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Autor | Der Ökonom und Hochschullehrer Professor Dr. Horst Siebert (*1938, † 2009) war von 1989 bis 2003 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und 2007 Hayek-Preisträger.

Buch und Reihe | Dieses Buch ist im Jahr 1997 im Verlag Lucius und Lucius in der utb-Reihe erschienen. Es handelt sich bei diesem Buch um den unveränderten Nachdruck eines herausragenden Werks der deutschen Lehrbuchliteratur, das nun in der Reihe Klassiker der Hochschullehre in der UVK Verlagsgesellschaft mbH erscheint. Weitere Klassiker finden Sie unter www.uvk.de/klassiker.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

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© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017

Lektorat: Wirtschaftswissenschaftliches Lektorat, München

Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz

Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98

www.uvk.de

ISBN 978-3-73980-337-1

Vorwort

Gegenstand dieses Lehrbuches ist die Weltwirtschaft. Es geht um globale wirtschaftliche Prozesse und globale wirtschaftliche Strukturen. Wie vollziehen sich Wachstums- und Entwicklungsprozesse in der Weltwirtschaft? Wie bestimmen sich Standorte für wirtschaftliche Aktivitäten, wie funktionieren die Faktormärkte der Erde? Welche Implikationen hat die internationale Arbeitsteilung für die Realeinkommen der Arbeitnehmer und für die Beschäftigung? Welche Rolle spielen die Geld- und Devisenmärkte? Welche Erfahrungen über wirtschaftliche Entwicklung haben die Entwicklungs- und Schwellenländer in den verschiedenen Regionen der Erde gemacht? Wie werden die Transformationsländer in die internationale Arbeitsteilung integriert? Führen regionale Integrationen wie die Europäische Union oder die Nordamerikanische Freihandelszone letztendlich zu einer multilateralen Ordnung? Dies sind nur einige der Fragen dieses Buches.

Den globalen Problemen entsprechend geht es auch um eine globale Analyse, so als ob man die Erde von einem Raumschiff aus betrachten würde. Eine weltwirtschaftliche, globale Sicht dieser Fragestellungen wird zunehmend selbstverständlicher. In einer Zeit, in der das Kommunikationssystem global organisiert ist, in der man im Internet von Flensburg nach Montevideo kommunizieren und von Kiel nach Hangzhou riesige Datenmengen austauschen kann, in der CNN weltweit Nachrichten ausstrahlt, in der Transportkosten eine immer geringere Bedeutung haben und in der immer mehr Menschen sich daran gewöhnen, in allen Weltteilen ihren Arbeitsplatz zu finden, ist eine solche weltwirtschaftliche Sicht der ökonomischen Prozesse und Strukturen unerläßlich.

In diesem Lehrbuch wird ein Paradigma zugrunde gelegt, in dem die Welt als Ganzes betrachtet wird. Bei allen ökonomischen Problemstellungen wird deshalb zunächst einmal die Welt als Einheit interpretiert. Das gilt für die Makro- wie auch die Mikroökonomie. Makroökonomische Aspekte beziehen sich analog zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf die weltwirtschaftlichen Aggregate wie Weltinlandsprodukt und auf die Hauptkomponenten der Gesamtnachfrage, auf makroökonomische Erklärungsansätze für die weltwirtschaftlichen Prozesse, für konjunkturelle Bewegungen oder für wirtschaftliches Wachstum. Eher mikroökonomische Aspekte haben mit den Weltmärkten für Güter und Anpassungen an Störungen von Gleichgewichten auf den Gütermärkten zu tun. Zum Bereich der Mikroökonomie zählen auch die Weltmärkte für Produktionsfaktoren, etwa der Weltkapitalmarkt. Bei einer differenzierenden Betrachtung können auch verschiedene Regionen der Welt eine Rolle spielen, so die Triade mit Nordamerika, Europa und Asien oder unterschiedliche Typen von Volkswirtschaften wie die Schwellen- und Transformationsländer. Eine zentrale Frage ist schließlich, welche Ordnung sich für die Weltwirtschaft herausbildet.

Dieses Lehrbuch ist aus meiner Kieler Vorlesung „Außenhandelspolitik und weltwirtschaftliche Entwicklungstendenzen“ entstanden, in der mir die weltwirtschaftliche Perspektive immer deutlicher geworden ist. Entscheidend geprägt ist die Themenstellung aber auch von der Forschungstätigkeit am Institut für Weltwirtschaft und von der permanenten Diskussion mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Instituts. Allerdings kann ein Lehrbuch, das die Grundzüge vermitteln will und sich zur Aufgabe stellt, bei Studentinnen und Studenten das Interesse für ein wichtiges Thema zu erwecken, nicht ein Kompendium der Forschung sein.

Sicherlich ist dieses Lehrbuch auch dadurch angeregt worden, daß ich mich am Institut für Weltwirtschaft immer wieder mit den Ideen zahlreicher internationaler Besucher auseinandersetzen muß, daß das Institut gefordert ist, auch international Lösungsvorschläge für weltwirtschaftliche Fragen zu unterbreiten und daß ich in den letzten Jahren die Kieler Ideen auch in anderen Ländern vorzustellen hatte, so auf internationalen Tagungen, in Vorlesungen an der Zhejiang Universität in Hangzhou, China, oder in Lateinamerika, etwa einer Diskussion des Instituto Universitario Banco Patricio in Buenos Aires, in Gesprächen der Fundación Mediterránea an der Universität Cordoba oder auf einer Veranstaltung der Deutsch-Mexikanischen Handelskammer. Die eine oder andere Textpassage ist – unter Verzicht auf touristische Aktivitäten – auch an verschiedenen Stellen der Erde zu Papier gebracht worden.

