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Ortsheimatpflege Petershagen

Impressum

Jacobsen, Uwe (Hrsg.): Petershagen in Dokumenten. Kommentierte Quellen zur Stadtgeschichte. Mit Dokumenten von Steinkamp (1720), Gieseler (1760-1839), Vormbaum (1795-1875) und Romberg (1787-1866). Band 1 (2015). Im Selbstverlag der Ortsheimatpflege Petershagen. Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt. ISBN 978-3-7392-5195-0

Inhalt

Zum Geleit

„Eine ländliche Idylle am Weserstrom“ - das hört oder liest man häufig.

„Petershagen in Dokumenten“ - vielleicht ein irritierender Buchtitel?

Rückt man beides zusammen, so könnte sich mit dem von Uwe Jacobsen vorgelegten voluminösen Sammelband eine auffordernde Aussage entwickeln: „Ländliche Idylle im Schatten des bischöflichen Residenzschlosses“ - für ruhigere Zeiten, weniger wohl für kriegerische Zeiten mag das wohl gelten. Wenn man sich aber in die nach ausgreifenden Recherchen und mit erstaunlichem Such- und Finderinstinkt von Uwe Jacobsen zusammengetragenen, zum Teil auch wieder gefundenen Dokumente „hineinliest“, wird man sehr bald zu der Einsicht gelangen, dass man die Vermutung, es habe sich in Petershagen immer um ein verschlafenes Landstädtchen im „Platten Lande“ gehandelt, gründlich revidieren muss.

Mit der „Wiedererstellung“ der 1797 von Friedrich Gieseler begonnenen Kirchenchronik von Petershagen macht Uwe Jacobsen verstreutes historisches Material wieder verfügbar und er ermöglicht durch beigefügte verloren geglaubte Schriften Einblicke in das Leben in Alt-Petershagen und auch in seiner unmittelbaren Umgebung.

Besonders erfreulich ist es, dass sich mit Gieselers Einträgen in die Kirchenchronik, mit seinen didaktischen Schriften und mit den Romberg‘schen Erinnerungen an Petershagen sehr genau nachvollziehen lässt, wie stark bei den Pfarrern in Petershagen das Wissen um die katastrophalen Zustände im Schulwesen auf dem platten Lande ausgeprägt war und wie konsequent und beharrlich sie in der kirchlichen Schulaufsicht bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts den Hebel bei der völlig vernachlässigten Ausbildung junger Volksschullehrer in Theorie und Praxis ansetzten.

Der Superintendent des Fürstentums Minden und erste Prediger zu Petershagen Georg Heinrich Westermann setzt, indem er das kleine Mindener Lehrerseminar nach Petershagen holt, den Anfang. Der ihm zur Seite stehende zweite Prediger, Friedrich Gieseler, erweist sich als im Feld der Didaktik umsichtig, aber auch und in der schriftlichen Fachdiskussion durchaus kämpferisch (Ob die Volksschullehrer lesen dürfen? ...). Superintendent Ferdinand Romberg kann, da man seinen Einsatz für die Sache und seine durchdachten Pläne in Berlin anerkennt, 1824 in Petershagen die erste Präparande in Westfalen als Vorbereitungsschule für das Soester Seminar einrichten, ein Neubau erfolgt bereits 1825 mit erheblicher privater und amtlicher Unterstützung bis hin zum Oberpräsidenten der Provinz Westfalen von Vincke. Man kann nur mit Erstaunen wahrnehmen, mit welchem Engagement „die Angelegenheit Volksschullehrer-Ausbildung auf dem Platten Lande“ von Petershagen aus vorangetrieben wurde: Denn mit Erlass vom Dezember 1830 befürwortet die Hohe Behörde in Berlin die Entwicklung eines vollgültigen Lehrerseminars in Petershagen - neben dem Hauptseminar in Soest.

Friedrich Wilhelm Vormbaum hat dann die Ausbildung von Volksschullehrern für das weiteste Umfeld der kleinen Stadt Petershagen in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch seine engagierte Leitung des Instituts und unermüdlichen Einsatz in der Zusammenarbeit mit den Schulen auf feste Füße zu stellen vermocht.

Die von Ortsheimatpfleger Uwe Jacobsen zusammengestellte Textsammlung beweist sehr nachdrücklich, warum das aus dem Ensemble des heutigen Gymnasiums Petershagen hoch aufragende Gebäude des ehemaligen Lehrerbildungsseminars von 1885 jüngst unter Denkmalschutz gestellt werden musste.

Im Namen der Heimatpflege in der Stadt Petershagen danke ich Uwe Jacobsen sehr herzlich dafür, dass er beinahe verlorene Quellen wieder ans Licht gehoben hat.

Heinrich Rötger (Stadtheimatpfleger, im März 2015)

Vorwort

Dieses Buch nahm seinen Anfang, nachdem die Durchsicht des Nachlasses von Friedrich Daake (1856-1929), dem Taubstummenlehrer, Heimatkundler und Sammler, zu der überraschenden Erkenntnis führte, dass die seit einem halben Jahrhundert verloren geglaubte Kirchenchronik von Petershagen, die am 12. November 1797 vom zweiten Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Petershagen, Friedrich Gieseler (1760-1839), begonnen wurde, in einer gewissenhaften und präzisen Abschrift im Archiv der Stadt Petershagen überliefert worden war. Der Fund führte zu dem Vorhaben, dieses einmalige Schriftdenkmal, das bereits um 1825 Aufnahme in die Ledebur‘schen Verzeichnisse regionaler Archivalien fand, im Druck zugänglich zu machen.

Die Edition folgte ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Sie führte den Herausgeber zu immer weiteren Quellen, die sich konzentrisch um die Chronik herum gruppierten. Schließlich lag der Schritt nahe, die gesammelten Dokumente in einer kommentierten Ausgabe zu vereinen. Das ursprüngliche Vorwort rückte in den Chronikkommentar, die Anordnung der Quellen geschah in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung. Eine Ausnahme bildeten hier nur die Daake‘schen Chronikanhänge, die an ihrem angestammten Platz verblieben.

Es ist mir eine Freude, dass die Gieseler‘sche Kirchenchronik am 17. April 2015, dem Tag, an dem sich der Überlieferung zufolge die Grundsteinlegung der Petrikirche Petershagen zum vierhundertsten Mal jährt, nun vollständig im Druck vorliegt. Die ergänzenden Quellen sind dazu geeignet, die institutionellen und pädagogischen Herausforderungen, die sich der Geistlichen Schulaufsicht in Minden-Ravensberg seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert stellten, zu repräsentieren. Ihre führenden Vertreter leisteten als pädagogisch denkende Theologen, beziehungsweise theologisch denkende Pädagogen, bemerkenswerte Beiträge zu einer Reform des preußischen Schulwesens in der westfälischen Provinz. Die Resultate begleiten den Kenner auch heute noch auf Schritt und Tritt.

