3Lambert Wiesing

Ich für mich

Phänomenologie des Selbstbewusstseins

Suhrkamp

Es ist nur die Rede vom Ich für mich, oder von dessen Begriff für mich – insofern ich durch unmittelbares Bewußtseyn ihn bilde.

Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo (1798)

9Vorwort

Manchen Philosophen scheint die Wirklichkeit des Selbstbewusstseins eine regelrecht suspekte Angelegenheit zu sein. Dieser Eindruck stellte sich bei mir ein, als ich begann, mich für die Philosophie des Selbstbewusstseins zu interessieren. Mir fiel die übliche und angeblich so selbstverständliche Fragestellung auf, mit der die philosophische Forschung sich bis heute dem Selbstbewusstsein als Thema zuwendet. Sie lautet schlicht: Wie ist Selbstbewusstsein möglich? Als sei die Wirklichkeit des Selbstbewusstseins ein lösbares Rätsel, werden in der Philosophie seit mehr als 200 Jahren Erklärungen gesucht, wie es sein kann, dass Personen nicht nur intentionales Bewusstsein von etwas haben, sondern auch Bewusstsein von sich selbst. Wie lässt sich erklären, dass eine Person, die etwas sieht, etwas will, etwas besitzt oder Schmerzen hat, auch das Bewusstsein hat, dass sie selbst es ist, die etwas sieht, etwas will, etwas besitzt oder Schmerzen hat? Schnell wurde mir klar, dass kein Mangel an Antworten auf diese Fragen herrscht. Jede dieser Antworten entwickelt einen Vorschlag, wie sich die Einheit von denkendem und gedachtem Ich denken lässt. Stets wird die Wirklichkeit des Selbstbewusstseins als Produkt, Hervorbringung oder Ergebnis einer wie auch immer gearteten vorgängigen Selbstregistrierung gedacht: etwa als das Ergebnis einer Selbstreflexion, einer Selbstrepräsentation, eines Selbstgefühls, einer Selbstwahrnehmung oder einer sonstigen Art des Sich-selbst-setzens. Die Vielzahl der diesbezüglichen – sich gegenseitig widersprechenden – Ansichten über die Bedingungen, die Selbstbewusstsein ermöglichen, ist genauso beeindruckend wie die mitunter faszinierende Subtilität dieser Theorien. Dennoch wollte sich bei mir angesichts dieser Forschungssituation keine Begeisterung einstellen. Im Gegenteil: Auch die höchste philosophische Qualität schützt nicht davor, vollkommen Irrelevantes zu produzieren, wenn das bearbeitete Problem oder die leitende Fragestellung nicht überzeugt. So ist es mir ergangen. Mir kamen – durch die Lektüre der einschlägigen Arbeiten von Jean-Paul Sartre und Manfred Frank bestärkt – Zweifel, ob es überhaupt sinnvoll ist, über die Bedingungen der Möglichkeit von Selbstbewusstsein nachzudenken. Ein Verlust jeden Glaubens an eine mögliche Erklä10rung des Selbstbewusstseins ist die Basis, auf der meine Überlegungen in diesem Buch aufbauen; womöglich kann nur jemand diese Überlegungen als sinnvoll erachten, der diese skeptische Grundansicht teilt: Die Wirklichkeit des Selbstbewusstseins lässt sich weder erklären noch verstehen. Sie ist – wie Goethe sagen würde – ein Urphänomen. Warum es das Phänomen, dass sich Subjekte ihres eigenen In-der-Welt-seins bewusst sind, gibt und nicht vielmehr nicht gibt – das ist unbekannt.

