Der Samstag des Monsieur Basso

Ein strahlender Spätnachmittag. Sonnenlicht, das fast wie Sirup in die ruhigen Straßen der Rive Gauche tropft. Und überall Lebensfreude, auf den Gesichtern, in den vertrauten Geräuschen ringsum.

Es gibt solche Tage, an denen unser Dasein weniger gewöhnlich wirkt und die Menschen auf den Gehsteigen, in den Straßenbahnen und Autos ihre Rolle in einem Märchen zu spielen scheinen.

Es war der 27. Juni. Als Maigret am Tor des Santé-Gefängnisses ankam, betrachtete der Wachtposten gerührt ein weißes Kätzchen, das mit dem Hund des Milchmädchens spielte.

Und es gibt wohl auch Tage, an denen die Pflastersteine lauter als sonst klingen. Maigrets Schritte hallten in dem riesigen Hof wider. Am Ende eines Ganges fragte er einen Wärter:

»Hat man es ihm gesagt?«

»Noch nicht.«

Ein Schlüssel, der sich im Schloss drehte. Ein

»Wie geht’s, Lenoir?«, fragte der Kommissar.

Der andere hätte beinahe gelächelt. Aber plötzlich kam ihm ein Gedanke, und seine Gesichtszüge verhärteten sich. Er hob misstrauisch die Augenbrauen. Ein paar Sekunden lang kniff er den Mund zusammen, zuckte dann mit den Achseln und streckte die Hand aus.

»Habe verstanden!«, rief er aus.

»Was?«

Ein resigniertes Lächeln.

»Tun Sie nicht so! Wenn Sie hier sind, um …«

»Ich bin hier, weil ich morgen in die Ferien fahre und …«

Der Gefangene lachte trocken. Er war ein großer Kerl mit zurückgekämmten braunen Haaren, regelmäßigen Zügen, kastanienbraunen Augen und einem dünnen Oberlippenbart, der das Weiß seiner Zähne, spitz wie bei einem Nagetier, noch betonte.

»Das ist nett von Ihnen, Herr Kommissar.«

Er streckte sich, gähnte und schloss den Deckel der Toilette, die sich in einer Ecke der Zelle befand.

»Entschuldigen Sie bitte die Unordnung.«

Und plötzlich sagte er, den Blick auf Maigrets Augen gerichtet:

»Das Gnadengesuch ist abgelehnt, stimmt’s?«

»Ich habe mir keine falschen Hoffnungen gemacht! Nun? Morgen?«

Beim letzten Wort trübte sich seine Stimme, und in seinen Augen sammelte sich das Tageslicht, das durch ein schmales Fenster gleich unter der Decke fiel.

Zur selben Zeit wurden auf den Terrassen der Cafés die Schlagzeilen der Abendzeitungen ausgerufen:

»Der Präsident hat das Gnadengesuch von Jean Lenoir, Bandenchef von Belleville, abgewiesen. Die Hinrichtung wird morgen früh vollzogen.«

Maigret war es, der Lenoir drei Monate zuvor in einem Hotel in der Rue Saint-Antoine verhaftet hatte. Eine Sekunde später, und die Kugel, die der Mörder in seine Richtung abgefeuert hatte, hätte ihn mitten in der Brust getroffen und wäre nicht irgendwo in der Zimmerdecke gelandet.

Aber der Kommissar hatte es ihm nicht verübelt. Zuerst vielleicht weil Lenoir jung war, ein Bursche von vierundzwanzig Jahren, der, seitdem er fünfzehn war, Verurteilungen sammelte.

Dann weil er so stur war. Er hatte Komplizen. Zwei waren am selben Tag verhaftet worden. Sie

Lenoir entlastete sie dennoch, nahm alles auf sich, weigerte sich, sie ans Messer zu liefern.

Er spielte sich nicht auf, prahlte nicht. Er gab für seine Verkommenheit nicht der Gesellschaft die Schuld.

»Ich habe verloren.« Mehr sagte er nicht.

Es war vorbei. Oder besser, es würde vorbei sein, wenn die Sonne, die jetzt ein Stück der Zellenwand beschien, wieder aufging.

Lenoir machte unwillkürlich eine schauerliche Handbewegung. Während er in der Zelle auf und ab ging, legte er die Hand in den Nacken, fing zu zittern an, wurde blass und musste plötzlich auflachen.

