Urschrei

ein Schrei in der Nacht
nicht wie das angstvolle Pfeifen eines Hasen
oder das Klagen eines verwundeten Rehs
ein Ruf so alt wie die Zeit
das wilde Grollen einer Bärin in ihrer Höhle
wie lauter Donner zwischen den Bergen
ungehemmt wie die stürmische See
ein Blitz, als berührte der Himmel die Erde
dann Stille
und in der Stille
das leise Weinen eines Neugeborenen

Das obige Gedicht entstand während der Vorbereitung auf meine erste Alleingeburt.

Dieser Text steht genau auf dem Platz, wo unser Sohn wenige Wochen später (allerdings in der warmen Jahreszeit) geboren wurde.

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Markenschutz

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Originalausgabe, Juli 2014
© 2014 edition riedenburg
Anschrift edition riedenburg, Anton-Hochmuth-Straße 8, 5020 Salzburg, Österreich
E-Mail verlag@editionriedenburg.at
Internet editionriedenburg.at
Lektorat Dr. Heike Wolter, Regensburg; Anna Rockel-Loenhoff, Unna
Abbildungsnachweise Cover: Welle © EpicStockMedia - Fotolia.com; Abbildung auf S. →: © ngaga35 - Fotolia.com; Wellen-Grafiken zu Kapitelbeginn: © lukeruk - Fotolia.com; S. →: Blumenkörbchen und Blätter © notkoo2008 - Fotolia.com; Notizblatt: © picsfive - Fotolia.com;
Körper-Zeichungen: © Sarah Schmid
Fotografien im Haupttext: © Sarah Schmid mit Ausnahme der Plazentabilder (rechts oben und unten) auf S. → © Caroline Oblasser

Umschlaggestaltung, Satz und Layout: edition riedenburg

Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-902943-34-7

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Am Anfang…

Unser Leben auf dieser Welt beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Wir alle werden geboren und wir alle sterben irgendwann. Es gibt wohl kein Ereignis, das uns stärker in unserem Sein berührt als Geburt und Sterben, als der Anfang und das Ende unseres Lebens.

Um dem Erschütternden die Bedrohlichkeit zu nehmen, hat unsere Gesellschaft Rituale, Traditionen und Tabus eingeführt. Standardprozeduren, die uns Halt geben, wenn es eigentlich keinen Halt gibt. In diesem Buch soll es um das Gebären gehen und um die Zeit, in der wir Frauen „guter Hoffnung“ sind. Um diese Zeit, in der wir uns in Erwartung des Neuen vielleicht allzu gern im Meer des Lebens treiben ließen, wären da nicht all die Warnhinweise und guten Ratschläge, die wohlmeinende Menschen am Ufer aufgestellt haben.

Wenn Leute hören, dass eine Frau ihr Kind einfach so zur Welt gebracht hat – ohne Krankenhaus, ohne Hebamme, ohne fremde Hilfe, und das Ganze vielleicht auch noch mit voller Absicht –, dann staunen sie meist ungläubig.

Dass sich jemand so etwas traut! Ist das nicht kreuzgefährlich, geradezu verantwortungslos? Wie weiß die Frau denn überhaupt, was zu tun ist? Und was macht sie mit der Nabelschnur?

Weniger dramatisch, ja, erstaunlich banal, fällt die Reaktion des Gegenübers aus, wenn man obige Geschichte über die eigene Katze erzählt. Dabei hat sie genau dasselbe getan: ohne Krankenhaus, ohne Hebamme, ohne fremde Hilfe. Ganz allein. Und meist brachte sie dabei nicht nur ein Junges zur Welt, sondern gleich vier oder fünf auf einmal. In einer staubigen oder zumindest nicht keimfreien Ecke des Hauses. Sie hat nacheinander bei jedem ihrer Jungen die Fruchtblase aufgebissen und gefressen, die Nabelschnur durchgebissen und jedes Junge ordentlich abgeschleckt. Nach dieser herzlichen Begrüßung hat sich ein Junges nach dem anderen in Mamas warmem Fell verkrochen und schnell eine Zitze gefunden, an der es von nun an viele kuschelige Stunden verbringen wird.

