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Inhaltsverzeichnis

Es war vor zehn und einhalb Jahren in der gottverlassenen Nazistadt –

Ich flog, wie ein leichtverhangener goldener Ball,

Unsichtbar durch Mordgeheul kopfüber jedem Spreevasall.

Seitdem betrachte ich mich gern nach höherer Weltanschauung,

Und nicht wie du mich, überkluger Bürger, einschätzt…

(Else Lasker-Schüler, Ichundich)

Die getäuschten Kinder: Ein Prolog

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –

Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?

Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? –

Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. –

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,

Was Erlenkönig mir leise verspricht? –

Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;

In dürren Blättern säuselt der Wind. –

Dies ist die Geschichte einer Täuschung. Einer Täuschung, die ihr Ende noch nicht gefunden hat. Daß meine Großmutter, mit der ich bis in mein Erwachsenenalter von einem Kontinent zum anderen gezogen bin, außer einer Tochter – meiner Mutter – noch einen Sohn hatte, habe ich nicht gewußt.

Erst als erwachsener Mann erfuhr ich von seiner Existenz, erfuhr damit, daß meine Familie nicht nur aus Opfern, sondern auch aus Tätern bestand. Ein Wissen, das ich sofort verdrängen mußte. Daß meine Großmutter mir den jungen Mann, ihren Sohn, der im Mai 1945 auf dem Marktplatz von Kaaden in Böhmen erschossen worden war, unterschlagen hatte, habe ich als Täuschung erlebt. Ich erfuhr, daß Täuschung für den Täuschenden und den Getäuschten zur Selbsttäuschung wird. Und ich frage mich heute, ob die sich in meinem Leben anhäufenden Täuschungen und Selbsttäuschungen mit dem hartnäckigen Schweigen meiner Großmutter ihren Anfang genommen haben oder bereits vorher: Ich besitze die deutsche, die israelische und die tschechische Staatsbürgerschaft, aber keiner der drei Pässe erlaubt mir, im entsprechenden Land ohne beträchtliche Einschränkung zu existieren. Die jedem Bürger in Deutschland zustehende Rechtssicherheit erwies sich für mich als Täuschung, da der justizbekannte Mörder meines Großvaters nicht vor Gericht gestellt wurde – bis zum 25. Mai 2000 von Politik und Justiz gedeckt wurde. In Israel bin ich als Sohn einer christlichen Mutter kein Jude. In Deutschland weist mich mein Name als solcher aus. Was ich nach eigener Definition bin, spielt in beiden Fällen keine Rolle. In der Tschechischen Republik bin ich Angehöriger der deutschen Minderheit und den zum Teil berechtigten Vorbehalten gegen Sudetendeutsche ausgesetzt. Außer drei Pässen besitze ich zwei Taufurkunden. In Shanghai, in dessen Getto ich als Kleinkind lebte, wurde ich, Sohn eines Juden, sowohl katholisch als auch protestantisch getauft. Die Taufurkunden waren als Schutz gedacht, haben aber die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt.

Seit meiner Geburt haben all diese Täuschungen ein Eigenleben entwickelt, dessen Fortsetzung ich unterbrechen will. Die Täuschungen und ihre Wirkungen sollen sich nicht in das Leben meiner Kinder und Enkelkinder hinein verlängern. Ich habe auch sie bereits getäuscht und damit jenen Kreislauf in Gang gehalten, den ich aufbrechen will.

Das Kind, das ich war, wurde getäuscht. Aus der Täuschung erwuchsen dem Heranwachsenden Forderungen und Erwartungen, die von der Quelle der Täuschung ablenken sollten. Der Erwachsene lebte bereits in der zur fragwürdigen Wirklichkeit gewordenen Täuschung. Gelegentlich beschlich ihn die Ahnung einer nicht mehr faßbaren frühen Erinnerung – oder eine Angst, die ihren Ursprung noch vor jeglicher Erinnerung haben mußte. Diese Angst lernte der Mann, lernte ich kennen als Grundlage einer getäuschten, meiner vorgetäuschten Existenz. Gab es mich überhaupt?

Dem Sohn, der den Erlkönig sieht, sagt der Vater: «Es ist ein Nebelstreif.» Dem Sohn, der den Erlkönig hört, sagt der Vater: «In dürren Blättern säuselt der Wind.» Der Vater täuscht sein Kind. Das Kind ist am Ende tot. Die meisten Kinder meiner Zeit sind getäuscht worden. Sie haben nicht gesehen, was sie gesehen, nicht gehört, was sie gehört haben. Durften sie ahnen, was sie geahnt haben? Wie viele waren am Ende tot? Und was von denen, die leben, ist abgestorben?

Dies ist die Geschichte meiner Täuschung. Aber ich bin nicht allein getäuscht worden.