»Und dennoch! Das ist ein komisches Gefühl …«

Plötzlich brach all sein Groll aus ihm heraus:

»Wenn nur die anderen, die es auch verdienen, mit mir kämen!«

Er beobachtete Maigret, blieb stehen, ging dann wieder auf und ab und murmelte:

»Ich werde heute nicht damit anfangen, irgendjemanden ans Messer zu liefern, aber …«

Der Kommissar vermied es, ihn anzusehen. Er spürte das Geständnis kommen. Und er wusste,

»Sie kennen die Landkneipe À Deux Sous sicher nicht. Aber wenn Sie einmal dort vorbeikommen, dann denken Sie daran, dass es da einen Kerl unter den Stammgästen gibt, der morgen eher als ich aufs Gerüst steigen müsste.«

Er ging weiter hin und her, konnte damit nicht aufhören. Es war faszinierend. Nur dadurch verriet er seine Erregung.

»Aber die werden ihn nicht kriegen. Ich werde nicht auspacken, aber ich kann Ihnen dafür etwas erzählen … Keine Ahnung, warum mir das jetzt einfällt … Vielleicht weil es eine Jugenderinnerung ist. Ich war so um die sechzehn. Wir sind zu zweit losgezogen, um zu tanzen und was mitgehen zu lassen. Der andere wird längst in einem Sanatorium sein. Er hustete damals schon dauernd.«

Redete er jetzt nicht, um sich lebendig zu fühlen, um sich zu beweisen, dass er noch ein Mensch war?

»Eines Nachts, so gegen drei Uhr, sind wir durch die Rue … Nein, nein, den Namen der Straße sage ich Ihnen nicht. Irgendeine Straße. Irgendwo ging eine Tür auf. Ein Auto stand am Straßenrand. Ein Typ kam raus, stieß einen anderen vor sich her. Nein! Stoßen ist nicht richtig … Stellen Sie sich vor, man würde eine Gliederpuppe unterhaken, wie

Alles lief wie am Schnürchen. Der Kerl im Auto hat wohl schwere Sachen in die Taschen der Leiche gepackt. Die ging sofort unter.

Wir verhielten uns ruhig. Ein Blick, und wir zurück auf unseren Platz. Immer gut, wenn man die Adresse seiner Kunden kennt … An der Place de la République hielt er an, um im einzigen Café, das noch geöffnet hatte, einen Rum zu kippen. Dann fuhr er das Auto in die Garage und ging nach Hause. Hinter den Vorhängen haben wir seinen Schatten gesehen, als er sich auszog.

Zwei Jahre lang haben Victor und ich ihn erpresst. Wir waren Anfänger und wollten es nicht übertreiben. Nur hundert Franc aufs Mal.

Dann ist der Kerl eines Tages umgezogen, und wir haben ihn nicht wiedergefunden. Erst vor drei Monaten habe ich ihn zufällig in der Kneipe

Lenoir spuckte auf den Boden, suchte unbewusst nach seinen Zigaretten und murmelte:

»In so einer Lage sollten die einen wenigstens rauchen lassen.«

Der Sonnenfleck unter der Decke war verschwunden. Im Gang waren Schritte zu hören.

»Mag sein, dass ich es nicht anders verdient habe, aber Sie müssen zugeben, dass sich der Mistkerl, von dem ich Ihnen erzählt habe, da morgen früh gut mit mir zusammen machen würde.«

Es brach aus ihm heraus. Plötzlich traten Schweißperlen auf seine Stirn, und im selben Moment gaben seine Beine nach. Lenoir setzte sich auf den Rand seiner Pritsche.

»Sie müssen mich jetzt allein lassen«, seufzte er. »Oder nein, lieber nicht. Ich will nicht allein sein heute. Es ist besser zu reden. Soll ich Ihnen die Geschichte von Marcelle erzählen, der Frau, die …«

Die Tür ging auf. Der Anwalt des Verurteilten zögerte, als er Maigret sah. Er setzte ein verlegenes Lächeln auf, damit sein Klient nicht merkte, dass das Gnadengesuch abgelehnt worden war.

»Gute Nachrichten?«

»Nun ja.«

Und zu Maigret sagte Lenoir:

»Ihnen sage ich nicht auf Wiedersehen, Herr

Maigret gab ihm die Hand. Er sah, wie seine Nasenflügel zitterten, der kleine braune Schnauzbart feucht wurde und sich seine Eckzähne in die Unterlippe gruben.

»Das hier oder am Typhus krepieren, egal!«, scherzte Lenoir mit einem gezwungenen Lachen.

