Herausgeber:

Prof. Dr. Marco Thomas, Dr. Michael Weigend

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Fachbereich Mathematik und Informatik

Institut für Didaktik der Mathematik und der Informatik

Fliednerstraße 21

48149 Münster

E-Mail: DDI@uni-muenster.de

© 2014 Arbeitsbereich Didaktik der Informatik, Universität Münster

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-735-72667-4

Vorwort

Informatik und Natur. Eine lange Beziehung. Praktisch seit den Anfängern der Informatik benutzen Naturwissenschaftler Computer zum Modellieren, Simulieren, und zum Erfassen und Verarbeiten von Messwerten. Computerbasierte Modelle von Ausschnitten der Welt sind Gegenstand der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung. Die Modellierung von raum- und zeitbezogenen Prozessen mit informatischen Methoden ist Gegenstand der Geoinformatik. Thomas Bartoschek (Institut für Geoinformatik, Universität Münster) stellt in der Keynote das Forschungs-und Schülerlabor GI@School – Geoinformation in der Schule – vor. Teams aus Physikern und Informatikern entwickeln am Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) komplexe Programme, die gefährliche Flugmanöver von Verkehrsmaschinen und Raumschiffen Raumschiffs simulieren. Das DLR ist nicht nur eines der größten Softwarehäuser Deutschlands, sondern es unterhält auch an verschiedenen Standorten Experimentallabore, die von Schulklassen besucht werden. Jugendliche können hier unter Anleitung Versuche machen, die in der Regel fachübergreifend sind. Sylvia Rückheim leitet das Schoollab an der TU Dortmund und stellt Aktivitäten vor, deren Schwerpunkt auf der Informatik liegt. Informatik in Kombination mit Mathematik und Naturwissenschaften (MINT) ist ein Wissensgebiet, das in unserer modernen Technologie-Gesellschaft einen hohen Stellenwert hat. Raphaela Meißner und Klaus Trimborn (Innovationszentrum Schule-Technik in Bochum) geben einen Überblick über Möglichkeiten der Förderung des MINT-Unterrichts durch außerschulische Partner und das ZdI-Netzwerk. Mit dem Verhältnis von Informatik und Naturwissenschaftensetzt sich Dieter Engbring auseinander. Dorothee Müller illustriert wie die Informatik zur Erklärung von Phänomenen beitragen kann. Michael Weigend skizziert Projekte, bei denen mit dem Raspberry Pi Messdaten gesammelt und verarbeitet werden. Im naturwissenschaftlichen Unterricht kommen immer mehr Computer zum Einsatz. Aber die Frage ist, was eigentlich – über die Computerbedienung hinaus – das informatische Denken ausmacht. Nataša Grgurina gibt einen Einblick, welche Rolle das „computational thinking“ im niederländischen Schulunterricht spielt. Im Schulalltag ist Informatik nicht nur Partner sondern auch Konkurrent der naturwissenschaftlichen Fächer. Was interessiert Schüler an der Informatik? Einige Antworten liefern erste Ergebnisse einer umfangreichen Studie zur Wahl des Faches Informatik in Sekundarstufe I von Marco Thomas und Angélica Yomayuza. Ein Reiz des Informatikunterrichts könnte sein, dass Hands-on-Lernen leichter als in den klassischen Naturwissenschaften gefahrlos selbst organisiert werden kann. Der Beitrag von Lin Xu widmet sich dieser Thematik. Eine weitere Besonderheit des Informatikunterrichts ist die Produktorientierung. Andreas Pfeiffer und Marco Thomas beschreiben ein Unterrichtsvorhaben, bei dem ein Bilderbuch mit HTML 5 entwickelt wird.

Wir danken allen Autoren für Ihre Beiträge und wünschen einen angenehmen Workshop.

Münster im Mai 2014

Marco Thomas und Michael Weigend

Inhaltsverzeichnis

GI@School im Informatikunterricht

Thomas Bartoschek

Institut für Geoinformatik
Heisenbergstraße 2
D-48149 Münster

Abstract: Die Initiative GI@School führt Aktivitäten sowohl in der Region Münsterland/NRW, aber auch überregional und teilweise weltweit durch. Wir exportieren Wissen "made in Münster" und können dabei auf eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte zurückblicken, die sowohl bei den Schülern, den Lehrern als auch in den Medien breiten Anklang gefunden haben. Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in den an GI@School verliehenen Preisen wider.

