Vorwort

Unser tägliches Leben und die Entwicklung unserer Welt werden bestimmt durch komplexe, miteinander verkoppelte dynamische Systeme: Menschen, Tiere, Pflanzen, Wälder, Technik, Betriebe, Städte, Staaten. Obwohl oft beständig in ihrer äußeren Gestalt, werden sie von meist unsichtbaren Prozessen laufend verändert und verändern dabei ihre Umwelt. Kenntnis über die mögliche Dynamik ist in vielen Bereichen lebenswichtig. Die dynamischen Prozesse müssen mit den Mitteln der Systemanalyse erschlossen werden: mit der mathematischen Modellbildung und der Computersimulation.

Der Band Systemzoo 1 – Elementarsysteme, Technik und Physik ist der erste von drei Teilen des Systemzoos, in dem insgesamt etwa 100 Simulationsmodelle komplexer Systeme dokumentiert sind. Die Bände Systemzoo 2 – Klima, Ökosysteme und Ressourcen (ISBN 3-8334-1240-2) und Systemzoo 3 – Wirtschaft, Gesellschaft und Entwicklung (ISBN 3-8334-1241-0) vervollständigen diese Sammlung von Simulationsmodellen.

Sämtliche Modelle (im weltweit verwendeten „System Dynamics“ Standard) sind ausführlich und vollständig dokumentiert, ausgeprüft und lauffähig und können mit frei verfügbarer ausgefeilter Simulationssoftware mit äußerst umfangreichen Bearbeitungsmöglichkeiten betrieben werden. Die Modelle sind vom Umfang her klein genug, um ohne großen Aufwand implementiert und bearbeitet werden zu können, aber sie zeigen meist komplexes Verhaltens, das intuitiv nicht mehr verlässlich abschätzbar wäre. Die Computersimulation verschafft auf einfache Weise einen Zugang zum Verständnis solcher Systeme und einen Einblick in die überraschende Vielfalt ihres möglichen Verhaltens – ähnlich einem Zoo voller exotischer Tiere. Umfangreiche Arbeitsvorschläge für jedes Modell erleichtern dieses Kennenlernen.

Kapitel 1 Elementarsysteme (im hier vorliegenden Systemzoo 1) stellt kleinere Systeme vor, die sich als Komponenten in vielen Systemen finden und deren Dynamik maßgeblich bestimmen (wie exponentielles und logistisches Wachstum, Schwingungen, Verzögerungen usw.). Dieses Kapitel ist auch eine Einführung in die praktische Seite der Modellbildung und Simulation. Kapitel 2 Technik und Physik (ebenfalls im Systemzoo 1) befasst sich mit einem Gebiet, in dem die mathematische Modellbildung dynamischer Systeme entstanden ist und in dem Simulationen seit jeher große Bedeutung haben. Hier werden auch die Verhaltenseigenheiten komplexer (nichtlinearer) Systeme untersucht, wie z.B. Grenzzyklen, Attraktoren, mehrfache Gleichgewichtspunkte, Chaos. Aus den Bereichen Regeltechnik, Flugdynamik, Wärmeübergang und Strömungsforschung werden komplexere Modelle dokumentiert.

In Kapitel 3 Klima und Pflanzenwuchs (im Systemzoo 2) werden Anwendungen aus den Bereichen der Klimaforschung, des globalen CO2-Haushalts, der Photoproduktion der Pflanzen, des Waldwachstums sowie des Wasser-, Energie- und Nährstoffhaushalts der Pflanzenproduktion in der Landwirtschaft vorgestellt. Kapitel 4 Ökosysteme und Ressourcen (ebenfalls im Systemzoo 2) befasst sich vor allem mit der Dynamik, die sich durch die Interaktion von Pflanzen, Tieren und Menschen mit anderen Organismen und den Ressourcen der Umwelt ergibt: durch Konkurrenz um Nahrung und Nährstoffe und durch Nutzung erneuerbarer und Ausbeutung nicht erneuerbarer Ressourcen.