 

Maigret fuhr nicht in die Ferien, denn er hatte einen Fall von Scheckfälschung am Hals, der ihn fast gänzlich in Beschlag nahm. Von der Kneipe À Deux Sous hatte er nie gehört. Er machte sich bei seinen Kollegen schlau.

»Kenn ich nicht. Wo soll die sein? An der Marne? Unterlauf der Seine?«

Lenoir war sechzehn, als sich diese Geschichte zugetragen hatte. Das war also acht Jahre her. Eines Abends ging Maigret die Akten aus diesem Jahr durch.

Aber er fand nichts Besonderes. Ein paar Vermisste, wie üblich. Eine zerstückelte Frauenleiche, deren Kopf nie gefunden wurde. Und im Kanal Saint-Martin hatte man nicht weniger als sieben Leichen gefunden.

Die Sache mit den gefälschten Schecks verkomplizierte sich, erforderte weitere Ermittlungen.

Paris leerte sich. Der Asphalt gab unter den Schritten nach. Die Menschen suchten schattige Gehsteige auf, und auf den Caféterrassen war fast jeder Stuhl besetzt.

RECHNEN AM SONNTAG FEST MIT DIR. KÜSSE VON ALLEN.

Madame Maigret beschwerte sich, weil ihr Mann sie seit zwei Wochen nicht besucht hatte. Es war Samstag, der 23. Juli. Er ordnete die Akten und gab Jean, dem Bürodiener am Quai des Orfèvres, Bescheid, dass er sicher nicht vor Montagabend zurück sein würde.

Beim Hinausgehen fiel sein Blick auf seine Melone, die seit Wochen eingerissen war. X-mal hatte Madame Maigret ihm gesagt, er solle sich eine neue kaufen.

»Man wird dir noch ein paar Sous zustecken!«

Am Boulevard Saint-Michel ging er zu einem Hutmacher und probierte einige Melonen. Alle zu klein.

»Ich bin sicher, die hier ist es«, versteifte sich ein Grünschnabel von Verkäufer ihm gegenüber.

Maigret war immer unwohl, wenn er etwas

Da der Kunde graue Sportbekleidung trug, sah das recht komisch aus.

»Nein!«, sagte der Mann. »Ich möchte ein älteres Modell.«

Maigret wartete auf neue Hüte, die aus dem Lager geholt wurden.

»Es geht um einen lustigen Anlass. Wir spielen Bauernhochzeit, in der Landkneipe À Deux Sous, ein paar Freunde und ich. Es gibt eine Braut, eine Schwiegermutter, Brautführer und alles, was dazugehört! Wie auf einer Dorfhochzeit. Und ich spiele den Bürgermeister. Verstehen Sie jetzt, was ich brauche?«

Der Kunde sagte das laut lachend. Er war um die fünfunddreißig, kräftig, hatte volle rosige Wangen und sah aus wie ein wohlhabender Geschäftsmann.

»Wenn Sie zum Beispiel einen mit flacher Krempe hätten …«

»Moment! Ich glaube, dass wir genau das Richtige haben, eine Retoure.«

Man brachte Maigret einen weiteren Stapel Melonen. Die erste passte, doch er ließ sich Zeit, machte sich erst kurz vor dem Mann mit dem Zylinder auf und hielt schnell ein Taxi an.

In der Rue Vieille-du-Temple verbrachte er eine halbe Stunde bei einem Trödler und kam mit einem großen flachen Karton heraus, der wohl einen passenden Frack enthielt.

Dann fuhr er über die Champs-Élysées zur Avenue de Wagram, zu einer kleinen Bar an der Ecke. Er blieb dort nur fünf Minuten und kam mit einer rundlichen etwa dreißigjährigen Frau heraus, die vergnügt wirkte.

Zweimal hatte Maigret auf seine Uhr gesehen. Der erste Zug war weg, der nächste würde in einer Viertelstunde gehen. Er zuckte mit den Achseln und sagte zum Taxifahrer:

»Bleiben Sie dran.«

Wie er es erwartet hatte: Das Auto hielt vor einer Pension in der Avenue Niel. Das Paar verschwand im Eingang. Maigret wartete eine Viertelstunde und trat ein, nicht ohne die Inschrift auf dem Messingschild zu lesen:

Möblierte Zimmer,

monats- oder tageweise

In einem eleganten Büro, das nach Ehebruch roch, traf er auf die parfümierte Wirtin.

»Welches Paar?«

Sie widersetzte sich nicht lange.

