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Hayao Kawai

 

Die Frauen um Prinz Genji

 

Eine japanische Geschichte
voller Weisheit

 

 

DAIMON

VERLAG

 

Titel des Originals: Murasaki-Mandala

Aus dem Japanischen übertragen von Irene Büchli

 

ISBN 978-3-85630-971-8

 

Copyright © 2020, 2003 Daimon Verlag

 

Umschlagbild: Murasaki Shikibu, gemalt von Tosa Mitsuoki

Mitte 17. Jh. aus dem Ishiyamadera Tempel, Shiga Praefektur

Bild mit Genehmigung des Tempels

 

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Inhalt

Vorwort

Kapitel I: Das Lesen der Genji-Geschichte

1. Der schillernde Hikaru Genji

2. Die Frau, die eine Geschichte erzählt

3. Die Genji-Geschichte und die Gegenwart

Kapitel II: Geschichten von Frauen

1. Die Zeit des Matriarchats

2. Vom Matriarchat zum Patriarchat

3. Mann und Frau und das Ich der heutigen Zeit

4. Die heutige Frau und ihre Geschichte

Kapitel III: Die Frauenschar als das andere Ich

1. Das Leben von Murasaki Shikibu

2. Die Mutter

3. Die Ehefrau

4. Die Geliebte

Kapitel IV: Der abnehmende Glanz

1. Hikaru Genji als Individuum

2. Die Tochter

3. Der Ehebruch

4. Die Dynamik des Mandala

Kapitel V: Die Frau als Individuum

1. Die neue Beziehung von Mann und Frau

2. Ein Ort namens Uji

3. Passiv bis zum Tode

4. Als ein Individuum leben

Bibliographie

Verzeichnis der Skizzen

Über den Autor

 

Vorwort

Zuerst möchte ich erklären, was mich bewogen hat, über die Genji-Geschichte ein Buch zu verfassen, obwohl ich weder ein Japanologe noch ein Fachmann der japanischen Geschichte bin.

Zwar muss ich beschämenderweise gestehen, dass ich in der Tat die Genji-Geschichte lange Zeit nicht lesen konnte. In der Jugend versuchte ich, sie zu lesen, wie das viele andere Japaner tun, aber ich hörte jedes Mal in der Mitte auf. Damals betrachtete ich die romantische Liebe, die in westlichen Romanen beschrieben wird als Ideal und hatte große Mühe, die vielen Liebesabenteuer von Genji zu verstehen.

Meine erste Einstellung war, dass die Genji-Geschichte das allerletzte Buch wäre, das ich je lesen würde. Aber im Laufe meiner Forschungen über die japanische Kultur begann ich mich mit den Hofgeschichten aus der Heian-Zeit zu befassen. Das führte mich unweigerlich zur Genji-Geschichte, die unbestritten die bekannteste Hofgeschichte in Japan ist. Als ich 1995 einen Forschungsaufenthalt an der Princeton Universität machte, fand ich endlich Zeit, das große Werk der Genji-Geschichte zu lesen und zum Gegenstand einer Studie zu machen.

Zuvor hatte ich mich mit verschiedenen alten Hofgeschichten auseinandergesetzt und gab 1991 ein Buch über die Torikaebaya-Geschichte heraus. Diese wurde im 12. Jh. geschrieben und hat den Rollentausch von Mann und Frau zum Thema. Die Genji-Geschichte begann mich aber nun immer mehr zu interessieren. Sie wirkte auf mich teilweise wie eine moderne Novelle. Ich war sehr erstaunt, wie Murasaki Shikibu als Frau im frühen Mittelalter ein solch hervorragendes Werk schreiben konnte. Es fiel mir mit der Zeit beim Weiterlesen auf, dass Genji in dieser Erzählung eher eine schwache Figur darstellt. Ich begann zu verstehen, dass in der Genji-Geschichte die Verfasserin ihre eigene Geschichte niedergeschrieben hat.

Als ich am Schluss die 10 Uji-Geschichten las, wurde ich in meiner Auffassung bestärkt. Vor mehr als 1000 Jahren lebte da eine Frau, die als Dichterin alles einsetzte, um eine eigenständige Person zu werden. Das erfüllte mich mit solch tiefer Ergriffenheit, dass ich am Ende der Geschichte den Schlaf lange nicht finden konnte.

