Cover.jpg

Auf dem Weiher unweit von unserem Haus im zarten Alter von vier Jahren. © privat

Fünf Jahre alt, Nachwuchsspieler beim EV Landshut – und sichtlich stolz. © privat

Ein Blick in die Umkleidekabine: Es geht reichlich beengt zu, mit dem vielen Equipment. © privat

Düsseldorf an der Brehmstraße: Nach dem Endturnier um die deutsche Meisterschaft im Nachwuchs nehme ich den Pokal entgegen – vor ausverkauftem Haus, denn im Anschluss hatte die Profimannschaft ein Playoffspiel. © privat

Vorbereitungsspiel bei den Ottawa Senators (NHL) im Jahr 1997. © privat

Beim Spiel gegen die Slowakei bei den Olympischen Winterspielen in Nagano 1998, das wir übrigens mit 3:2 gewannen, gerate ich mit Peter Bondra aneinander. © gettyimages/Bongarts/Frank Peters

Leonardo Soccio, Marco Sturm und ich freuen uns über den 3:1-Auftaktsieg in der KölnArena gegen die Schweiz (April 2001). © dpa - Sportreport

Beim Deutschland-Cup 2000 in Hannover gegen Kanada – wir verloren 2:5. © gettyimages/Bongarts/Jana Lange

Wunderschöner Check des Hamburgers Brad Smyth, wie ich als Leidtragender einräumen muss. © imago images/Fishing 4

Der Schiedsrichter muss wieder einmal schlichten (Harlan Pratt, Augsburg). © imago images/ActionPictures

Ich kreuze die Schläger mit Paul Deniset (Schwenningen). © imago images/Fishing 4

Saison 2006/07: Abwehrarbeit im Dienst der Iserlohn Roosters gegen den Frankfurter Jeff Ulmer (links). Mein Torhüter ist Dimitri Kotschnew. © imago images/Jan Huebner

Eine typische Arbeitsszene (Ligaspiel in Berlin 2016 mit Sascha Bandermann). © privat

Während der WM 2016 in Russland zeichnen Sascha und ich vor dem Finale unsere Anmoderation am Roten Platz in Moskau auf -– ohne Drehgenehmigung. © privat

Sascha Bandermann und ich in den Kostümen der WM-Maskottchen 2017 – wir sind Asterix und Obelix. © Dirk Unverferth

Mit Sascha Bandermann und Hans Zach bei der Heim-WM 2017 im Studio in Köln. © privat

IIHF Eishockey WM. Lanxess Arena Köln Mai 2017: Immer nah dran an den Fans. © imago images/Eduard Bopp

IIHF Eishockey WM. Lanxess Arena Köln Mai 2017: Immer nah dran an den Fans. © imago images/Eduard Bopp

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft nach dem sensationellen Gewinn der Silbermedaille gegen die hoch favorisierten Russen bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea am 25. Februar 2018. Endergebnis 4:3. © Gettyimages/Harry How

Leon Draisaitl von den Edmonton Oilers, Rückennummer 29, der beste deutsche Eishockeyspieler ever. Ich freue mich, seine Karriere als TV-Experte begleiten zu dürfen. © gettyimages/NHLI/Andy Devlin

Ausflug in den Fußball: Mit Dirk Nowitzki 2019 beim Benefizspiel von Michael Schumachers Stiftung in Leverkusen. © imago images/Sven Simon

Cover.jpg

Edel Books

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright © 2019 Edel Germany GmbH, Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edelbooks.com

Projektkoordination: Dr. Marten Brandt

Lektorat: Alex Raack

Coverfotos: Sebastian Fuchs und shutterstock

Layout und Satz: Datagrafix GSP GmbH

Covergestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH |

www.groothuis.de

ePub-Konvertierung: Datagrafix GSP GmbH, Berlin | www.datagrafix.com

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

eISBN 978-3-8419-0696-0

WEN ICH BEWUNDERTE – MEINE IDOLE

Meine Ausbildung als Eishockeyspieler habe ich in Landshut genossen. Eine Stadt, die man wegen ihres großen historischen Fests, der Landshuter Hochzeit, kennt. Mehr aber noch dadurch, dass sie ein Zentrum des Eishockeys war. Die guten Zeiten liegen lange zurück, 1970 und 1983 wurde der EVL Deutscher Meister. Bis in die 90er-Jahre hinein war er ein Spitzenklub in Deutschland. 1999 wurde seine Lizenz an den US-Entertainmentkonzern Anschutz verkauft, der ein Team in München aufbaute, die Barons, und 2002 nach Hamburg weiterzog, wo er die Barone als Freezers weiterspielen ließ. Landshut versuchte einen Neuaufbau, kam aber nie mehr höher als bis zur zweiten Liga und spielte zuletzt in der dritten. Doch die Geschichte des EVL ist und bleibt großartig. In meiner Karriere haben mich Figuren aus der Landshuter Historie angetrieben.

So um 1986 herum setzt meine bewusste Wahrnehmung ein. Alois Schloder war ein ganz großer Name des Landshuter Eishockey. Ich kannte ihn als Leiter des Sportamts, über ihn als Spieler kann ich nicht mehr so viel sagen. Ich weiß, dass er gegen Ende seiner Karriere vom Stürmer zum Verteidiger wurde und dabei immer noch überragend war. Klaus „Butzi“ Auhuber war bundesweit für seine Härte berühmt. Ein kerniger niederbayerischer Abwehrmann, mit dem sich keiner anlegen wollte. Erich Kühnhackl ist letztlich der Name gewesen, der in Landshut über allem stand, weil er so viele Punkte gemacht hat.

