langsamer, und besaßen eine beeindruckende natürliche Eleganz.

Der alte Tempel – so hatte Forrester ihn genannt, obwohl es vielleicht die Reste einer untergegangenen Stadt waren, oder auch etwas ganz anderes – befand sich in einer Höhle in der Flanke des Riffs. Zinnober wartete dort auf ihn und winkte.

»Nicht so langsam, alter Mann, nicht so langsam!«, rief sie. Die Kiemen veränderten auch ihre Stimme.

In der Höhle war es nicht dunkel, aber düsterer als draußen im offenen Meer. Nur ganz oben, dicht unter der von Saugkrabben bewachsenen Decke, gab es eine kleine Luftblase, die Zinnober und Forrester aber nicht brauchten. Sie schwammen an den Stümpfen alabasterweißer Säulen vorbei, glitten über die muschelbesetzten Marmorplatten eingestürzter Decken hinweg und erreichten nach kurzer Zeit eine Art Nische in der Rückwand der Höhle. Forrester leuchtete mit der Lampe, die er mitgenommen hatte. Ihr Licht fiel auf sieben Statuen, die Geschöpfe aus unterschiedlichen Spezies zeigten, alle annähernd humanoid.

»Keine Fische«, sagte Zinnober. »Keine Bewohner des Meeres.«

»Dies muss einmal Teil einer Insel gewesen sein, oder eines Kontinents. Als ich zum ersten Mal hierhergekommen bin, habe ich die Bots des Schiffes unter anderem mit geologischen Untersuchungen beauftragt. Dieser Planet hatte einmal zwei Kontinente.«

»Und dies könnten ihre Bewohner gewesen sein.« Zinnober schwamm näher und berührte die Statuen, eine nach der anderen. Forrester wusste, wie sehr sie dies liebte: Artefakte, Hinterlassenschaften fremder Kulturen, die Schatten der Vergangenheit. Es lag an ihrer crohanischen Herkunft; das Vergangene, die Ahnen, spielten auf Javaid eine wichtige Rolle. »Oder es sind Darstellungen ihrer Götter.«

Zinnober drehte sich und ließ den Blick ihrer roten Augen durch die Höhle schweifen. »Vielleicht existieren sie noch, die alten Götter. Vielleicht haben sie den Untergang dieses Tempels überlebt.«

»Es gibt keine Götter, Zinnober«, sagte Forrester. »Es hat nie welche gegeben. Für Sünde, Buße und Erlösung sind allein wir selbst zuständig.« Das klang ziemlich bitter, selbst für seine eigenen Ohren, selbst hier, unter Wasser, und für einen Moment brachte es Erinnerungen an Nathan, der aus der Agentur gedrängt worden war, nachdem er versucht hatte, sie zu reformieren. In einem etwas leichteren Ton fügte er hinzu: »Und übrigens, so alt bin ich nicht. Nur siebzig Jahre, nicht einmal die Hälfte meines Lebens.«

Der Sensor an Forresters Hals meldete sich mit einer kurzen Vibration, die sich zweimal wiederholte.

Zinnober sah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. »Was ist?«

Mit kräftigen Bewegungen schwamm er zur Höhlenöffnung und blickte von dort nach oben, zur Wasseroberfläche. Zwei Schatten zeigten sich, wo nur einer sein sollte. Neben dem Wohnboot schaukelte ein zweites Objekt in der Dünung.

»Wir haben Besuch bekommen.«

Furcht erschien in Zinnobers Gesicht. Sie sah sich schnell um, wie auf der Suche nach einem Fluchtweg oder einem Versteck.

»Wer auch immer das dort oben ist …«, sagte Forrester langsam. »Er kann uns bestimmt orten. Ein Bioscanner genügt, um zu erkennen, dass sich hier unten zwei Lebensformen befinden, die nicht hierher gehören.«

»Wenn es Likotha sind, Vinz …«, begann Zinnober voller Furcht.

»Wir müssen zum Wohnboot zurück«, sagte Forrester und sah ihr in die roten Augen. »Was auch immer geschieht, wer auch immer der Besucher ist … Ich möchte, dass du sofort den sicheren Raum aufsuchst, wenn wir an Bord sind. Und du verlässt ihn nur, wenn ich das Zeichen gebe, hast du verstanden?«

»Ja, Vinz.«

3

Der Mann saß auf der Aussichtsplattform des Wohnbootes, vielleicht ein Mensch oder ein Angehöriger der menschenähnlichen Völker – das ließ sich nicht genau erkennen, als Forrester an Bord kletterte. Zinnober zögerte, aber nur für ein oder zwei Sekunden. Dann huschte sie davon, um im sicheren Raum Zuflucht zu suchen.

Forrester fragte sich, ob er eine Waffe aus dem Ausrüstungsraum holen sollte. Zwei Variatoren befanden sich dort, geladen und bereit, obwohl sie in den fünf Jahren auf dieser Welt nie eine Waffe gebraucht hatten. Er entschied sich dagegen. Der Mann auf der Aussichtsplattform wusste, dass sie an Bord gekommen waren, doch er saß einfach nur ruhig da und blickte übers Meer, ohne ihnen Beachtung zu schenken – er schien sich seiner sehr sicher zu sein. Das kleine Schiff, mit dem er gekommen war, kaum halb so groß wie das Wohnboot, sah aus wie ein großer Tropfen Metall, der hier und dort, wo ihn das Sonnenlicht in einem bestimmten Winkel erreichte, ölig schimmerte. Es trug keine Insignien oder Hoheitszeichen.

