Schmutztitel
Titel

Das geheime Parfüm

Mira Sol

KOSMOS

Umschlagillustration von Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Sabine Reddig

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

weitere Informationen zu unseren Büchern,

Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und

Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2020 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-440-50226-6

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Einbrecher!

Der Kies knirschte leise unter Maries Turnschuhen, als sie über den Vorplatz zur Villa lief. Das große Haus mit den vielen Erkern und Türmchen, in dem sie mit ihrer Familie lebte, strahlte blendend weiß in der Mittagssonne. Marie sog genüsslich die milde Juniluft ein. Es duftete herrlich nach Jasmin, Thymian und frisch gemähtem Gras. Sie schob sich die Sonnenbrille ins lange blonde Haar zurück und blinzelte in den wolkenlosen Himmel. Heute war wirklich ein ausgesprochen schöner Tag! Die letzten beiden Schulstunden waren ausgefallen und nach dem Mittagessen hatte Marie eine Verabredung mit Kim und Franzi in der Müllverbrennungsanlage. Danach würden sie ihren Freund Holger treffen, der ihr eine neue spannende Parkouring-Strecke durch den Jakobipark zeigen wollte.

Marie grinste in sich hinein. Man konnte wohl kaum jemandem erzählen, dass man sich auf ein Treffen mit seinen Freundinnen in einem Müllbunker freute. Aber als Detektivin war genau das der Fall! Zusammen mit Kim und Franzi hatte Marie schon vor langer Zeit den Detektivclub Die drei !!! gegründet. Seitdem hatten sie an den unterschiedlichsten Orten in Deutschland und sogar im Ausland ermittelt und fast 60 Fälle gelöst. Gestern hatte Kim Marie und Franzi von einem Zeitungsartikel erzählt, in dem über einen mysteriösen Vorfall in der Müllverbrennungsanlage berichtet wurde. Marie hoffte sehr, dass ihre Freundin auch dieses Mal wieder den richtigen Riecher gehabt hatte und sie bald in einem neuen Fall ermitteln würden! Sie blieb vor der schweren Eichentür mit dem bronzenen Türklopfer stehen. Langsam kramte sie in ihrem Rucksack nach dem Hausschlüssel. Plötzlich gab das Handy einen Piepton von sich. Holger hatte eine Nachricht geschickt:

Liebe Marie!

Ich kann heute nicht. Meine Mutter und die Zwillinge haben die Grippe. Total ansteckend. Die nächsten Tage sehen wir uns besser nicht. Ich melde mich.

LG, Holger

Marie starrte auf den Text. Was für ein Pech! Sie hatte sich so auf die Tour mit Holger gefreut. Aber da war wohl nichts zu machen. Hoffentlich ging es seiner Mutter und den Zwillingen bald wieder besser. Sie begann, eine Antwort zu tippen. Plötzlich setzte hinter der Eingangstür ein fürchterlicher Lärm ein. Marie ließ vor Schreck beinahe das Handy fallen. Sie steckte es schnell in die Hosentasche und lauschte. Aus dem Haus kamen laute metallische Schläge. Es klang, als würde jemand mit einem Vorschlaghammer auf sämtliche Heizungs- und Wasserrohre einschlagen, die es in der Villa gab. Waren Handwerker da? Jetzt setzte ein weiteres Klopfen ein. Der Lärm steigerte sich zu einem wahren Höllenkonzert. Plötzlich gellte ein Schrei in ihren Ohren. Maries Herz begann zu rasen. Das war ihr kleiner Bruder Finn! Sie drückte hektisch die Hausklingel. Was war da los? Marie presste ihren Finger erneut auf den Klingelknopf. Doch auch nach sekundenlangem Dauerklingeln öffnete niemand die Tür.

