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Mit Onno durch Ostfriesland

Die ultimative Entdeckungstour

Wolfgang M. Epple

Copyright: © 2012 Wolfgang M. Epple

Umschlag: Bild + Gestaltung  © 2012 Wolfgang M. Epple

Published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-3154-0

Mit Onno durch Ostfriesland

Die Ultimative Entdeckungstour

 

 

Für Richatt

Mit Onno durch Leer

 

Eigentlich hatte ich allein fahren wollen. Ganz allein wollte ich drauflos radeln, ohne Aufhebens, ganz für mich allein sein wollte ich am Hafen und von der Seefahrt träumen, aber dann hat Onno das mitgekriegt und gesagt: „Halt! Warte, ich komme mit, und ich werd dir mal meine Stadt erklären, so gut ich kann.“

Weil Onno ein wichtiger Mann in Leer ist und weil er mir beim Umzug nach Leer geholfen hat und weil er ein netter Kerl ist und weil ich im Allgemeinen keinen gerne vor den Kopf stoße, der es gut mit mir meint, deshalb sagte ich: „Ja, prima, ich freu mich.“

Und so sind wir denn losgeradelt - er vorweg mit seinem Bart und ich mit meiner Glatze hinterdrein. Wir radelten den Moorweg entlang, an seinem Haus vorbei. Seine Frau stand im Garten und rief: „Bohnensuppe!“

Es war Mai, und nach den ergiebigen Regengüssen der vergangen Tage explodierte die Natur geradezu, die Kastanien hatten ihre weißen Kerzen aufgesteckt, die Rasenflächen in den Vorgärten, standen in vollem Saft - überall war das Brummen der Mäher zu hören. Ich hatte Schwierigkeiten, die Erläuterungen meines Vordermannes zu verstehen.

„Parallelweg“, rief Onno. „Wir biegen links ab.“

Er bog armrudernd links ab, ich folgte - rechts vor links - und, nach ein, zweihundert Metern Hoppelei über aufgeplatzten Asphalt, standen wir im Logaerweg vor der geschlossenen Bahnschranke.

„Die Strecke nach Emden“, sagte Onno. „Letztes Jahr hat sich hier einer vor den Zug geworfen.“

„Ja“, sagte ich, „ich hab das Kreuz gesehn und die Blumen und die Teddys und den ganzen Kram - schlimme Sache, der Bengel war erst dreizehn.“

In das Getöse des vorbeirauschenden Interregio nach Norddeich Mole hinein rief Onno, das sei der Interregio nach Norddeich Mole, und man erwäge, ihn nächstes Jahr zu streichen.

Die Schranke ging hoch, wir stiegen auf, und mit rundem Tritt ging’s nach links ab, an einer Pferdeweide vorbei. Die Pferde standen herum und ließen die Köpfe hängen.

„Pferde“, sagte Onno.

„Schön“, sagte ich.

„Und das da drüben ist der Wasserturm“, sagte Onno, als wieder Häuser auftauchten. „Nur der Rathausturm ist höher.“

Der Wasserturm ragte schwärzlich und kantig auf zwischen den Häusern jenseits der Gleise. Ein Zug kam vom Bahnhof her, eine Weiche lenkte ihn auf die Strecke nach Oldenburg.

„Siehst du die Drähte da oben“, sagte Onno und zeigte mit dem Finger. „Na, wäre das nicht für dich, mit deinen grafischen Augen?“

„Toll“, sagte ich, „allerdings wär das was … Wenn ich bloß die Zeit dafür hätte…“

„Rechts vor links“, rief Onno, kurz bevor die Annenstraße kopfsteingepflastert in die Große Roßbergstraße einmündete. Aber vorher war noch Thomas Philipps. Da müsste ich unbedingt mal hin, sagte Onno, weil er weiß, dass ich ein Faible für billige Unterhosen und Socken hab und einen guten Tropfen für unter zwo Euro zu schätzen weiß. „Und wenn du mal Lorbeerblätter brauchst oder Honig oder ’nen Sack Muskatnüsse“, sagte Onno mit flatterndem Bart, „dann geh zu Manfred Falk, der wiegt die sämtliche Gewürze der Welt ab. Spottbillig.“

Thomas Philipps und der Gewürzkrämer lagen um einen riesigen Fabrikhof und sahen ganz klein aus, weil da noch andere Gebäude standen, die viel größer waren.

