Über das Buch

Maries Leben ist perfekt. Sie ist jung und erfolgreich, ihr Mann ist Anwalt, jetzt wollen die beiden ein Kind. Da passiert das Unfassbare. Marie wird von ihrem Chef auf dem Heimweg brutal vergewaltigt. Und er setzt sie so unter Druck, dass sie niemandem, nicht einmal ihrem Mann, davon erzählt. Die junge französische Autorin Inès Bayard lässt in ihrem eindrucksvollen Debütroman keinen Zweifel: an dem, was geschehen ist, und daran, dass Marie keine Schuld trifft. Und doch müssen wir zusehen, wie Marie der Moment, in dem sie noch Hilfe suchen könnte, entgleitet, wie sie vom Opfer zur Täterin wird … »Scham« ist ein emotional fesselnder Roman, ein Leseereignis, dem man sich nicht entziehen kann.

Inès Bayard

Scham

Roman

Aus dem Französischen von Theresa Benkert

Paul Zsolnay Verlag

Für Geneviève Combas Boteilla

»Lange kann man nicht in einem Wahn leben. Die Anspannung in dieser Welt, die so viel versprach und nichts hielt, war zu stark.«

Georges Perec, Die Dinge

Dem kleinen Thomas war keine Zeit geblieben, das Kompott aufzuessen. Seine Mutter hatte ihm nicht die geringste Chance gelassen. Das Gift hatte sich so schnell im Blut ausgebreitet, dass er vor seinem Tod nicht lange leiden musste. Nur Maries Körper war immer noch aufrecht, fest gegen die Stuhllehne gedrückt, ihr Kopf nach hinten gekippt. Sicher hatte sie darum gekämpft, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Laurent hatte zuerst serviert bekommen. Beim Anblick der drei bleichen, am Tisch erstarrten Körper hätte sich kaum jemand das herzliche Lachen vorstellen können, das noch Sekunden vor der Tragödie das Zimmer erfüllte.

Marie hatten keine Gewissensbisse geplagt, und abgesehen von ihrer letzten Tat gab es keine Spuren körperlicher Gewalt. Alles lag an seinem gewohnten Platz, die würzig-säuerlichen Essensgerüche in der Küche waren noch nicht verflogen, die Stoffservietten kaum beschmutzt, die Wasserkaraffe stand genau in der Mitte des Tisches.

Das Kind saß noch immer im Hochstuhl, es war mit dem Gesicht auf den Teller gesackt, mitten in die Reste, die es nicht hatte aufessen wollen. Die kleinen, speckigen Finger baumelten in der Luft. Maries Fäuste dagegen lagen auf dem Tisch. Ein einziger tragischer Vorfall in ihrem Leben hatte zu dieser Tat geführt. Nun sah sie endlich friedlich aus. Ihre Gesichtszüge waren entspannt, ihr Körper frei von jedem sinnlosen Schmerz. Sie war endlich Frau der Lage geworden. Eine der Frauen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ihr Ehemann hatte furchtbar gelitten. Er hatte gespürt, wie sich seine Lungen mit Blut füllten, seine Atmung stockte und sein Kehlkopf durch die Krämpfe seines schweißnassen Körpers blockiert wurde. Er war vom Stuhl gefallen und minutenlang auf dem Boden herumgekrochen, hatte riesige Mengen Blut und Erbrochenes auf die weißen Küchenfließen gespuckt. Aber er war nicht gestorben. Als einziger Überlebender war er einige Stunden später mit dem Krankenwagen abgeholt worden, immer noch zwischen Leben und Tod. Am Anfang dieses entsetzlichen Chaos hatte seine Frau, die das Essen noch nicht angerührt hatte, zugesehen, wie er auf dem Boden zusammenbrach, dann hatte sie ihrem Sohn die ersten vergifteten Löffel gegeben. Sie wollte kein Blutvergießen. Blut war schon genug geflossen. Eine Vergiftung hatte sie für das Klügste gehalten. Laurents Handy hatte die ganze Zeit auf dem Schränkchen im Flur vibriert. Vielleicht hätte er die Wahrheit noch erfahren können, bevor er den ersten Bissen hinunterschluckte.

Das Stadtviertel Charonne war von Polizeikräften abgesperrt worden. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Die Ermittler hatten schnell begriffen, was geschehen war.

Die zwei Leichen wurden von den Stühlen gelöst. Die Gerichtsmediziner mussten die steifen Gliedmaßen zuerst mithilfe einer Injektion entspannen, um sie dann unter den bestürzten Blicken der Nachbarn in die Leichensäcke zu legen.

Marie hatte schon darüber nachgedacht, ihren Sohn zu töten, viele Male und auf verschiedene Arten. Sie war fest entschlossen. Tag für Tag hatte das Kind mit dem falschen unschuldigen Blick ihr Gewissen zu diesem Mord getrieben. Aber die Umstände hatten ihr bisher nie erlaubt, es zu Ende zu bringen, meistens waren praktische Probleme dazwischengekommen. Nun hatte sie ihren kleinen Jungen getötet, und das war nur gerecht.