Wieder war ein Schrei zu hören. Marie schüttelte hastig den Inhalt ihres Rucksacks auf die Marmorfliesen. Wo, verdammt noch mal, war ihr Hausschlüssel? Hefte und Bücher rutschten auf die Fußmatte und aus dem Mäppchen kullerten die Stifte in alle Himmelsrichtungen. Aber das war jetzt egal. Der Schlüsselbund blitzte unter dem Mathebuch auf. Marie ergriff ihn und schloss mit zitternden Fingern auf. Als sie einen Schritt nach vorne machte, knirschte es hässlich unter ihrem rechten Turnschuh. Ein Blick nach unten verriet ihr, dass sie soeben den Taschenflakon mit ihrem Lieblingsparfüm zu Scherben getreten hatte. Die rosafarbene Flüssigkeit breitete sich auf den schneeweißen Fliesen aus und durchtränkte Hefte und Bücher. Maiglöckchenduft stieg Marie in die Nase. Sie achtete nicht weiter darauf, sondern stieß die schwere Tür auf und stürzte in die Eingangshalle. Die Tür zur Küche stand einen Spalt offen. Der Krach kam definitiv von dort! Marie biss sich auf die Lippe. Was sollte sie tun, wenn sie gleich einer Einbrecherbande gegenüberstand? Sollte sie besser die Polizei rufen? Aber es würde viel zu lange dauern, bis sie hier war. Nein, Marie musste jetzt sofort da hinein und ihren Bruder retten! Wie auf Kommando gellte ein weiterer Schrei los. Marie sah sich nach einer Waffe um. An der Garderobe hing ein silberner Schuhlöffel mit einem langen, massiven Griff. Marie packte ihn und schlich zur Küche. Ihr Atem ging stoßweise. Vorsichtig tastete sie sich heran und schob den Kopf vor. Sie spähte durch den Türspalt – und fing erleichtert an zu lachen. Finn saß, umgeben von Töpfen, Pfannen und Deckeln in allen Größen, auf dem Küchenfußboden. Er schlug voller Inbrunst mit einem Schneebesen auf einen umgedrehten Kochtopf ein. Begleitet wurde er von ihrem Vater, der mit zwei Kochlöffeln konzentriert auf einen silbernen Sektkühler und einen großen Bräter eintrommelte. Die beiden waren so in ihre Schlagzeugsession vertieft, dass sie Marie gar nicht bemerkten. Finn strahlte ihren Vater an und ließ einen weiteren Freudenschrei los. Als er Marie schließlich doch noch entdeckte, riss er die Arme hoch und gab ein begeistertes »Maie da!« von sich. Marie grinste. Ihr kleiner Stiefbruder war mit seinen zweieinhalb Jahren wirklich clever. Nur mit der Aussprache einiger Buchstaben hatte er noch Schwierigkeiten. Besonders das R fiel ihm schwer. Deswegen ließ er es meistens einfach weg. Bei Maries Namen war das noch in Ordnung. Schwieriger war es, wenn Finn seine geliebte Spielzeug-Tröte suchte. Dann rief er nämlich: »Töte! Töte! Töte!« Das erforderte in manchen Situationen eine genauere Erklärung für Außenstehende. Wie zum Beispiel in der Warteschlange letzte Woche an der Supermarktkasse.

Marie gab Finn und ihrem Vater einen Kuss auf die Wangen und grinste. »Was soll das hier eigentlich werden, wenn es fertig ist?«

Herr Grevenbroich lächelte schief. »Das ist musikalische Früherziehung.« Er räusperte sich und deutete auf den Schuhlöffel, den Marie immer noch fest in der Hand hielt.

»Und darf ich fragen, was du so vorhast?«

Marie legte den Schuhanzieher auf dem Küchentisch ab. »Ich habe gedacht, dass eine Bande von Einbrechern hier alles kurz und klein schlägt. Ich wollte gewappnet sein!«

»Das tut mir leid!« Herr Grevenbroich machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Tessa ist beim Dreh und Lina bei ihrem Vater. Ich hatte gedacht, dass Finn und ich allein sind. Ich wusste nicht, dass du heute so früh von der Schule kommst.«

»Mathe ist ausgefallen.« Marie grinste. »Schon gut. Es ist ja zum Glück nichts passiert.«

Finn hatte sich in der Zwischenzeit hochgerappelt und stapfte auf Marie zu. Geschickt wich er einem Spaghettitopf aus und kletterte mit seinen kurzen Beinen erstaunlich schnell über den Edelstahl-Bräter. Dann jedoch verfing er sich mit dem Ärmel seines Pullis an einem Pfannenstiel. Er verlor das Gleichgewicht. Bevor Herr Grevenbroich seinen Arm nach Finn ausstrecken konnte, plumpste der Junge mit dem Po voran in den großen Wok. Für eine Sekunde stand ihm der Schreck ins Gesicht geschrieben, dann aber fing er an zu lachen. Er setzte sich auf und patschte mit den Händen auf den Wokboden. »Finn baden!«, rief er und gluckste erneut los.

Herr Grevenbroich schüttelte lachend den Kopf. »Mit dir ist auch immer was los!« Er stupste Finn leicht auf die Nase.

