Martin Goodman

Die Geschichte
des Judentums

Glaube, Kult, Gesellschaft

Aus dem Englischen übersetzt
von Susanne Held

Klett-Cotta

Impressum

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Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»A History of Judaism« bei Allen Lane,

Penguin Books, Random House London

© Martin Goodman, 2017

Für die deutsche Ausgabe

© 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg,

unter Verwendung eines Fotos von © akg-images/Werner Forman

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96469-1

E-Book: ISBN 978-3-608-11627-4

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Glossar

Für (1)die deutsche Ausgabe wurde das Glossar in einigen Punkten modifiziert und erweitert.

Abkürzungen im Glossar:

A: Aramäisch(1)

Arab: Arabisch

G: Griechisch

H: Hebräisch

J: Jiddisch

Amida(1)(1) [H]: Wörtl. »stehend«, auch Tefilla (»Gebet«). Auch Schemone Esre oder Achtzehngebet, Hauptgebet bei den täglichen Gebeten morgens, mittags und abends.

Amora, Amoräer(1) (Pl. Amoraim, Amoräer): Wörtl. »Interpreten«. Der Begriff bezieht sich auf die rabbinischen Weisen, die in den Talmuden seit der Beendigung der Mischna(1) um 200 n. d. Z. und bis zum Ende des 5. Jahrhunderts zitiert werden.

Chabad(1) [H]: Akronym für eine von den Lubawitscher Chassidim(1) praktizierte Form der Mystik. »Chabad« steht für »Chochma Bina Da’at«: »Weisheit, Verstand, Wissen«.

Chacham(1) [H]: Wörtl. »Weiser«. Rabbinischer Titel.

Challa(1) [H]: Wörtl. »Teighebe«. Nach der hebr. Bibel, Opfergabe: ein bestimmter Teil des Teigs, der an die Priester zu zahlen war, später verbrannt wurde. Auch Brotlaib in Zopfform für den Schabbat und für Festtage.

Chanukka(1) [H]: Wörtl. »Einweihung«. Fest, das der Wiedereinweihung des Tempels nach dem Makkabäeraufstand(1) gedenkt.

Charedi(1) (Pl. Charedim) [H]: Wörtl. »Gottesfürchtiger«. Bezieht sich auf die modernen Anhänger des ultraorthodoxen Judentums.

Chassid (Pl. Chassidim(1)) [H]: Wörtl. »Fromme(r)«. Bezeichnung, die Anhänger des Chassidismus seit dem 18. Jahrhundert für sich selbst verwenden.

Chassidej Aschkenas(1) [H]: Wörtl. »Die Frommen von Aschkenas«. Jüdische Pietisten im Rheinland(1) und in Nordfrankreich(1) im 12. und 13. Jahrhundert. (2)

Chaver(1) (Pl. Chaverim) [H]: »Kamerad«. 1. In (1)tannaitischen Quellen eine Person, die es mit Abgaben und ritueller Reinheit sehr genau nimmt; 2. zur Zeit der Amoräer(2) und später: ein rabbinischer Weiser.

Chawurah(1) (Pl. Chawurot) [H]: Vereinigung von Juden, die zu religiösen Treffen, gemeinsamem Lernen und Feiern zusammenkommen. (3)

Cherem(1) [H]: Wörtl. »Bann«. Der offizielle Ausschluss einer Person aus der Gemeinschaft.

Chiddusch (Pl. Chidduschim(1)) [H]: »Neuheiten«. Neue, aus Talmud(1)- oder Bibelkommentaren abgeleitete Rechtslehren.

Etrog(1) [H]: Cedrat, eine Art Zitrone, die in der Liturgie des Laubhüttenfestes verwendet wird.

Gaon (Pl. Geonim) (1)[H]: Wörtl. »Exzellenz«, »Majestät«. Titel des Oberhaupts der wichtigsten Akademien im Irak(1) vom 6. bis zum 11. Jahrhundert.

Geniza(1) [H]: Wörtl. »Versteck«, »Aufbewahrung«. Ort zur Deponierung unbrauchbar gewordener heiliger Bücher und anderer Kultgegenstände.

Geonische Periode(1): 6. bis 11. Jahrhundert (vgl. Gaon(2)).(4)

Gesetz: Auf die Tora bezogen zielt der Begriff »Gesetz« auf die Vorschriften zur jüdischen Lebensweise, hebräisch Halacha genannt. »Gesetz« ist ein Begriff aus der griechischen Übersetzung der Tora, der Septuaginta. Dort heißt Gesetz »Nomos«. Die hellenistischen Juden sahen in der Bezeichnung ihrer wichtigsten Schrift als »Gesetz« (Nomos) eine Ehrung, hatten doch die sie umgebenden Völker, polytheistisch geprägt, kein solches Regelwerk. Gleichwohl reden Juden bis heute von den Vorschriften zu ihrer Lebensweise als Mizwot, Geboten Gottes, nicht als Gesetz in einem juristischen Sinn. (5)

Gesetzgeber: vgl. Mose als Gesetzgeber.