Bevor weitere Enthüllungen die ersten Urteile nach sich ziehen, halten wir einen Moment inne und lassen die Gestalt der toten Frau auf uns wirken, die im Kreis ihrer Lieben als Einzige noch aufrecht am Tisch sitzt.

Wie jeden Montagmorgen wird Marie fünf Minuten zu spät ins Büro kommen. Das ist die letzten sechs Jahre so gewesen und wird sich nicht ändern. Es ist einfach ein weiterer Bestandteil ihrer Alltagsroutine geworden. Laurent läuft mit einer Tasse lauwarmem Kaffee in der Küche herum. Marie sieht ihn genauso liebevoll an wie vor zehn Jahren. Seit damals hat sich nicht viel verändert. Sie hatten sich bei der Studentenparty eines gemeinsamen Freunds kennengelernt. Marie, ein junges, schüchternes Mädchen, hatte Laurents Annäherungsversuchen nicht sofort nachgegeben. Er musste sehr hartnäckig sein, damit sie einer ersten Verabredung zustimmte. Drei Jahre später heirateten sie in Bois-le-Roi, umgeben von der Zuneigung ihrer Familien und Freunde.

Von Anfang an ist es ein bescheidenes Glück gewesen, eine Liebe, die ausreicht, um nicht mehr nur an sich selbst zu denken. Sie kümmert sich um ihn, ermutigt ihn in seinen Projekten, tröstet ihn, wenn er Zweifel hat, hilft ihm jeden Morgen, seine Akten zu suchen, damit er nicht zu spät in die Kanzlei kommt. Laurent liebt Marie aufrichtig und innig, aber er ist ihr gegenüber nicht so aufmerksam. Sie sind kein Paar, das sich auf den ersten Blick versteht. Sie müssen diskutieren, einander ihre Meinung erklären und begründen. Vor vier Jahren hat Laurent in einer großen Kanzlei angefangen, die auf Erb- und Scheidungsrecht spezialisiert ist. Sein Arbeitstag beginnt um 9 Uhr und dauert oft bis spätabends. Marie versteht seinen Ehrgeiz, macht ihm keine Vorwürfe. Sie verdient weniger als er, aber liebt ihre Arbeit in der Bank. Wenn sie morgens in die Filiale an der Place de la République kommt, fühlt sie sich gebraucht, ist dankbar für ihre Aufgabe, anderen zu helfen, ihnen mit Rat zur Seite zu stehen, Vorschläge zu unterbreiten. Geld hat für sie nie eine große Rolle gespielt, aber sie ist froh, mit ihrem Mann ein bequemes Leben führen zu können.

Kurz nach der Hochzeit haben Laurent und Marie eine große Wohnung auf dem Boulevard Voltaire im 11. Arrondissement von Paris bezogen. Die Geselligkeit in diesem Stadtviertel hat ihnen sofort gefallen. Zahlreiche Geschäfte und Boutiquen säumen die großen Arkaden von der Place de la Nation bis zur Place de la République, zur Mittagszeit erfüllt oft der Hähnchengeruch des Grillrestaurants um die Ecke ihre Wohnung, das Hupen der Busse ertönt an jeder Kreuzung, der kleine Sonntagsmarkt verbreitet Geschrei und geschäftiges Treiben. Sie haben Paris schon immer geliebt und im Laufe der Jahre viele Freundschaften geknüpft, ihr gesellschaftliches Leben ist anregend und erfüllt. Laurent pflegt einen exklusiveren Umgang als Marie. Mit einem medienpräsenten Scheidungsprozess zwischen einem ehemaligen Fußballstar und einer beliebten Schauspielerin hat er sich in einigen journalistischen Kreisen dauerhaft einen guten Ruf erworben. An vielen Abenden sind Marie und er zu privaten Partys eingeladen, bei denen das intellektuelle mit dem geschäftlichen Paris flirtet. Marie fühlt sich dabei nie unwohl. Sie ist stolz, ihren Mann begleiten zu dürfen, und verzaubert ihre Umgebung mit ihrem zurückhaltenden Charme. Im Stillen, vertieft in ihren sorglosen Alltag, achtet sie darauf, dass alles nach Plan läuft, ohne es nach außen hin zu zeigen. Um den gemeinsamen Haushalt kümmert sie sich. Ihre Erziehung, die von der bedingungslosen Liebe ihrer Eltern geprägt war, bewahrte sie in ihrer Kindheit und Jugend vor ernsthaftem Schmerz. Natürlich wurde sie oft mit schwierigen, unangenehmen Situationen konfrontiert, aber nie hatte sie auch nur einen Augenblick das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren.