»Sehr anständige Leute, beide verheiratet, kommen zweimal die Woche.«

Beim Hinausgehen warf der Kommissar einen Blick durch die Windschutzscheibe, hinter der eine Visitenkarte steckte:

Marcel Basso

32, Quai d’Austerlitz, Paris

Kein Windhauch. Die Luft stand. Die Straßenbahnen und Busse, die zu den Bahnhöfen fuhren, waren überfüllt, die Taxis beladen mit Liegestühlen, Angelruten, Keschern und Koffern.

Der Asphalt glänzte bläulich, und von den Caféterrassen klang das Klappern von Gläsern und Untertassen herüber. Und überhaupt, drei Wochen war es her, dass Lenoir …

Viel war darüber nicht gesprochen worden. Ein einfacher Fall, ein quasi professioneller Mörder. Maigret dachte an den zitternden Schnauzbart und seufzte, als er auf die Uhr blickte.

Zu spät, um zu Madame Maigret zu gelangen, die mit ihrer Schwester vor dem kleinen Bahnhof stehen würde und nicht umhinkäme zu murmeln:

Der Taxifahrer las Zeitung. Der Mann mit dem Zylinder kam als Erster heraus und sah sich nach beiden Richtungen um, ehe er seiner Gefährtin, die im Hauseingang geblieben war, ein Zeichen gab.

Der Wagen hielt an der Place des Ternes. Durch das Rückfenster sah man, wie sie sich küssten. Sie hielten sich noch an den Händen, als die Frau schon ein Taxi herbeigewinkt hatte.

»Weiter?«, fragte der Fahrer Maigret.

»Wenn wir schon mal dabei sind …«

Immerhin kannte der Mann die Kneipe À Deux Sous!

Am Quai d’Austerlitz ein riesiges Schild:

Marcel Basso

Importeur von Kohle aus allen Ländern

Groß- und Einzelhandel

Wir liefern sackweise nach Hause

Sommerpreise

Ein Lagerplatz, eingegrenzt von einem schwärzlichen Holzzaun. Gegenüber eine Laderampe mit der gleichen Firmenaufschrift, festgemachte Frachtkähne neben Kohlehaufen, die am selben Tag entladen worden waren.

Inmitten der Lagerplätze ein großes Haus, eine Art Villa. Monsieur Basso parkte seinen Wagen,

Maigret sah ihn im ersten Stockwerk wieder auftauchen, die Fenster standen weit offen. Er stand da mit einer großen, hübschen blonden Frau. Sie lachten und redeten angeregt. Monsieur Basso setzte seinen Zylinder auf und betrachtete sich im Spiegel.

Koffer wurden gepackt. Ein Hausmädchen mit weißer Schürze ging ihnen zur Hand.

Eine Viertelstunde später – es war fünf Uhr – kam die Familie herunter. Erst ein zehnjähriger Junge mit einem Luftgewehr in der Hand, dann das Hausmädchen, Madame Basso, ihr Mann und ein Gärtner mit den Koffern.

All das strahlte gute Laune aus. Autos fuhren vorbei, Richtung Land. An der Gare de Lyon pfiffen die Entlastungszüge unablässig.

Madame Basso setzte sich neben ihren Mann, das Kind nahm hinten zwischen dem Gepäck Platz und drehte die Scheiben herunter.

Es war kein Luxuswagen, ein solides, königsblaues Serienfahrzeug, fast neu.

Ein paar Minuten später fuhr man Richtung Villeneuve-Saint-Georges, dann durch Corbeil und schließlich auf einem unbefestigten Weg die Seine entlang.

So hieß die Villa da unten am Flussufer zwischen Morsang und Seine-Port, ein Neubau mit glänzenden Ziegeln, frischem Anstrich. Die Blumen im Garten sahen so aus, als hätte man sie erst am Morgen gewaschen.

Ein strahlend weißes Sprungbrett, Boote.

»Kennen Sie die Ecke hier?«, fragte Maigret den Fahrer.

»Halbwegs.«

»Kann man hier irgendwo übernachten?«

»In Morsang, im Vieux Garçon. Oder weiter oben bei Marius in Seine-Port.«

»Und im À Deux Sous?«

Der andere schüttelte ahnungslos den Kopf.

Das Taxi konnte nicht lange unbemerkt am Straßenrand stehen bleiben. Der Wagen der Bassos war schon entladen. Keine zehn Minuten später zeigte sich Madame Basso im Garten, in einem Ruderdress aus Leinen, eine amerikanische Seemannskappe auf dem Kopf.

Ihr Mann musste es eilig gehabt haben, seine Verkleidung auszuprobieren. Er tauchte am Fenster auf, eingezwängt in einen abenteuerlichen Gehrock und mit Zylinder auf dem Kopf.