Nachdem die Annenstraße rechts vor links eingemündet war, erreichten wir Autohaus Groenewold, und Onno erklärte, das sei der beste Autohändler Deutschlands, die hätten ihn dazu gewählt, aber einen Renault würde er sich trotzdem nicht kaufen.

„Und jetzt“, sagte Onno an der Bremer Straße, „jetzt geht’s rechts in die Stadt hinein, und bald kommt die Fußgängerzone.“

„Der Hafen?“ fragte ich, „wo ist der Hafen?“

„Später“, sagte Onno. „Noch nicht. Erst zeig ich dir die Innenstadt.“

Dann müssten wir absteigen, denn wir waren in der Fußgängerzone, der längsten Ostfrieslands, glaube er, sagte Onno.

„Ganz schön voll in Leer“, wollte ich sagen, da sagte Onno, „da ist Deichmann und billige Schuhe. Und da ist Rossmann und billige Fotos. Und da oben wohnt Doktor Fuchs“, der habe ihm letzten Herbst Einlagen verpasst, wir kämen nachher am Sanitätshaus vorbei, und wenn ich mal Einlagen brauchte, dann sollt ich ruhig da hingehen, die Frauen seien ganz nett und aus Holland.

Wir schoben so weiter, mit uns ein Haufen Leute, die meisten ein Eis vor dem Mund oder ein Kind an der Hand oder ’nen Hund an der Leine.

„Jetzt kommen sie raus aus ihren Löchern“, sagte Onno und grüßte, mal nach links, mal nach rechts. Dann wurde die Fußgängerzone breiter, und da stand ein Kriegsdenkmal auf einem Platz; drum herum hatten sie Sand aufgeschüttet, weiß und dick und mit Plastikmatten eingegrenzt.

„Beachvolleyball“, sagte Onno. „Mitten auf dem Denkmalplatz.“

„Tun die hier auch boßeln?“ fragte ich.

„Nee“, sagte Onno, „boßeln tun die nur draußen, auf den Dörfern. Im Herbst nehm ich euch mal mit.“

„Fein“, sagte ich, und dann hörte der Platz auf, und wir schoben weiter durch die Fußgängerzone. Manche radelten, obwohl ’s verboten ist.

„Leer“, sagte Onno, „ist zur radfahrerfreundlichsten Stadt Niedersachsens gekürt worden, neulich.“

„Das glaub ich“, sagte ich, „das glaub ich gern. Überall sind Fahrradwege - nie zuvor bin ich so toll Rad gefahren. Und überall geht’s raus der Stadt. Gestern Abend war ich bei der Pünte.“

„Haste dich übersetzen lassen“, sagte Onno. „Dann musste laut rufen: Fährmann, hol über“.

„Hab ich nicht“, sagte ich, „aber ich hab gehört, die Pünte wär die älteste handbetriebene Fähre Nordeuropas.“

„Erinnerst du dich“, fragte Onno, „ich hatte da mal mein Boot liegen. In Wiltshausen.“

„Ach da war das - ja, jetzt erinnere ich mich. Feine Sache so ’n eigener Kahn.“

„Früher“, sagte Onno, „ging hier der gesamte Autoverkehr durch die Fußgängerzone, und ganz früher hat das hier ausgesehen wie im Schweinestall. Stell dir vor, all der Dreck auf dem Pflaster und dazu die Pferdefuhrwerke und das Geschrei der Marktleute und all die Gerüche. Die haben mit Gewürzen gehandelt. Leer, musst du wissen, war mal eine bedeutende Handelsstadt.“ Er zeigte mit dem Finger nach oben. Schöne alte Giebel. Manche getreppt, viele mit weißen Rankenmustern verziert.

„Na, woran erinnert dich das?“ fragte Onno und blieb stehen. - „Na?“

„Holland“, sagte ich. „Niederlande?“

„Na“, sagte Onno. „Und ob.“

„Das Leeraner Platt soll dem Groninger Platt sehr ähnlich sein“, sagte ich und steckte mir eine Zigarette an.