Der Herbst ist Maries liebste Jahreszeit. Eine poetische Zeit. Die Platanen auf dem Boulevard Voltaire lassen ihr orangerotes Blätterkleid auf den Gehweg fallen, die Luft ist frisch, aber nicht zu feucht, der Himmel azurblau. Die Sonnenstrahlen erhellen einen Teil der Küche. Marie sieht glücklich aus dem Fenster. »Es ist wirklich schön draußen. Hast du all die Farben gesehen?« Laurent antwortet nicht. Er sucht verzweifelt die Gerichtsakte vom Vortag. Marie lächelt, als sie die Akte direkt vor ihm auf der Küchenanrichte entdeckt. Sie steht auf und reicht sie ihm mit einem Lächeln auf den Lippen. Laurent sieht sie belustigt an, dann küsst er sie, bevor er zur Arbeit eilt. Das Alltägliche beruhigt Marie. Sie weiß, was zu tun ist, ohne darüber nachzudenken, und während viele das als beengend empfinden würden, hat es sie noch nie gestört. Marie trinkt den Kaffee aus. Um 8:45 Uhr verlässt sie das Haus.

Kaum ist sie draußen, nimmt sie die morgendliche Geschäftigkeit wahr, die der arbeitenden Franzosen und derjenigen, die noch immer auf den Beinen sind. Marie ist bewusst, dass sie sich nie wirklich behaupten musste. In eine gutbürgerliche, konservative Familie geboren, immer umsorgt, bei allen Entscheidungen von ihren Eltern ermutigt und unterstützt, kann sie die Abwege der menschlichen Seele nicht wirklich verstehen. Das liegt nicht an mangelndem Mitgefühl. Sie versetzt sich oft in andere hinein, in ihre Kunden, um nachzuvollziehen, was in deren Leben wirklich auf dem Spiel steht, was sie riskieren, was sie zu verlieren haben oder gewinnen können. Von der Metrostation République sind es nur ein paar Minuten Fußweg, um 9:05 Uhr betritt sie die Filiale. Die Kollegen sind ihr gegenüber immer herzlich. Sie begrüßen sie lächelnd, bieten ihr an, vor den Terminen gemeinsam einen Kaffee zu trinken, suchen sie für kluge Ratschläge auf. Marie ist Vermögensberaterin. Ihr Posten ist privilegiert. Sie hat eine gute Stellung innerhalb der Bank. Die Kunden mögen sie sehr. Ihre Schubladen sind voll mit Geschenken aller Art: Pralinenschachteln, Weinflaschen, hausgemachte Konserven, Halstücher … Wenn sie am Abend von der Arbeit nach Hause kommt, berichtet Marie ihrem Mann mit Vergnügen von den Erlebnissen ihres Tages oder erzählt von den Auseinandersetzungen, denen sie sich manchmal stellen muss. Bei ihrer Arbeit dreht sich alles ums Geld. Zum Kundenkreis gehören hauptsächlich Personen, deren Einkommen hoch genug ist, dass interessante Geldanlagen für sie in Frage kommen. Am Montagmorgen muss Marie immer die Konten der wichtigsten Kunden einsehen, damit sie über Einzelheiten bestimmter Transaktionen im Bilde ist. Auf ihrem großen Schreibtisch stehen gerahmte Fotos von Laurent und ihr im Urlaub, von der Familie, ihrer Schwester, ihrem Neffen und ihrer verstorbenen Großmutter. Ihr kommt der Gedanke, dass sie ihre Familie zu selten sieht. Ihre Eltern wohnen seit Maries Geburt in einem großen Haus in Bois-le-Roi nur einige Kilometer von Paris entfernt. Ihre Schwester lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn im 9. Arrondissement mitten im Stadtviertel Saint-Georges. Sie stehen sich sehr nah, heute treffen sie sich zum Mittagessen.

Das Telefon klingelt. Herr Collard versteht nicht, warum die von ihm geforderte Überweisung immer noch nicht getätigt wurde. Frau Siris würde gerne wissen, ob sie ihrem Sohn mit dem Geld aus ihrer Lebensversicherung zum Geburtstag ein neues Auto kaufen kann. Frau Frousard fragt sich, ob ihr Ehemann weiterhin zur Schenkung bereit ist, die er ihr bei der Scheidung versprochen hat. Jeder Kunde hat sein Problem, und Marie weiß genau, wie sie zu lösen sind. Die Stunden vergehen. Termin folgt auf Termin. In der Ferne hallen durch ganz Paris die Demonstrationen gegen den Gesetzesentwurf, der die Ehe für Homosexuelle öffnen soll. Aus dem Bürofenster beobachtet Marie, wie hunderttausende Menschen durch die Straßen ziehen und an der Place de la République riesige rosa und blaue Transparente schwenken. Ihre Eltern haben ihr erzählt, sie hätten darüber nachgedacht, an der Demonstration teilzunehmen, hätten es aber dann doch zeitlich nicht einrichten können. Auch Laurent ist dagegen. Wie viele französische Kinder sind Laurent und Marie getauft, haben den Religionsunterricht besucht und sind manchmal am Sonntagmorgen oder an bestimmten Feiertagen mit den Eltern in die Kirche gegangen. Für Marie ist es eine Frage der Religion und des Prinzips. »Die haben schon recht! Die Ehe ist für Mann und Frau, das ist schon immer so gewesen. Selbst einige Homosexuelle sind gegen das Gesetz.« Marie lächelt die Kundin an. Sie findet die Bemerkung einfältig, vertieft sich aber lieber wieder in den Vertrag für die Wohngebäudeversicherung.

