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Impressum

Titel

Kleine Helfer für die Altenpflege

Ich geh nach Hause!

111 Tipps zum Umgang mit Menschen mit Demenz

Autor

Uli Zeller

Titelbildmotive

© alison1414 (Dame) – Fotolia.com; © Olga Kovalenko (Hintergrund Wand), © annagolant (Button), © Elaelo (Hand) © KatyaKatya (Muster „Pinselstrich“) – alle stock.adobe.com

Illustrationen im Innenteil

Kapiteldeckblätter: © Norbert Höveler; Tipp-Glühbirne: © Verlag an der Ruhr

E-Book-Herstellung und Auslieferung

readbox publishing, Dortmund www.readbox.net

imageVerlag an der Ruhr

Mülheim an der Ruhr

www.verlagruhr.de

Urheberrechtlicher Hinweis

© Verlag an der Ruhr 2019, Version 2021

E-Book ISBN 978-3-8346-4244-8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Meine Rolle

Bewohner verweigert Aktivierung

Was mache ich, wenn ich scheitere?

Bevor ich mich aufreg, ist’s mir lieber egal

Drei Fehler in 33 Sekunden

Machen Sie bloß die Charts aus!

Eigentlich bin ich der Beschenkte

Wofür stehe ich eigentlich?

Viel Grund zum Danken

Erinnerungen wecken

Poesiealbum: „Froh zu sein, bedarf es wenig …“

Fotos: „Schauen Sie mal. Da war ich noch ein Kind …“

Zeitgeschichte: „Das waren meine 50er-Jahre …“

Bauernregeln: „Kräht der Hahn auf dem Mist …“

Sprichwörter und Redewendungen: „Jeder ist seines Glückes Schmied“

Singen: „Wo man singt, lass dich ruhig nieder“

Vorlesen: „Erzählen Sie mir eine Geschichte“

Kommunikation

Die kriegen ja nichts mehr mit

Kommen Sie mir nah – bleiben Sie weg

Du, Frau Berger

Ich bin nicht schwerhörig und nicht doof

Gute Tipps für die Kommunikation

(Herausforderndes) Verhalten

Jetzt gibt’s gleich ’ne Ohrfeige

Ich geh nach Hause!

Gehen Sie weg von mir!

Einfache Lösungen sind oft die besten

Drei Tipps bei herausforderndem Verhalten

Humor

Unfreiwillig komische Situationen

Humorvolle Geschichten für Menschen mit Demenz

Verschiedene Sichtweisen: schwierige Angehörige und Kollegen

Konflikte sind Gratis-Weiterbildungen

Schwierige Angehörige – und jetzt?

Hab ich richtig gehört?

Erst mal Luft holen

Worum geht es eigentlich?

Durch das Jahr

Frühling: „Wie viel wiegt der Spargel?“

Sommer: „Einmal kühlen, bitte!“

Herbst: „Wir spielen mit Kastanien“

Winter: „Viel Spaß mit wenig Schnee“

Sterben

Der eine kann’s, der andere nicht

Frau Möllers Tod geht mir nahe

Meine Mutter hat ihren eigenen Kopf

Wer stirbt als Nächster?

Da kommt der Leichenwagen

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Vorwort

Präsenzkraft Petra erzählt: „Neulich war ich bei Herrn Ludwig im Zimmer. Ich habe ihm beim Waschen geholfen. Dann saß Herr Ludwig im Badezimmer. Er ließ den Kopf hängen. ‚Ich habe so viel vergessen‘, klagte er. So kann er sich nicht mehr daran erinnern, dass ich ihm eben die Haare gekämmt habe. Aber er weiß noch genau, dass er am Tag seiner Hochzeit eine Fliege getragen hat. An diesem Morgen sagte Herr Ludwig zu mir: ‚Wissen Sie was, Schwester? Früher war ich auch mal wer!‘ Ich hatte noch viel Arbeit und kümmerte mich um die anderen Bewohner – aber immer wieder kam mir Herr Ludwig in den Sinn. Schließlich ging ich noch einmal in sein Zimmer und sagte: ‚Wissen Sie was, Herr Ludwig? Sie sind heute auch noch wer!‘“ Soweit Präsenzkraft Petra.

Ja, Herr Ludwig ist auch heute noch wer – obwohl ihm der Vorhang Demenz den Blick versperrt.

Demenz gleicht tatsächlich einem Vorhang: Häufig ist er zugezogen und versperrt so den Blick auf die eigene Vergangenheit. Das möchte ich mit folgender Geschichte erklären: Neulich war Herr Wagner auf der Autobahn unterwegs. Er fuhr zu einer Hochzeit. Deshalb baumelte sein Anzug hinter ihm an der Halteschlaufe vor dem Fenster des Rücksitzes. Der Anzug versperrte also etwas ungeschickt den Blick durchs hintere Fenster. Vor Herrn Wagner fuhr ein Lastwagen. Er schaute in den Rückspiegel und zur Seite und setzte den Blinker nach links. Da der Anzug im Weg hing, sah er beim Blick über die Schulter kein Hindernis und wollte auf die Überholspur ziehen. Da blendete es ihm 3-mal aus dem Rückspiegel entgegen – Lichthupe. Dann hörte Herr Wagner es hupen und ein blauer Audi rauschte auf der Überholspur an ihm vorbei.