Glaube: Bedeutet im Judentum etwas anderes als in unserem heutigen Sprachgebrauch. Es geht im Judentum weder um eine Form von Überzeugung noch um ein Führwahrhalten von Aussagen, welcher Art auch immer. Der hebräische Begriff für »Glaube« lautet – schon in der Tora – »Emunah«. Das bedeutet: »Treue, Festigkeit, Zuverlässigkeit«. »Glaube« bezeichnet mithin die Beziehung der Juden zu Gott. Das gilt aber auch in Wechselrichtung. Die Juden fordern selbiges immer wieder von Gott ein. (6)

Golem(1) [H]: In der kabbalistischen Tradition ein aus Lehm hergestellter, künstlicher, durch Magie erschaffener Mensch.

Haftara(1) (Pl. Haftarot) [H]: In der Synagogenliturgie sowie beim Morgengebet eine Lesung aus den Propheten nach dem Abschluss der Tora(1)-Lesung. (7)

Haggada(1) schel Pessach [H]: Erzählung vom Auszug der Israeliten aus Ägypten(1), dem »Haus der Knechtschaft«. Diese Erzählung wird an Pessach(1), dem jüdischen Freiheitsfest, das außerhalb Israels acht Tage lange gefeiert wird, an den ersten beiden Sederabenden(1) vorgetragen, und zwar begleitet von Gebeten und Gesängen. Auch: Aggada / Haggada als Bezeichnung für erzählende, nicht-halachische Teile der mündlichen Tora(2).

Hairesis(1) (Pl. Haireseis) [G]: Wörtl. »Wahl«. Eine Philosophenschule. (8)

Halacha(1) (Pl. Halachot) [H]: Wörtl. »gehen«, »wandeln«. Vorschriften in der rabbinischen Lehre zur jüdischen Lebensweise.

Hallel(1) [H]: »Lobet den Namen des Herrn«. Psalmenfolge (Ps 113–118), die an Festen und anderen besonderen Tagen in der Synagoge gesungen wird.

Hawdala(1) [H]: Wörtl. »Unterscheidung«. Zeremonie, die am Ende des Schabbats bzw. eines Festtags vollzogen wird.

Hechalot(1) [H]: Wörtl. »Hallen«. Die himmlischen Reiche, durch welche der Visionär in der Merkaba-Mystik zum Thron Gottes emporsteigt.

Jachad(1) [H]: Wörtl. »Gemeinschaft«. Die Selbstbezeichnung der jüdischen Gruppe, von welcher die unter den Schriftrollen vom Toten Meer gefundenen Sektenregeln stammen. (9)

Jahrzeit(1): Wörtl. »Jahrestag«. Bezeichnet den Todestag eines nahen Verwandten. (10)

Jeschiwa(1) (Pl. Jeschiwot) [H]: Akademie, an der die Tora(3) (mit besonderem Schwerpunkt auf dem Babylonischen Talmud(2)) studiert wird.

Jiskor(1) [H]: Wörtl. »Möge Er gedenken«. Synagogenliturgie mit Gebeten im Andenken an die Toten.

Jom Kippur(1) [H]: Versöhnungstag.

Kabbala(1) [H]: Wörtl. »Tradition«. Mystische, von Spanien(1) und der Provence(1) ausgehende Bewegung.

Kaddisch(1) [A]: »heilig«; Gebet der Heiligung und des Lobpreises Gottes, aramäisch mit hebräischen Einschüben. Es gibt fünf Typen des Kaddisch; in der Form des Halbkaddisch zwischen bestimmten Abschnitten der Synagogenliturgie gesprochen; eine der weiteren Formen ist das Waisenkaddisch, das Gebet der Trauernden als Erinnerungsgebet für die Toten.

Kalam(1) [Arab]: Islamische scholastische Theologie.

Keduscha(1) [H]: Wörtl. »Heiligkeit«. Teil der Synagogenliturgie, bezogen auf den Lobpreis Gottes durch die Engel.

Kiddusch(1) [H]: Wörtl. »Heiligung«. Segen, der am Schabbat und an Festtagen über dem Wein gesprochen wird.

Kol Nidre(1) [H]: Gebet zur Befreiung von selbstauferlegten Gelübden, gesprochen zu Beginn von Jom Kippur(2).

Koscher, (1)hebräisch: kascher: Wörtl. »passend« oder »tauglich«. Rituell rein; ganz überwiegend bezogen auf Essen und Trinken.

Maggid(1) (Pl. Maggidim) [H]: Wörtl. »Sprecher«, »Erzähler«. 1. populärer Prediger; 2. himmlische Stimme, die durch einen Mystiker spricht. (11)

Maskil(1) (Pl. Maskilim) [H]: Wörtl. »intelligent«, »Verständiger«, »Unterweiser«. Im 19. Jahrhundert Anhänger der jüdischen Aufklärung (Haskala).

Mas(s)ora(1) [H]: Wörtl. »Überlieferung«. (Sprachliche) Überlieferung des Bibeltextes durch die Mas(s)oreten, Gelehrte in Babylonien(1) und Palästina(1), vom 7. bis zum 10. Jahrhundert, inklusive Angaben zur Vokalisation und Akzentuierung.

Masorti(1) [H]: Wörtl. »traditionell«. Manchmal für das konservative Judentum verwendete Bezeichnung.