Aus der Nationalmannschaft waren meine drei Spieler, an denen ich mich orientierte, die langjährigen Verteidiger Udo Kießling, der zum Ausklang seiner Laufbahn in Landshut spielte, Harold Kreis in Mannheim und Andi Niederberger in Düsseldorf. Es waren aber auch die Importspieler, die in der Liga beim EV Landshut für Furore sorgten und mich beeindruckten. Sehr lange Dany Naud, der nachher Trainer wurde. Er war als Spieler überragend, ein eher kleiner, ruhiger Verteidiger, der das Spiel von der blauen Linie weg organsierte. Oder Venci Sebek, der einen wahnsinnigen Schuss hatte. Sein Schläger war so aufgebogen, dass er sich damit auch hätte am Rücken kratzen können. Das ging über die Regeln für das Material hinaus, doch wir machten es ihm nach. Man kopierte alles, die guten wie die schlechten Sachen.

Wenn am Freitagabend die Spiele waren, schaute ich genau hin: Wie machen die Stars sich warm? Und mein Interesse galt nicht nur dem EVL, sondern auch den Cracks der Gegner. Wenn Harold Kreis mit Mannheim kam oder Andi Niederberger, der gefühlt fast nie vom Eis ging mit seiner Bärenkondition. Ich habe deren Trockentraining neben der zweiten Eisfläche beobachtet und mich vor unseren Nachwuchsspielen dann an den exakt gleichen Stellen aufgewärmt.

Um Kontakt zu meinen Stars habe ich mich nicht bemüht. Das mag Leute erstaunen, wenn sie mich heute aus dem Fernsehen kennen und mich für umtriebig und lustig halten. Ich suche mit wenigen Menschen das Gespräch, dafür bin ich zu scheu. Ich bin eher das staring kid, das Kind, das mit offenem Mund staunend danebensteht. Ich brauche eine gewisse Wohlfühlatmosphäre, muss den anderen kennen, um aufzublühen und zu sein, wie ich bin. Sitze ich an einem Zehnertisch mit neun Leuten, die ich nicht kenne, werde ich wahrscheinlich an diesem Abend heimgehen und mit keinem gesprochen haben. Kenne ich die neun Leute jedoch, werde ich den Tisch den ganzen Abend lang unterhalten haben, ob die neun das nun wollten oder nicht.

Aber ich habe in Landshut auch aus der vorsichtigen Distanz, die ich einhielt, ein paar Ausrüstungsgegenstände abgestaubt. Als ich sechs, sieben war, stand ich mit den anderen dort, wo die Spieler aufs und vom Eis gehen. Wir bettelten um Schläger, die damals noch aus Holz und nicht wie heute aus Carbon und noch viel weniger wert waren. Die Profis haben sich auch gefreut, wenn wir Interesse an ihnen zeigten. Vor Ehrfurcht habe ich mich aber nicht mal getraut, den erbeuteten Schläger, der für mich natürlich viel zu lang war, zuhause abzusägen. Ich habe ihn einfach nur hingestellt und behandelt wie eine Reliquie. Bis ich bei den Mitspielern im Nachwuchs beobachten konnte, dass sie mit diesen Schlägern, nachdem sie sie verkürzt hatten, auch spielten.

Unsere Nachwuchskabine war nicht weit weg von der Kabine der ersten Mannschaft und von deren Massageraum. Da war eine Holztür, sie stand nach dem Training meist offen. Wir standen dort und haben reingeschaut, konnten alles hören und haben versucht, so viel von diesem geheimnisvollen Raum, den wir nicht betreten durften, mitzubekommen. Irgendwann kam dann jemand und machte die Tür zu, weil die Erwachsenen halt auch mal was bereden wollten, was wahrscheinlich nicht ganz jugendfrei war.

Es war ein Vorteil des heimeligen EV Landshut, der damaligen Zeit und des Eishockeys insgesamt, dass Nähe zugelassen wurde. Wir hatten nie das Gefühl, dass wir die Landshuter Koryphäen nerven würden. Die sind nicht einfach achtlos an uns vorbeigegangen, sondern haben uns einen Klaps auf den Kopf gegeben oder die Mütze ins Gesicht gezogen. Sie wussten: Auch diese Kleinen sind Eishockeyspieler.

Nahbarkeit wird auch in der NHL gepflegt. Ganze Schulklassen dürfen beim Training dabei sein und Fotos machen. Wenn ein NHL-Star einem Kind seinen Schläger in die Hand drückt, hat das nichts Inszeniertes.

Ob ich selbst jemals ein Idol für andere war? Ich weiß es nicht. Es gab Leute, die einen Schläger oder irgendwas von mir wollten. Doch ist man dadurch schon einer, an dem junge Spieler sich orientieren, dessen Verhalten sie analysieren, um für sich einen Mehrwert, eine Inspiration zu gewinnen?

Eine lustige Geschichte dazu: Mit mir spielte Christoph Gawlik in der Nationalmannschaft, er ist elf Jahre jünger als ich. Vor einem seiner ersten Länderspiele saßen wir zusammen, da fragte er: „Goldi, weißt du noch, wie du damals mit der Nationalmannschaft in Deggendorf gespielt hast?“ Ich war verwundert, ich konnte mir einzelne Spiele und wo sie gewesen waren, nicht merken. Ja, in Degendorf mag ich mal ein Länderspiel gehabt haben. Gawlik fragte: „Und weißt du noch, wie ihr mit Kindern eingelaufen seid? Jeder Spieler hat ein Kind an die Hand gekriegt. Ich war dein Kind.“ Alle am Tisch lachten. Und ich wusste, dass ich alt geworden war.

