Die Autoren

Maik Messing – Foto © privat
Maik Messing, * 1972,  lernte zunächst den Beruf des Maurers mit DDR-Facharbeiterbrief, bevor er in der Bundeswehr als Richtschütze auf dem Marder im Panzergrenadierbatallion 212 tätig war. Wenige Jahre später absolvierte er den Betriebswirt des Handwerks und arbeitet seither als Bäcker.
Volkmar Kabisch – Foto © privat
Volkmar Kabisch, * 1984, studierte Islamwissenschaft und Judaistik in Halle/Saale, Leipzig und Kairo. Ab 2004 arbeitete er als Reporter beim Mitteldeutschen Rundfunk und »Spiegel TV«. Von 2013 an war Volkmar Kabisch als Autor bei »Panorama« und »Panorama 3« im NDR tätig. Inzwischen arbeitet er für den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.
Georg Heil – Foto © privat
Georg Heil, *1977, arbeitete als freiberuflicher Journalist für das investigative Ressort des WDR, nachdem er zuvor bei »Spiegel TV« tätig war. Seit 2018 arbeitet er für das ARD-Magazin »Kontraste«.

Das Buch

Leonora hat einen YouTube-Kanal mit Beauty-Tipps, tanzt als Funkenmariechen im knappen Rock, liest alten Leuten im Pflegeheim vor. Parallel pflegt sie ein digitales Islamisten-Leben im Netz und in Chat-Gruppen. Im März 2015 packt sie ihre Koffer und verschwindet heimlich nach Syrien, in den Islamischen Staat. Zurück bleibt ein verzweifelter Vater, der alle Hebel in Bewegung setzt, der bald reuigen Leonora zur Flucht zu verhelfen. Wird der lebensbedrohliche Plan gelingen?
In diesem Buch wird der ganze Wahnsinn der Auswanderung ins IS-Gebiet spannend wie ein Krimi erzählt. Vater Maik berichtet von vier schwierigen Jahren, die ihn fast gebrochen hätten. Doch auch Leonoras Seelenleben wird gespiegelt, wenn aus ihrem Tagebuch, ihren Chats mit Freundinnen und aus Audio-Nachrichten an die Familie zu Hause zitiert wird. Was hat Leonora dazu bewogen, sich dem IS anzuschließen? Wie lebt es sich in einem mörderischen Terrorstaat und einer dschihadistischen Großfamilie mit Ehemann, drei Frauen, Kindern und einer Sklavin? Und wie kann sie unentdeckt fliehen, ohne ihr Leben aufs Spiel zu setzen?
»Leonora« erklärt das Alltagsleben im Krieg, die Funktionsweise des IS und wie deutsche Frauen von weiblichen IS-Hardlinerinnen nach Syrien gelockt werden. Der IS mag sein Territorium verloren haben – doch seine Ideologie ist längst nicht geschlagen. Die Diskussionen über die Zukunft ehemaliger Mitglieder werden uns noch lange begleiten.

Maik Messing mit Volkmar Kabisch und Georg Heil

Leonora

Wie ich meine Tochter an den IS verlor - und um sie kämpfte

Ullstein

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Econ ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH

© der deutschsprachigen Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
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ISBN 978-3-8437-2201-8

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Vorwort

Der Aufstieg und Niedergang des sogenannten Islamischen Staates wird noch lange zu den erschreckendsten, den ungewöhnlichsten Geschehnissen unserer Zeit gehören. Nachfolgende Generationen werden sich schwertun zu verstehen, was zwischen 2014 und 2019 in Syrien und im Irak geschah. Und wie es so weit kommen konnte. Hoffentlich wird man auch aus den Fehlern dieser Geschichte lernen.