Es ist Mittag. Marie verlässt die Bank, sie will sich mit ihrer Schwester Roxane in einer Brasserie in der Rue de Bretagne treffen. Alle an die Place de la République angrenzenden Straßen sind noch durch ein Polizeiaufgebot gesperrt. Als sie gestern Abend die Nachrichten im Fernsehen verfolgt haben, hat Laurent zu Marie gesagt, dass er die ständigen Demonstrationen in Paris leid sei. Doch Marie findet es erfrischend. Sie selbst würde sich bestimmt nie an einer Protestbewegung beteiligen, aber sie weiß es zu schätzen, wenn andere es für sie tun.

Roxane sitzt auf der Terrasse, neben ihr das Baby im Kinderwagen. Heute ist ihr freier Tag. Marie freut sich, ihre Schwester zu sehen, küsst sie auf die Wangen und setzt sich neben sie. Der Säugling wimmert, bis Roxane ihm das Fläschchen gibt. Marie betrachtet das Kind zärtlich, streichelt es, gibt ihm liebevolle Kosenamen. Roxane erzählt ihr von ihrem letzten Urlaub mit Julien in Rom. Ihr Sohn ist währenddessen bei den Großeltern geblieben, die nur zu gerne auf ihn aufgepasst haben. Alle in der Familie fragen sich, warum Laurent und Marie mit dem ersten Kind noch warten. Sie ist einunddreißig Jahre alt, er dreiunddreißig. Es kann keinen günstigeren Moment geben, um eine Familie zu gründen. Bisher hatte sie einfach noch keine Zeit, darüber nachzudenken. Es hatte etwas gedauert, bis ihre Karrieren in Schwung kamen, und die Arbeit stand für sie beide zunächst an erster Stelle. »Pass auf, sonst bist du am Ende zu alt! Du willst doch nicht als Oma durchgehen!« Roxane hat ihr erstes Kind mit vierundzwanzig bekommen. Sie sieht glücklich aus, aber erschöpft. Über die Erschöpfung wird zwar manchmal gesprochen, aber man macht nie viel Aufhebens darum. Das Elternglück ist Grund genug für die anderen, sich ebenfalls ins Abenteuer zu stürzen. Es ist 13 Uhr. Marie und Roxane verlassen das Restaurant. Sie umarmen sich lange zum Abschied und versprechen sich, bald zu telefonieren.

Der Arbeitstag ist zu Ende. Die Sonne geht gerade erst unter. Marie schlendert die Rue du Temple entlang, um ein paar Einkäufe im Monoprix zu erledigen. Heute Abend möchte sie Laurent etwas besonders Gutes kochen. Vielleicht hat sie noch genug Zeit für ein Kalbsfrikassee. Der Herbstwind bläst ihr angenehm ins Gesicht. Vor den Eingängen der Geschäfte drängen sich die Leute. Niemand hält sich lange an einem Ort auf. Als hätten alle vereinbart, sich in entgegengesetzte Richtungen zu bewegen. In Paris gibt es keinen Stillstand. Sie holt ihr Rad, das sie am Tag zuvor wegen des Regens in der Nähe der Bankfiliale stehenlassen hat, legt die Einkäufe in den kleinen Fahrradkorb und bricht auf in Richtung Boulevard Voltaire.

Laurent ist noch nicht zu Hause. Ihr bleiben also ein paar Stunden, um das Essen vorzubereiten. Sie weiß, dass er sich riesig über sein Lieblingsessen freuen wird. Während Marie in der Küche das Gemüse schält, denkt sie darüber nach, was ihre Schwester beim Mittagessen gesagt hat. Sie denkt darüber nach, wie es wäre, Mutter zu sein. Schon als Kind wusste sie, dass sie einmal Mama sein würde, und verbrachte ihre Zeit damit, sich um die kleinen Puppen zu kümmern, die ihre Eltern ihr zu Weihnachten schenkten. Jetzt fühlt sie sich bereit für ein Kind mit Laurent, und vielleicht ist sie deshalb auf die Idee gekommen, heute Abend für sie beide dieses Essen zu kochen. Sie möchte die Pille absetzen und ein Familienleben beginnen. Es ist 20:30 Uhr. Die Zeit vergeht so schnell. Das Kalbsfrikassee köchelt, der Tisch ist gedeckt. Marie kennt jede Bewegung Laurents, wenn er abends nach Hause kommt. Er lässt die Schlüssel auf die Anrichte im Flur fallen, hängt den Mantel an den Kleiderhaken, geht drei Schritte, bis ihm einfällt, dass er die Eingangstür noch nicht geschlossen hat, er schließt sie, dann ruft er ihren Namen, um sich zu vergewissern, dass sie da ist.

