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Über dieses Buch:

Die junge Studentin Sarah genießt ihren Urlaub in Venedig in vollen Zügen – und hat doch noch keine Ahnung, welches aufregende Abenteuer sie hier wirklich erwartet … Auf einem Maskenball begegnet sie Marco, der sie mit seinem durchdringenden Blick und einem charmanten Lächeln gefangen nimmt. Schon bei ihrem ersten, wilden Tanz durch die Ballnacht schicken seine Berührungen Sarah wohlige Schauer über den Rücken, und so lässt sie sich in eine Welt voller Leidenschaft und Verlangen entführen. Doch der schöne Venezianer hütet ein jahrhundertealtes Geheimnis – und ehe sich Sarah versieht, findet sie sich in der Lagunenstadt des 18. Jahrhunderts wieder. Wird es ihr gelingen, in die Gegenwart zurückzukehren … oder werden Marcos leidenschaftlichen Küsse sie für immer fesseln?

Über die Autorin:

Noëlle Mack ist eine US-amerikanische Autorin, die mit ihren erotischen Romanen mit dem besonderen Etwas in Amerika und Deutschland erfolgreich ist.

Weitere Titel der Autorin sind in Vorbereitung.

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eBook-Neuausgabe Juni 2019

Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel Masken der Lust bei Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2007 by Noëlle Mack

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel Nights in Black Satin bei Aphrodisia Books/Kensington Publishing Corp., New York.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2008 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Adobe Stock/nowicki

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96655-086-4

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Noëlle Mack

Midnight Heat – Zauber der Lust

Erotischer Roman

Aus dem Amerikanischen von Johannes Sabinski

dotbooks.

Für JWR, auf vielen Ebenen

Erstes Kapitel

Über den Himmel wirbelnd und purzelnd, nahmen die gemalten Engel an der Kuppeldecke keine Notiz von dem irdischen Trubel unter ihnen ... und Sarah bemerkte nicht auf Anhieb, dass ein Engel herabgekommen war. Ein wunderschöner Mann sauste flügelschlagend über ihren Kopf hinweg.

Karneval in Venedig – nichts kam ihm gleich. Auf dem Fest herrschte dichtes Gedränge, und die Musik pulste und vibrierte. Keiner schien sich daran zu stören, dass der Mann fast nackt war. Seine Haut glänzte silbern, als er die Menge einige Male überflog. Dann wurde er wieder unter die Kuppel gezogen, wo ihn eine Akrobatin, in einer Hand eine Schaukel, auf einer winzigen Plattform erwartete. Sie ließ die Stange der Schaukel los, er fing sie auf und löste sich fast im selben Augenblick von seinem Haltedraht. Mühelos stieß er zu ihr auf die Plattform, indem er einen blitzschnellen Salto durch die Luft schlug.

Auch die Frau trug Flügel, und ihr gelenkiger, straffer Körper wirkte ungeheuer kräftig. Der Mann verschränkte seine Finger mit ihren, und so wahrten sie in vollendeter Haltung ihr Gleichgewicht hoch über den Hunderten von Tänzern am Boden. Sarah war allseits von Kostümierten umgeben, die zuweilen kaum mehr trugen als ein aufwendiges Make-up und aberwitzige Accessoires.

Da gab es prächtige Federn, die in wallendes Haar geflochten waren, durchsichtige Schleier und natürlich viele Masken. Ihre eigene hatte sie im Gedränge verloren, hatte jemanden drauftreten hören und sich nicht weiter darum geschert.

Sarah trat in eine Nische, um sich hinzusetzen und Atem zu holen, entschied sich dann aber anders. Zwei langhaarige junge Männer, die wie Prinzen der Renaissance gekleidet waren, küssten sich sinnlich und fuhren sich gegenseitig mit den Händen über ihre geschmeidigen Körper.

Seufzend verschmolz sie wieder mit der Menge und ließ sich von der Musik mitreißen. Irgendein Bursche, den sie nicht sehen konnte, legte ihr seine Hände von hinten um die Taille, zog sie in eine tänzerische Umarmung und bewegte seinen sehnigen Körper mit ihrem im Einklang zur Musik. Seine starken Arme fühlten sich gut an auf ihrer bloßen Haut zwischen der tiefgeschnittenen schwarzen Samtjeans und dem paillettenbestickten Oberteil mit Spaghettiträgern: zurückhaltende Kleidung nach den Maßstäben dieser Party.

Als ihr Partner sie herumschwenkte, erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf sein gutgeschnittenes Gesicht und seine Augen, die schmissig mit dicken schwarzen Lidstrichen umrandet waren. Seine dunklen Locken waren zerzaust und schweißfeucht. In seiner lederfarbenen Kniebundhose sah er wie ein Satyr aus.

Er schwenkte sie weiter herum, bis sie Rücken an Rücken standen. Dann langte er hinter sich, um sie bei den Hüften zu halten, während sie ihn ebenso umfasste, sich dabei auf dem Fleck wiegte, übermütig lachte und das gegenseitige Hinternreiben genoss. Die sechs Gläschen Grappa zeigten Wirkung auf ihr Gemüt, und so war ihr die Berührung äußerst angenehm. Der Mann war kräftig gebaut, die Sorte Kerl, bei dem sie sich anlehnen, den sie umschmiegen und mit dem sie eine Menge Spaß haben konnte. Sobald der Mann in die Knie ging, rutschte sein muskulöser Hintern in der engen Hose über ihren weichen Arsch. Er fühlte sich warm und stramm an.

In der Menge tat sich ein Kreis von Leuten auf, die ihnen zusahen. Wieder wirbelte er Sarah herum, diesmal nur für eine halbe Drehung, und sie vollführten denselben sinnlichen Tanz eine Minute oder länger von Angesicht zu Angesicht. Dann warf er sie gekonnt rücklings über sein angewinkeltes Knie, sodass ihr Haar beinahe den Fußboden streifte. Als er ihren entzückten Ausruf hörte, zog er sie wieder hoch und fasste sie bei der Hand, um sie der applaudierenden Menge zu präsentieren. Sie formte die Lippen zu einem lautlosen Dank über die stampfende Musik hinweg, während er sich einer anderen Partnerin zuwandte, einer als Kätzchen verkleideten Brünetten, und sie am Schwanz zog, bis sie ihm einladend über die Schulter zumaunzte.

