Hubertus Butin

Kunstfälschung

Das betrügliche Objekt der Begierde

Suhrkamp

1.

Einführung

I.

Das sind keine guten Aussichten: Gemeinsam mit den Alchemisten sitzen die Fälscher in der Hölle. Nachdem die Delinquenten zuerst von der weltlichen Gerichtsbarkeit zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden, werden sie nun im achten Kreis der Hölle mit Aussatz bestraft, der ihnen auf ewig qualvolle Schmerzen bereitet. Zumindest hat Sandro Botticelli das Schicksal der Fälscher auf diese Weise dargestellt (Abbildung 1). Am Ende des 15. Jahrhunderts zeichnete der italienische Künstler die beschriebene Szenerie im 29. Blatt des Inferno, das einen wesentlichen Teil in seinem Bilderzyklus zu Dantes Göttlicher Komödie bildet.1 Während die Fälscher nach damaligem Verständnis als Sünder in der Hölle landeten, sitzen sie heute bei Stefan Raab oder Markus Lanz in Fernsehtalkshows, wo sie sich in aller Öffentlichkeit bewundern und für ihre Taten feiern lassen können – eine erstaunliche Entwicklung vom Verbrecher zum Medienstar.

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Abb. 1: Sandro Botticelli, La Divina Commedia. Inferno, Blatt XXIX: Vergil und Dante im achten Kreis der Hölle, Bestrafung der Fälscher und Alchemisten (Ausschnitt), um 1481/​1488, Metallstift und Feder in Braun auf Pergament, 32,1 × 47,0 cm, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin.

Wie sehr sich der gesellschaftliche Status von Fälschern verändert hat, lässt sich auch in anderen kulturellen Bereichen beobachten. Selbst manche Museen versuchen mittlerweile, ihr Publikum mit entsprechenden Arbeiten zu begeistern. Die ehrwürdige, in einem südlichen Vorort von London gelegene Dulwich Picture Gallery und der Konzeptkünstler Douglas Fishbone stellten 2015 die Besucherinnen und Besucher des Museums spielerisch auf die Probe. Sie ersetzten eines der Gemälde durch eine Fälschung, die ein chinesischer Maler für siebzig Pfund angefertigt hatte, und forderten das Publikum auf, das gefälschte Werk ausfindig zu machen und ein Votum abzugeben (kopiert worden war das 1769 entstandene Porträt einer jungen Frau des französischen Malers Jean-Honoré Fragonard). Das Erstaunliche ist weniger die Tatsache, dass nur zehn Prozent der Besucher die Täuschung erkannten, als vielmehr die enorme Anziehungskraft des Projekts: Nach Auskunft des Chefkurators Xavier Bray vervierfachten sich die Besucherzahlen in der Zeit, in der die Fälschung ausgestellt war.2 Die Dulwich Picture Gallery besitzt eine der besten und kostbarsten Altmeistersammlungen Großbritanniens. Doch das Publikum kam nicht ins Museum, um die Originale von Rembrandt, Rubens, Canaletto, Poussin, Watteau oder Gainsborough zu sehen, sondern, um eine Fälschung zu entdecken. Offensichtlich ist Kunstfälschung zu einem Thema geworden, für das sich nicht nur Sammler, Kunsthistoriker, Museumskuratoren, Restauratoren, Kunsthändler und Auktionatoren sowie die Strafverfolgungsbehörden interessieren, sondern ebenso ein breiteres Publikum.