In Kapitel 5 Wirtschaft und Gesellschaft (im Systemzoo 3) werden dynamische Prozesse in diesem Bereich erfasst und simuliert: Produktion, Lagerhaltung, Verkauf und Konsum, Konkurrenz um Märkte, persönliche Lebensplanung, Arbeitslosigkeit, Einflüsse von Steuern auf Verkehrsentwicklung und Wirtschaft und schließlich auch sozialpsychologische Prozesse wie Eskalation, Abhängigkeit und Aggression. Kapitel 6 Globale Entwicklung (ebenfalls in Systemzoo 3) bringt Simulationsmodelle, die für die Untersuchung längerfristiger gesellschaftlicher Entwicklungen Bedeutung haben: Bevölkerung, Wohnraum, Lebensunterhalt, Renten, Staatsverschuldung, Globalisierung, internationale Konkurrenz, Weltmodelle (mit den Originalmodellen von Forrester und Meadows vom MIT). Vorgestellt wird auch die nichtnumerische Wissensverarbeitung zur Simulation von komplexen Entscheidungsvorgängen und für Folgenabschätzungen.

Der Systemzoo fasst Ergebnisse umfangreicher Forschungsvorhaben und jahrzehntelange Erfahrungen in der Lehre, Modellentwicklung und Simulation zusammen. Er ist besonders geeignet für Lehrveranstaltungen und Praktika in Modellbildung und Simulation, wie auch für eigenständige Projektarbeit in Schule, Hochschule und Forschung und Selbststudium. Die drei Bände des Systemzoos werden ergänzt durch das Begleitbuch: H. Bossel 2004: Systeme, Dynamik, Simulation – Modellbildung, Analyse und Simulation komplexer Systeme, Books on Demand, Norderstedt (ISBN 3-8334-0984-3), das die theoretischen und praktischen Grundkenntnisse der mathematischen Modellbildung und Computersimulation dynamischer Systeme vermittelt.

Zierenberg, im Mai 2004

Hartmut Bossel

Anmerkung zur 2. Auflage 2007:

Neben Schreibfehlern wurden in dieser Auflage einige Ergänzungen und Programmkorrekturen bei Modellen Z210, Z213 und Z214 vorgenommen. Sämtliche Modelle sind mit der Simulationssoftware auf CD verfügbar: H. Bossel: Systemzoo CD – 100 Simulationsmodelle, co.Tec Verlag Rosenheim 2005. Alle Systemzoo-Bücher und Programme sind 2007 auch auf Englisch erschienen (s. letzte Seite).

Inhalt

  1. 1 ELEMENTARSYSTEME
  1. 2 TECHNIK UND PHYSIK

Einführung in den Systemzoo

Unser tägliches Leben und die Entwicklung unserer Welt werden bestimmt durch Myriaden komplexer und miteinander verkoppelter dynamischer Systeme. Wir sehen sie in ihrer äußeren statischen Gestalt: Menschen, Tiere, Pflanzen, Wälder, Technik, Betriebe, Städte, Staaten. Aber wir kennen sie kaum – und erkennen sie selten – als dynamische Systeme, die von meist unsichtbaren Prozessen ständig verändert werden und dabei ihre Umwelt verändern. Diese Seite entzieht sich meist der direkten Beobachtung. Sie muss mit den Mitteln der Systemanalyse erschlossen werden, so wie uns auch erst die Röntgen-Aufnahme Aufschluss über die Organe und Prozesse geben kann, die unseren Körper funktionieren lassen.

Tiere und Systeme lassen sich zwar abbilden und in Lexika und Lehrbüchern ausführlich beschreiben, aber um ihr Verhalten kennen zu lernen und zu verstehen, müssen wir sie über längere Zeit unter unterschiedlichen Bedingungen beobachten. Um vielen Menschen die Möglichkeit zur Tierbeobachtung zu geben, hat man Zoologische Gärten geschaffen. Im Zoo können wir das lernen, was Tierbücher kaum bieten können: Verhaltensdynamik des lebenden Wesens, oft sogar in direkter Interaktion mit uns. Und der Zoo bietet in seinen verschiedenen Abteilungen eine Sammlung sehr unterschiedlicher Tiere mit ganz verschiedenem Verhalten: Säugetiere und Vögel, Amphibien und Fische, große und kleine Tiere, Einzelgänger und Herdentiere.