Dieses Buch „Weltwirtschaft“ ist ein Komplementärprodukt zu meiner „Außenwirtschaft“. In der Außenwirtschaft werden die wirtschaftlichen Aspekte einer offenen Volkswirtschaft behandelt. Die zentrale Fragestellung lautet dort, wie die Öffnung einer Volkswirtschaft das wirtschaftliche Geschehen eines Landes beeinflußt – in der realwirtschaftlichen Theorie von der Allokation her, in der monetären Theorie in bezug auf gesamtwirtschaftliche Variable wie Wechselkurs, Zahlungsbilanzsaldo, Preisniveau, Volkseinkommen und Beschäftigung. Dagegen verfolgt das vorliegende Buch eine weltwirtschaftliche, eine globale Perspektive. Eine weitere Produktdifferenzierung kommt dadurch zustande, daß die „Außenwirtschaft“ stärker auf die Theorie zugeschnitten ist. Dagegen habe ich mich in der „Weltwirtschaft“ bemüht, die Grundgedanken verbal und graphisch darzustellen, dabei auf formale Stringenz zu verzichten und empirischen Verdeutlichungen eine größere Rolle einzuräumen.

Vielen schulde ich Dank für zahlreiche Anregungen. Allzu oft ist ein Wissenschaftler nur der Resonanzboden, der Impulse aufnimmt und verstärkt. Häufig ist der einzelne auch darauf angewiesen, daß die Atmosphäre um ihn herum stimmt und ihn anregt. Konkret danken möchte ich insbesondere den Forscherinnen und Forschern des Instituts für Weltwirtschaft, mit denen ich in den letzten Jahren ständig über Fragen der internationalen Arbeitsteilung diskutiert habe. Meine Doktoranden haben mich gezwungen, mich immer wieder mit neuen Ideen auseinanderzusetzen. Auch den Kollegen der Kieler Fakultät bin ich zu Dank verpflichtet, ebenso wie den Fakultäten in Konstanz und Mannheim, wo mein Interesse für internationale Wirtschaftsbeziehungen in der Lehre gewachsen ist. Meinen Kollegen und dem Stab des Sachverständigenrats, einem äußerst befruchtenden Seminar der angewandten Wirtschaftswissenschaft mit der leidigen Aufgabe, zum Schluß der wissenschaftlichen Debatte mehrheitsfähige Texte (bitte ohne Ecken und Kanten) formulieren zu müssen, verdanke ich ebenfalls viele Anregungen. Nicht zu vergessen ist die Notwendigkeit, die Studentinnen und Studenten meiner Vorlesung in Kiel überzeugen zu müssen; auch die Evaluierung durch die Studenten war für mich ein Ansporn, eher Faszinierendes als Langweiliges für die Vorlesung aufzubieten.

Herr cand. rer. pol. Harm Carstens, Frau cand. rer. pol. Stefanie Schmid und Herr stud. rer. pol. Stijn Van Nieuwerburgh – ein Erasmus-Student aus Gent – sowie in einem früheren Stadium einiger Teile des Manuskripts Herr Diplom-Volkswirt Jan Krancke – haben Tabellen sowie Schaubilder vorbereitet und viele Anregungen zum Text gegeben und das gesamte Manuskript kritisch gelesen. Meine Lehrstuhlassistenten, die Herren Diplom-Volkswirt Holger Brauer und Dr. Jens Oliver Lorz, sind das endgültige Manuskript im Zusammenhang durchgegangen. Für kritische Anmerkungen zu einzelnen Kapiteln bin ich überdies vielen zu Dank verpflichtet, und zwar zu Kapitel 6 den Herren Diplom-Volkswirt Eckardt Bode und Dr. Rainer Maurer, zu Kapitel 7 Herrn Prof. Dr. Rolf J. Langhammer, zu Kapitel 8 Herrn Diplom-Volkswirt Ralph Heinrich und zu Kapitel 12 Herrn Diplom-Volkswirt Daniel Piazolo.

Ein Manuskript entwickelt sich nur langsam, mit äußerst vielen produktiven und leider auch unproduktiven Umwegen. Frau Petersohn hat diesen Prozeß der zerstörerischen Schöpfung mit WinWord gelassen, souverän und bis hin zur Graphik meisterhaft begleitet. Sie hat den Autor beträchtlich entlastet und damit seine Produktivität, so hoffe ich jedenfalls, erheblich erhöht.

Kiel, im Juli 1997

Horst Siebert

Hinweise für den Leser

Auf die Literatur wird im Text mit Jahreszahlen verwiesen. Um Bücher von Artikeln zu unterscheiden, wird bei Büchern ein B vor der Jahreszahl aufgeführt. So weist Krugman (B 1990) auf das Buch „Rethinking International Trade“ hin, das im Literaturverzeichnis unter dem Abschnitt B Bücher verzeichnet ist. Auf Artikel wird nur mit ihrer Jahreszahl hingewiesen.

Inhalt

1 Die weltwirtschaftliche Sicht

1.1 Sieben weltwirtschaftliche Bilder

Bild 1. Blenden wir 130 Jahre zurück. Japan war damals eine geschlossene Volkswirtschaft ohne nennenswerte Außenbeziehungen, und zwar weder im wirtschaftlichen noch im kulturellen Bereich. In der Meiji-Revolution von 1868 öffnete sich das bis dahin geschlossene Japan dann bewußt nach außen. Es wird berichtet, daß Japan im frühen Stadium seiner Entwicklung Speichen für importierte Fahrräder produzierte, also eine Importsubstitution betrieb. Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts war Japan mit einem Weltmarktanteil der Exporte von etwa 3 vH ein wichtiges Exportland geworden. Nach dem Zusammenbruch im Gefolge des zweiten Weltkrieges mußte Japan seinen wirtschaftlichen Aufbau von neuem beginnen. 1950 nahm Japan eine relativ unbedeutende Position in der Weltwirtschaft ein, sein Anteil am Weltexportvolumen lag bei 1 vH. Heute bestreitet Japan etwa ein Zehntel des Weltexportvolumens, und seine effiziente Industrie fordert sowohl Nordamerika als auch Europa heraus.

