Inhaltsverzeichnis:

Liebe Betroffene, Angehörige, Freunde und interessierte Leser,

Sie halten ein Buch in den Händen, das auf ganz besondere Art und Weise entstanden ist. All die Schreiberlinge haben verschiedene Erfahrungen mit chronischen Darmerkrankungen wie z.B. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gemacht. Entweder sind sie selber erkrankt oder als Angehörige oder Freunde mitbetroffen. Sie kämpfen sich tapfer durch ihr Leben, mit Schmerzen, Krämpfen, dem gesellschaftlichen Tabu, dem oft unwissendem Umfeld und störrischen Amtsschimmeln. Trotzdem haben sie ihre Herzlichkeit, Herrlichkeit und ihren Humor nie verloren!

Die Idee zu diesem außergewöhnlichen Projekt hatte Rosa Colitis, die bereits ein Buch zu diesem Thema veröffentlichte. Die Autoren-Gruppe „Bauchschreiberlinge“ wurde geboren und mit Babsi Brosig, Kerstin Broska und Nicole Engel bildete sich schnell ein Organisationsteam von vier engagierten Frauen, welches sich zunächst „vierblättriges Kleeblatt“ nannte und später dann – voller Selbstironie– „viertagiges Kloblatt“.

Eine Internetseite entstand, in der Erlebnisse, Erfahrungen und Gedanken aus den unterschiedlichsten Bereichen der CED gesammelt wurden, um sie in einem Buch zusammenzufassen.

Die Hobby-Autoren kennen sich nicht persönlich, sondern teilen ihr Schicksal ausschließlich im Internet. Es gab unerwartet großen Mitteilungsbedarf, wodurch viele eindrucksvolle und emotionale Texte entstanden.

All die Schreiberlinge haben offen und ehrlich von sich erzählt, um damit ein Tabu zu brechen. Denn glauben Sie uns:

Shit happens!

Leben mit einer Darmerkrankung

Bruno Raffa

Wir haben Bauchkrämpfe.

Wir haben Durchfälle.

Wir haben einen Riesenstress, bis wir am Morgen bei der Arbeit sind.

Sitzungen sind eine nervöse Angelegenheit.

Im Stau zu stehen, ist der reinste Horror.

Wir würden gerne ins Kino oder Theater gehen, uns abends mit Freunden treffen – doch leider sind wir nicht normal…

Wie oft wurde uns vorgehalten, unsere Erkrankung würde sich im Kopf abspielen. Wir würden uns alles nur einbilden? Wir seien selbst verantwortlich für die Durchfälle? Wie oft wurden wir übergangen, z.B. am Arbeitsplatz?

Wie oft wurden wir anders behandelt wegen unserer Krankheit? Nach jedem Gang zur Toilette, nach jedem Krampf im Bauch, immer, wenn wir uns so müde und krank fühlen und wenn wir uns unverstanden fühlen. Immer dann wünschen wir uns nichts anderes, als ganz normal zu sein, normal zu leben wie jeder andere auch.

Doch wie schaffen wir das mit einer chronischen Krankheit? Mit dieser chronischen Krankheit? Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton hat zum Thema Behinderung gesagt: „Entscheidend ist, ob jemand seine persönlichen Fähigkeiten nutzt oder nicht.“ Das bedeutet, dass die persönliche Bewältigung unseres „Unglücks“ schlussendlich entscheidend ist. Wir dürfen oder sollten also nicht daran denken, welches Leben wir verloren haben, sondern welche Fähigkeiten uns noch bleiben. Wir müssen die Entscheidung treffen, dass wir in der Gegenwart leben und nicht in der Vergangenheit! Und wir müssen akzeptieren, dass die Krankheit bleibt, solange es keine Heilung gibt. Glücklicherweise sind wir gut versorgt von unseren Ärzten und von der Pharmaindustrie. Die Medizin ist auf einem sehr hohen Stand, für viele von uns gibt es ein fast normales Leben. Und darum müssen wir trotz oder wegen der Krankheit rausgehen! Dies vor allem zum Wohle der Patienten, die noch zu Hause sind, die noch nicht wissen, dass es viele andere Betroffene gibt.