An seinem Lächeln und seinen eiligen Schritten erkennt Marie, dass er gute Neuigkeiten hat: »Ich habe mir den Fall Lancarde geangelt!« Sie freut sich, nimmt ihn in den Arm, um ihn zu beglückwünschen. Sie halten sich zärtlich umschlungen, küssen sich, sehen sich in die Augen. Er hebt sie hoch, dann setzt er sie behutsam auf die Küchenanrichte und küsst sie noch einmal. Gérard Lancarde ist ein reicher Industrieller, er hat sich auf den Kunststoffhandel in Europa spezialisiert. Sein Vater, der vor über fünfzig Jahren die Unternehmensgruppe Calcum gegründet hat, sollte seinem Sohn beim offiziellen Eintritt in den Ruhestand über die Hälfte der Firmenanteile übertragen. Einige Jahre vor der Nachfolge hat er jedoch ein zweites Mal geheiratet, eine russische Sängerin, die in ihrem Land sehr beliebt ist und der er gegen den Willen seines Sohns einen beträchtlichen Anteil der Aktien vermacht hat. Laurent kann seine Ankündigung selbst noch nicht fassen: »Stell dir vor, Liebling, bei diesem Vertrag geht es um mehrere hundert Millionen Euro Erbschaft, und er hat sich ausgerechnet für mich entschieden! Ich kann es einfach nicht glauben.« Marie freut sich aufrichtig für ihn. Laurent nähert sich dem immer noch dampfenden Topf. Sein kindliches Verhalten, wie er langsam den Deckel hebt, um mit geschlossenen Augen den Duft des Fleisches einzuatmen, rührt Marie. Aber plötzlich denkt sie wieder an ihren Kinderwunsch. Mit dem neuen Vertrag wird Laurent vielleicht keine Zeit mehr haben. Sie spürt ein schmerzhaftes Ziehen in der Magengrube.

Nachdem Laurent ihr den Fall eine Stunde lang bis ins Detail erläutert hat, scheint er immer noch nicht bemerkt zu haben, dass sie etwas bedrückt. »Übrigens, Schatz, ich habe mich heute mit meiner Schwester getroffen. Guillaume ist so süß. Er ist schon wieder gewachsen!« Laurent hört zu, aber stellt keinen Zusammenhang zu ihrer eigenen Situation her und isst ungerührt weiter. Angesichts dieser Ausweglosigkeit entscheidet sich Marie für die Flucht nach vorne: »Ich möchte auch gerne ein Kind. Ich glaube, dass jetzt der richtige Augenblick ist, ich glaube, wir könnten jetzt zusammen eine Familie gründen. Ich spüre es, ich bin bereit.« Laurent fällt ein Stück Fleisch aus dem Mund. Überrascht von der Neuigkeit, ist er ganz blass geworden. Daran hat er nicht gedacht. Zumindest hatte er keine Zeit, sich wirklich Gedanken darüber zu machen. Stille macht sich breit. Maries Atmung setzt aus, sie wartet auf seine Antwort, um wieder durchatmen zu können. Laurent lächelt, steht auf und küsst sie mitten auf den Mund. »Mein Liebling. Ja, ich will! Natürlich will ich ein Kind mit dir!« Maries Körper entspannt sich, unermessliche Erleichterung und Freude durchströmen sie. Sie hat sich noch nie so unbeschwert gefühlt, jede Faser ihres Wesens ist berauscht, der Druck fällt endlich von ihr ab. Sie hat Lust, es über die Dächer von Paris hinauszuschreien, ihre Eltern anzurufen, ihre Schwester, ihre Kollegen, ihre Kunden, um ihnen die große Neuigkeit zu verkünden, noch bevor sie überhaupt schwanger ist.

An diesem Abend werden sich Laurent und Marie, nachdem sie das Kalbsfrikassee genossen haben, eng umschlungen, voller Begeisterung für ihre Pläne schlafen legen.