Wie schafft es ein Land, sich erfolgreich in die internationale Arbeitsteilung zu integrieren? Wie gelingt es ihm, seine Ressourcen so einzusetzen, daß ihm der internationale Austausch Wohlstandsgewinne bringt? Welche Mechanismen bewirken, daß eine Volkswirtschaft diejenigen Exportgüter produziert, die in der Welt nachgefragt werden? Wie sieht die Politik einer konsequenten Außenorientierung aus? Wo stößt der Prozeß des wirtschaftlichen Wachstums durch Handel an Grenzen? Bedeuten fortschreitende Erfolge bei den Exportprodukten, daß weltweit die Nachfrage nach der Währung des Landes kräftig zunimmt, was sich letztlich in einer Aufwertungstendenz niederschlagen muß, so daß die preisliche Wettbewerbsfähigkeit geschmälert wird? Gilt dies für alle Aufholländer?

Bild 2. Die Planwirtschaften Osteuropas konnten in der Zeit nach 1945 den Entwicklungsrückstand zu den USA nicht aufholen. Während in den 50er und auch in den 60er Jahren noch relativ hohe reale Wachstumsraten der sozialistischen Länder verzeichnet wurden, sind die 70er Jahre durch sehr niedrige Zuwachsraten gekennzeichnet. In den 80er Jahren brechen die Systeme dann im internationalen Standortwettbewerb zusammen (Schaubild 1.1). Sie konnten die Menschen nicht angemessen mit Gütern versorgen. Worauf ist dieser Mißerfolg zurückzuführen? Welche Bedeutung hatte dabei außer dem ineffizienten Planungssystem, den fehlenden Eigentumsrechten und den falschen Anreizen die sogenannte „Arbeitsteilung von oben“, bei der im COMECON unter den sozialistischen Planwirtschaften Größenvorteile der Produktion ausgenutzt werden sollten? Die Ungarn produzierten Omnibusse für die RGW-Länder, die Tschechen Straßenbahnen und die Ostdeutschen Eisenbahnwaggons. Durch diese von oben geplante Spezialisierung wurde der Wettbewerb zwischen den mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften ausgeschaltet, und auch vom weltweiten Wettbewerb waren sie abgeschottet.

Schaubild 1.1 – Wirtschaftswachstum in den Planwirtschaften Mittel- und Osteuropas, 1950-1990

Quelle: Heitger (1993) nach Daten von Summers und Heston (1988; 1991) und IMF, International Financial Statistics.

Wie kommt es, daß Volkswirtschaften nicht hinreichend aufholen, daß sie ihre Wohlstandsposition nicht halten können, ja relativ zu anderen Ländern sogar eine schleichende Erosion ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfahren? Wie lange können Regierungen solche Prozesse für die Bevölkerung unmerkbar halten? Wann wird sich die Bevölkerung durch einen Vergleich mit anderen Ländern ihrer veränderten ökonomischen Lage bewußt? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, daß nun die Transformation einer ehemaligen Planwirtschaft gelingt? Wie können diese Länder in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung integriert werden?

Bild 3. Lateinamerika hat in den vier Jahrzehnten von 1950 bis 1990 im Innern eine wenig erfolgreiche Wirtschaftspolitik betrieben und sich nach außen durch eine Politik der Importsubstitution von der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung teilweise abgekoppelt. Importe wurden behindert, heimische Sektoren wurden nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. So gab es in Mexiko bis in die 80er Jahre ein System der Importlizenzen, wobei die Importlizenz in der Regel mit einem stärkeren Peso verbunden war (gespaltener Wechselkurs). Dadurch war es den Lizenzinhabern möglich, günstig an Importgüter heranzukommen. Dieses System wurde von einer Bürokratie verwaltet und stiftete zugleich den Verwaltern des Systems politische Macht. Mexiko gab diese Politik erst in den 80er Jahren auf und trat erst 1986 dem GATT bei. Lateinamerika verzeichnete im Zeitraum von 1950 bis 1990 ein schwaches wirtschaftliches Wachstum und hatte in den 80er Jahren eine negative Wachstumsrate.

Schaubild 1.2 – Wirtschaftswachstum in ausgewählten Regionen der Welt, 1950-1990

Quelle: Heitger (1993) nach Daten von Summers und Heston (1988; 1991) und IMF, International Financial Statistics.

Anders verlief die Entwicklung in den asiatischen Ländern des pazifischen Randes, die im wesentlichen durch eine Außenorientierung ihrer Wirtschaftspolitik gekennzeichnet waren und ihre Wirtschaft dem Wettbewerb von außen aussetzten. Es gab keine Diskriminierung zwischen heimischer Industrie und Außensektor.

Haben Regionen der Welt, die eine Politik der Importsubstitution und des Außenschutzes betrieben haben, sich möglicher Entwicklungschancen und potentieller Wohlfahrtsgewinne beraubt? Wie ist der Zusammenhang zwischen Außenorientierung und Wachstum? Wachsen offene Volkswirtschaften stärker?

Bild 4. In der großen Depression zu Anfang der 30er Jahre erlebte die Weltwirtschaft einen gewaltigen Zusammenbruch. Das Volumen des Welthandels ging innerhalb von vier Jahren auf ein Drittel seines Niveaus zurück. Die sogenannte Kindleberger-Spirale zeichnet nach, wie das Weltimportvolumen für 75 Länder, das als Indikator des Welthandels angesehen werden kann, von Monat zu Monat schrumpfte (Schaubild 1.3).

Schaubild 1.3 – Die Kindleberger-Spiralea

aWeltimportvolumen in Millionen US-Gold-$.

Quelle: Charles P. Kindleberger, The World in Depression 1929–1939, London 1973, S. 172.