So skeptisch der Ausgangspunkt meines Buches auch sein mag, meine Überlegungen sollen nicht in einer bloß negativen Position steckenbleiben. Das Ziel meiner Überlegungen ist vielmehr eine Phänomenologie des Selbstbewusstseins – und diese Absicht verstehe ich in einem traditionellen Sinne: Ich beschreibe aus der Perspektive der ersten Person Singular, wie mir etwas bewusst ist. Einer jeden phänomenologischen Philosophie geht es um die erlebte Wirklichkeit als erlebte Wirklichkeit, dies allerdings verbunden mit der leitenden Hoffnung, in den erlebten Phänomenen wesentliche Merkmale, Charakteristika, zu finden. Entsprechend möchte ich für das Urphänomen Selbstbewusstsein versuchen, die selbst erlebte Wirklichkeit meines eigenen Selbstbewusstseins auf ihre Charakteristika hin anzuschauen. So wie eine Phänomenologie der Imagination die Charakteristika bestimmt, wie ein imaginierter Gegenstand für jemanden bewusst ist, und so wie eine Phänomenologie der Wahrnehmung die notwendigen Merkmale bestimmt, wie ein wahrgenommener Gegenstand für jemanden bewusst ist, so muss auch eine Phänomenologie des Selbstbewusstseins denkbar sein, die die Charakteristika bestimmt, wie ich mich selbst aufgrund meines Selbstbewusstseins erleben muss – wie ich für mich in meinem Selbstbewusstseinserlebnis bin.

Diese auf den ersten Blick vielleicht seltsam wirkende Herangehensweise hat einen gewaltigen epistemischen Vorteil: Die Bedingungen der Möglichkeit meines Selbstbewusstseins sind mir nicht bewusst; sie werden von mir nicht erlebt; über sie lässt sich nur mit Modellen, Unterstellungen und Konstruktionen spekulieren. Hingegen erlebe ich selbst, wie es ist, selbstbewusst zu sein; ich erlebe selbst, wie ich für mich bin. Diese phänomenale Gewissheit ist für mich der Grund, die Fragestellung gegenüber dem klassischen Interesse explizit umzukehren. In meinen Überlegungen soll die unzweifelhaft gegebene Wirklichkeit des Selbstbewusstseins mit einer 11Fragestellung konfrontiert werden, die sich durch die eigene originäre Erfahrung des Selbstbewusst-seins beantworten lässt. Deshalb scheint es mir sinnvoll, nicht mehr davon auszugehen, dass mein eigenes Sein – ein Ich oder ein Subjekt, das noch keiner gesehen oder erlebt hat – als Bedingung der Möglichkeit angenommen wird, damit dieses Ich auf irgendeinem spekulativen Weg zu Selbstbewusstsein kommt. Der Gedanke ist genau umgekehrt: Ich beschreibe kein Ich, sondern ein Mich. In diesem Buch denke ich mich, mein Dasein, als erlebte Folge der Wirklichkeit meines Selbstbewusstseins. Mit der Wirklichkeit des eigenen Selbstbewusstseins sind für mich – nolens volens – unvermeidbare Erlebnisse, regelrechte Zumutungen verbunden, allen voran die Fundamentalzumutung, dass es mich für mich gibt, dass mir als Folge der Wirklichkeit meines Selbstbewusstseins überhaupt irgendwie zumute sein muss. Dieses Verurteilt-sein, selbstbewusst zu sein, weckte bei mir das phänomenologische Interesse, die Fragen zu stellen: Lässt sich die Weise, wie mir zumute sein muss, weil es mein Selbstbewusstsein gibt, näher beschreiben? Oder: Wie muss ich für mich in der Welt sein, weil es mein Selbstbewusstsein gibt? Welche Zumutungen folgen für mich unvermeidbar aus der Wirklichkeit meines Selbstbewusstseins?

Mir ist Folgendes aufgefallen: Wenn in philosophischen Kreisen von Selbstbewusstsein die Rede ist, dann ist wie selbstverständlich das Selbstexistenzbewusstsein gemeint, also das Phänomen, dass ich das Bewusstsein habe, in der Welt zu existieren. Dieses Selbstexistenzbewusstsein ist entweder gegeben oder nicht gegeben. Doch im Alltag wird genauso selbstverständlich derselbe Ausdruck für ein ganz anderes Phänomen verwendet: Selbstbewusstsein bezeichnet dort ausschließlich das Selbstwertgefühl einer Person: ihre Selbstachtung oder auch Selbstsicherheit. Dieses Selbstwertbewusstsein kann stärker oder schwächer ausgebildet sein. Nun könnte man der Meinung sein, dass diese Ausdrucksidentität, diese Äquivokation, ein blanker sprachlicher Zufall ist. Das würde bedeuten, dass das Selbstexistenzbewusstsein und das Selbstwertbewusstsein zwei verschiedene Phänomene sind, die nur zufällig im Deutschen in verschiedenen Kontexten mit demselben Ausdruck bezeichnet werden. Mich hat diese These von der Äquivokation von Anfang an nicht überzeugt – und es hat sich gezeigt, dass sich eine intrinsische Verbindung nachweisen lässt: Aus der Wirklichkeit meines Selbstexistenzbewusstseins folgt für mich notwendig die Zumutung eines 12gleichzeitigen Selbstwertbewusstseins: Ich muss für mich wertvoll sein, wenn ich das Bewusstsein habe, in der Welt zu sein. Dasein existiert einerseits notwendig als ein Interesse für seine Existenz, doch genau diese menschliche Existenz ist in der Welt andererseits immer eine gefährdete Existenz. Dies dürfte für den Menschen eine der wichtigsten unter den notwendigen Folgen der Wirklichkeit seines Selbstbewusstseins sein: Ich muss mich um mich in der Welt sorgen, sobald und solange ich Selbstbewusstsein habe.