Sogar im Handel finden offensichtliche Fälschungen oder auch bloße Kopien mitunter großen Zuspruch. Der durch die spektakuläre Fälschung der Hitler-Tagebücher berühmt gewordene Konrad Kujau eröffnete 1989 nach einer mehrjährigen Haftstrafe in Stuttgart eine eigene Galerie, die er bis zu seinem Tod im Jahr 2000 führte. Indem er seinen Betrieb »Galerie der Fälschungen« nannte, machte er aus der Skandalisierung der eigenen Straftat ein Erfolgsrezept. Denn der anrüchige und gleichzeitig schillernde Begriff der Fälschung lockte ein Publikum an, das bereitwillig viel Geld für Kujaus Kopien und Stilimitate von Werken bekannter Künstler ausgab. Auf diese Bilder nach Chagall, Dalí, Kokoschka, Macke, Picasso, Schiele oder van Gogh setzte er nicht nur die Signaturen der nachgeahmten Maler, sondern ebenfalls sein eigenes Namenszeichen, so dass es sich bei den Werken keineswegs um Fälschungen handelt, da niemand beim Erwerb getäuscht wurde. Trotzdem bezeichnete Kujau seine Arbeiten verkaufsfördernd als »Fälschungen«. Seit 2001 bieten auch die in Sankt Petersburg ausgebildeten und in Berlin-Neukölln ansässigen Brüder Eugen, Michael und Semjon Posin in ihrem »Kunstsalon Posin« relativ hochwertige Gemäldekopien nach berühmten Vorbildern von der Renaissance bis zur klassischen Moderne an. Obwohl sie selbst ihre Bilder als »Nachschöpfungen« oder korrekterweise als »Kopien« bezeichnen, werden sie in der Presse immer wieder als »Meisterfälscher« gefeiert.3

Doch auch die Werke tatsächlicher Fälscher finden, selbst wenn sie unter ihrem eigenen Namen angeboten werden, mitunter reißenden Absatz. Als zum Beispiel das Londoner Auktionshaus Christie’s im Dezember 1983 und im September 1984 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen des Fälschers Tom Keating versteigerte, konnte der Auktionssaal die vielen Interessenten kaum fassen. Es entwickelten sich leidenschaftliche Bietergefechte, bei denen die 340 angebotenen Bilder dann oft ein Vielfaches der Schätzpreise erreichten.4 2014 wurde das Ergebnis von Christie’s noch weit übertroffen: Das Auktionshaus Webbs of Wilton in der tiefsten südenglischen Provinz zog im Oktober jenes Jahres ganze Scharen von Sammlern, Spekulanten und Neugierigen zu einer besonderen Versteigerung an, bei der über 230 Papierarbeiten und Manuskripte des legendären britischen Fälschers Eric Hebborn angeboten wurden. Hebborn hatte sich vor allem auf Zeichnungen alter Meister wie etwa Bruegel, Raffael, Michelangelo, Piranesi, Tiepolo, Rembrandt, Poussin und Watteau spezialisiert. 1996 kam er unter mysteriösen Umständen in Rom zu Tode. Auf der Auktion wurde für manche seiner Arbeiten bis zum Zwanzigfachen des Schätzpreises gezahlt.5 Gerade die Tatsache, dass es sich um Werke eines berühmten Fälschers handelte, stachelte das Begehren des Publikums noch mehr an. Auch das Interesse an Fälschungen des 1976 verstorbenen Ungarn Elmyr de Hory ist so groß, dass dessen Machwerke im Stil von Künstlern der klassischen Moderne in den neunziger Jahren sogar selbst nachgeahmt wurden. Eine Ausstellung mit angeblichen Fälschungen von de Hory fand 1994 in Tokyo statt. Die firmeneigene Galerie der japanischen Tageszeitung Sankei Shimbun bot siebzig Gemälde als originale Fälschungen von Elmyr de Hory an, es handelte sich allerdings lediglich um schlechte Kopien von fremder Hand, also um gefälschte Fälschungen.6

Nicht nur in den Medien, in Museen und im Handel, sondern auch auf dem Buchmarkt feiern manche Fälscher gegenwärtig bemerkenswerte Erfolge: Der Brite Shaun Greenhalgh schrieb im Gefängnis eine Autobiografie,7 die 2017 gleich in den ersten zwei Monaten nach ihrem Erscheinen 5000-mal über den Ladentisch ging8 – ein Ergebnis, von dem etwa Kunsthistoriker mit ihren Büchern normalerweise nur träumen können. Greenhalgh war 2006 als Fälscher überführt worden und kam für fast fünf Jahre ins Gefängnis. Sein Arbeitsspektrum reichte – was ganz und gar ungewöhnlich ist – von altägyptischen Alabasterfiguren und mittelalterlichen Silberkreuzen über barocke Terrakottabüsten und Keramikfiguren von Paul Gauguin bis zu der legendären Zeichnung La Bella Principessa im Stile Leonardo da Vincis, Letzteres zumindest nach Greenhalghs eigener Behauptung.9 Zu den Käufern seiner raffinierten Arbeiten gehörten unter anderen das British Museum in London und das Art Institute in Chicago.