Die drei Bände des Systemzoos bieten in sechs Kapiteln eine Sammlung von etwa hundert Simulationsmodellen komplexer dynamischer Systeme aus allen Lebensbereichen, in den Abteilungen: Elementarsysteme, Technik und Physik, Klima und Pflanzenwuchs, Ökosysteme und Ressourcen, Wirtschaft und Gesellschaft, Globale Entwicklung. Diese Simulationsmodelle können und sollen mit einfach zu bedienender Simulationssoftware zum Leben erweckt werden. Die Modelle sind am Beginn jeden Kapitels kurz beschrieben. Es empfiehlt sich, zunächst diese Beschreibungen zu lesen, um einen Überblick über den Systemzoo und seine Bewohner zu erhalten.

Die Modelle und ihre Simulationsprogramme sind vollständig dokumentiert. Sie können mit Hilfe frei verfügbarer interaktiver Simulationssoftware mit wenig Aufwand auf dem eigenen PC erstellt und zum Leben erweckt werden. Erst das Arbeiten mit diesen „Systemtieren“ bringt die oft überraschenden Erkenntnisse über ihre Dynamik und ihre nicht selten absonderlichen Verhaltensweisen. Im Interesse der Platzersparnis ist für jedes Modell meist nur ein repräsentativer Simulationslauf dokumentiert – das Verhaltensspektrum ist aber immer viel reichhaltiger als dort gezeigt werden kann. In jeder Modellbeschreibung wird daher auf weitere interessante Untersuchungsmöglichkeiten hingewiesen, die man auch ausführlich nutzen sollte, um das Verhalten wirklich zu verstehen. Wichtig: Die meisten Modelle sind „generisch“ und gelten daher auch in ganz anderen Anwendungsbereichen. Hinweise dazu finden sich in der jeweiligen Modellbeschreibung.

Wie bei einem Zoobesuch auch, so sollte man sich im Systemzoo zunächst auf diejenigen Systeme konzentrieren, die einen besonders interessieren. Wem das Gebiet der Simulation neu ist, der sollte sich zunächst mit einigen einfachen Systemen aus dem Kapitel ELEMENTARSYSTEME beschäftigen, um sich vor allem auch mit der Simulationssoftware und ihren vielen Bearbeitungsmöglichkeiten vertraut zu machen. Hierzu wird auch auf die ausführlichen Dokumentationen und Lehrbeispiele verwiesen, die mit der Simulations-Software geliefert werden. Die Modelle in den verschiedenen Kapiteln sind weitgehend unabhängig von einander und bauen selten aufeinander auf. Es ist daher nicht notwendig (und nicht empfehlenswert), die Modelle nacheinander „abzuarbeiten“. Man sollte sich eher vom eigenen Interesse und der Freude am Erforschen fremder „Tiere“ leiten lassen.

Die Simulationsmodelle wurden mit der Software Vensim PLE® (Personal Learning Environment) entwickelt, die für Lehrzwecke und Privatgebrauch frei im Internet verfügbar ist (http://www.vensim.com). Die hier verwendete Symbolik („System Dynamics“) wird auch von anderen weit verbreiteten Simulationsverfahren wie Stella® (bzw. ithink®, http://www.hps-inc.com) und Powersim® (http://www.powersim.com) verwendet, so dass die hier vorgestellten Modelle auch ohne weiteres mit diesen (und anderen) Verfahren bearbeitet werden können. Alle Simulationsmodelle wurden ausführlich überprüft, vor allem auch auf Stimmigkeit der verwendeten Einheiten. Bei einigen Modellen wurden (auf „1“) normierte dimensionslose Zustandsgrößen verwendet, die sich aber auf einfache Weise auch an reale dimensionsbehaftete Aufgabenstellungen anpassen lassen (s. hierzu Bossel1 SDS 2004, bes. S 148-156).

Bei den Modelldokumentationen wird (mit wenigen Ausnahmen) die gleiche Notation verwendet: Veränderliche Modellgrößen sind in Kursivschrift angegeben; für (meist konstante) Vorgabegrößen werden KAPITÄLCHEN verwendet. In den Systemdiagrammen sind Zustandsgrößen als Kästen gezeichnet.