Als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann, hielt ich es für selbstverständlich, dass diese Themen und Fragen in einer Phänomenologie des Selbstbewusstseins bearbeitet werden sollten. Ich ging davon aus, dass ich bei meinen Überlegungen vielfach Unterstützung aus der Geschichte der Phänomenologie erhalten würde. Doch irritiert musste ich feststellen, dass dies keineswegs der Fall ist: Die Phänomenologie des Selbstbewusstseins zählt nicht zu den zentralen Themen der bisherigen Phänomenologie. Dies gilt schon allein für die Verwendung der Formulierung: Wenn heute von einer Phänomenologie des Selbstbewusstseins die Rede ist, dann wird zumeist an Hegels Überlegungen zum Selbstbewusstsein aus seiner Phänomenologie des Geistes von 1807 gedacht. In der phänomenologischen Bewegung des 20. Jahrhunderts findet man diese Formulierung so gut wie gar nicht, geschweige denn einen klassischen Text mit diesem Titel oder zu diesem Thema. Dies ist in einem gewissen Sinne vollkommen unverständlich, weil es zahlreiche vielbeachtete, wegweisende Beiträge der Phänomenologie zur Philosophie des Selbstbewusstseins gibt: Mehrere Klassiker – von Edmund Husserl über Jean-Paul Sartre bis hin zu Martin Heidegger – befassen sich eingehend mit dem Selbstbewusstsein und – diese Interpretation wird nicht von allen geteilt – gelangen gleichermaßen zu der Überzeugung, dass Selbstbewusstsein ein präreflexives Bewusstsein ist. Dennoch – und das ist der Punkt, der mir zu denken gab – nimmt keiner dieser Philosophen für sich in Anspruch, mit seinen jeweiligen Überlegungen zum Selbstbewusstsein eine explizite Phänomenologie des Selbstbewusstseins geschrieben zu haben.

Die Ablehnung der Rede von einer Phänomenologie des Selbstbewusstseins in der phänomenologischen Philosophie ist überraschend, hat aber einen guten Grund: In der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts gilt das Selbstbewusstsein als ungeeignet, um Phänomenologie in einem emphatischen Sinne zu betreiben. Die 13Hinwendung zum Selbstbewusstsein steht in dem schlechten Ruf, das leibliche und körperliche In-der-Welt-sein des Menschen auszublenden oder gar zu negieren. Selbstbewusstseinsphilosophie behandelt ein weltloses, konstruiertes Subjekt – so das Klischee. Deshalb gibt es weder Hoffnung noch Vertrauen, mittels einer Beschreibung des Selbstbewusstseins einen Beitrag zur Beschreibung des Menschen liefern zu können. Im Gegenteil: Es wird in der Phänomenologie durchweg explizit bezweifelt, dass sich sozusagen durch das Phänomen Selbstbewusstsein hindurch ein Blick auf die conditio humana richten ließe. Deshalb ist die Ansicht verbreitet: Wer über das Dasein und den Menschen nachdenkt, denkt bewusst nicht über Selbstbewusstsein nach. Der Lebenswelt, der Imagination, der Wahrnehmung oder auch dem Leib wird vielleicht noch zugetraut, eine phänomenologische Beschreibung zu ermöglichen, mittels deren sich das In-der-Welt-sein zumindest thematisieren lässt – nicht aber dem Selbstbewusstsein.