»Aber jetzt räumen wir die Sachen erst mal auf und dann gibt es Mittagessen!«

Marie schnippte mit den Fingern. »Aufräumen, das ist das Stichwort.« Sie lief zum Küchenschrank und holte Besen und Kehrblech heraus. Ihr Vater sah sie verwundert an. »Was machst du da?«

Marie verdrehte die Augen. »Mein Parfüm ist mir vorhin in der Aufregung runtergefallen. Jetzt ist der Flakon zerbrochen. Die Scherben liegen vor der Eingangstür. Ich mach sie schnell weg.« Sie drohte ihrem Vater spielerisch mit dem Finger. »Das wäre übrigens nicht passiert, wenn du mir die Tür aufgemacht hättest! Aber euer Rockkonzert war wohl lauter als mein Klingeln.«

Ihr Vater setzte Finn in den Hochstuhl und räusperte sich.

»Prinzessin, das tut mir echt leid!« Er sah Marie für einen Moment betreten an. Dann fing er an zu grinsen. »Wie kann ich das je wiedergutmachen?«

Marie zuckte mit den Schultern. »Ist schon gut. So schlimm war es auch nicht.« Sie überlegte einen Moment, dann lächelte sie. »Obwohl, wenn ich es mir genau überlege: Ich hab einen ganz schönen Schock bekommen. Ich glaube, ich brauche jetzt dringend etwas für meine Nerven. Nämlich: Pfannkuchen!« Sie leckte sich über die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mit sehr viel Ahornsirup!«

Ihr Vater lächelte und nickte. »Deal!«

Zweieinhalb Stunden später trat Marie kräftig in die Pedale ihres Fahrrads. Das war mit einem randvollen Pfannkuchenbauch gar nicht so leicht. Aber sie musste sich wirklich beeilen, wenn sie rechtzeitig zu ihrem Treffen mit Kim und Franzi kommen wollte. Zum Glück tauchte hinter der nächsten Kurve schon das große, verschachtelte Betongebäude der Müllverbrennungsanlage auf. Den hohen Schornstein mit der bunten Bemalung hatte Marie schon die ganze Zeit während ihrer Fahrt aus der Ferne sehen können. Jetzt, aus der Nähe betrachtet, wirkte er gigantisch. Marie ließ das Rad bis zum Eingangstor ausrollen und sprang ab. Kim und Franzi warteten bei den Fahrradständern. Sie schob ihr Rad zu ihnen rüber.

»Gerade noch rechtzeitig!«, rief Kim. Sie tippte auf ihre Armbanduhr. »Punkt halb vier. Los. Beeilung!«

»Ja, ich freue mich auch, euch zu sehen«, gab Marie ungerührt zurück. Sie seufzte. Eigentlich hätten sich ihre Freundinnen doch längst daran gewöhnt haben müssen, dass sie immer auf den letzten Drücker kam. Warum war Kim denn jetzt so gereizt?

»Das hier ist ein total vielversprechender Fall«, sagte Kim. Sie wuschelte sich durch ihre kurzen dunkelbraunen Haare.

»Ich will unbedingt mehr dazu erfahren!« Sie lief los.

Franzi warf Marie einen ernsten Blick zu und raunte: »Kim muss sich von ihrem Liebeskummer ablenken.«

Marie zuckte zusammen. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht: Michi, Kims große Liebe, hatte sich vor wenigen Wochen von ihr getrennt. Es war in der Zeit davor für beide nicht leicht gewesen, nachdem Michi ein Studium in einer anderen Stadt angefangen hatte. Kim hatte öfter davon erzählt, dass ihr Freund auf einmal in einer vollkommen anderen Welt zu leben schien. Aber dass er dann tatsächlich Schluss gemacht hatte, war für sie ein absoluter Schock gewesen. Kim sprach nicht viel über ihren Trennungsschmerz. Trotzdem war es ihr anzusehen, dass es ihr überhaupt nicht gut ging. Marie ärgerte sich über sich selbst. Bloß, weil sie selbst gerade so gut gelaunt und Holger der liebste und treueste Schatz der Welt war, hatte sie den Kummer ihrer Freundin völlig verdrängt. Schnell holte sie Kim am Eingang zum Verwaltungsgebäude ein und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid, dass ich so spät gekommen bin. Aber wir sind ja noch rechtzeitig dran. Wir bekommen bestimmt gleich einen superspannenden Fall!«

»Hoffentlich!« Während Kim die Tür aufzog, sah sie Marie ernst an. »Ich brauche dringend Ablenkung, weißt du.«

»Ja, ich weiß.« Marie biss sich auf die Lippe. »Aber wir können doch auch darüber reden.« Sie fuhr sich hektisch durchs Haar. »Ich meine, das mit Michi ist, äh, war –«

»Erwähne nie wieder seinen Namen!«, platzte Kim heraus. Sie straffte die Schultern und steuerte auf den Empfangstresen zu. »Ich will nicht darüber reden. Ich will Detektivarbeit bis zum Umfallen. Und dann ist alles gut.«

»Wie du meinst«, murmelte Marie. Sie tauschte einen ratlosen Blick mit Franzi.