Seit sie sich für ein Kind mit Laurent entschieden hat, ist Marie in Hochstimmung. Während sie auf dem Boulevard du Temple in die Pedale tritt, wird ihr plötzlich bewusst, wie viel Glück sie doch hat, diese Frau zu sein. Sie liebt ihre Arbeit, lebt mit einem Mann zusammen, den sie vergöttert, ihr fehlt es an nichts, bald wird sie ihr erstes Kind bekommen. Sie malt sich die Familienessen in Bois-le-Roi mit Laurent und ihrem Baby aus. Die neuen Fotografien, die sie auf ihren Schreibtisch stellen und triumphierend ihren Kunden zeigen kann. Die langen Spaziergänge im Jardin du Luxembourg, wie stolz sie sein wird, mit dem Kinderwagen zum großen Wasserbecken in der Mitte zu gehen. Sie wird eine liebende, aufmerksame Mutter sein, so wie ihre eigene. Auf einmal hat sie den Eindruck, mehr Kindern über den Weg zu laufen. Um sie herum wirbelt ein Ballett aus Kinderwagen und kleinen Gestalten durch die Straßen. In Eile, mit wachsamem Blick treten die Mütter entschlossen die erste Etappe ihres Marathons an: die Kinder in die Schule bringen, zum Abschied küssen, von weitem sichergehen, dass sie auch wirklich das Gebäude betreten.

Marie kommt pünktlich in der Bank an. Sie weiß, dass dieser Freitag anstrengender wird als sonst, weil heute die vierteljährliche Besprechung der Verkaufszahlen ansteht. Sie ist nicht die beste Geschäftsfrau. Bei Ausschüssen lobt ihre Vorgesetzte sie immer für ihr Verständnis und ihre analytischen Fähigkeiten, nicht unbedingt für ihren Geschäftssinn. Heute Nachmittag wird sie zum ersten Mal dem neuen Generaldirektor der Pariser Zweigstelle im 10. Arrondissement begegnen. Er hat Wert daraufgelegt, persönlich anwesend zu sein, um die Belegschaft zu motivieren. Alle Mitarbeiter in der Filiale haben Angst, wegen schlechter Bilanzen gerügt zu werden.

Besonders nervös ist Hervé, der zweite Vermögensberater. Er weiß, dass er während dieses ersten Quartals hinter den Anforderungen zurückgeblieben ist. Marie bedauert ihn. Anfang fünfzig, am Ende seiner Karriere, wirkt er sehr verzweifelt über die Arbeit, die Kunden und das Tempo, das die neuen Unternehmensrichtlinien vorgeben. Er würde gerne aufhören, aber er hat keine Wahl. Er muss seinen Immobilienkredit zurückzahlen, seine undankbare, jugendliche Tochter mit Taschengeld versorgen, für seine Frau aufkommen, mit der er schon seit Jahren keiner verliebten Zukunft mehr entgegensieht, und ein wenig Geld für seine Leidenschaft, die Ornithologie, beiseitelegen. Hervé ist fasziniert von Wildtauben, besonders von Turteltauben. In seiner Schreibtischschublade bewahrt er heimlich eine Mappe auf mit allen Artikeln, die er zu diesem Thema gefunden hat. Darauf ist er sehr stolz. Nach schwierigen Kundengesprächen oder auch einfach nur zum Spaß holt er den Ordner hervor und verbringt die seltenen heiteren Augenblicke seines Lebens damit, in den vergilbten Fotografien der durch die Lüfte fliegenden Vögel zu blättern. Hervé ist rührend, aber zutiefst unglücklich.

Marie nimmt am Konferenztisch Platz, beladen mit einem Aktenstapel, der hoffentlich zu ihrer Verteidigung ausreichen wird. Im großen Saal herrscht Totenstille. Eine Neonleuchte ist nicht richtig festgedreht, sie knistert. Die Filialleiterin erhebt sich und schaltet sie aus. Ihr hageres Aussehen und ihr herrisches Auftreten haben Marie schon immer eingeschüchtert. Wenn sie alleine bei ihr im Büro ist, senkt Marie den Blick und vermeidet es, ihr in die Augen zu sehen. Colette Sirmont ist eine starke Frau, eine Karrieristin, energisch, anspruchsvoll, beinahe angsteinflößend. Marie erkennt sich in keinem ihrer Charakterzüge wieder, weder beruflich noch privat. Wenn Marie bei den Terminen mit ihren Kunden alleine ist, dann ist sie entspannt, fühlt sich wohl, überrascht sogar manchmal mit Scherzen. Bei ihrer Arbeit in der Bank kann sie in die Rolle einer anderen Frau schlüpfen. An Laurents Seite weiß sie sich nur mit Sanftmut und Zurückhaltung zu behaupten, so wie schon vor zehn Jahren, wenn sie mit ihm und seinen Freunden zusammen war. Die Kollegen werfen sich durchs Zimmer Blicke zu. Sie schätzen sich gegenseitig ab, um herauszufinden, wer von ihnen am schlechtesten dasteht. Der Direktor erscheint. Er knallt die Tür zu. Gesichtszüge verkrampfen sich, Hände wissen nicht mehr, wohin, Münder schließen sich höflich. Er ist groß, stattlich, ziemlich anziehend. Den Frauen ist es gleich aufgefallen. Mit dem wachen Blick von jemandem, der es gewohnt ist, andere zu führen, steuert er zielstrebig auf das Tischende zu. Er zieht es vor zu stehen.