Was diese Situation für meine Überlegungen bedeutet, ist mir bewusst: Die Phänomenologen, die sich für das Selbstbewusstsein interessieren, verfolgen in der Regel ganz andere Fragen, als die, die ich in diesem Buch stelle. Ihnen geht es nämlich einzig und allein um das Problem, welche Art von Bewusstsein Selbstbewusstsein ist. Hier steht die Diskussion um den präreflexiven Charakter des Selbstbewusstseins im Mittelpunkt des Interesses. Doch die Phänomenologen, die sich (wie ich) darüber hinausgehend fragen, wie es ist, in der Welt ein Mensch zu sein, die sich (wie ich) für das Sein des Daseins interessieren, lehnen die Selbstbewusstseinsphilosophie in der Regel als einen Irrweg der Philosophiegeschichte ab. Meine Meinung hierzu ist eindeutig: Die verbreitete Abwendung der Phänomenologie vom Selbstbewusstsein als zentralem Phänomen des Menschseins überzeugt mich nicht. Ganz im Gegenteil, die Hauptthese dieses Buches lautet: Das Sein meines Daseins ist mit den notwendigen Folgen der Wirklichkeit meines Selbstbewusstseins identisch. Und zu genau diesem Sein des Daseins, eben zu den notwendigen Folgen der Wirklichkeit meines Selbstbewusstseins, möchte ich eine weitere These verteidigen: Das Sein des Daseins hat eine stilistische Verfassung. Die Folgen der Wirklichkeit eines Selbstbewusstseins sind nicht in allen Vorkommnissen von Selbstbewusstsein und zu allen Zeiten gleichbleibend und identisch. Das Sein des Daseins besitzt vielmehr eine situationsbedingte Verfas14sung, die sich phänomenologisch mit dem Stilbegriff erfassen lässt: Jedes In-der-Welt-sein ist notwendig ein In-der-Welt-sein in einem kontingenten und historischen Stil.

Diese Idee, dass das Sein des Daseins nicht statisch und nicht ahistorisch ist, klingt zunächst alles andere als neu oder gar originell. Bei nicht wenigen Philosophen hat man sogar den Eindruck, dass sich genau diese Ansicht zu einem regelrechten Dogma entwickelt hat: Bloß nichts Prinzipielles, bloß keine Universalform des Subjekts annehmen, die man überall und zu jeder Zeit wiederfinden könnte! Das Werk Michel Foucaults ist für diesen Gedanken besonders repräsentativ. Das Problem ist nur, dass die überzeugende Annahme einer Ästhetik der Existenz mit der Konsequenz verbunden wird, dass sich dann nur noch über historische Praktiken der Konstitution eines Subjekts – über Praktiken der Unterwerfung und Befreiung – nachdenken lässt. So richtig ich die Prämisse finde, so falsch scheint mir die heute allgegenwärtige Schlussfolgerung zu sein.