Es gibt diesen IS überhaupt nur, weil die USA nach dem 11. September 2001 in den Irak einmarschierten. Dort gab es, anders als damals behauptet, nicht nur keine Massenvernichtungswaffen, sondern auch keine islamistischen Zellen. Das dortige Regime hatte nicht al-Qaida unterstützt, den Urheber des Massenmordes, der die USA und die Welt veränderte. Erst nach dem Einmarsch verbündeten sich radikale Islamisten mit ehemaligen Militärs und Geheimdienstlern des untergegangenen Regimes von Saddam Hussein. Denn sämtliche Mitarbeiter der irakischen Sicherheitsbehörden waren von den Amerikanern entlassen und ohne finanzielle Absicherung auf die Straße gesetzt worden. Und das, obwohl unter ihnen Spezialisten waren, die ihr Wissen über Mord und Totschlag nun neuen Dienstherren zur Verfügung stellten: den Urhebern des islamistischen Terrors. Zunächst waren sie treue Al-Qaida-Gefolgsleute, dann wurden sie zur inner-dschihadistischen Konkurrenz – selbstbewusster, noch brutaler und anmaßender, als es selbst al-Qaida je war.

Eigentlich war diese al-Qaida im Irak in den Jahren 2009 und 2010 bereits geschlagen. Irakische Stämme, die den Terroristen einst Unterschlupf, Gelder, Waffen und ihre Söhne gegeben hatten, wendeten sich von der Terrororganisation ab. Am Ende aber, wie schon so oft, wenn es um die Bekämpfung von Terrorismus geht, fehlte es an einer langfristigen Strategie, an einer Idee, wie das Land dauerhaft auch ohne militärische Präsenz ausländischer Soldaten stabilisiert werden könnte. So erklärten die USA voreilig den Sieg, zogen bald darauf überhastet ab – und der wahre Siegeszug des IS begann. Ein sich wegen seiner extremen Kurzsichtigkeit in medizinischer Behandlung befindlicher Islam-Gelehrter der Universität in Bagdad namens Abu Bakr al-Baghdadi übernahm die Führung und rief sich zum Kalifen aus. Er betrog seine Anhänger, indem er behauptete, direkt vom Propheten Mohammed abzustammen. Doch seine Gefolgsleute glaubten noch den größten Blödsinn. Und es funktionierte, zunächst jedenfalls.

Im Irak und im vom Bürgerkrieg zerrütteten Syrien schufen er und seine Anhänger ein Kalifat von der Größe Großbritanniens. Millionen Menschen mussten die Schreckensherrschaft der Terrorhorden seiner Gefolgsleute erdulden. Schreckliche Gräueltaten wurden begangen, die Sklaverei wurde wieder eingeführt, Weltkulturerbe-Stätten wurden unwiederbringlich zerstört. Das Zweistromland, Wiege menschlicher Kultur, wurde zu einem Ort unsagbarer Verbrechen.

Dieses Kalifat war das vielleicht ehrgeizigste Staatsgründungsprojekt in der Geschichte des Terrorismus. Und es zog Tausende, Zehntausende aus aller Welt an. Allein etwa 1.050 Islamisten machten sich aus Deutschland auf den Weg. Von einer von ihnen handelt dieses Buch: Leonora Messing, 15, als sie zum IS zog, heute 19 Jahre alt. Anhand ihrer Geschichte lässt sich der Aufstieg dieses Terrorstaats erzählen, die brutale Realität im Inneren begreifen. Leonora Messings Geschichte hilft zu verstehen, was nicht zu verstehen ist. Und beschreibt das Erleben derjenigen, die zu Hause zurückgelassen wurden: die Familie, die Freunde, das persönliche Umfeld.

Zu den beschämenden Kapiteln der Anfangsjahre 2012 bis 2014 gehört, dass viele europäische Regierungen ganz froh darüber waren, wenn sich Islamisten aus ihren Ländern auf den Weg nach Syrien und in den Irak machten. Eine so einfache wie falsche Sichtweise: Wenn sie dort unten kämpften, mordeten und starben, dann hatte man kein Problem mit ihnen im Herkunftsland. Europa exportierte nach Schätzungen mehr als 5.000 seiner Terroristen in den Nahen Osten. Die Leidtragenden waren die Menschen dort.

Manche erkannten früh, in welchen Irrsinn, welches Unrecht, welche Brutalität sie geraten waren. Sie setzten sich ab und flohen, wenn sie denn konnten. Der IS richtete Abweichler und Verräter hin. Unter denen, die zum IS kamen, waren auch auffällig viele Frauen, Mädchen, manche noch in der Pubertät, leicht verführbar und auf der Suche nach einem neuen, einem angeblich islamischen Leben. Manche setzten sich nur zum IS ab, weil sie von zu Hause wegwollten und ihre Eltern sie von dort nicht zurückholen konnten. Und die deutsche Polizei auch nicht.