Eine vage Ahnung, daß mir wichtiges Wissen fehlt und daß es mir gleichzeitig vorenthalten wird, gehört zu den ersten Gefühlen, an die ich mich erinnern kann. Unklar ahnte ich hinter der Freundlichkeit und Fürsorge der Erwachsenen um mich herum unausgesprochene Wahrheiten. Nebel legte sich um das Kind, quälende Dumpfheit kam auf. Aber wonach hätte es fragen sollen, das Kind, und wie? Doch daß eine List im Spiel sei, die alle Fragen des Kindes verhindern sollte, ahnte das Kind, ahnte ich.

Von heute aus gesehen, erscheinen mir die Jahre der Kindheit und Jugend ein einziges Frage-Tabu zu sein. Jede Tabuverletzung konnte mir Unmut und Zorn, Strafe und Ächtung einbringen. Es war kein einfaches Tabu, das ich nicht verletzen durfte. Es war ein riesiges Tabu, und es wuchs mit mir. Es wuchs auch die Angst, es versehentlich zu verletzen. Es wurde immer mehr, worauf ich achten, wovor ich mich schützen mußte.

Als erwachsener Mann von fünfzig Jahren blickte ich erstmals auf die Geschichte meiner Kindheit und Jugend. Da war immer noch Nebel. Ein halbes Jahrhundert mußte vergehen, bis ich meine Kindheit entdeckte. Bis ich entdeckte, daß ich viele Leben leben, einen Kreislauf von Hoffnungen und Wünschen, von Trauer und Wut durchlaufen mußte, bis ich als erwachsener Mann, auf der Suche nach Erinnerungen, zwischen den Lagerhallen des Hafens von Shanghai einen kleinen Jungen sehen konnte, der ein Paket mit Ei und Milchpulver, Nescafé und Corned Beef, vor allem aber mit Schokolade, bewachte. Und der sich im Gewimmel und der Hetze um ihn herum das Paket stehlen ließ.

Wenn man nicht weiß, wonach man fragen muß, muß man irgendwo beginnen. Meine Eltern waren nicht zu befragen. Mein Vater war gestorben, als ich wenige Monate, meine Mutter, als ich acht Jahre alt war, wovon ich sie die letzten dreieinhalb Jahre kaum gesehen hatte. Ich begann also, über meine Eltern zu schreiben, denn im Schreiben kann man Fragen stellen, die man im Leben nicht mehr stellen kann. Ich behaupte: Auf die eine oder andere Frage findet man sogar eine Antwort. Ich schrieb über die Flucht meiner Eltern aus Nazideutschland bis nach Shanghai. Dabei stieß ich auf einen Mord, der meine geplante Erzählung aus der Bahn warf, und auf den Mörder. Der Mörder war ein Mann namens Anton Malloth, der unbehelligt von der deutschen Justiz in einem Altersheim in München seine letzten Jahre verbrachte. Der Ermordete war mein Großvater Martin Finkelgrün, der der deutschen Justiz keinen Prozeß wert ist. Also habe ich, sein Enkel, ihm, so gut es ging, zu seiner Würde verholfen. Ich habe ihn aus der Anonymität der sechs Millionen herausgeholt und ihn als Individuum erstehen lassen.

Das ist nicht ohne Folgen geblieben. Denn zum einen stelle ich mir immer wieder die Frage, weshalb ich es mir nicht ersparte, mit meinen Steuergeldern den angenehmen Lebensabend des Mörders meines Großvaters zu finanzieren. Warum lebte ich noch in diesem Land? Warum nicht in Israel? In New York? Oder in Grönland? Zum anderen mußte ich die Geschichte, von der ich durch den Mord an meinem Großvater in eine andere Richtung – nämlich in die eines immer noch bestehenden deutschen Justizskandals – gedrängt wurde, erneut beginnen. Denn einiges war mir durch die mir aufgezwungene Richtung abhanden gekommen. Zum Beispiel die Suchspur der erwähnten Täuschung.

Unterwegs als sicherer Ort

September 1994. Wieder einmal war ich auf dem Weg von Deutschland nach Israel, wieder einmal im Hafen von Piräus. Auf meinen Reisen von Deutschland nach Israel, von Israel nach Deutschland komme ich immer wieder nach Piräus. Trotz sommerlich flirrender Atmosphäre, trotz der vielen hin und her hetzenden Menschen umhüllt mich eine merkwürdige Ruhe. So geht es mir immer in Häfen. Voller Neugier beobachte ich die Passagiere. Manche sind in Eile, fürchten, nicht rechtzeitig an Bord zu kommen. Andere zeigen Vorfreude auf Unbekanntes. So lese ich es in ihren Gesichtern. Sie gehören zu Urlaubern und Abenteurern – Gruppen, Paaren, einzelnen –, zu Geschäftsreisenden, Trampern, Pilgern, sogar Flüchtlingen. Nicht zum ersten Mal bin ich unter ihnen.

