1. Auflage

ISBN 978-3-935500-41-8

Alle Rechte beim Herausgeber

© 2019 Verlag Wortspiel Literatur e.V.

Umschlaggestaltung/Illustrationen

Frank W. Kallweit

Gedruckt in Deutschland

INHALT

Frank W. Kallweit

Schon wieder St. Martin

(Tatort: Pfalz / Südliche Weinstraße)

Schiminski schaute gelangweilt in den Iserlohner Kreisanzeiger. Er blätterte laut raschelnd in seiner Tageszeitung. Die einzelnen Seiten überflog er mit einem flüchtigen Blick. Dabei schlürfte er laut den erkalteten Kaffee aus seiner Tasse. Dies war mal wieder ein direkter Angriff auf die Nervenstränge seiner Frau Susanne, doch sie versuchte die Fassung zu wahren. „Passiert ist wieder nichts“, klang es ein wenig depressiv aus dem Mund des Ermittlers im Ruhestand. Jetzt konnte Susanne nicht mehr an sich halten. „Passiert? Nichts passiert. Dann zieh doch ins Altersheim, da ist wenigstens das Essen passiert, und meine Nerven bleiben verschont. Du stehst dir mal wieder selbst im Weg! Fällt dir die Decke auf den Kopf? Du nörgelst hier herum wie ein kleines Kind, das man sein Spielzeug weggenommen hat. Männer sind einfach nur große Kinder. Keine Leichen, keine Altakten, das Leben kann so grausam sein. Deine miese Laune ist wirklich ansteckend.“ Schiminski hatte nicht mit einer Reaktion in dieser Stärke gerechnet. Er saß schweigend am Frühstückstisch wie ein kleiner Junge, der gerade bei einem Streich erwischt worden war. Susanne unterdessen redete sich in Rage. „Überall muss ich auf dich aufpassen und hinterherräumen. Ich kann dich nicht einmal allein auf eine Urlaubsreise schicken. Die Aktion letztes Jahr in St. Martin, die hat ja das Fass wirklich zum Überlaufen gebracht. Selbst in diesem idyllischen Örtchen kannst du dich nicht wie ein normaler Tourist durch die Weinberge bewegen. Nein, der Herr Hauptkommissar muss ja über eine Leiche stolpern.“

Schiminski setzte seinen Dackelblick auf. „Ich wollte wirklich nur Urlaub machen, mich einfach bei einem guten Glas Wein entspannen. Was kann ich dafür, dass der tote Weinpanscher Öchsle im Weinberg einfach tot vor meinen Füßen liegt?“ Schiminski seufzte laut. „Aber interessant war der Fall schon.“ Warum hatte er jetzt nicht geschwiegen?

Susanne schüttelte den Kopf: „Du wirst einfach nicht erwachsen!“

Schiminski dachte kurz nach. „Du bist wirklich ungerecht. Ich wollte dich eigentlich morgen zum Valentinstag überraschen.“

Susanne konterte: „Du überraschst mich doch immer wieder. Ich bin froh, wenn ich mich mal von diesen Überraschungen erholen kann.“

„Aber eigentlich wollte ich dir einen Reisegutschein schenken und uns eine Reise nach Mallorca buchen. Mallorca zur Mandelblüte soll ganz wunderbar sein.“ Sein Dackelblick und der säuselnde Ton in seiner Stimme zeigten Wirkung.

Susanne schwieg einen Moment lang. Sie musterte den Ermittler im Ruhestand. Waren das wirklich Worte aus dem Mund ihres Ehemannes?

„So kenne ich dich überhaupt nicht. Du wirst ja noch zu einem richtigen Romantiker, Schatz.“ Susanne war sichtlich gerührt.

Der Return seiner Frau traf den Ermittler. Schiminski verstummte aus Verlegenheit. Beide genossen die entspannte Ruhe für einige Sekunden.

„Aber ist dort die Mandelblüte nicht schon in vollem Gange?“ Diese Frage seiner Frau schlug ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Worte trafen ihn völlig unvorbereitet. Es war ein echter Volltreffer. Der Blütentraum schien zu platzten, denn dann blieb ja nur wenig Zeit für Planung und Buchung.