Mazza(1) (Pl. Mazzot), auch: Mazze, Mazzes [H]: Ungesäuertes Brot, das an Pessach(2) als einziges Brot verzehrt wird.

Mechilta(1) [A]: Kommentar zum Buch Exodus.

Menora(1) (Pl. Menorot) [H]: Siebenarmiger Leuchter. (12)

Midrasch(1) (Pl. Midraschim(2)), von »darosch«: »suchen«, »forschen« [H]: Auslegung der Schrift (hebr. Bibel).

Mikwe(1) (Pl. Mikwaot [H]: Wörtl. »Sammlung des Wassers«. Ein Ritualbad. (13)

Min(1) (Pl. Minim) [H]: Wörtl. »Art« oder »Spezies«. Häretiker.

Mischna(2) [H]: Im frühen 3. Jahrhundert n. d. Z. zusammengestellte Sammlung rabbinischer Lehrsätze.

Mitnagdim(1) [H]: Wörtl. »Gegner«. Gegner des Chassidismus(2) im 18. und 19. Jahrhundert.

Mizwa (Pl. Mizwot(1)) [H]: Wörtl. »Gebot«. Eine Pflicht, die als religiös gefordert verstanden wird.

Mose als Gesetzgeber: Mose hat dem Volk Israel selber keine »Gesetze« gegeben, er war Mittler des Wortes Gottes. Was Mose tat, war, von den Geboten (hebr. Mizwot) zu künden, die der Ewige ihm nannte und die dieser für das Bundesvolk der Israeliten anordnete. Sofern Mose also ein »Künder« war, kann er »Prophet« genannt werden, denn das Künden vom Wort Gottes war die wichtigste Aufgabe der Propheten. Vgl. auch Gesetz.

Mussar(1) [H]: Von »mussaru«: »Ethik«, »Moral«. Ethische Erneuerungsbewegung, ausgehend vom Osteuropa des 19. Jahrhunderts.

Nasi(1) [H]; Wörtl. »Fürst«. Titel für Autoritätspersonen, vor allem den jüdischen Patriarchen in Palästina(2) im 3. und 4. Jahrhundert n. d. Z.

Omer(1) [H]: Wörtl. »Garbe«. 1. Eine Weizengarbe, die vom Priester im Tempel geschwungen wird; 2. die Periode des Tagezählens zwischen Pessach(3) und Schawuot(1). (14)

Peruschim(1) [H]: Wörtl. »Abgesonderte«. In rabbinischen Texten wird der Begriff als Bezeichnung für die Pharisäer(1) verwendet.

Pessach(4) [H]: 1. Freiheitsfest, das an den Auszug Israels aus Ägypten(2) erinnert, auch Frühlingsfest; 2. das Lamm(1), das in Tempelzeiten am Vorabend des Fests geopfert wurde.

Pilpul(1) [H]: Kasuistische Argumentation beim Talmudstudium.

Pijut(1) (Pl. Pijutim) [H]: Für die Synagogenliturgie bestimmte religiöse Dichtung.

Purim(1) [H]: Fest zu Beginn des Frühjahrs, das die im biblischen Buch Ester(1) beschriebenen Rettung der persischen(1) Juden feiert. (15)

Rabbi(1) (Pl. Rabbinen(2)) [H]: »Mein Meister«. Titel ordinierter Tannaiten(2) und Amoräer(3) in Palästina(3); die babylonischen(2) Amoräer werden als Raw oder Mar bezeichnet. Die Rabbinen(3) lehrten an Akademien und hatten meist zudem einen davon unabhängigen Beruf zum Lebenserwerb. Die Bezeichnung »Rabbi« sollte auf die Rabbinen der jüdischen Antike begrenzt bleiben und nicht auf »Rabbiner« ausgeweitet werden. Ehrentitel waren Rabbenu und Rabban.

Rabbiner(1): Gemeindeangestellter, der die Aufgaben des Lehrers, Richters, Predigers, Fachmanns in der Halacha(2) und des geistlichen Leiters einer Gemeinde wahrnimmt. (16)

Rosch ha-Schana(1) [H]: Neujahrsfest.

Schawuot(2) [H]: Wochenfest, Fest der Erstlingsfrüchte.

Schechina(1) [H]: Göttliche Anwesenheit, Einwohnung.

Schemone Esre(2) [H]: Wörtl. »Achtzehn«. Eine Reihe von neunzehn (früher achtzehn) Segenssprüchen, die regelmäßig im stillen Gebet gesprochen werden. Vgl. Amida(2).

Schma (Schema) Jisrael(1) [H]: »Höre, Israel(1)«. Bekundung der Einheit und Einzigkeit Gottes, die drei biblische Abschnitte einleitet, welche zweimal täglich gesprochen werden. (17)

Schofar(1) [H]: Widderhorn, wird an Neujahr und Jom Kippur geblasen.

Schtetl(1) [J]: Wörtl. »kleine Stadt«. Bezeichnung für jüdische Siedlungen bzw. Kleinstadtgemeinden in Osteuropa.

Seder(2) [H]: Wörtl. »Ordnung«. Liturgie und Festessen am ersten – außerhalb von Israel auch am zweiten – Abend von Pessach(5) in Erinnerung an den Auszug Israels aus Ägypten(3).