Ich bin vier Jahre alt. Auf einem Platz zwischen den Lagerhallen des Shanghaier Hafens sitze ich auf einem Paket. Es ist mit flachen Metallbändern gesichert. Meine Mutter hat mich auf das Paket gesetzt. Ich soll darauf aufpassen, bis sie wiederkommt. In dem Paket sind Lebensmittel. Vor allem ist darin die Schokolade, auf die ich mich schon lange gefreut habe.

Zwischen den hin und her eilenden Menschen, die meisten davon Chinesen, sitzt ein Mann auf einem kleinen Koffer. Auch der Mann bin ich. Der Mann, in seine Gedanken versunken, betrachtet den vierjährigen Jungen. Der Mann weiß, daß der Junge in dieser Stadt geboren, dort aber fremd ist. Er sieht die Mutter des Jungen zurückkommen und entsetzt feststellen, daß das Paket mit der von dem Jungen heiß begehrten und sehnsüchtig erwarteten Schokolade nicht mehr da ist. Der Mann wirkt bedrückt. Er steht auf und blickt nachdenklich auf seinen Koffer. Der birgt keine Schokolade. Neben einigen Gegenständen – einer alten Lederbörse, einer kleinen chinesischen Vase, einem Paar grüner Damenschuhe, ja sogar einem gut verpackten Teeservice aus elfenbeinfarbenem Porzellan mit Goldrand – sind darin Papiere, Dokumente und Fotografien. Bestätigungen von Gelebtem.

In dem Koffer des Mannes sind seine Erinnerungen. Der Inhalt seines Koffers wird nicht gestohlen werden. Mit Hilfe des Koffers hat der Mann den kleinen Jungen gefunden. Er wird ihn auf seinem langen Weg begleiten.

Aber hier ist Piräus, nicht Shanghai. Es ist September 1994, nicht Sommer 1946. In Jerusalem soll das Theaterstück Schöner Toni von Joshua Sobol Premiere haben. Es ist ein Stück über die Ermordung von Martin Finkelgrün, meinem Großvater, durch den SS-Mann Anton Malloth. Es ist ein Stück darüber, wie der Staat die Mörder schützt und so die Opfer verhöhnt. Es ist ein Stück über die Geschichte meiner Familie. Mit dem Schiff bin ich unterwegs, um meinen Verwandten zu begegnen. Wir wollen uns alle in Jerusalem versammeln. Es soll ein Familientreffen der besonderen Art werden. Die Lebenden werden die Toten treffen. Die einen sind im Zuschauerraum, die anderen auf der Bühne. Die Ermordeten werden zu den Geretteten sprechen, die Nachgeborenen zu den Verstorbenen.

Ich habe drei Tage und drei Nächte Zeit, um mich auf dieses Treffen vorzubereiten. Mich all dessen zu erinnern, was ich weiß und was nicht auf der Bühne zu sehen und zu hören sein wird.

Mein Vetter Michael wird nicht dabeisein. Er hat kurz vor meiner Abreise aus Deutschland einen Herzinfarkt erlitten. Mein großer, starker Vetter, der Liebling seiner Eltern und seiner Schwestern, der Sabre aus dem Kibbuz, Musterschüler und Meisterschwimmer, kampferprobter und siegerfahrener Offizier der israelischen Armee, hervorragender Wissenschaftler seines Landes. Ein Mann mit festgefügter, wohlverankerter Vorstellung von sich selbst. Fünfzig Jahre alt hat er werden müssen, um den Unsicherheiten und Unwägbarkeiten auch seines Lebens nicht mehr ausweichen zu können.

Auch mein zweiter Vetter, Walter, wird nicht da sein. Er ist nicht Reserveoffizier der israelischen Armee. Vermutlich war er Soldat der deutschen Bundeswehr. Auf einer Fahrt nach Karlsbad bin ich von der Autobahn ab und einen Umweg gefahren, um mir seinen Wohnort, sein Haus anzuschauen. Der Weg führte mich zu einem kleinen Ort an der früheren Grenze zwischen Ost und West, entlang derer sich viele Vertriebene aus der Tschechoslowakei angesiedelt haben. Um den Dorfkern ist eine größere Ortschaft entstanden, in ihrem Zentrum steht ein Schaukasten der IG Chemie. Es muß Kalibergwerke in der Nähe geben. Ich stand vor dem kleinen hellen Einfamilienhaus mit schmalem Balkon, unter dem sich eine Garage mit abgestelltem Wagen befand, und blickte auf das große Wohnzimmerfenster. Dicke Wolkenstores verhinderten jeden Einblick.

Ich kenne Walter nicht. Habe ihn nie gekannt. Habe nie den Wunsch verspürt, ihn kennenzulernen: Einen, von dessen Existenz ich erst erfuhr, als Großmutter Annas Sohn, sein Vater, schon ein Vierteljahrhundert tot war.