Sarah schwirrte der Kopf. Die ach so vornehmen Venezianer hatten einen wilden Zug an sich. Diese Party war nicht für Touristen gedacht, auch wenn sie nur eine Touristin war. Eine New Yorker Freundin, die Nichte einer Komtesse aus Padua, hatte ihre Einladung an sie weitergegeben. Sie lehnte sich an eine gewaltige Marmorsäule, die sich angenehm kühl an ihrer erhitzten Haut anfühlte, und sah auf.

Das geflügelte Paar hoch oben tauschte gerade einen Kuss und war im Begriff, von der Plattform abzuspringen und gemeinsam zu fliegen. Sarah spürte instinktiv, dass die beiden sowohl Liebende als auch Partner waren – der Mann brach den kurzen Kuss ab, um die Wange der Frau zu liebkosen, und blickte ihr einen Moment lang tief in die Augen.

Sarah keuchte auf, als sie sich mit ausgebreiteten Armen in die Luft schwangen. Ihre Haltedrähte waren unsichtbar gegen die üppig bemalte Kuppel. Sie jedoch wollte, wollte wirklich, dass nichts die beiden festhielt.

Einige Sekunden später ergriffen sie ein goldfarbenes Seil, das jemand versteckt von oben herabließ. Sie schlangen die Beine um das Seil und umeinander. Er hüllte seine Partnerin in seine Schwingen, küsste sie noch einmal zärtlich und strich ihr über das zurückgekämmte Haar.

Die Frau schmiegte sich an seine muskulöse Brust, eine Hand um seinen Hals gelegt. Sie schienen die Menge unter sich vergessen zu haben, und Sarah konnte sehen, dass er erregt war. Das dünne Stoffkörbchen über seinem Schritt konnte einen so langen und steifen Schwanz nicht in Zaum halten, schon gar nicht, wenn eine Frau – seine Frau – ihn mit sanften Fingern streichelte.

Das Seil drehte sich langsam und bot der Menge den Anblick des Paars aus allen Richtungen. Er breitete seine mächtigen Flügel aus und schlug sie in luftiger Höhe – wie, darüber war sich Sarah nicht recht im Klaren, doch es wirkte erstaunlich echt. Die Frau am Seil hob ein Bein und legte es ihrem Liebhaber auf die Schulter, um in der Mitte ihres geschlitzten Trikots rasierte Schamlippen von rosenblättriger Zartheit zur Schau zu stellen.

Dort berührte er sie mit einem Finger und führte ihn dann tief in ihr empfindsames Fleisch ein. Mit einer Hand das Seil umklammernd, bog sie sich zu einer Arabeske zurück. Ihre kleinen, festen Brüste schimmerten im weißen Licht des Punktstrahlers.

Manche sahen, was sich abspielte, andere nicht. Den Akrobaten war es einerlei. Liebevoll und gemächlich fickte der Mann sie mit seinem Finger und gelangte dabei immer tiefer, während sich beide um ihre gemeinsame Achse drehten. Er zog seinen Finger zurück und legte ihn ihr an den Mund, damit sie ihren Geschmack kosten konnte, dann küsste er sie und hüllte sie einmal mehr in seine Schwingen.

Sarah stand wie angewurzelt da. Sie sah, wie die Frau seinen Hodenschutz losband und ihn der Menge unter sich zuwarf. Eine Hand schnellte hoch, um das Körbchen aufzufangen, und tauchte mit ihrer Beute wieder ab.

Der riesige Schwanz des Engelmannes, umschmiegt und gerieben von der Hand der Frau, ragte gut sichtbar für alle in die Luft. Er ließ sie damit spielen, dann drückte er sich in sie, hob und senkte sich dabei am Seil und spannte die Hinterbacken auf höchst erotische Weise an.

Mit wenigen geschmeidigen Bewegungen hatte die Frau beide Hände am Seil und beide Beine auf seine Schultern gehoben. Ihre Flügel entfalteten sich und schlugen schneller. Ihr Liebhaber hielt sich mit einer Hand am Seil fest, richtete mit der anderen ihren Körper ganz genau aus und drang mit wendigem Stoß in sie ein, was sie leise aufschreien ließ. Er schluckte den Laut mit einem begierigen Kuss, der ihren Mund bedeckte, und am Seil kreisend, liebten sie sich verzückt in ihrem ganz eigenen Himmel.

»Bravo! Bravo!«

Nun, neben ihr wusste noch jemand das Schauspiel zu schätzen, dachte Sarah. Sie war gerührt von der Zärtlichkeit der Artisten zueinander, fühlte sich darüber aber auch ein wenig einsam. Die pulsierende Musik wurde lauter und hallte durch den Ballsaal. Noch mehr Leute hatten sich dazugesellt, verfroren von dem winterlichen Eisregen draußen, und mischten sich rasch unter die Menge.

Die Männer und Frauen auf der Tanzfläche bewegten sich ungehemmt und weit sinnlicher als zuvor, paarweise und wieder getrennt, bildeten Dreier-, Vierer- oder noch größere Gruppen, waren bereit, sich der Freude hinzugeben, und gespannt auf jederlei Lust, die sich heute Nacht noch ergeben mochte.

Noch immer an die Marmorsäule gelehnt, beobachtete Sarah den Mann und die Frau am Seil. Sie hatten gemeinsam den Höhepunkt erreicht, da war sie sich sicher. Seine Wange schmiegte sich an ihre, seine Augen waren geschlossen. Sein Gesicht glänzte von Schweiß, den sie ihm mit der Hand fortwischte. Er drückte seine Gefährtin an sich, und seine zuckenden Schwingen legten sich ein letztes Mal um sie. Sie fuhr mit gewölbtem Fuß seine Wade empor, einen Arm haltsuchend um seine Taille gelegt. Während sie zärtliche Küsse tauschten, wurden sie wieder zu den gemalten Engeln an die Decke gezogen.