Ich war um die 30 und wer denkt da schon an eine schwere Krankheit. Mitten im Leben, mitten in einer Karriere, die ersten Kinder sind da. Man fühlt sich gut, hat noch viel vor sich und dann BUMM – nichts geht mehr. Aus einem jungen und dynamischen Menschen wird ein chronisch Kranker.

Die Gesellschaft schaut dich plötzlich komisch an. Meine Familie war die ganze Zeit bei mir, sorgte sich um mich. Ich wurde (im Gegensatz zu heute) immer dünner und sie machten sich noch mehr Sorgen. Ich versuchte, meine schrecklichen Bauch- und Gelenkschmerzen zu verstecken. Ich wollte nicht, dass sie sich ständig Sorgen machten, versuchte, sie zu beruhigen.

Es war sehr schwierig, über die Krankheit zu reden. Am liebsten war ich alleine, wollte mit niemandem sprechen. Über was schon? Über die Müdigkeit, die Schmerzen, die Durchfälle? Nicht gerade interessant für einen gesunden Menschen. Das bedeutete dann auch, dass ich mich mehr und mehr isolierte. Ich möchte behaupten, dass diese Krankheiten die soziale Isolation bedeuten können. Nur wenige Menschen verstanden meine Unlust, mich zu bewegen, ins Kino zu gehen oder sonst irgendwo mitzumachen. Denn man sieht uns die Krankheit ja nicht mal an. Äußerlich alles normal, womöglich noch eine schöne Haut vom Cortison, aber innen tobt ein Krieg.

Nun, warum Isolation? Warum nicht rausgehen und von der Krankheit erzählen? Weil es hier um eine Krankheit geht, die immer noch mit vielen Tabus belegt ist: es geht um Ausscheidungen, um Geräusche und Gerüche – es geht um Kot, Scheiße oder Kacke. Jedes Mal, wenn ich das sage, schockiere ich meinen Gegenüber. Und das gewollt. Ich möchte damit zu verstehen geben, dass es darum geht, dass man mit dieser Krankheit sein Selbstvertrauen verlieren kann, wenn man allein ist. Ich hatte mein Selbstvertrauen verloren, ich lebte in ständiger Angst die Hose vollzumachen. Ich schämte mich – auch gegenüber meiner Familie, meinen Kindern. Ich wollte nicht, dass sie mich so sahen. Ich fühlte mich total dreckig. Ich fühlte mich aber auch gefangen. Gefangen zu Hause von meiner Krankheit. Ich brauchte dringend Menschen, die mich verstehen würden, die Verständnis hatten für meine Gefühle und Ängste.

Als ich dann die SMCCV (Schweizerische Morbus Crohn & Colitis Vereinigung) bzw. andere Betroffene „gefunden“ hatte, ging es mir von einem Tag auf den anderen besser, zumindest psychisch! Endlich konnte ich sprechen ohne Scham, ohne irgendwelche Rechtfertigungen. Alle verstanden mich sofort. Die Gespräche mit anderen Betroffenen machten mir Mut und ich getraute mich wieder unter andere Menschen.

Anmerkung:

In Österreich gibt es den ÖMCCV (Österreichische Morbus Crohn & Colitis ulcerosa Vereinigung). Der DCCV (Deutsche Morbus Crohn & Colitis ulcerosa Vereinigung) ist in Deutschland tätig und in der Schweiz gibt es den SMCCV (Schweizerische Morbus Crohn & Colitis ulcerosa Vereinigung)

Hinter den Vereinen stehen sehr engagierte Teams die großartige Öffentlichkeitsarbeit leisten. Für viele Betroffene sowie Angehörige sind sie sehr gute Anlaufstellen und Hilfen. Auch im Internet sind alle drei Vereine präsent:

Österreich: www.oemccv.at

Deutschland: www.dccv.de

Schweiz: www.smccv.ch

Geburtstag

Babsi Brosig

Es ist soweit. Ich habe Geburtstag. Ich bin ab heute 30!

Voller Tatendrang starte ich in den Tag und freue mich auf meine kleine Feier in meiner Firma. Da ich dauerhaft Medikamente zu mir nehme, und somit mindestens alle 6 Wochen mein Blut kontrollieren lassen muss, werde ich vorher kurz beim Krankenhaus vorbeischauen und meinen letzten Befund abholen.