Es war ein Moment, in dem ich feststellte: Egal, welche Rolle man in der Nationalmannschaft spielt, man schaut zu dir auf. Doch ich denke, man nimmt das selbst nicht so wahr oder denkt darüber nach, ob man nun ein Idol ist oder nicht.

Was ich allerdings festgestellt habe, ist das veränderte Interesse der Kinder. Es richtet sich im Eishockey inzwischen vorrangig auf die NHL. Ein Moritz Seider, der 2018/19 als 17-Jähriger seine erste DEL-Saison bei den Adlern Mannheim spielte, mit 18 seine erste WM hinter sich brachte und Ende Juni in der ersten Draft-Runde an sechster Position von den Detroit Red Wings gezogen wurde, erzählte mir: Unter den Zehn- bis Zwölfjährigen seiner Generation war das große Thema in der Kabine die NHL.

Mich hat mehr die Nationalmannschaft fasziniert. Mich hat die Aussicht angetrieben, bei einer WM mal gegen die Russen spielen zu können, für die ich früher aufgeblieben war, um sie im Fernsehen spielen zu sehen. Bei der Weltmeisterschaft maßen sich die Großen untereinander. Mein Bestreben war es, in Deutschland in die Position zu kommen, das auch tun zu können. Es ging nicht darum, genauso zu sein wie jemand anderer, sondern auf die Spieler zu achten, die etwas besonders gut können.

Als ich im Eishockey aufwuchs, waren die russischen Stars das Nonplusultra. Man sah sie eben jedes Jahr bei der Weltmeisterschaft. Heute ist das Eishockeyangebot viel breiter geworden, die NHL ist jetzt verfügbar. Ein Connor McDavid, der die Sportart mit seiner Geschwindigkeit neu erfunden hat, ein Leon Draisaitl, der als Deutscher drüben groß herausgekommen ist, sind omnipräsent. Ihre Leistungen können ganz anders in Szene gesetzt werden, als es vor 30 Jahren der Fall war. Die Klubs selbst clippen die Tore auf ihren Social-Media-Kanälen, feiern die Treffer mit vorbereitetem Material und bauen so einen Starkult auf. So wird der Spieler, der seinen Klub trug und in seiner Stadt eine Berühmtheit war, zum Weltstar erhoben.

Ein Jugendlicher, der sich für Eishockey interessiert, der Eishockey spielt, kann sich nun aussuchen, was er cool findet: den grandiosen Torhüter, den Torjäger, den umsichtigen Passgeber, auch den harten Arbeiter. Klar, dass Kinder sich ihre Vorbilder in der NHL suchen.

Man mag einwenden, dass der größte Star, den das Eishockey je hatte, einer von früher war. Alle kannten ihn: Wayne Gretzky, The Great One. Bei der WM tauchte er nur einmal auf, 1982 als ganz junger Spieler. Mit Kanada gewann er Bronze und wurde zum Topscorer des Turniers. Seinen Mythos begründete er durch seine Leistungen in der NHL, vor allem mit den Edmonton Oilers. Er punktete ohne Ende. Die Zahlen und die Geschichten, die sich um ihn rankten, sorgten für die Magie. Auch die Aussagen von denen, die ihn hatten spielen sehen und behaupteten, Gretzky wisse früher als seine Gegner, was die als Nächstes machen würden. Doch es war damals unmöglich, aussagekräftiges Bildmaterial über ihn aufzutreiben, es sei denn, es schwappten ein paar Highlight-Videos rüber. Heute hingegen: Schießt Alexander Ovechkin, einer der aktuellen Superstars, ein Tor, kann man es ein paar Minuten später überall auf der Welt abrufen. Wir wissen, dass Ovechkin über seinen mächtigen und präzisen Schuss kommt, Connor McDavid über sein Tempo, Patrick Kane über die Kunst seiner Hände, mit dem Stock umzugehen. Wir haben tiefere Detailkenntnis. Über Gretzky hieß es noch: Er kann alles.

Wayne Gretzky, geboren 1961, ist in Nordamerika übrigens nicht mehr so präsent, weil viele aufregende Spieler nachgekommen sind, die das Eishockey in eine andere Richtung zogen, es schneller und athletischer machten, es technisch auf ein neues Niveau hoben. Gretzky ist also nicht mehr die Leitfigur, was das Spielerische betrifft, darin haben ihn andere abgelöst. Aber er bleibt natürlich ein Held und der Name unserer Sportart.

Vielleicht ist „Held“ ein guter Alternativbegriff zu „Vorbild“. Helden waren in Deutschland lange die Nationalspieler der Generation Kühnhackl/Schloder, die 1976 die olympische Bronzemedaille gewannen. Heldengeschichten hört man auch gerne. Doch daraus sollte immer auch eine neue Generation Helden entstehen. In Deutschland hatten wir halt eine lange Zeit, in der das nicht geschah, das Spiel sich aber massiv veränderte. Umso glücklicher können wir darüber sein, dass es diese Olympiamannschaft von 2018 und ihren Silber-Erfolg gab. Das wird für neuen Nachschub an Spielern sorgen.