Wunderschön, dachte Sarah voller Staunen. Sie waren vollendet aufeinander eingespielt, als wären sie schon Jahre zusammen. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, jemandem derart zu vertrauen – sicher zu wissen, dass jemand einem das Seil zuwerfen und kräftige Arme einen auffangen würden, ehe man fiele. Offen und ehrlich hatten sie sich geliebt, als wäre es ihnen ernst damit, und hatten sich wirklich keinen Deut darum gekümmert, wer zusah.

Sie richtete sich auf, als ein großgewachsener Mann im Abendanzug sie im Vorbeigehen streifte. Seine schwarzen Locken kringelten sich auf dem makellos weißen Hemdkragen. Dem Aussehen nach kam er gerade von einer sagenhaften Festlichkeit in einem Palazzo am Canal Grande. Unter den kunterbunten Kostümen und im Gedränge aus übersorgfältig oder allzu lässig gekleideten Partygängern stach er hervor, ein Inbegriff maskuliner Eleganz. Die schwarzweiße Strenge seiner Garderobe verlieh ihm etwas Herrschaftliches, das ihr sehr gut gefiel.

Als hätte er ihre Gedanken gespürt, wandte sich der Schwarzhaarige um und sah sie an. Oh, oh, oh. Sarah blickte geradewegs zurück in Augen, die haselnussbraun waren, ein Mosaik aus Bernsteinfarben, Grau und Grün, das sich unter ihrer Betrachtung zu verändern schien. Eigentümlich, aber fesselnd.

Er lächelte und neigte den Kopf zu einem Nicken, das einen Hauch aristokratisch wirkte. Von brennender Neugier erfasst, rätselte Sarah beim Zurücklächeln, wer er war, und bemerkte, wie viel voller seine Unterlippe im Vergleich zur oberen war. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Männer mit einer volleren Unterlippe am besten küssen konnten. Ein wahres Knabbervergnügen, wenn man die weibliche Hälfte des küssenden Paars war.

Er wird dich nicht küssen, sagte sie sich. Er nimmt bloß deine Gegenwart zur Kenntnis. Sie starrte ihn an und versuchte gleichzeitig, es nicht zu tun. Buschige schwarze Brauen, energische Wangenknochen und diese geheimnisvollen Augen ... er war sehr anziehend. Sarah konnte den Blick nicht von ihm lösen und nahm sein kantiges, kräftiges Kinn wahr und den Anflug von schwarzen Bartstoppeln, die seinen Unterkiefer betonten. Zusammen mit seiner untadeligen Abendgarderobe gaben sie ihm etwas Wildes. Sie liebte Bartstoppeln. Wenn ihr jemand damit über den Hals fuhr, erbebte sie stets lustvoll und machte einen Buckel wie eine Katze. Er ging weiter. Verdammt. Und sie hatte schon geglaubt, dass ihr Hals von Bartstoppeln gereizt werden würde. Doch er wirkte beschäftigt und wichtig und trat wie jemand auf, der Verantwortung trug. Sarah erinnerte sich nicht mehr an den Namen auf der Einladung, die sie an der Tür abgegeben hatte. Er könnte ihr Gastgeber sein. Sie sollte ihm danken – nein. Was, wenn er herausfände, dass sie eigentlich nicht auf der Gästeliste stand?

Er ging weiter, woraufhin sie um die Säule lugte und ihn mit jemandem sprechen sah, der Kopfhörer trug, an einem komplizierten Mischpult stand, verschiedene Regler betätigte und dabei die riesige Menge im Auge behielt. Was der Schwarzhaarige sagte – sie konnte es nicht hören –, veranlasste den Toningenieur, zu nicken und die Musik zu wechseln. Durch die Fußsohlen konnte sie die Bässe wie den Pulsschlag eines gewaltigen Herzens spüren.

Die Tanzenden bewegten sich nun beinahe wie ein einziges Wesen im Bann eines Stücks, das ganz und gar von Begehren handelte. Hände wurden durch die Luft geschwenkt, Hände von unterschiedlicher Hautfarbe, manche beringt, manche schmucklos, manche schlank, manche kräftig. Getönte Punktstrahler schwenkten über die wogende Menge hinweg und badeten sie in schillernde Farben. Sarah sah, wie sich viele der Feiernden mit einem Lover heimlich davonmachten und Händchen haltend eine der Nischen aufsuchten, deren Einlässe mit leuchtend roter Brokatseide drapiert waren, um Abgeschiedenheit zu gewährleisten.

Doch nicht alle waren auf Abgeschiedenheit aus. Ein auffallend gutaussehender Mann, der wie Casanova gekleidet war, sah sich den amourösen Aufmerksamkeiten von mindestens fünf Frauen ausgesetzt, die ihn schamlos befummelten. Sie hatten alle ihre Masken abgelegt und schienen sich keinen Deut darum zu scheren, wer nun was zu sehen bekam, er schon gar nicht. Seine muskulöse Brust lag frei unter einem bauschig geschnittenen Hemd, das bis zur Taille offen stand und dessen weite Ärmel in Rüschenmanschetten endeten, die dennoch absolut männlich wirkten.

Von ihrem Standpunkt aus konnte Sarah sehen, wie erregt er war. Eine der kecken Frauen öffnete ihm die Kniebundhose und zog den Latz beiseite, um einen eindrucksvollen Ständer hervorzuholen. Sein Schwanz schnellte aus den weichen Schamlocken hervor, und die Frau streichelte sachte daran entlang. Mit einem Wink lud er die übrigen Frauen ein, das Vergnügen zu teilen. Zwei knieten vor ihm nieder, und die eine machte sich daran, mit federleichten Berührungen seine gewaltigen Eier zu reizen, während ihre Freundin seinen Schaft schluckte und lüstern ablutschte.

Sarah sah mit großen Augen zu. Der Mann langte nach unten, raffte die Samtröcke der Frauen und legte Strumpfhaltergürtel, Strümpfe – und zwei sehr weibliche und vollkommen nackte Hinterteile bloß, die jeder, der es wollte, sehen konnte. Daraufhin traten weitere Frauen hinter Casanova und klatschten ihm auf den strammen Arsch. Er spannte seine Gesäßbacken an, um die prickelnden Hiebe einzustecken und sich daran aufzugeilen. Und noch eine wand sich um ihn und liebkoste seine Brust, während er breitbeinig dastand und sein Bestes tat, so vielen brünstigen Frauen auf einmal gefällig zu sein. Sarah vermutete, dass er dicht davor stand zu kommen, wandte sich aber dennoch ab. Genug war genug.

