Roman Nies

Tiger und Menschen

In Indiens Dschungel

Inhalt

Vorwort

1. Kapitel

Gefahr

Sonderbare Gefühle - Missbehagen Bedrohung – Stille

2. Kapitel

Richtige Männer

In Ramnagar - Geduld - Besondere Charaktere Nach Dhikala - Sportsmänner – Frauen und Mannhaftigkeit Hindistunde – Völkerverständigung

3. Kapitel

Maneater

Sher Bhoji - Thandi Sadak - Angekommen! Undurchschaubar - Ein Phantom - Trophäenjäger Der letzte Maharaja - Zum Sutta Khal

4. Kapitel

Der Waldläufer

Eine Entdeckung - Unerreichbares Paterpani Keine Hilfe - Noch tausend Schritte Gehört, gesehen und gerochen – Nachttiere

5. Kapitel

Machan

Am Ramganga - Reise ins Selbst Tigerspur - Am Wasserloch – Tupaia Einbildung - Tigermenschen

6. Kapitel

Der König des Dschungels

Ausritt - Die erste Begegnung – Streit Ein Schauspiel - Jagdfieber – Pirschfahrt - Freiheit Umgepflügte Erdscholle - Pathia Sherani

7. Kapitel

Elefanten

Bad mit Elefanten - Der Einzelgänger Zum Aunla Sot - Etwas im Busch - Beinahe-Zusammenstoß Treibjagd - Der Tusker am Wasserloch - Fehlalarm - Ein wundervolles Erlebnis

8. Kapitel

Shikar

Fleischlose Kost – Vom Töten – Die menschliche Natur Richtungswechsel - Der jüdische Guru – höhere Existenzweise Höchste Tugend - Dichterstreit - Nur ein Gott Abgesang - „Aim high!“

9. Kapitel

Bärengeschichten

Der Fischer von Chorgadh - Konfusion Bär gegen Tiger - Arme Löwen

10. Kapitel

Das Gesetz des Dschungels

Wilderei - Eigeninitiative - Blutige Gewissheit Tragödie - Shiru - Männlichkeitswahn Gesetzesverstöße

11. Kapitel

Alptraum

Ein Ausflug - Der Cattle-lifter – Festgesessen Shotgun – In der Hütte –Stille Nacht – Schreie! Berührungen –Vorbeigeschoßen

12. Kapitel

Kanda

Wachablösung - Der Maneater von Kanda Ein wahrer Mann obsiegt - Abschied Öffentlicher Dienst

Vorwort

Ich kam im Frühjahr in Agra wieder mit meinem alten Freund Ernst Notna zusammen. Wir waren uns zum ersten Mal Jahre zuvor in Ratnapura auf Sri Lanka begegnet. Dann hatten wir gemeinsam den Adams Peak, den heiligen Berg Ceylons bestiegen. Die Erlebnisse, die wir dabeihatten, hatten mich inspiriert zu dem Buch „Aufstieg zu unbekannten Gipfeln“. Ein Werk, das mein Freund eigentlich hätte selber verfassen müssen, da er dessen größter Verursacher gewesen war. Außerdem erzählte er mir nun, er hätte sich mittlerweile auf noch andere Gipfel gewagt. Das muss man wörtlich, aber auch im übertragenen Sinne verstehen. Er machte seine Bergbesteigungen wie gewohnt im Alleingang. Vielleicht kamen wir auch deshalb nicht dazu, gemeinsame Sache zu machen. Er meinte dazu: „Jeder muss seinen eigenen Weg finden!“ Und dann sagte er mir noch etwas, was ich ihm ohne weiteres abnahm: „Die wirklichen Gipfel, die wir erklimmen müssen, türmen sich doch eher in unserem Inneren auf. Die muss man auch alleine angehen. Solche Gipfel habe ich viele in Angriff genommen. Oft habe ich umkehren müssen, aber meine Mühen waren niemals vergeblich.“

So war er, ein sich stets mühender, der sich nur lohnende Ziele setzen wollte. Eigentlich ein Phantom, mit dem man kaum Schritt halten konnte. Wahrscheinlich war nicht einmal sein Name authentisch. Ich habe es nicht überprüft. Ich erreichte ihn immer nur über eine Adresse in Madras. So trafen wir auch unsere Verabredung. Erst nach einem halben Jahr, als ich gar nicht mehr damit rechnete, bekam ich ein Antwortschreiben.