Die genannten Software-Systeme zeichnen sich durch große Benutzerfreundlichkeit aus. Ihr Gebrauch ist rasch und einfach erlernbar. Die Software-Systeme unterscheiden sich etwas, arbeiten aber immer nach dem gleichen Schema. Um die im Systemzoo dokumentierten Simulationsmodelle aufbauen und berechnen zu können, sind immer die folgenden Arbeitsschritte auszuführen:

1. Simulationszeitparameter eingeben und Modell unter eigenem Namen speichern. Die Zeitabfrage erscheint meist als erstes Formular; die Angaben können später geändert werden.

2. Systemgrößen auf dem Bildschirm platzieren. Hierzu entsprechende Schaltfläche für 1. Zustandsgröße („Level“), 2. Zustandsraten („Rate“) oder 3. andere Systemgröße („Variable“) anklicken, entsprechendes Symbol an der gewünschten Stelle auf dem Bildschirm platzieren und per Mausklick ablegen (dabei Zustandsrate (= „Ventil“) durch „Rohr“ mit Zustandsgröße verbinden). Namen der Systemgröße eingeben.

3. Systemgrößen durch Wirkungspfeile verbinden. Hierzu Schaltfläche für die Verbindungspfeile anklicken, auf Gebergröße klicken, Pfeil zur Nehmergröße ziehen und Pfeil durch Klicken ablegen. Wenn Größen im Simulationsdiagramm zu weit auseinander liegen, können sie über „Shadow“ oder „Ghost“ Variable verbunden werden (in den Diagrammen in <spitzen> Klammern).

4. Systemgrößen quantifizieren. Hierzu zuerst Schaltfläche für „Equations“ und dann nacheinander alle Größen einzeln anklicken. Es erscheint jetzt ein Formular mit dem (im 2. Schritt eingegebenen) Namen der Größe und den Namen sämtlicher damit verbundener Eingangsgrößen (definiert durch die Wirkungspfeile). Im Formular ist die mathematische Funktion festzulegen, mit der aus den Eingangsgrößen die Systemgröße berechnet werden soll. Bei konstanten Parametern sind die Zahlenwerte einzugeben.

5. Simulation starten. Das Programmsystem prüft die Simulationsfähigkeit und meldet Fehler. Sind diese korrigiert, kann mit „Run“ simuliert werden. Normalerweise wird Euler-Cauchy-Integration benutzt, aber auch das genauere Runge-Kutta-Verfahren (RK4) kann gewählt werden.

6. Ergebnisse und ihre Darstellung auswählen. Jede Systemgröße kann mit einer Vielfalt von Darstellungsmöglichkeiten (Diagramme, Tabellen) im Zeitdiagramm oder Zustandsbild einzeln oder zusammen mit anderen Größen dokumentiert werden.

Simulationsmodelle dynamischer Systeme sind mathematische Modelle, die mit Differenzen- bzw. Differentialgleichungen arbeiten, die die (zeitliche) Veränderung von „Zustandsgrößen“ beschreiben. Es ist nicht unbedingt erforderlich, diesen mathematischen Apparat zu kennen, um mit Simulationsmodellen zu arbeiten und diese auch selbst zu entwickeln. Wer mit den Modellen des Systemzoos arbeitet und sich bei ersten eigenen Modellbildungsversuchen auch an den dort verwendeten Verfahren orientiert, wird bei den eigenen Versuchen auch Erfolg haben. Wer sich mit dem theoretischen und mathematischen Hintergrund der Modellbildung und Simulation dynamischer Systeme befassen möchte, den verweise ich auf das Begleitbuch Bossel SDS 2004 (s. Fußnote). Hier werden insbesondere auch Konzepte wie Zustandsgleichung, normierte und dimensionslose Größen, Gleichgewicht, Schwingung, Stabilität und Instabilität, Linearisierung, Grenzzyklus, Chaos u.s.w. besprochen, die für die intensivere Beschäftigung mit den Modellen und ihrer Dynamik notwendig sind.

Allgemeine Arbeitshinweise: Wenn auch die Modellbeschreibungen sehr unterschiedlich sind, so orientiert sich jede Dokumentation doch an dem folgenden Schema: Beschreibung der Aufgabenstellung, des Simulationsmodells und der wesentlichen Struktureigenschaften des Systems, vollständiges Simulationsdiagramm (z.T. mehrere Diagramme), vollständige Auflistung der Modellgleichungen, Beschreibung eines Referenzlaufs mit Zeitdiagrammen und Zustandsdiagrammen interessanter Ergebnisse, Hinweise auf Besonderheiten, Arbeitsvorschläge, Literaturhinweise. Zu den meisten Modellen lassen sich im Internet zusätzliche Informationen und Daten finden. Darauf wird nicht extra hingewiesen.