Fünf Fragen an Leon Draisaitl, deutscher NHL-Star

Was ist auf dem Eis der größte Unterschied zwischen NHL und Europa?

Dass die Eisfläche in Nordamerika kleiner und das Spiel dadurch automatisch ein bisschen schneller und aggressiver ist.

Was ist die wichtigste Fähigkeit, die man benötigt, um sich in der NHL durchzubeißen?

Der Wille, sich jeden Tag mit den Besten zu messen. In der NHL laufen die Topspieler der Welt auf, deshalb will man es dort nach ganz oben schaffen.

Was ist der Schlüssel zu 50 Toren in einer Saison?

Ich habe viel an meinem Abschluss gearbeitet, um effektiver und unberechenbarer zu werden. Natürlich braucht man dazu auch Mitspieler, die einen in Szene setzen können.

In der DEL sind sich Spieler und Fans relativ nahe. Welche Distanz herrscht in der NHL?

Es ist, glaube ich, relativ ähnlich. Wir versuchen natürlich auch, die Nähe der Fans zu suchen.

Hättest Du, seit Du drüben bist, den jeweiligen Stanley-Cup-Sieger von Saison oder Play-offs richtig getippt? Oder hättest Du Dich, wie andere Experten auch, getäuscht?

Man kann es vor der Saison wirklich nie sagen, weil es so viele gute Mannschaften gibt. Die NHL ist jedes Jahr aufs Neue eine Wundertüte.

INHALT

Warm-up: Pyeongchang, 25. Februar 2018

ERSTES DRITTEL: EISHOCKEY LERNEN

Schüsse im Garten – meine Anfänge

Wen ich bewunderte – meine Idole

Es wogt hin und her – faszinierend!

Der Eishockey-Körper – was sind das für Waden?

Schmerz, lass nach – Spielen in der Rodeoweste

Nationalspieler werden – das Größte

ZWEITES DRITTEL: EISHOCKEY LEBEN

Gedraftet – meine Abenteuer-Jahre in Nordamerika

Wie man mit Statistik umgeht

Wie eine Mannschaft gebaut wird

Der verrückte Spieler – unser Torhüter

Wenn die Worte fliegen – mit Schiedsrichtern im Dialog

Warum ich nicht Trainer wurde

Sich prügeln? Manchmal muss es sein

Die Woche, die Saison – der Rhythmus des Eishockeys

Leben im Bus – wenn Teams reisen

Was man im Eishockey verdienen kann

DRITTES DRITTEL: EISHOCKEY ENTWICKELN

Perspektivwechsel – Premiere beim Fernsehen

Unsere WM-Erlebnisse – Best of mit Basti Schwele und Sascha Bandermann

Der Puck ist scharf – willkommen in der HD-Ära

Alle zehn Jahre ein ganz neuer Sport

Das neue große Ziel – 2026 top sein

OVERTIME: ÜBER EISHOCKEY REDEN

Gerüstet für jede Eishockey-Diskussion

WARM-UP:

Pyeongchang, 25. Februar 2018

„Olympiasieger! Wir werden Olympiasieger!“ Wir hockten im Morgengrauen in meinem Wohnzimmer vor dem Fernseher und fieberten dem Ende entgegen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in diesem Moment noch saß oder bereits aufgesprungen war, ob ich kniete oder lag. So sehr waren wir alle mitgerissen von diesem Spiel.

Es war das Finale im Eishockeyturnier der Olympischen Spiele am 25. Februar 2018. Mit Deutschland. Und unsere Mannschaft war mit 3:2 in Führung gegangen. Gegen die Russen! Ein Team aus einer anderen Welt. Und es waren nur noch gut drei Minuten zu spielen. Marc Hindelang rief aus, was wir alle nicht zu denken wagten: „Wir werden Olympiasieger!“

Ein paar Kollegen von Sport1 hatten sich bei mir versammelt, um dieses Spiel, das größte für uns, das Spiel um die Goldmedaille, gemeinsam zu verfolgen. Eine komplett surreale Situation. Zum einen wegen der Zeitverschiebung: In Südkorea beginnender Nachmittag, bei uns noch stockdunkle Nacht. Eigentlich Tiefschlafphase. Aber wir fieberten dem Eishockeyfinale der Olympischen Spiele entgegen. Mit Deutschland.

Aber auch, weil mein Kollege Sascha Bandermann, einer der Anwesenden, und ich seit 2010 immer bei allen Turnieren live vor Ort dabei gewesen waren (er als Moderator und Drittelpausen-Interviewer der Eishockeysendungen, ich als Experte), fühlte es sich komisch an, gerade bei diesem Spiel zu Hause auf dem Sofa zu sitzen. Und wenn ich meine Zeit als Aktiver mit einbeziehe, war ich sogar seit der WM 1996 immer in irgendeiner Form dabei gewesen. Und wenn mal doch nicht, war ich wenigstens ein gefühlter Bestandteil der Nationalmannschaft. Pyeongchang war das erste Mal seit über 20 Jahren, dass ich mit der Sache nicht direkt zu tun hatte. Weit weg zu sein von der Mannschaft, die mir so viel bedeutete, das war wirklich ein komisches Gefühl. Ich saß daheim auf der Couch, und die standen im Olympiafinale weit weg in Asien. Wenigstens wollte ich diesen Moment mit Freunden teilen.