Noch schlimmer ging es den Kindern, die von ihren Eltern in den Terrorstaat verschleppt wurden. Oder die dort geboren wurden. Es sind viele, denn die Frauen im Kalifat hatten vor allem die Aufgabe, die Kämpfer zu umsorgen, den Haushalt zu organisieren und die nächste Generation IS-Anhänger zu gebären. Diesen Teil der Ideologie kennt man schon von den Nazis. Überhaupt finden sich auffallend viele Parallelen zwischen diesen beiden totalitären Ideen. Die Welt in ein Gut und ein Böse zu teilen und Schattierungen dazwischen nicht zuzulassen, ist wohl die Größte unter den Gemeinsamkeiten. Bei einigen der Ausgereisten fragt man sich, ob sie nicht auch Karriere in einer Neonazi-Organisation hätten machen können, wenn ihre migrantische Herkunft dem nicht im Wege gestanden hätte.

Dass dieser Irrsinn am Ende scheitern musste, war unvermeidlich. Lange schaute die Weltgemeinschaft zu, ließ die Terrormiliz gewähren. Dann, im Spätsommer 2014, formte sich gegen den IS schließlich eine große Allianz aus Staaten, die sich sonst auf gar nichts mehr einigen können: die USA, Russland, Saudi-Arabien, die Türkei und viele andere. Und auch die Anschläge in Paris, in Nizza, in London oder auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin führten nur zu noch größerer Entschlossenheit. Gegen die militärische Übermacht konnten die Terroristen am Ende nichts ausrichten.

Als die letzten Arbeiten an diesem Buch beendet wurden, im Sommer 2019, war der IS als Staat geschlagen und verschwunden. Die Gefängnisse im Irak, viel mehr aber noch die Lager in den Kurden-Gebieten Syriens sind voll. Mehr als einhundert Deutsche sind unter ihnen und mindestens doppelt so viele Kinder. Anstatt bis zuletzt zu kämpfen und als »Märtyrer« ins Paradies einzuziehen, haben sich viele der deutschen Islamisten dann doch für das Leben entschieden und ergaben sich. Nun wollen diejenigen, die bei der Ankunft im Kalifat noch ihre Pässe verbrannten, kleinlaut zurück nach Hause: nach Europa, nach Deutschland.

Niemand hat Vorkehrungen dafür getroffen, was nach dem militärischen Sieg geschehen soll. Praktisch alle europäischen Länder weigern sich, ihre Staatsbürger zurückzuholen und vor die eigenen Gerichte zu stellen. Inzwischen fordern europäische Politiker ein Internationales Strafgericht. Aber auch erst jetzt. Nicht einmal für die Kinder, die nun überhaupt nichts für die Taten ihrer Eltern können, reicht das Mitgefühl. Einige von ihnen sind lebensbedrohlich erkrankt, leben, wie kein Kind es verdient. Mit dem, was von diesem Islamischen Staat übrig ist, will am liebsten niemand mehr etwas zu tun haben.

Es ist jene Form von Kurzsichtigkeit, die bereits den Aufstieg des IS begünstigt hatte. Das Kalifat existiert nicht mehr. Die Ideologie aber ist lebendig, wie die brutalen Anschläge in Sri Lanka an Ostern 2019 zeigten. Es ist einfacher, eine Stadt oder sogar einen De-facto-Staat einzunehmen, als eine Idee zu zerstören. Und so gehen viele der Anhänger wieder in den Untergrund, so wie sie es bereits aus der Vergangenheit kennen. Die Nachrichtendienste verschiedener westlicher Staaten warnen, die Kommandostruktur des IS habe erhebliche Geldsummen beiseitegeschafft, um den »Widerstand« aus dem Untergrund heraus zu finanzieren. Zu den Lehren gehört deshalb, dass ein jedes Land alles tun muss, um die Verbreitung einer solch radikalen Ideologie so früh wie möglich zu unterbinden, mit den Mitteln der Strafverfolgung, mit einer langwierigen und schwierigen Prävention und mit De-Radikalisierung. Aus den gemachten Fehlern kann man lernen. Wenn man denn will.


Georg Mascolo im Juni 2019