Schiminski blickte angespannt auf sein Smartphone. „Ähm, ja, ja, tatsächlich schon im Februar“, nuschelte er fast unverständlich. Anschließend tippte er nervös auf das Display. „Es gibt keine Flüge mehr. Mallorca ist total ausgebucht“, stotterte Schiminski.

Seine Frau lachte hämisch. „Hab ich’s doch geahnt. Das ist ja wieder typisch.“ Nach diesem Tiefschlag musste Schiminski seine Strategie von Grund auf erneuern. An diesem Tag mied er die Nähe seiner Frau.

Am Abend traf er sich mit seinem guten Freund Winfried Schlückle. Er kannte Schlückle noch aus Schulzeiten. Obwohl dieser eher selten in Iserlohn war, hatte Schiminski ihn nie aus den Augen verloren. Liebhabern edler Rebensäfte war der Name Schlückle über die Jahre seines Schaffens ein Begriff geworden. Als Redakteur der Weinglosse im Weltblick hatte er sich in die Herzen der Feinschmecker und der Fachkreise geschrieben. Seit einiger Zeit ging er einen neuen Weg. Er wurde Herausgeber des Gourmetmagazins ‚Der gute Schluck‘. Als Kritiker war Schlückle knallhart. Allein in seinem Magazin positiv erwähnt zu werden, war für manche Jungwinzer der Startschuss zur großen Karriere. Eine der begehrten Bewertungen zu erhalten, die silberne oder gar die goldene Rebe, konnte die Krönung ihres Winzerdaseins werden.

Normalerweise lauschte Schiminski bei Zusammenkünften den Ausführungen seines Freundes. Doch an diesem Abend musste der Rentner vom Vorfall mit seiner Ehefrau berichten.

Schlückle hatte sofort einen Vorschlag parat: „Mandelblüte gibt’s doch auch in der Pfalz!“

Doch nach dem letzten Fall in St. Martin war für Susanne die Pfalz ein rotes Tuch geworden. Schückle versuchte seinen Freund zu trösten. „Ich habe eine Idee, begleite mich doch auf meiner Tour durch die deutschen Weingebiete.“

Schiminskis Frau war beruhigt, dass Schlückle ihn unter seine Fittiche genommen hatte. Ihr Mann schien eine vernünftige Aufgabe gefunden zu haben.

Erstes Ziel sollte St. Martin werden, dies verschwieg er jedoch seiner Frau aus gutem Grund.

Einen Tag vor Reiseantritt erhielt Schiminski einen Anruf von Schlückle.

„Mich hat’s wirklich richtig heftig erwischt.“

„Hast du die Nacht durchgesoffen?“

„Mach dich nicht noch lustig über deinen kranken Freund. Die Situation ist wirklich ernst!“ Schlückle beschrieb seine Leiden. „Noch nie hat es mich so umgehauen. Du kannst es dir nicht vorstellen. Ich kann nicht einmal mehr einen Kamillentee von einem Spitzenwein unterscheiden.“

Schlückle hatte sich eine Männergrippe eingefangen. Er litt schwer daran, insbesondere weil sein Sensorikzentrum völlig gestört war. Schiminski musste den Weg in die Weinregionen nun allein antreten. Es war mehr als eine Herausforderung, konnte der pensionierte Polizist allenfalls Weine in die Kategorien ‚schmeckt‘ oder ‚schmeckt nicht‘ einteilen.

Gerade in St. Martin wollte sich Schiminski eigentlich unauffällig im Hintergrund bewegen. Sein letzter Besuch in dem Ort hatte doch einige tiefe Spuren hinterlassen. Dort war er kein Unbekannter mehr.

‚Im Fässchen werde ich bestimmt nicht gesehen. Ich setzte mich in eine Ecke des Gewölbekellers, da bin ich sicher.‘ So hatte sich der Pensionär zumindest den Verlauf des weiteren Abends vorgestellt. Das Restaurant lag am Ortseingang und besaß eine große Sonnenterrasse. Diesen Präsentierteller mied er bewusst und stieg die Stufen hinab in den Keller. Zur Sicherheit hatte er sich noch einen falschen Bart angeklebt und eine Perücke aufgesetzt.