Wie würde ein solcher Einbruch des Welthandels heute wirken? Deutschland exportiert etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts, etwa 850 Mrd. DM (1996). Ein Rückgang des Exportvolumens auf ein Drittel, also um etwa 600 Mrd. DM, würde eine verheerende Depression mit sich bringen, insbesondere wenn man bedenkt, daß heute konjunkturbedingte Mindereinnahmen bei den Steuern von 10 bis 20 Mrd. DM als problematisch für die Konjunkturbewegung angesehen werden oder daß eine steuerliche Entlastung der Haushalte in dieser Größenordnung als ein stimulierender Impuls für die Konjunktur eingeschätzt wird.

Bild 5. Bei den beiden Ölpreisschocks der siebziger Jahre verzwanzigfachte sich der Erdölpreis im Vergleich zu den sechziger Jahren. Während der Erdölpreis in den sechziger Jahren deutlich unter 2 US-$ pro Faß Rohöl lag, vervierfachte er sich in der ersten Ölkrise 1973/74 auf etwa 10 US-$. Beim zweiten Ölpreisschock 1979/80 stieg der Preis pro Faß von 12 US-$ auf nahezu 40 US-$. Die Ursache dieser Entwicklung war, daß die Ressourcenländer die Eigentumsrechte an den Rohölreserven in ihrem Boden beanspruchten, so daß die sieben großen internationalen Ölunternehmen von ihren Angebotsquellen abgeschnitten wurden. Die bis dahin geltenden Konzessionsverträge sahen vor, daß die Ölgesellschaften einen bestimmten Prozentsatz des Erlöses (Royalty) für die geförderten Ölmengen zahlten, aber faktisch über die Ölförderung verfügten und auch das Recht (mit einer zeitlichen Dauer von bis zu 70 Jahren) für die Erschließung neuer Ölquellen hatten. Anfang der 70er Jahre gingen die Nutzungsrechte am Erdöl auf die Ressourcenländer über. Eine notwendige Folge war, daß die Allokation des Erdöls nicht mehr in der vertikalen Hierarchie der Unternehmen (Förderung, Raffinerie, Transport, Distribution) erfolgen konnte, sondern daß Märkte – insbesondere der Spot-Markt von Rotterdam, inzwischen aber auch Terminmärkte – verstärkt die Allokation übernahmen.

Die zentrale Konsequenz war, daß der auf die niedrigen Ölpreise der sechziger Jahre ausgerichtete Kapitalstock, insbesondere die Maschinen in der Produktion und die Motoren der Verkehrsträger, teilweise obsolet wurde. Die Produktivität des Kapitals ging zurück, und dies hatte Auswirkungen auf Produktion, Beschäftigung und Wachstum. Gleichzeitig erfolgte eine reale Umverteilung der Einkommen zugunsten der erdölproduzierenden Länder, da die Nichtölländer, insbesondere die Industrienationen, Realeinkommen an die Ölländer abgaben. Sie mußten pro Faß Erdöl mehr Exportgüter hergeben; ihre Terms of Trade verschlechterten sich. Schließlich verfügten die Ölländer über erhebliche Petro-Dollar-Einnahmen, die nicht alle über Importe absorbiert werden konnten. Es fand ein Petro-Dollar-Recycling statt, das zur Keimzelle der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer wurde.

Wie wird die Weltwirtschaft mit solchen plötzlichen Verknappungen wichtiger Güter oder Produktionsfaktoren fertig? Welche Anpassungsprozesse laufen ab? Können Volkswirtschaften, die stark auf den Import bestimmter Güter angewiesen sind, auf mittlere und längere Frist ihre Nachfrage nach diesen Gütern elastischer gestalten? Können sie die verteuerten Inputs durch andere Produktionsfaktoren, zumindest teilweise, ersetzen? Wie muß sich in einem solchen Anpassungsprozeß die Einkommensverteilung zwischen den Produktionsfaktoren verschieben? Wie wird die politische Ökonomie einer Volkswirtschaft von solchen Verknappungen beeinflußt?

Schaubild 1.4 – Der Welterdölpreisa

aPreis in US-$/Barrel für Arabian Light Rohöl.

Quelle: BP Statistical Review of World Energy.

Bild 6. Seit den 60er Jahren wird man sich in der Weltwirtschaft zunehmend der Umweltknappheit bewußt, vor allem in den Industrienationen. Anders als die Ölkrise ist dies keine plötzliche Verknappung eines Gutes, sondern ein langfristiger Prozeß, in dem die einzelnen Länder in einem langwierigen Prozeß die Rahmenbedingungen für die Nutzung der Umwelt durch die Definition neuer Nutzungsrechte ändern.

Wie wirkt sich eine solche langfristig stattfindende Umdefinition des institutionellen Rahmens der Umweltnutzung für die internationale Arbeitsteilung aus? Verlieren einzelne Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit in spezifischen Wirtschaftszweigen? Gewinnen andere Länder komparative Preisvorteile? Wie verlagern sich deshalb Handels- und Kapitalströme? Welche Lösungen bieten sich für globale Umweltgüter wie für den Schutz der Ozonschicht an?

Bild 7. Nach der Öffnung Mittel- und Osteuropas und mit der Integration Chinas in die internationale Arbeitsteilung findet in der Weltwirtschaft ein gewaltiger Umbruch statt. Länder, die reichlich mit dem Produktionsfaktor Arbeit ausgestattet sind, beginnen, an der internationalen Arbeitsteilung zu partizipieren. Alleine die Integration Chinas mit 1,2 Milliarden Menschen bedeutet, daß das Angebot an Arbeit auf dem Weltarbeitsmarkt um rund ein Fünftel zunimmt.

Welche Auswirkung hat eine solche Zunahme des weltwirtschaftlich wirksamen Arbeitsangebots? Müssen die Preise arbeitsintensiv produzierter Güter nicht sinken? Werden die Einkommen derjenigen Arbeitnehmer, die bisher in anderen Ländern diese Produkte erzeugt haben, zurückgehen müssen? Werden sich die Volkswirtschaften, die bisher diese Produkte exportiert haben, gegen die preiswerteren Importgüter schützen? Wie wichtig sind die neu in die Weltwirtschaft integrierten Regionen als Absatzmärkte? Welche stimulierenden Effekte gehen von diesen zusätzlichen Absatzmärkten aus? Können diese stimulierenden Wirkungen die Bedrohung für arbeitsintensive Exportprodukte der Industrieländer kompensieren?