II.

Die erwähnte Autobiografie von Shaun Greenhalgh ist Teil einer durchaus umfangreichen und vielgestaltigen Literatur zum Thema »Kunstfälschung«. Die bereits 1950 in New York erschienene Bibliografie Fakes and Forgeries in the Fine Arts von Robert George Reisner umfasst, wenn man von den Zeitungsbeiträgen absieht, für Bücher und Zeitschriftenartikel 859 Einträge. 1987 publizierte James Koobatian in Washington sein Buch Faking It. An International Bibliography of Art and Literature Forgeries, 1949-1986; es enthält 1835 Titel. Die 2015 in München von Christian Müller-Straten auf CD herausgegebene Bibliografie zu Fälschung und Fälschungserkennung listet 2186 Bücher und andere Texte auf. Die hervorragende bibliografische Datenbank Fake der Universitätsbibliothek Heidelberg führte im Dezember 2019 immerhin schon 1950 Publikationen der interdisziplinären Forschungsliteratur an. Dieses im Internet einsehbare Angebot aus der Stadt am Neckar wird fortlaufend aktualisiert.10

Grundsätzlich lassen sich die Fachpublikationen11 in sieben verschiedene Kategorien einteilen, wobei dies nur einer groben Typisierung entspricht: Erstens sind juristische Bücher und Texte zu nennen, die die rechtlichen Aspekte des Kunstfälschertums und seiner Bekämpfung beleuchten, wobei dem sogenannten Kunstrecht besondere Aufmerksamkeit gilt.

Zweitens gibt es Fachbücher von Forschungslaboren, Physikern und Chemikern, die sich auf die naturwissenschaftliche, materialtechnische Analyse möglicher Fälschungen spezialisiert haben. In diesen Publikationen werden vor allem die verschiedenen technologischen Möglichkeiten vorgestellt, um fragwürdige Kunstgegenstände zu untersuchen.

Drittens sind (Auto-)Biografien anzuführen. Solche Publikationen erzählen das Leben und die Taten bekannter Figuren nach wie zum Beispiel von Wolfgang Beltracchi, Alceo Dossena, John Drewe und John Myatt, Shaun Greenhalgh, Eric Hebborn, Elmyr de Hory, Han van Meegeren, Tom Keating oder Edgar Mrugalla.

Eine vierte Kategorie bilden Ausstellungskataloge von Museen, die Fälschungen – mitunter aus den eigenen Sammlungen – und die diesbezüglichen Forschungsergebnisse vorstellen. Im Kapitel »Museumsdirektoren« wird auf diese Fachliteratur und den Umgang mit Fälschungen gesondert eingegangen.

Fünftens gibt es hochwissenschaftliche Bücher und Zeitschriftenbeiträge, die meist von Museumskuratoren oder Restauratoren verfasst sind und in denen neue Erkenntnisse über einzelne Fälschungen aus dem eigenen institutionellen Sammlungsbestand kommuniziert werden. Auch Kunsthistoriker von Universitäten publizieren über Fälschungen ihres Fachgebiets. Dabei reicht das Spektrum von allgemeinen Abhandlungen über die Geschichte der Kunstfälschung bis zu Texten, die sich mit einem einzelnen Medium beschäftigen – etwa Möbel, Druckgrafik und antike Skulptur – oder die nur auf Fälschungen im Stil eines einzelnen Künstlers eingehen.