*

Ich träume schon lange nicht mehr. Wenigstens behaupte ich das. Oder es gelingt mir, meine Träume vor mir selbst zu verbergen. Vermutlich, weil die Träume zu unangenehm und belastend sind. Als junger Mensch hatte ich Träume, an die ich mich erinnern kann. Die Kinder, mit denen ich in Shanghai gespielt habe, sind mir später im Traum erschienen. Ich sehe noch heute das Bild, wie ich eines von ihnen am Arm packe und hinter mir herziehe. Es war tot. Gehörte zu den vielen, die gestern lebten, heute tot waren und auf der Straße liegengelassen wurden, weil niemand das Geld für ihre Beerdigung hatte. Aber dieser Traum war die Wiedergabe von Erlebtem, kein Phantasiebild, wie es während des Schlafs als Ausdruck von Wünschen und Ängsten unter den Lidern vorbeizieht.

Wahrscheinlich fürchte ich mich vor meinen Träumen. Ich wehre sie ab. Mit all meiner Kraft. Am Morgen, wenn ich wach werde, fühlt sich mein Körper manchmal schmerzhaft steif an, als hätten sich alle Muskeln verkrampft bei der Anstrengung, die Träume fernzuhalten. Jedenfalls gelingt es meinen Muskeln, mich wie ein Panzer vor meinen Träumen zu beschützen.

Eines Morgens wachte ich mit der beinahe wissenschaftlichen Interpretation eines Traums auf. An den Traum selbst hatte ich, wie fast immer, keine Erinnerung. Ich konnte mich nicht einmal erinnern, überhaupt geträumt zu haben. Aber ich wurde wach und wußte plötzlich, weshalb ich nach Deutschland gekommen war. Ich war gekommen, um mich von meiner Großmutter zu befreien. Von Großmutter, die für mich die gute Mutter sein wollte. Für die ich der gute Sohn sein sollte, an Stelle des Toten, der ihr kein guter Sohn hatte werden können. Der als Waise aufgewachsen war, obwohl er eine Mutter hatte. Der am 10. Mai 1945 auf dem Marktplatz der ehemals königlichen Stadt Kaaden an der Eger erschossen worden und mit dem Rücken zum Hotel Austria und dem über 500 Jahre alten Rathausturm im Kugelhagel zusammengebrochen war.

Der Traum, an den ich mich nicht erinnern konnte, hatte eine stärkere Wirkung als jene geträumten Erinnerungen an Shanghai: Denn nun wußte ich, daß ich, um mich von Großmutter zu befreien, um mich endgültig von ihr zu verabschieden, ihrem Lebensweg folgen mußte – nach dem meines in Theresienstadt ermordeten Großvaters Martin nun auch dem von Großmutter Anna. Danach erst würde ich meine Eltern entdecken und erkennen, würde ich mich von allen verabschieden und vielleicht wissen können, wer ich bin. Dabei müßte ich Tatsachen nachgehen und Fragen stellen, die schmerzhafte Antworten bergen könnten. Vielleicht würde ich dann träumen können. Träume, aus denen ich erholt erwachen konnte. Ohne angespannte Muskeln. Ich mußte mich auf den Weg machen, mußte mich verschiedener Orte zu verschiedenen Zeiten erinnern. Ich durfte nicht stehenbleiben.

*

Neben anderen Passagierschiffen im Hafen von Piräus wirkt die Sea Wave wie ein museales Relikt aus der Zeit, als noch abenteuerliche kleine Dampfer jene Flüchtlinge an die Küsten des Gelobten Landes brachten, die Europa als nicht bewohnbaren Kontinent erlebt und ihm den Rücken gekehrt hatten. Das schmutzige Weiß der Schiffswand ist mit schwarzen Schlieren bedeckt. Woher die Schlieren kommen, erkenne ich im nächsten Hafen. Barkassen, rundum mit großen alten Reifen versehen, die sie wie prähistorische Tiere mit Schuppenpanzern aussehen lassen, drängen sich mit aller Kraft gegen die offensichtlich nur begrenzt manövrierfähige Sea Wave. Sie reiben sich an der weißen Wand und schieben die Fähre mit Zentimeterabstand an einem der luxuriösen Kreuzfahrtschiffe vorbei. Das kleine Deck der Sea Wave ist mit gewellten Kunststoffscheiben überdacht. Der Schutz gilt weniger der Sonne als den Rußflocken, die, kaum daß das Schiff sich vom Pier wegbewegt, in dicken Schwaden aus dem Schornstein herauswirbeln und vom Fahrtwind sofort nach unten gedrückt werden. Wehmütig denke ich fünfzehn Jahre zurück, an die ebenfalls kleine Neptunia.