Jetzt als ich ihn wieder traf, erschien er mir nicht verändert, trotz der Jahre, die vergangen waren. Unter seinem Hut, ein in dieser Weltgegend selten gesehenes Stück, verbarg er ein braungebranntes Gesicht, das mich anlachte. Er war ausgesprochen gut gelaunt und lebhaft. Das passte nicht zu der Aura des Unnahbaren, mit der er sich sonst zu umgeben schien. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Er war herzlich und begrüßte mich wie einen lange vermissten Freund, obwohl er nur knapp auf meine Briefe in den letzten Jahren geantwortet hatte.

Er kam gerade zurück von einem Ausflug in das Vorgebirge des indischen Himalayas. Er hatte Agra als Treffpunkt vorgeschlagen, weil es auf dem Weg nach Jaisalmer lag, wo die indische Sandwüste anfängt. Er würde wieder so spurlos verschwinden wie immer. Er selber würde entscheiden, wann er wieder aufzutauchen habe. Ich selbst war von Bombay gekommen und auf dem Weg nach Nepal. Agra lag günstig.

Mir war schon lange die Idee gekommen, ihn auszufragen über seine Reisen in die innere und äußere Welt und vielleicht auch darüber zu schreiben. Er hatte ja noch nichts von seinen anderen Gipfelstürmen erzählt. Waren sie ebenso abenteuerlich wie die Besteigung des Adams Peak, dann lohnte es sich, alles davon in Erfahrung zu bringen. Er hatte jedoch nie Zeit und wohl auch wenig Lust sich darüber auszulassen, obwohl ich immer wieder versuchte, ihn erfolgreich auszufragen. Er sagte, er habe kein ausgesprochenes Interesse an der Weitergabe seiner Geschichten, denn was man selbst erlebt, könnten andere doch nicht nachvollziehen. Was einem selber groß und wichtig erscheint, sei für andere oft nichtssagend. Jeder muss seine eigenen Abenteuer im Leben suchen – oder die Langeweile. Die Welt sei rückständig und unterentwickelt im Erkennen lohnenswerter Wege. Könne er sie entwickeln? Am allerwenigsten durch Geschichtenerzählen.

Auch jetzt wollte er sich nicht lange aufhalten lassen. Trotzdem gelang es mir, ihn zu überreden, erst am nächsten Tag weiter zu reisen. Wir hatten einen wolkenverhangenen Tag. Als ob das die Touristenströme von ihrem Programm abhalten würde, schien das Taj Mahal dieses Mal ziemlich verwaist zu sein. Wir suchten uns einen ruhigen Platz. Wir saßen noch nicht lange, als Ernsts Stimmung umschlug. Er fragte mich, ob ich glaubte, dass dies hier das Grabmal einer großen Liebe sei. Ich sagte, ich wüsste es nicht, vielleicht sei das nur besser für die Andenkenverkäufer.

„Ist es nicht merkwürdig,“ sagte er, „da haben sich zwei über alle vorstellbaren Maße geliebt, eine königliche Liebe, und was davon übrig geblieben ist, ist doch nur kalter Marmor, schön anzusehen, anrührig, und doch Menschenwerk, vergänglich wie die Liebe selbst, die das Bauwerk schuf. Ist Liebe nicht fähig, etwas Unvergängliches aufzubauen? Wen kümmert heute noch der Schmerz des Schahs, als er seine geliebte Rani verlor? Vergessen und vorbei!!“

Ich wusste nicht, auf was er hinaus wollte und entgegnete:

„Ich glaube, dem Schah ging es nicht darum, etwas Ewiges zu schaffen. Ihm hätte es genügt, wenn er seine geliebte Rani wieder gehabt hätte.“

„Und dann?“

„Was und dann?“

„Dann wäre sie doch eines Tages gestorben!“

„Ja, natürlich!“

„Warum sollte die Liebe, mit der ein Mensch liebt, nicht fähig sein, größere Werke zu schaffen als dieses hier? Sollten wir nicht etwas Unvergängliches aufbauen, mehr als nur ein schönes Bauwerk?““

„Ich nehme an, das müssten dann Werke nicht für diese Welt sein. Schon alleine, weil das mein Vorstellungsvermögen übersteigt.“

„Aha! Und ich denke, wir brauchen solche Werke hier, nicht in einer anderen Welt!“

GEFAHR?