„Ich spreche kein Platt“, sagte Onno. „Zu Hause haben wir überhaupt kein Platt gesprochen.“

„Schade“, sagte ich.

„Nee“, sagte Onno. „So“, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Jetzt kommt gleich die Brunnenstraße.“

„Was ist denn das?“ fragte ich und lenkte an die Seite, zu einer mächtigen Bronzegestalt.

„Das ist nur das Büntingmädchen“, sagte Onno und zog die Stirn in Falten. „Scheußlich.“

„Na ja“, sagte ich. „Vielleicht ein wenig stabil - aber die Haltung. Und wie sie die Tasse trägt…“

„Böke“, sagte Onno. „Nicht jedermanns Sache. Meine jedenfalls nicht. Ich steh nicht so aufs Germanische, weißte, aber komm nur weiter, hier ist der wirklich alte Stadtteil.“

„Wirklich“, sagte ich, den Kopf im Nacken, „herrliche Häuser. Und das meiste aus Klinker - 1786 - 1656.“

Und dann verriet Onno mir, weshalb die Brunnenstraße Brunnenstraße heißt und dass da früher Brunnen gestanden hätten und der Name der Straße viel schöner geklungen habe, nämlich „Tüschen beide Pütten“. Onno zeigte mir das Sanitätshaus und legte mir noch mal nahe, dort meine Einlagen anmessen zu lassen, die Frauen da drinnen würden den Fuß irgendwie einscannen. Ich versprach ’s ihm.

„Und das hier“, sagte Onno, als die Brunnenstraße aufhörte vor einem Haus mit Büchergondeln vorm Schaufenster und Büchern hintern Schaufenster. „Das ist das Taraxacum.“

„Löwenzahn“, sagte ich.

„Richtig“, sagte Onno, „dort, überm Eingang hängt er. Buchladen, Weinlokal, Treffpunkt für Kulturverbraucher. Ich kenn paar Leute, die haben da schon gelesen. Reemtsma war da und Härtling und verschiedene Krimiautoren. Im Herbst nehm ich euch mal mit, die spielen da auch Saxophon. Haste Lust auf ’nen Kaffee? Ich kenne den Koch.“

„Nein, danke“, sagte ich. „Lass uns zum Hafen gehen.“

„Du mit deinem Hafen“, lachte Onno und lenkte weiter, in die Rathausstraße, die früher Pepperstraat geheißen habe; und ihm sei so, als müsste da vorn gleich der Bernhardiner vom alten Wolff aufkreuzen.

Der Bernhardiner kreuzte nicht auf, auch kein alter Wolff, stattdessen eine Weinhandlung von Anno Tobak  und ein Kunstgewerbeladen mit bemalten Dachziegel im Schaufenster (Küstenmotive) und gebrandmalerten Stullenbrettchen (Küstenmotive). Dann zeigte Onno nach rechts und sagte, es wär eine Schande, die hätten ein Schild abmontiert mit Wilhelmine Siefkes, eine Schande wär das. Und SPD. Und Bürgermeister. Und das Geburtshaus von Wilhelmine Siefkes sei damals das Brauhaus „Goldene Kuh“ gewesen.

„Wer ist Wilhelmine Siefkes?“ fragte ich.

„Lass gut sein“, sagte Onno.

Dann eine Galerie mit Aquarellen.

„Frag mal“, sagte Onno, „vielleicht kannste bei denen mal ausstellen.“

„Mach ich“, sagte ich. „Muss mich nur erst eingewöhnen.“

„Und das“, sagte Onno, „ist das Rathaus.“

„Ui“, sagte ich und sah schon Wasser blinken. „Mächtig alter Schuppen, wie? Und der soll höher sein als der Wasserturm?“

„Allerdings“, sagte Onno. „Nur die Müllkippe in Wirsinghausen ist höher und eine Düne auf Juist.“

Ins losschlagende Glockenspiel hinein rief Onno, das Rathaus wär gar nicht so alt, wie ich glaube, nur knapp über hundert, richtig alt sei die Waage da drüben, aber die wär jetzt ein Restaurant.

„Schade, ich vertrag keinen Fisch“, sagte ich.