Gut gelaunt betrete ich die Ambulanz und lächle die freundliche Schwester am Schalter an. Doch wider Erwarten lächelt sie heute nicht zurück! Stattdessen bekomme ich einen blauen Bon herüber geschoben. Ich möge bitte im gleichfarbig markierten Warteraum Platz nehmen. Der Doktor möchte mich sehen, wird mir mitgeteilt.

Seufzend setze ich mich in den Plastiksessel und linse auf meine Uhr. „Okay, ein Stündchen geht noch, dann findet meine Geburtstagsfeier immerhin noch am Vormittag statt“, denke ich.

Wahrscheinlich habe ich wieder mal zu wenig Eisen im Blut, bin kurz vor einer Anämie und bräuchte eine Infusion. Das hätte ich mir aber wirklich denken können. Schließlich bin ich in den letzten Tagen extrem müde und schwach, und habe mich eher mühsam durch die Tage geschleppt. Ich schiebe das ja gerne mal aufs Wetter!

Zwei Stunden später schaue ich schon etwas genervter auf meine Armbanduhr und habe gedanklich meinen kleinen Umtrunk auf Mittag verschoben. Dass ich trotz allem heute noch genug zu arbeiten habe, ist natürlich klar. Das Warten nervt zwar, aber ich weiß, ich warte nur so lange, weil die Ärzte hier sehr gut sind und dadurch viele „Kunden“ haben. Vor allem nehmen sie sich für jeden viel Zeit, man fühlt sich verstanden und darf mitreden. Das ist bei einer komplizierten Krankheit wie meiner Gold wert. Dafür bin ich dankbar.

Endlich geht die Tür auf. Mein Arzt, der mich seit sehr vielen Jahren begleitet, muss mich gar nicht erst namentlich aufrufen, er öffnet die Tür und nickt mich herein. Da ich jetzt schon sehr lange in Behandlung bei ihm bin, ist er mir vertraut und ich setze mich mit einem breiten Lächeln auf den Patientenstuhl. Vielleicht gratuliert er mir ja gleich?!

Als sich mein Doktor jedoch mit einem tiefen Seufzer auf seinen eigenen Stuhl fallen lässt, verschieben sich meine Mundwinkel etwas nach unten, dafür aber meine Augenbraue nach oben.

„Frau B., ich hab keine guten Nachrichten für Sie. Ihre Blutwerte sind nach wie vor schlecht und die Entzündungszeichen immer zu hoch. So können wir nicht weitermachen“, sagt er zu mir.

Mit einem Plumpsen, dass eindeutig hörbar sein muss, fallen meine Mundwinkel bis auf den Boden.

Mist! Klar, wem mache ich etwas vor? Ich habe starke Bauchschmerzen und laufe ziemlich oft aufs Klo. Aber daran bin ich mittlerweile so gewöhnt, dass es mir nicht einmal mehr auffällt. Und dass ich in letzter Zeit öfter als sonst aufs Klo laufe, habe ich darauf geschoben, dass ich mich an meine eigenen Diätvorgaben nicht gehalten habe. Jetzt im Sommer ist es aber auch zu verlockend, einmal Obst oder ein Eis zu essen! Und dass ich mich so erschöpft fühle, liegt sicher an der Hitze! Dachte ich…

Da mein Arzt sieht wie meine Gesichtszüge entgleisen und er mich schon halbwegs kennt und daher weiß, dass die Möglichkeit groß ist, dass auch gleich Tränen nachkommen, redet er gleich weiter. Sofort erzählt er mir von einer neuen Studie, an der ich teilnehmen könnte, da ich alle Medikamente schon mehr oder weniger erfolglos ausprobiert hatte. Auch schon mehrere andere Studien habe ich bereits probiert. Die bisherigen Ergebnisse der neuen Studie klangen aber vielversprechend. Noch etwas verwirrt werde ich in den nächsten Raum bugsiert, in dem mich ein Studienarzt über alles Weitere informieren soll.

Die Tür geht auf und – hurra – mir steht ein junger Arzt, ungefähr in meinem Alter, gegenüber.