Sefira(1) (Pl. Sefirot) [H]: Wörtl. »Ziffern«, »Zahlen«. In der Kabbala(2) eine Emanation des Göttlichen.

Sifra(1) [A]: Kommentar (Midrasch(3)) zum Buch Levitikus. (18)

Sohar(1) [H]: Von den Kabbalisten seit dem 14. Jahrhundert verehrtes mystisches Werk.

Sukkot(1) [H]: Laubhüttenfest. (19)

Tallit(1) [H]: Gebetsschal bzw. -mantel mit Quasten (Schaufäden: Zizit(1)) an den vier Ecken.

Talmud(3) [H]: Kommentar zur Mischna(3), kompiliert zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert.

Tenach(1) [H]: Akronym für die Bibel (Tora(4), Neviim [Propheten] und Ketuvim [Schriften]). (20)

Tanna(3), Tannait (Pl. Tannaim, Tannaiten) [H]: Wörtl. »Wiederholer«. Rabbinischer Lehrer aus der Zeit vor ungefähr 200 n. d. Z.

Targum(1) (Pl. Targumim) [H]: Aramäische Bibelübersetzung.

Tefillin(1) [H]: Phylakterien, Gebetsriemen. Würfelförmige Lederkapseln, die Texte aus dem Pentateuch(1) enthalten und während des Gebetes (mittels Riemen befestigt) an Kopf und Arm getragen werden.

Tora(5) [H]: Wörtl. »Lehre«, »Weisung«. 1. Der Pentateuch(2) (die ersten fünf Bücher der hebräischen Bibel); 2. das gesamte Corpus von rabbinischen Vorschriften (oder Regeln) zu Lebensführung und rabbinischer Praxis. (21)

Tos(s)afot(1) [H]: Wörtl. »Hinzufügungen«. Kommentare zu bestehenden Talmudkommentaren, speziell zu Raschis Talmudkommentar.

Tos(s)efta(1) [A]: Wörtl. »Hinzufügung«. Zusammenstellung rabbinischer Stellungnahmen ähnlich der Mischna(4) und im Allgemeinen als Ergänzung der Mischna verwendet.

Zaddik(1) [H]: Wörtl. »Gerechter«. Im Chassidismus(3) wird der Begriff speziell zur Bezeichnung eines geistlichen Oberhaupts oder eines Rebben (jidd.) benutzt. (22)

Zizit [H]: Quasten an den vier Ecken eines kleinen (unter der Kleidung getragenen) Tallit(2) oder eines großen (als Gebetsschal benutzten) Tallit. (23)

Bemerkung: Erklärende Zusätze stehen im Haupttext zwischen runden Klammern und in Zitaten zwischen eckigen Klammern, außer in Zitaten aus den Schriftrollen vom Toten Meer, die sich nach den Gepflogenheiten in G. Vermes, The Complete Dead Sea Scrolls in English (London, 1997) (vgl. unten S. 705) richten.

Die Abkürzung »b.« wird für das hebräische »ben« (»Sohn von«) benutzt, und die Abkürzung »R.« steht für den hebräischen Titel »Rabbi«.

Einleitung: Annäherung an die Geschichte des Judentums

Am dritten Neumondstag nach dem Auszug der Israeliten(1) aus Ägypten(4), genau am heutigen Tag, gelangten sie in die Wüste Sinai … Als Mose(1) zu Gott hinaufstieg, rief ihm der Herr vom Berg herab zu: So rede zum Haus (1)Jakob und verkünde den Söhnen Israels: Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch zu mir hierhergebracht habe. Wenn ihr nun auf mein Wort hört und meinen Bund(1) haltet, dann werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein, denn mir gehört die ganze Erde. Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten verkünden sollst … Am dritten Tag, als es Morgen wurde, brachen Donner und Blitze los, eine schwere Wolke lagerte sich über dem Berg, und es ertönte mächtiger Hörnerschall. Das ganze Volk, das im Lager war, erbebte vor Furcht. Mose führte das Volk aus dem Lager heraus Gott entgegen, und es stellte sich am Fuß des Berges auf. Der Berg Sinai war ganz in Rauch gehüllt, weil der Herr im Feuer auf ihn herabgekommen war. Der Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens. Der ganze Berg erbebte heftig. Der Hörnerschall wurde immer stärker. Mose(2) redete und Gott antwortete ihm im Donner.

Diese dramatische Darstellung der Offenbarung Gottes vor Mose(3) am Berg Sinai gehört zum biblischen Buch Exodus. Die Geschichte des Judentums besteht aus der fortgesetzten, mannigfaltigen Geschichte der Interpretation des Bundes(2) dieses »heiligen Volks« über rund drei Jahrtausende.[1]