„Das gibt’s doch nicht. Undercovermission oder was soll das jetzt hier? Ich befürchte das Schlimmste. Schiminski, konnten Sie nicht einfach im Sauerland bleiben? Das gibt doch bestimmt wieder nichts als Ärger.“

Der Pensionär drehte sich um. Er war ziemlich verdattert. Fast wäre sein Löffel in das Schaumsüppchen gefallen.

„Keschde, Keschde, was machen Sie denn hier?“ Schiminski konnte seine Überraschung nicht verbergen.

„Ich wohne hier in St. Martin. Hier in meinem Wohnort kann man auch einfach nur lecker essen und guten Wein genießen.“

„Keine Panik, Keschde. Es ist nicht so, wie Sie glauben“, versuchte Schiminski die Situation noch zu retten.

„Seit dem ich Sie kenne, glaube ich an gar nichts mehr!“ Keschde schüttelte bei seinen Worten den Kopf.

„Ich bin hier in St. Martin, um einfach Wein zu probieren, wirklich“, versuchte Schiminski den Grund seiner Anwesenheit glaubhaft zu vermitteln.

„Ne, ist schon klar. Und was soll die komische Maskerade?“

„Ich bin hier in Vertretung für meinen erkrankten Freund Schlückle.“

„Ach so, ‚Der Gute Schluck‘.“

Schiminski nickte. „Aber behalten Sie dies unbedingt für sich. Die Winzer sollen ja nicht vorgewarnt sein. “

Die letzten Worte waren noch nicht ganz verklungen, da öffnete sich die schwere Holztür zum Gewölbekeller. Der Winzer Fichte betrat den Raum. Der Mann blickte sofort zu Keschde hinüber, der noch am Tisch von Schiminski stand.

„Fichte, weißt du, wer das ist? Kannst du auch gar nicht wissen. Schiminski ist ja incognito hier.“ Beide lachten laut los. Keschde ergänzte: „Wir haben in St. Martin Cholera und Pest überstanden und jetzt kommen die Sauerländer.“

Die erste Runde in St. Martin endete für den Sauerländer mit einem Tiefschlag. Doch Schiminski war noch nicht K.O. Die Neuigkeit würde sich wie eine Feuerwalze durch die Altstadt fressen. Schon bald würden die meisten Winzer in St. Martin wissen, in welcher Mission Schiminski unterwegs war. Am nächsten Tag schlich er die Hauptstraße des kleinen Ortes entlang. Er schaute keinem Passanten direkt ins Gesicht. Am Straßenrand stand ein Lada Geländewagen, hinter dem er sich einen Moment versteckte, um die Straße zu überblicken. Vom Eingang der kleinen Volksbank hörte er Keschdes markante Stimme. ‚Verdammt. Wohin soll ich jetzt verschwinden?‘, dachte Schiminski. Direkt vor dem kleinen Bankgebäude waren große Tore weit geöffnet. Er huschte durch den Torbogen hinein in den Innenhof eines historischen Gebäudes. Er schreckte zusammen. Sein Betreten löste einen lauten Klingelton aus. Nun gab es kein Zurück mehr. Zu seiner rechten Seite öffnete sich eine schwere Holztür, die direkt in den Probierraum führte. Eine freundliche Stimme lud den Sauerländer zu einer Weinverkostung ein. Schiminski schaute prüfend auf sein Glas. „Oh, das ist aber ein ziemlich dunkler Wein“, kommentierte Schiminski etwas hilflos.

Die Winzerin lachte herzlich. „Das sind nur schwarze Gläser für eine Blindverkostung.“

„Ja, klar“, klang die Antwort verlegen. Schiminski war nicht zum Spaß hier. Nun musste er unbedingt seine Fachkenntnis präsentieren. „Hat dieser Wein auch Anoraks bekommen?“

Die Winzerin schaute ihn fragend an.

Schiminski wurde sichtlich nervös. „Diese Punkte“, stotterte er.