Zum Verhältnis von Informatik und Naturwissenschaften
Ein Vorschlag zur MINT-Förderung

Dieter Engbring

FG Didaktik der Informatik
Universität Paderborn
Fürstenallee 11
33102 Paderborn
didier@upb.de

Abstract: Informatisches Denken (wie z.B. von Wing als Computational Thinking beschrieben) unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom naturwissenschaftlichen Denken. Beides ist wohl Teil der Allgemeinbildung. In diesem Aufsatz wird die Auffassung begründet, dass mindestens eine Aufklärung über den Zusammenhang von informatischen Denkweisen sowie gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Entwicklung auch und gerade als Teil der (allgemeinen) Bildung in der Sekundarstufe II nötig ist, die durch einen Zusatzkurs (in Anlehnung an entsprechende Kurse in den Gesellschaftswissenschaften) Informatik realisiert werden sollte. Abschließend wird ein konzeptioneller Rahmen für einen solchen Kurs vorgestellt.

1 Einleitung

In diesem Aufsatz wird der Vorschlag unterbreitet, dass in der gymnasialen Oberstufe ein Zusatzkurs Informatik eingerichtet werden sollte, den all diejenigen Schüler belegen sollen, die Informatik nicht wählen. Es wird auch begründet, warum dieser Kurs erst in der Sekundarstufe II (SII) verankert werden und was dessen Inhalt sein sollte.

Dazu ist dieser Beitrag wie folgt gegliedert. Im zweiten Abschnitt, der dieser Einleitung folgt, wird der derzeitige Stellenwert von Informatik und Naturwissenschaften in der SII einer kritischen Analyse unterzogen. Im dritten Abschnitt wird dargestellt, was Inhalt informatischen Denkens ist bzw. sein könnte und wie es sich von dem Denken in den Naturwissenschaften und der Mathematik unterscheidet. Der vierte und letzte Abschnitt befasst sich als Fazit und Ausblick mit konzeptionellen Vorschlägen zu einem Informatikunterricht, in dem die informatischen Denkweisen im Zentrum stehen.

2 MINT-Bildung in der gymnasialen Oberstufe

Bei Fächern, die in den allgemeinbildenden Schulen verankert sind, sollen von allen Schülern1 die zugehörigen Kompetenzen erworben werden. Pflicht- und Wahlpflichtfächer sind Ausdruck des Anspruchs der Allgemeinbildung auch in der SII. Aber nicht alle Inhalte der Fächer, die derzeit in der Schule unterrichtet werden, sind wirklich essentiell für eine erfolgreiche Lebensführung. So mag man sich zwar darüber aufregen, dass Menschen mit ihrem mangelhaften bzw. ungenügendem Wissen über Mathematik, Naturwissenschaften oder Technik kokettieren, aber oftmals gibt ihnen ihr gesellschaftlicher Status recht. Heymann hat im Zuge seiner Arbeiten zu Allgemeinbildung und Mathematik darauf hingewiesen, dass es auch bei akademischen Berufen mit den mathematischen Kenntnissen nicht so weit her ist [He96, 134ff]. Schon sehr viel früher (1913) war es Whitehead, der darauf verwies, dass Mathematikunterricht von vielen Menschen als recondite (abwegig oder esoterisch) empfunden wird und dass die Menschen zumindest in der Art und Weise wie diese die fachliche Systematik abbildend unterrichtet werden damit auch Recht haben [Wh62, 260f].

Im Folgenden soll daher gezeigt werden, dass Mathematik und Naturwissenschaften im Versuch Allgemeinbildung und Studienvorbereitung durch Orientierung an der Wissensschaft zu erreichen, nicht besonders erfolgreich sind. Dazu werden zunächst Zahlen (2.1) und dann Befunde (2.2) zum MINT-Unterricht vorgelegt, von denen zwar einige nicht direkt den Informatikunterricht betreffen, die aber teilweise übertragen werden können. Dazu dient die Zusammenfassung in (2.3).

2.1 Zahlen zum MINT-Unterricht

N = 342BiologieChemieInformatikPhysikGesamtMathematik
Frage 174,27%23,98%23,68%37,43%159,36%
Frage 248,25%14,33%19,01%22,81%104,39%53,51%

Tabelle 1: Zahlen aus Schulstatistik NRW zum MINT-Unterricht.

In den Daten der offiziellen Schulstatistik des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW)2 kann man seit Jahren nachlesen, dass die MINT-Fächer nicht sonderlich beliebt sind. Insbesondere Chemie und Physik erreichen nur wenige Schüler. Für die Informatik gilt dies noch mehr. Hier muss aber berücksichtigt werden, dass die Rahmenbedingungen für die Wahl des Faches schlechter sind. Informatik wird nur an ca. 70% (593 von 827) aller gymnasialer Oberstufen angeboten und es kann nur als zweites Fach nach Biologie, Chemie oder Physik gewählt werden.3 Die Wahl von Informatik ist in der Regel nur dann möglich, wenn die Schüler bereits ihre Fremdsprachenbelegung absolviert haben.