„Komm“, sagte Onno, „wir gehen hinten rum.“

Ich las „Neue Straße“, und wir stiegen in die Sättel. Rechts kam ein Segelmacher, links eine Schlachterei mit Snirtjebraten im Sonderangebot, und dann weiße Häuser, und dann kam eine grüne Lücke, ganz schattig und dunkel - ein kleiner Garten mit einer knotigen Buche in der Mitte und mehreren Kastanien, die wie wahnsinnig blühten. Und in der Ecke vom Garten, dicht an der Straße: ein Weib, eine Riesenschwester des Büntingmädchens, - ich sah’s gleich an ihrem hehren Blick.

„Donnerwetter“, sagte ich. „Alle Achtung.“

„Nicht wahr“, sagte Onno, „da kann einem angst und bange werden.“

Wir stellten die Räder hin, und ich ging rüber. Onno blieb stehen und zauste den Bart. Die Dame trug weder eine Teetasse, noch hatte sie Kleider an. Sie war von niederschmetternder Nacktheit. Sie überragte mich um gut drei Haupteslängen, trug das Haar im Nacken geknotet. Ihr Hinterteil war so breit wie das einer ostfriesischen Milchkuh, ihre Schenkel wie Säulen, und trotzdem hing kein überflüssiges Pfund Fett an falscher Stelle herunter. Die Brüste waren prallvoll und wohlgestaltet, die Schultern aber doppelt so breit wie meine. Sie stand wie im Gehen erstarrt und peilte Richtung Handelshafen.

„Genug für zwei Mann“, grinste Onno. „Mindestens. - Schade um das Metall.“

Es ging dann leicht bergab, der Wasserkante zu. Hier begann die Uferpromenade, flankiert von diversen bejahrten Wasserfahrzeugen. „Endlich am Wasser“, sagte ich und steckte mir eine an. „Ich rieche das Meer.“

„Das ist die Kiste Emden“, sagte Onno und wies auf die Kiste Emden, einen roten Kasten, halb Hausboot, halb Schaufelraddampfer. „Die Kiste Emden diente…“

„Entschuldige mal“, sagte ich, „was ist denn das da vorne?“

„Ach Gott“, sagte Onno und lächelte schief. „Das ist doch das Meerwiefke. Armes Ding. Saß früher woanders, auf so ’nem unbequemen Holzkasten im Wasser. Hoffentlich schmieren die Kids sie nicht wieder voll Farbe. Armes Ding.“

„Niedlich“, sagte ich. „Ganz was anderes als die Dickmadam da hinten. Und wie er das mit dem Fischschwanz gelöst hat, find ich pfiffig.“

„Rücksichtsvoll“, sagte Onno, und kniff ein Auge zu. „Vor allen Dingen rücksichtsvoll.“

Das Meerwiefke war ganz Weib, trotz seiner rührenden Magerkeit; - vor allem besaß es ordentliche Beinchen, nur die Füßchen waren ersetzt durch gegabelte Fischflossen.

„Sieht sie nicht aus, als wollte sie was sagen“, sagte Onno und legte die Hand auf ihren Scheitel.

„Hat man sie schon mal entführt?“ fragte ich.

„Keine Ahnung“, sagte Onno. „Schlimm genug, dass sie sie vollsudeln, - aber nun lass uns weitergehn.“

Auf den Bänken dicht am Wasser saßen Männer, die russisch durcheinander schwatzten und Bier schluckten.

„Das ist also der Museumshafen“, sagte Onno, einem Skipper zuwinkend. Der Skipper trug einen Elbsegler auf dem Kopf, hatte eine Piep im Gesicht und werkelte mit Pinsel und Eimer auf einem schwarzen Kahn mit langem Mast herum. Onno sagte was von Tjalken und Ewern und Schuten und original roten Segeln, die sie damals in Wurstkesseln gefärbt hätten, und immer wieder fiel das Wort Holland und Kanalfahrt (daher das Seitenschwert, weil ein Kiel unten auf dem Grund anschrammen würde), und ob ich wüsste, woher der Ausdruck Steuerbord komme?