Forrester drückte mit beiden Händen auf die Kiemen, und sie erschlafften sofort, fielen von ihm ab. Er hustete, als sich die Atmung auf die Lunge umstellte, fühlte ein Brennen an Hals und Brust und ein schmerzhaftes Pochen hinter der Stirn. Die Verwendung eines Bioadapters hatte immer ihren Preis.

»Wer sind Sie?«, fragte er, als er sich dem Mann von hinten näherte, ohne dass sich der Fremde umdrehte. »Was machen Sie hier?«

»Auch Ihnen einen guten Tag, Vinzent Akurian Forrester.«

Kein Likotha, dachte Forrester. Kein Gesandter des Duka von Javaid. Also blieb nur …

»Ich nehme an, Sie sind von der Agentur«, sagte er und fühlte sich von den Schatten der Vergangenheit eingeholt.

»Das überrascht Sie doch nicht, oder? O bitte, nehmen Sie Platz, Vinzent. Sie brauchen nicht zu stehen, während Sie mit mir sprechen.«

Forrester setzte sich und blickte in eisgraue Augen. Das Gesicht des Mannes war farblos, die Haut von dünnen Falten durchzogen. Kein Mensch, sondern ein Wefing, vermutlich von Canaris, einer kalten Welt voller Eis und Schnee. Der Mantel, den er trug, wärmte nicht, sondern senkte die Temperatur für seinen Träger auf wenige Grad über dem Gefrierpunkt.

»Ich meine, Sie haben doch nicht ernsthaft damit gerechnet, hier unentdeckt zu bleiben, oder?« Eine graue Hand deutete über den Ozean.

»Ein unerforschtes Sonnensystem am Ende eines Nebenstrangs, fernab aller Hauptrouten …« Forrester zuckte die Schultern. »Wie haben Sie mich gefunden?«

»Die Agentur findet, wen und was sie finden will.« Ein Lächeln erschien kurz auf dem dünnlippigen Mund. »Das gilt für ehemalige Mitarbeiter wie Sie ebenso wie für … andere.«

Der Mann blickte an Forrester vorbei.

»Wo ist Ihre hübsche Begleiterin? Oh, ich nehme an, sie hat sich in den sicheren Raum zurückgezogen. Umso besser. Dann sind wir ungestört. Was ich zu sagen habe, ist ohnehin nur für Ihre Ohren bestimmt.«

»Die Antwort lautet Nein.«

Unter der Klimakapuze kamen weiße Brauen in die Höhe. »Sie wissen doch noch gar nicht, worum es geht.«

»Benedikt hat Sie geschickt«, sagte Forrester. »Er will, dass ich zurückkehre, dass ich wieder für ihn arbeite. Aber ich bin ausgestiegen. Das weiß er. Die Mission auf Javaid war mein letzter Einsatz; damit hat er sich einverstanden erklärt.«

»Inzwischen hat sich die Situation geändert, Forrester. Oh, bitte verzeihen Sie mir, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Rubens.« Der Mann im Klimamantel neigte kurz den Kopf.

»Es bleibt bei meinem Nein, Rubens.«

Der Wefing blickte erneut übers Meer und blinzelte im Sonnenschein. »Eine ruhige, friedliche Welt. Mir wäre es hier zu warm, aber ich nehme an, für Sie und Ihre Begleiterin – Zinnober, nicht wahr? – ist das Klima sehr angenehm. Auf der kleinen Insel, auf der Sie Ihr Schiff versteckt haben, befindet sich sogar ein Konstrukteur mit einem leistungsfähigen Molekülarchitekten, der alles herstellen kann, was Sie brauchen. Seit wann sind Sie auf diesem Planeten, seit fünf Jahren? Vermutlich hätten Sie es hier noch viel länger aushalten können, zwanzig oder dreißig Jahre, nicht wahr? Vorausgesetzt natürlich, dass der Duka Sie nicht findet. Oder seine Likotha. Ziemlich unangenehme Burschen, die Likotha. Scheren sich nicht um Regeln und Gesetze. Gehen mit dem Kopf durch die Wand, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Forrester fühlte sich wie von der Kälte des Klimamantels berührt. »Was soll das heißen? Was wollen Sie damit sagen?«

»Kennen Sie die Reisenden, Forrester?«

»Was?«

»Die Reisenden. Viele Tausend Jahre alte Menschen, vom Omni ausgewählt. Oder auserwählt.«

»Sie sind eine Legende.«

»Eine Handvoll Individuen, deren Leben von Omni verlängert wurde und die in alle Geheimnisse der Superzivilisationen eingeweiht sind. Derzeit sind es sechs, wie wir erfahren haben.«

»Es gibt sie wirklich?«, fragte Forrester.