Alle Systeme sind mit Voreinstellungen versehen, die bereits gewisse charakteristische Eigenheiten demonstrieren. Darüber hinaus werden bei jeder Modelldokumentation Vorschläge für eigene interessante Untersuchungen gemacht. In Ergänzung dieser speziellen Vorschläge gelten für alle Modelle die folgenden allgemeinen Arbeitsvorschläge:

1. Untersuchen Sie zunächst das Verhalten des Referenzlaufs (mit den gegebenen Voreinstellungen) mit den verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten der Simulations-Software (z.B. Zeitdiagramme, Zustandsbilder, Tabellen).

2. Untersuchen Sie die Abhängigkeit der Systementwicklung besonders von den in der Dokumentation genannten Parametern. Hierzu empfiehlt es sich, mehrere Läufe mit jeweils verändertem Parameter zu machen und abzuspeichern und die Ergebnisse dann gemeinsam (und gut vergleichbar) in Diagrammen oder Tabellen darzustellen.

3. Untersuchen Sie dabei Parameterbereiche gründlicher, in denen sich Verzweigungen des Systemverhaltens beobachten lassen (z.B. Stabilität/Instabilität, Gleichgewicht/Zusammenbruch), oder in denen andere interessante Effekte auftreten.

4. Untersuchen Sie (bei Systemen mit zwei Zustandsgrößen) das Globalverhalten im gesamten (relevanten) Zustandsraum durch eine Vielzahl von Läufen mit unterschiedlichen Anfangsbedingungen und für interessante Parameterkombinationen (hierfür gibt es eine Modellergänzung zur Erzeugung von Zustandsbildern, s. Z115). Achten Sie besonders auf Gleichgewichtspunkte im Zustandsbild und schließen Sie aus den Zustandsbahnen auf Stabilität/Instabilität.

5. Berechnen Sie (analytisch) aus den Zustandsgleichungen die Lage der Gleichgewichtspunkte in Abhängigkeit von den Parametern mit der Bedingung, dass dort alle Zustandsveränderungsraten verschwinden müssen (dz/dt = 0) (s. hierzu auch Bossel SDS 2004, bes. Kap. 6-2). Vergleichen Sie das theoretische Ergebnis mit den Simulationsergebnissen (für gleiche Parameterwahl).

6. Linearisieren Sie die nichtlinearen Zustandsgleichungen an den Gleichgewichtspunkten und untersuchen Sie dort das Verhalten des entsprechenden linearisierten Ersatzsystems mit dem Modell des „Linearen Schwingers“ (gleicher Ordnung), indem Sie die entsprechenden Systemparameter einsetzen. Können Sie das an den Gleichgewichtspunkten des Originalsystems beobachtete Verhalten mit dem linearisierten System und seinen Eigenwerten bestätigen? (Dieser Vorschlag bezieht sich vor allem auf zweidimensionale Systeme und ist für besonders Interessierte mit etwas mathematischem Geschick gedacht).

7. Übersetzen Sie dimensionslose generische Modelle durch korrekte Dimensionierung von Parametern und Systemgrößen und Wahl geeigneter Anfangszustände und Parameter in Simulationsmodelle für reale Systeme. Vergleichen Sie die Simulationsergebnisse mit Erfahrung und Beobachtungen.

1 H. Bossel SDS 2004: Systeme, Dynamik, Simulation – Modellbildung, Analyse und Simulation komplexer Systeme. Books on Demand Norderstedt (ISBN 3-8334-0984-3).