Also hatte ich zum Weißwurstfrühstück eingeladen, um 4.30 Uhr morgens. Als es soweit war, veranstalteten wir ein bisschen eine Privatübertragung. Aus unseren Rollen kamen wir so leicht nicht heraus. In den Drittelpausen machten wir eine Liveschalte bei Facebook. Da konnte man sehen, wie mir, dem Gastgeber, die Weißwürste aufplatzten, wie Sascha, den ich noch nie in seinem Leben ein Weißbier habe trinken sehen, eine ganze Kiste davon mitbrachte, wie einige direkt aus der Stadt kamen, sie hatten durchgemacht und sich in Rage gefeiert, in dieser Nacht von Samstag auf Sonntag.

Wir tranken also um 4.30 Uhr am Morgen Weißbier und waren euphorisch. Welche Fahrt dieses Turnier aufgenommen hatte! Dass wir gegen die Russen, von denen wir sonst immer eins auf die Nuss bekamen, im Endspiel standen! Es war ja unfassbar, was die „Olympischen Athleten aus Russland“, wie sie offiziell genannt wurden, weil Russland wegen diverser Dopingvergehen gesperrt gewesen war, für Namen in ihren Reihen hatten. Es war unfassbar, wie wir das Halbfinale gegen Kanada mit 4:3 gewonnen hatten. Ein Höhepunkt deutscher Eishockeygeschichte, dem jetzt ein noch glorreicheres Kapitel folgen sollte, so hofften wir.

Im zweiten Drittel klingelte es und Marc Hindelang stand vor der Tür, in der offiziellen Mannschaftsjacke. Er war TV-Kommentator und hatte mich vor gut zehn Jahren zum Fernsehen geholt. Sein Engagement fürs Eishockey erstreckt sich über seinen Job hinaus. 2014 wurde er Vizepräsident des Deutschen Eishockey-Bunds. Marc kam direkt von den Olympischen Spielen zu uns, den Sieg über Kanada hatte er in Pyeongchang noch live erlebt. Er setzte sich zu uns aufs Sofa und sagte: „Das hältst du allein nicht aus.“

Ich rief: „Was meinst du, kann unsere Mannschaft das Spiel gewinnen?“ Er entgegnete trocken: „Na klar.“ Ich dachte noch: Meint er wirklich, wir können die Russen schlagen?

Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Die Geschichte lief anders als in all den Jahren zuvor. Die Mannschaft hatte sich reingekämpft und etwas ins Rollen gebracht. Sie strahlte Sicherheit aus, alle Aktionen saßen, sie fand spielerische Wege. Und all das, was die Mannschaft im Turnier ausgezeichnet hatte, zeigte sie auch jetzt wieder in diesem letzten Spiel. Unglaublich, wie Jonas Müller, der junge Verteidiger aus Berlin, durchrannte und mit einer Selbstverständlichkeit das 3:2 machte. Genau das war der Moment, in dem Marc Hindelang rief: „Olympiasieger. Wir werden Olympiasieger!“ Als dann in der Schlussphase die Strafe gegen die Russen gegeben wurde, gab es endgültig kein Halten mehr. Bei mir im Wohnzimmer ging es zu wie im Stadion. Nein, schlimmer. Wir knieten, standen, sprangen, liefen hin und her, riefen, schrien durcheinander. Eine deutsche Mannschaft in einem Finale und dann auch noch so gut spielen zu sehen, das war einfach surreal.

Die Mannschaft hatte es verdient, hatte nicht versucht, über die Zeit zu kommen, sondern spielte mit. In der 30. Minute – bei 29:32 – schoss Felix Schütz den Ausgleich zum 1:1. Nur zehn Sekunden, nachdem Nikita Gusev in der 53. Minute das 2:1 für die Russen gemacht hatte, glich Dominik Kahun aus: 2:2. Dann – bei 56:44 Minuten – ging Jonas Müller durch und erzielte das 3:2.

Die deutsche Mannschaft hatte die Oberhand gewonnen. Ein Spiegel des Turnierverlaufs, der mit einer Niederlage gegen Finnland seinen Anfang genommen hatte, 2:5. Die Nachberichte waren kritisch ausgefallen. Der Tenor: Es wird trostlos werden wie so viele Male zuvor. Auch das zweite Spiel gegen Schweden ging verloren, 0:1. Uns fehlten einfach die Tore. Dann aber fing es mit dem Gewinnen an. Jeweils knapp, aber gegen zunehmend anspruchsvoller werdende Gegner: 2:1 gegen Norwegen nach Penaltyschießen, 2:1 gegen die Schweiz in der Viertelfinalqualifikation. Wieder Verlängerung, Yannic Seidenberg machte es aber kurz, traf nach 26 Sekunden. Die Brust wurde breiter, die Mannschaft fühlte sich stärker als ein Neunter der Setzliste, der es nach den Vorrundenergebnissen war.

Im Viertelfinale ging es erneut gegen Schweden. Der Favorit lag gegen die Deutschen 0:2 und 1:3 zurück, konnte aber im letzten Drittel ausgleichen. Das Schicksal schien seinen Lauf zu nehmen. Laut Drehbuch musste Schweden, die große Eishockeynation, die Sache in der Verlängerung klären. Doch stattdessen fiel ein deutsches Tor, durch Patrick Reimer, einen der ältesten Spieler, der in der Liga in seiner langen Karriere vergeblich einem Titel hinterhergejagt war. Es war unklar, ob man würde jubeln dürfen, der Treffer musste durch den Videobeweis. Alle blickten auf den Schiedsrichter, wie er zurück aufs Eis skatete, ein paar kurze Schritte, und in sein Mikrofon diesen einen Satz sagte, der die Erlösung brachte: „It was a good goal.“ Die deutsche Mannschaft stand im Halbfinale. Wie bei der Weltmeisterschaft 2010 im eigenen Land. Aber konnte die wundersame Reise noch weiter gehen?