Adru masa pirayahnam andschi nadanthal mudiyamah-Jemand der in Furcht wandelt, wird der seine Reise beenden?

Tamilische Weisheit

Still! Horch! Ein Gedanke hatte einen Laut verursacht! Von wo war er hergekommen? Warum war ich stehengeblieben? Was ließ mich zögerlich den nächsten Schritt tun?

Der Ausblick ringsherum hatte nichts Großartiges zu bieten. Dessen ungeachtet, hatte mich ein merkwürdiges Gefühl der Verlassenheit beschlichen, das sichere Gesellschaft willkommen heißen würde. Es musste aus einem Versteck in der Wildnis, die mich umgab, gekrochen sein. Und nun rief es eine Reihe von unangenehmen Fragen hervor. Welche neuerliche Besonderheit ließ mich meine Sinne auf sich lenken oder spielte auch nur mit ihnen, um mich dann mit ungehörtem Gelächter zu entlassen, vielleicht noch mit der Aufforderung, die Unerklärlichkeit und Undurchschaubarkeit des bewussten Seins zu bedenken.

Ich hatte bedächtig um die Biegung des Weges gelugt, weil von hier die Langurenrufe gekommen waren, die, seit ich mich vom Rande des Waldes entfernt hatte, eine Ursache mutmaßen ließen, von der ich mir Abwechslung erhoffte. Von den Languren fehlte jede Spur. Und auch sonst zeigte sich nichts, nicht einmal ein geflügeltes Insekt. Wenn doch wenigstens Vogelgezwitscher die Stille durchbrochen hätte!

Stattdessen unübliche Gedanken! Nur nicht nachforschen, ob das Zitterrascheln der Blätter bloß meinem Wunschdenken entsprach, dass sich kein größeres Tier dahinter verbergen möge! Die Farbenspiele in der dichten Vegetation verblassten und die Formengebilde verschwammen. Ich wartete auf den Hauch eines Windes. Aber ins Waldesinnere verirrte er sich nicht. Selbst die Wipfel ruhten. Vergeblich zog ich die Luft nach den Düften der Orchideen ein - fauliges Holz von Baumleichen!

Woher und warum dieser plötzliche Wandel meiner Stimmung? Als hätte ich eine Welt der Suggestion betreten? War ich kurz zuvor doch noch ein munterer Spaziergänger durch den von Salbäumen dominierten Forst gewesen, der keiner Imagination bedurfte, um sich an den vielgestaltigen und farbenprächtigen Realitäten zoologischer und botanischer Herkunft erfreuen zu lassen! Unnennbare Einbildungen, ungeformte Gedanken bestürmten mich. Gerade die Unbestimmbarkeit machte sie umso bedrückender.

Ein Schatten fiel über mich! Den ganzen Vormittag war der Himmel unbedeckt gewesen - frei von Trübungen wie ich. Aber nun hatte sich ein großes Wolkenfeld vor die Mittagssonne gelegt. Die Szenerie um mich wirkte noch grauer, und die an sich belanglosen Objekte rückten scheinbar näher, um meine Aufmerksamkeit an sich zu ziehen. Ein Baum, eben noch gerade gewachsen, wird der Mittelpunkt des plötzlichen Interesses, wenn er auf einen zu fallen droht. Ein Busch, der einen besonderen Schatten wirft, weil er sich fortbewegt und belebte Gestalt annimmt, könnte zumindest ein wildes Tier verbergen.

Jedoch war es mehr die Kombination einfacher Formen der Naturgewächse, die mich so furchtbar ohne Süße die Unterscheidbarkeit zwischen Realität und Phantasie prüfen ließ. Die Atmosphäre im Dunstkreis dieser Gebilde war gänzlich unverwandt mit der hellen, Freundlichkeit anstimmenden Luft, die ich draußen eben noch geatmet hatte. Hier kam die Luft nicht vom Himmel herab, sondern sie kroch aus dem trüben Gedampf des Pflanzengeschlings, das überhangen war von graufarbenem, abgestorbenem Gestrüpp.

Nur noch einen Schritt tat ich- irgendetwas Faszinierendes war außer mir, das mich innerlich erregte- dann hielt ich vollends still. Eine Ahnung von ich weiß nicht was wuchs nun zu einem unbeschreiblichen Missbehagen. Was mich aus geweckter, aber vorsichtiger Neugierde allenfalls hätte zaudern lassen, von der Stelle wegzukommen, ließ mich nun der Ungewissheit wegen schaudern. Mir war es, als hingen die Wolken dicht über mir, unbeweglich und düster, als wollten sie den Himmel und das hoffnungsvollere Licht für immer wegschließen.