Kim sprach den rothaarigen Mann hinter dem Tresen an und stellte sich vor. »Wir machen eine Reportage für die Schülerzeitung über moderne Methoden der Müllverwertung und dürfen ein Interview mit dem Leiter des Müllbunkers führen.« Der Mann lächelte. »Ich weiß Bescheid, Herr Meierling wird euch gleich abholen. Ich rufe ihn an. Ihr könnt euch so lange da drüben hinsetzen.« Er deutete auf eine gemütliche Besucherecke mit grünen Ledersesseln und einem Glastischchen vor einer großen Fensterfront.

Die drei Detektivinnen setzten sich. Marie sah sich erstaunt um. »Hier ist es ja richtig schick. Das hätte ich von einer Müllverbrennungsanlage gar nicht erwartet.« Sie schnupperte in die Luft. »Und es stinkt überhaupt nicht. Es müsste doch total nach dem ganzen Abfall riechen.«

Kim nickte. Sie zog eine ausgerissene Zeitungsseite aus ihrem Rucksack und entfaltete sie auf dem Tisch. »In dem Artikel steht, dass die Anlage ganz neu ist. Sie ist erst letztes Jahr in Betrieb genommen worden. In dem Bunker, in dem der Müll gesammelt wird, herrscht Unterdruck. Dadurch können keine Gerüche nach außen dringen.«

»Aha«, murmelte Franzi wenig interessiert. Sie tippte auf den Text. »Aber das wirklich Spannende sind doch die beiden Müllsäcke mit dem zerschredderten Falschgeld, die sie hier entdeckt haben.« Franzis Augen begannen zu leuchten. »Wir müssen unbedingt mehr dazu herausfinden! Wer macht so etwas Verrücktes: Falschgeld zerschneiden und wegschmeißen?«

»Und dann noch so blöd sein und es einfach in die öffentliche Mülltonne werfen«, ergänzte Marie. »Das sieht ja fast danach aus, als ob der oder die Täter erwischt werden wollten!«

Kim zupfte an ihrer Unterlippe. »Wer weiß? Ich hoffe, wir erfahren gleich ein paar Details mehr.«

Franzi seufzte. »In dem Zeitungsbericht steht, dass die Polizei mit Hochdruck ermittelt. Ich bin gespannt, ob dieser Herr Meierling uns überhaupt etwas zu den Falschgeld-Säcken erzählen darf.«

Kim nickte langsam. »Richtig. Deshalb müssen wir sehr geschickt vorgehen. Wir dürfen nicht gleich mit den zerschredderten Blüten anfangen.« Sie zog einen roten Heftordner hervor. »Ich habe ein paar Sachen aus dem Internet über Energiegewinnung durch Müllverbrennung ausgedruckt: auch über die Lagerung und Aufbereitung des Mülls im Bunker. So können wir das Thema unauffällig ansprechen und dann …«

»Pst«, unterbrach Marie sie. »Ich glaube, er kommt!«

Kim steckte eilig das Zeitungsblatt in den Ordner zurück. Ein mittelgroßer blonder Mann in Jeans und Hemd steuerte zielstrebig auf die Sitzecke zu. Er begrüßte die drei Detektivinnen lächelnd. »Ich bin Alexander Meierling. Und ihr seid Kim, Franziska und Marie, die Reporterinnen von der Schülerzeitung, richtig?«

Kim nickte. »Vielen Dank, Herr Meierling, dass Sie so schnell Zeit für uns gefunden haben!« Sie räusperte sich. »Am meisten interessiert uns übrigens die Anlage, in der der Müll gesammelt wird.«

Herr Meierling nickte. »Dann gehen wir am besten gleich in die Steuerzentrale. Von dort hat man den besten Überblick. Kommt mit! Wir müssen mit dem Aufzug hinunterfahren.«

»Wow!«, sagte Franzi, als sie die Zentrale betraten. Der Raum sah aus wie ein riesiges Flugzeugcockpit. Überall befanden sich Monitore und Anlagen mit hunderten von Knöpfen, Reglern und Schiebern. An drei Arbeitsplätzen saßen zwei Männer und eine Frau und kontrollierten die Monitore. Sie sahen kurz auf und grüßten, widmeten sich dann aber wieder ihrer Arbeit. Drei große Fenster gaben den Blick frei auf eine riesige Halle, in der sich der Müll türmte. Zwei Greifarme bewegten sich zügig an der Decke entlang, tauchten hinab in das Müllmeer und schaufelten ihre Ladung auf lange Förderbänder.