»Sechs Menschen, mit einem von Omni verlängerten Leben, ausgestattet mit besonderen Fähigkeiten«, sagte Rubens und zog sich den Klimamantel etwas enger um die Schultern. »Mit Zugang zu überlegener Omni-Technik und dem Wissen der Superzivilisationen. Was wäre ein solches Individuum wert?«

»Wert? Denkt Benedikt noch immer in diesen Kategorien?«, fragte Forrester, obwohl er bis vor einigen Jahren ebenso gedacht hatte.

»Die Reisenden agieren im Verborgenen«, fuhr Rubens fort. Hinter ihm schimmerte der wie ölig wirkende Rumpf des kleinen Schiffes. Forrester fragte sich kurz, ob er allein gekommen war oder sich noch jemand an Bord befand. Benedikts Gesandter schien nicht bewaffnet zu sein. Sollte er versuchen, ihn zu überwältigen?

»Nein, versuchen Sie es nicht, Forrester«, sagte Rubens. »Sie würden es bitter bereuen.«

Ein Telepath? Forrester bemühte sich, nicht an Zinnober und den Zugangscode des sicheren Raums zu denken.

»Und nein, ich bin kein Telepath«, sagte Rubens. »Aber ich kann erraten, was Ihnen durch den Kopf geht. Zurück zu den Reisenden. Sie sind … Strippenzieher hinter den Kulissen? Kann man es so ausdrücken? Angeblich arbeiten sie an einem großen Plan von Omni, einem Plan, der sich über viele Jahrtausende erstreckt. Sie verändern unsere Zukunft, indem sie hier und dort ein Stück der Gegenwart verändern. Was genau sie tun, ist unbekannt, denn weder wir noch sonst jemand hatte jemals Gelegenheit, einen von ihnen zu befragen. Aber das könnte sich bald ändern.«

»Sie haben einen von ihnen gefunden?«

Wieder formten die dünnen Wefing-Lippen im Schatten der Kapuze ein kurzes Lächeln. »Wir werden ihn bald finden. Ein Parakosmiker namens Trifon Corneille weiß, dass dieses Individuum in siebzehn Ihrer Standardtage auf Caledonia Vier sein wird, einer angenehm kühlen Welt im Tryggwe-System, vierter Mond eines Gasriesen. Die Engel haben es ihm geflüstert.«

»Und er hat diese Information einfach so an Sie weitergegeben?« Forrester beobachtete Rubens, sein Schiff und den Himmel, dachte an Zinnober und ihre Sicherheit.

»Die Agentur hat überall Augen und Ohren, Forrester. Das wissen Sie so gut wie ich. Wie gesagt, in siebzehn Standardtagen wird der Reisende auf Caledonia Vier sein, und das Wort ›Standardtage‹ hat in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung, denn der Reisende, Aurelius genannt, wurde als Lukas Jaylen Ciriako auf der Erde geboren, vor zehntausend Jahren.«

»Auf der Erde?« So etwas wie widerwilliges Interesse erwachte in Forrester. »Er weiß, wo sich die Erde befindet?«

»Als Beauftragter von Omni weiß er noch viel mehr, aber ja: Er sollte wissen, wo sich die Erde befindet, denn immerhin stammt er von dort.«

Die Erde, legendäre Heimatwelt der Menschheit, seit Jahrtausenden verloren und vergessen. Als Kind hatte Forrester davon geträumt, sie irgendwann zu finden. Er hatte sich vorgestellt, wie er sie betrat und sich auf ihr bückte, wie er die Erde der Erde zwischen seinen Fingern fühlte.

»Sie werden Aurelius in siebzehn Tagen auf Caledonia Vier lokalisieren und für uns … requirieren.«

Forrester starrte den Mann im Kapuzenmantel an, als hätte er den Verstand verloren. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Ein Repräsentant von Omni wird sich auf keinen Fall mit der Agentur einlassen, das ist völlig ausgeschlossen. Und wenn Sie etwas gegen ihn unternehmen, fordern Sie Omni heraus. Benedikt und die anderen mögen ihre Augen und Ohren überall haben, aber gegen Omni hätten sie keine Chance. Nicht die geringste.«

»Das ist uns klar.«

»Also?«

»Nicht wir ›unternehmen‹ etwas gegen den Reisenden, sondern Sie.«

Forrester schüttelte den Kopf. »Es bleibt bei dem Nein. Jetzt erst recht.«

»Natürlich müssen Sie geschickt vorgehen«, sagte Rubens. »Deshalb wenden wir uns an Sie. Weil Sie geschickt sind. Weil Sie immer erkennen, worauf es ankommt. Weil Sie mit dem notwendigen Taktgefühl vorgehen. Sie werden den Reisenden, den man Aurelius nennt, in siebzehn Tagen auf Caledonia Vier lokalisieren und zur Zusammenarbeit mit uns bewegen.«

»Ich soll einen Beauftragten von Omni zur Kollaboration mit der Agentur bewegen?«

»Ja. Das Wie bleibt Ihnen überlassen. Da er freiwillig kaum zur Zusammenarbeit mit uns bereit sein dürfte … Ich schlage vor, dass Sie den Zehntausendjährigen aus dem Verkehr ziehen. Arrangieren Sie einen Unfall. Lassen Sie ihn verschwinden, nicht als Reisenden, sondern als einen gewöhnlichen Menschen.«

»Andere lassen sich vielleicht täuschen, aber Omni nicht.«

»Ich weiß. Es geht nur darum, etwas Zeit zu gewinnen und Aurelius an einen sicheren Ort zu bringen. Sie können auf die üblichen Fonds und lokalen Ressourcen zurückgreifen. Hier sind die aktuellen Informationen.« Rubens holte einen Datenstift unter seinem Kapuzenmantel hervor und hielt ihn in der ausgestreckten Hand.