Das phänomenologische Projekt einer Suche nach zeitlosem, apriorischem Wissen muss seinen Kampf gegen jede Spielart von Historismus nicht aufgeben, nur weil man ebenfalls wie dieser davon ausgeht, dass es in der Beschreibung des Menschen nicht das eine eigentliche, statische, unveränderliche Subjekt zu bestimmen gilt. Das wird hier mit Sicherheit nicht geschehen! Ich möchte stattdessen in diesem Buch Grenzen aufzeigen. In diesem alten Sinne geht es mir um eine Kritik des Selbstbewusstseins: Die historischen, individuellen und situationsbedingten Formen des Seins des Daseins lassen sich zwar nicht a priori bestimmen, aber das gilt nicht für die Grenzen, in denen der Stilpluralismus des Seins des Daseins möglich ist: Das In-der-Welt-sein von Menschen spielt sich zwischen denkbaren Stilextremen ab, die sich a priori definieren lassen. Deshalb schlage ich vor – und dies geschieht in expliziter Anknüpfung an Heinrich Wölfflin –, zur Beschreibung der Folgen der Wirklichkeit des Selbstbewusstseins, also zur Beschreibung des Seins des Daseins, das Malerische und das Lineare als daseinsgeschichtliche Grundbegriffe einzuführen. Es ist die jeweilige Dominanz des Leib-seins oder des Körper-habens, welche für mich die persönliche Zumutung eines malerischen beziehungsweise linearen Seinsstils meines Daseins ist. Ein radikal leibliches Dasein ist wie das Sein einer Qualle im Ozean: Es geht fließend und grenzenlos in das Sein der Welt 15über. Mit meinem Leib bin ich für mich in einer malerischen, zerstreuten Art in der Welt, welche von vielen Phänomenologen zum eigentlichen Sein erhoben wurde. Die Welt, so beschreibt Maurice Merleau-Ponty dieses Sein, ist inmitten unseres Fleisches. Doch so treffend diese Beschreibung als Beschreibung einer Seinsmöglichkeit ist – es darf nicht übersehen oder gar negiert werden: Das malerische Sein des Daseins ist nicht die einzige und auch nicht die eigentliche Möglichkeit, in der Welt zu sein. Menschen sind nicht nur leiblich in der Welt, weil es sich für Menschen aufgrund ihres Selbstbewusstseins nicht vermeiden lässt, zugleich einen Körper in der Welt zu haben. Doch mein Körper lässt mich – im Gegensatz zum Leib – linear in der Welt sein; ich bin für mich von der Welt getrennt und auf Distanz gebracht; mit meinem quasigöttlichen ontologischen Status stehe ich der Welt gegenüber. Im Cartesianismus findet sich dieser Stil als die Beschreibung der eigentlichen Seinsart des Subjekts vorgestellt: Ich selbst bin für mich an einem utopischen Ort und steuere in der Welt dort drüben einen Körper.

Es liegt auf der Hand: Die Formen der menschlichen Selbstfürsorge – bis in die Formen des Wohnens hinein – fallen diametral verschieden aus, je nachdem, ob das Selbst, um das sich ein Mensch zu sorgen hat, eher wie phänomenologisches Fleisch grenzenlos inmitten der Welt ist oder ob das Selbst eher wie ein cartesianischer Geist in der Maschine in der Welt einen Körper steuert. Die Pflege eines auf Autonomie bedachten Gottes bereitet Menschen andere Sorgen als der Erhalt von vergänglichem Fleisch, das auf Geborgenheit in der Welt bedacht ist. Doch Menschen sind weder reines Fleisch noch reine Götter: Wem passiert es schon, keinen Körper in der Welt zu haben oder kein Leib in der Welt zu sein? Das Sein des Menschen ist von dem unbestimmten Doppelcharakter bestimmt – und dies in allen drei Hinsichten: Das Sein des Daseins ist in seiner Existenz, in seinem Wert und in seiner Sorge ein Sein zwischen dem malerischen und dem linearen Sein. Und genau das ist das Anliegen dieses Buches: Es geht um die Darstellung einer Metaposition zu den vorhandenen einseitigen Beschreibungen des Seins des Daseins, welche extreme Möglichkeiten zur Eigentlichkeit verklären. Phänomene haben keine Verstellungsstruktur. Das gilt auch für das Sein des Daseins.

Ich möchte in diesem Buch ein Menschenbild zeichnen und malen. In diesem Bild sind Menschen nicht nur ontisch, sondern 16auch ontologisch different, ja, sie müssen sogar ontologisch different sein. Weil Menschen mit den Folgen ihres Selbstbewusstseins in der Welt leben müssen, müssen sie in einem kontingenten ontologischen Stil in der Welt sein. Man kann Menschen für das, was sie aus ihrem Dasein machen, loben und tadeln; man kann vieles von dem, was sie tun oder unterlassen, auch aus moralischen Gründen verwerfen oder verteidigen: aber nicht das Sein ihres Daseins. Denn die ontologische Unbestimmtheit in den Grenzen des malerischen und linearen In-der-Welt-seins ist die ontologische Bestimmung des Menschen in der Welt. Um das wissen zu können, reicht es letztlich aus, selbstbewusst in der Welt zu sein. Vielleicht hilft eine Phänomenologie des Selbstbewusstseins dabei, dieses selbst zu sehen.

Amelsbüren, im Dezember 2019 L.W.