Mehr als tausend Jahre, nachdem der Überlieferung zufolge dem Mose(4) diese Offenbarung gewährt wurde, fügte der in Jerusalem(1) wirkende Priester und Historiker Flavius Josephus(1) die früheste erhaltene Theologie des Judentums für eine nicht-jüdische Leserschaft in sein Werk Gegen Apion ein, eine Verteidigung jüdischer Traditionen gegen die Verleumdungen heidnischer Autoren. Josephus schrieb dem Mose(5) die Schaffung einer neuen, vollkommenen Verfassung für die Menschheit zu, einer Verfassung, die sich von allen anderen damals bekannten Verfassungen – der Monarchie, der Demokratie und der Oligarchie – so signifikant unterschied, dass sie begrifflich nur durch die Erfindung eines neuen griechischen(1) Wortes gefasst werden konnte: theokratia, »Theokratie«, denn Mose hatte betont, dass Gott alles in der Hand hatte: »Mose machte Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil von Tugend, sondern erkannte und erläuterte die übrigen guten Eigenschaften … als Teil der Frömmigkeit … Denn alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei uns Beziehung zur Frömmigkeit gegen Gott.«[2]

Mose(6) war bereits zur Zeit des Josephus(2), in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. d. Z., eine in Mythen gehüllte heroische Gestalt. Josephus sagte, Mose habe zweitausend Jahre vor seiner Zeit gelebt, und er versicherte nachdrücklich: »Ich stelle nun die Behauptung auf, dass unser Gesetzgeber alle irgend sonst in der Geschichte erwähnten Gesetzgeber an hohem Alter übertrifft.« Nicht-Juden, für die Josephus seine Theologie verfasste, nahmen Mose deutlich weniger enthusiastisch wahr. Dass die Juden Mose als ihren Gesetzgeber – beziehungsweise den Propheten, der von den Geboten (Mizwot) (2)kündete – ansahen, war Römern(1) wie Griechen(2) bekannt. Im späten 4. Jahrhundert v. d. Z. bezeichnete ihn Hekataios(1) von Abdera als »hervorragend sowohl hinsichtlich seiner Weisheit als auch seines Mutes«. Andere hingegen griffen Mose als Scharlatan und Betrüger an – Quintilian(1), ein Zeitgenosse des Josephus und bedeutender römischer Rhetoriklehrer, ging so weit, Mose(7) als Beispiel dafür anzuführen, dass es »für die Gründer von Städten eine Schmach [ist], ein Volk gesammelt zu haben, das anderen Verderben bringt«, wobei er nicht einmal den Namen des Besagten nennen musste – er bezeichnete ihn lediglich als den »Stifter des jüdischen Aberglaubens«. Je mehr Außenstehende das Judentum angriffen, desto nachdrücklicher beharrte ein frommer Jude wie Josephus auf der Vortrefflichkeit seiner Verfassung, welche »Gott, den Lenker des Weltalls, an die Spitze stellt«. Und rhetorisch fragt Josephus: »Wo wäre eine gleich ehrwürdige Staatsverwaltung zu finden? Wo eine, die mit der Ehrfurcht gegen Gott in schönerem Einklang stünde? Wenn alle Schichten des Volkes zur Frömmigkeit erzogen werden, … sieht das nicht aus, als ob das gesamte öffentliche Leben eine einzige heilige Festfeier wäre?«[3]

Der Unterschied zu anderen Völkern veranlasste Josephus(3) auch, zu versichern, dass sämtliche Juden in allem übereinstimmen, was ihre Religion betrifft, weil sie nämlich in den Gesetzen, die ihr Leben bestimmen, unterwiesen werden, so dass diese Gesetze »in unsere Seelen sozusagen eingegraben sind«:

Dies vor allem hat die wunderbare Eintracht unter uns geschaffen. Denn eine und dieselbe Überzeugung von Gott haben, im Leben und in den Sitten sich nicht voneinander unterscheiden – das bringt die schönste sittliche Übereinstimmung unter den Menschen zustande. Wir sind die einzigen, bei denen man keine sich widersprechenden Ansichten von Gott hört, wie solches vielfach bei anderen Völkern der Fall ist, wo oft nicht nur der gemeine Mann seine unsinnigen Einfälle über die Gottheit verlauten lässt, sondern auch manche Philosophen das gleiche tun, indem die einen das Dasein Gottes überhaupt zu leugnen sich erkühnen, andere wenigstens seine Fürsorge für die Menschen in Abrede stellen. Auch in Bezug auf die Lebensweise sieht man bei uns keine Verschiedenheiten; vielmehr ist unser aller Tun ein gemeinsames, getragen von dem einheitlichen, dem Gesetz entsprechenden Bekenntnis, dass Gottes Auge alles sieht.[4]

Im weiteren Verlauf dieses Buches kristallisiert sich heraus, dass die »Einheit« und »Einförmigkeit« hinsichtlich der Glaubenspraxis und der Glaubensinhalte, durch die sich die Juden von den Griechen(3) und anderen Polytheisten in der antiken Welt – mit deren Vielzahl an Gottheiten, Kulten, Mythen und Gepflogenheiten – unterschieden, nicht nur damals, sondern im Verlauf seiner gesamten Geschichte immer noch viel Raum ließ für Vielfalt und Diversität innerhalb des Judentums.