Forrester nahm ihn nicht entgegen.

Rubens legte den Stift auf den nahen Tisch. »Er enthält auch eine Kontaktadresse auf Caledonia Vier. Dort erwartet man Ihre Vollzugsmeldung.«

Forrester hatte genug und stand auf. »Bitte richten Sie Benedikt meine besten Grüße aus und sagen Sie ihm, dass ich dankend ablehne.«

Der Mann im Kapuzenmantel blieb sitzen. Er hob den Kopf ein wenig und sah zu Forrester auf, seine Brauen wie Raureif über den eisgrauen Augen. »Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Dies ist kein Angebot, sondern eine Anweisung. Falls Sie so dumm sein sollten, nicht auf unsere Wünsche einzugehen … Dann könnte sich Benedikt gezwungen sehen, dem Duka von Javaid mitzuteilen, wo sich IsdinaIaschu aufhält, von Ihnen Zinnober genannt. Außerdem könnte die junge Dame erfahren, dass Sie für den Tod ihrer Mutter verantwortlich sind.«

Forrester erstarrte.

Rubens stand ebenfalls auf, ganz langsam. »Keine angenehme Vorstellung, wie? Offenbar habe ich bei Ihnen gerade einen wunden Punkt berührt; man sieht es Ihnen deutlich an. Benedikt könnte auch entscheiden, Zinnober – wie soll ich es nennen? – unter seine Obhut zu nehmen, bis Sie diesen Auftrag erfüllt haben. Und wenn Sie ihn nicht erfüllen … In dem Fall würde er die junge Frau vielleicht nach Javaid zurückbringen lassen, um dem Duka einen Gefallen zu tun.«

Plötzlich bewegte sich Rubens sehr schnell. Für einen Moment wurde er zu einem Schemen, und dann war er so nahe, dass Forrester die Kühle des Klimamantels fühlte. »Die Agentur findet Sie überall, Forrester. Sie können sich nicht vor ihr verstecken, nirgends. Wenn Sie sich weigern, den Auftrag zu übernehmen, oder wenn Sie den Reisenden warnen, in der Hoffnung, dass Ihnen Omni hilft … Zinnober wird es büßen, Forrester. Erst die junge Frau, an der Ihnen so viel liegt, und dann Sie selbst. Siebzehn Tage. Für jemanden wie Sie, für jemanden mit Ihrer Erfahrung, sollte es nicht weiter schwer sein. Sorgen Sie dafür, dass wir den Reisenden in die Hände bekommen. Anschließend lassen wir Sie in Ruhe. Benedikt gibt Ihnen sein Wort.«

Rubens drehte sich um und ging über die Aussichtsplattform zu seinem Schiff, das von einem Gravitationskissen getragen aufstieg und eine Luke für ihn öffnete. Wenige Sekunden später sprang der Tropfen aus ölig schimmerndem Metall gen Himmel.

Forrester blickte ihm nach, bis er verschwand. Dann drehte er sich um und sah Zinnober in der Kajütentür.

4

»Du bist nicht im sicheren Raum gewesen«, sagte Forrester. Es klang besorgt und auch erschrocken. Wie viel hatte Zinnober gehört?

Sie trug einen dünnen cremefarbenen Umhang und zitterte, vielleicht wegen der Rückbildung – die dünne Schuppenhaut war ebenso verschwunden wie die Kiemen am Hals.

»Allein hab ich’s nicht darin ausgehalten«, erwiderte sie. Ihre großen roten Augen suchten in seinem Gesicht nach Hinweisen. »Wer war das eben?«

Erleichterung durchströmte Forrester. Sie hatte nicht alles gehört.

»Meine Vergangenheit«, sagte er, legte ihr kurz die Hand auf die Wange, trat dann durch die offene Tür und ging zur Brücke des Wohnbootes. Dort aktivierte er den Gravitationsmotor, der das Boot aus dem Wasser des globalen Ozeans hob, und programmierte die Navigationskontrollen auf das Ziel, eine kleine Insel mit einem getarnten Schiff.