»Was sagst du dazu?«

»Hast du nicht noch die Schärpe vergessen?«

»Aber bitte! Ein Bürgermeister trägt eine blau-weiß-rote Schärpe!«

Boote glitten vorbei. Ein Schlepper pfiff in der Ferne. Die Sonne ging allmählich hinter den Bäumen auf dem Hügel flussabwärts unter.

»Wir fahren zum Vieux Garçon«, rief Maigret.

Eine Terrasse am Ufer, Boote aller Art und ein Dutzend Wagen, die hinter dem Gebäude parkten.

»Soll ich auf Sie warten?«

»Ich weiß noch nicht.«

Die erste Person, der er begegnete, war eine Frau ganz in Weiß, die auf ihn zurannte und ihm beinahe in die Arme gefallen wäre. Sie hatte Orangenblüten im Haar. Ein junger Mann im Badeanzug verfolgte sie. Beide lachten.

Andere Gäste sahen von der Treppe der Herberge aus zu.

»Tu der Braut nichts!«, rief jemand.

»Wart zumindest die Hochzeitsnacht ab!«

Die Braut blieb stehen, außer Atem, und Maigret erkannte die Frau aus der Avenue Niel wieder, die zweimal in der Woche mit Monsieur Basso dort einkehrte.

Ein Mann verstaute Angelgerätschaften in einem grün gestrichenen Nachen und runzelte die Stirn, als hätte er es mit einer heiklen und mühseligen Arbeit zu tun.

Ein junger Mann mit viel Schminke im Gesicht kam aus der Herberge. Er sah aus wie ein pickliger gut gelaunter Bauer.

»Was meint ihr?«

»Du bräuchtest noch rote Haare!«

Ein Auto fuhr vor. Leute stiegen aus, schon verkleidet für die Bauernhochzeit. Eine Frau in einem rot-braunen Seidenrock mit langer Schleppe. Der Mann trug eine Bootskette wie eine Uhrenkette über seiner Weste, die mit Kissen ausgestopft war.

Die Sonnenstrahlen färbten sich rötlich. Die Blätter der Bäume bewegten sich kaum. Ein Kanu glitt über das Wasser, darin ein halbnackter Mann, der lässig mit einem Paddel steuerte.

»Wann kommen die Kutschen?«

Maigret wusste nicht recht, wohin mit sich.

»Sind die Bassos schon angekommen?«

»Sie haben uns unterwegs überholt!«

Plötzlich stellte sich jemand zu Maigret, ein fast kahlköpfiger Mann von etwa dreißig Jahren mit einem Clownsgesicht. Seine Augen funkelten listig. Mit starkem englischen Akzent rief er:

»Und der hier macht den Notar!«

Er war nicht betrunken, aber auch nicht nüchtern. Die untergehende Sonne färbte sein Gesicht purpurrot; seine Pupillen waren von hellerem Blau als der Fluss.

Er nahm Maigrets Arm und fügte hinzu:

»Komm, trink einen Pernod mit.«

Alle lachten. Eine Frau sagte halblaut:

»James geht ja ran!«

Der aber ließ sich nicht beirren, zog Maigret zum Vieux Garçon und bestellte:

»Zwei große Pernod!«

Er lachte selbst über diesen verfrühten Sonntagsscherz, während die Bedienung ihnen zwei bis zum Rand gefüllte Gläser brachte.

Der Ehemann der Dame

Bei der Landkneipe angekommen, steckte der Schlüssel noch nicht im Schloss, wie Maigret zu sagen pflegte. Er war Monsieur Basso ohne allzu große Zuversicht gefolgt. Vor dem Vieux Garçon hatte er lustlos die Leute betrachtet. Das Prickeln hatte gefehlt, dieser Moment, an dem sich etwas verschiebt, das Einrasten des Schlüssels, das ihn sonst in die Atmosphäre eines Falls eintauchen ließ.

Während James ihn nötigte, mit ihm zu trinken, hatte er die Gäste kommen und gehen sehen, die alberne Kleidungsstücke anprobierten, sich dabei gegenseitig zur Hand gingen, vor Lachen losprusteten und herumschrien. Die Bassos waren angekommen, und ihr Sohn, zurechtgemacht als kleiner rothaariger Dorfdepp, hatte Begeisterung hervorgerufen.

»Lass sie machen!«, rief James jedes Mal, wenn sich Maigret der Clique zuwandte. »Noch nicht mal betrunken, und schon so albern …«