Sie stieß versehentlich gegen den Schwarzhaarigen, der zu ihr herabschmunzelte. O nein. Hatte er sie etwa gesehen, wie sie Casanova und diese Frauen beobachtete? Sarah errötete und trat ein paar Schritte zurück. Sie erlaubte sich ein zaghaftes Lächeln, besann sich dann eines Besseren und griff nach ihrer leichten Jacke, die sie über einen Stuhl an einem der abseits aufgestellten Tische geworfen hatte, ehe sie auf die Tanzfläche getreten war. Es war weit nach Mitternacht, und sie war bereit fürs Zubettgehen. Allein. Orgien waren für andere als sie gemacht. Unmöglich zu sagen, was ein gutaussehender schwarzhaariger Fremder von einer unbegleiteten Frau auf einer Karnevalsparty erwarten mochte, aber sie wollte es nicht herausfinden.

Sarah ging davon, doch er holte sie ein und stellte sich vor sie. Gut so. Kaum sah sie ihm wieder in die Augen, beschloss sie, es doch herausfinden zu wollen.

»Permesso«, murmelte er. »Möchten Sie vielleicht ein Glas Champagner? Wollen Sie sich nicht setzen?«

Herrje. Seine ungewöhnlichen Augen wurden von Wimpern beschattet, die so schwarz waren wie sein Haar. Etwas an seinem Lächeln verriet ihr, dass er ein Gentleman war und sie zu nichts drängen würde. Was als Nächstes geschehen würde, läge an ihr. Sarah konnte und wollte nicht nein sagen.

»Okay. Klar.« Wie durch Zauberei erschien ein schmächtiger Kellner in weißer Jacke, um seine Bestellung, ihre Bestellung, irgendjemandes Bestellung aufzunehmen. Die beiden Frauen am Nachbartisch beäugten ihn gierig. Sie konnte es ihnen nicht verübeln. Der Kellner sah wie ein Faun aus. Er war so jung, dass man ihn beinahe niedlich nennen konnte, mit dunklen, seelenvollen Augen.

Sarah setzte sich wieder an den Tisch, ohne auf die säuerlichen Blicke von nebenan zu achten, während sich der junge Kellner zu ihr beugte, um ihre Bestellung aufzunehmen. Er ist mein Faun, wollte sie sagen. Ha! Aber sie wusste nicht, was sie bestellen sollte.

Dann setzte sich auch der Schwarzhaarige und murmelte eine Champagnermarke, die ihr als unerhört kostspielig bekannt war. Der junge Kellner nickte und schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch, wobei er mehrmals den Arsch getätschelt bekam, ehe er sich in Sicherheit bringen konnte.

»Danke«, sagte sie ein wenig atemlos.

»Es ist mir ein Vergnügen. Ich heiße Marco. Und Sie sind ...?«

»Sarah. Sarah Ryan.«

Er musterte sie von oben bis unten, und sie wand sich ein wenig in ihrer Jeans. Unter seinem Blick wurde ihr umso schärfer zumute. Der Kellner kehrte mit einer gekühlten, von einer weißen Damastserviette umwickelten Flasche zurück, schob sie in einen silbernen Sektkühler und brachte mit schwungvoller Geste zwei Champagnergläser zum Vorschein, die er auf den Tisch stellte.

Marco übernahm das Öffnen der Flasche, drückte mit seinen kräftig wirkenden Daumen von zwei Seiten auf den Korken und löste ihn langsam heraus. Der eiskalte Schaum sprudelte über den dicken Flaschenhals, doch ehe etwas verschüttet wurde, goss er ihn flink in eines der Gläser und reichte es ihr.

Sarah nahm winzige Schlucke. Er trank ein halbes Glas, sah erst flüchtig auf die Leute auf der Tanzfläche und blickte dann sie an.

»Ich habe dich beim Tanzen beobachtet, Sarah. Du scheinst dich gut unterhalten zu haben.« Er schien beschlossen zu haben, das förmliche Sie sausen zu lassen.

»Die Musik ist super. Tolle Party hier.« Sie fragte sich, ob er sich an sie ranmachen wollte, wie es der Satyr getan hatte. Sofort malte sie sich aus, wie sie auf allen vieren war, Marco splitternackt hinter sich, und er ihre Hüften mit seinen großen Händen festhielt, sie weit spreizte, um sie herrlich langsam zu ficken. Erstaunlich, dass ein Mann einem vollständig angezogen am Tisch gegenübersitzen und gleichzeitig derlei mit den eigenen Gedanken anstellen konnte. Die Vorstellungsgabe war eine wunderbare Sache.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, trank er einen Schluck seines Champagners und lächelte ihr äußerst verhalten zu. Sarah errötete und betrachtete die aufsteigenden Bläschen in ihrem Glas. Einer jähen Eingebung folgend, erhob sie sich und streckte eine Hand aus in der Hoffnung, er werde mit ihr tanzen.

Er wirkte überrascht, stand aber sofort auf. Er legte sein Jackett ab, hängte es über die Stuhllehne und warf dem Kellner einen Blick zu, der herankam und sich daneben aufstellte, als würde er den Tisch bewachen. Nein. Nicht als würde. Der junge Kellner bewachte ihn wirklich. Sarah erkannte, dass ihr erster Eindruck von Marco zutraf. Er hatte hier das Sagen.

Eine Hand an ihrem Kreuz, führte Marco sie auf die Tanzfläche, und sie begannen beide, sich so ungezwungen miteinander zu bewegen wie zuvor die beiden Liebenden am goldenen Seil.

Sie spürte, wie sich sein Körper an sie schmiegte, und so schmolz sie dahin, als sie ihren Kopf an seine Hemdbrust bettete, die sehr angenehm nach Leinen und warmem Mann roch. Die Knöpfe waren aus Perlmutt, flach und erinnerten sie an ... also gut, an steife, männliche Brustwarzen. Was war daran schon verkehrt? Sarah spürte, wie sich in seiner Hose eine Erektion entwickelte. Auch daran war nichts verkehrt. Marco war wie geschaffen für die Lust einer Frau.