Zinnober folgte ihm, ihr Haar eine rote Wolke. Einige Sekunden lang blickte sie stumm aus dem Fenster und beobachtete, wie das Wohnboot mit hoher Geschwindigkeit übers Meer flog. »Die Agentur, nicht wahr?«, fragte sie schließlich. »Du hast gesagt, dass deine Vergangenheit ruht, für immer.«

Forrester überlegte, wie viel er ihr anvertrauen durfte. Nicht viel; dazu war es noch zu früh. »Ein letzter Auftrag. Es lässt sich nicht vermeiden.«

»Er erpresst dich.«

»Ja.«

»Mit mir.«

Forrester drehte den Kopf. Eine Lüge wäre falsch gewesen; Zinnober hätte sie erkannt. »Ja. Ich bringe dich zu einem Freund, der sich um dich kümmern wird.« Nathan, dachte er. Alter Nathan. Ich muss noch einmal deine Hilfe in Anspruch nehmen. »Bei ihm bist du gut aufgehoben.«

»Die Agentur hat uns gefunden«, sagte Zinnober. Sie sprach ernst, mit kühler Vernunft. »Sie kann auch deinen Freund finden.«

»Sie weiß, wo er sich befindet. Aber sie wird es nicht wagen, etwas gegen ihn zu unternehmen. Nicht gegen ihn.«

Zinnober sah ihn fragend an, doch er nannte keine Einzelheiten.

Zwei Stunden später erreichten sie die Insel. Forrester steuerte das Wohnboot in eine kleine Bucht und aktivierte dort das Materialgedächtnis, woraufhin sich das Boot in einen grauen Würfel mit einer Kantenlänge von einem knappen Meter verwandelte. Das Schiff erschien zwischen hohen Perlstauden, als er den Tarnschirm deaktivierte, eine Blume zwischen den Stauden, eine Kreuzung zwischen Orchidee und Rose: dreißig Meter hoch, das Triebwerk, der Sprawler, wie ein Ring aus Samenkapseln am Stängel, die Sensoren, Fokussierer und Navigationsschwingen wie Blütenblätter aus silbernem Komposit, opalblauer Stahlkeramik, magentafarbenem Plast und Metallglas, das aussah wie gewachsener Kristall. Eine Öffnung bildete sich im Rumpf, und eine Rampe senkte sich einer kleinen Zunge gleich daraus herab.

»Ich möchte mitkommen«, sagte Zinnober. »Wohin auch immer du gehst, ich möchte mitkommen.«

»Du hast keine Erfahrung«, erwiderte Forrester. »Es wäre zu gefährlich.«

Im runden Raum des Nukleus erwarteten sie leuchtende virtuelle Kontrollen über den Konsolen. »Ich freue mich, dass ihr zurück seid, Zinnober und Vinzent«, sagte der Intellekt der Sonnenwind.

»Wir müssen aufbrechen«, sagte Forrester, nahm in einem der Sessel Platz und aktivierte die Holofelder. »Wir müssen diese Welt verlassen.«

»Sie hat nicht einmal einen Namen«, sagte Zinnober.

»Gib ihr einen. Als Versprechen für unsere Rückkehr.«

»Verlorenes Paradies«, sagte Zinnober traurig. »So soll dieser Planet heißen, denn das ist er für uns, ein verlorenes Paradies.«

Maiblume

5

»Mayflower«, sagte Forrester. »So hat Nathan seinen Planeten genannt.« Er deutete ins zentrale Holofeld des Nukleus. »Die durchschnittliche Oberflächentemperatur beträgt siebzig Grad, und ohne sein Magnetfeld ist Mayflower schutzlos der Strahlung des Roten Riesen ausgesetzt, die den größten Teil des lokalen Lebens ausgelöscht hat; nur einigen wenigen Spezies ist die Anpassung gelungen. Einst war diese Welt der vierte Planet des Sonnensystems, aber der Rote Riese hat die ersten drei verschlungen, und Mayflower wird es ebenso ergehen.«

»Und dort willst du mich zurücklassen?«, fragte Zinnober.

»Ich kenne keinen sichereren Ort für dich. Bei Nathan bist du für die Agentur unantastbar.«

»Auch für die Likotha des Duka?«

»Ich bin sicher, dass Nathan dich zu schützen weiß.«

»Mayflower«, wiederholte Zinnober und beobachtete, wie der ockerfarbene Planet im Holofeld größer wurde. »Was bedeutet dieses Wort?«

»Es stammt aus einer unserer alten Sprachen«, sagte Forrester. Er berührte die virtuellen Kontrollen und wies den Intellekt an, Nathan die vorbereitete verschlüsselte Nachricht zu schicken. Der Scan zeigte keine Schiffe, weder hier im Lerper-System noch in den Ausläufern des Sprawl, das die Sonnenwind vor einer halben Stunde verlassen hatte. »Wörtlich übersetzt bedeutet es ›Maiblume‹. Und ›Mai‹ ist ein Frühlingsmonat auf der Erde. Du weißt doch, was ›Frühling‹ bedeutet, oder?«

Zinnober holte tief Luft. »Ich bin nicht dumm, Vinzent Forrester. Und eine Blume im Mai stelle ich mir anders vor.«

»Es ist Nathans besondere Art von Humor.«

»Es ist keine schöne Welt.« Zinnober betrachtete den Planeten im Zoom. »Sie hat keine Meere. Sie gefällt mir nicht. Bitte, Vinz, lass mich mit dir kommen.«