„Parkerpunkte?“

Schiminski nickte stumm.

„Nein, aber dieser Wein hat eine goldene Kammerpreismünze erhalten!“

„Auch gut“, antwortete Schiminski nur kurz.

„Was ist es für ein Wein? Was schmecken Sie?“

„Riesling!“

„Nein, es ist ein Rotwein!“

Schiminski dachte angestrengt nach. Er suchte nach einer Antwort. Die Augen der Winzerin waren erwartungsvoll auf den Mann gerichtet.

„Dann ist es wohl ein Schwarzriesling.“

Die Winzerin lachte. „Voller Körper!“

Schiminski nickte. „War ja nur Quatsch. Der gute Schluck …“, wollte Schiminski jetzt seine Deckung verlassen.

„Der gute Schluck ist ein Blauer Spätburgunder mit schönem Holzton. Aber Sie lagen nicht so falsch mit Ihrer Antwort. Der Schwarzriesling, auch unter dem Namen Müllerrebe bekannt, ist auch eine Burgundertraube, Pinot Meunier.“

Nach den Unsicherheiten fühlte Schiminski jetzt wieder einen festen Stand. Der Genuss verschiedenster Weine löste seine Verkrampfung.

Doch am nächsten Morgen entschied sich der Hobbyweinkritiker St. Martin zu meiden und seine Tour in Maikammer fortzusetzen. Sein Freund hatte ihm den Weg zum Winzer Forebear genau beschrieben. Gern war Schiminski durch die Weinberge von St. Martin nach Maikammer gelaufen. Nun stand er am Rande des Ortes vor dem imposanten Schlösschen der Winzerfamilie. Die historischen Mauern beherbergten einen modernen stylische Probierraum. Der Hobbykritiker probierte die edelsten Weine und erkundigte sich nach Lagen, die sich in Richtung St. Martin, also an seinem Rückweg, befanden. Dann trat er seinen Fußmarsch an. Es war spät geworden. Es dämmerte bereits. Mitten auf dem Weg stand ein überdimensionierter amerikanischer SUV mit getönten Scheiben. Neben dem Nummernschild war das Zusatzschild CD aufgeklebt. ‚Was macht ein Fahrzeug des Konsulats hier in den Weinbergen?‘ Während Schiminski nachdachte, erblickte der Rentner ein Hinweisschild mit der Aufschrift ‚Weingut Forebear, beste Weine der Produktlinie Wertvoll‘. ‚Was ist das dort zwischen den Reben? Bin ich jetzt in einem Agentenfilm?‘ Schiminski traute seinen Augen nicht. Mitten in diesem Weinberg stand eine Person, schwarzer Hut, schwarzer Mantel, Sonnenbrille. ‚Das ist doch bestimmt kein Mitarbeiter des Winzers.‘ Schiminski grübelte und ging dabei langsam weiter, bis er an eine Stelle kam, an der ein Lada Geländewagen stand, in dem zwei dunkel gekleidete Männer saßen. Offensichtlich interessierten sich die Insassen des Fahrzeugs für die Person im Weinberg. ‚Der Lada parkte doch gestern in St. Martin‘, erinnerte sich Schiminski. Der Ermittler griff in seine Jackentasche. Dann zog er einen kleinen Gegenstand heraus. Eigentlich hatte er den GPS-Sender zur Überwachung der Hauskatze gekauft. Die Katze war oft Tage lang unterwegs. Seine Frau machte sich dann Sorgen um das Tier. Er wollte helfen, doch seine Frau hatte gegen die Überwachungsmaßnahme protestiert. Da Schiminski die Angewohnheit hatte, zum Leidwesen seiner Frau, alle Gegenstände in seine Taschen zu stopfen, fand er nun auch dieses elektronische Gerät, das nun eine neue Verwendung finden sollte. Schiminski klebte den Sender unter die hintere Stoßstange. Danach entfernte er sich möglichst unauffällig vom Fahrzeug.