Die Neptunia im Kanal von Korinth

Zu jener Zeit, Anfang der achtziger Jahre, konnte man sich, wenn man nach Israel wollte, noch in Ancona einschiffen und bis Haifa an Bord des Schiffes bleiben. Will man diese Reise heute machen, so muß man das Schiff, das in Ancona ablegt, im Hafen von Patras verlassen und mit dem Wagen oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Piräus fahren, um sich dort auf ein anderes Schiff zu begeben. Den Kanal von Korinth, eines der sieben Weltwunder, kann man, von Ancona kommend, nicht mehr als großartiges Schauspiel an Bord eines Schiffes erleben, das sich in nur wenigen Zentimetern Abstand zwischen den hochragenden Steilfelsen hindurchbewegt. Der Blick von der schmalen Brücke, über die man auf dem Landweg von Patras nach Piräus kommt, ist kein Ersatz für das Erlebnis der langsamen Schiffsbewegung, wenn man vom Ionischen Meer auf den Kanal von Korinth zufährt. Stundenlang hat man, den Blick auf einen geschlossenen Landstreifen am Horizont gerichtet, das Gefühl, das Schiff bewege sich in gerader Linie auf eine Wand zu. Erst im letzten Augenblick öffnet sich im Felsen eine schmale Spalte, die sich entsprechend der Fortbewegungsgeschwindigkeit des Schiffes verbreitert. Beim Blick über die Reling glaubt man, das Schiff bewege sich über Land. Auf der Kommandobrücke der Neptunia hatte der Kapitän wie ein stolzer Moses gestanden, vor dessen Schiff sich das Land teilte. Er warf Zigarettenschachteln, ja ganze Stangen von zollfreien Zigaretten den Soldaten zu, die einzeln oder in kleinen Gruppen entlang des Kanals herumstanden, wie reglose Tiere, die auf Fütterung warteten.

Ich erinnere mich an den Deckbarmann, vermutlich hieß er Kosta. Ein Grieche, den nicht nur seine Freundlichkeit, sondern auch seine Zahnlücke so unvergeßlich machte. Kosta hatte nicht nur Griechisch gesprochen. Er sprach auch Italienisch, Englisch, selbst einige Brocken Deutsch und Französisch, was es ihm ermöglichte, seine Freundlichkeit auf alle Passagiere zu verteilen. Der Deckbarmann auf der Sea Wave hat keine Zahnlücke. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es jedesmal derselbe Mann ist, der sich, immer nur für Augenblicke, in dem Blechverschlag aufhält, der an einem Ende des kleinen Oberdecks aufgebaut ist. Zwei, drei Tüten Kartoffelchips, eine nichtfunktionierende Espressomaschine und einige Rollen Kekse wirken wie der mißratene Versuch, einen Verkaufsstand darzustellen. Der Deckbarmann oder wer immer sich minutenweise hinter den Tresen dieses bankrotten Kiosks stellt, spricht weder Deutsch noch Italienisch, weder Französisch noch Griechisch – auch nicht einzelne Brocken dieser Sprachen. Er und der Rest der Mannschaft haben jene stoischen fernöstlichen Gesichtszüge, wie man sie immer häufiger in europäischen Häfen sehen kann – nicht gleichmütig, eher gleichgültig. Einige englische Begriffe verstehen sie alle, aber wenn sie etwas erwidern, sind sie nicht zu verstehen. Es verlangt besondere Aufmerksamkeit, ihren Lauten und den unbeweglichen Gesichtern eine Auskunft zu entnehmen, etwa die, daß es keine kalte Cola gebe.

Die Offiziere der Sea Wave sind Griechen und scheinen sich mit jedem Schiff, das uns auf der Strecke überholt und vor uns am Horizont verschwindet, um uns mit höhnischem Tuten im nächsten Hafen zu erwarten, ein wenig mehr zu schämen. Ihre Blicke weichen den ungestellten Fragen der Passagiere aus, die bereits am ersten Tag darüber zu rätseln beginnen, ob das Schiff die Belastung bis zum Zielhafen aushalten wird.

Ich aber fühle mich sicher. Reisen und Aufenthalte auf Schiffen sind für mich immer eine Zuflucht. Alle Ängste und Gefahren, die mich an Land bedrängen, werden zurückgelassen, scheinen sogar zu verschwinden. Unterwegs ist ein sicherer Ort.

Auch der kleine Koffer mit Erinnerungen wird wohlbehalten in Haifa an Land kommen. So wie beim ersten Mal – vor über 40 Jahren.