Es tat weh, fast so etwas wie Verzweiflung in ihrer Stimme zu hören. »Glaub mir, es wäre zu gefährlich für dich. Ich würde es mir nie verzeihen, dich in Gefahr zu bringen.« Du wärst eine Last für mich, dachte er, aber diese Worte sprach er nicht aus. »Drei Standardwochen, Zinnober. Höchstens einen Monat. Mehr nicht. Dann hole ich dich ab, und wir kehren zu unserem ›Verlorenen Paradies‹ zurück.«

Er hoffte auf ein Lächeln, aber Zinnober blickte ernst ins Holofeld. »Wer ist dieser Nathan? Warum bist du so sicher, dass ich bei ihm vor der Agentur geschützt bin?«

»Weil er einmal ihr Oberhaupt war, vor vielen Jahren.«

6

»Du hast es hier nicht sonderlich komfortabel, Nathan«, sagte Forrester, als sie durch die Haupthöhle schritten. Leuchtstreifen wanden sich wie Schlangen aus Licht an der hohen Decke. In einer halbdunklen Nische summte ein kleiner Konstrukteur, ausgestattet mit einem einfachen Molekülarchitekten, der elementare Dinge herstellen konnte. Eine Nebenhöhle enthielt Staufächer und ein einfaches Bett, noch schlichter als das, in dem Zinnober schlief.

»Ich bin nicht hierhergekommen, um es komfortabel zu haben, Vinzent«, erwiderte Nathan. Die Elektromotoren seiner Gehhilfe surrten leise. »Mein einziger Luxus ist die Einsamkeit. Und die beiden Medobots, die sich um mich kümmern. Sie geben mir noch einige Jahre.«

Forrester musterte den Mann, der ihn vor fast sechzig Jahren in die Agentur aufgenommen hatte und wie ein Vater zu ihm gewesen war. Nathan war geschrumpft, in Größe und Breite. Er trug weite Kleidung, und in ihr steckte der dürre, schwache Körper eines Greises. Das graue, eingefallene Gesicht hatte etwas Mumienartiges; die dunklen Augen darin wirkten zu groß, die Nase zu lang und zu spitz. Einige grauweiße Haarbüschel zierten den fleckigen Kopf. Nathan ging gebeugt, und trotz der Gehhilfe schien ihm jeder Schritt Mühe zu bereiten.

»Gefällt dir, was du siehst, mein Junge?«, fragte Nathan.

»Nein.«

Nathan lachte. Es klang rau und kratzig. »Mir auch nicht. Deshalb vermeide ich es, in einen Spiegel zu sehen.« Er gestikulierte mit einer Hand, die nur aus Haut und Knochen bestand. »Da wären wir.«

Sie betraten eine kleinere Kaverne, die etwas heller war, offenbar eine Art Nukleus, ein Kontrollraum. Dreidimensionale Holofelder schwebten vor den Wänden und wölbten sich unter der Decke, vermittelten den Eindruck einer Kuppel aus transparentem Metallglas. Die Konsolen, stellte Forrester fest, waren alt. Nichts deutete auf die Präsenz eines Intellekts hin, einer künstlichen Intelligenz.

Ein Holofeld zeigte die heißen, ausgedörrten Sand- und Felslandschaften des Planeten Mayflower und den Himmel darüber, dominiert vom Roten Riesen Lerper.

Nathan sank in einen Sessel, der selbst unter seinem geringen Gewicht knarrte. »Tausend Jahre«, sagte er. »Mehr bleiben dieser Welt nicht. Ich hab’s ausgerechnet. Mayflowers Umlaufbahn hat sich in eine Spirale verwandelt. In knapp tausend Jahren stürzt dieser Planet in seine Sonne. Dann hört dies alles auf zu existieren. Gibt einem zu denken, nicht wahr?«

Forrester fühlte den fragenden Blick seines alten Mentors. Welche Antwort erwartete er? »Du wirst es nicht mehr erleben.«

»Nein, aber das spielt keine Rolle, Vinzent. Was ich sagen will: Selbst Sonnen und Planeten sterben, nichts ist ewig, mit Ausnahme vielleicht von Omni. Wie ich hörte, arbeiten die Superzivilisationen sogar daran, die unendliche Ausdünnung des Universums durch die Dunkle Energie zu überdauern. Es würde mich nicht wundern, wenn sie einen Ausweg fänden.« Plötzlich lächelte Nathan, wodurch neue Falten in seinem farblosen Gesicht entstanden. »Es freut mich, dich wiederzusehen, mein Junge.«

Forrester setzte sich ebenfalls. »Ich wünschte, dieses Treffen fände unter anderen Voraussetzungen statt.«

Nathan deutete auf die Kommunikationsstation an der Wand. »Vielleicht mein dritter Luxus, abgesehen von den beiden Medobots und davon, allein und ungestört zu sein. Ich weiß noch immer, was in der Agentur vor sich geht. Ich habe meine Kontakte, mein Ressourcennetz.«

»Deine Lebensversicherung«, sagte Forrester.