Ihm schien seine Erregung nicht peinlich zu sein, und sein gelassener Umgang damit ermutigte sie. Sarah drückte sich an ihn, wiegte sich zur Musik, ließ die Hände zu seiner Taille gleiten und ... den Rücken hinunter ... noch etwas tiefer. Dann ließ sie die Hände auf seinem strammen Hintern ruhen.

Sein Muskelspiel fühlte sich wunderbar an. Sie wählte eine Position, in der er sich besonders gut anfühlte, und genoss einfach das Gefühl seines Körpers, vorn, hinten und in der Mitte, wo sein Schwanz mit jeder Sekunde größer wurde.

Marco legte seine Arme um sie und hielt Sarah sehr eng umschlungen, als er ihr einen Kuss aufs Haar drückte. Herrje, hoffentlich sah es nicht zu gewollt chic, zu sehr nach Brooklyn aus. Kurzgeschnitten bis eben unter die Ohren, neigte ihr hellblondes Haar dazu, an den Spitzen ein wenig abzustehen.

Er fuhr mit den Fingern hindurch und streichelte dann ihren Hals so zärtlich, dass sie ein heftiger sexueller Kitzel durchlief. Fast wäre sie allein davon gekommen, dass sie sich an ihn drückte. Sarah wandte ihm ihr Gesicht zu. Ihre Lippen teilten sich, und er lachte nur ganz kurz und leise, ehe er sich herabbeugte, um sie zu küssen. Die Musik hüllte sie ein, und die Bewegung der stetig wachsenden Menge sorgte dafür, dass sie nicht einmal mehr tanzen mussten. Sie standen einfach eine Minute lang im Kuss vereint da, aneinandergepresst von den Leuten, die sie umringten.

Sie wollte die Augen nicht öffnen, wollte sich nicht bewegen. Was sein Kuss sie empfinden ließ, war außerordentlich. Seine Lippen waren seidig und glatt und bewegten sich mit genau dem richtigen Maß an Druck, an Forschungseifer. Marco küsste meisterhaft.

Ein weiterer Kitzel durchlief ihren Körper, und sie wölbte sich ihm entgegen, spürte die warmen Muskeln seiner Arme unter dem Hemdstoff, während er sie umfangen hielt. Sarah wollte ihre Brüste an seinem Oberkörper reiben, beherrschte sich aber, da das benachbarte Paar sie ablenkte.

Sie taten weit mehr, als sich zu küssen. Die Frau tat das, woran Sarah nur dachte, ließ die bloßen Brüste aus ihrem strassbesetzten Korsett quellen. Sie rieb sich an ihrem Gegenüber, der ihre Nippel reizte und an ihrem Hals knabberte.

Marco schien sie nicht einmal zu bemerken. Er sah auf Sarah hinab, als sei er von ihrer Neugier belustigt. Sie schenkte ihm ein verunglücktes Lächeln – und dann, verdammt, sah sie sich wieder nach dem Paar um. Sie konnte einfach nicht anders.

Die Frau im Korsett lachte einladend, als eine weitere, ebenfalls kostümierte Frau vortrat und freimütig an den entblößten, so kühn dargebotenen Brüsten spielte und saugte, während sich der Mann, dessen neckende Hand beiseite gestoßen worden war, aufrichtete und zusah. Dann legte auch die zweite Frau ihre Brüste frei und rieb sie an den Nippeln, die sie zuvor gelutscht hatte, bis ihre eigenen ebenso aufgerichtet waren.

Sarah errötete. Es war unmöglich, nicht zuzuschauen, und Marco wurde nun steinhart. Er zog ihre Hüften an sich und presste seinen gänzlich aufgerichteten Schwanz an ihren Bauch. Oh, wie sehr sie ihn haben wollte – wie wunderbar es sich doch anfühlte, sich keine Gedanken oder Sorgen machen zu müssen. Es war Karneval, und sie war in Venedig ... man musste mit dem Teufel tanzen, und sei es nur zum Beweis, dass man ihm widerstehen konnte.

Ha! Sie glaubte nicht ernsthaft, dass dies möglich wäre. Sarah klammerte sich an Marco, als lägen sie schon beieinander und als stünde er im Begriff, in sie einzudringen.

Dann drehte der andere Mann seine Gefährtin zu sich um, zog die fließenden Falten ihres Satinrocks hoch und entblößte einen blanken Hintern. Sarah fragte sich, ob keine dieser Frauen ein Höschen trug. Auf einmal kam sie sich züchtig und gesittet vor mit ihrem Tanga unter der schwarzen Samtjeans.

Die hinzugekommene Frau liebkoste den wunderschönen weiblichen Arsch, streichelte und drückte das weiche Fleisch. Bei aller Ausgelassenheit und schrankenlosen Lüsternheit waren die beiden Frauen stilsicher gewandet. Ihre tief ausgeschnittenen Kleider mit den Unterröcken eigneten sich bestens für ungeplante sexuelle Begegnungen, einst wie jetzt. Sarah war, als betrachtete sie ein altes Buch mit erotischem Inhalt, das zu unziemlichem Leben erweckt worden war. Noch mehr Leute eilten herbei, um sich das Trio anzusehen und, wie Sarah vermutete, mitzumischen.

Marco streichelte ihr über die Wange und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Ist das zu viel für dich?«

»Warum fragst du?«, flüsterte sie. »Sehe ich so unschuldig aus?«

»Ja.« Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Du bist berückend. Und ich wäre lieber mit dir allein.«

Dazu würde es hier nicht kommen. Sarah warf einen Blick in Richtung des Trios, doch es war noch immer umringt von der Menge. Es gab nichts zu sehen als Rücken, die aneinanderdrängelten, und ein Durcheinander von Kostümen, manche eingerissen, wo auf sie getreten oder an ihnen gezerrt worden war, andere mit zerlaufenen Farben vom Regen, durch den ihre Träger gehetzt waren, um hierherzugelangen.