Uwe Jacobsen (Ortsheimatpfleger, im Frühjahr 2015)

Conrad Bernhard Steinkamp (Rektor von 1717-1746)

Das gesegnete Petershagen (1720)

STEINKAMP, Conrad Bernhard: Das gesegnete Petershagen | zum | Neu-Jahrs-Geschencke | denen daselbst sämtlichen | Hohen und Niedrigen Standes | Eingepfarreten | Uberreichet | von | Conrad Bernhard Steinkamp[f ], | der Königl. Lateinischen Schulen Rectore. | Anno MDCCXX. Die 1. Jan. [01.01.1720] | Gedruckt im Jahr 1720. StAPet Amt Petershagen. Daake-Nachlass, Bd. 31, Abschrift.

Aus dem Dunkel der regionalen Bildungsgeschichte tritt uns überraschend im Jahr 1720 die gedruckte Barockdichtung „Das gesegnete Petershagen“ von Conrad Bernhard Steinkamp, auch Steinkampf genannt, entgegen. Das Neujahrsgedicht, das nur noch in einer Abschrift von Friedrich Daake1 im Stadtarchiv von Petershagen bibliothekarisch und archivalisch nachweisbar ist, beinhaltete nicht weniger als 244 kunstvolle Gedichtzeilen. Es stand damit in der Tradition der barocken Stilistik, die eine große Stofffülle und thematischen Reichtum bevorzugte.

Die Dichtkunst des Barock folgte strengen literarischen Regeln und bewertete nach deren Berücksichtigung die poetische Qualität. Steinkamps lyrisches Werk, das als Hymnus bezeichnet werden muss, eine literarische Gattung, die mit dem Volkslied und der Odenform verwandt war, erschließt sich am ehesten durch die Kenntnis seines regelpoetischen Zusammenhangs, der auf eine strophische Anlage verzichtete. Als schön galt der regelmäßige Bau der Verse, der Unordnung und freie Rhythmik vermied. Steinkamp wählte für das Werk das extravagante Modell eines „steigenden Siebentakters“ aus. Er verkettete jeweils vier jambische Verse durch Kreuzreime, versah sie im stetigen Wechsel mit zweisilbigen (weiblich-klingenden) und einsilbigen (männlich-stumpfen) Kadenzen, achtete penibel auf die Anzahl der Silben – dreizehn Silben in ungeraden, zwölf in geraden Versen – und verknüpfte immer zwei Verse zu einer übergreifenden Sinneinheit (Enjambement).

Der hymnische Charakter des „Neujahrs-Geschenkes“ äußerte sich inhaltlich in der Charakterisierung der Lebensumstände des Autors und mündete in eine Lobpreisung der Stadt Petershagen und ihrer Bewohner – nebst vorangestellter politischer Skizze (Zeile 61-80). Steinkamp orientierte sich an der Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, indem er die Stände seiner Zeit, also Wehrstand, Lehrstand und Nährstand, in dem Hymnus abbildete. Allerdings in einer Akzentuierung, in der er die Dichtung zu den theologischen Aussagen des geistlichen Lehrstandes hin steigerte. Der Nennung der Offiziere (Zeile 81-120) schloss Steinkamp die Aufzählung der Verwaltungsbeamten (Zeile 121-148) an, gefolgt von den Bürgermeistern, Stadträten (Zeile 149-164), Bürgern (Zeile 165 ff.) und Zünften. Viele dieser Persönlichkeiten sind in der einschlägigen heimatkundlichen Literatur belegt. Ob es die Absicht des Autors war – wie Grossmann2 mutmaßte – die eigene finanzielle Notsituation (Zeile 41), die sich erst durch den Aufenthalt des Verfassers in Petershagen eingestellt hatte, durch den Verkauf der Drucke aufzubessern, mag dahingestellt bleiben. Die kunstvolle, handwerklich solide Gedichtstruktur leitete eher zu den christologischen Aussagen im Goldenen Schnitt des Hymnus (Zeile 181-208) über. Sie entsprachen den Angaben in der Titelei, ein Neujahrsgeschenk, das hier als Christuskind in Erscheinung trat, sein zu wollen. Steinkamp betrachtete Christus als ein Heilsereignis, das die barocke Ständegesellschaft übergriff und zugleich den Hohen und Geringen, dem Adel, den Untertanen und den Bürgern zuteil wurde. Die sprachlich-künstlerischen Fähigkeiten des Autors gingen auch aus den spärlichen biographischen Daten hervor: Konrad Bernhard Steinkamp stammte aus Bielefeld3 und immatrikulierte am 28. April 1694 an der Universität Rostock. Er wirkte nach dem Theologiestudium seit 1707 als Lehrer in Minden und von 1717 bis 1746 als Konrektor in Petershagen. Gieseler berichtete gleich zweifach in der Kirchenchronik über ihn: „Rector v[on] 1717 bis 1746[,] Conr. Bernh. Steinkamp vorher 10 Jahre Conrector i[n] Minden, hat außerordentl. Ruhm gehabt als ein in den Sprachen (auch orientalisch) sehr geschickter und fleißiger Mann.“4 Deswegen erschien sein Name an einer weiteren prominenten Stelle, dem Jahrhundertrückblick, den Gieseler am 1. Januar 1801 in der Nachmittagspredigt gab: „In einer Jahrhundertgeschichte dieser Gemeinde darf auch unser Schul- und Kirchenwesen nicht übergangen werden [...] und unter den von Nahrungssorgen gedrückten Lehrern haben sich wenige eigentl. hervorgethan; wiewohl die Namen Steinkamp, Piper, Heitmann und einiger andern noch immer mit Achtung genannt werden.“5 Leider gibt es keine weiteren Hinweise über die im Text aufgeführte Lateinschule. Steinkamp schien regelmäßig mit den Schülern in der Petrikirche gesungen zu haben. In den Akten blieb eine Eingabe erhalten, in der er die Kirchengemeinde 1724 um den „Bau eines kleinen Chors für die lateinische Schule“6 in der noch nicht mit Emporen versehenen Kirche bat.

Die Hervorhebungen im Hymnus gehen auf Unterstreichungen in der Abschrift zurück, die um einige fehlende Kennzeichnungen ergänzt wurden. Der Herausgeber hat die Textstruktur durch Zeilenangaben, Einzüge und Hervorhebung der gekreuzten Reimgruppen verdeutlicht.

DAS GESEGNETE PETERSHAGEN

zum Neu-Jahrs-Geschencke

denen daselbst sämtlichen

Hohen und Niedrigen Standes

Eingepfarreten

Uberreichet

von Conrad Bernhard Steinkamp[f ],

der Königl. Lateinischen Schulen

Rectore.