Leicht errötend setze ich mich neben ihn und lasse mir die Studie genau erklären. Nervös, wie ich nun bin, kann ich kaum zuhören. Aufwändig werden Unterlagen von einem Fleck auf den anderen geschoben und Formulare ausgefüllt.

Wie oft haben Sie Stuhl? Und welche Form hat dieser dann? Wie oft haben Sie Blähungen? Haben Sie Blut im Stuhl? Hämorrhoiden?

Peinlich berührt und mit knallrotem Gesicht erzähle ich ihm alle romantischen Details meiner Verdauung.

Na ja, auch eine Art, sich kennen zu lernen.

Nachdem ich noch viele weitere Fragen beantwortet habe, und die Zettel immer weniger werden, merke ich, wie mein junger Arzt plötzlich stockt. Ich ahne, was jetzt kommt. Das macht mich so nervös, dass auch ich auf meinem Sessel anfange, herum zu rutschen. Ohne mich direkt anzusehen sagt er: „Ähm, ich müsste dann noch bitte kurz Ihr Rektum kontrollieren!“

Ich sollte es zwar gewohnt sein, dass sich Ärzte mit meinen Hintern beschäftigen, und den dann auch zu Gesicht bekommen, dennoch bleibt es unangenehm. Etwas blass um die Nase ergebe ich mich meinem Schicksal.

Warum mir wohl gerade in diesen Moment die ironischen Worte: „Na, Happy Birthday“ einfallen?

Eindeutig etwas peinlich berührt lasse ich noch ein paar weitere Untersuchungen über mich ergehen. Gott sei Dank einfache Übungen, wie Bauch abtasten, Lunge abhöhren, EKG, etc.

Danach soll ich noch einmal im Wartezimmer Platz nehmen. Meine Daten werden per Computer an die durchführende Studienfirma geschickt. Hoffentlich werde ich zugelassen!

Eine weiteren Stunde sitze ich in einem Plastikstuhl und warte. Der Warteraum ist bereits leer, da es schon 14 Uhr geworden ist. Meine Kollegin habe ich bereits informiert, dass ich heute wohl nicht mehr arbeiten kommen kann, da es noch länger dauern wird. Meine kleine Feier muss auf morgen verschoben werden.

Bereits 5 Stunden meines dreißigsten Geburtstages habe ich hier im Krankenhaus verbracht.

Mit Morbus Crohn muss man schnell lernen, dass vieles im Leben anders verläuft, als man das gerne hätte. Die Krankheit hat schon immer gerne meinen Zeitplan diktiert und mein Leben gelenkt. Oft muss ich Verabredungen absagen, weil es mir nicht gut geht, und Termine kann ich meist nicht verbindlich zusagen, nicht mal für den nächsten Tag, da ich nie einschätzen kann, wie es mir gehen wird. Wer weiß, ob ich da nicht wieder einmal ins Krankenhaus muss oder ans Bett gebunden bin. Oder ich einfach nur viel zu erschöpft bin.

Daran leiden einige Freundschaften, manche sind zerbrochen. Viele kleine und große Lebensträume musste ich aufgeben. Pläne für die weitere Zukunft mache ich schon lange nicht mehr, da mein Bauch meist alles durcheinander wirft. Sehr langsam habe ich gelernt, mich damit zu arrangieren, das Beste daraus zu machen und es mit Humor zu nehmen.

Endlich geht die Tür auf und ich werde wieder hinein gewunken. Er hat gute Nachrichten für mich. Ich bin aufgenommen und kann schon morgen mit den Infusionen bei ihnen anfangen. Das heißt aber auch, ich kann morgen wieder nicht feiern. Na ja, Gesundheit ist wichtiger, denke ich mir tapfer.

Ich hoffe, meine Firma denkt aufgrund meiner erneuten Abwesenheit ähnlich! Aber wie lange noch?

Förmlich verabschiede ich mich von meiner neuen Po-Bekanntschaft, da ich mich ab morgen nur mehr an die durchführende Krankenschwester wenden muss, und verlasse den Raum.

„Schöner Geburtstag, hier im Krankenhaus“, denke ich mir, und schlüpfe in meinen Mantel.