Der nächste Gegner war Kanada. In den Fernsehnachrichten wird Kanada immer vorgestellt als „Der Eishockey-Rekordweltmeister“ oder „Der Eishockey-Olympiasieger von 2014“, und jeder weiß, dass Kanada das „Mutterland des Eishockeys“ ist. Als Deutschland ist man gegen Kanada immer Außenseiter. Das Ahornblatt auf dem Trikot ist eine Marke.

Rein fachlich gesehen hatte das Kanada in Pyeongchang nichts zu tun mit dem Kanada von Sotschi vier Jahre zuvor. Vor allem Kanada litt darunter, dass die National Hockey League, die NHL, in der sich die Stars versammelten, an diesem Olympiaturnier in Südkorea nicht teilnahm, sondern ihren Betrieb einfach fortsetzte, weil die Besitzer der Klubs auf ihre Einnahmen nicht verzichten wollten. Die Nationalmannschaft musste aus Spielern gebildet werden, die bei europäischen Klubs unter Vertrag standen. Unter normalen Umständen hätte keiner von ihnen eine Olympiachance gehabt, wenn die Superstars hätten kommen dürfen.

Ich habe mit einigen aus unserem Silber-Team nach den Olympischen Spielen gesprochen. Ich wollte wissen: Wie fandet ihr, dass die NHL und ihre Stars nicht dabei waren?

Ausnahmslos alle sagten: „Das war echt Mist, dass die nicht mitspielen konnten.“ Kurz dachte ich: „Seid ihr verrückt? Dann wäre es doch viel schwieriger gewesen.“ Doch die Spieler bestanden darauf: „Wenn du einmal die Möglichkeit hast, bei Olympia zu spielen, willst du die Besten haben, dich mit ihnen messen, egal wie. Und wenn du untergehst, weil die drüben viel besser sind und mancher von ihnen zehn Millionen verdient.“ Wenn du diese Herausforderung nicht liebst, wirst du auch kein Eishockeyspieler.

Sie hätten gerne gegen die Stars gespielt, konnten aber nichts dafür, dass die nicht da waren. Deshalb ist eine Medaille aber nicht weniger wert. Und die Spieler sind sich darüber schon im Klaren, dass sie einen Vorteil hatten, weil die NHL-Spieler nicht kamen. In der deutschen Mannschaft hätten wir ein paar gehabt, doch bei Kanada, den USA und Schweden wäre der ganze Kader voll mit ihnen gewesen.

Das Turnier hat nicht die Wertigkeit gehabt wie mit NHL-Spielern, doch andererseits hatte so keiner einen Vorteil, es herrschten gleiche Bedingungen für alle. Unter diesen Vorzeichen war das Halbfinale gegen Kanada zu sehen. Und die Geschichte war nun eben die: Eine Mannschaft kommt ins Rollen wie eine Lawine, und irgendwann ist sie nicht mehr aufzuhalten – so etwas passiert in den Play-offs oder in einem Turnier.

Man führte gegen Kanada 3:0, man führte den Gegner eine halbe Stunde richtiggehend vor. Es klappte alles. Im letzten Drittel wurde es noch mal eng, der 4:1-Vorsprung schmolz auf 4:3. Die deutschen Spieler gaben alles, warfen sich in die Schüsse der Kanadier, es war eine epische Verteidigungsschlacht. Und als sie gewonnen war, wussten die Spieler gar nicht, wohin mit ihrem Glück. Sie liefen und liefen, bis das Spielfeld zu Ende war und die Bande kam, sie klatschten gegen die Plexiglasumrandung, die unter dem Aufprall ins Schwingen geriet. Ein Fotograf, der direkt dahinter stand, hielt mit der Kamera drauf. Ihm gelang ein grandioses Bild, so nah, so scharf, dass man den Zahnschutz der Spieler sehen konnte. Am nächsten Tag war es auf Seite eins aller Zeitungen zu sehen, und zwangsläufig wurde es zum „Sportfoto des Jahres“ gekürt.

Eine Medaille, wir haben eine Medaille – und es ist mindestens Silber. Und dann – am 25. Februar morgens – führen wir 3:2 gegen die Russen, und Marc Hindelang ruft: „Olympiasieger! Wir werden Olympiasieger!“ Es stand 3:2.

Bei 57:49 nimmt der Russe Kalinin eine Strafzeit. Zwei Minuten. Bis 59:49 würde Deutschland Überzahl spielen, man muss nur die Scheibe halten. Klar, dass Russland bei erster Gelegenheit den Torhüter vom Eis nimmt – und 56 Sekunden vor Schluss trifft wieder dieser Gusev. Uns fiel die Kinnlade runter. Wir registrierten, wie die Russen feierten, wie sie durchdrehten vor Glück. Eine Situation, die wir nicht mehr für möglich gehalten, aber insgeheim befürchtet hatten.

Dass es in der Verlängerung – weil auf deutscher Seite nach zehn Minuten Patrick Reimer eine Strafe bekam – schnell klick machen würde bei den Russen, war dann leider fast zu erwarten gewesen. Gusev legte auf, Kaprizov traf. Das Finale war entschieden: 4:3 für die Olympischen Athleten aus Russland.