Das Gemeinsame an diesen Bildern ist, daß in der Weltwirtschaft insgesamt oder in einzelnen Regionen der Erde Veränderungen stattfinden und sich Entwicklungsprozesse vollziehen, die von den Rahmenbedingungen beeinflußt werden, die gegeben oder gestaltbar sind. Dabei geht es beispielsweise um einen plötzlichen Schock für die Weltwirtschaft wie den Erdölschock oder den Einbruch des Welthandels und der Produktion in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Dabei geht es aber auch um langfristige, um „historische“ Prozesse, die sich als allmähliche Tendenzen herausstellen, wie die kriechende Ineffizienz der Volkswirtschaften in Osteuropa und die mangelnde Leistungsfähigkeit Lateinamerikas in den Jahrzehnten von 1950 bis 1990.

1.2 Die globale Dimension

Gegenstand dieses Buches ist die Weltwirtschaft. Im Vordergrund steht nicht eine einzelne Volkswirtschaft, die offen ist, also durch Außenhandel oder Kapitalverkehr mit anderen Ländern verflochten ist. Es geht statt dessen um eine globale Analyse der Strukturen und Prozesse in der Weltwirtschaft, so als ob die Erde von einem Raumschiff aus betrachtet würde. In einer Zeit, in der das Kommunikationssystem global organisiert ist, man im Internet von Flensburg nach Montevideo kommunizieren und man von Kiel nach Hanghzou riesige Datenmengen austauschen kann und CNN weltweit Nachrichten ausstrahlt, in der Transportkosten immer geringere Bedeutung haben und in der immer mehr Menschen sich daran gewöhnen, in allen Weltteilen ihren Arbeitsplatz zu finden, ist eine solche weltwirtschaftliche Sicht der ökonomischen Prozesse und Strukturen unerläßlich.

Vorherrschend ist deshalb hier ein Paradigma, in dem die Welt als Ganzes betrachtet wird. Bei allen ökonomischen Problemstellungen wird deshalb zunächst einmal die Welt als Einheit interpretiert. Das gilt sowohl für die Makro- als auch die Mikroökonomie. Makroökonomische Aspekte beziehen sich analog zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf die weltwirtschaftlichen Aggregate wie Weltinlandsprodukt und auf die Hauptkomponenten der Gesamtnachfrage, auf makroökonomische Erklärungsansätze für die weltwirtschaftlichen Prozesse, für konjunkturelle Bewegungen oder für wirtschaftliches Wachstum. Eher mikroökonomische Aspekte haben mit den Weltmärkten für Güter und Anpassungen an Störungen von Gleichgewichten auf den Gütermärkten zu tun. Ähnliches gilt für die Weltmärkte für Produktionsfaktoren. In einem weiteren Schritt kann diese einheitliche Sicht aufgegeben werden, indem beispielsweise verschiedene Typen von Ländern analysiert werden, etwa Industrieländer – der Norden – und Schwellenländer – der Süden – oder alte und neue Marktwirtschaften (Transformationsländer). Bei einer differenzierenden Betrachtung können auch mehrere Regionen der Welt eine Rolle spielen, so bei der Triade mit Nordamerika, Europa und Asien. Von Interesse ist schließlich, welche Rolle nationale Wirtschaftspolitik heutzutage in der Weltwirtschaft noch hat und welche institutionellen Regelungen – Ordnungen – sich für die Weltwirtschaft herausbilden.

Interessieren wir uns für die ökonomischen Prozesse auf der Erde, so müssen wir die Frage beantworten, wie sich die Arbeitsteilung in der Weltwirtschaft vollzieht und wie Entwicklungs- und Wachstumsprozesse zu erklären sind. Dabei ist eine Vorüberlegung, wie die internationale Arbeitsteilung unter statischen Bedingungen aussieht. Wichtiger aber ist, wie sich die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung in der Zeit verändert und welche Tendenzen in der Weltwirtschaft zu beobachten sind (Kapitel 2). In einem Allokations- und Wachstumsparadigma spielen Märkte eine entscheidende Rolle, und zwar Gütermärkte (Kapitel 3), Geldmärkte (Kapitel 4) und Faktormärkte (Kapitel 5). Das Zusammenspiel dieser Märkte mündet im Verlauf der Zeit in Prozesse des wirtschaftlichen Wachstums (Kapitel 6).

2 Entwicklungstendenzen in der Weltwirtschaft

Die Weltwirtschaft befindet sich in einem Umbruch. Die Segmentierung der Märkte wird abgebaut, neue Regionen, die bisher kaum am Welthandel teilgenommen haben, drängen in die internationale Arbeitsteilung. Diese Entwicklungstendenzen werden im folgenden skizziert (Abschnitt 2.1 und 2.2). Ferner wird über die Größenordnungen der wichtigsten Variablen der Weltwirtschaft, wie das Weltinlandsprodukt, die Ersparnisse und die Investitionen berichtet (Abschnitt 2.3). Den Schwellenländern ist es gelungen, sich stärker in die internationale Arbeitsteilung zu integrieren (Abschnitt 2.4). Einige von ihnen belegen inzwischen interessante Positionen in der Rangordnung der Wettbewerbsfähigkeit (Abschnitt 2.5).

2.1 Die Globalisierung der Gütermärkte

In der Weltwirtschaft ist eine Reihe von Tendenzen zu verzeichnen, die einen Abbau von Marktsegmentierungen und eine zunehmende Globalisierung der Weltmärkte mit sich bringen.

Ursachen der Globalisierung

Folgende Faktoren liegen der Globalisierung zugrunde:

Schaubild 2.1 – Transport- und Kommunikationskosten

Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1995, S.62.