Anno MDCCXX. Die 1. Jan.

Gedruckt im Jahr 1720.

Ich dencke noch daran, wie Minden mich gepfleget

Vor diesem in der Lieb, wie vielen noch bewußt;

Mir wurde schwere Last der Arbeit auferleget

Aus Liebe, die ich trug getrost zu meiner Lust.

Mich ehrte jedermann: Aus hohem Adel-Stande

Mir wurden zugesandt die Kinder in der Lehr;

Die Freyen in der Stadt, die Burger [sic], und vom Lande

Wer im Vermögen war, die Arbeit mehrten sehr.

Mein Hauß und Tisch war voll von Kindern aller Stände,

Der Tage Stunden Zahl zur Arbeit war zu klein;

Ich nahm mich treulich an[,] der anvertrauten Pfände,

GOTT trug mit mir die Last und ließ mich nicht allein.

Ich weiß nicht zu was End‘ es GOTT geschehen lassen,

Da meiner Arbeit-Schiff im starcken Seegeln gieng,

Daß so contrairer die Seegel mus[s]te fassen

Bis auf der Unglücks-See es an zu sincken fieng.

Es thate mir sehr Weh, die Thränen-Bäche flossen

Aus beyder Augen-Quell; doch hörte keiner mich;

Bis aus des Königs Glantz die Gnaden-Strahlen schossen

Auf mich; es fügte GOTT mit mir recht wunderlich.

Die an des Königs Statt ein hohes Amt vertreten,

Die gaben mir noch frey zu bleiben wo ich war;

Doch Petershagen hieß, der Ort den ich gebeten

Zu meinem „Pathmo“7 aus: Da war die Sache klar.

Ich schnürte meinen Gurt, beschuhte meine Füsse,

Ich grieff den Stecken an zu meiner Wegefahrt;

Es folgte mir die Frau, das Kind und was noch süsse

Mir sonst in Minden war in GOTTES Gegenwahrt.

Vier zogen mit mir weg und Lehen der Scholaren,

Die ihre Kinder-Schuh[‘] zu Hause liessen stehn;

Hannover-Land gab her die Schüler mir bey Paren,

Es ließ sie unser Ort und Nachbarschafft hergeh‘n.

Das Werck erfreute mich, es gieng sehr wol von statten,

GOTT ließ mir sehen[,] was er noch wol wircken kan.

Doch stieg ein Wetter auf und brachte schwartzen Schatten:

Hannover, Oßnabrück nahm meine Schüler an.

Das ist ein harter Stoß, der durch die Seele dringet,

Was eine Hoffnung war, wird klein von Zeit zu Zeit;

Doch unser Zeiten-Lauff es also mit sich bringet,

Die eisern Zeiten schon sich zeigen weit und breit.

Ich fühle meine Noht: ich solte mich ernehren,

Und auch mein gantzes Hauß durch meine Müh und Fleiß,

Doch wo man nichts verdient, da muß man das verzehren,

Was vor erworben hat der Angesichtes Schweiß.

In Petershagen ist fast alles drauf gegangen

In wenig Jahrer Zeit was wir dahin gebracht;

Woher das Leyd? es geht mein Thun nicht nach Verlangen,

GOTT hat es so versehn; wer weiß was er noch macht.

Auff Ungewitter pflegt die Sonne bald zu scheinen,

Auf Norden-Sturm bald folgt ein schöner Westen-Wind;

Auff Hiobs Creutz und Leid, auf frommer Christen Weinen

Ein reicher Trost erscheint von oben her geschwind.

Ich hab’ an diesem Ort fast alles das erlebet,

Was in der Leidens-Höhl[‚] man nur erdencken mag;

Vor Kummer hat mein Hertz und gantzer Leib gebebet;

Doch GOTT hat schon bestimmt im Leiden Zeit und Tag.

In Nöhten pfleget GOTT der Seinen zu gedencken,

Im Creutzes-Schlamme läßt er keinen stecken nicht;

Zu seinem Kinde kan GOTT fromme Hertzen lencken,

Daß es an vielen sieht ein freundlich Angesicht.

Dieß Petershagen ist ein lustig Ort gelegen,

Der große Weser Strom gibt Fische vieler Art;

Die Gärten, Felder, Holtz und Wiesen viel bewegen,

Daß sie bezieren ihn mit ihrer Gegenwart.

Er war der Bischoffs-Sitz vor unser Väter Zeiten,8

Hernacher war der Thron des Fürsten da gesetzt;9

Gerechtigkeit und Recht man holte da von weiten,

Bis Minden solchen Ruhm auf sich gebracht zu letzt.10

Zwo Kirchen und ein Schloß sind noch alda zu sehen,

Die Schul[‘] und Amts-Gericht der König hat bestellt.

Der Alt- und Neu-Stadt Rath nach Rathes-Häusern gehen;

Zwey Bürgermeister und die ihnen zugesellt.

Zwei Diener an dem Wort das Predig[t]-Amt verwalten,

Die Ober-Aufsicht auf die Kirchen einer hat,

Da[ß] Lehr und Ordnung bleib[’] im guten Stand erhalten

Im Land, und daß geehrt GOTT werde früh und spat.

Die Ösper durch die Stadt an zweyen Orten fliesset,

Drei steinern[’] Brücken11 hat solch wehrt geschätzter Ort;

Bißweilen sich der Fluß mit rauschen starck ergiesset,

Bißweilen schicket er sein Wasser sanffte fort.

Der Ort ist wol bewohnt: Viel Leute hohes Standes

Sich alda fest gesetzt, die theils ihr hoh[‘] Geschlecht

Durch Krieg berühmt gemacht; die theils zu Nutz des Landes

Durch Klugheit und Verstand verschaffet Ruh und Recht.

Der Herr von Piat12 war ein General im Kriege,

Der Keinem wiche nicht, hier wohnet sein Gemahl,

Wir seh‘n, daß bey der Frau und Fräulein Töchter siegen,

Vor andern Gottesfurcht und Tugend ohne Zahl.

Den Herrn Geheimten Rath von Schmidt13 Hannover kennet

Und Preußen, weil bey Ihm viel Weisheit und Verstand,

Daher zwee König Ihn Geheimten Rath ernennet;

Die Ehre hat erlebt wol keiner in dem Land.

Der Herr von Korenberg14, der Drost, den Adel führet

Von vielen Ahnen her, Treu und Gerechtigkeit

Ist bey Ihm im Gericht; kein Eigen-Nutz Ihn rühret,

Wer mit Geschencken kömmt, der bleibe von Ihm weit.