Marie beobachtet ihn von weitem. Er beginnt seine Ansprache, während sein Assistent den Overheadprojektor einschaltet. Er kündigt an, er habe keine Zeit, jeden Fall individuell durchzugehen, und ziehe es deshalb vor, die Ergebnisse jedes Mitarbeiters im Laufe der Woche in Einzelgesprächen zu analysieren. Eine Welle der Erleichterung geht durch den Saal. Wieder lächelnde Gesichter. Marie wird gebeten, das Wort zu ergreifen und über ihre Verkaufserfahrung mit der neuen Lebensversicherung zu berichten. Sie erhebt sich mit gesenktem Kopf und geht nach vorne zum Direktor. Er starrt sie unverwandt an, mustert sie. Marie riecht sein Parfüm. Eine kräftige Mischung aus Eau de Cologne, Leder und Sandelholz. Sie benutzt nie Parfüm, Laurent mag es nicht. Nach ihrem Bericht geht Marie zurück an ihren Platz; unter dem zufriedenen Blick des Direktors. Ihre Kollegin beglückwünscht sie und meint, sie habe ihre Verkaufsstrategie gut dargelegt. Nach einer Stunde erklärt der Direktor die Konferenz für beendet. Alle verlassen den Saal, um zu ihrer Arbeit zurückzukehren. Hervé ist erleichtert, aber er weiß, dass das nicht lange anhalten wird und ihm nur ein paar Tage Schonfrist bleiben, bis das Urteil über ihn fällt. Beim Rausgehen begegnet Marie dem Blick des Direktors, der ihr nickend zulächelt. Sie hat noch drei Termine heute Nachmittag. Der Arbeitstag geht weiter.

Es ist 18:30 Uhr. Marie hat alle vertraulichen Daten ihrer Kunden an diesem Tag eingegeben, endlich kann sie gehen. Draußen ist sie wieder einmal überrascht, wie sehr ihr der Trubel gefällt. Sie, die so ruhig, ausgeglichen, beherrscht und geduldig ist, wird von Paris angetrieben, mit Leben erfüllt. In ihrer Jugend hat sie es immer ein wenig bedauert, in der Provinz zu leben. Bois-le-Roi ist zwar nicht so weit von Paris entfernt, aber die Zugfahrt jedes Wochenende zu ihren Freunden in die Metropole war frustrierend. Sie hat immer gewusst, dass sie später einmal in Paris leben würde. Die Oktobernacht bricht langsam herein. Die Rue Meslay kommt ihr noch finsterer vor als sonst, vielleicht ist eine Straßenlaterne ausgefallen. Marie weiß nicht mehr genau, wo sie ihr Fahrrad stehenlassen hat. Vielleicht vor dem kleinen türkischen Restaurant, wo sie donnerstags gerne zu Mittag isst. Bis auf wenige nach Hause eilende Fußgänger ist die Straße verlassen. Die großen Gebäude sind in warmes Licht getaucht. Sie sieht immer gerne in die Fenster der Wohnungen, wenn sie durch Paris geht. Einen Blick ins Privatleben der Leute erhaschen, ihren Geschmack bei der Einrichtung beurteilen, Kindern beim Spielen, Eltern im Gespräch auf dem Balkon oder beim Kochen zusehen. Plötzlich fragt sie sich, ob andere das auch machen. Ob sie auch beobachtet wird, wenn sie in ihrer Wohnung herumläuft. Im schwachen Schein der Straßenlaterne sieht sie von weitem ihr Fahrrad. Es ist umgefallen. Das Vorderrad ist komplett zerlegt, der Reifen verschwunden, die Radgabel zerbrochen. Bestürzt eilt sie hin, versucht vergeblich, es gegen die Säule zu lehnen, begreift dann aber schnell, dass sie es nicht mehr benutzen kann. Sie ist hilflos. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie Opfer von Vandalismus geworden. Sie sieht sich suchend nach Hilfe um. Holt ihr Handy aus der Tasche, um Laurent anzurufen. Auch wenn sie schon weiß, dass er wegen einer solchen Kleinigkeit nicht kommen wird und ihr sicher nur rät, mit der Metro nach Hause zu fahren, aber sie muss seine Stimme hören, getröstet werden. Er nimmt beim ersten Klingeln ab. »Du glaubst nicht, was passiert ist! Jemand hat versucht, mein Fahrrad zu stehlen. Ich habe nicht mal mehr ein Vorderrad, sie haben alles kaputt gemacht!« Laurent ist nervös, er hat gleich ein Meeting, um die Verteidigung von Gérard Lancarde zu organisieren. Er rät ihr, die Metro zu nehmen und ihr Fahrrad einfach dort stehenzulassen. Noch während sie mit Laurent spricht, bemerkt sie auf dem Gehweg eine vertraute Gestalt. Der Generaldirektor hat sie auch erkannt. »Na, was ist Ihnen denn passiert?« Marie legt auf. Das Ganze ist ihr etwas peinlich, sie kommt sich dumm vor neben den Überresten ihres Fahrrads. Sie erklärt ihm die Situation und verbirgt dabei so gut es geht ihre Panik. Der Direktor lächelt, versucht, sie mit einer freundschaftlichen Berührung an der Schulter zu beruhigen. »Hören Sie, mein Auto steht ganz in der Nähe. Ich kann Sie nach Hause bringen, wenn Sie möchten. Wo wohnen Sie denn?« Marie mustert ihn einen Moment verlegen, dann, nicht sehr angetan von der Vorstellung, um diese Stoßzeit die überfüllte Metro zu nehmen, entscheidet sie sich, sein Angebot anzunehmen.