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Elementarsysteme

Überblick

Die verhaltensbestimmende Struktur dynamischer Systeme, d.h. das Zusammenwirken ihrer Komponenten, lässt sich selten in der äußeren Gestalt des Systems erkennen. Systeme können äußerlich grundverschieden sein und trotzdem über die gleiche Systemstruktur und damit die gleichen Verhaltensweisen verfügen. Die Systemwissenschaft ist daher – wie auch die Mathematik – eine übergreifende Wissenschaft, die in allen Bereichen unserer Realität und in allen Wissenschaftsbereichen, die sich mit dieser Realität befassen, ihr Arbeitsgebiet findet. Der Systemzoo bringt in drei Bänden Beispiele u.a. aus Technik, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam haben. Erst die Systemdiagramme zeigen häufig auftretende Gemeinsamkeiten der Systemstruktur. Gewisse „Elementarsysteme“ finden sich als Systembausteine in den unterschiedlichsten Kombinationen in ganz verschiedenen Zusammenhängen. Das charakteristische Verhalten dieser Bausteine teilt sich auch dem Gesamtsystem mit, in dem sie eingebettet sind. Manchmal bestimmt es das Verhalten in entscheidender Weise mit.

Es ist deshalb wichtig, mit dem grundsätzlichen Verhalten solcher Systembausteine vertraut zu sein und ihren Einfluss auf das Verhalten des Gesamtsystems bereits aus ihrer Systemstruktur und der Art ihrer Einkopplung ins Gesamtsystem einschätzen zu können. Dieses Kapitel befasst sich mit 17 relativ einfachen Elementarsystemen, die uns in den unterschiedlichsten Systemen immer wieder begegnen.

Z101 Einfach-Integration. Das wichtigste Systemelement – Kern jedes dynamischen Systems – ist die Kombination einer Zustandsgröße mit ihrer (zeitlichen) Veränderungsrate. Der Prototyp dieses Elementarsystems ist die Badewanne: Die Wassermenge in der Wanne ist die Zustandsgröße (Speichergröße, Bestand). Sie verändert sich durch Zufluss und Abfluss. Die Veränderungsrate ist positiv, wenn der Wasserhahn offen und der Abflussstöpsel geschlossen ist. Sie ist negativ, wenn der Hahn zu und der Stöpsel gezogen ist. Mathematisch lässt sich dieser Vorgang durch eine Integration über die Zeit beschreiben: Ausgehend vom Anfangszustand (Wanne leer) werden Zufluss und Abfluss über die (Bade)Zeit integriert. Zu jedem Zeitpunkt kann so der Füllungszustand der Wanne bestimmt werden. Im Modell Z101 sind verschiedene Testfunktionen als Zustandsänderungen vorgesehen, die dann als Zeitintegrale im Zustand erscheinen.

Z102 Zustand und Zustandsänderung. Die Entwicklung des Zustands mit der Zeit hängt ganz von seiner Veränderungsrate ab. In diesem Modell werden vier häufig anzutreffende Änderungsfunktionen verwendet, um ihren Einfluss auf den Zustand zu untersuchen: 1. Der Zufluss bleibt konstant, der Zustand ändert sich dann linear; 2. der Zufluss wird in Abhängigkeit vom Zustand geregelt; 3. der Zufluss verändert sich als vorgegebene Funktion der Zeit; 4. der Zufluss muss gegen ein „Leck“ im System „ankämpfen“.

Z103 Exponentielles Wachstum und Zerfall. Wenn die Zustandsänderung proportional zum jeweiligen Zustand und positiv ist (positive Rückkopplung), kommt es zu exponentiellem Wachstum. Wir kennen den Vorgang vom Zins und Zinseszins: Jährlich wird das Guthaben um einen kleinen Bruchteil des bereits vorhandenen Guthabens (die Zinsrate) aufgestockt. So wächst auch ein anfangs kleines Guthaben nach langer Zeit ins Unermessliche. Wenn aber die Zustandsänderung proportional zum jeweiligen Zustand und negativ ist (negative Rückkopplung), vermindert sich die Zustandsgröße ständig. Je weniger noch vorhanden ist, umso geringer werden die Abzüge – der Bestand geht schließlich ganz allmählich gegen Null, kann aber nicht negativ werden. Das Abklingen von Radioaktivität mit einer für jeden Stoff charakteristischen Zerfallsrate ist ein solcher Vorgang.