Der Herr von Becker15 ist aus hohem Stamm gebohren,

Er suchet durch den Krieg zu schwingen sich empor;

Ich weiß das, was Er sucht, wird nimmer seyn verlohren,

GOTT ziehet, der Ihn liebt, gewiß noch andern vor.

Der Obrist Lieutnant Hast hat wenig seines gleichen

An Tapfferkeit geseh‘n; die Frau ist bey uns hie,

Der Herr von Mulben16 wird an Thaten Ihm nicht weichen;

Ein rechter Schwieger-Sohn: Von Art Art [sic] lässet nie.

Herr Hauptmann Nagel17 war des Krieges wohl erfahren,

Es wohent [sic] sein Geschlecht bey uns an diesem Ort;

Die Fraue fürchtet GOTT und lässet nichtes spahren,

Damit Ihr Hauß und Hoff florire fort und fort.

Herr Meyer18 hat zu Pferd’ erlang[t] den Meister Orden

Durch seinen Helden-Muth; was höhers war Er wehrt;

Durch Treu und Redlichkeit ist Er gesegnet worden,

Im Alter hat Ihm GOTT an Gütern sehr vermehrt.

Herr Meyer Lieutnant wär höher wol gestiegen,

Wenn Ihm die Krieges-Wut gestanden länger an;

Er lebet gantz in GOTT; die Welt-Lust läßt er liegen,

Man sieht an Ihm wie GOTT die Seinen segnen kan.

Herr Fendrich Holdewed19 hat sich auch umgesehen

Im Krieg, Er wohnet hie, ein fromm[’] und stiller Mann;

Sein Hof ernehret Ihn, Er pflegt nicht abzugehen

Von allem, wodurch Er was Gutes stiften kan.

Wir schreiten billig fort vom Wehr- zum Nahrungs-Stande,

Es kommen alda nicht geringe Leute vor;

Des Herren Drosten Pflicht ist, daß ein Böser Schande

Von seinem Wesen hab’, ein Frommer komm’ empor.

Im Amts-Gerichte hat Herr Kramer grosse Gaben,

Er sieht die Sachen ein, und gibt ein recht Bescheid,

Man kan der Sachen Lauff von Ihm in Eile haben,

Er schaffet Recht und thut mit Wissem keinem Leid.

Der Herr Bonorden ist ein redlich Mann im Leben,

Sein gutes Hertze hat Ihm Schaden offt gebracht,

Doch wer im Wandel läßt kein Ubel an sich kleben,

Mit dem wird alles noch am Ende gut gemacht.

Herr Laging hat viel Müh[’] mit schreiben und mit reisen,

Dem König ist Er treu, und thut dem Nechsten Recht;

Daß er sein Amt versteh[’], kan Er mit Ruhm erweisen,

Wer Ihm zu Schaden sucht, bestehet kahl und schlecht.

Herr Kretzmer hat Verstand in seinem Thun und Handel

Was Königs Sachen sind, verwaltet Er mit [F]leiß;

Was Ihm zuwieder scheint im Reden, Leben, Wandel,

Das fügt und schicket sich zu seinem Ruhm und Preiß.

Herr Hedemann getreu dem König und GOTT bleibet,

Den Armen steht Er bey so gut Er immer kan;

Drum was Ihm schädlich ist, selbst GOTT zurücke treibet,

Mit Seegen siehet Gott Ihn und die Seinen an.

Herr Sive hurtig sich in seinem Thun bezeiget,

Der guten Ordenung und Wahrheit hänget an;

Gewiß durch seine Treu Er endlich höher steiget,

Was GOTT Ihm auserseh’n Ihm nicht entgehen kan.

Ich wil, so viel die Zeit und Raum vergönnt, berühren,

Die wehrte Bürgerschafft! Doch weil mir dieser Ort

Und Wesen unbekandt, wird müglich anzuführen

Nur die ich kenne, seyn, und zwar mit einem Wort.

Herr Klintzmann, wohlgelahrt, als Bürgermeister stehet

Im Raht der Neuen Stadt hier billig oben an;

Herr Hack der Alten Stadt ein Bürgermeister gehet

Zu Raht, die Sachen thut Er ab so gut Er kan.

Herr Budd’ und Edeler sind billig hoch zu achten,

Weil sie als Häupter auch die Bürgerschafft regiert

Herr Heersemann, Costed und Krüger20 Höjer trachten

Nebst Langen, daß hier wohl sey alles regulirt.

Welhausen, Fischer und auch Culow Worte führen

Für unser Bürgerschafft. Ich bin verbunden sehr

Noch vielen Freunden hier; drüm wil ich die berühren,

Die ich zu nennen weiß; gewiß sind ihrer mehr.

Herr Sipcke, Gevekoht, Lohmeyer, Fischer leben

Vergnügt; Herrn David Schwier, Struck, Reuter, Wippermann,

Herrn Beckemeyer, Bruns und Wohlraht Schwier darneben,

Herrn Sassen, Krusen, Pabst ich Freunde nennen kan.

Herr Brandhorst, Ortmann, Quess’ und Rötger Culo bleiben

Mit Michel Hacken und mit Culemann im Glück;

Rolff Hers’mann, Schnathorst GOTT wird in die Hände schreiben

Nebst Kleesen, Mentius; kein Ubel sie berück!

Wolff, Meerbach, Buring, Finck’ und Tegetmeyer stehen

Mit Büttner, Leesemann in einem guten Stand,

Auch Henrich Jacob Schwier, Bicknese, Böhndel gehen

Und Reeling, Hommers, Nolt’ in GOTTES Gnaden-Hand.

Herr Steffen, Hägemann,Herr Plage, Buchan, Hencken[,]

Herr Nüring, Nie, Schnell,nebst Becker, Conrad, Kreck;

Herr Buremeister, noch mehr Namen zu erdencken

Mir jetzt nicht müglich ist; kein Unfall sie erschreck’.

Ich eile nun zum Zweck und bringe meine Gabe,

Die nicht aus Geld und Gut, die nicht aus Most und Korn

Besteht, davon ich nichts in meinem Hause habe;

In Jesu ist mein Schatz, sonst wär ich gantz verlorn.

In Jesu haben wir, der neulich ist gebohren

Vom Weib’ ein zartes Kind, ein GOTT von Ewigkeit;

Den Schatz, der von uns längst in Adam war verlohren,

Den Schatz[,] der reich uns macht hier und nach dieser Zeit,

Den Geber schenck’ ich selbst, der heut[’] genennet worden

Ist Jesus, unser Heyl, der alles wieder bracht,

Was Satan uns geraubt; daß wir den Engel Orden

Nun wiederum erlangt, hat dieses Kind gemacht.

Ich schencke dieses Kind den Hohen und Geringen,

Sie haben gleichen Theil an dieser edlen Gab;

Den Kleinen will es wie den Großen Freude bringen;

Drum schenck’ ich dieses Kind dran sich ein jeder lab.