*

Doch diesmal wird die Ankunft anders sein als damals, als ich mit Großmutter von Venedig aus auf große Reise ging. Damals hieß das Schiff Negba und verließ den europäischen Kontinent am Abend. Es waren nur wenige Passagiere an Bord. Ich muß recht müde gewesen sein. Die Nacht zuvor hatten wir in einem Hotel in der Nähe des Bahnhofs von Venedig übernachtet. Am Nachmittag vor dem Einschiffen hatte Großmutter mit mir einen Spaziergang durch die Stadt gemacht. In den schmalen Gassen wanderte mein Blick immer wieder an den Häusern hoch, als suchte ich einen Ausweg aus der Enge. Während Großmutters Aufmerksamkeit durch die auf Karren aufgehäuften Bananen und Apfelsinen in Anspruch genommen war, sah ich einen Mann aus einem Fenster klettern. Er hielt sich geschickt mit den Armen fest, während er sich in Richtung des nächsten Fensters bewegte, um dort einzusteigen. Nach einer Weile erschien er wieder am Fenster, um sich wie vorher entlang der Hauswand weiterzubewegen. Ich bemerkte, daß die Seitentaschen seines Jacketts jetzt ausgebeult waren. Ich behielt meine Beobachtung für mich, während Großmutter mit Hilfe von Zeichensprache um den Preis der Bananen feilschte. Ich ahnte, was geschehen könnte, wenn ich meine Beobachtung an Großmutter weitergeben würde.

In Prag hatte sie mich einmal in der Nacht geweckt. Ihre Hand hatte über meinem Mund gelegen, während sie mir ins Ohr flüsterte, ich solle ganz still sein, denn in der Praxis des Zahnarztes im Erdgeschoß unter unserer Wohnung seien Einbrecher. Sie bewegte sich vom Bett in Richtung Küche. Ich schlich ganz vorsichtig hinter ihr her. Sie machte kein Licht, aber der Vollmond erhellte die Räume. Ich konnte den Weg erkennen und Großmutters Handlungen verfolgen. Sie stand ein wenig ratlos in der Küche, ich merkte, wie ihr Blick suchend von einer Ecke zur anderen wanderte und am Küchenschrank hängenblieb. Vorsichtig öffnete sie eine Tür und holte einen Gegenstand heraus, mit dem sie zum Balkon ging. Ich sah, wie sie sich über die Brüstung beugte, nach unten zum Fenster der dort befindlichen Zahnarztpraxis blickte und dann ihre Hand mit dem aus dem Küchenschrank geholten Gegenstand ausstreckte. Sie verharrte regungslos. Im hellen Mondschein erkannte ich den Gegenstand in ihrer Hand. Es war das schwere Bügeleisen. Sie hielt es am Griff fest. So, wie sie stand, über die Brüstung gebeugt, hielt sie seine Fallinie für passend, um damit einen der Einbrecher beim Aussteigen aus dem Fenster zu treffen. Mich erfaßte ein Schreck. Ich griff nach dem Ärmel ihres weißen Nachthemdes und zupfte nicht allzu fest, aber unnachgiebig daran. Zuerst wollte sie mich abschütteln, dann ließ sie sich unwillig von mir in die Küche zurückzerren. Ich schüttelte heftig den Kopf und griff nach dem Bügeleisen. Sie hielt es fest, ich spürte das Gewicht des Eisens, und seine Spitze, von Großmutter für die Schädeldecke des Einbrechers gedacht, bohrte sich in meiner Vorstellung in diese hinein.

Schließlich stellte Großmutter das Bügeleisen vorsichtig auf dem Küchentisch ab. Ich empfand Erleichterung. Sie sah mich nachdenklich an, ging zum Balkon zurück, stellte sich wieder an die Brüstung, hob die Hände trichterförmig vor den Mund, holte tief Atem und begann laut zu schreien: «Pomoc…!» schrie sie nach Leibeskräften auf tschechisch. «Hilfe, Diiebe… Einbrecher, Diiieebe, Hiilfe…»

Aus dem Fenster der Zahnarztpraxis sprangen zwei dunkle Gestalten. Mit zwei, drei Schritten waren sie über den Rasen zum Zaun gelangt, den sie schnell überwanden, und rannten dann die Levá ulice hoch. Im Haus gegenüber gingen Lichter an, Fenster flogen auf, Stimmen erklangen. Von Haus zu Haus pflanzte sich dieser Ablauf fort.

«Da! Da! Da rennen Sie.»

«Rufen Sie die Polizei.»

Ob man die Einbrecher gefaßt hat, habe ich nicht erfahren. Nachdem die Aufregung sich gelegt hatte, schlief ich bald wieder ein, zufrieden, daß ich ein Leben gerettet hatte. Keiner der beiden Einbrecher hat je erfahren, wie nahe er daran war, von einem Bügeleisen erschlagen zu werden.

In Venedig war ich überzeugt davon, während Großmutter Bananen kaufte, wieder einen Einbrecher bei seiner Tätigkeit beobachtet zu haben. Ich kann wohl kaum befürchtet haben, daß Großmutter irgendeinen Gegenstand nach ihm schleudern würde, aber vielleicht befürchtete ich, daß sie wieder in ein Gezeter ausbrechen oder, was schlimmer gewesen wäre, vergessen würde, die Bananen zu kaufen, die ich so sehr mochte.