Z104 Exponentielle Verzögerung. Eine Zustandsgröße ist ein Speicher der Auswirkungen vergangener Zu- und Abflüsse und damit so etwas wie das Gedächtnis eines Systems. Geht durch eine negative Rückkopplung wie beim exponentiellen Zerfall ständig ein Teil des Speicherinhalts verloren, so wird dies vor allem die vor längerer Zeit wirkenden Veränderungen betreffen, während jüngere Veränderungen noch relativ stark präsent sind. Eine Zustandsgröße mit einem solchen „exponentiellen Leck“ „erinnert“ daher Veränderungen mit einer Zeitverzögerung. Das macht man sich in Systemsimulationen oft zunutze, um damit Signale zu verzögern – wobei sich allerdings ihre Form etwas verändert.

Z105 Zeitabhängiges Wachstum. Ist der Bestand auf seine Veränderungsrate zurückgekoppelt, so entscheidet die Rückkopplung mit ihrer Größe und ihrem Vorzeichen darüber, ob und wie schnell der Bestand anwächst oder zerfällt. Die Veränderungsrate ist oft selbst eine Funktion der Systemgrößen und kann sich im Lauf der Zeit stark verändern. Sie kann aber auch als Zeitfunktion vorgegeben sein und damit die Bestandsentwicklung bestimmen (z.B. als jahreszeitlicher Einfluss auf das Pflanzenwachstum). Das Modell zeigt, wie die Zeitfunktion der Veränderungsrate als Tabellenfunktion oder logische Funktion eingegeben werden kann.

Z106 Einfachmodell der Bevölkerungsdynamik. Populationen von Organismen (Pflanzen, Tiere, Menschen), aber auch von Kapitalgütern (Häuser, Fabriken, Fahrzeuge) unterliegen den Prozessen von Geburt und Tod, Neubau und Zerfall. Überwiegen die Geburten über die Sterbefälle, wächst die Population. Geburten und Sterbefälle aber sind proportional zum Bevölkerungsbestand: je mehr Menschen, umso mehr Geburten und Sterbefälle. Dabei gibt die Geburtenrate (bzw. Sterberate) an, um welchen Prozentsatz sich die Bevölkerungszahl pro Jahr durch Geburten vermehrt (bzw. vermindert). Geburten- und Sterberate können sich im Lauf der Zeit verändern (durch Geburtenkontrolle und Fortschritte in der Medizin). Solche Veränderungen müssen bei Simulationen möglicher zukünftiger Entwicklungen als Szenarien eingegeben werden.

Z107 Ansteckungsvorgang. Die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit, die Verbreitung eines Gerüchts, eines neuen Produkts oder neuer Erkenntnisse und viele andere Vorgänge von grundsätzlicher Bedeutung lassen sich gut durch ein einfaches dynamisches Modell mit einer einzigen Zustandsgröße („Infizierte“) beschreiben. Der Bestand der Infizierten wächst umso schneller, je mehr Infizierte es (schon) und je mehr Nichtinfizierte (d.h. der noch infizierbare Rest der Bevölkerung) es (noch) gibt. Wenn der größere Teil der Population bereits infiziert worden ist, flaut die Ansteckungswelle wieder ab. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit hängt von der Kontakthäufigkeit und der Übertragungswahrscheinlichkeit bei jedem Kontakt ab.

Z108 Überlastung eines Speichers. Bei den bisher betrachteten Wachstumsprozessen war keine obere Begrenzung der Zustandsgröße vorgesehen. In der Realität gibt es aber immer Begrenzungen. Eine häufig vorkommende Begrenzung ist der Überlauf bei Überlastung: die überlaufende Badewanne oder Talsperre, Flutspitzen wenn Böden einen Starkregen nicht mehr aufnehmen können, Kurzschluss bei hoher Spannung, Kurzschlusshandlungen bei zu hohem Stress. Typisch für diesen Vorgang ist der sehr stark erhöhte Abfluss des Speicherinhalts (Zustandsgröße), sobald eine kritische Grenze überschritten ist. Dadurch können meist auch stark erhöhte Zuflüsse (Zustandsänderungen) abgefangen werden.