Ich war höchstgradig angespannt, als erwartete ich den Moment einer Einzigartigkeit. Doch nichts Lebendiges zeigte sich! Es lebte nur meine schöpferische Vorstellungskraft. Was hatte sie so angestachelt? Keine Spur, die zu Augen oder Ohren heranreichte! Es blieb alles bewegungslos und stumm, das grenzenlose, unfassbare Schweigen allerorten.

Die Vielheit der abstrusen und planlosen Gedanken wurde allmählich eingedämmt durch die Vernunft, die versuchte, Zusammenhänge herzustellen. Es war ja nur, so weit der Stand der Dinge, mein launisches Gemüt, das es zu beruhigen galt. Nicht nur, denn: „Das denkst du nur!“ verriet eine Erst-recht-Stimme und warnte, dass die Wahrnehmung verlässlicher sei als die Deutung: So viele Verursacher von nichts!

Meine Blicke wanderten die Stämme der Salbäume hinauf und hinunter und versuchten das Dickicht an ihren Wurzelfüßen zu durchdringen. Ich konnte nichts entdecken, außer einem Bienennest in halber Höhe. Es war sicher seit einiger Zeit verlassen. Schon der Gedanke, dass es sich um die gefährliche Dorsata Art handeln könnte, hätte mir unter normalen Umständen Beine gemacht. Hier fiel mir das Fortkommen schwer. Mein Geist mühte sich tiefsinnig um Aufklärung, was denn hier an diesem Ort so sonderbar sein könnte, doch erfolglos. Keine Gedankenblitze, um das Dunkel zu erhellen!

Das Gesuchte offenbarte sich nicht, weder in- noch auswendig, obwohl ich zu wissen glauben wollte, auf der richtigen Fährte zu sein. Und wenn die Schatten einer Gefahr auf mich gefallen waren, die mit ihrer Offenbarung noch wartet, um mit mehr Macht zu kommen?

Es trieb mich nicht zurück auf meinem Weg. Die unerklärliche Lust zu bleiben, kämpfte wenig gegen das Unwohlsein, das doch bald zur Übelkeit aufkommen musste. Mein nervöses Herz ließ die doch nicht stehengebliebene Zeit spürbar anschlagen.

„Es wäre leicht diesen Ort des baldigen Schreckens zu verlassen, wenn es nicht noch leichter wäre, zu verharren.“ Eine seltsame Angewohnheit von Kaninchen, nicht gleich vor der Schlange zu flüchten! Aber der Mensch ahnt ja weiter als ein Kaninchen. Ginge ich, ließen mir die Selbstvorwürfe danach keine Ruhe, das Besondere versäumt, dem Unergründlichen weder auf den Grund gefühlt, noch zuwenigst seine schwarze Wandung ausgeleuchtet zu haben.

„Hier ist nichts, was den Aufenthalt lohnt!“ besagte der schmächtige Widerwille.

„Woher willst du das wissen, Lustlosigkeit, gemächlicher Lüfte stiller Begleiter!“ Zumindest spürte ich den Willen mächtig, die Unsicherheiten darüber, was hier am besten zu tun wäre, zu überwinden. Und das geschieht am besten durch eine Lösung. Doch, würde sie mir auch gefallen? Solange die Angst nicht geweckt ist, lass’ sie schlafen! Solange eine Gefahr nicht nachgewiesen ist, wozu sie befürchten? Zuerst sollte man sie entdecken! Der Ahnungslosigkeiten Enden sind vielgestaltig. Wird eine böse Ahnung daraus, warum nicht sogar eine Vorfreude empfinden darüber, dass man bald mehr weiß? Eine unterhaltsame Übung, bei jeder körperlichen oder seelischen Anstrengung, auf Erleichterung zu hoffen!

Auch das ist anstrengend, die Sinne so anzuspannen, dass man von jeder körperlichen Regung Abstand nimmt! Sogar das Atmen zu unterdrücken und dabei zu warten auf das Offenbarwerden des unheimlich Heimlichen, als ob die Existenz der ganzen eigenen Welt darüber verloren werden könnte. Da musste gehandelt werden, damit man nicht wie gelähmt der Mächte harrte, die da kommen wollen, um die Sinne vollends in ihren Bann zu schlagen. Man darf sich nie wehrlos machen lassen. Nein, eben zuckte willkürlich ein- nur ein- Augenlid!

Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging im Schwarm der undefinierbaren Empfindungen, die ihren Zusammenhang suchten mit meiner Umgebung. Wo war ich überhaupt? Nicht einmal das wusste ich! Ich hatte mich schon zu weit vom Ausgangspunkt meines Streifzugs entfernt.

Ich fühlte eine Bedrohung und glaubte sie anzweifeln zu müssen. Ich verdächtigte mich des Aberglaubens, der Trunkenheit von berauschenden Blütendüften, und getroffen zu sein vom dichten Pollenflug ayurvedischer Pflanzen.

Ich wusste von meiner Sensibilität für Angriffe auf die Wahrnehmungsorgane und die Resonanzbreite der Seelenstimmungen. In der Außenwelt dagegen rührte sich nichts. Alles war in Bewegungslosigkeit versunken. Das Stoßen meines Herzens nur, das den ganzen Brustraum erfüllte und in den Ohren widerhallte.

Ich versuchte, nüchtern zu ergründen, was mich besinnig, aber anscheinend sinnlos gefangen genommen hatte. Der bloße Gedanke, der lächerliche, mit allem Ernst gedachte Gedanke, dass ich nicht mehr von diesem Fleck wegkommen würde, erregte Schwindel, als ob ich vor einer unlösbaren Aufgabe stünde. Dazu kam das quälerische Mühen, die Ursache meines Befindens zu erfassen, den Schleier an Befürchtungen wegzuziehen. Elende Aussichten sind besser als gar keine! Die Trübsal von hochfliegenden oder tief grabenden Gedanken, die durch keinen Ansporn der Vorstellungskraft zu einem Ende gedacht werden können, wird zu einer bohrenden Ungewissheit!

Das Gefühl von einer Bedrohung wuchs und breitete sich düster aus in meiner Seele. Woher nur das Licht nehmen, um es zu durchleuchten? Dies also ist die Angst? Gebärdet sie sich wie eine heraufdämmernde Umnachtung? Beginnt so der Wahnsinn?

„Nein! Da draußen, “ wusste ich, „ist etwas!“

Es gab keinen Wind. Also hatte mich kein Schattengewächs auf dem Luftweg vergiftet. Wildes Getier? Tigerstreifen im Unterholz? Nicht einmal eine Maus, die über den Waldboden lief! Keine Zikade hatte einen Zirper getan. Kein Rascheln des Khakar, der kleinsten Hirschart. Nichts, was sonst den üblichen Eindruck des Lebendigen vermittelte. Also auch kein Warten auf Tröstliches, wenn der Anschein einer unheilvollen Wirkung wie von einer Todesstätte ausgeht und doch die Erleichterung kommen muss.

Waren nun die Sinne wach und die Denkkraft schwach oder war es umgekehrt? Im Atmen steckte Beklemmung. Ein gewichtiges Etwas beschwerte mich und ließ meine Glieder bleiern ermüden. Ich hörte in den Leitungsbahnen der Baumriesen den Saftfluss rauschen. Oder war es der Blutstrom in meinen Ohren, der von den Blattrippen bis zu den Wurzelenden in die von giftigen Blumen bewachten Felsspalten reichte?

Eine geraume Zeit musste ich so grüblerisch gestanden haben, der Böschung abgewandt. Jetzt mich umzudrehen, war einer meiner Gedanken. Ich musste dem Unbestimmbaren eine Richtung geben. Das überschaubare Wegstück führte leicht bergan bis zu einer Biegung, ein paar Schritte weiter. Es war so naheliegend, diesen seltsamen, zwielichten Ort hinter mir zu lassen. Hier gab es für mich nichts zu untersuchen, wenn sich das Ungewöhnliche, das für den Alltag Untypische nicht weiter offenbarte und feige auf die Nacht wartete, um dann doch durchs Unterholz zu entschlüpfen, vollends aus meinen gestörten Kreisen.