Hat sie das nicht großartig gemacht, die Katzenmama? Sie hatte nie einen Mutterpass oder Entbindungstermin. Niemand hat jemals die Herztöne ihrer Babys abgehört oder ihre Wehen aufgezeichnet. Keiner hat kontrolliert, wie weit sie eröffnet ist. Keiner hat ihr gesagt, wann sie pressen muss. Niemand hat ihren Damm gehalten oder mit Kaffeeumschlägen gewärmt. Sie hat auch nicht vorher wochenlang ihren Damm massiert. Und sie wurde auch nie darin ausgebildet, wie man einen ganzen Schwung frisch geborener Katzenbabys versorgt. Trotzdem tut sie ganz instinktiv genau das Richtige. Und was hat sie dafür gebraucht? – Nichts. Außer ein ruhiges, trockenes Eckchen.

Nicht nur Katzen pflanzen sich auf diese Weise fort. Auch Vögel, Kaninchen, Mäuse, Füchse, Rehe, Affen, und Elefanten suchen für die Geburt ihres Nachwuchses einen geschützten Platz auf: ein Nest in einem Baum, eine Höhle, eine Felsnische, eine Mulde im Gras, oder aber sie sind umgeben von anderen Mitgliedern des Rudels oder der Herde. Dort gebären sie, vor Feinden und Störungen geschützt, ganz unspektakulär ohne technische Überwachung und ärztliche Hilfe ihre Jungen aus eigener Kraft. Die Alleingeburt ist also ein in der Tierwelt bewährtes Prinzip.

Nur wir Menschen fallen beim selbstständigen Gebären irgendwie aus dem Rahmen, und der moderne Mensch ganz besonders. Liegt es daran, dass uns der aufrechte Gang und die wachsende Intelligenz immer größere Köpfe beschert hat und unsere Geburten deshalb viel mühsamer sind?

Aber wie sind dann die unzähligen Berichte aus verschiedenen Naturvölkern (zu einer Zeit, als diese von der westlichen Zivilisation noch nahezu unberührt waren) zu erklären, die durchweg von schnellen, unauffälligen Geburten handeln und damit alle damaligen westlichen Beobachter verwunderten? Geburten allein in einer abgeschiedenen Hütte, Geburten allein nachts, Geburten nebenbei auf dem Acker, Geburten in Anwesenheit einer vertrauten, weisen Frau… Leichte Geburten schienen die Regel, nicht die Ausnahme gewesen zu sein.

Aber warum das damals offenbar möglich war und heute nicht mehr, ist nicht Gegenstand der modernen Forschung. Es glaubt sowieso kaum noch einer, dass eine leichte, schnelle, freudige Geburt überhaupt möglich ist. Lieber propagiert man eine schnelle Schmerzlinderung per PDA (Periduralanästhesie = Schmerzmittelgabe in Rückenmarksnähe), um Frauen ihrem Unterleib gegenüber bewusst gefühllos zu machen.

Leichte Geburten, so gewinnt man den Eindruck, sind heutzutage selten. Gut geboren zu haben ist „Glückssache“, und vielleicht auch gar nicht so wichtig. „Hauptsache, das Kind ist gesund“, so ein oft gehörter Spruch.

Ist es der modernen Gesellschaft egal geworden, wie wir Frauen unsere Geburten erleben? Im Namen der Sicherheit und der Verantwortung für unser Kind gewährt man Frauen vielfach kein Recht mehr auf ein schönes, selbstbestimmtes Geburtserlebnis. Warum etwas riskieren und Mutter Natur vertrauen, wenn man mit teurer Technik, erfahrenen Ärzten und engmaschiger Überwachung alles viel besser in den Griff bekommt?

Mein Weg zur Alleingeburt

Meine erste Begegnung mit der modernen Geburtsmedizin hatte ich bereits, bevor ich das erste Mal schwanger wurde. Im Medizinstudium galt es nämlich, diverse Praktika im Krankenhaus (sogenannte Famulaturen) und später das Praktische Jahr zu absolvieren.