Plötzlich höre ich hinter mir Schritte: „Frau B., Frau B.! Warten Sie!“, schallt es durch den langen Flur. Etwas überrascht sehe ich, dass mein neuer Arzt hinter mir steht. Ah! Jetzt außer Dienst, will er vielleicht noch privat mit mir plaudern? Mir gratulieren? Verwundert lächle ich ihm entgegen: „Ja bitte?“

„Eines hab ich ganz vergessen!“, meint er
Erwartungsvoll wird mein Lächeln breiter.

„Könnten sie mir bitte dieses Röhrchen mit Stuhl vollmachen und morgen vorbeibringen?!“

Errötend, aber lachend, nehme ich das Röhrchen entgegen.

Mein Geschenk zum Dreißigsten?

Happy Birthday

cortison

con ny

liebes cortison, da bist du wieder

denn wenn du gehst, schmerzen mir die glieder

aber bis dahin muss ich dich ertragen

ein warum, lohnt es nicht zu fragen

du wirkst so gut, bist aber auch echt krass

dich zu nehmen, macht einfach keinen spass

man fühlt sich matschig, lustlos und ohne power

hoffentlich nehm ich dich nicht wieder auf dauer

denn dann kommen wasser und mondgesicht

ohne scheiss – sowas braucht man nun wirklich nicht

jeder guckt dich komisch an

steht leider nicht „dick durch corti“ dran

kommentare von leuten bezogen aufs gewicht

treiben mir die tränen ins gesicht

morbus crohn und nahrungsmittelunverträglichkeiten

reichen um mir genug sorgen zu bereiten

und eins ist wirklich klar

ich leide, auch ohne euren kommentar

und wenn euch mal ne frage zwickt

recht einfach ist ne mail geschickt

also, auf gehts in die nächste corti-schlacht

der anfang ist seit gestern schon gemacht

liebes cortison, schön dass es dich gibt,

auch wenn man dich nicht immer liebt

Warum?

Nicole Engel

Warum Ich?

Was bitte habe ich verbrochen, um DAS zu verdienen?!

Ich war noch so jung, als ER über mich kam. Fast noch ein Kind, unschuldig und rein. Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Na ja, ein bisschen geflunkert, und auch mal was gemopst, aber nichts getan, was DAS rechtfertigt! Ich hab’ DAS nicht verdient! Ich wollte DAS nicht!

Doch danach wurde ich nie gefragt! ES kam über mich, mächtig und unaufhaltsam, fraß sich in meinen Körper, in meine Gedanken und verletzte meine Seele! Ich werde ES nie wieder los, muss mit IHM leben, für immer, für ewig, bis dass der Tod uns scheidet?! Nein, nicht mal dann wird ER mich loslassen, ich nehme IHN mit ins Grab! ER ist mir näher, als es mir irgendjemand anderes je sein kann. ER ist immer da! ER beherrscht mein ganzes Leben, beeinflusst es tagtäglich! Ich muss mich immer wieder nach IHM richten.

Ich habe IHN ignoriert, ER machte sich mit aller Kraft bemerkbar!

Ich habe mich um IHN gekümmert, ER fühlte sich wohl und blieb!

Ich habe versucht, IHN zu vergiften, doch kein Medikament war stark genug! Sie schwächten IHN, aber auch mich!

Ich habe versucht, IHN aus mir rauszuschneiden, aber ER lässt sich nicht ausmerzen, geht nicht weg. ER zieht sich nur zurück, wartet leise, auf den für IHN passenden Moment, um mich dann mit voller Wucht aus der Bahn zu werfen! Ich habe geweint, gejammert, gebettelt, gequengelt, gewimmert, geschrien, gejault, gefleht, gewinselt, geklagt, geflucht, aber nichts half!

Ich hasse IHN! Mit jeder Faser meines Körpers hasse ich IHN!

Ich würde alles dafür geben, IHN loszuwerden! Aber es gibt nichts, gar nichts! Nichts und niemand kann mir helfen! Ich bin allein – mit IHM!

Ich kämpfe! Ich kämpfe jeden Tag, ohne Aussicht auf Erfolg!