Wieder einmal hatte ich dazu beigetragen, daß ein Einbrecher entkommen konnte.

Am selben Abend haben wir uns auf der Negba eingeschifft. Es waren nur wenig Menschen an Bord, und rechtschaffen müde, wie ich war, schlief ich auch bald ein. Nur vage habe ich gemerkt, daß noch in derselben Nacht das beruhigende Schaukeln des Schiffes aufhörte und wir wieder an einem Kai festmachten.

Am nächsten Morgen war das Schiff voller Menschen, die mir fremd erschienen – dunkelhäutig, eine Sprache sprechend, die ich nicht verstand. Meine Versuche, sie in den mir verfügbaren – immerhin waren es bereits vier – Sprachen anzusprechen, schlugen fehl. Unter den Menschen an Bord gab es einige wenige braungebrannte, aber nicht dunkelhäutige Männer, die sich in einer anderen, mir ebenfalls fremden Sprache mit den dunkelhäutigen verständigen konnten. Ein Hin- und Hergerenne, während die Frauen in einer mir bis dahin unbekannten Lautstärke und Stimmlage schrien, versetzte mich in Aufregung. Ich zog mich zurück und beobachtete die anderen. Am folgenden Morgen wirkte bereits alles ruhiger. Die neu an Bord Gekommenen waren jetzt auf dem Oberdeck in Gruppen aufgeteilt; zu jeder Gruppe sprach einer der Braungebrannten. Nach und nach hörte ich, wie einzelne der Gruppen anfingen zu singen, und bald tanzten sie singend in einem Kreis. Ich wußte nicht, daß es israelische Tänze und Lieder waren, die ich da erstmals sah und hörte.

Wenige Tage später kamen wir in Haifa an. Ein Menschen und Stimmengewirr am Pier und in den davorliegenden Hallen mit gewölbten Dächern aus Blech empfing uns. Wieder einmal mußte ich auf Koffer achten. Diesmal hatte Großmutter mir den Auftrag gegeben und war im Gewirr verschwunden. Ich sah sie in einer der Reihen vor den längs aufgebauten Tischen stehen. Ich sah sie dort mit einem Mann sprechen, der gehetzt in Papierbergen blätterte, nach dem einen oder anderen Blatt griff und dann eine mir bereits bekannte Handbewegung machte. Eine Handbewegung, die für mich das Zeichen war, daß Großmutter sich wieder zu mir umdrehen und kommen würde: Die rechte Faust des Mannes ballte sich, fuhr bis in Schulterhöhe und sauste auf den Tisch herunter. Nachdem er derart irgend etwas betont hatte, reichte er ihr mit der linken Hand ein Papier.

In Prag war Großmutter mit mir zusammen zur örtlichen Behörde gegangen, um dort unsere Pässe mit eingestempelter Ausreisegenehmigung abzuholen. Neben ihrem tschechoslowakischen Paß hatte dort für mich ein Kinderreisepaß bereitgelegen, den ich nach der Unterzeichnung gestempelt über einen Schalter ausgehändigt bekam. Ehe ich meinen Namen in das Dokument schrieb, las ich ganz aufmerksam, was darin stand. In einer Rubrik waren mit Tinte die Länder eingetragen, für die das Reisedokument, mit dem wir nach Israel reisen würden, gültig war. Daraus ergaben sich zwei mögliche Routen. Eine dieser Routen schloß Deutschland ein. Ich erinnere mich, wie ich sofort fragte, ob wir denn durch das Západnì Nemecko, durch West-Deutschland also, fahren würden, und in meiner Frage war so etwas wie Furcht angeklungen. West-Deutschland, das hatte ich erfahren, war der Quell alles Bösen. Überhaupt war alles, was westlich war, gefährlich, dunkel und drohend.

Wie gefährlich und bedrohlich der Westen war, hatte ich, zusammen mit anderen Mitschülern der ersten Jahrgänge der Grundschule in Prag-Podolì, ganz konkret erfahren. Auf Kartoffelfeldern außerhalb der Stadt hatten wir Kartoffelkäfer gesammelt, die von Flugzeugen aus dem Westen dort abgeworfen worden waren, um den sozialistischen Zweijahresplan zu sabotieren und eine Hungersnot hervorzurufen. In Gruppen eingeteilt hatten wir einen ganzen Tag lang gesammelt und waren erschöpft, aber befriedigt von der Schlacht um die Rettung des Sozialismus zurückgekehrt. An einem der nächsten Tage fand in der Schule eine Art Feier statt. In Einmachgläsern waren auf den Längsseiten der Klassenräume die von uns gesammelten Kartoffelkäfer aufgestellt, und auf den Gläsern befestigte Zettel kündeten vom Eifer und Erfolg der jungen Pioniere aus Prag-Podolì.