Da ich einmal Kinder haben wollte, nutzte ich die Gelegenheit und famulierte vier Wochen lang in der Gynäkologie/Geburtshilfe eines kirchlichen Krankenhauses. Ich war unvoreingenommen, neugierig und wartete mit Spannung auf jede Geburt, bei der ich dabei sein durfte. Einmal gab es sogar eine Zwillingsgeburt! Und einmal, aber auch nur einmal, war ich bei einer Geburt dabei, die aufrecht und nicht in (halber) Rückenlage stattfand. Ich sah mir an, wie die Säuglingsstation organisiert war, und assistierte bei Kaiserschnitten. Dabei musste ich mit dem Sauger das Fruchtwasser auffangen, sobald die Fruchtblase eröffnet wurde.

Die Ärzte dort waren alle recht nett. Unter den Hebammen gab es ganz verschiedene Typen. Eine junge Hebamme ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben, und bei ihr fand übrigens auch die eine aufrechte Geburt im Knien statt, bei der ich dabei sein durfte. Sie bekam immer ganz rote Wangen, wenn die Geburt kurz bevorstand, und musste den Muttermund gar nicht tasten, um zu wissen, dass die Frau vollständig eröffnet war. Dieses Gespür hat mir – inmitten aller Technik und Überwachung – imponiert.

Meine nächste Begegnung mit der Geburtshilfe hatte ich im Praktischen Jahr. Ich war inzwischen verheiratet, frisch schwanger mit unserem ersten Kind und durfte deshalb fast gar nichts Praktisches mehr machen, wie zum Beispiel Blut abnehmen. Zugucken war aber erlaubt, und das tat ich dafür umso genauer.

Diesmal führte mich mein Praktikum ins größte Krankenhaus der Stadt. Zwei Monate lang verbrachte ich auf genau der Geburtsstation, wo ich selbst einmal geboren worden war. Die Hebammen waren solche vom alten DDR-Schlag und im Kreißsaal herrschte nicht selten ein Feldwebelton. Die Frauen wurden angeschrien und beleidigt, wenn sie nicht so taten, wie die Hebammen verlangten. Ein ordentlicher Dammschnitt war Routine und oft sehr wohl schmerzhaft, obwohl den Frauen vorher etwas anderes erzählt worden war. Die Hebammenschülerinnen übertrumpften sich damit, wer von ihnen schon die meisten Dammschnitte gemacht hatte.

Es gab einige Szenen, die ich ganz schrecklich fand, und so fiel die Entscheidung zur Hausgeburt nicht schwer. Das Risiko, so gebären zu müssen wie im städtischen Krankenhaus, wollte ich nicht eingehen. Mein Mann war mit meiner Entscheidung einverstanden, da die Klinik von unserem Haus am Waldrand ohnehin nur fünf Minuten mit dem Auto entfernt lag und im Notfall prompt zu erreichen gewesen wäre.

Auf Empfehlung fand ich eine ältere, erfahrene Hebamme. Ich hatte mit ihr ein gutes Gefühl und dachte, dass nun ja nichts mehr schief gehen könne. Das PJ, wie Mediziner das Praktische Jahr nennen, war stressig. Mein erstes Tertial von vier Monaten absolvierte ich in der Notaufnahme. Es verlief zwar spannend und lehrreich, aber ich konnte kaum auf die Toilette gehen.

Für dieses Problem gab es zum Glück ein wunderbares Heilmittel, das zuverlässig und oft schon nach einer Viertelstunde wirkte: den Wald. Sobald ich dort spazieren ging, kam sozusagen alles in Bewegung. Und während ich durch den Wald streifte und sich in mir Entspannung breit machte, dachte ich immer wieder: Hier müsstest du gebären. Du verkriechst dich einfach, ohne dass einer weiß, wo du bist, und dann kommst du mit dem Baby zurück. Kein Trubel, kein Stress, keiner, der etwas von dir erwartet, verlangt oder auf die Uhr guckt. Das muss doch herrlich sein! Wenn ich hier so schön meine Verstopfung lösen kann, muss das doch auch ein hervorragender Ort sein, um das Baby herauszubekommen.