Die Musik schwoll noch lauter an und wirkte beinahe erdrückend, und die Hitze und Heiterkeit der Gäste waren überwältigend. Sarahs Blick schweifte über die Menge. In ihrer Mitte zu tanzen, ein namenloser Teil der sich vervielfachenden Verrücktheit zu sein hatte eine ganze Weile Spaß gemacht. Doch das plötzliche Erscheinen von Marco hatte das Gefüge verändert. Eins zu eins. Er und sie. Das war es, was sie wollte.

»Ich habe genug gehabt«, sagte er. »Sie werden noch stundenlang so weitermachen. So wirkt der Karneval auf die Leute.«

»Das glaube ich gern«, sagte Sarah. Sie konnte sich die müden Partygäste auf dem Weg zurück in ihre Hotels vorstellen, die Schminke von der Haut geschwitzt und die Kostüme zerfleddert. Diesen Anblick wollte sie sich ersparen, wollte nicht, dass der Zauber ein Ende nahm.

»Komm mit«, raunte er. Und das war alles, was er sagte.

Wieder sah sie ihm in die Augen, die eine Zärtlichkeit offenbarten, die sie nicht verstand. Wie leicht könnte sie sich weismachen, dass er – Simsalabim – Liebe auf den ersten Blick zu ihr empfinde. Aber er wollte nichts weiter als Lust – heute Abend wollten alle hier nichts weiter als Lust –, ein Geben und Nehmen ohne Bedingungen.

Und sie war genauso gestimmt.

Sarah nickte. Er nahm sie bei der Hand, führte sie fort und nahm ihre Jacken von den Stühlen am Tisch mit. Der junge Kellner wachte noch immer darüber und hielt sein Tablett wie einen Schild vor sich. Sarah entdeckte eine Hand mit rotlackierten Fingernägeln, die liebevoll an der Innenseite seines Schenkels emporglitt. Doch er stand reglos da. Für einen Faun hatte er Nerven aus Stahl. Marco grinste ihn an, entließ ihn mit einem Wink, und der Kellner fiel zurück in den Schoß der Glücklichen, die ihn endlich, samt Tablett und allem, eingefangen hatte.

Marco half Sarah in ihre Jacke, schlüpfte dann in sein Jackett und gab ihm mit einem Schulterrucken den richtigen Sitz.

»Fertig?«

»Ich denke schon.«

Die Masse an Leuten, die sich vor dem Eingang zum Ballsaal drängten, machte ein bloßes Durchkommen unmöglich. Dass die Party privat war, hielt ungebetene Gäste nicht von dem Versuch ab, sich ohne Einladung Zugang zu verschaffen. Doch auf ein Nicken Marcos zu den Hünen in Umhängen und Dreispitzen, die an der Tür postiert waren, kamen zwei von ihnen herein und machten für sie den Weg nach draußen frei. Sarah glaubte, zwei der kostümierten Frauen seinen Namen rufen zu hören, war sich aber nicht sicher. Der Name war weit genug verbreitet, besonders in Venedig, und vielleicht hatten sie ihn gar nicht gemeint.

Eifersüchtig?, fragte eine kleine Stimme Nicht doch. Er gehört dir nicht und du nicht ihm. Nichtsdestotrotz wollte Sarah ihn ganz für sich haben, selbst wenn es nur für diese eine Nacht sein sollte.

Sie blickte zum Nachthimmel hoch und sah verblüfft, dass Schneeflocken im goldgelben Licht der altertümlichen Laternen entlang des Zattere-Kais wirbelten.

»Ah, das ist ein seltener Anblick in Venedig«, sagte Marco. »Er wird nicht lange halten.« Seine letzten Worte klangen eine Spur traurig, als wünschte er, er könne etwas daran ändern. Sarah schalt sich, für einen Augenblick geargwöhnt zu haben, er könnte die romantische Stimmung irgendwie bestellt haben. Der weiße Schnee zeichnete die Umrisse der alten Gebäude nach und gab ihren grazilen architektonischen Einzelheiten das Aussehen von Spitze. Zwischen gestreiften Pfosten warteten die schwarzen Gondeln im tintendunklen Wasser, der Bug schwungvoll aufsteigend, die Seiten und die verhüllten Sitze von dem unerwarteten Schnee beflockt.

Marco sah sich nach den Männern an der Tür um. Einer von ihnen legte seinen Umhang ab und warf ihn ihm über die Köpfe der Wartenden hinweg zu. Niemand versuchte, ihn abzufangen, fiel Sarah auf – alle hier verhielten sich, als sei Marco jemand, ein sehr wichtiger Jemand.

Lässig fing er den Umhang auf. Seine Hand griff nach dem Wollstoff, dann hüllte er Sarah darin ein und zog ihr die Kapuze über, sodass ihr Gesicht davon umrahmt war. Er wandte sich nach einer Männerstimme um, die ihm etwas in venezianischer Mundart zurief, und fing einen weiteren Umhang auf, den er sich selbst umlegte.

»So, wir sehen aus wie aus einer anderen Zeit«, sagte er.

»Ist das nicht der Sinn des Karnevals?«, fragte Sarah.

»Ja, so könnte man sagen.«

Sie gingen durch die stillen Gassen des Dorsoduro-Viertels, während rings um sie leise der Schnee herabrieselte. Niemand würde ihr das hier glauben, dachte Sarah. Nicht einmal sie selbst glaubte es. Die alten Mauern, die geheime Gärten und kleine Innenhöfe abschirmten, wurden vom Weiß weichgezeichnet, die Risse in uraltem Putz waren nur sichtbar, wo genügend Licht hinfiel.

Eine kleine graue Katze folgte ihnen, hielt sich dichter an Marco als an Sarah, blieb aber seinen Füßen fern.

»Eine Freundin von dir?«, fragte sie leichthin.

Marco zuckte die Achseln. »Venedig steckt voller Katzen.«

Wohl wahr. Sie waren ebenso ein Teil der Stadt wie die allgegenwärtigen Tauben. Sarah beneidete die Tauben, die alles aus der Luft sehen konnten. Sie würden sich nicht verirren, wie sie es tat, doch es machte ihr nichts aus, sich zu verirren. Hinter jeder Ecke entdeckte sie etwas Neues, was wiederum etwas wunderbar Altes war. Würde es jemanden aus dem achtzehnten Jahrhundert in die Gegenwart verschlagen, hier fände er ohne weiteres nach Hause – und bei dem Gedanken fiel ihr ein, dass sie Marco gar nicht nach seinem Ziel gefragt hatte. Die Zu-dir-oder-zu-mir-Diskussion war noch nicht erfolgt, und sie wusste nicht, wo er wohnte. Wahrscheinlich in einem Palazzo.