Eine Geschichte des Judentums ist keine Geschichte der Juden – und doch ist das Judentum die Religion des jüdischen Volkes. Dieses Buch wird daher die politische und kulturelle Geschichte der Juden nachzeichnen, sofern sie von ihren religiösen Vorstellungen und Praktiken beeinflusst ist. Zugleich ist das Judentum eine Weltreligion – nicht nur in dem Sinn, dass das jüdische Volk durch die Umstände gezwungen war, sich im Lauf der Jahrtausende weit zu zerstreuen, so dass seine religiösen Vorstellungen häufig, sei es durch Übernahme oder Ablehnung, die weitere nicht-jüdische Welt reflektierten, in der es sich vorfand. Das Judentum ist nicht so markant von der ethnischen Zugehörigkeit losgelöst wie einige andere Weltreligionen, etwa das Christentum(1), der Islam(1) oder der Buddhismus(1) (obwohl auch innerhalb dieser Religionen religiöse Identität manchmal ein ethnisches oder kulturelles Kennzeichen sein kann). Jüdische Identität wurde aber – lange bevor sich Josephus(4) über die Vortrefflichkeit der Verfassung äußerte, die Mose(8) zugeschrieben wurde – ebenso sehr durch Religion wie durch Geburt definiert. Spätestens im 2. Jahrhundert v. d. Z. akzeptierten fast alle Juden diejenigen Proselyten – also zum Judentum übergetretenen Ungläubigen – als Juden, die jüdische Bräuche übernehmen und sich selbst als Juden bestimmen wollten. Während der längsten Zeiträume der Geschichte, die Gegenstand dieses Buchs ist, hatte das Judentum das Potential, eine universelle Religion zu sein. Juden waren überzeugt, dass ihre Religion allgemein bedeutsam ist, obgleich Juden es (im Unterschied zu den Christen) nie als ihre universelle Mission ansahen, andere zu ihrer Religion zu bekehren.[5]

Der Versuch, die religiösen Aspekte der jüdischen Kultur über rund drei Jahrtausende hinweg herauszustellen, zu beschreiben und zu erklären, ist eine Aufgabe, die einen einzuschüchtern vermag – nicht nur aufgrund der Überfülle an Material und des Ausmaßes der damit einhergehenden Gelehrsamkeit. In den letzten 2000 Jahren gab es eine große Vielfalt von Ausprägungen des Judentums. Einfach wäre es, das Wesen des Judentums im Licht jener Charakteristika zu bestimmen, die von dem einen oder anderen seiner gegenwärtigen Zweige als zentral angesehen werden, und die Entwicklung dieser Charakteristika im Verlauf der Jahrhunderte nachzuverfolgen.

Dergleichen historische Darstellungen wurden in vergangenen Jahrhunderten tatsächlich verfasst. Allerdings ist es offenkundig unbefriedigend, anzunehmen, das, was heute wesentlich zu sein scheint, habe schon immer als wesentlich gegolten. Jedenfalls darf man nicht davon ausgehen, es habe innerhalb des Judentums schon immer eine Hauptströmung gegeben und andere Auffassungen der Religion halte man für »Nebenflüsse«. Das Bild eines großen Traditionsstroms oder auch eines Baums mit zahlreichen Ästen ist zwar verführerisch, aber gefährlich, denn die wichtigsten Aspekte des heutigen Judentums haben unter Umständen kaum eine Verbindung zur Antike. So versteht es sich beispielsweise von selbst, dass die zentrale liturgische Handlung vor 2000 Jahren – die Durchführung des Opferkultes im Tempel von Jerusalem(2) – wenig mit den meisten Formen des Judentums heute zu tun hat.[6]

Um zu vermeiden, der Geschichte des Judentums ein erfundenes Narrativ überzustülpen und daraus die Prioritäten der Jetztzeit abzuleiten, könnte man nun versuchen, so objektiv wie möglich die unterschiedlichen Formen von Judentum zu beschreiben, die jeweils zu ihrer Zeit in Blüte standen. Man könnte dann der Familienähnlichkeit zwischen diesen unterschiedlichen Formen die Rechtfertigung dafür überlassen, dass man sie alle im Rahmen einer einzigen historischen Darstellung behandelt. Für diese pluralistische Herangehensweise spricht vieles, allerdings muss sie für sich genommen doch eher unbefriedigend wirken, da Außenstehende schon immer dazu neigten, das Judentum als eine einheitliche Religion wahrzunehmen, so vielfältig es, von innen betrachtet, auch sein mochte. Der Gemeinplatz von der Tugend der Einheit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft kommt im religiösen jüdischen Schrifttum bereits seit der Bibel vor. Brächte der Historiker nichts weiter zustande, als eine Unmenge an befremdlichen Ausprägungen des Judentums in den vergangenen Jahrhunderten zu beschreiben, ohne Verbindungen zwischen ihnen herzustellen, hätte man am Ende ein Kuriositätenkabinett, das den Leser einerseits amüsiert, andererseits verwirrt. Allerdings gäbe es keine Geschichte, die erklären könnte, warum das Judentum sich auf eine bestimmte Weise entwickelt hat und noch heute eine Religion ist, die das Leben von Millionen von Menschen bestimmt.