»Ja, es ist wirklich beeindruckend«, stimmte Herr Meierling Franzi zu. Seine Augen begannen zu leuchten. »Wir verbrennen hier im Schnitt 1.150 Tonnen Restmüll pro Tag. Das sind fast 420.000 Tonnen im Jahr!« Er rieb sich die Hände.

»Mit der Energie, die dabei entsteht, können wir ein Fernwärmenetz von über 300 Kilometern betreiben. Und wir expandieren weiter.«

Marie unterdrückte ein Gähnen. Sie warf Kim und Franzi einen Blick zu. Sie sollten jetzt endlich mal auf die Säcke mit dem Falschgeld zu sprechen kommen! Aber ihre Freundinnen machten nicht den Eindruck, dass sie es mit diesem Thema eilig hatten. Kim kritzelte eifrig etwas in ihren Ordner und Franzi sah völlig fasziniert den beiden Männern zu, die von ihren Plätzen aus die Greifarme in der Halle fernsteuerten. Kim sah von ihrem Heft auf und kratzte sich an der Nase. »Ich habe mal gehört, dass Müll fast die gleiche Brennleistung wie Braunkohle hat. Stimmt das?«

Alexander Meierling nickte. »Richtig! Du bist gut informiert!« Marie verdrehte die Augen. So konnten sie hier noch fünf Stunden verbringen, ohne in ihrem Fall weiterzukommen.

»Ist das alles normaler Restmüll?«, fragte Franzi. Sie deutete zu einem der Fenster. »Das dahinten sieht aus wie ein Holzstuhl, daneben liegt ein Autoreifen!« Sie stemmte die Arme in die Seiten. »Das ist doch Sondermüll!«

Herr Meierling seufzte. »Ja, die Mülltrennung nimmt leider nicht jeder Haushalt ernst. Hier landet so einiges, was eigentlich nicht hierhergehört. Vieles wird aussortiert und dem Sondermüll zugeführt. Aber alles erwischen wir natürlich nicht.«

Kim sah von ihren Notizen auf. Sie wechselte einen Blick mit Marie und nickte unmerklich. »Da fällt mir gerade ein, dass neulich in der Zeitung stand, dass hier sogar Falschgeld gefunden wurde.«

»Das ist richtig«, sagte Alexander Meierling.

Gespannt warteten die drei Detektivinnen darauf, dass der Mann weitersprach. Aber er schwieg.

Marie wurde ungeduldig. »Ich finde das schon sehr spannend. Konnte man denn feststellen, woher es stammt?« Herr Meierling räusperte sich. »Ich bin von der Polizei gebeten worden, mit niemandem über diese Sache zu reden. Der Artikel hätte auch niemals erscheinen dürfen, wir wissen nicht, wer die Information an die Zeitung weitergegeben hat. Jedenfalls habe ich von einem sehr wütenden Kommissar einen Anruf erhalten. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren und man will nicht, dass die Täter gewarnt sind.« Kim räusperte sich. »Ich verstehe.«

Marie überlegte fieberhaft, wie sie dem Mann doch noch irgendwelche Details entlocken konnte. Plötzlich schrie Franzi auf: »Seht mal!« Sie deutete zu einem der Fenster. Ihr Gesicht war kreidebleich.

Kim, Marie und Alexander Meierling eilten zu Franzi. Beim Fenster angelangt, erkannte Marie sofort, was ihre Freundin so erschreckt hatte. Sie schluckte. Ihr Herz begann zu rasen und ihr Mund wurde ganz trocken. »Da ragt etwas aus dem Müll hervor. Ist das etwa …« Ihre Stimme versagte.

Geisterhand

Kims Augen wurden größer und größer. »Das ist ein Arm«, brachte sie mit zittriger Stimme hervor.

»Von einer Schaufensterpuppe«, ergänzte Alexander Meierling.

»Sind Sie sicher?«, fragte Marie. Sie wagte nicht mehr, auf die Stelle im Müll zu blicken, aus der ein bleicher Arm herausragte.