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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograie, detailierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2015 Florian Borges

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7392-5249-0

Inhalt

Vorbemerkung

Der Kreis in seiner Vollkommenheit faszinierte die Menschen schon immer als Symbol für Unendlichkeit, für Wiederkehr, im Gegensatz zum Quadrat als Zeichen für von Menschen Erschaffenes (Häuser, Felder, Städte) steht der Kreis für den Himmel und das Göttliche. Konzentrische Kreise bedeuten im Zen-Buddhismus die höchste Stufe der Erleuchtung – das soll hier aber nicht unser Ziel sein, vielmehr bescheiden wir uns auf einen Happen genüsslich hergerichteter Mathematik und lassen uns auf ganz andere Weise von Kreisen verwöhnen.

In der Kochkunst gilt es gelegentlich als große Herausforderung, aus möglichst einfachen, jedermann verfügbaren Zutaten und mit ganz üblichen Methoden der Zubereitung dennoch ein möglichst raffiniertes, ausgefallenes Menü zu zaubern. Kann man den in der Küche verwendeten Lebensmitteln noch ziemlich gut und eindeutig die Eigenschaften „einfach, (hierzulande) jedermann verfügbar“ bzw. „ausgefallen“ zuordnen, so ist dies im Bereich der mathematischen Kochkunst nicht mehr so klar möglich. Dennoch bin ich mir Ihrer Zustimmung sicher, dass zum ersten die Bildpunktkonstruktion zur behandelten Kreisspiegelung für jedermann verständlich und einfach ist, dass es sich zum zweiten bei dem Lehrsatz des Pythagoras um ein vergleichsweise vielen Menschen verfügbares mathematisches Küchenwerkzeug handelt; zum dritten schließlich gilt die Spiegelung am Kreis sicherlich unter Kennern als ein mathematisches Schmankerl, das leider in der Schulmathematik meist sehr stiefmütterlich oder gar nicht behandelt wird. Der unwiderstehliche Reiz der Kreisspiegelung einerseits und zum anderen v.a. die Begeisterung über die Tatsache, dass ihre verblüffenden Eigenschaften lediglich mit der Satzgruppe des Pythagoras als Hilfsmittel gezeigt werden können, haben mich dazu angeregt, diese mathematische Delikatesse für Sie vorzubereiten. Ich habe mich bemüht, bei den Beweisen stilistisch sehr abwechslungsreich zu würzen. Bekanntlich sind gerade hier die Geschmäcker sehr verschieden, und so steht es natürlich jedem frei, dieses Mahl nach seiner persönlichen Note abzuschmecken. Zur Abrundung des Menüs serviere ich Ihnen schließlich noch die Berühreigenschaft des Feuerbachkreises an immerhin 16 weiteren Kreisen als leckere Nachspeise sowie die beinahe unglaubliche Nachricht, dass die Kreisspiegelung (zumindest theoretisch und in „3D“) die Menschheit sogar vor Naturkatastrophen wie Erdbeben bewahren kann und hoffe, dass Ihnen alles bestens bekommt. Auf Anfrage (e-mail-Adresse siehe Ende der Schlussbemerkung) erhalten Sie gerne die Geogebradateien bzw. das Delphi-Progrämmchen zur Inversion eines beliebigen Bildes im bmp-Format.

Doch jetzt erst einmnal: Guten Appetit!