Demenz – das äußert sich ein bisschen wie dieser Anzug, der im Weg hängt. Demenz ist wie ein Vorhang, der den Blick versperrt. Manches ist dadurch nicht sichtbar. Manches wird nicht erkannt. Oft klappt der Blick über die Schulter noch ohne Probleme. Das, was vor langer Zeit war, sieht man noch deutlich. Aber die jüngste Vergangenheit ist verloren gegangen. Herr Ludwig sieht sich noch als junger Mann am Tag seiner Hochzeit. Aber er kann sich nicht mehr daran erinnern, dass Petra ihm vor ein paar Minuten die Haare gekämmt hat. Der Blick zur Seite ist nicht mehr möglich. Der Vorhang Demenz hängt im Weg. Im Laufe einer Demenz wird dieser Vorhang immer mehr Teile der Vergangenheit verdecken. Der Blick in alle Richtungen wird zunehmend versperrt. Dennoch kann es sein, dass der Vorhang an einer Stelle auch wieder zur Seite rutscht und ein Blick auf Dinge möglich wird, die zuvor verborgen waren. Ganz unabhängig davon, welche Teile eines Lebens vom Vorhang Demenz gerade freigegeben werden und welche Teile verhängt sind: Herr Ludwig und alle anderen Menschen mit Demenz sind auch heute noch wer. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf schreibe ich dieses Buch. Ich erzähle von meinem Alltag in der Betreuung im Altenheim und lade Sie dazu ein, mich zu begleiten. Dabei werde ich 111 Tipps formulieren und selber wohl am meisten lernen. Und vielleicht hilft mein ein oder anderes Aha-Erlebnis auch Ihnen weiter.

Jede einzelne Kolumne in diesem Buch ist für sich alleine lesbar. Ebenso kann man nur einzelne Tipps lesen. Aber natürlich ergänzen sich die Kolumnen und Tipps gegenseitig und beleuchten den Umgang mit Menschen mit Demenz aus unterschiedlichen Perspektiven.

Weitere Kolumnen von mir, mit Tipps und Gedanken zum Thema „Demenz“, finden Sie jede Woche neu unter dem Titel „Uli & die Demenz“ auf der Internetseite von image.

Ihr Uli Zeller

Logo: © Fromm Blumenröder Sudahl GbR

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Bevor ich mich mit anderen Menschen auseinandersetze, scheint es mir wichtig zu sein, zuerst meine eigene Rolle zu klären. Wer bin ich? Wo befinde ich mich im System? Was sind eigentlich meine Erwartungen? Wie gehe ich damit um, wenn ich scheitere?

Bewohner verweigert Aktivierung

„Das Wetter ist schön und ideal für einen Spaziergang. Kommen Sie auch mit, Herr Schäfer?“, frage ich. „Nein, danke“, antwortet Herr Schäfer. In Ordnung. Dann eben nicht. Dann nutze ich das schöne Wetter eben aus und spaziere mit denen, die gern an die frische Luft möchten …

Kurz vor Feierabend sitze ich für die Dokumentation am Computer. Ich klicke das Profil von Herrn Schäfer an und tippe ein: „Bewohner verweigert Aktivierung“.

Einige Tage später lese ich die Dokumentation über Frau Bauer. Meine Kollegin Janine hat Bingo angeboten und Frau Bauer hatte kein Interesse an dem Angebot. Deshalb hat Janine geschrieben: „Bewohnerin lehnt Aktivierung ab“.

Hm, denke ich, „ablehnen“ klingt schöner als „verweigern“. Ich surfe im Internet und suche nach der Bedeutung von „verweigern“. Auf der Internetseite von Duden werde ich fündig: „Verweigern“ bedeutet „sich verschließen“ oder „sich unzugänglich für etwas zeigen“. Naja, überlege ich, Herr Schäfer war schon zugänglich. Nur, er hatte halt gerade keine Lust auf einen Spaziergang … Nun gebe ich „ablehnen“ auf der Duden-Seite ein. Da steht: „nicht annehmen“. Mit anderen Worten: Wenn ich bei Herrn Schäfer dokumentiere, dass er eine Aktivierung verweigert, tue ich so, als ob er sich mir unterordnen müsse. Meine Kollegin Janine dagegen hat geschrieben: „Frau Bauer lehnt ab.“ Hoppla – da schwingt ja ein ganz anderes Bild vom Menschen mit:

imageDer Senior darf auch Nein sagen.

imageJanine räumt ihm das Recht ein, so viel wie möglich selbst zu entscheiden.

imageSelbst wenn er sich gegen ihre Angebote entscheidet: Er darf das.

imageNiemand muss an Janines Angeboten teilnehmen.

„Verweigern“ oder „ablehnen“ – was ein Wort alles verdeutlicht. Seit diesem Tag habe ich in diesem Zusammenhang übrigens nie wieder das Wort „verweigern“ benutzt. Danke, Janine!

imageTipp 1: Akzeptieren Sie das Nein des Seniors.

Nicht der Senior ist dafür da, dass sich die Betreuungskräfte gut fühlen. Im Gegenteil, die Betreuungskräfte sind für das Wohlbefinden der Senioren verantwortlich.

imageTipp 2: Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn ein Senior ein Angebot ablehnt.

Wahrscheinlich hat er gar nichts gegen Sie als Betreuungskraft. Vielleicht überfordert ihn die Situation, er mag diese Form der Aktivierung nicht oder er hat einfach keine Lust.

Was mache ich, wenn ich scheitere?

Ich blättere in einem Buch und suche Aktivierungsideen. Ah, eine tolle Idee: Wir könnten eine Vogelfutter-Station bauen! Ziemlich einfach und ziemlich genial:

imageKokosfett erhitzen,

imageheißes Fett in eine alte Tasse füllen,

imageVogelfutter in das Fett mengen,

imageeinen Schaschlik-Spieß als Sitzgelegenheit für die Vögel in die Tasse stecken,

imageabkühlen lassen,

imagedie Tasse mit einem Band am Henkel verbinden und an einen Baum hängen,

imageVögel beobachten und sich daran erfreuen.*