Auf dem Weg fallen ihre Schritte in denselben Rhythmus, hallen hart auf dem Asphalt wider. Er spricht nicht viel, dreht sich ab und zu um und lächelt sie an. Er macht Eindruck auf sie. Immerhin ist er der Direktor. Er kramt die Autoschlüssel aus der Manteltasche und öffnet den perfekt am Straßenrand eingeparkten Mercedes. Die Scheinwerfer leuchten auf. Er scheint ziemlich stolz darauf zu sein, wie er auf andere wirkt, ist aber um eine eigenartig bescheidene Haltung bemüht. Marie setzt sich auf den Beifahrersitz. Der Ledergeruch mischt sich mit dem kräftigen Duft seines Parfüms, das ihr schon bei der Konferenz am Nachmittag aufgefallen ist. Der Direktor wirft den Mantel auf den Rücksitz und steigt ebenfalls ein. Er startet das Auto. Der Motor brummt leise. Marie ist erleichtert, dass die Fahrt nicht allzu lange dauern wird. Ihr Handy klingelt in der Tasche. Eine Nachricht von Laurent. Er fragt, ob alles in Ordnung ist. Er werde spät nach Hause kommen, noch mit seinem Mandanten zu Abend essen, sie brauche nicht auf ihn zu warten. Marie ist enttäuscht, sie hätte sich gerne heute Abend von ihm trösten lassen. Der Direktor schaltet das Radio ein. Sie erkennt die ersten Akkorde der Gnossienne Nr. 3 von Erik Satie, das Lieblingsstück ihres Vaters. Auf einmal verdunkelt diese Sinfonie aus mehrdeutigen Klängen ihren Blick auf Paris. Die Nacht beklemmt sie. Vom betäubenden Geruch nach Sandelholz, vom Scheinwerferlicht auf der Windschutzscheibe wird ihr ganz schwindlig. Endlich biegen sie in den Boulevard Voltaire ein. Er rührt sich nicht. Die Hände fest am Lenkrad, der Blick starr, die Lippen unbeweglich. Sie wagt es nicht, den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. Die Zeit vergeht langsamer, steht still, bedrückt den Raum. Alles wird träge. Sie will hier raus. Neben ihnen an der Ampel hält ein Auto. Eine Frau lächelt ihr kurz zu, bevor ihre Aufmerksamkeit abgelenkt wird. Das Auto fährt weiter. Es trennen sie nur noch ein paar Nummern von ihrem Haus. Es gibt keine Parklücke, und die Straße ist verstopft. Marie will am Straßenrand aussteigen, aber er fährt lieber über die Rue Richard-Lenoir, um einen besseren Platz zum Halten zu finden. »Diese Stadt ist wirklich nicht für Autos gemacht.«

Endlich spürt Marie, wie das Auto langsamer wird. Das Radio verstummt schlagartig. Sie stehen jetzt in der Einfahrt eines privaten Parkplatzes. Stille breitet sich in der Dunkelheit aus, vor der sich der Umriss des Mannes abhebt. Kein Mensch ist unterwegs. »Vielen Dank noch mal, dass Sie mich nach Hause gefahren haben, das war wirklich sehr nett. Ich meine, Sie hätten das nicht tun müssen. Es tut mir leid, aber ich muss jetzt los, mein Ehemann erwartet mich und wird sich schon Sorgen machen.« Sie weiß nicht genau, warum sie diese Lüge erfunden hat. Auf einmal hat sie ein unbehagliches Gefühl im Bauch, dieselbe gedehnte Spannung, wie sie ein Zuschauer kurz vor der Auflösung einer Filmszene spürt. »Möchten Sie nicht noch einen Augenblick bei mir bleiben?« Der Mann sieht immer noch geradeaus, die Hände locker am Lenkrad.