Ich kann IHN zurückdrängen, aber nie gewinnen! ER ist der letztendliche Sieger in diesem Kampf um Gesundheit! Es gibt so viele schlechte Menschen auf der Welt, Gewalttäter, Kinderschänder, Vergewaltiger und Mörder!

Warum also muss ich mich quälen, während diese Kreaturen gesund weiterleben dürfen?

Also warum ich?

Es gibt bis heute nur eine Antwort, die ich akzeptieren kann:

Weil ich IHN ertragen und aushalten kann!

Wie auf einmal alles anders sein kann

Claudia Studer

Es war der 1. Juli 1994, der mein Leben veränderte.

Ich bekam heftigen Durchfall an diesem Tag.

Das Datum weiß ich noch so genau, weil wir da gerade umgezogen sind und ich nicht besonders glücklich war. Also konnte ich diesen Durchfall nicht auch noch gebrauchen.

Als es einige Tage später immer noch nicht besser war, ging ich zu meinem Hausarzt. Der verschrieb mir Schonkost und Medikamente, deren Namen ich heute nicht mehr weiß. Trotzdem wurde mein Zustand nicht besser und der Hausarzt meldete mich bei einem Spezialisten an.

Nach der Darmspiegelung musste ich in die Sprechstunde und der Arzt sagte zu mir, ich hätte Colitis ulcerosa. Das wäre nicht schlimm, sagte er, und er verschreibe mir jetzt ein Medikament, und in drei Monaten wüsste ich nicht einmal mehr, dass ich jemals Durchfall gehabt hätte. Genau diese Worte hat er zu mir gesagt, heute weiß ich es besser.

Ich ging voller Hoffnung nach Hause, doch besser wurde es nicht. Ich verlor schnell an Gewicht und war immerzu auf dem WC. Bis ich im August ins Spital eingeliefert wurde. Da vermutete man auf einmal, dass ich Salmonellen hätte. Ich bekam ein Einzelzimmer, in dem ich isoliert wurde und keinen Besuch empfangen durfte. In diesem Spital war derselbe Spezialist, der bei mir schon einmal eine Darmspiegelung durchgeführt hatte. Er erwähnte mit keinem Wort die Colitis ulcerosa.

Dieses Abgesondertsein hat mich schwer getroffen, da meine kleine Tochter zu diesen Zeitpunkt 1 Jahr alt wurde. Ich konnte also an ihrem Geburtstag nicht dabei sein und sie durfte mich auch nicht besuchen.

Die Salmonellen bestätigten sich nicht und man entließ mich nach drei Wochen ohne Diagnose. Immer noch mit Durchfall, dem altbekannten Medikament und zusätzlich mit Cortison.

Besser wurde es trotzdem nicht.

Ich wurde immer schwächer, hatte keine Kraft mehr, meine Tochter zu versorgen und den Haushalt zu schmeißen. Im Oktober wurde ich wieder ins Spital eingeliefert. Wieder in ein Einzelzimmer und sie wussten nicht, was sie mit mir machen sollten. So stopfte man mich erst mal mit Medikamenten voll. Ich konnte sie nicht mehr selber nehmen und so haben sie einfach alle auf einen Suppenlöffel gelegt, ihn mir in den Mund geschoben und dann Wasser nachgeschüttet. Ich bekam auch Medikamente, die mich einfach ruhig stellten.

Nach ein paar Tagen saß ich auf dem Nachtstuhl. Es lief unten wie Wasser wieder raus und oben erbrach ich die ganzen Medikamente. Danach machte man den Versuch, mich drei Wochen lang künstlich zu ernähren, damit sich der Darm erholen könne.

Es wurde nicht besser und man entließ mich wieder mal ohne Diagnose aus dem Spital. Ich kam mir damals vor wie ein Versuchskaninchen.

Im Januar eröffnete mir dann mein Hausarzt, dass es die Möglichkeit gäbe, das kranke Stück Darm herauszuschneiden und, dass dann alles wieder gut wäre. Ich wollte das unbedingt. Ich wollte doch wieder Leben!