Sechstens sind Publikationen journalistischer oder populärwissenschaftlicher Art zu nennen. Innerhalb der Fälschungsliteratur nehmen solche Bücher einen sehr breiten Raum ein. So wie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert Kunstgeschichte vor allem in Form von Künstlergeschichten geschrieben wurde (von Autoren wie Giorgio Vasari, Karel van Mander, Joachim von Sandrart, André Félibien und Antonio Palomino), so ist im 20. und 21. Jahrhundert von zahlreichen Autorinnen und Autoren die Fälschungsgeschichte in Form von Fälschergeschichten dargestellt worden.12 Jene Bücher haben einen starken Hang zum Narrativen, indem sie das Leben und die Taten der Fälscher als personalisierte Kriminalfälle oder als glamouröse Skandale präsentieren, »mit der bekannten Dramaturgie von Motiv, Tat, Verdacht, Enthüllung«.13 Dabei ist auffällig, dass immer die gleichen Karrieren wie etwa von Han van Meegeren, Elmyr de Hory oder Lothar Malskat wiederholt werden, als ob es sich um mythologische Figuren handelte. Die Fokussierung auf die biografische Dimension geht oft einher mit dem Verzicht auf Quellenangaben in Form von Fuß- oder Endnoten oder gar von Literaturverzeichnissen, so dass Zitate und Behauptungen nur schwer oder gar nicht überprüft werden können. Diese populären Bücher mögen einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen, der jedoch meist höher ist als der Informations- und Erkenntnisgewinn. Dies tut dem Erfolg dieser Form der Auseinandersetzung jedoch keinen Abbruch, wie Diane Grobe, die Leiterin des Fälschermuseums in Wien, 2015 in einem Interview erläuterte: Für das Publikum sind »die Geschichten das Wichtigste, die hinter den Fälschungen stehen«.14 Bemerkenswert erscheint, dass bereits 1915 die starke Ausrichtung auf das Narrative kritisiert wurde. So beklagte sich Guenther Koch in dem Essay »Fälschungen und Kunstbetrug« angesichts der diesbezüglichen Literatur: »Es war eben und ist noch zu viel Geschwätz bei der Sache, man operierte und operiert noch immer mit unkontrollierbarem Anekdotenkram.«15 Dieser Auffassung pflichtete der österreichisch-britische Kunsthistoriker Otto Kurz bei, als er 1948 meinte: »Eine große Menge der existierenden Literatur über Fälschungen ist enttäuschend.«16 Als frühes Beispiel führt er Paul Eudels Le Truquage. Les Contrefaçons devoilées von 1884 an: »Eudels bekanntes Buch ist eine Ansammlung von sehr unterhaltsamen und witzig erzählten Geschichten, aber sie enthalten zum großen Teil wenig oder gar keinen Bezug zu Fakten.«17

Siebtens und als letzte Kategorie sollen jene Publikationen erwähnt werden, die man als Ratgeberliteratur bezeichnen kann. Die Bücher, die oft den Begriff »Handbuch« im Titel führen, geben mehr oder weniger ausführlich und kenntnisreich Hinweise und Ratschläge, wie sich Fälschungen in den verschiedenen künstlerischen Medien erkennen lassen. Mit solchen eigenständigen Publikationen nahm die problemorientierte Fälschungsliteratur ihren Anfang. Auch Paul Eudels Le Truquage möchte nach den Worten seines Autors als Ratgeber »die noch unerfahrenen Sammler schützen«,18 selbst wenn der Text in praktischer Hinsicht dafür kaum nützlich ist.