»Für die Jahre, die ich hier verbracht habe. Und für das bisschen Zeit, das mir noch bleibt. Eine große Sache bahnt sich an, Junge. Benedikt hat einen neuen Sponsor, eine der größten Korporationen von KopKo. Er will hoch hinaus.«

KopKo, dort hatte die Agentur ihre Wurzeln, bei den Korporationen und Kooperativen, über zweitausend Lichtjahre am Hauptstrang des Sagittariusarms verteilt: hundertvierzehn von Menschen besiedelte Sonnensysteme mit hundertvierundneunzig bewohnten Planeten und dreihundertsiebzig kolonisierten Monden.

»Es hat sich viel verändert seit damals«, fügte Nathan hinzu. »Und die Veränderungen dauern an. Benedikt hat ehrgeizige Pläne.«

»Du bist eine Bremse für ihn gewesen, ein Hindernis«, sagte Forrester. »Nachdem das nun beiseitegeräumt ist, verwandelt er die Agentur in sein persönliches Machtinstrument. Du hättest ihm nicht nachgeben, dich von ihm nicht aus dem Amt drängen lassen sollen.«

»Wenn ich nicht nachgegeben hätte, wäre ich jetzt tot. Und damit wäre niemandem geholfen, am wenigsten mir. Außerdem … ganz aufgehört habe ich nicht. Ich halte mich auf dem Laufenden. Gelegentlich fordere ich den einen oder anderen Gefallen ein. Aber du hast recht, ich bin nicht mehr für die Agentur verantwortlich, und ich möchte es auch nicht sein. Es ist nicht mehr die Agentur von damals. Von Ehre kann heute keine Rede mehr sein. Es geht nur noch um Profit und Macht. Und um das Ego gewisser Leute, vor allem das von Benedikt.«

»Auch zu unserer Zeit hat es nicht viel Ehre gegeben«, sagte Forrester. Unwillkommene Erinnerungen stiegen in ihm auf. »Es gab Dinge, die …«

»Die du heute bereust?« Der Alte nickte. »Du hast eine ähnliche Wandlung durchgemacht, Vinzent. Wir ähneln uns. Wir sind verwandt im Geist, das habe ich damals sofort erkannt. Wir sind Seelenbrüder. Nur die Zeit trennt uns, hundert Jahre Leben. Es gab Ehre zu unserer Zeit. Es gab Freiräume, die man, wenn man wollte, mit Ehre und Ethik füllen konnte. Ich habe es versucht. Es ist mir nicht immer gelungen, aber ich habe es versucht.«

»Wenn du an der Spitze geblieben wärst … Vielleicht hättest du diese Entwicklung verhindern können. Vielleicht wäre es dir möglich gewesen, die Agentur auf einen anderen Kurs zu steuern.«

»Sieh dir das an, Vinzent.« Nathan bewegte die rechte Hand, und ein Gesteninterface reagierte. Das Bild des großen Holofelds vor ihnen wechselte und zeigte einen Felshang, ins blutrote Licht des lodernden Riesen am Himmel getaucht. Große und kleinere Steinblöcke lagen am Hang verstreut.

»Es sind keine Steine. Sieh genau hin.« Nathan aktivierte das Zoom. Einer der »Steine« füllte das ganze Holofeld aus, und Forrester erkannte einen runden Rücken – wie bei einer Schildkröte –, aus dem zahlreiche Dornen ragten.

»Wie ist das möglich?«, fragte er. »Kein Organismus kann die Strahlung dort draußen ungeschützt überleben.«

»Und doch sind diese Geschöpfe zweifellos lebendig«, sagte Nathan. »Als sich Lerper zu einem Roten Riesen aufblähte, hat die Evolution auf diesem Planeten eine neue Richtung eingeschlagen. Sauerstoff war in einer frühen biologischen Entwicklungsphase Gift, bis sich das Leben anpasste und lernte, ihn zu nutzen. Hier ist es ähnlich. Die Kreaturen dort draußen haben gelernt, die harte Strahlung, die anderes Leben töten würde, als Energiequelle zu nutzen. Sie leben von ihr. Ohne sie müssten sie sterben.«

Forrester wartete, und als Nathan nur stumm die Wesen beobachtete, die sich von harter Strahlung ernährten, fragte er: »Was willst du mir damit sagen?«

»Nichts ist ewig«, wiederholte der Alte. »Alles verändert sich. Der Einzelne, das Individuum, ist den Veränderungen gegenüber machtlos, aber eine Spezies kann sich weiterentwickeln und überleben. Das sollte man sich immer wieder vor Augen führen: die eigene Bedeutungslosigkeit im großen Ganzen des Werdens und Vergehens. Wir sind unwichtig, wir alle. Wir sind … Eintagsfliegen, Blumen im Mai, die schnell verwelken.«

Forrester wusste nicht, was er davon halten sollte. »Das klingt … niedergeschlagen. Hoffnungslos.«

»Ohne die beiden Medobots wäre ich längst tot«, sagte Nathan. »Und selbst mit ihrer Hilfe bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Omni könnte mein Leben verlängern, aber ich fürchte, dort würden meine Bitten auf taube Ohren stoßen. Ich habe zu oft gegen den ethischen Kodex von Omni verstoßen, um mir irgendwelche Hoffnungen machen zu können. Die Superzivilisationen nehmen ihren Ethox sehr ernst. Also ja, ich bin hoffnungslos.«