„Auf einem der Schiffe“, sagte Onno und tat, als habe er ein Fernglas vor Augen, „auf einem dieser Pötte wohnt ’ne Ente, ein Erpel, der passt auf, ob kein Fremder kommt. Dann schlägt er Alarm. Wie die Gänse auf dem Kapitol.“

„Menschenskind“, rief ich, „was’n das für’n Luxusliner - Warsteiner Admiral - damit nach Helgoland … Wir haben nämlich bald Hochzeitstag.“

„Helgoland“, sagte Onno. „Das ich nicht lache! Weiter als bis Emden darf der nicht, und gegen den Tidestrom kommt er schon gar nicht an aus eigener Kraft.“ Das sei ein Flussschiff für Nordrhein-Westfalen, sagte er noch, und - wie der Name schon verrate - zum Tanzen und Saufen da und zu weiter nichts.

„Trotzdem“, sagte ich.

„Gallimarkt“, sagte Onno und gähnte. „Im Oktober ist Gallimarkt.“ Ein Wahnsinn sei das und einmalig, weil der Gallimarkt nicht auf grüner Wiese irgendwo außerhalb abgehalten werde, sondern inmitten der Häuser; in jeder Gasse, in jedem Winkel sei Gallimarkt, da wäre kein Durchkommen, und an jeder Ecke was los. Und der braune Knappkuchen. Und ob auch ich manchmal nach Dosen werfe?

„Ich weiß nicht“, sagte ich, „ich hab immer ein bisschen Angst vor dem Rummel.“

„Quatsch“, sagte Onno. „Einmal im Jahr kannste ruhig auf den Putz hauen.“ Und er sagte, da gäbe es uralte Fahrgeschäfte und traditionelle Familienbetriebe, die Bonbons machen, leckere Bonbons und Lutscher, und letztes Jahr hätte er ein Pikachu gewonnen, so groß wie seine zehnjährige Tochter. „Ich nehm dich mal mit“, sagte er, „wirst schon sehen.“

„Willste noch über die Brücke, oder sollen wir gleich runter?“ fragte Onno, als wir fertig waren mit den Plattbodenschiffen und den Seitenschwertern.

„Schade“, sagte er, als wir über die Brücke schoben, die zum Hochklappen ist und nach dem Bürgermeister-vom-Bruch benannt wurde. „Schade“, sagte er und blickte auf die Uhr. „Bis vor kurzem lagen da noch die Weiße Düne und die Anny von Hamburg. Kennst du die Anny von Hamburg?“

„Nee“, sagte ich. „Warst du schon mal auf der Sedov?“

„Nein“, sagte Onno. Die Anny von Hamburg  ist ein Dreimastschoner und wurde 1914 gebaut. Schade.“

„Ja, schade“, sagte ich. „So ’n Schiff bleibt nicht lange im Hafen liegen…bald weht wieder der Blaue Peter und dann geht’s hinaus aufs weite Meer.“

„Wie bitte?“ fragte Onno.

Wir standen unter einer Gruppe Kastanien, und ich verstand ihn kaum bei dem Lärm, den die Krähen in den Nestern über unseren Köpfen veranstalteten. Wir gingen noch ein Endchen am Wasser entlang. Vor der Emsstrom blieb Onno stehen, weil da einer auf dem Fallreep erschien, den er kannte. Onno fragte den Mann, ob er wisse, auf welchem Schiff der alte Erpel Wache schiebe, da sagte der Mann: „Ich glaub, die ist tot.“

„Wohin geht denn die Reise?“ fragte ich den Mann und freute mich im Nachhinein, nicht „Hummel Hummel“ gerufen zu haben. „Große Fahrt?“

„Wat?“ fragte der Mann und fing an zu lachen. Onno auch. Dann haben sie mir abwechselnd erklärt, dieser Eimer hier liege an der Kette (oder so ähnlich) und sei ein Trainingsschiff gegen Seeräuber und so weiter, und alles, was hier herumschwabbelte, gehe überhaupt schon gar nicht auf große Fahrt.

Ich solle ihn nächstes Mal vorher fragen, bevor ich mich blamiere, sagte Onno später, als wir die Treppe hinabstiegen zu der anderen Seite der Uferpromenade. Wir hatten uns ein Eis aus dem Kiosk geholt, Onno schwitzte ganz schön; und er müsse dringend was für seine Kondition tun, so gehe das nicht weiter.

„Ja“, sagte ich, „und was ist das da für ‘n Schneewittchensarg?“

MS Koralle