Der Brüsseler Kunsttheoretiker Thierry Lenain bezeichnete Eudels Publikation 2011 als »eines der allerersten Bücher, die sich exklusiv mit gefälschten Kunstwerken und Antiquitäten beschäftigen«.19 Der Heidelberger Kunsthistoriker Henry Keazor meinte 2016 ebenfalls: »In Paul Eudels Buch wird das Phänomen der Kunstfälschung erstmalig eindeutig negativ belegt.«20 Die in Buchform ausführlich geäußerte Kritik an Fälschungen im Sinne einer expliziten Ablehnung und eindeutigen Verurteilung beginnt historisch jedoch schon früher. Adam von Bartsch, der Wiener Kustos der kaiserlichen Hofbibliothek und Grafiksammlung sowie Ahnherr der modernen Grafikforschung, veröffentlichte 1821 seine zweibändige Anleitung zur Kupferstichkunde. Der erste Band beschäftigt sich detailliert mit den verschiedenen druckgrafischen Techniken und den wichtigsten Vertretern dieser Kunst. In unserem Zusammenhang ist jedoch der zweite Band von Bedeutung, da dessen erster Teil »Betrügliche Copieen« behandelt. Bartsch verwendet zwar nicht den Begriff der Fälschung, doch er beschäftigt sich mit genau jenen gefälschten Druckgrafiken, die als Kopien nach originalen Vorbildern angefertigt wurden, um Sammler arglistig zu täuschen. Je genauer die Kopie dem Original motivisch folgt, umso größer ist laut Bartsch die Gefahr, »dass minder geübte Liebhaber sich daran betrügen, oder wenigstens irre gemacht und darüber in Zweifel versetzt werden können«.21 In minutiösen Beschreibungen zahlreicher Druckgrafiken erläutert der Autor, woran man die Fälschungen erkennen kann. Über 130 Druckgrafiken am Ende des Buches veranschaulichen im Detail die genannten Unterschiede zwischen den Originalen und den »betrüglichen Copieen«. Dabei unterscheidet Bartsch zwischen den Kategorien »betrügliche«, »sehr betrügliche«, »ziemlich«, »äußerst« und »im höchsten Grade betrügliche Copie«.22 Das Deutsche Rechtswörterbuch übersetzt den alten Terminus »betrüglich« mit »betrügerisch«.23 Bereits im 15. und 16. Jahrhundert sind in der offiziellen Rechtsliteratur, die weitgehend im sogenannten Frühneuhochdeutsch verfasst wurde, die Begriffe »betrüglich« und im selben Sinne »betrieglich« zu finden.24 Wie sich bei Bartsch zeigt, war diese Begrifflichkeit mit ihrem Bezug zum justiziablen Phänomen des Betrugs bis ins sprachliche Neuhochdeutsch des 19. Jahrhunderts gebräuchlich.

Es finden sich jedoch bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts – also noch vor Adam von Bartsch – zwei Bücher, die ebenfalls ausdrücklich vor Fälschungen warnen und die von der wissenschaftlichen Fälschungsliteratur bisher weitgehend oder völlig unberücksichtigt geblieben sind: 1740 erschien in Paris die Abhandlung Traité des finances et de la fausse monnoie des Romains (»Lehrbuch von den Finanzen und dem Falschgeld der Römer«) von François de Chassepol. Der zweite Teil dieses Buches besteht aus der Dissertation des französischen Numismatikers Guillaume Beauvais mit dem Titel La maniere de discerner les medailles antiques de celles qui sont contrefaites (»Die Art und Weise, antike Münzen von denjenigen zu unterscheiden, die gefälscht sind«). Beauvais wendet sich mit seiner Publikation ausdrücklich an die wissbegierigen Novizen unter den Sammlern, die dabei sind, eine eigene Kollektion aufzubauen, und sich vor Fälschern in Acht nehmen sollen. Er behauptet und betont, dass vor ihm kein Autor sich bemüht habe, in diesem Sammelgebiet das Wahre und das Falsche auseinanderzuhalten.25 Mit dem von Beauvais verwendeten Begriff der »médailles« sind Münzen gemeint, die im Altertum tatsächlich als Zahlungsmittel dienten. Hingegen sind die von ihm als »médaillons« bezeichneten Objekte jene, unter denen wir heute im Deutschen aufwendig gestaltete, reliefplastische Medaillen verstehen. Zu ihrer Entstehungszeit fungierten diese als Geschenke, zum Gedenken historischer Persönlichkeiten und als Sammelobjekte.26 Spätestens seit dem Barock werden sie als Kunstwerke betrachtet. Beauvais hebt seine Leistung als Autor und seine Haltung gegenüber Fälschungen ausdrücklich hervor: »Unstreitig werde ich eines der größten Geheimnisse der Ungerechtigkeit enthüllen, welches die Menschen ersonnen haben, um andere zu betrügen.«27

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Abb. 2: George Paul Hönns, Betrugs-Lexicon, worinnen die meisten Betruegereyen in allen Ständen, nebst denen darwider mehrentheils dienenden guten Mitteln entdecket werden, Leipzig 1743, Privatsammlung, Berlin.