Dem Hohen Adel-Stand es wird den Adel geben,

Der endlich wird gekrönt mit einer Königs Kron,

Zu herrschen in dem Reich, wo immer hoch herschweben,

Die sich dem Himmels-Printz hier unterworffen schon.

Die sich im Königs Dienst getreu allhie bezeigen,

Den Unterthanen stets in Liebe stehen vor;

Zu denen wird der Printz dort seinen Scepter neigen,

Daß ihre Stühle steh’n mit in der Zwölffen Chor.

Die hier im Bürger Stand nach Christen Pflicht gelebet,

Die keine Leid gethan, gedienet jedermann;

In jene Bürgerschafft sie dieses Kind erhebet,

Das hohe Bürger-Recht kein Mensch aussprechen kan.

Ich wünsche jedermann im gantzen Petershagen,

Die ich genennet hab’ und die noch übrig sind,

Daß Gott von Leib und Seel[’] abwende Schad[’] und Plagen:

Ich weiß Gott höret mich durch sein geliebtes Kind.

Wind, Feuer, Wasserfluth und Krankheit, Krieges-Flammen,

Auch Hunger sey von ihm im Neuen Jahr gekehrt,

Das wünsch’ ich Hohen und auch Niedrigen zusammen:

Des Wunsches laß mich GOTT und Bitte seyn ge[wehrt].

Die mich, und die ich kenn’ und die mir Guts erzeiget,

Die segne Gott an Leib und Seel viel tausendmahl,

Die Hertzen derer, die noch fremd, Gott endlich neiget,

Daß ich auch rechne sie zu meiner Freunde Zahl.

Die Heerde Christi geh’ auf einer fetten Weide,

Der Herr „Licentiat“, Herr Schermer hat mit Fleiß

Bißhero sie geführt; jetzunder ihr zum Leide

Vor Schwachheit kan er nicht; Er wird vor Alter greiß.21

Des Herrn „Magistri“ Mund, Herrn Kamanns22, Stimm[’] erschalle

Bey uns! Eliä Geist zweyfältig auf Ihm bleib’!

Daß seiner Worte keins vergeblich dahin falle,

Durch dessen Mund sein Wort GOTT in die Hertzen schreib!

Den Schul-Stand segne GOTT, daß eine Seel und Hertze

Bey denen Lehrern sey! Es sey nur Gottes Ehr[’]

Und auch des Nechsten Nutz ihr Ziel! Daß Gott nicht schertze,

Ist nahr, mit solchem Amt, so hafftet ihre Lehr.

Die Kauff- und Brauer-Zunfft, wie auch der Schiffer Orden

Zusamt dem Ackerbau von Gott gesegnet sey!

Den Beckern, Tischern und die Kleider-Macher worden,

Samt Schustern, Schmieden leg’ auch Gott viel Seegen bey:

Den Schlächtern, Müllern und den Fischern, Webern, Leuten

So ümme Tage-Lohn des Tages Last und [Hitz]

Ertragen, wünsch’ ich, daß sie Jesum so erbeuten,

Daß in dem Hertzen hab’ er einen festen Sitz.

So sey denn dieser Ort gesegnet und beglücket

Es nahe sich herzu kein Leiden, Noht, Gefahr!

Bis GOTT uns allesamt zur Himmel-Burg hinrücket,

Das wünschet Hertz und Mund zum guten Neuen Jahr.

[1. Januar 1720]


1Daake, Friedrich (1856-1929): Petershäger Taubstummenlehrer und Autor heimatkundlicher Schriften. Daakes Bestreben, die heimatkundliche Sammlung zu vervollständigen, führte ihn auf zahlreichen Reisen in die maßgeblichen Archive. Seine Abschriften stellen oftmals die einzig erhaltene Überlieferung einer Quelle dar. Daake entwarf das am 2. März 1908 in Kraft getretene Wappen der Stadt Petershagen (1908-1974). Das wechselhafte Schicksal des Stadtarchivs Petershagen führte in der Nachkriegszeit dazu, dass der sogenannte „Daake‘sche Nachlass“ Auseinandersetzungen, Bestandsschwankungen und Verlusten ausgesetzt war.

2Grossmann 1944, S. 91.

3Vgl. Bauks 1980, S. 491.

4Siehe S. 165

5Siehe S. 114

6LkA EKvW Bestand 4.32 Nr. 180.

7Die barocke Geschichtsschreibung bezeichnete – in Anlehnung an die Offenbarung des Johannes (Kap. 1, Vers 9) – die Insel Patmos, auf der Johannes seinen Auftrag empfing, als einen Exilsort. Entsprechend galt Luthers Wartburgzeit als „Lutherus in Pathmo“.

8Westfälischer Friede. Friedensverträge vom 24.10.1648.

9Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg traf am 01.2.1650 auf dem Schloss Petershagen ein. Die Erbhuldigung der ersten beiden Stände erfolgte am 22. Februar.

10Die brandenburgische Regierung wurde 1669 von Petershagen nach Minden verlegt. Hier befand sich seit dem 1. Februar 1667 der Sitz des Statthalters.

11Die Steinbrücken lagen an den Straßen mit den heutigen Bezeichnungen Hauptstraße, Mindener Straße und Vormbaumstraße.

12Vermutlich Ludwig Albrecht von Piat, Kommandant zu Lippstadt, 1705 preußischer Generalmajor der Infanterie, gest. 1740. GSta PK XX. HA Adelsarchiv, Nr. 903. Schöning 1840.

13Der Sohn und Erbe des Superintenden Schmidt, Gustav Daniel von Schmidt (28.7.1646-11.6.1720), erhielt als hannoverscher Geheimrat einen Adelstitel. Grossmann 1944, S. 85.

14Von der Horst 1894, S. 166. Moritz Alexander von Cornberg (gest. 1725).

15Von der Horst 1894, S. 167. Von der Horst 1898, S. 129, Familie von Becquer.

16Von der Horst, S. 167. Von der Horst 1898, S. 129.

17Von der Horst, S. 166.

18Von der Horst, S. 167.

19Fähnrich Hollwehde. Von der Horst, S. 167. Von der Horst 1898, S. 129. Meyer 2003.

20Das Krüger‘sche Epitaph befindet sich als Teil der Altstädter Epitaphien seit November 2011 an der südwestlichen Innenwand der Petrikirche. Jacobsen 2011.

21Anmerkung von Friedrich Daake: Verstorben am 1.9.1719. Siehe auch S. 158-162.

22Siehe S. 63, 160 und 199.