»Nathan …«

Der Alte hob wie müde die Hand, den Blick noch immer auf die schildkrötenartigen Wesen am Felshang gerichtet, im roten Licht der gewaltigen Sonne am Himmel. »Was die Niedergeschlagenheit betrifft, mein Junge … Irgendwann muss man mit sich selbst abrechnen und Bilanz ziehen. Was man dann sieht, gefällt einem nicht immer. Vorausgesetzt, man hat sich einen klaren Blick für die Realität bewahrt.«

Forrester hatte plötzlich einen Verdacht. »Bist du religiös geworden, Nathan?«

»Religiös? Ich? Wir haben den Göttern oft genug Gelegenheit zum Eingreifen gegeben, aber sind sie jemals irgendwo erschienen, um den von uns angerichteten Schaden zu beheben? Um Leben zu retten? Nein, mein Junge, wer weiß besser als wir, dass es keine Götter gibt? Aber vielleicht gibt es den Teufel, das Dämonische, die Hölle der alten Sagen und Legenden. Vielleicht erwartet jeden von uns gerechte Strafe.«

»Solche Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn man zu lange allein ist«, sagte Forrester.

»Es bedeutet nur, dass sie immer irgendwo auf der Lauer lagen«, erwiderte Nathan. »Dass sie auf eine Gelegenheit warteten, im Gehirn ganz nach oben zu kriechen. Wenn ich dir einen Rat geben darf, Junge: Tu nichts, was du irgendwann bereuen könntest, denn daraus könnte eine schwere Last werden.«

»Glaubst du nicht, dass es für diesen Rat zu spät ist? Nach Javaid und all den anderen Missionen?«

»Du bist noch jung.« Nathan lächelte, und diesmal war es das hintergründige, verschmitzte Lächeln von früher, das ein wenig Farbe ins graue Gesicht brachte. »Siebzig Jahre. Hast noch nicht einmal die Hälfte deines Lebens hinter dir. Dir bietet sich ausreichend Gelegenheit zur Wiedergutmachung. Mir scheint, mit deiner Tochter bist du auf dem richtigen Weg.« Nathan schaltete das große Holofeld aus und wandte sich Forrester zu. »Genug Geschwafel.« Er zwinkerte, mit einem Funkeln in den Augen. »Und glaub nicht alles, was dir ein alter Mann erzählt. Kommen wir zu dir und dem Grund für deinen Besuch. Ich weiß, warum du hier bist, Vinzent. Benedikt verlangt von dir, dich mit Omni anzulegen.«

7

»Ein Konflikt mit den Superzivilisationen ist nie eine gute Idee«, sagte Nathan. Seine Stimme klang nicht mehr rau und brüchig, sondern fest. »Du könntest es mit ihren Legislatoren zu tun bekommen, ihren Vollstreckern, und dann gäbe es im ganzen Universum kein Versteck für dich. Sie würden dich überall finden, wirklich überall

»Ich weiß.«

»Im Vergleich mit den Legislatoren sind die Likotha des Duka von Javaid völlig harmlos.«

»Ich weiß.«

»Und du willst dich trotzdem darauf einlassen?«

»Wenn mir keine Wahl bleibt«, sagte Forrester.

»Man hat immer eine Wahl, Junge. Immer.«

Forrester schwieg. Vielleicht gab es eine Möglichkeit.

Nur ein Holofeld war noch aktiv und zeigte den Roten Riesen Lerper, einen grotesk aufgeblähten Feuerball, sein Licht gefiltert und gedämpft. Forrester blickte über die Schulter, um festzustellen, ob Zinnober erneut in der Tür stand und hörte, was sie nicht hören sollte. Hier gab es keine Tür, nur einen offenen Zugang, ein Loch im Fels, und niemand stand dort. Zinnober schlief in ihrem Bett, erschöpft und enttäuscht.

»Ich nehme an, du weißt, was auf Javaid geschehen ist, Nathan?«

»In groben Zügen.«

»Die Situation geriet außer Kontrolle. Eine Person, an der mir etwas lag, kam ums Leben.«

»Zinnobers Mutter.«

»Ja. Ich wusste nicht, dass das Mädchen meine Tochter war. Nala hat es mir erst gesagt, als sie starb.

»Das gab den Ausschlag, nicht wahr?«, fragte Nathan. »Es war gewissermaßen der eine Tropfen, der das Wasser über den Rand schwappen ließ.«

»Zinnober ist mehr als nur ein Tropfen.«

»Du weißt, was ich meine, Junge.«

»Ich musste fort mit ihr«, sagte Forrester. »An einen sicheren Ort, wo sie vor der Vergeltung des Duka geschützt ist. Ich konnte nicht länger für die Agentur arbeiten.« Wieder warf er einen Blick über die Schulter. Der Höhlenzugang war noch immer dunkel und leer.

»Damit erreichte Benedikt, was er wollte. Er bekam freie Bahn.«

Forrester sah ihn fragend an.