Bedeutung der Globalisierung

Globalisierung bedeutet den Abbau von Marktsegmentierungen, und zwar nicht nur von Transaktionskosten wie Kommunikations- und Transportkosten, sondern auch die Aufhebung von Marktabgrenzungen, die durch nationale handelseinschränkende Maßnahmen bedingt sind. Globalisierung hat eine zunehmende Interdependenz von Märkten zur Folge, und damit auch eine verstärkte Interdependenz der Produktion in verschiedenen Ländern. Der Allokationsmechanismus funktioniert weltweit, so daß bei regionalen Preisunterschieden sofort irgendwo Reaktionen auftreten. Die Marktteilnehmer müssen sich auf diesen weltweiten Allokationsmechanismus einstellen. Sie können nicht ihre Zielfunktionen – etwa den Gewinn – maximieren und dabei wesentliche Rückwirkungen über die weltweiten Märkte nicht berücksichtigen. Globalisierung bedeutet auch, daß Unterschiede in den Ausstattungsbedingungen und in den Nachfragebedingungen der Länder (in den Präferenzen) stärker durch den internationalen Austausch kompensiert werden können.

Die Globalisierung der Märkte ist nicht zu verwechseln mit einer Zentralisierung der Entscheidungsprozesse. Es kann infolge der größeren Interdependenz nicht auf eine Zentralisierung der Entscheidungen geschlossen werden. Entscheidungen fallen weiterhin, ja sogar in verstärktem Maße, dezentral. Unterstützt und gefördert wird diese Tendenz einer Globalisierung der Märkte und der Dezentralisierung der Entscheidungen durch neue Organisations- und Kommunikationstechnologien wie z.B. CAD (Computer Aided Design), CIM (Computer Integrated Manufacturing), Groupware, die von mehreren Nutzern simultan genutzt werden kann, und Software, die eine augenblickliche Kontrolle der dezentralisierten Einheiten erlaubt. Die Entscheidungen sind jetzt jedoch unter anderen Restriktionen zu treffen, da sie die Bedingungen anderswo mit berücksichtigen müssen. Die intensivere Integration der Weltwirtschaft, vor allem das Sinken der Transport- und Kommunikationskosten, erlaubt eine Fragmentierung der Produktion; daß die Produktion stärker zerlegt wird, heißt auch, daß Standorte leichter gewechselt werden können.

Die globalere Orientierung der Unternehmen bei gleichzeitiger Fragmentierung der Produktion dürfte mit einem verstärkten Intra-Unternehmenshandel einhergehen. Dabei gewinnen Direktinvestitionen (siehe unten) als Vorläufer zukünftiger Handelsströme an Bedeutung.

Der Abbau von Marktsegmentierungen wird nicht nur die Güterarbitrage zwischen unterschiedlichen Ausstattungsbedingungen im Sinne des intersektoralen Handels stärken, sondern auch die unterschiedlichen Produktpräferenzen der Konsumenten austarieren, also die Vorlieben der Konsumenten für Vielfalt, im Rahmen des intrasektoralen Handels bedienen, ohne daß in jedem einzelnen Land die Zahl der produzierten Varianten gesteigert werden muß.

Dienstleistungen

Die stärkere Integration der Weltwirtschaft verändert die Bedingungen für den Dienstleistungshandel. Etwa 20 vH des Welthandels ist Handel in Dienstleistungen.1 Zu den Dienstleistungen zählen die Bereiche Werbung, Wirtschaftsprüfung und rechtliche Beratung, Transport, Bankdienstleistungen, Wertpapierhandel, Versicherung, Bau- und Ingenieurdienste, Datenverarbeitung, Filmbranche, Tourismus und Telekommunikation.

Bei den Dienstleistungen unterscheiden wir personengebundene und ungebundene Dienstleistungen. Personengebundene Dienstleistungen setzen voraus, daß Personen zusammenkommen müssen, wenn eine Dienstleistung erbracht wird. Dies ist bei den ungebundenen Dienstleistungen nicht mehr erforderlich. Beispiele sind das Detail Engineering oder Verrechnungssysteme. Die neuen Kommunikationstechnologien sorgen dafür, daß die ungebundenen Dienstleistungen verstärkt international ausgetauscht werden. Je stärker die Tertiarisierungsprozesse in den Industrienationen sind, um so bedeutender dürfte auch der internationale Austausch in Dienstleistungen werden.

2.2 Zunehmende Interdependenz der Faktormärkte

Der Abbau von Hemmnissen bezieht sich nicht nur auf die Gütermärkte, er geht auch auf den Faktormärkten vor sich. Insbesondere die Mobilität des Kapitals spielt eine zunehmend größere Rolle. Dabei geht es nicht allein um Portfoliokapital, das heutzutage schlagartig weltweit von einem Börsenplatz zu anderen bewegt werden kann, sondern auch um Sachkapital. Die Direktinvestitionen spielen bei den grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen eine entscheidende Rolle. Dafür sind unterschiedliche Motive ausschlaggebend. So kann es darum gehen, auf interessanten Märkten präsent zu sein, auch um Transaktionskosten zu vermeiden. Dazu zählt auch der Wunsch, Marktsegmentierungen, die durch die Außenhandelspolitik errichtet werden, zu vermeiden. Direktinvestitionen folgen aber auch komparativen Kostenvorteilen, wobei erwartete Standortvorteile mit ins Kalkül eingehen. Insoweit sind die Direktinvestitionen von heute Vorläufer des Güterhandels von morgen.

Die Direktinvestitionen nehmen seit Mitte der achtziger Jahre deutlich stärker zu als der Welthandel (Schaubild 2.2). Der Welthandel wächst in realer Rechnung – sieht man von Rezessionen ab – wesentlich stärker als die Weltproduktion. Im Zeitraum 1980–1994 ist das Weltinlandsprodukt mit einer realen Zuwachsrate von etwa 2,5 vH pro Jahr gestiegen, das Welthandelsvolumen, gemessen am realen Weltexportvolumen, mit 3,4 vH. Dies sind Signale dafür, daß die Interdependenzen in der Welt größer werden.