Während ich überlegte, kam ich zum Entschluss, dass mein Vorhaben in diesem Wald nicht umsetzbar war. Zu viele Jogger und Hundespaziergänger waren hier unterwegs, und es gab letztlich kein ruhiges, ungestörtes Örtchen. Trotzdem war der Gedanke so schön, dass ich ihm gern nachhing.

Unser erstes Kind kam also nicht im Wald, sondern in unserer Mietwohnung zur Welt. Ich dachte, ich hätte alles für eine befriedigende Geburt getan, und war guter Dinge. Als ich über den errechneten Termin ging, weigerte ich mich standhaft, alle zwei Tage zum CTG (einem Gerät, das Wehen und kindliche Herztöne aufzeichnet) aufzukreuzen.

Meine Hebamme meinte, ich wäre der Typ, dem sie zutraut, die Geburt auch allein durchzuziehen und sie zu spät zu rufen. Ich hatte mir insgeheim auch offen gehalten, genau das zu tun. Aber weil wir nett sein wollten, riefen wir am Morgen, als die Wehen begannen, schon mal an, um Bescheid zu sagen, dass es heute was werden würde. Dann trafen zwei Dinge ein, die sich nicht im Voraus hatten berechnen lassen: Meine eigentliche Hebamme war bei einer anderen Geburt und eine Vertretungshebamme aus dem Geburtshaus kam vorbei, obwohl wir extra gesagt hatten, dass noch keiner zu kommen bräuchte.

Da war sie also, die Vertretungshebamme. Ich fühlte mich mit ihr nicht wohl und wollte eigentlich, dass sie so schnell wie möglich wieder verschwindet. Sie war schon auf dem Weg nach draußen, wir hatten ihre Nummer, unter der wir sie erreichen konnten, und… plötzlich setzten bei mir die Wehen heftig ein! Sie blieb. Leider hatte ich nicht den Mut und die Nerven, sie rauszuschmeißen und dachte: Augen zu und durch.

Aber diese Rechnung ging nicht auf, wie sich schnell herausstellte. Ich war zwar bald vollständig eröffnet, eine zweite Hebamme wurde dazugerufen, wie das bei Hausgeburten oft üblich ist, wenn die Geburt kurz bevorsteht. Aber dann ging stundenlang nichts vorwärts. Nur Wehen und Schmerzen. SCHMERZEN! Dann irgendwann nach genauerem Tasten die Erkenntnis: hoher Geradstand!

Nun schwebte also auch noch das Damoklesschwert „Kaiserschnitt im Krankenhaus“ über mir. Inzwischen hatte ich die Geburt innerlich an die Hebammen abgegeben. Erst als ich merkte, dass sie auch nicht weiterwussten und ICH hier etwas tun musste, wenn ich nicht im Krankenhaus auf dem OP-Tisch landen wollte, nahm ich die Geburt wieder an mich. Wenn mein Körper wusste, wie er das Kind herausbekommen konnte, dann musste ich auf ihn hören und nicht auf die Hebammen mit ihren sich so wirkungslos anfühlenden Schaukellagerungen.

Ich lauschte also in meinen Körper hinein und fand es ganz angenehm, das Becken im Stehen hin und her zu bewegen und dabei meine Tochter aufzufordern, sich zu drehen. Glücklicherweise kam dann auch endlich MEINE Hebamme. Sie massierte eine angeschwollene Muttermundkante weg (sehr schmerzhaft, aber effektiv). Der Kopf des Babys hatte sich nun gedreht, und kurze Zeit später hielt ich sie im Arm. Völlig fertig, aber sehr, sehr froh!

Nach dem ersten Glücksrausch begann ich, die Geburt zu analysieren. Was war schief gelaufen? Wie hätte ich die vielen schmerzhaften Stunden vermeiden können? Woran lag es, dass das, was bis zum Eintreffen der Hebamme so unkompliziert verlaufen war, danach so schwierig wurde?