Noch am Abend ging er direkt zur Metzgerei, nicht weil er Hunger hatte, nein, weil er mit Keschde sprechen musste. „Ich muss eine Beobachtung melden. Zwischen Maikammer und St. Martin im Weinberg von Forebear habe ich einen Agenten des amerikanischen Konsulats gesehen. Soll ich ihn beschreiben?“

„Schwarzer Mantel, Hut, Sonnenbrille?“

„Genau, Sie kennen den Vorfall und den Agenten!“

„Schiminski, wir sind in St. Martin und nicht in Hollywood. Sie haben einfach zu viele Agententhriller gesehen. Wahrscheinlich hat der Alkohol noch Ihre Sinne verklärt! Haben Sie Wein getrunken?“

Die Frage war wohl rhetorisch gemeint, doch Schiminski antwortete. „Ja, eine tolle Weinverkostung …“

„Und dann stören Sie meinen Feierabend. Schiminski, gehen Sie in Ihr Hotel und dort direkt zu Bett. Bitte stören Sie nicht die Nachtruhe. Träumen Sie lieber friedlich von einigen Bondgirls. Morgen sieht die Welt dann schon wieder anders aus. Gute Nacht!“

Am nächsten Morgen hatte Schiminski es bereits am Frühstückstisch erfahren, Forebear hatte einen Toten in seinem Weinberg gefunden. Schiminski musste darüber mehr erfahren. Der pensionierte Polizist hatte es sich ja nicht ausgesucht, aber nun steckte er wieder mitten in einem Kriminalfall. Wenige Minuten später stand der Sauerländer vor der verschlossenen Tür der Metzgerei. Er betätigte die Klingel für die darüber liegende Wohnung. Doch niemand öffnete. Eine Passantin sprach Schiminski an: „Heute ist die Metzgerei geschlossen. Haben Sie es denn noch nicht gehört?“ Der Ermittler schüttelte den Kopf. Was sollte er gehört haben?

„Sie haben heute Morgen den Keschde abgeholt.“

„Wer?“

„Uniformierte Polizisten haben ihn in Handschellen mitgenommen.“

„Das glaube ich nicht.“

„Doch, er soll diesen Amerikaner erschossen haben, der im Weinberg Richtung Maikammer lag.“ Auf dem Weg zurück in seine Unterkunft musste Schiminski erst mal seine Gedanken sortieren. Gut, er hatte mit Keschde schon so manchen Disput ausgefochten, aber ein Mörder war der Metzgersohn mit Sicherheit nicht, davon war Schiminski fest überzeugt. In seiner Erinnerung suchte er nach Details der letzten Tage, die für die Vorfälle von Bedeutung sein könnten. Einige Notizen hatte er zu Papier gebracht, da klingelte sein Handy.

„Schiminski, Sie müssen mir helfen“, mehr musste Keschde nicht sagen. Keschde hatte von seinem Festnetzanschluss angerufen. Offensichtlich war er wieder zu Hause und mögliche Verdächtigungen reichten nicht für einen Haftbefehl. Kurze Zeit später stand Schiminski in der kleinen Wohnung über der Metzgerei.

„Ich bin keine Mörder, das müssen Sie mir glauben. Ich habe diesen Agenten noch nie in meinem Leben gesehen. Trotzdem wurde er offensichtlich mit meiner Dienstwaffe erschossen.“ Keschde wirkte niedergeschlagen.

„Haben Sie sich gestern nach meinem Besuch auf die Suche nach dem Agenten gemacht?“

„Quatsch, ich bin einfach zu Bett gegangen. Diese Geschichte habe ich für eine Fantasygeschichte von Ihnen gehalten.“

„Wie konnte dann dieser Amerikaner mit Ihrer Dienstwaffe erschossen werden? Und warum?“

„Ich weiß es nicht. Gegen 23:40 Uhr bin ich zu Bett gegangen. Nach Dienst lege ich meine Waffe immer in meine Nachttischschublade. Das hatte ich auch am Freitag so gemacht. Diese Woche hatte ich Urlaub, um meinem Vater in der Metzgerei zu helfen. Ja, die Aufbewahrung meiner Waffe entspricht nicht ganz den Vorschriften.