Die Arbeitsmärkte werden in den hohen Qualifikationen, etwa im Management, zunehmend globaler. Sieht man davon ab, so bleiben die Arbeitsmärkte jedoch weitgehend national segmentiert. Dies bedeutet aber nicht, daß die Arbeitsplätze nicht im weltweiten Wettbewerb stehen. Die Interdependenzen sind indirekt, etwa über die Handelsströme und über die Mobilität des Kapitals.

Schaubild 2.2 – Produktion, Welthandel und Direktinvestitionen, 1973-1994

Quelle: GATT, International Trade, Trends and Statistics; IMF, Balance of Payments Statistics Yearbook.

2.3 Das Weltinlandsprodukt

Das Weltinlandsprodukt betrug 1995 etwa 28 Billionen US-$ (World Bank, World Development Report 1997, Tabelle 12). Von der Produktionsseite her sind die Dienstleistungen mit einem Anteil von 63 vH der bedeutendste Sektor des Weltinlandsprodukts; das produzierende Gewerbe (in der Bezeichnung der Weltbank „Industry“) macht 33 vH aus, die Landwirtschaft 5 vH (Tabelle 2.1). Die Länder mit niedrigeren Einkommen pro Kopf (nach Einteilung der Weltbank Länder mit einem Einkommen pro Kopf bis zu 765 US-Dollar) sind stark auf die Landwirtschaft konzentriert; die Länder mit hohen Einkommen (ab 9386 US-$) haben einen hohen Anteil an Dienstleistungen.

Von der Verwendungsseite her macht der private Verbrauch (Konsumnachfrage) mit gut 60 vH den größten Anteil des Weltsozialprodukts aus; die Bruttoinvestitionen bewegen sich bei 23 vH, der Staatsverbrauch liegt unter 20 vH (Tabelle 2.2). Die Länder mit niedrigerem Einkommen weisen einen höheren Anteil der Bruttoinvestitionen auf. Dieser Anteil entspricht nicht ganz den Bruttoersparnissen, so daß die Investitionen im Durchschnitt aller Länder zu einem Teil aus dem Ausland gedeckt werden; überwiegend sind sie aber aus heimischen Ersparnissen gespeist. Die Zahlungsbilanz ist für die Länder mit niedrigerem und mit mittlerem Einkommen negativ (zwischen –2 vH und –1 vH in Relation zum Bruttoinlandsprodukt), für die Länder mit höherem Einkommen positiv.

Tabelle 2.1 – Entstehungsseite des Weltinlandsprodukts nach Sektoren 1995, in vH des Weltinlandsprodukts

  Landwirtschaft Produzierendes Gewerbe Dienstleistungen
Länder mit niedrigem Einkommen 25 38 35
Länder mit mittlerem Einkommen 11 35 52
Länder mit hohem Einkommen 2 32 66
Welt 5 33 63

Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1997, Tabelle 12.

Tabelle 2.2– Verwendungsseite des Weltinlandsprodukts 1995, in vH des Weltinlandsproduktsa

  Staatsverbrauch Privater Verbrauch Bruttoinvestitionen Bruttoersparnisse Zahlungsbilanzsaldo
Länder mit niedrigem Einkommen 12 59 32 30 –1
Länder mit mittlerem Einkommen 14 59 25 25 –1
Länder mit hohem Einkommen 15 63 21 21 2
Welt 17 63 23 21 1

aIn vH des Weltinlandsprodukts.

Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1997, Tabelle 13; 1995: Tabelle 9.

Die regionale Struktur des Weltinlandsprodukts verteilt sich wie folgt: Die Volkswirtschaften mit niedrigem Einkommen haben ein Bruttoinlandsprodukt von 1,4 Billionen US-$, die Volkswirtschaften mit mittlerem Einkommen erstellen 4,0 Billionen US-$, und die Volkswirtschaften mit hohem Einkommen erwirtschaften ein Bruttoinlandsprodukt von 22,5 Billionen US-$.

Die USA machen 25 vH des Weltinlandsprodukts aus, die anderen Industrienationen (ohne Deutschland und Japan) zusammen bewegen sich in einer ähnlichen Größenordnung. Deutschland hat einen Anteil von 8,7 vH. China2 bestreitet derzeit 2,5 vH des Weltinlandsprodukts. Die Anteile der Länder sind etwa relevant als Gewichte für die Weltkonjunkturprognose.

Schaubild 2.3 – Regionale Struktur des Weltinlandsprodukts 1995

Quelle: Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1997

2.4 Die Integration der Schwellenländer

Den Entwicklungs- und Schwellenländern ist es seit 1970 gelungen, sich stärker in die internationale Arbeitsteilung zu integrieren. Ihr Anteil am Welthandel ist von 12,1 vH (1975) auf 23,3 vH (1995) gestiegen (Schaubild 2.4); einen hohen Zuwachs verzeichneten insbesondere die asiatischen Schwellenländer am pazifischen Rand. Sie haben den Anteil der Industrieprodukte an ihren Exporten stark gesteigert, beispielsweise Singapur von 34 vH (1965) auf 80 vH (1993). Der Weltmarktanteil der vier Tiger Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan ist von etwa 3 vH (1973) auf etwa 10 vH gestiegen (1994; Schaubild 2.5). Dagegen ist der afrikanische Kontinent südlich der Sahara mit einem Weltmarktanteil unter 2 vH wohl weiterhin das Armenhaus der Welt.