Georg Christoph Friedrich Gieseler (1760-1839)

Erleichterung des Buchstaben- und Buchstabi[e]r-Unterrichts in öffentlichen Schulen (1792)

GIESELER, Georg Christoph Friedrich: Erleichterung des Buchstaben- und Buchstabir-Unterrichts in öffentlichen Schulen. In: Zerrenner, Heinrich Gottliebs (Hrsg.): Der deutsche Schulfreund 3 (1792). Erfurt: Georg Adam Keyser, 1792, S. 75-80. [Bayerische Staatsbibliothek München. Sig.: 6264483 Paed.th. 5254 g-1/3 6264483 Paed.th. 5254 g-1/3.]

Gieseler veröffentlichte zu Beginn seiner Amtszeit in Petershagen einen Aufsatz über eine Buchstabiertafel, die er 1787 im Rahmen seiner Tätigkeit an der Schule in Biemke, einem Ortsteil von Haddenhausen, entwickelt hatte. Die Tafel wurde im deutschsprachigen Raum sehr bekannt und trug später die Bezeichnung „Lesemaschine“. Es schloss sich der Veröffentlichung eine Auseinandersetzung in der Fachpresse an, da zwei Pädagogen der Freischule Leipzig Gieseler die Urheberschaft 1795 streitig machten. In der heutigen Zeit der Interaktiven Whiteboards zeigt die Quelle auf, dass sich trotz des notwendigen medialen Wandels die didaktischen Fragestellungen im Kern nicht verändert haben.

Der gewöhnliche Buchstaben- und Buchstabir-Unterricht in den öffentlichen Schulen hat bekanntlich das Zweckwidrige, daß er fürs erste gar zu viel Zeit wegnimmt, und zweitens für Lehrer und Kinder ermüdend, lästig und uninteressant ist, daher denn auch nur langsam von statten gehet. Es ist zwar durch Anpreisung besserer Methoden schon vieles zur Erleichterung und zweckmäßigern Einrichtung dieses nothwendigen Theiles des Unterrichts gethan: indes bleibt ein Mittel, wodurch derselbe noch mehr erleichtert und befördert wurde, doch immer noch wünschenswerth. Ich glaube als ein solches Mittel eine Buchstabirtafel von besonderer Einrichtung vorschlagen zu können, die den doppelten Vortheil gewährt, daß mehrere Kinder auf einmal, mit eben dem Erfolg als ob sie einzeln vorgenommen würden, unterrichtet werden können, und daß die Aufmerksamkeit derselben sehr leicht in fortdauernder Anspannung erhalten wird.

Diese Buchstabirtafel hat, wie aus der unten folgenden genauen Beschreibung erhellen wird, eine solche Einrichtung, daß mit großen über 4 Zoll hohen Buchstaben, die daher in der ganzen Schule zu sehen sind, alle beliebigen Wörter mit der Geschwindigkeit eines Setzers in der Druckerei, zusammengesetzt, auseinandergenommen und auf jede Art verändert werden können. Es kann ein ganzer Haufe von 10 und mehrern Kindern zugleich vortreten, und auch die übrigen sehen mit zu. Die Aufmerksamkeit wird, theils durch die Neugier, womit sie das allmählige Entstehen eines Wortes, was vor ihren Augen gesetzt wird, bemerken, theils durch das Ausrufen bald dieses bald jenes Kindes, um das gesetzte Wort auszusprechen, theils durch die eingestreuten Belehrungen und Erzählungen, wozu das angesetzte Wort veranlasset, beständig rege erhalten. Die Ableitung und stufenweise Vergrößerung eines Wortes läßt sich so am bequemsten zeigen. Man hat es in seiner Gewalt, eine gewisse Art der Zusammensetzung durch öftere Wiederholung geläufig zu machen, indem man z.B. diesmal lauter Wörter wählet, worin ein ld, ein andermal solche, worin ein ei, au, u.s.w. vorkommt. Endlich so wird das Buchstabiren aus dem Kopfe hierbei am leichtesten erlernt, indem man die Kinder selbst die Buchstaben fordern läßt, die um ein gegebenes Wort herauszubringen, nöthig sind, und sie nach ihrer Angabe hinsetzt. Die beschäftigte Neugier, die unterhaltene Sinnlichkeit, und die leicht anzubringende Abwechslung, machen diese Methode des Unterrichts durchaus interessant für die Kinder, nur wird ein Lehrer dazu erfordert, der mit Anstrengung und Munterkeit arbeitet. Man hat sich auch längstens schon gern mit Buchstabentafeln abgegeben, allein weil diese immer ihre Unbequemlichkeiten hatten, und soviel mir bekannt, noch keine von der angegebnen brauchbaren Einrichtung vorhanden war, so ließ man sie größtentheils hängen, und blieb bei dem zeitversplitternden einzelnen Buchstabiren im Buche.

Ich gebe nun die Beschreibung meiner Buchstabirtafel, so wie ich solche für einige Schulen meiner Gegend habe verfertigen lassen, und lege zugleich den Riß davon, worauf ich mich nothwendig beziehen muß, bei. Die ganze Tafel, die durch die Leisten a–b, c–d. etc. in fünf Kolumnen eingetheilt ist, hält 2 Fuß 6 Zoll in der Höhe, wovon auf jede Kolumne 6 Zoll kommen. Die Buchstaben sind auf dünne einzelne Breterchen, von trockenem Buchenholze geklebt, und nur 4 ½ Zoll hoch, damit sie nicht die ganze Kolumne ausfüllen, sondern oben ein Raum bleibe, wohin man den Finger setzen kann, um sie herauszunehmen. Damit sie aber unten vesten Fuß haben, so ist jede Leiste mit einer Rinne versehen, worin das Bretchen, etwa ein paar Linien tief, hineingesetzt werden kann, und damit es nicht vornüber herunter falle, so hat es keinen perpendikulären, sondern einen etwas schrägen zurückgelehnten Stand, indem jede Kolumne, wie es aus dem Profil zu ersehen ist, nach oben zu etwas ausgeschnitten wird. Dieser Ausschnitt darf nicht zu tief sein, damit die Stellung der Buchstaben im Prospekt nicht verliere, sondern nur gerade so tief als nöthig ist, um das Vornüberfallen derselben zu verhindern, er kann also höchstens nicht mehr als einen Winkel von 80 Grad betragen. Auf jene Leisten, und in die Rinnen derselben werden nun die Buchstaben gesetzt, und an die Tafel zurückgelehnt. Ich hatte mir zu diesem Gebrauch große Buchstaben aus dem Lippischen kommen lassen, wo man sie nach eigens dazu geschnittenen Formen, zum Gebrauch in den Schulen, gedruckt hatte, konnte aber schon damals nur einige zu Modellen, nicht aber eine hinreichende Menge erhalten, da für eine solche Tafel wenigstens 5 Alphabete ordinärer, und 2 Alphabete großer Anfangsbuchstaben nöthig sind. Daher zeichnete ich mir selbst gegen das Fenster einen hinreichenden Vorrath nach, schwärzte sie mit Dinte, und hob mir von jedem Buchstaben einen als Muster auf. Sollte jemand um dergleichen Buchstaben verlegen seyn, so bin ich gern bereit, die Musterzeichnungen mitzutheilen. Es sind diese Buchstaben am Körper (nemlich die Verlängerung der langen Buchstaben abgerechnet) nicht völlig 3 Zoll, die Anfangsbuchstaben aber 4 Zoll hoch, und eine solche Größe ist zu den [sic] bezielten Gebrauch nothwendig. Beim Aufkleben auf die Breterchen ist Aufmerksamkeit nöthig, damit alle Buchstaben in gleicher verhältnißmäßigen Höhe zu stehen kommen, um bei der Zusammensetzung eine egale Reihe zu bilden. An beiden Seiten läßt man jedem Buchstaben nicht mehr Raum, als der gewöhnliche Zwischenraum bei gedruckten Buchstaben verhältnißmäßig beträgt.