So kam ich erneut ins Spital. Ich wurde untersucht, der Darm wurde wieder einmal gespiegelt und ich musste unzählige Fragen beantworten. Bis dann nach zwei Tagen ein Arzt und der Gastroenterologe zu mir kamen, um mir mitzuteilen, dass sie mich jetzt drei Wochen lang künstlich ernähren würden und dann alles wieder gut wäre. Da machte ich endlich meinen Mund auf und sagte, dass ich das nicht wolle.

Ich wollte, dass sie mir das kranke Stück Darm herausoperieren. Da gab mir der Gastroenterologe zur Antwort, dass das auf der ganzen Welt niemand machen würde. Sie würden jemanden zu mir schicken, der mir den Zugang für die künstliche Ernährung legen würde. Mir wurde einfach nicht zugehört! Das hatte ich doch alles schon, und das wollte ich nicht mehr.

Erst als ich damit drohte, aus dem Fenster zu springen, hörte mir jemand zu. Dann ging alles ganz schnell, sie holten mich samt Bett aus dem Zimmer und brachten mich in einen Raum, in dem man die Fenster nicht öffnen konnte. Danach kam ein Psychologe und sprach mit mir.

Abends sah ich die zuständigen Ärzte noch einmal, weil ich darauf bestand, das Spital zu verlassen, da Sie mich ja nicht operieren wollten.

Der eine Arzt prophezeite mir, dass ich diese Nacht nicht überleben werde, und dass sie die nächstgelegenen Spitäler benachrichtigen würden, dass ich in dieser Nacht bestimmt eingeliefert werde.

Es war mir egal. Ich wusste, dass ich es schaffen würde, und unterschrieb den Zettel, auf dem stand, dass ich das Spital auf eigene Verantwortung verließ.

Es war das Beste, was ich tun konnte, denn am nächsten Tag konnte ich dabei sein, als meine Tochter ihre ersten Schritte machte. Es war das Schönste, das ich seit langem gesehen hatte.

Ich verbrachte von nun an mein Leben im Bett und auf der Toilette, ich magerte bis auf 40kg ab und wurde dann im Juni wieder mal ins Spital eingeliefert, aber auch da wurde es nicht besser als zu Hause. Ich wurde wieder künstlich ernährt und zusätzlich musste ich auch normal essen.

Ich durfte, egal um welche Zeit, sagen, auf was ich Lust hatte und sie brachten es mir. Trotzdem nahm ich nicht zu und war immer noch schwach. Kein Wunder, es kam ja hinten gleich wieder wie Wasser raus.

Ich bekam nach all der Zeit auch nie eine Diagnose. Das Wort Colitis ulcerosa wurde nie wieder ausgesprochen.

Dann kam im August ein Assistenzarzt zu mir. Diesen Mann werde ich in meinem Leben nie mehr vergessen. Er sagte mir, wenn jetzt nichts geschieht, hätte ich in einem Jahr Krebs, und in spätestens zwei Jahren wäre ich tot. Er wollte mich in ein anderes Spital überweisen, dort bekäme ich dann eine Zeit lang einen künstlichen Darmausgang.

So kam ich diesmal auf die Viszeralchirurgie (von lat. viscera = Eingeweide), womit ich endlich am richtigen Ort angekommen war.

Bei der ersten Untersuchung meinte der Arzt zu mir, dass, wenn ich ein halbes Jahr früher gekommen wäre, sie mir anders hätten helfen können. Wenn man auf meinen Bauch gehört hätte, hätte ich es einfacher haben können.

Wenn mein Darm zu mir sprechen könnte

Kerstin Broska

Mehr als einmal habe ich dich gewarnt. Aber du hast mich so gut ignoriert, dass ich echt schon fast beleidigt war. Habe dich ab und zu mal gezwickt, gedrückt und auf die Toilette gejagt. Aber du hast nichts kapiert. Du hast nicht mal gemerkt, dass ich dich warnen wollte. Stattdessen liest du interessiert wissenschaftliche Berichte darüber, dass ich das zweite Gehirn sein soll. Dass du auf mich hören solltest, sagen die Wissenschaftler. Aber du hast nur gelesen und nicht verstanden. Bauchhirn. Darmhirn. Verdammt, warum hast du nicht auf mich gehört? Ich musste mich wehren, damit wir lernen! Damit wir lernen, zu leben und auf uns aufzupassen. Wann ich anfing? Selbst das weißt du nicht?