Ich las mich durch das Internet, informierte mich über Alleingeburten und der Aha-Effekt ließ nicht lange auf sich warten. Offenbar war ich nicht die Einzige, die sich von der Anwesenheit bestimmter Leute derart aus dem Takt bringen ließ, dass eine ungestörte Geburt nicht mehr möglich war. Fremde zu seiner Geburt einzuladen war wohl nicht selten ein Risiko an sich.

Gleichzeitig fragte ich mich: Wenn ich noch ein Kind bekäme, wie könnte ich meine Geburt dann wirklich gut machen? Wie konnte ich sicher sein, niemanden dabei zu haben, der mich hemmte, meinem Körper misstraute und mir mit seiner Angst die emotionale Kraft aussaugte, die ich zum Gebären brauchte?

Langsam wuchs in mir der Entschluss, dass das nächste Kind nur in Anwesenheit jener Menschen geboren werden sollte, die keine Angst vor dem Ereignis Geburt hatten. Ob ich so jemanden finden würde?

Kurz nach der Geburt unserer großen Tochter zogen wir nach Schweden um. Ein menschenleerer Wald begann nun direkt hinter unserem Haus und ich brauchte nur vor die Haustür zu gehen, um jede Verstopfung aufzulösen. Eines Tages, bei einem meiner Waldspaziergänge, fand ich ihn: den Platz, an dem unser Sohn später geboren werden sollte. Der Boden dort bestand aus weichem Moos, das von umgefallenen Fichten wie mit Wänden umgeben wurde. Daneben gab es ein plätscherndes Bächlein. Hier war der Wald noch wild, und kein Wanderer, Pilzsammler oder Jogger würde sich jemals hierher verirren. Ich war begeistert! Von nun an pilgerte ich immer öfter zu diesem Platz und malte mir aus, wie es wohl sein würde, hier zu gebären…

Als mein Mann endlich davon überzeugt war, dass die Wildnis ein guter Geburtsort sein könnte, führte ich auch ihn an diesen Platz.

Wie anders verlief diese zweite Schwangerschaft im Vergleich zu meiner ersten! Ich war einfach nur schwanger.

Die Vorsorgeuntersuchungen bei der Großen, vor allem aber der häufige Ultraschall, hatten mich oft verunsichert und irritiert. Jetzt aber war ich vollkommen frei und gestaltete selbst meine eigene Vorsorge. Ein unglaubliches, befreiendes Gefühl! Wenngleich mich angesichts des neuen, unbekannten Weges auch manchmal eine gewisse Unsicherheit überkam. Wo würde mich meine Entscheidung, mich um mich selbst zu kümmern, hinführen?

Aber mir ging es gut, und mein Baby bewegte sich in mir. Und so folgte ich freudig weiter dem eingeschlagenen Weg. Zuerst dachte ich noch daran, ab der und der Woche zur klassischen Vorsorge zu gehen. Aber als dann die besagte Woche kam, sträubte sich alles in mir. Ich hatte das Gefühl, meine selige Blase der guten Hoffnung könnte zerstört werden, wenn ich mich von jemand Fremdem vermessen und beurteilen lassen würde. Irgendwann ließ ich den Vorsorgeplan fallen und war glücklich darüber, dass ich den Vorsorgestress einfach boykottierte.

Die für mich perfekte Hausgeburtshebamme zu suchen hatte ich noch früher aufgegeben. Erstens gibt es in Schweden fast keine Hausgeburtshebammen, weswegen eine Hebamme von sehr weit anreisen hätte müssen, und zweitens hätte ich die rund 2.000 Euro an Kosten für die Geburt selbst tragen müssen. Und das auf die Gefahr hin, dass die Hebamme es zur Geburt gar nicht rechtzeitig schaffen würde. Der dritte Punkt freilich war der, dass ich die Hebamme auch noch von meinen Waldplänen hätte überzeugen müssen.

Also erlebte ich Schwangerschaft und Geburt ohne Hebamme. Und weil mir das so gut gefiel, entschied ich mich auch beim dritten und vierten Kind für genau diesen selbstbestimmten Weg.

Das Medizinstudium hat bei der Entscheidung, meine Schwangerschaften und Geburten in die eigenen Hände zu nehmen, eine untergeordnete Rolle gespielt. Meine Ausbildung hat mir aber vor allem dabei geholfen, die Geburtsmedizin in ihren Begrenzungen zu sehen und keine falschen oder überhöhten Erwartungen an sie zu stellen.