Des Weiteren erschien bereits 1721 in Leipzig das Betrugs-Lexicon28 und 1730 das Fortgesetzte Betrugs-Lexicon,29 verfasst von dem Coburger Beamten und Ratsmitglied George Paul Hönns (Abb. 2).30 Diese beiden äußerst bemerkenswerten Publikationen enthalten in alphabetischer Reihenfolge über vierhundert Einträge, die so gut wie alle Berufs- und Gesellschaftsgruppen des frühen 18. Jahrhunderts umfassen. Jede erwähnte Gruppierung wird systematisch auf die in ihrem Feld angewandten Formen des Betrugs untersucht. Allein unter dem Buchstaben B finden sich beispielsweise Bäcker, Barbiere, Bauern, Bergleute, Bettler, Bibliothekare, Bierbrauer, Boten, Bräute und Buchhändler sowie Bürgermeister. Um keine Gesellschaftsschicht auszulassen, wurden auch Geistliche, Edelleute, Beamte des Hofes und Richter aufgenommen, was dem Verfasser diverse Anfeindungen aus der jeweiligen Gruppe und sogar Beschlagnahmungen seiner Bücher einbrachte. An dem Erfolg des Betrugs-Lexicons änderte dies jedoch nichts, da es in zahlreichen Auflagen und Reprints erschien. In unserem Zusammenhang sind die Einträge zu den Kupferstechern und Malern besonders erwähnenswert. Hönns hebt hervor: Stecher betrügen, indem sie Grafiken eines berühmten Künstlers nachmachen, mit dessen Namen signieren und als Originale ausgeben.31 Und Maler betrügen ebenso, indem sie das Werk eines bedeutenden Kollegen kopieren und seinen Namen darauf setzen, um es somit teurer verkaufen zu können. Der Verfasser erwähnt außerdem die künstlich vorgenommene Alterung von Gemälden, womit ebenfalls eine andere Urheberschaft aus älterer Zeit gewinnbringend vorgetäuscht wird.32 In seinem Vorwort vom 20. Dezember 1720 setzt Hönns mit moralischem, juristischem und religiösem Impetus »Aufrichtigkeit, Treue und Redlichkeit« gegen »Lug, Arglist und Betrug«.33 Kunstfälschungen werden hier wie jede andere gesellschaftliche Betrugsform ausdrücklich verurteilt und die Leser gleichzeitig zur Vorsicht ermahnt, um sich »vor solchen Fallstricken zu hüten«.34

Bücher, die sich in Form der Ratgeberliteratur explizit kritisch und ablehnend mit Fälschungen und Betrügereien auseinandersetzen, reichen historisch demnach weiter zurück, als bisher von der Forschung angenommen wurde. Denn je mehr das Original und die damit oft verbundene Erwartung einer bestimmten namentlichen Urheberschaft geschätzt wurde, umso mehr gerieten die Fälscher, die diese Kategorie des Originals durch ihre Täuschungen unterwanderten, in die Kritik. Die Publikationen von Bartsch, Beauvais und Hönns belegen, dass diese ausführlich geäußerte Missbilligung von Kunstfälschungen nicht erst Ende des 19. Jahrhunderts, sondern auf eindrucksvolle Weise bereits im frühen 18. Jahrhundert einsetzte, falls sich in Buchform nicht noch frühere Beispiele finden lassen.

III.

Die Literaturwissenschaftlerin Anne-Kathrin Reulecke untersuchte 2016 aus einer philologisch-kulturwissenschaftlichen Perspektive Fälschungen und Plagiate in der Literatur und Psychoanalyse sowie in den Naturwissenschaften und den Neuen Medien. Ihre Studie geht davon aus,

dass der Fälschung mit individueller Schuldzuweisung und Skandalisierung allein nicht beizukommen ist und dass die Umgangsweisen der Aufklärung und Inkriminierung ihr Rätsel nicht lösen. Im Einklang mit neueren Forschungen zur Fälschung beleuchtet sie daher weniger den einzelnen Störfall, den einzelnen Täter, seine psychische Konstitution oder seine Motive als vielmehr das gestörte System, in dem sich die Störung ereignet.35