Die schlechten Rahmenbedingungen bei der Wahl von Informatik lassen die Frage offen, wie groß das Potenzial wäre, wenn Informatik gleichberechtigt wäre und auch an allen Schulen gewählt werden könnte. Als ersten Schritt eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, haben wir zum Ende des Schuljahres 2011/12 an drei Schulen verteilt über ganz NRW alle Schüler der Einführungsphase unter anderem befragt, was sie aktuell belegen (Frage 1), was sie belegt hätten, wenn sie in ihrer Wahl vollständig frei wären (hierbei haben wir das Fach Mathematik als Pflichtfach miteinbezogen; Frage 2) und ob sie danach Informatik in der 1. Qualifikationsphase (Q1) Informatik weiter belegen.

Die Antworten auf Frage 1 (vgl. Tabelle 2) zeigen, dass die Anzahlen an den beteiligten Schulen nicht ganz untypisch sind. Die Zahl der Schüler, die Informatik wählen, ist höher als im Durchschnitt des Landes (die Zahlen für Chemie sind an den drei befragten Schulen geringer). Da nur an etwa 70% der Schulen überhaupt Informatik angeboten wird, ergibt sich auch bezüglich der Informatik eine eher typische Zahl.

11/EF12/Q113/Q2
Biologie83,1%81,4%59,7%21,7%79,7%57,5%22,2%
Chemie39,4%28,5%25,4%3,1%27,0%23,4%3,6%
Informatik19,6%12,2%11,7%0,5%16,0%15,2%0,8%
Physik36,4%30,5%25,4%5,1%38,6%29,8%8,8%
GesamtGesamtGKLKGesamtGKLK

Tabelle 2: In Frage 1 wurde die tatsächliche Belegung abgefragt. In Frage 2 ging es um die Wahl
bar jeder Einschränkungen. Den Schülern war es freigestellt keins oder alle Fächer anzukreuzen.

Die Antworten auf die Frage danach, welches Fach man wählen würde, wäre man nicht eingeschränkt durch Pflichtbelegungen, zeigen, dass viele Schüler nolens volens im MINT-Unterricht sitzen. Für die Informatik haben wir zudem untersucht, welche Schüler tatsächlich den Informatikunterricht wählen wollten und welche ggf. durch die Rahmenbedingungen an der Wahl gehindert werden. Die Vierfeldertafel in Tabelle 3 zeigt die Zahlen. Von der 81 Schülern, die das Fach Informatik in der EF belegen, geben nur knapp die Hälfte dieses als Wunschfach aus. Tatsächlich kann auch ein gewisser Anteil an Schülern die Wahl des Faches nicht realisieren. In diesen drei Schulen ist sind ca. 8%. Gut zwei Drittel aller Schüler belegen Informatik nicht und wollen es auch nicht belegen.

Info in der EF +Info in der EF –Gesamt
Wunschfach +38 (11,11%)27 (7,9 %)65
Wunschfach –43 (12,57%)234 (68,42 %)277
Gesamt81261342

Tabelle 3: Fasst die Ergebnisse von Frage 1 und Frage 2 für das Fach Informatik zusammen

Um auch untersuchen zu können, warum Schüler nach der EF den Informatikunterricht verlassen, haben wir die Umfrage an das Ende der EF gelegt. Diese Zahlen sind landesweit gesehen sehr hoch (s. Tabelle 1). An den drei befragten Schulen sind es jedoch nur insgesamt 18 Schüler, die Informatik nicht weiter belegen. Von diesen hatten nur drei Informatik als Wunschfach angegeben. Die Anzahl der Schüler ist damit zu gering, um weitergehende Schlüsse zu ziehen. Auffällig ist bei diesen Schülern jedoch die abwertenden Einschätzungen zum Programmieren als Teil des Informatikunterrichts, die mit weiteren Fragen untersucht wurde, deren Auswertung hier nicht dargestellt werden kann.

