Dank an Rudolf Aichner für seine unermüdliche und kritische Redigierung, Silke Ruthenberg für die feine Grafik, Angela Schumitz, Lydia Pointvogl, Eva Amberger, Christiane Hüttner, Dr. Martin Engler für das Lektorat und Dank an Prof. Guntram Knapp, der mich für die Philosophie begeistert hat.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2015 Dr. Walther Ziegler

2. Auflage Juli 2015

Umschlaggestaltung und Grafik des gesamten Buches: Silke Ruthenberg unter Verwendung von Illustrationen von:

Raphael Bräsecke, Creactive – Atelier für Werbung, Comic & Illustration (Zeichnungen)

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Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7386-7108-7

Inhalt

Hegels große Entdeckung

Hegel (1770-1831) ist einer der bedeutendsten Philosophen der Welt. Bereits auf seine Zeitgenossen übte er eine ungeheuere Faszination aus. Intellektuelle aus ganz Europa kamen nach Berlin, um den berühmten Professor zu sehen. Seine Vorlesungen waren legendär, obwohl Hegel äußerlich und sprachlich eher abschreckend wirkte. Er hatte kantige Gesichtszüge, nach unten gezogene Mundwinkel und einen ernsten, geradezu durchbohrenden Blick. Seine Sprache war nicht minder grimmig. Kein anderer Denker schrieb jemals so düster, abstrakt und wortgewaltig.

Dies erzeugte bei seinen Anhängern Bewunderung, bei seinen Gegnern Wut und Empörung. Hegels Zeitgenosse Schopenhauer war erbost über die damals in Mode gekommene, komplizierte Ausdrucksweise der akademischen Philosophen. Er beschimpfte sie als Wortverdreher und Hegel als den schlimmsten von allen: „Jedoch die größte Frechheit im Auftischen baren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäusern vernommen hatte, trat endlich im Hegel auf [...].“ 2 Auch der bekannte amerikanische Kulturphilosoph Durant schreibt über Hegels Bücher: „Sie sind Meisterwerke der Unverständlichkeit [...].“ 3

Hegel hatte also keineswegs nur Freunde. Nach seinem Tod wurde er nicht zuletzt wegen seiner abstrakten und vieldeutigen Sprache höchst unterschiedlich interpretiert. Manche hielten ihn für einen preußischen Staatsphilosophen und Reaktionär, andere für einen visionären Sozialreformer, wieder andere sogar für einen Mystiker. Bis heute wird sein Werk kontrovers diskutiert.

Eines allerdings steht fest: Hegel hat bei aller Abstraktheit seiner Wortwahl eine großartige Entdeckung gemacht; er war der Erste, der die Dimension des „Werdens“ in seiner ganzen Tragweite erkannt hat. Man kann ihn als den Charles Darwin der Philosophie bezeichnen.

Denn alles, so Hegel, ist in ständiger Bewegung. Das menschliche Leben hat ebenso Prozesscharakter wie die Natur und die Geschichte. Ein Mensch kommt als Säugling zur Welt, wird zum Kind, zum Jugendlichen und schließlich zum Erwachsenen. Auch die Geschichte der Menschheit schreitet von einfachsten Anfängen immer weiter voran. Eine Epoche folgt der anderen. Neue Staaten entstehen und auch die Gesetze werden immer wieder der neuen Zeit angepasst. Selbst die Gerechtigkeit ist kein zeitlos gültiger Maßstab, sondern in ständiger Veränderung begriffen. Was vormals als gerecht galt, ist heute oft schon Unrecht. Sogar die Wahrheit selbst, also das, was die Menschen für richtig und objektiv halten, ändert sich im Laufe der Geschichte.

So hielt beispielsweise Aristoteles in der Antike die Sklaverei noch für etwas ganz Natürliches und Gerechtes. Er zählte die Sklaven zu den „Ta Onta“, zu den Haushaltswaren. Heutzutage ist Sklaverei verboten und wird als Freiheitsberaubung bestraft. Deshalb zieht Hegel die radikale Konsequenz, dass selbst die Wahrheit kein zeitloses Ideal ist, sondern ein lebendiger Prozess.