Die Vorgehensweise dieses Buchs ergibt sich daher aus einer Verknüpfung der nicht apologetischen, zeitlich zusammenhängend erzählten Geschichten früherer Generationen und der »polythetischen« Beschreibungen durch zeitgenössische Gelehrte, denen es darauf ankommt, für die Ansprüche sämtlicher Traditionen offen zu bleiben. Das Buch verfolgt die unterschiedlichen Ausprägungen des Judentums, von denen man weiß, dass sie zu einer bestimmten Zeit jeweils nebeneinander existierten, und untersucht dann – soweit die Zeugnisse es zulassen – die Beziehungen zwischen diesen. Dieses Buch versucht zu ermitteln, wann und wo unterschiedliche Zweige des Judentums miteinander um Legitimität und Anhänger konkurrierten und wann und wo eine Richtung die andere tolerierte, sei es in einem Geist offener Zustimmung oder widerstreitender Animositäten.[7]

Das Judentum hat eine reiche Geschichte an Zerwürfnissen: Teilweise stritt man sich wegen Angelegenheiten, die dem Außenstehenden unbedeutend erscheinen dürften. Trotz der Rhetorik, die von religiösen Enthusiasten gegen ihre Gegner zum Einsatz gebracht wurde, kam es zwischen Juden kaum zu religiös motivierter Gewalt. Die biblische Geschichte von Pinhas(1), der das Gesetz selbst in die Hand nahm, um der Unmoral ein Ende zu bereiten, indem er mit einem einzigen Speerstich einen lasterhaften Israeliten(2) und die Götzendienerin durchbohrte, die dieser in seine Familie gebracht hatte, lieferte ein Vorbild für Zelotismus, worauf allerdings nur selten Bezug genommen wurde. Es gibt im Judentum nichts, was sich mit den Religionskriegen der Christen(2) im Europa der Frühmoderne vergleichen ließe oder mit der tiefen Feindseligkeit, die zeitweise die Beziehungen zwischen Sunniten und Schiiten(1) im Islam(2) gestört hat. Dieses Buch erkundet unter anderem das Ausmaß an Toleranz innerhalb des Judentums.[8]

Gleichzeitig muss eine historische Darstellung versuchen, die Entwicklungen innerhalb des Judentums von einer geschichtlichen Phase zur nächsten nachzuzeichnen. Wenn irgend möglich versuche ich zu zeigen, wie jede Form des Judentums beanspruchte, auf einer Form vorangegangener Generationen zu beruhen. Zudem werden einzelne Elemente früherer Traditionen identifiziert, auf die aktuell abgehoben werden sollte. Da die Anhänger der meisten Ausprägungen des Judentums ihre Treue zur Vergangenheit betonten, dürfte es befremden, dass sich so viele unterschiedliche Varianten ausbildeten. Hinter konservativen Verlautbarungen verbargen sich offensichtlich häufig Wandel und Erneuerung. Diese Geschichte des Judentums wird zwischen Erneuerungsbemühungen, die das religiöse Leben der Juden in späteren Epochen beeinflusst haben, und jenen, die sich als Sackgassen erwiesen, unterscheiden.

Eindeutig zu bestimmen, wer ein Jude ist, fällt grundsätzlich schwer. Die Vorstellung, jüdische Identität sei vor dem Anbruch der Moderne mit ihren Komplexitäten eine sichere, unproblematische Angelegenheit gewesen, ist falsch. In allen historischen Phasen kam es vor, dass diejenigen, die sich selbst als Juden verstanden, nach der Auffassung anderer gar keine Juden waren. Bereits zur Zeit des Josephus(5) gab es Unsicherheiten im Hinblick auf den Status eines Kindes mit nur einem jüdischen Elternteil – ungefähr im 1. Jahrhundert n. d. Z. begannen Juden, den Status der Mutter, nicht den des Vaters, als ausschlaggebend anzusehen. Damals wie heute konnte es vorkommen, dass die Konversion eines Heiden zum Judentum von der einen jüdischen Gruppierung anerkannt wurde, von einer anderen hingegen nicht.

In diesem Buch soll nach dem praktikablen Gesichtspunkt vorgegangen werden, dass alle Individuen oder Gruppen einbeschlossen sind, die sich mit allen dreien der wichtigsten Namen identifizieren, mit denen Juden sich in ihrer Geschichte selbst bezeichnet haben: »Israel(2)«, »Hebräer« und »Jude« haben jeweils spezifische Ursprünge, wurden allerdings später von Juden fast synonym verwendet. Die Entscheidung einiger Gruppen, die sich vom Judentum abspalteten, wie die Samaritaner(1) und einige frühe Christen(3), sich im bewussten Unterschied zu »Jude« als »Israel« zu bezeichnen, markierte dagegen einen klaren Bruch.

Auch für die Juden, die im »Schoß der Familie« blieben, konnten die Konnotationen dieser unterschiedlichen Benennungen stark voneinander abweichen. Im Englischen klang das Wort »Hebräer« für einen Juden im 19. Jahrhundert eher höflich, mittlerweile könnte es etwas anstößig wirken. Französische(2) Juden im 19. Jahrhundert bezeichneten sich als »israélites«, und erst kürzlich hat »juif« seinen abwertenden Beigeschmack verloren. Die terminologischen Verschiebungen, die bei Hebräisch und Griechisch sprechenden Juden im Hinblick auf ihre Selbstbezeichnungen zu Zeiten politischer Unsicherheiten im 1. Jahrhundert n. d. Z. auftraten, lassen vermuten, dass dies kein neuzeitliches Phänomen ist. Alles hängt vom Kontext ab, und der Kontext hilft seinerseits, viele Entwicklungen innerhalb des Judentums zu erörtern. Dieses Buch befasst sich mit der allgemeinen Geschichte großer Teile des Nahen und Mittleren Ostens und Europas sowie (für spätere Perioden) mit Amerika und noch weiter entfernten Regionen, um jene religiösen Veränderungen zu erklären, die sein Hauptanliegen darstellen.