Sie seufzte. Ihre Herberge lag nicht weit, da war sie sich ziemlich sicher, bezweifelte aber, dass sie Marco an ihrer Wirtin vorbeibekäme, die sich lange mit Stricken wach hielt. Signora Dolcettis große, schwarzweiße Katze war so sanft wie eine Kuh und schlief mehr als die Signora selbst, gewöhnlich auf dem Fernsehapparat, der wärmsten Stelle in der Erdgeschosswohnung. Die Wirtin ließ ihre Tür offen stehen, sodass sich alles Kommen und Gehen vor ihren Augen abspielte.

Der Gedanke, mit Marco im Bett zu liegen, ihre bloße Haut von seinen Händen erwärmt und seinen kraftvollen Körper auf sich zu spüren, ließ sie erschauern. Er nahm sie fester bei der Hand und blieb vor einem Café stehen, das sie schon mehr als einmal besucht hatte.

»Sollen wir hineingehen? Du zitterst, und wir könnten dir etwas Heißes zu trinken besorgen. Ich bin froh, dass es noch geöffnet ist – ich habe heute dort ein Buch liegenlassen.«

»Du kennst diesen Laden? Und ich dachte, ich hätte ihn entdeckt. Na gut.«

Er lachte, und sie traten ein. Auch gut. Die Wirkung des Grappa auf ihren Verstand ließ nach, und allmählich kehrte ihre natürliche Vorsicht zurück. Sarah trat an einen Tisch und legte ihren Umhang ab, nahm auch seinen entgegen und hängte beide über eine Stuhllehne. Jetzt fröstelte sie wirklich. Der feuchtkalte venezianische Winter drang überallhin, vor allem in Nächten wie dieser.

Sie rieb sich die Arme und wünschte, etwas Wärmeres angezogen zu haben. Die Jacke war eben lang genug, um ihren bloßen Bauch zu bedecken, konnte aber nicht viel bei dem winzigen Oberteil ausrichten, das genau richtig war, um darin die Nacht durchzutanzen. Sarah wusste, dass ihr die Zugluft früher oder später das Rückgrat empor- und unter ihre tiefgeschnittene Jeans kriechen würde. Sie hockte sich auf einen schmiedeeisernen Stuhl, während Marco an die Marmortheke trat und mit leiser Stimme zum Inhaber sprach. Es ging um das Buch, das er in dem Café vergessen hatte, so viel verstand sie, obwohl die venezianische Sprechweise schwer zu verstehen und es mit ihren italienischen Grundkenntnissen nicht sehr weit her war.

Der alte Mann nickte und zog ein Buch unter dem Tresen hervor. Selbst von ihrem Sitzplatz aus konnte Sarah erkennen, dass es alt war, mit marmorierten Pappdeckeln und ledernem Rücken. Nicht eben viele Seiten.

Wahrscheinlich Lyrik. Klingeling. Die Warnglocke. Mochte Marco noch so süß sein, Dichter bedeuteten Ärger. Aber er konnte einfach kein Dichter sein, und süß war das falsche Wort für einen Mann seines Kalibers. Selbst seine Rückenansicht war majestätisch. Der schwarze Abendanzug saß tadellos – von den breiten Schultern bis zu seinen schmalen Hüften, und seine Schuhe waren zweifellos maßgefertigt. Italienische Männer wussten, wie man sich kleidete.

Nächste Frage. Sollte es ein Lyrikband sein, hieße das nicht zwangsläufig, dass er ihn verfasst hatte. Die Göttin der Liebesabenteuer im Ausland würde schon kein ausgemachtes Biest sein und sie an einen Dichter geraten lassen. Gewöhnlich waren sie pleite, launisch und neigten dazu, lyrische Werke laut vortragen zu wollen – wenn sie nicht gerade ihre eigenen schrieben, die entweder schlecht oder unverständlich waren.

Nun, pleite war Marco eindeutig nicht. Für ihn galt das Wort gepflegt, insbesondere jetzt, wo sie ihn in richtig gutem Licht betrachten konnte. Ihr fielen noch weitere Worte ein, die so gut zu ihm passten wie seine maßgeschneiderten Kleider. Ungemein sexy. Ein wenig geheimnisvoll, aber auf gutmütige Art. Und für den Augenblick zu ihr gehörend.

Tu den nächsten Schritt, dachte sie. Dir bleiben noch fünf Tage in Venedig. Gib bloß acht, dass du trotzdem ein wenig auf Abstand bleibst. Und bewahre dir deinen Stolz. Sie wollte nicht, dass er dachte, sie streune herum. Er hatte den lächerlich teuren Champagner bezahlt, den sie nicht einmal ausgetrunken hatten, nun würde sie für alles aufkommen, was sie hier bestellten.

Sarah beschloss, dass ihr nach einer heißen Schokolade war. Die Europäer machten sie einfach sündhaft gut – sie schmolzen aromastarke Bitterschokoladeraspel in milchiger Sahne, gaben Zucker hinzu und schäumten alles zu einem köstliche Gebräu auf, das nichts mit dem pulvrigen Zeug gemein hatte, das sie als Kind so gern getrunken hatte. Sie stöberte in ihren Taschen nach Geld und zählte die ungewohnt aussehenden Münzen nach – sie hatte gerade eben genug. Dann glitt sie von ihrem verschnörkelten Stuhl herunter und trat an die Theke.

Es tat gut, sich zu bewegen. Ihre engen Jeans hielten ihre Beine warm, das war von Vorteil. Aber ihre von irgendeinem Designer abgekupferte H&M-Jacke war viel zu schick für Knöpfe. Sarah hielt die offene Vorderseite zusammen, als Signor Morelli mit besorgter Miene merkte, wie wenig sie darunter anhatte.