Damit man aber alle Buchstaben in einer zum schnellen Auffinden nöthigen Ordnung beisammen habe, so ist neben der Buchstabirtafel noch ein, in 32 Fächer abgetheilter, an der Wand hängender Buchstabenschrank nöthig, worin jeder Buchstabe sein eigenes Fach hat, und noch eines für die Zahlen und ein anders für die Unterscheidungszeichen übrig bleibt. Ich habe diese Schränke so einrichten lassen, daß jedes 8 Fächer in die Höhe, und 4 Fächer in die Breite hatte. Jedes Fach ist 4 Zoll hoch, 6 Zoll breit, und eben so tief. Damit keine fremde Hand Unordnung darin verursache, so ist auch eine verschlossene Thür davor nöthig. Ist man nur erst eine Zeitlang darin geübt, so läßt sich jeder verlangte Buchstabe mit großer Schnelligkeit finden, und eben so rasch an die Tafel setzen.

Sollte meine vorgeschlagene Methode weitern Beifall finden, und Nutzen stiften; sollte durch die Erleichterung und mehrere Beschleinigung [sic] des Lesenlernens mehr Zeit zur Bildung des Verstandes und des Herzens der Schuljugend gewonnen werden: so wird mein Endzweck erreicht, und meine Freude groß sein.

Gieseler.

Zweyter Prediger zu Petershagen im Fürstenthum Minden.

Abbildung der Gieseler‘schen Lesemaschine aus dem Jahr 1792, Querschnitt und Aufsicht. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 6264483 Paed.th. 5254 g-1/3 6264483 Paed. th. 5254 g-1/3 urn:nbn:de:bvb:12-bsb10764237-5, S. 80.

Georg Christoph Friedrich Gieseler (1760-1839)

Methode im Schreibunterricht (1792)

Gieseler, Georg Christoph Friedrich: Methode im Schreibunterricht. In: Zerrenner, Heinrich Gottlieb (Hrsg.): Der deutsche Schulfreund, Band 4 (1792). Erfurt: Georg Adam Keyser, 1792, S. 40–50. [Bayerische Staatsbibliothek München. Signatur: 6264484 Paed.th. 5254 g-4/6 6264484 Paed.th. 5254 g-4/6.]

Gieseler stellte den Ausführungen zum Leseunterricht, die er 1792 im dritten Band des Schulfreundes veröffentlicht hatte, eine Publikation über den Schreibunterricht in der nachfolgenden Ausgabe dieses Periodikums an die Seite. Damit hatte er das Terrain seines pädagogischen Programms für den Elementarunterricht der Volksschule abgesteckt. Unterricht bedeutete für einen Theologen des Rationalismus, die Lernprozesse in den Dienst einer umfassenden Bildung des Geistes, einer Ordnung im Denken und einer Aufmerksamkeit der Gedanken zu stellen. Es lag ihm am Herzen, den Schreibschülern geeignetes Unterrichtsmaterial in der Form „gestochener Vorschriften“, also gedruckter Vorlagen für den Schreibunterricht, an die Hand zu geben, um auf diese Weise die Nachhaltigkeit zu steigern und den Lehrer von der hemmenden Verpflichtung, eigene Vorschriften anzufertigen, zu entbinden. Gieseler wiederholte diesen Gedanke mehrfach23, da sich hier die Chance anbot, Freiräume für die Lehrerfortbildung zu schaffen.

Den heutigen Leser überrascht die Absicht, den Schreibunterricht an der Lebenswirklichkeit der Schüler auszurichten. Die schülerorientierte Methodik sicherte das Interesse der Lernenden und verhinderte ein unnötiges Fortschreiten in die Richtung übertriebener Schönschrift. Die Modernität der Konzeption lag darin begründet, dass Gieseler die Elementarisierung der Lerngegenstände, ihren „natürlichen Weg“ der Vermittlung, in das Zentrum der Unterrichtsvorbereitung rückte.

Das Schreiben sollte schlechterdings in jeder Schule von Knaben und Mädchen erlernt werden, theils wegen des Vortheils[,] den die Kenntniß davon in dem künftigen Leben gewähren kann, theils wegen desjenigen, der schon in der Schule daraus entsteht. Denn seine Gedanken aufsetzen, befördert die Ordnung und Aufmerksamkeit im Denken ungemein; und können die Kinder Geschriebenes lesen, so lesen sie gemeiniglich das Gedruckte so viel {41}24 fertiger, und der Lehrer ist im Stande, sowol [sic] auf der Tafel, als auch auf kleinen Zettelchen, Manches zur Erinnerung, zur Wiederholung und zum Nachdenken ihnen vorzuschreiben, und also die Bildung ihres Geistes durch ein neues Mittel zu befördern. Ich habe gefunden, daß die meisten Kinder gern und leicht schreiben lernten, wenn nur der rechte und natürliche Weg bey diesem Unterricht eingeschlagen wurde, und daß derselbe dann auch eine angenehme und ermunternde Abwechslung für sie veranlaßte. Die Methode, welche ich darin als die beste fand, will ich hier kürzlich beschreiben.