Mein Fachgebiet ist die Psychotherapie. Beruflich habe ich direkt mit der Frage zu tun, wie jeder sein eigenes Leben gestalten soll. Dabei ist es für mich eine große Aufgabe, mich zu fragen, wie wir uns im heutigen Japan weiterentwickeln können. Die Wissenschaft und Technologie des Westens beeinflussen unser Leben, ob wir wollen oder nicht. Sie sind so stark, dass sie in kurzer Zeitspanne die ganze Welt unter ihre Füße gebracht haben. Aber ich realisiere immer mehr, dass mein Leben unbemerkt von der japanischen Kultur geprägt ist.

Eine Zeitlang dachte ich, dass wir uns bemühen müssten, uns die westliche Zivilisation anzueignen. Doch mit der Zeit gewann ich die Einsicht, dass wir uns bemühen müssten, über die Neuzeit hinaus zu denken. Ich dachte, dass die Weisheit unserer Vorfahrer uns dabei weiterhelfen könnte. Zum Glück gibt es in Japan viele wertvolle Schriftwerke aus der früheren Zeit, die diese Hoffnung erfüllen. Als ich in der Schweiz über die Torikaebaya-Geschichte einen Vortrag machte, meinte ein Zuhörer, das sei ja eine postmoderne Geschichte. Eine Geschichte aus einer vorhergehenden Zeit besitzt Weisheiten für eine Zeit, die nachher kommt.

Ich bin voller Dankbarkeit, dass es dieses Werk wie die Genji-Geschichte gibt. Als ich sie als die Geschichte der Individuation einer Frau namens Murasaki Shikibu verstehen lernte, dachte ich, dass sie den Menschen der heutigen Zeit sehr nützlich sein kann. Ich merkte, dass die Struktur dieser Geschichte das Ergebnis einer Suche nach der Welt der Frau darstellt. Das hat mich wirklich sehr beeindruckt.

Man kann es auch als eine Weltanschauung der Frau bezeichnen. Das Denken der Neuzeit ist vor allem von der Weltanschauung des Mannes geprägt. Deshalb beruhte die Wissenschaft bis jetzt auf dem männlichen Aspekt, dem sich sowohl Mann als Frau unterzuordnen haben. Auch die Genji-Geschichte wurde bis jetzt vor allem mit den Augen des Mannes betrachtet und erklärt. Aber in diesem Buch versuchte ich, die Genji-Geschichte vor allem mit den Augen der Frau zu deuten. Ich bin mir bewusst, dass das eine neue Art ist, dieses Werk zu interpretieren. Für die japanische Fassung wählte ich den Untertitel „Die Konstellation der Genji-Geschichte“. Die Konstellation zu beachten ist ein weiblicher Aspekt. Der männliche Aspekt hingegen teilt alles auf und erklärt die Struktur. Mit den Augen der Frau kann man die Komposition im Gesamten betrachten.

Ich weiß, dass es auch im Westen Wissenschaftler gib, die sich bemühen, die Welt nicht nur mit den Augen des Mannes, sondern auch mit den Augen der Frau zu sehen. In diesem Buch will ich Analytikerinnen aus Amerika zu Wort kommen lassen, die sich mit der Situation der heutigen Frau befassen. Ihre Erkenntnisse bestärkten mich sehr in meinem Vorhaben, die Genji-Geschichte mit den Augen der Frau zu sehen.

Mit verschiedenen Fachleuten wie Aileen Gatten und Setouchi Jakuchô, Masako Mitamura, Fusae Kawazoe, und Kenji Matsui führte ich wichtige Gespräche über die Genji-Geschichte und sie ermutigten mich, meine Sichtweise in einem Buch zu veröffentlichen. Dafür möchte ich ihnen hier herzlich danken. Einige von diesen Interviews wurden bereits in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht.

Nach meinem Forschungsaufenthalt an der Princeton Universität wurde ich im Mai 1995 zum Direktor des Internationalen Forschungsinstituts für japanische Kultur gewählt. Dieses Buch über die Genji-Geschichte ist nun das Ergebnis meiner Forschung, die ich an diesem Institut weiterführte. Da in der Tiefenpsychologie der kulturelle Aspekt eine wichtige Rolle spielt, kann dieses Buch über das wohl bedeutendste Werk der japanischen Literatur ein sinnvoller Beitrag sein sowohl für das Verständnis der japanischen Kultur, als auch für die heutigen japanischen Menschen.

 

Hayao Kawai

Kyoto, im April 2000