Diese spezifische Sichtweise Reuleckes möchte sich die vorliegende Publikation zu eigen machen, allerdings geht es dabei ausschließlich um Fälschungen von Werken der bildenden Kunst, die aus einer kulturkritischen Sicht innerhalb ihrer gesellschaftlichen Kontexte untersucht werden sollen. Der Soziologe Niklas Luhmann betrachtete 1997 das Kunstsystem als ein Teilsystem der funktional differenzierten Gesellschaft. Auf der einen Seite hebt er hervor, dass das Kunstsystem »von seiner gesellschaftlichen Umwelt abhängig bleibt und dass solche (zum Beispiel wirtschaftliche) Abhängigkeiten vielleicht sogar zunehmen«.36 Auf der anderen Seite fasst er das Kunstsystem im Verhältnis zu anderen Teilsystemen (wie etwa Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Religion, Recht) als ein weitgehend autonomes System innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Gefüges auf. Im vorliegenden Text soll der Kunstbetrieb nicht nur selbst in unterschiedliche funktionale Teilsysteme zerlegt werden, sondern gerade auch zu den anderen Teilsystemen – etwa den wissenschaftlichen, ökonomischen und juristischen Bereichen – in Beziehung gesetzt werden, womit die von Luhmann behauptete Selbstreferentialität des Kunstbetriebs ein Stück weit relativiert wird.

Eine solche segmentäre Ausdifferenzierung des Funktionssystems Kunstbetrieb bedeutet in unserem Zusammenhang der Kunstfälschung, dass es nicht ausreicht oder als ungenügend erscheint, Fälschungen bloß als Produkte von Kriminellen zu betrachten und deren Geschichten zu rekapitulieren. Fälschungen entstehen nicht jenseits oder unabhängig von gesellschaftlichen37 Strukturen und Interessen. Sie sind – und dies ist die zentrale These der vorliegenden Publikation – vielmehr Ausdruck dieser Strukturen, welche die Fälschungen bedingen und zum Teil gar ermöglichen. Somit sind Fälschungen ein systemisches38 Problem, an dem verschiedene, stark miteinander verflochtene und voneinander abhängige gesellschaftliche Felder ihren Anteil haben: Fälscher, Händler, Auktionatoren, Gutachter und Experten, Sammler, Spekulanten, Museumsdirektoren und Künstler sowie die öffentlichen Medien. Fälschungen werden demnach innerhalb eines komplexen gesellschaftlichen Gefüges hervorgebracht und basieren eben nicht bloß auf den justiziablen Straftaten der Fälscher. Letztere sind zwar ein wesentlicher, aber nicht der allein verantwortliche Teil des gestörten Systems.39 Diese programmatische Kontextualisierung ist von dem Bestreben getragen, die Kunstfälschung etwas anders zu reflektieren als bisher und somit einen Blickwechsel in der Fälschungsliteratur vorzunehmen. Der Künstler und Kunsttheoretiker Stefan Römer kontextualisiert das Fälschertum in seiner Dissertation Der Begriff des Fake von 1998 zwar im Ansatz ähnlich, da er die Fälschung jedoch als »reflektierte Kunstkonzeption«40 versteht und die »Epoche der Originalmoral« als »endgültig überholt« sieht,41 unterscheiden sich seine Intentionen auf signifikante Weise von jenen, denen hier nachgegangen wird.42 Der dabei berücksichtigte Zeithorizont umfasst vor allem die letzten vier Jahrzehnte ab 1980, auch wenn wiederholt Ausflüge in die weitere Vergangenheit des Fälschertums unternommen werden. Doch bevor die verschiedenen gesellschaftlichen Felder untersucht werden, in denen betrügerische Fälschungen vorkommen und die sie bedingen, soll in den folgenden Kapiteln auf die grundlegenden Begriffe der Fälschung und verwandte Termini sowie auf die Vorstellungen des Originals und dessen Grauzonen eingegangen werden.

Abschließend sei noch angemerkt, dass aus gutem Grund durchgehend nur von Fälschern, aber nicht von Fälscherinnen gesprochen wird. Dies hat nichts mit mangelnder Political Correctness zu tun, denn es scheint sich tatsächlich um eine typisch männliche Straftat zu handeln, zumal bisher kaum Kunstfälscherinnen bekannt geworden sind, wie auch das Landeskriminalamt Berlin bestätigte.43