0. Hilfreiche Voraussetzungen

Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe am bayerischen Gymnasium kennen bereits Achsen- und Punktsymmetrie als statische Eigenschaften von Objekten aus der Grundschule, die Achsen- und die Punktspiegelung sowie bestenfalls Drehungen und Verschiebungen als Abbildungen. Die Achsenspiegelung als „Urmutter“ dieser Kongruenzabbildungen ist nicht allen als solche bewusst, lassen sich doch Verschiebungen als Doppelspiegelung an zueinander parallelen Achsen, die Punktspiegelung als Doppelspiegelung an zueinander senkrechten Achsen und die Drehung als Doppelspiegelung an sich im Drehpunkt und im halben Drehwinkel schneidenden Achsen interpretieren bzw. durch solche ersetzen. Alle Kongruenzabbildungen lassen sich also durch maximal drei Achsenspiegelungen (dann mit umgekehrtem Drehsinn beim Bild) bewerkstelligen, sind längen-, flächen- und winkeltreu. Schließlich sind die (statische) Ähnlichkeit als Zustand und die (kinematische) zentrische Streckung als zugehöriger Abbildungsvorgang geläufig, hier ist die Formtreue (Winkeltreue, also auch Parallelitätswahrung) noch gewährleistet, Längen- und Flächentreue dagegen nicht, dafür aber wenigstens zuverlässige Längen- und Flächenverhältnisse. Später im Rahmen der analytischen Geometrie der Oberstufe spiegeln die jungen Leute dann noch einfache Objekte wie Ebenen, Geraden oder Kugeln an Ebenen und lernen so die 3D-Variante der Achsenspiegelung kennen. Die naheliegenden Fragen nach den Möglichkeiten, eine (Erd-)Kugeloberfläche eindeutig auf eine ebene (Atlasseiten-) Fläche (bzw. den Bildschirm bei Onlinelandkarten) abzubilden oder die Entstehung der unvorteilhaften, eigenen Knollennase im Spiegelbild beim Blick auf eine Christbaumkugel aus geringem Abstand zu erklären, werden in der Schule leider nur sehr knapp in Geographie bzw. Strahlenoptik (Physik) oder garnicht behandelt. In beiden und vielen weiteren Fällen könnte die Kenntnis der Inversion am Kreis eine befriedigende Antwort bieten.

1. Einführung der Kreisspiegelung

In diesem Kapitel werden wir die Kreisspiegelung kennen- und hoffentlich auch gemeinsam schätzen lernen. Zu diesem Zweck wird sie als Abbildung zunächst durch eine geeignete, sehr einfache Vorschrift festgelegt. Gleich darauf werden wir uns überlegen, warum diese Zuordnung mit Recht eine „Spiegelung“ genannt wird und in welch enger Beziehung sie zur bekanntesten aller Spiegelungen, nämlich der an einer (geraden) Achse, steht.

Bei der Untersuchung der Bilder von Geraden und Kreisen stoßen wir auf verblüffende Ergebnisse, die uns von den bisher bekannten (linearen) Abbildungen her völlig unbekannt waren: Geraden werden meistens auf Kreise abgebildet, Kreise manchmal auch auf Geraden! Einigermaßen erholt von diesem Schock prüfen wir, ob es Fixpunktmengen oder Fixmengen bei dieser sogenannten „Inversion“ gibt. Einige Aufgaben sollen die frischen Erkenntnisse vertiefen, ehe eine letzte, unerwartete Eigenschaft dieser Abbildung behandelt wird: obwohl sie weder geraden-, längen- noch flächentreu ist, bleiben nämlich Winkel (bis auf den Drehsinn) erhalten! Der Abschnitt schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der abbildungsgeometrischen Neuigkeiten.

1.1. Abbildungsvorschrift der Spiegelung am Kreis ks((Ms;;rs)):

(Abb.1)

Wegen der Eindeutigkeit der zugrundeliegenden, stets möglichen Konstruktion sieht man:

Zu jedem Punkt P beliebig außerhalb des Spiegelkreises ks gibt es genau einen Bildpunkt P' innerhalb ks\{Ms}mit folgenden Eigenschaften:

a) P' liegt auf [Ms P und

b) P' liegt auf [T1T2],wobei T1 und T2 die Berührpunkte der Tangenten durch P an ks sind.

Zu P innerhalb ks\{Ms} gilt die umgekehrte Abbildungsvorschrift entsprechend (Lot auf den Radius durch P schneidet ks in T1 und T2, die dortigen Tangenten schneiden sich in P')

Definiert ist die Kreisspiegelung überall in der Ebene außer in Ms. Die Abbildung ordnet also jedem Punkt außerhalb ks genau einen Punkt innerhalb ks\{Ms} zu und umgekehrt! An der Abbildungsvorschrift erkennt man gleich: Die Kreisspiegelung ist selbstinvers. Fixpunkte der Kreisspiegelung sind genau die Punkte der Spiegelkreislinie (vgl. dazu auch 1.2.3. sowie Achsen- und Punktspiegelung).

1.2. Eigenschaften der Kreisspiegelung

Zunächst wollen wir den Namen „Spiegelung“ rechtfertigen, ehe wir die Bilder von bestimmten Sorten von Geraden und Kreisen betrachten.

1.2.1. Grenzverhalten für große Spiegelkreis-Radien

Nach dem Kathetensatz (aus der Satzgruppe des Pythagoras, siehe Abb.1) gilt: (für beliebiges P)

Im Grenzübergang "Spiegelkreisradius rs gegen unendlich" wird die Kreisspiegelung zur bekannten Achsenspiegelung:

(Abb.2)

Anhand von Abb.2