Ich habe mit leichten Durchfällen angefangen, du warst circa 19 Jahre alt. Da war es noch nicht schlimm. Immer nur mal ein kleines Darm… Ähm, Entschuldigung Warnsignal. Und dann immer mal wieder ein paar Krämpfe und Durchfall. Aber irgendwie hast du dem keine Beachtung geschenkt. Dann irgendwann witterte ich meine große Chance! Das tiefste Loch deines Lebens, eine absolute Talfahrt, nichts lief richtig rund… und du hast gelitten, statt zu schreien. Alleine gekämpft, statt zu gehen. Geschwiegen, statt zu brüllen. Tatsächlich nicht an dich gedacht.

Ich kann nichts dafür, dass du – wie sagst du immer – zwischenmenschliche Schwingungen wahrnimmst und zu sehr an dich ran lässt. Dass du deine Wut kontrollierst, statt sie rauszulassen. Dass du zum Kotzen elende Harmonie bevorzugst und vor lauter Diplomatie auf der Strecke bleibst. Du kannst es nicht allen recht machen! Du musst es nicht allen recht machen! Für wen hältst du dich? Mutter Theresa? Gandhi? Sei doch mal wütend! Schreie! Lass die Wut raus, statt sie in mir zu sammeln und ich muss sie rauslassen! So viel Angestautes, so viel Kälte in der Gesellschaft, so viele Menschen, die ungerecht handelten, verletzten und du dich nicht abgrenzen konntest. Immer noch nicht! Schon als Kind nicht! Da konnte ich irgendwann nur noch bluten und Schleim lassen, damit du es siehst! In der Toilette! Auf dem Papier! Damit du siehst, wie es dir geht! Beschissen, wenn du nicht lernst, dich abzugrenzen!

Ich verstehe deine Sünden. Wenn du warmen Kürbiskuchen isst oder Sauerkraut, Zwiebelsuppe oder eine Pizza. Aber ich kann nicht darüber hinwegsehen, dass du so ignorant dir selbst gegenüber warst. Wenn ich nun nachgebe, wird es wie früher. Du bist noch nicht soweit. Das spüre ich. Ich kann nicht gehen.

Ja, es tut mir auch ein wenig leid. Es tut mir ein wenig leid, dass du deine geliebten Spaghetti Carbonara nicht mehr essen solltest. Dass dich der Kaffee am Morgen auf die Toilette treibt. Dass Blut im Stuhl deinen Eisenhaushalt killt. Dass du Gelenkschmerzen hast und Krämpfe im Darm. Dass es für dich nichts Schlimmeres gibt als nasse Kälte, die dir durch alle Knochen zieht. Dass du oft abgeschlagen und müde bist, lustlos. Kopfschmerzen, Übelkeit,… dass du in wichtigen Gespräch einen Stuhldrang verspürst und irgendwie aus der Situation raus musst. Dass du im Wald musst, in den Dünen beim Spaziergang…, wo auch immer ich mich melde.

Aber manchmal, da fühle ich mich vernachlässigt. Da ignorierst du mich und amüsierst dich. Selbst wenn ich mich melde, merke ich, dass du Freude hast und lachst und dann bin ich irritiert. Ich merke, dass du wächst. Dass du immer mehr an den Punkt kommst, zu erkennen, warum es mir geht, wie es mir geht. Ich spüre dich. Und ich will, dass du mich spürst, um dich zu spüren. Um zu spüren, wo deine Grenzen sind, und dass du lernst, sie aufzuzeigen. Grenze dich ab, bekomme ein dickes Fell. Nimm Abschied von dem, was falsch lief und schaue auf das, was du hast. Denn das ist jetzt, und das ist gut.

Ein schwerer Weg zur Diagnose

Dörte Klöppel

Es fing mit immer wiederkehrenden Bauchschmerzen an, aber Dörte schenkte diesem Symptom keinerlei Aufmerksamkeit, hatte sie doch andere Sorgen. Ein kränkelndes Kind, schwierige Familienverhältnisse und viele andere Probleme.