2.5 Eine Rangordnung der Wettbewerbsfähigkeit

Verschiedene Organisationen versuchen, die Länder der Welt in eine Rangordnung der Wettbewerbsfähigkeit zu bringen. So erstellt das z.B. das World Economic Forum eine Rangordnung der Wettbewerbsfähigkeit für 49 Länder anhand von Umfragen und statistischen Informationen. In diesem Index werden die Offenheit eines Landes, die Rolle des Staates, die Effizienz des nationalen Finanzmarktes, die Infrastruktur, die Technologie, das Management, die Funktionsfähigkeit der nationalen Arbeitsmärkte und das institutionelle Rahmenwerk berücksichtigt. Dabei wird stark auf das Wachstumspotential eines Landes abgestellt. Besonders gut schneiden dabei die kleinen offenen Volkswirtschaften ab. Deutschland kommt auf Rang 25 (Schaubild 2.6).

Schaubild 2.4 – Anteile am Weltexport, Industrieländer und Entwicklungsländer

Quelle: IMF, International Financial Statistics, CD-ROM, Februar 1996

Schaubild 2.5 – Anteile am Weltexporta, Deutschland, Vereinigte Staaten, vier Tiger

aExporte ausgewählter Länder an den Exporten aller Länder insgesamt.

Quelle: IMF, International Financial Statistics, CD-ROM, Februar 1996.

Schaubild 2.6 – Index der Wettbewerbsfähigkeit, 1995

Quelle: World Economic Forum, The Global Competitiveness Report 1996, S. 15.


1Berechnet nach International Monetary Fund. Balance of Payments Statistics. Yearbook, Part 2, Washington, D.C., lfd. Jgg.

2Der Internationale Währungsfonds veranschlagt den Anteil Chinas am Weltinlandsprodukt auf der Basis von Kaufkraftparitäten mit gut 10 vH (IMF, World Economic Outlook 1997, Table A).

3 Die Gütermärkte in der Weltwirtschaft

Die Senkung der Raumüberwindungskosten und die verstärkte Integration der Schwellenländer, die sowohl das Angebot der Güter vermehren als auch neue Märkte darstellen, verändern das Gleichgewicht auf den Weltgütermärkten. Um diese Effekte untersuchen zu können, müssen wir uns zunächst mit dem Weltmarktgleichgewicht auf den Gütermärkten auseinandersetzen (Abschnitt 3.1). Dann ist zu diskutieren, wie sich der Abbau von Handelshemmnissen und die Zunahme des Arbeitsangebots auswirken (Abschnitte 3.2 und 3.3). Im Vordergrund stehen die Effekte auf das Faktoreinkommen und auf die Beschäftigung (Abschnitt 3.4). Die wichtigsten Theoreme werden kurz zusammengefaßt (Abschnitt 3.5). Auch Nachfrageverschiebungen und eine geänderte Trennungslinie zwischen handelbaren und nicht-handelbaren Gütern spielen eine Rolle (Abschnitte 3.6 und 3.7). Einige Weltmärkte sind durch unvollständigen Wettbewerb gekennzeichnet (Abschnitt 3.8); es muß deshalb erörtert werden, welche Konsequenzen daraus für die Weltgütermärkte erwachsen (Abschnitte 3.9 und 3.10). Schließlich werden die Themen vertikale Hierarchie versus Märkte und Verlagerungsprozesse angesprochen (Abschnitte 3.11 und 3.12).

3.1 Das Weltmarktgleichgewicht

Zum Begriff des Weltmarktgleichgewichts

Auf den Gütermärkten der Welt herrscht Gleichgewicht, wenn die Überschußnachfrage nach Gütern gerade gleich Null ist. Die Preise müssen sich auf den Märkten so eingestellt haben, daß diese Bedingung erfüllt ist. Wir können diese Bedingung in der Form schreiben

Eiw = Ciw – Qiw = 0.

3.1

Das heißt, die Überschußnachfrage (Eiw), also die Differenz zwischen Nachfrage (Ciw) und Angebot (Qiw), ist für jedes Gut i gerade gleich Null. Der Weltmarkt muß geräumt sein. In Schaubild 3.1 ist beispielhaft der Welterdölmarkt mit den beobachteten Preisen für ein Faß Erdöl und den gehandelten Mengen dargestellt. Deutlich zu erkennen sind die beiden Erdölkrisen 1973/74 und 1979/80.

Schaubild 3.2 enthält die langfristige Weltangebotskurve für Steinkohle. Horizontal ist die Förderkapazität (1993) angegeben. Die Förderkosten frei Grube variieren erheblich unter den einzelnen Anbietern zwischen 12 US-$ pro Tonne in China und 195 US-$ in Deutschland. Dabei ist zwischen Förderkosten im Tagebau (t) und im Untertagebau (u) zu unterscheiden. Die dargestellte Angebotskurve erfaßt 85 vH der weltweiten Förderkapazität.

Für ein Weltmarktgleichgewicht muß nicht nur die Überschußnachfrage null sein. Es muß auch gelten, daß Haushalte ihre nutzenmaximale Nachfrage und Unternehmen ihr gewinnmaximales Angebot bestimmt haben. Diese Bedingung ist auf der Angebotsseite dann erfüllt, wenn das Güterpreisverhältnis dem Verhältnis der Grenzkosten entspricht. Um dies zu verdeutlichen, führen wir das Konzept der Welttransformationskurve ein (Kurve VWX in Schaubild 3.3). Sie gibt – für gegebene Faktorausstattung und Technologie – die maximale Produktionsmöglichkeit des Gutes 1 bei gegebener Produktionsmenge des Gutes 2 an. Die Grenzrate der Transformation gibt die Opportunitätskosten der Produktion einer Einheit des Gutes 1, gemessen in Einheiten des Gutes 2, an; sie zeigt an, inwieweit es von der Produktionsseite her möglich ist, durch Umlenkung der Produktionsfaktoren mehr von einem Gut zu produzieren. Die Grenzrate der Transformation entspricht dem Verhältnis der Grenzkosten. Das Güterpreisverhältnis p stellt die relative Bewertung der beiden Güter auf den Märkten dar. Ein Gleichgewicht liegt von der Angebotsseite her vor, wenn das Güterpreisverhältnis gleich ist dem Verhältnis der Grenzrate der Transformation p = p1 / p2 = | dQ21Schaubild 3.321