Die Befragung in den drei Schulen und die offiziellen Daten aus der Schulstatistik zeigen bei aller gebotenen Vorsicht, dass das Schülerpotenzial, dass man mit Informatik als Wahlpflichtfach in der gymnasialen Oberstufe erreichen kann, nicht besonders hoch ist. Die Beliebtheit der Informatik geht nicht über die der Fächer Chemie und Physik hinaus. Die Grundkurse der Informatik (und auch die der Naturwissenschaften) werden dennoch von Schülern belegt, die an den dargebotenen Inhalten wenig Interesse haben. Die Zahlen beziehen sich auf die SII und damit auf einen späten Zeitpunkt in der Schullaufbahn, zu dem die Schüler bereits eine Vorprägung erhalten haben. Einen Teil der Vorprägung wird durch die bisherige Schulzeit und die Erfahrungen hervorgerufen. Die im folgenden darzustellenden Untersuchungen zum Unterricht in Chemie, Physik und Mathematik zeigen dies. Damit ist die Vermutung, dass mehr Schüler für das Fach Informatik zu gewinnen wären, wenn er nur früher einsetzen würde, schwer bis gar nicht zu belegen. Es wird – und das zeigen die folgenden darzustellenden Befunde aus den Naturwissenschaften – sehr darauf ankommen, wie man an die Informatik herangeht.4

2.2 Befunde zum MINT-Unterricht

Untersuchungen zur Unbeliebtheit vor allem von Chemie und Physik gibt es schon seit einigen Jahren. Sie beziehen sich – wie z.B. von Merzyn [Me08] summarisch dargestellt – auf Inhalte und Methoden, Ansehen und Einstellungen, Stofffülle und Schwierigkeiten bis zu Lernerfolg und Zensuren [ebd., 129]. Die Ergebnisse zeigen eine Reihe von Problemen, ohne ein eindeutiges Bild zu liefern, aus dem sich ein modus vivendi ergeben würde, wie die Fächer attraktiver gestaltet werden können, ohne dass man sie verböge.

Merzyn stellt fest, dass das Interesse im Laufe der Zeit zurückgeht. Dies hat sicher auch äußere Faktoren. Dies hat aber auch mit der frühen Orientierung an der Systematik der Bezugswissenschaften zu tun, dem Maß an Komplexität, der in Bezug auf Stofffülle und Aufgabenschwierigkeiten auch daraus resultiert (Formalisierung!) und sich dann auch in Lernerfolg und weniger guten Zensuren niederschlägt. Dies ist grob und es gibt eine Menge von Zwischentönen, die z.B. auch die Methodik und das Lernklima betreffen, da diesen Fächern u.a. ein schlechtes Lernklima attestiert wird [ebd., 129ff]. Dies ist auch Folge der Inhalte bzw. ihrer Vielzahl und der schnellen Abfolge, in der sie präsentiert werden. Daraus resultiert eine Methodik, bei der man auf verstärkten Frontalunterricht und dem Lesen von Lehrtexten setzt. Experimentieren, Explorieren und Üben kommen zu kurz [ebd., 133]. Es ist bedauerlich, dass dies in den Naturwissenschaften geschieht, die wie sonst kaum andere Wissenschaften den Geist der Aufklärung in sich tragen, der es darum ging nicht Glaubenssätze als Wissen zu tradieren sondern den Prozess des Erwerbs und der Absicherung der Erkenntnisse zu vermitteln. Eine Folge der Methodik und der Stofffülle ist jedoch, dass Schüler die Sätze und Gesetze der Naturwissenschaften wie dogmatische Lehrsätze lernen. Dieser Befund ist auch nicht neu, denn schon in den 1980er Jahren, ließ sich als Resultat des naturwissenschaftlichen Unterrichts u.a. feststellen, dass die „Entmystifizierung der mittelalterlichen Vorstellung von der Welt in der Forderung nach Wissenschaftsorientierung [...] ersetzt [wird] durch einen neuen Mystizismus positiven Partikularwissens; Pestalozzi sprach von Brockenwissen. [BH87, 10] Faulstich-Wieland verwies schon damals auf eine Studie an Marburger Schulen. Sie schreibt: Naturwissenschaftlicher Unterricht führe in seiner bisherigen Form zu einer „unkritischen Wissenschaftsgläubigkeit“ [Fa86, 509], die es damit auch erschwert, Technik rational einzuschätzen. Die häufig geäußerte Behauptung, dass naturwissenschaftlicher Unterricht einen wesentlichen Beitrag zum Wirklichkeitsverständnis und zu einem kritischen Bewusstsein gegenüber Wissenschaft und Technik beitrüge, wird in empirischen Studien zum naturwissenschaftlichen Unterricht relativiert. Es steht zu vermuten, „dass die schulischen Naturwissenschaften in ihrer traditionellen Form wesentlich für jene gefährliche Verbindung von Abwehr und Respekt, von Angst und Gläubigkeit (mit) verantwortlich sind, die den notwendigen emanzipativen Umgang von Individuum und Gesellschaft mit Wissenschaft und Technik so schwer macht.“ [Br85, 52]

2.3 Zusammenfassung