Wie eifrig ich als Junger Pionier in Prag gewesen bin, daran erinnert ein Brief, den meine Mutter an ihre Schwägerin Dora, die Schwester meines Vaters Hans, und deren Mann Gerhard am 24. Januar 1949 in den Kibbuz Kfar Hammakabi geschrieben hatte. Darin stand:

Peterle geht zur Schule und hält mir politische Vorträge über Lenin. Zweimal mußte er schon Gedichtchen vortragen, zur Feier des Revolutionstages und zur Verbrüderung, das heißt zur Befreiung der Republik durch die Armeen.

Schließlich hatte ich einen guten Grund gehabt, Vorträge über Lenin zu halten. Er war für mich so etwas wie ein ganz persönlicher Bekannter. Ich hatte eine Erfahrung gemacht, von der die anderen Kinder an der Schule nur träumen konnten. Eine Erfahrung, die mir in der Schule einen gewissen Rang verlieh, mir half, andere Mängel oder Nachteile auszugleichen: Ich hatte Lenin gesehen!

Die Smolny brachte meine Mutter und mich von Shanghai nach Wladiwostok. Dort bestiegen wir, auf unserem Weg zu Großmutter Anna in Prag, den Transsibirien-Expreß. Nach tagelanger Fahrt durch eine trübe Schneewüste waren wir in Moskau.

Das Hotelzimmer in Moskau war viereckig und sehr hoch. Ich erinnere mich, daß es kaum möbliert war. In Erinnerung ist mir auch eine nackte elektrische Birne geblieben, die an einer langen Strippe mitten im Raum hing und mich blendete. Dennoch zog sie meinen Blick auf sich, und ich sah eine Aura aus vielen Farben, die sie wie ein Kranz umgab. Sonst sah ich nur das kahle Zimmer mit seinen weißen Wänden. Am Morgen nach unserer Ankunft ging meine Mutter mit mir über das Kopfsteinpflaster des Roten Platzes zum dunklen Eingang eines fensterlosen Gebäudes aus rotem Stein. Es gab kaum Menschen auf dem großen Platz, und auch am Eingang des dunklen Tunnels, der ins Innere des Gebäudes führte, waren kaum Menschen. Der Weg schien lang, und endlich gelangten wir in einen matt erleuchteten Raum, in dessen Mitte auf einem dunklen Aufbau ein gläserner Kasten stand, den meine Mutter betrachtete. Ich stand neben ihr, hielt ihre Hand und bewunderte die statuenhaften Figuren an den vier Ecken des Kastens, die mit steif ausgestrecktem Arm den Lauf eines Gewehrs hielten. Es war auf dem Boden aufgestützt und stand schräg. Die Soldaten blickten starr geradeaus auf einen Punkt in der Unendlichkeit. Es sah aus, als könne ihr Blick mühelos die dicken Wände des Raumes durchdringen. Ich wollte auch einen Blick in den Glaskasten werfen, der von innen beleuchtet schien. Meine Mutter versuchte mich hochzuheben, aber es gelang ihr nicht. Da erwachte eine der aufgestellten Figuren zum Leben. Der bisher reglose Arm lehnte das Gewehr an den dunklen Block, auf dem der Glaskasten stand. Die Figur beugte sich vor, ohne dabei die Beine zu bewegen, ergriff mich mit beiden Händen um die Hüfte und hob mich hoch, so daß ich von oben in den Glaskasten sehen konnte. Darin lag, von einem warmen Licht beleuchtet, ein glatzköpfiger Mann mit einem kleinen Bart und geschlossenen Augen. Es schien, als schliefe er. Deswegen war alles so ruhig und still, damit er ja nicht geweckt würde. Ich hatte noch nie gesehen, daß jemand in einem Glaskasten schlief. Der Mann trug einen Anzug und schien recht sauber zu sein, nicht wie die Chinesen, die mit verschmutzten Jacken oder Hosen in Shanghai auf der Straße schliefen. Die Figur, die mich an meinen Hüften hochgehoben hatte, beugte sich mit mir erneut langsam vor, wiederum, ohne sich vom Fleck zu rühren, und stellte mich neben meiner Mutter ab. Der eine Arm griff nach dem Gewehr, das immer noch gegen den Block gelehnt war, auf dem der Glaskasten mit dem schlafenden Mann stand. Die Figur glitt in ihre ursprüngliche Haltung zurück, die Augen blickten wie vorher reglos in eine unbekannte Weite.

Ich aber hatte den Mann im Glaskasten gesehen. Ich habe Lenin gesehen. Es hat ihn wirklich gegeben.

Als mir auf der örtlichen Behörde in Prag-Branìk lächelnd bestätigt wurde, Großmutters und meine Reise würde nicht durch das finstere West-Deutschland führen, war ich beruhigt. Auch Großmutter beruhigte mich. Nein, nein, das sei nur eine Möglichkeit – aber wir würden auf einem ganz anderen Weg zu meiner Tante und meinem Vetter nach Israel fahren.