Aber da ich allein in dieser Wohnung lebe, kann die Pistole kein Unbefugter an sich nehmen.“

„Was ist genau in der Nacht passiert?“

„Nichts!“

„Nichts?“

„Ich habe tief und fest geschlafen, bis heute Morgen zwei uniformierte Kollegen mich abholten und zur Vernehmung auf die Wache mitnahmen. Ich war ziemlich ungehalten, bin wohl auch etwas laut geworden, habe alles für einen üblen Kollegenscherz gehalten.“

„Und die Dienstwaffe?“

„Die lag immer noch in meinem Nachttisch, wo die Kollegen die Pistole auch gefunden haben. Die Kriminaltechnik hat meine Waffe untersucht. Es ist die Tatwaffe. Ich verstehe es einfach nicht.“

„Und Schmauchspuren?“

„Nein, Schmauchspuren konnten bei mir nicht gefunden werden. Deshalb haben mich die Kollegen wieder auf freien Fuß gesetzt. Aber der Verdacht ist natürlich noch nicht völlig aus dem Weg geräumt.“ Keschde schaute ziemlich verzweifelt.

„Ich werde Ihnen helfen, keine Frage. Nur, nur …“

„Ja?“

„Meine Frau darf auf keinen Fall von dieser Aktion hier erfahren.“

Für einen Moment lachten beide Männer. Dann schaute Schiminski auf seine Notizen. „Am Montag bin ich in St. Martin eingetroffen und zum Essen ins Fässchen gegangen.“

„Stimmt, ich kann mich an die komische Maskerade erinnern.“

„Dienstagmorgen bin ich die Hauptstraße entlang gegangen auf der Suche nach einem Winzer, da hab ich Ihre Stimme gehört.“

„Richtig, ich war zur Bank gegangen, Geld holen am Automaten.“

„Und dort stand genau gegenüber der Bank dieser grüne Geländewagen.“

„Was für ein Geländewagen?“

„Ein russischer Lada mit Diplomatenkennzeichen. Diesen Wagen habe ich auch Mittwochabend in den Weinbergen gesehen, ganz in der Nähe des Amerikaners. Die sind doch bestimmt in diesen Mord verwickelt.“

„Und meine Dienstwaffe?“

„Vielleicht haben die Russen Sie genau beobachtet, um in einem geeigneten Moment die Waffe auszuleihen.“

„Und ich habe es ihnen verdammt leicht gemacht. Doch, wenn es wirklich Diplomaten waren, haben wir keine Chance, mehr zu erfahren. Die Botschaft wird keine Auskünfte geben. Politische Verwicklungen könnten die Folge sein. So kann ich ja nie meine Unschuld beweisen.“

„Schauen wir erst mal, wo sich gerade der russische Geländewagen befindet.“

Keschde staunte nicht schlecht.

Schiminski holte sein Handy heraus. „Ich habe einen GPS-Sender am Lada befestigt. Ich bin halt Profi!“ Natürlich erzählte Schiminski nicht, dass der Sender eigentlich zur Überwachung seiner Hauskatze eingesetzt werden sollte und sich nur zufällig in seiner Jackentasche befunden hatte. Jedenfalls brachten die beiden Ermittler so in Erfahrung, dass sich der Geländewagen noch in St. Martin aufhielt.

Schiminski demonstrierte Entschlossenheit. „Die Russen werden wir uns jetzt holen, mit oder ohne Diplomatenpass. Der Wagen steht an der Kirche. Die sind bestimmt im Glockenstübl. Ich rufe sofort die Wirtin an.“ Der Sauerländer erhielt die Bestätigung, dass zwei russische Männer dort speisten, ansonsten war es zu der frühen Stunde noch recht leer im Restaurant. Der pensionierte Polizist appellierte an die Mithilfe der Wirtin. Weitere Gäste sollten äußerst unauffällig das Restaurant verlassen oder es erst gar nicht betreten können. Schiminski knöpfte sein Hemd auf.

„Was soll das denn jetzt werden?“ Keschde schien irritiert.

„Ich habe einen Plan. Sie müssen mir einfach blind vertrauen!“

„Was bleibt mir auch anderes übrig?“