Unsere Mannschaft war am Boden zerstört, wir daheim waren es auch. Ich hätte dem deutschen Eishockey diese Goldmedaille mehr als alles andere gegönnt. So ein Erfolg wäre genau das gewesen, was es gebraucht hätte, Eishockey hierzulande weiter nach vorne zu bringen. Zu sehen, dass die Mannschaft das Finale spielte, um es zu gewinnen, war zutiefst beeindruckend. Darum musste man niedergeschlagen sein, denn die Russen hatten das Herz unserer Jungs in der Verlängerung zerschlagen. Bis auf 56 Sekunden war man dem Olympiasieg nahegekommen.

Eine ähnliche Situation hatte es bei der Weltmeisterschaft 2013 gegeben. Damals stand die Schweiz, unser ewiger Rivale, ein Team, dem unseren nicht unähnlich, im Endspiel und verlor gegen Schweden. Ich ging in die Katakomben, als es vorbei war, und sagte zu einem der Schweizer Spieler: „Geil, was ihr erreicht habt.“ Er schaute mich an und sagte kraftlos: „Danke, Goldi.“ Er sagte: „Fuck, wir haben gerade Gold verloren. Wer weiß, wann ich in meinem Leben einmal noch in die Lage komme, es gewinnen zu können.“

2018 habe ich diesen Schmerz selbst spüren können. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich kapiert habe, was die Mannschaft geleistet hat. Dann ist meine Kolumne für die Website von Sport1 aus mir rausgesprudelt. Unser Eishockey war über 1976 hinausgekommen. Endlich. In Innsbruck hatten die Deutschen unter glücklichen Umständen die olympische Bronzemedaille gewonnen, die Spieler aus dieser Mannschaft waren immer noch die prägenden Charaktere des deutschen Eishockeys, und sie haben auch große Verdienste. Aber es war an der Zeit, dass neue Leute kommen, neue Idole heranwachsen. Nun waren sie da. Das Eishockey hatte eine neue Geschichte. Eine, die aktuell ist, die man greifen kann.

Die Spieler streiften ihre Trauer noch auf dem Eis von Pyeongchang ab, nachdem sie ihre Gedanken geordnet hatten: Sie hatten gerade den größten Erfolg des deutschen Eishockeys erzielt. Silber! Auch wenn das deutsche Eishockey vielleicht nicht dahin gehörte, wo es am 25. Februar 2018 schließlich stand, hatte es doch einen Weg gefunden, dort zu sein.

Bei allem Schmerz, in Pyeongchang nicht live dabei gewesen zu sein: Es war auch schön, das Olympiaturnier mit Abstand zu verfolgen. So konnte ich erkennen, was es bewegte. Nicht nur in Eishockeykreisen, sondern in ganz Deutschland. Ab dem Viertelfinale konnte man erahnen, dass Außergewöhnliches geschieht. Obwohl die Zeiten, zu denen gespielt wurde, ungünstig waren. Mal tief in der Nacht, mal zur Mittagsstunde – ich hatte da auch noch anderes zu tun in meiner Physiotherapiepraxis und konnte nicht jedes Spiel verfolgen, wie ich gewollt hätte.

Spätestens mit diesem Finale wurde mir wieder bewusst, wie viel Liebe ich für diese Sportart empfinde. Aus meiner Leidenschaft war etwas noch Tiefergehendes in all den Jahren geworden. Mit der großen Liebe will man die schönste Hochzeit haben – das wäre die Goldmedaille gewesen.

ERSTES DRITTEL:

EISHOCKEY LERNEN

SCHÜSSE IM GARTEN – MEINE ANFÄNGE

Heute lernt man Schlittschuhlaufen mit Hilfe eines Pinguins. Einer Tierfigur, an der sich die Kinder festhalten und die sie vor sich herschieben, wenn sie ihre ersten Schritte auf dem Eis machen. Bei mir musste als Gehhilfe ein Stuhl herhalten. So liefen damals, 1980, die Anfängerkurse in der Landshuter Eishalle ab. Man holte die Stühle aus der Stadiongaststätte und stellte sie aufs Eis. Ich – vier Jahre alt – bewegte dann den Stuhl, über dessen Sitzfläche ich kaum blicken konnte, zaghaft voran. Nach dem Training wurden die Stühle in eine Ecke neben der Eisfläche gestellt, am Wochenende kamen sie wieder in die Gaststätte. Denn dann spielte der EV Landshut, die Wirtschaft war dementsprechend voll, und die Leute brauchten Sitzgelegenheiten.

So fing es bei mir an mit dem Eissport. Zwar wohnten wir in Dingolfing, das von Landshut 25 Kilometer entfernt und auch der Heimatort von Marco Sturm ist, einem der größten Stars des deutschen Eishockeys. Doch Dingolfing war trotzdem nicht das beste Eishockey-Pflaster. Es gab die Eishalle, die seit 2018 nach Marco Sturm benannt ist, und den EV Dingolfing, in dem mein Vater, der hobbymäßig Eishockey spielte, Abteilungsleiter war. Doch existierte damals keine Nachwuchsarbeit für die ganz Kleinen, die Eishockey spielen wollten, aber erst einmal das Laufen auf Schlittschuhen erlernen mussten. Also fuhr meine Mutter mich nach Landshut. Als Kind hatte ich keine Ahnung, welch hohen Fahraufwand das für meine Eltern bedeutete. Nach meinen ersten Bemühungen mit Hilfe des Stuhls aus der Stadionkneipe teilte ich ihnen mit: „Ich will Eishockeyspieler werden.“