Der Einfluss, den Weltereignisse auf Juden haben, hat also die Perioden geprägt, in welche die Geschichte des Judentums in diesem Buch aufgeteilt ist: von den Imperien des Nahen Ostens, Griechenlands(4) und Roms(2) zur Christianisierung Europas, dem gewaltigen Einfluss des Islam(3) und der Schaffung der modernen Welt seit der Renaissance über die Aufklärung bis hin zur komplexen jüdischen Welt der Gegenwart, in welcher die Schicksale vieler Juden, die in der Diaspora leben, eng mit dem Nationalstaat Israel(3) verknüpft sind.

Lediglich eine einzige Periode ist durch ein Ereignis definiert, das eigens zur jüdischen Geschichte gehört. Mit der Zerstörung des Zweiten Tempels von Jerusalem(3) im Jahr 70 n. d. Z. begann eine neue Ära in der Entwicklung des Judentums, die sich tiefgreifend auf seine sämtlichen Formen, die bis heute überlebt haben, auswirkte. Wahrscheinlich konnte damals kein Jude auch nur ahnen, wie tiefgreifend sich seine Religion infolge der Tempelzerstörung verändern sollte. Nichtsdestoweniger ist es angemessen, das Jahr 70 als Wasserscheide in der Geschichte des Judentums zu verstehen – nicht zuletzt um die christlichen(4) theologischen Auffassungen vom Judentum zu korrigieren. Diese begreifen das Judentum als Religion des »Alten Testaments«, das durch das aufkommende Christentum verdrängt und überflüssig gemacht worden sei. Das Judentum der Rabbinen(4), das die Religion sämtlicher Juden in der modernen Welt geprägt hat, entwickelte sich faktisch während des ersten Jahrtausends parallel zur christlichen Kirche. Das rabbinische Judentum basiert auf der Textsammlung, die von den Christen als Altes Testament bezeichnet wird, von den Juden als Tenach, die Hebräische Bibel. Die Rabbinen(5) bezeichneten insbesondere den Pentateuch(3), die ersten fünf Bücher der Hebräischen Bibel, als Tora(6) (»Lehre«, »Weisung«). Denselben Begriff Tora(7) verwendeten sie außerdem für sämtliche Weisungen, die dem jüdischen Volk durch göttliche Offenbarung zuteil wurden. Die Rabbinen(6) lasen die Bibel jedoch nicht nur wortwörtlich. Durch die Entwicklung von Techniken des Midrasch(4) (»Auslegung«) fügten sie in die Halacha(3) (das »Gesetz«) ihre Interpretationen der biblischen Texte in Verbindung mit Rechtsregelungen ein, die durch Gewohnheit und mündliche Überlieferung weitergegeben worden waren. Faktisch ist die Halacha(4), vor allem in der Form, in der sie im Babylonischen(3) Talmud(4) erhalten ist, ebenso fundamental für das rabbinische Judentum wie die Bibel.

Im Lauf der Jahrhunderte wurde das Judentum in einer großen Bandbreite von Sprachen formuliert, die diese umgebenden Kulturen reflektierten. Die Nationalsprache der Juden ist das Hebräische. Doch es findet sich in der Bibel außerdem Aramäisch(2) (die Volkssprache des Nahen Ostens im 1. Jahrtausend v. d. Z.). Die meisten jüdischen Schriften, die aus dem 1. Jahrhundert n. d. Z. erhalten sind, wurden in Griechisch, grundlegende Werke der jüdischen Philosophie seit dem Mittelalter auf Arabisch verfasst.

In einem in englischer(1) Sprache geschriebenen Buch ist es heikel, Nuancen angemessen zu vermitteln, die zu den unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Welten gehören, aus denen diese Texte hervorgingen. Ebenso prekär ist es, das Ausmaß zu verdeutlichen, wie Juden immer wieder begreifen mussten, dass sich Fachausdrücke oder Benennungen völlig unterschiedlichen Ursprungs auf ein und dieselbe Sache bezogen. Der Landstreifen an der Ostküste des Mittelmeers, der, wie es in der Bibel heißt, dem jüdischen Volk versprochen worden war, wird in den frühesten biblischen Texten als Kanaan bezeichnet, in anderen Bibelstellen aber auch als das Land Israel(4). Im persischen(2) Reich war dieser Landstreifen als Provinz Jehud bekannt, unter griechischer(5) Herrschaft als Judäa(1); vom römischen(3) Staat wurde die Region im Jahr 135 n. d. Z. zur Provinz Syro-Palästina(4) erklärt. Auf den heutigen Leser mag das manchmal verwirrend wirken, doch die Entscheidung für einen bestimmten Namen war häufig bedeutsam, und ich habe, so weit irgend möglich, die Quellen für sich selbst sprechen lassen.

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