Nach einigem Zögern hatte ich, bevor es noch bange wurde, meine Entschlossenheit zurückgewonnen. Es blieb nur Verwunderung über das weite Feld der unentdeckten Innenwelt. Die Erwartungshaltung, die sich im Hintergrund meiner Denksphäre gehalten hatte, dass da irgendetwas Besonderes aufzutauchen hätte, meldete sich geschwächt und erklärte ihre Niederlage. Zu viel Aufwand, für einen nichtigen Ertrag! Und doch war ein Ergebnis, die Erinnerung daran, mich verpflichtet zu haben, Visionen aufzuspüren, um den Weltensinn auszudenken. Das, was meine Welt zusammenhält, soll gefestigt werden. Und das, was sie schwächt und herabzieht, soll gemieden werden. Dazu braucht es Welterkenntnis und Selbsterkenntnis.

„Man muss wissen, wo und wann?“ spottete ich zurück. „Hier nicht!“ beschloss ich meine Erkenntnis. Dennoch ist stets aus eben diesem höheren Grunde, allem mit Wachsamkeit zu begegnen, was sich dem Blick der unaufmerksamen Mehrheit entzogen hält, eine Grundhaltung der Aufnahmebereitschaft selbst noch dem ermüdeten Eigensinn anzuraten. Ratlosigkeit darf nicht vorbei führen an den Haltestellen, die man zur Rückbesinnung braucht, um dann doch noch gelehrt zu handeln. Was aus Gewohnheit unbeachtet bleibt, ist vielleicht das Wesentliche. Es scheint dies all zu oft eine ungeschöpfte Quelle zu sein, die mit bitteren Wahrheiten speist und deshalb gerne von unserem verwöhnten Mund verschmäht wird. Wer aber einmal freiwillig davon gekostet hat, erfährt eine gewisse Gelassenheit, die ihm hilft, sich von alltäglichen Gewöhnlichkeiten und Selbstverständlichkeiten freizumachen.

Ich fasste einen Entschluss. Endlich! Hier war nichts, was das Verbleiben lohnte. Ich setzte meine Füße in Bewegung. Ich machte mich davon.

Über mir durchbrachen die Sonnenstrahlen den Wolkenrand. Ich durfte mich nicht mehr aufhalten lassen, wenn ich Paterpani noch frühzeitig erreichen wollte, damit es mir vor Einbruch der Dunkelheit noch nach Dhikala zurückreichte.

Ich kannte das Gelände gar nicht. Nur die Karte gab mir Anhaltspunkte. Es war sicherlich nicht schwer, ein letztes Wegstück in der Dunkelheit zurückzulegen, dachte ich und hielt inne: Und wenn doch ein Tiger im Hinterhalt gelegen hatte? Ich hätte den gleichen Weg wieder zurückzugehen. Dann aber hoffentlich ohne unsinnige Gedankenspielerei!

Ein Minivet flog über den Weg, als ob mir das zeigen sollte, „wir sind die einzigen wilden Tiere, die sich im Unterholz herumtreiben“, zierliche Kleinvögel, denen die Unscheinbarkeit in den Federn sitzt, obwohl ihre furchtbare Gefräßigkeit bunten Raupen und leuchtenden Käferlarven teuer zu stehen kommt.

Links und rechts war der Weg von Salbäumen flankiert, hier stand ein Sandan, dort ein wilder Mangobaum und Narguldickicht, das bis auf den Weg heruntergewachsen war. Ein toter Käfer lag auf dem Boden. Ein paar schwarze Ameisen waren mit ihm beschäftigt. Er wurde geschätzt. Dieses Mal waren sie schneller als die roten Ameisen. Der Untergrund war nicht geeignet, Fußspuren abzubilden. Auf dem Weg wuchs Gras. Er wurde selten begangen und noch seltener befahren.

Mir fiel ein, dass ich zurück gehen konnte, um den Wegrand, der oft von Tieren als Pfad benutzt wird, und den Graben daneben, nach Abdrücken zu untersuchen. Ich verwarf den Gedanken wieder. Vielleicht hatte es doch einen unangenehmen Grund für mein ungewöhnliches Verharren gegeben.

Es war erst eine knappe halbe Stunde her, seit mir der Wildhüter ein Rätsel aufgegeben hatte, das ich nicht ernsthaft lösen wollte. Aber ich erzähle alles besser der Reihe nach. Der Leser hat es leicht. Er steht mit der Macht der Worte transportiert unversehens mitten im indischen Dschungel ohne sich Risiken aussetzen zu müssen. Ehe ich dort war, hatte ich bereits einige Mühen hinter mir. Es war ein Glück, dass ich überhaupt so weit gekommen war.