Zu den ersten Trainingseinheiten bekam man noch nicht mal einen Schläger, dafür aber Knieschützer, weil man so häufig hinfiel. Irgendwann kam der Puck dazu, und es wurde gespielt. Ich war vier, als ich erstmals mit den Kleinstschülern ein richtiges Spiel bestreiten durfte. Ich wollte Verteidiger sein, nichts anderes. Das war ungewöhnlich, weil Kinder normalerweise angreifen und Tore schießen oder Torwarthelden sein wollen. Meine Mutter erzählte mir später, dass das im Landshuter Eisstadion ein Thema war: Dieser Vierjährige, der so gerne Verteidiger sein wollte. In der Stadiongaststätte saßen häufig die Spieler der ersten Mannschaft, lokale Stars wie Butzi Auhuber und Bernie Englbrecht. Sie schauten bei den Nachwuchsspielen zu, und ihnen fiel dieser Spieler auf, der spürbare Lust daran hatte, das Tor seiner Mannschaft abzusichern.

Meine ganze Jugendzeit bin ich Verteidiger geblieben. Bis auf ein Jahr, da war ich Stürmer, das wollte der Trainer so. Doch ich schoss vorne nicht mehr Tore als in meiner Zeit als Abwehrspieler. Kurios war auch: Als Verteidiger hatte ich einen gesunden Vorwärtsdrang, als Stürmer zog es mich aus angelerntem defensiven Verantwortungsbewusstsein nach hinten.

Die erste große Faszination beim Eishockey waren der Schlittschuh und der Schläger. Der Schlittschuh ist für den Eishockeyspieler das, was für den Koch seine Messer sind. Der Schlittschuh ist sein Heiligtum. Ich habe immer die gleiche Marke gespielt. Meine komplette Karriere über. Als ich als Kind ein neues Paar bekam, zog ich sie natürlich zu Hause an. Ich habe sie sogar mit ins Bett genommen, weil ich sie so stolz auf sie war.

Die Ausrüstung drumherum machte mir als Kind naturgemäß zu schaffen. Es ist außerordentlich kompliziert, einen Schienbeinschoner so anzulegen, dass er hält. Wir mussten anfangs angezogen werden, und Eltern waren in Landshut in der Kabine nicht erlaubt. Wir hatten dafür zwei, drei Betreuer, die uns auch die Schlittschuhe banden.

Wie man das viele Zeug anzieht, bekommt man aber schnell raus. Es ist selbsterklärend. Als Erstes zieht man den Tiefschutz an, das ergibt Sinn, auch beim Kind. Dann kommt der Strapsgürtel, und es ist klar, dass er die Strümpfe halten muss. Zuvor kommen noch die Schienbein- und Knieschoner und darüber die Stutzen. Es besteht die Versuchung, dass der junge Spieler danach die Schlittschuhe anzieht; in dem Fall hätte er aber die Hose vergessen und müsste die Schlittschuhe wieder ausziehen. Das passiert vielen. Aber in der Regel nur einmal im Leben. Das merkst du dir nach dem einen Missgeschick. Für Profis gibt es übrigens auch Hosen, die man mit einem Reißverschluss öffnen kann, falls man in der Drittelpause auf die Toilette muss.

Wenn man als Kind in den Schlittschuhen drin war, setzte man sich hin und wartete, bis jemand kam und die Schuhe band. Anschließend legte man Schulter- und Ellbogenschutz an, zog das Trikot drüber, schlüpfte in die Handschuhe, und setzte den Helm auf. Den musste auch wieder jemand unten schließen, als Kind konnte man das selbst noch nicht.

Ihre Faszination verliert so eine Ausrüstung nie. Eigentlich gewinnt sie sogar an Bedeutung, wenn man älter wird und die Möglichkeiten erkennt, die Verbesserungen am Equipment mit sich bringen. Da gibt es in den Mannschaften einen regen Austausch über die Länge der Handschuhe: Der eine ist 14 Zoll lang, der andere 14,5 oder 15. Es wird diskutiert, ob man sich durch zusätzlichen Kitt am Oberkörperschutz gegen Stockschläge in die Rippen wappnen kann. Oder die Schulterkappen: Sollen sie mehr Beweglichkeit erlauben oder vor allem Schutz bieten? Stürmer bevorzugten das eine Modell, Verteidiger tendenziell das andere. Stoff zum Basteln hatte man zur Genüge.

Die Schläger, die wir Anfänger bekamen, waren gerade, sie hatten noch keine gebogene Schaufel, zumindest war das damals im Kindereishockey so. Inzwischen hat sich das geändert. Die Scheibe hochzubringen war ein Kampf. Man muss aber berücksichtigen, dass man ja auch als sechsjähriges Kind mit dem gleichen Puck wie die Profis spielt und das Gewicht für einen kleinen Jungen im Verhältnis ungleich höher ist. Du hast noch keine Technik, darum ist es ohnehin schwer, diesen Puck hochzuhebeln. Einen richtigen Schuss anzubringen, der nicht flach ins Tor rutscht, sondern hoch in den Maschen einschlägt, ist die nächste Herausforderung und Faszination. Ein sauberer Schlagschuss will gelernt und geübt sein. Wieder und wieder knallt man den Puck an die Bande. Zigfach, hundertfach. Und es genügt nicht, das nur im Stadion zu tun.