Marco schmunzelte bloß. Sie zeigte nichts, was er nicht schon gesehen hätte. Doch wie gern würde sie jetzt einen Becher mit etwas Heißem in den Händen halten, die bereits frostklamm waren. Sie hatte nicht daran gedacht, Handschuhe nach Venedig mitzunehmen, und vor Ort auch keine gekauft.

Sie wusste, dass Signor Morelli ihr aus reiner Herzensgüte ein Paar überlassen würde, wenn er eines hätte. Er war furchtbar nett zu ihr gewesen, seit sie das erste Mal hereingekommen war, angezogen von der altmodischen, eher steif wirkenden Ausstattung des Cafés. Sie bestand aus goldgerahmten Spiegeln an den roten Wänden, kleinen Marmortischen und schmiedeeisernen Stühlen.

Laut der gravierten Tafel an der Fassade gab es das Café seit 1777. Das allein hatte sie schon beeindruckt. Rechts und links war es von noch älteren Häusern gesäumt, und nicht weit entfernt standen Palazzi mit langer Geschichte. Doch viele davon waren nur noch traurige Schatten ihrer selbst mit bröckelnden Fassaden, die längst nicht mehr zu restaurieren waren. Dennoch, die stilvolle Erhabenheit der Stadt schlug sie in ihren Bann, welche Straße oder welchem Kanal sie auch folgte. Dieses Café war nicht in ihrem Reiseführer verzeichnet – und da ihr Marco erzählt hatte, er kenne es, verstand sie auch, warum. Hier verkehrten nur die echten Venezianer.

Signor Morelli warf ihr einen fragenden Blick zu, und Sarah gelang es, ihren Wunsch zu äußern – eine heiße Schokolade für Marco und eine für sich, beide mit Sahnehäubchen und die Rechnung bitte an sie –, ohne das Italienisch allzu sehr durch die Mangel zu drehen.

Marco schien es komisch zu finden, dass sie ihn einlud, machte aber keine Einwände, außer dass er auf die Schlagsahne verzichtete. Der Wirt murmelte ihnen eine höfliche Antwort in sehr akzentbehaftetem Englisch zu, als Sarah ihn anstrahlte. Die echten Venezianer waren nicht gerade begeistert von den Touristen, die über die Plätze und durch die Straßen der Stadt schwärmten und sie von den Vaporetti drängelten. Sarah hingegen schien akzeptiert worden zu sein, wenigstens von Signor Morelli.

Und jetzt ... auch von Marco – der eine ganz andere Sorte Mann war. Er sah in sein Buch und runzelte nachdenklich die Stirn. Sie warf heimlich einen Blick hinein. Es war irgendeine Art Lyrik, kurze Zeilen in Strophenform. Wie auch immer.

Signor Morelli nahm sich Zeit, die beiden heißen Schokoladen zuzubereiten, doch sie wusste seine Sorgfalt zu schätzen. Als er fertig war, bewegte er ihre Tasse unter der Schlagsahnedüse langsam im Kreis, ganz der Aufgabe zugewandt. Sarah nutzte die Gelegenheit, Marco noch einmal rasch von oben bis unten zu betrachten, falls ihr irgendeine Einzelheit entgangen sein sollte.

Hoppla. Er kehrte sich ihr zu und schenkte ihr einen kühlen Blick. Seine Augen waren einfach fesselnd.

»Signorina ...« Die freundliche Stimme des Cafébesitzers ließ sie hochschrecken. Sie blickte ihn mit weitgeöffneten Augen an und hielt ihm die Münzen in ihrer Hand hin. Er schob beide Tassen über den Marmortresen, fügte ihrer Untertasse einen schlanken Teelöffel hinzu und betätigte die Kurbel an der Registrierkasse, einer reichverzierten Antiquität.

Sarah bedankte sich und nahm ihre Tasse. Der Teelöffel schepperte und verriet ihre Fahrigkeit, woraufhin sie die Tasse wieder absetzte, sich die Handtasche über die Schulter zu streifen versuchte, aber mit dem widerspenstigen Riemen zu kämpfen hatte.

»Darf ich?« Marco kam ihr zu Hilfe, ohne auf eine Antwort zu warten.

»Ah. Mein Großneffe ist solch ein Kavalier«, sagte Signor Morelli. »Aber das dürften Sie ja wissen, Signorina Sarah.«

Sie sah Marco überrascht an. »Er ist dein Onkel?«

»Ja.« Marco lächelte schwach, während er den Riemen ihrer Handtasche an genau die richtige Stelle auf ihrer Schulter schob. Sie malte sich aus, wie er ebenso geschickt den Träger ihres Büstenhalters abstreifen würde. Nicht, dass Büstenhalterträger irgendwelche Schwierigkeiten darstellten. Aber zweifellos beherrschte er auch Häkchen und Ösen meisterlich.

»Oh. Warum hast du mir das nicht schon bei unserem Eintreten erzählt?«

Er zuckte vielsagend die Achseln. »Früher oder später wären wir ohnehin daraufgekommen.«

»Wohl wahr.« Sie sah von Signor Morelli zu Marco, konnte aber keinerlei Ähnlichkeit feststellen, die ihr einen Hinweis gegeben hätte. Doch das spielte keine Rolle. Jemanden zu kennen, der ihn kannte, nahm ihr den letzten Rest Unbehagen daran, mit einem Unbekannten von einer wilden Feier aufgebrochen zu sein. Ihr Blick ruhte auf ihm, während der Cafébesitzer mit einem Handtuch den Tresen abwischte. »Dann heißt du Marco, äh, Morelli?«

Er machte eine sehr italienische Geste, die alles und nichts bedeutete, aber gut aussah, so, wie er sie vollführte. »Einfach Marco.«

»Okay. Ganz, wie du willst.« Dann lenkte sie der Anblick ihrer ehrfurchtsvollen Miene in einem der goldgerahmten Spiegel vorübergehend ab. Nicht schlecht für den Anfang, dachte sie mit schiefem Lächeln. Wie weltgewandt. Das hastige Gehen durch die verschneite Nacht hatte ihren Wangen eine rosige Farbe verliehen, und ihr Haar kräuselte sich an den Spitzen.

»Mi permetta.«