Alles – wirklich alles – ist in ständiger Bewegung: die Überzeugungen der Menschen, die Moral, die Gerechtigkeit, das Recht, die Gesetze, ja sogar die Kunst, die Musik und die Architektur. Wenn man nach der Wahrheit sucht, so Hegel, darf man keine einzelne Entwicklungsphase für die absolute Wahrheit halten, sondern muss den gesamten Prozess verstehen. Hegel bringt dies in seinem berühmt gewordenen Satz auf den Punkt:

Wenn wir heute salopp vom sogenannten „Zeitgeist“ sprechen, geht dies auf Hegels große Entdeckung zurück, dass jede Zeit einen ganz bestimmten, alles durchdringenden Geist besitzt. Dieser Zeitgeist verändert sich im Laufe der Geschichte und nimmt immer neue Formen an. Er prägt aber für ein bestimmtes Zeitintervall das Denken einer Epoche. So war beispielsweise der Absolutismus mit einem allmächtigen Fürsten an der Spitze des Staates eine solche Geistgestalt. Heute wäre es in Europa wohl der demokratische Pluralismus. Im jeweiligen Leitgedanken der Epoche oder wie Hegel sagt, im Leitprinzip, spiegelt sich das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Menschen wider. Dabei arbeitet der Weltgeist das jeweilige Prinzip der historischen Stufe in einer Vielzahl von Trends und Erscheinungen aus. Zum Beispiel trugen die Adeligen im Absolutismus in ganz Europa weiße Perücken und Korsagen, gingen in die Oper, hörten Vivaldi, Händel und Mozart, bauten barocke Schlösser mit Spiegelsälen, französischen Gärten und Kaskadenbrunnen. Deshalb kann Hegel sagen:

Der Zeitgeist ist, so Hegel, deshalb ein sehr reicher Geist, da er nicht nur die aktuelle Kleidermode, den Trend oder die Möbel, die gerade als schick gelten, umfasst, sondern eben auch die Musik, Malerei, Architektur, die Staatsverfassung und sogar die Philosophie der jeweiligen Zeit. Hegel spricht deshalb hinsichtlich dieser verschiedenen Momentaufnahmen von individuellen Geistgestalten, die von der Menschheit im Laufe der Geschichte hervorgebracht werden:

Die Geistgestalt der Romanik ist beispielsweise eine andere als die der Gotik oder des Barock; und die Geistgestalt des Absolutismus eine andere als die der Aufklärung. Wenn wir Tempel, Statuen oder Bilder aus früheren Zeiten sehen, können wir diese meist schnell einer bestimmten Epoche zuordnen. Selbst wenn wir keine Kunsthistoriker sind, wissen wir beispielsweise, dass die Akropolis mit ihren Marmorsäulen zur Geistgestalt der griechischen Antike gehört oder eine Kreuzritterburg zur Geistgestalt des mittelalterlich christlichen Feudalismus.

Bis hierhin hört sich Hegels Entdeckung der Dimension des „Werdens“ noch ganz einfach und akzeptabel an. Denn wer würde schon bestreiten, dass es in der Geschichte immer so etwas wie einen Zeitgeist beziehungsweise verschiedene Geistgestalten oder Epochen gegeben hat?

Doch damit begnügt sich Hegel nicht. Er hat noch eine zweite folgenschwere Entdeckung gemacht. Die verschiedenen Geistgestalten, so behauptet er, sind nicht willkürlich oder zufällig aneinander gereiht, sondern folgen einem logischen Bewegungsprinzip, der sogenannten Dialektik. Hegel vergleicht die logische Abfolge der Geistgestalten in der Geschichte zunächst mit dem Wachstum einer Pflanze. Denn die Reifephasen der Pflanze sind nicht nur blinde und sinnlose Veränderungen, sondern folgen einem inneren Prinzip und haben ein definiertes Ziel, auch wenn man es nicht gleich erkennt.

So wie die Pflanze zuerst Samen und Keimling ist, dann Blätter und Blüten hervorbringt, bevor sie am Ende die Frucht entfaltet, folgt auch die Geschichte der Menschheit einer inneren Logik. Eine Gestalt geht aus der vorausgegangenen hervor. Und dieses Hervorgehen nennt Hegel Dialektik.

Allerdings ist die Dialektik kein bloßes Wachstum und harmonisches Entfalten von Kräften, sondern erfolgt in Krisen und Widersprüchen. Der Übergang von einer Lebensphase in eine andere ist nach Hegels Auffassung oftmals dramatisch. So wie das Kind in der Pubertät plötzlich kein Kind mehr sein will, das bevormundet wird, und deshalb erst einmal alles ablehnt und in Frage stellt, was die Erwachsenen ihm vorgeben, kommt es auch in der Weltgeschichte bei einem epochalen Wandel zu Krisen, Konflikten und Widersprüchen. Der Widerspruch, also eine vom Volk oder vom Individuum empfundene Unvereinbarkeit ist dabei für Hegel nichts Schlechtes, sondern im Gegenteil etwas sehr Gewinnbringendes:

Wenn beispielsweise eine historische Zeit Widersprüche in sich trägt, und viele Menschen mit der Gesellschaft und ihrem eigenen Zustand unzufrieden sind, kommt es zur geistigen und materiellen Auflehnung. Die alte Ordnung gerät ins Wanken und wird durch eine neue Ordnung ersetzt. Nehmen wir als Beispiel die Französische Revolution und damit den Wechsel vom Absolutismus zur Aufklärung.