Es ist allemal mit dem Lesen geschriebener Schrift der Anfang zu machen, weil die Kinder nicht eher das eigene Zeichnen der Buchstaben mit Lust und Erfolg unternehmen können, als wenn sie schon die Bedeutung derselben und den Unterschied des Einen von dem Andern durch das Lesen kennen. Soll aber das Lesen und Schreiben, wie es gewöhnlich geschieht, zugleich gelernt werden, so verfährt man nicht elementarisch, erschweret den Unterricht durch die doppelte Mühe, und erschwerter Unterricht geht nie so gut von statten. Ich nehme also diejenigen Kinder, welche das Gedruckte eben etwas fertig lesen, an die große Tafel, und lasse sie da erst die mit Kreide vorgeschriebenen Buchstaben kennen lernen. Täglich kann man 4 bis 5 neue Buchstaben vornehmen, daraus leichte Worte zusammensetzen, und so das Alphabet {42} durchgehen. Alsdann giebt man ihnen schon kleine Zettelchen, die man zu diesem Endzweck in genugsamer Menge angefertigt hat, mit nach Haus, worauf ein leichter Reim oder Satz deutlich geschrieben ist; jedes muß seinen Zettel am folgenden Tage, wenn es zur Schule kommt, lesen, und empfängt dagegen einen neuen. Diese Zettelchen haben so vielen Reiz für die Kinder, daß sie mit Lust lesen lernen, um nur auch dergleichen zu bekommen.

Nun wird der Anfang mit Schreiben gemacht. Man hüte sich nur, daß man nicht gleich anfangs das ganze Alphabeth der Reihe nach vorschreibe, und die Kinder nichts als einzelne Buchstaben malen lasse. Dies ist für sie höchst ermüdend, weil sie nichts dabey zu denken haben. Sobald also nur die ersten leichtesten Züge von i, n, m, u, d, e begriffen sind, so setzt man schon aus diesen Buchstaben so viel Sylben und Wörter zusammen, als möglich, und läßt eher keine neuen Buchstaben folgen, als bis diese ersten ziemlich leserlich geschrieben werden. Um das beständige Vorschreiben zu vermeiden25, was so viele Zeit unnöthiger Weise {43} wegnimmt, habe ich mir drey oder vier Schachteln voll kleiner Zettel verfertiget, auf deren jedem eine Sylbe oder Wort vorgeschrieben war. In der Schachtel N. 1. waren blos Sylben und Worte, aus den vorhin benannten, leichtes[te]n Buchstaben zusammengesetzt; diese diente also den ersten Anfängern einige Wochen lang zur Uebung. In der Schachtel N. 2. befanden sich Wörter, wozu schon die langen Buchstaben b, f, h, l, k, ck, p, s, st, s26, z, nebst den vorigen mitgenommen waren. Diese konnte schon eine ungleich größere Menge von Zetteln enthalten, und auch so viel länger gebraucht werden. In N. 3. kamen nun die schwerern knotigen Buchstaben noch hinzu, als: o, a, g, q, r, v, w, y. Und N. 4. enthielt lauter Nennwörter mit großen Anfangsbuchstaben. Nicht nur ersparet diese Art, nach Zetteln schreiben zu lassen, so viel Zeit, die sonst zum Vorschreiben vergeht, sondern sie ist auch den Kindern angenehmer, wie denn die Vorschriften so auch weit schöner {44} gemacht werden können. Man muß deren freilich von Zeit zu Zeit neue anfertigen, weil sie sich abnutzen und verlieren, auch ist starkes Noten- oder Realpapier dazu am besten, damit sie sich nicht sobald durchgreifen. Sind die Kinder etwas weiter, so giebt man ihnen Zettel, worauf ganze Reime, Sprüche, oder Absätze aus dem Junkerschen Handbuch stehen, zum Abschreiben.

Es ist aber auch schon frühe mit dem Schreiben aus dem Kopfe, oder mit eignen Aufsätzen der Anfang zu machen, und hiermit, und mit dem Schreiben nach Vorschrift, welches zwischendurch noch lange fortgesetzt werden kann, abzuwechseln. Weil jenes die meisten Schwierigkeiten hat, und doch, wenn die Schreibekunst den Kindern wirklich nutzbar werden soll, am nöthigsten ist; so muß mit der Uebung darin, sobald als nur die Buchstaben etwas zusammenhängend geschrieben werden, auf eine leichte Art, angefangen, und in der Folge beständig fortgefahren werden.

Die wahre elementare Methode, die vom Leichtern zum Schwerern fortschreitet, scheint hier nun folgende zu seyn. Man sagt einzelne leichte Wörter vor; läßt jedes Wort von einem Kinde laut vorbuchstabieren, dann von allen Anfängern aufschreiben, und siehet nun, ehe man ein neues Wort vorsagt, bey jedem nach, ob es ist recht geschrieben worden. Hat jemand dennoch unrecht geschrieben, so muß er es noch einmal laut buchstabieren, und darnach selbst ändern. Dies {45} ist überhaupt eine allgemeine Regel bey den orthographischen und Stylübungen, daß man den Schreibeschüler seine gemachten Fehler selbst verbessern lasse; weil, wenn es der Lehrer thut, wenig darauf geachtet, oder doch der gemachte Fehler so deutlich nicht eingesehen, und folglich auf die Zukunft nicht vermieden wird. – Ist diese Uebung mit einzelnen, laut vorbuchstabirten Wörtern, eine Zeitlang fortgesetzt worden, so kann man die Kinder schon zuweilen sich selbst überlassen, und ihnen aufgeben, einzelne Wörter für sich, ohne sie laut zu buchstabiren, aufzuzeichnen; z. B. alle Dinge, die sie in der Schule sehen; ein andermal alles, was sich in einem Garten, im Felde, in der Kirche, in ihren Häusern befindet u.s.w.[.] Findet sich nun, daß sie einzelne Wörter schon ziemlich richtig buchstabirt aufschreiben, so macht man sie mit den beiden vornehmsten Unterscheidungszeichen, Punktum und Komma, und deren Bestimmung, bekannt; und sucht ihnen begreiflich zu machen, wo ein großer Anfangsbuchstabe hingehöre, nämlich zu Anfang einer Periode, und vor jedes Nennwort. Das Abschreiben kleiner Sprüche und Sätze von den größern Zetteln, dienet hierin zur erstern Uebung; allein nun ist auch damit anzufangen, daß sie auswendig gelernte Sprüche, Verse und Gebetchen, ohne Vorschrift aufzeichnen, und auf vorgeschriebene Fragen schriftlich Antwort geben. Den Stoff zu diesen Fragen kann man jedesmal aus dem {46} gegebnen Unterricht nehmen, oder aus der ihnen bekannten Natur und Welt. Man verfertigt auch hiervon eine Menge kleiner Zettel, auf deren jede, drei bis vier Fragen stehen; man giebt beim Schluß der Schule jedem Kinde einen solchen Fragezettel zum Nachsinnen mit nach Haus; am folgenden Morgen fragt man ihnen, so wie sie ankommen, die Antwort ab, berichtiget dieselbe, und so giebt man denn in der Schreibstunde ihnen auf, die Beantwortung niederzuschreiben. Wo der von Rochowsche Kinderfreund27 gebraucht wird, da können die vorher gelesenen Geschichten nachher aus dem Gedächtniß aufgeschrieben werden.