Z109 Logistisches Wachstum bei konstanter Ernte. Eine (besonders bei Organismen und gesellschaftlichen Vorgängen) sehr häufige Wachstumsbegrenzung entsteht durch Rückwirkung des Bestands auf die Wachstumsrate. Besiedeln z.B. erst wenige Organismen ein günstiges Terrain (oder wird ein neues attraktives Produkt eingeführt), so hat der anfängliche Zuwachs seine maximale Wachstumsrate. Da nun immer mehr Organismen sich die gleiche Nahrungsbasis teilen müssen (oder immer weniger Käufer zu finden sind, die das Produkt noch nicht haben), sinkt die Wachstumsrate allmählich auf Null. Die Wachstumsrate wird hier also durch den Sättigungsgrad (mit Organismen oder Produkten) in Bezug auf den augenblicklichen Bestand gesteuert. Das Modell beschreibt z.B. in etwa das Anwachsen von Fischpopulationen, und es kann auch Auskunft darüber geben, was beim Abfischen eintreten kann. Wird bis zu einer bestimmten kritischen Menge pro Jahr abgefischt, so ist der Bestand nicht gefährdet: der Fischfang wäre nachhaltig. Wird aber über diese kritische Grenze hinaus abgefischt, so bricht der Fischbestand in kurzer Zeit und unaufhaltsam zusammen.

Z110 Logistisches Wachstum bei bestandsabhängiger Ernte. Eine kleine Veränderung im System kann oft dazu führen, dass sich sein Verhalten radikal ändert. Wird z.B. bei einer vom logistischen Wachstum bestimmten Population dafür gesorgt, dass die Erntemenge immer am vorhandenen Bestand ausgerichtet wird (je weniger vorhanden, um so weniger wird geerntet), so bleibt die Population auf jeden Fall erhalten und kann nicht ausgelöscht werden.

Z111 Dichte-abhängiges Wachstum (Michaelis-Menten). Gewisse biologische und chemische Sättigungsprozesse werden zutreffend mit einer anderen Formulierung des Sättigungsterms dargestellt. In dieser Formulierung bestimmt eine „Halbsättigungskonstante“ das Sättigungsverhalten.

Z112 Zweifache Integration und exponentielle Verzögerung. Die zweifache Zeitintegration einer Größe ist besonders in physikalischen Vorgängen häufig: Die Zustandsveränderung der Position ist die Geschwindigkeit, die Zustandsveränderung der Zustandsgröße Geschwindigkeit ist die Beschleunigung. Wird die Beschleunigung also über die Zeit integriert, so erhält man (nach Vorgabe der Anfangsgeschwindigkeit) die Geschwindigkeit als Funktion der Zeit. Wird diese über die Zeit integriert, so folgt daraus (nach Vorgabe der Anfangsposition) die Position als Funktion der Zeit. Falls die Zustände zu ihren Zustandsänderungen negativ rückgekoppelt sind, und sich über diese „Lecks“ „Verluste“ (Dämpfungen) ergeben, so entsteht wieder (wie bei Z104 EXPONENTIELLE VERZÖGERUNG) ein Verzögerungseffekt.

Z113 Übergang zwischen zwei Zuständen. Oft bleiben Organismen oder Gegenstände eine Zeitlang in einem bestimmten Zustand, um dann in einen anderen überzugehen (und später u.U. noch in weitere). Beispiele: Kinder werden erwachsen, Erwachsene werden alt; Schmetterlingseier werden zu Raupen, Raupen zu Puppen, Puppen zu Schmetterlingen; leere Flaschen aus dem Lager kommen zur Abfüllung, werden verpackt und verschifft, kommen ins Lager des Händlers und dann in den Kühlschrank des Käufers. Bei solchen Übergängen bleiben (bis auf einige Sterbefälle oder zerbrochene Flaschen) die Individuen erhalten; sie werden also nur von einem Zustand in einen anderen geschoben, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Die Verluste (Zustandsänderung: Individuen pro Zeiteinheit) des früheren Zustands erscheinen als Gewinn (Zustandsänderung: Individuen pro Zeiteinheit) des späteren Zustands. Im Unterschied zu Z112 ZWEIFACHE INTEGRATION behalten hier die Zustandsgrößen nach der Integration über die Zeit die gleiche Dimension (Individuen). Der Übergang zwischen zwei Zuständen ist das Kernelement jedes Bevölkerungsmodells.

Z114 Linearer Schwinger 2. Ordnung. Schwingungsfähige Systeme haben enorme Bedeutung in allen Bereichen der Technik und Physik, aber auch in anderen Bereichen. Schwingungen können immer dann auftreten, wenn Systemgrößen verzögert rückge