Tatsächlich sind längst nicht alle Geheimnisse über das Leben gelüftet. Weder hat man bisher vollständig verstanden, wie komplexe Prozesse im Körper wie beispielsweise das Immunsystem funktionieren, noch ist man gegenwärtig in der Lage, weit verbreitete Krankheiten wie Krebs oder Allergien garantiert zu heilen oder auszurotten.

Auch was die Geburt betrifft, scheint die Medizin noch einigen Nachholbedarf zu haben. Zwar wird versucht, das mangelhafte Verständnis des echten Geburtsprozesses durch ein Arsenal an Überwachungstechnik und Eingriffen wettzumachen, dabei wird der natürliche Geburtsprozess aber gleichzeitig erschwert oder verhindert. Und das nicht etwa, weil das Gebären so kompliziert ist, sondern weil der Geburtsprozess unberechenbar erscheint und deshalb selbst erfahrenen Geburtshelfern oft ihr Leben lang Angst macht – Angst, die mit allerlei Maßnahmen gedämpft werden muss.

Zum Glück kenne ich jemanden, der genau weiß, wie eine Geburt bei mir ablaufen muss: meinen Körper. Das hat er mir inzwischen schon viermal bewiesen.

Und deshalb werde ich mich für eine schöne, sichere Geburt immer zuerst auf mich selbst und meinen Körper verlassen. Ich will nicht, dass Fremde zweitklassige Entscheidungen für mich treffen, wenn ich selbst einen besseren Entschluss treffen kann.

Lies auf den folgenden Seiten, wie ich die Alleingeburten meines zweiten, dritten und vierten Kindes erlebt habe.

Meine erste Alleingeburt (zweites Kind)

Ein gutes Jahr nach der Geburt unserer Großen war ich wieder schwanger. Wir wohnten inzwischen in Schweden und in mir reifte der Wunsch, diese Geburt ohne Begleitung zu machen. Meinen Mann zu überzeugen war eine andere Sache. Er hatte seine Bedenken bis zum Schluss.

Am 1.7. war der von mir berechnete Termin. Nach einem Fehlalarm kurz vor Termin kamen erst eine Woche später wieder ein paar Wehen auf. Abends im Bett, am 8.7. gegen 11 Uhr, machte es dann in meinem Bauch „plopp“.

Ich klemmte mir ein Handtuch zwischen die Beine, schrieb zu Ende Tagebuch und dachte: Interessant, dass es diesmal so anfängt! Ich erzählte meinem Mann davon, und weil ich fühlte, wie immer mehr Fruchtwasser auslief, sprang ich schließlich in die Dusche, wo alles herausfloss.

Wir kicherten wie aufgeregte Teenager, aber da sonst nichts passierte, beschlossen wir, erst einmal ins Bett zu gehen und zu schlafen.

Schlafen konnte ich dann doch nicht mehr. Das Bauchbaby war wach und turnte, und die Wehen kamen alle 5 Minuten. Veratmen musste ich zwar nicht, aber Liegen war unangenehm. Ich wanderte durchs Haus.

Weil alle schliefen und ich niemanden wecken wollte, konnte ich dabei aber nicht recht entspannen. Gegen Mitternacht ging ich in den Garten. Dort war es still, duftete nach Blumen und unsere beiden Katzen schlichen um mich herum.

Ich besang die stärker werdenden Wehen, wanderte herum, besuchte meine Kaninchen oder saß auf dem Rand der Terrasse. Bald spürte ich an der zunehmenden Wehenstärke, dass es Zeit wurde, den Geburtsplatz aufzusuchen.

Mit dem Korb, der alles enthielt, was ich dachte zu benötigen, wanderte ich den 5-Minuten-Weg durch den Wald dorthin. Mit den umgefallenen Bäumen, runden Steinen und dem weichen Moos war mir dieser Ort schon vor Monaten für die Geburt wie gemacht erschienen.

Ich breitete die Picknickdecke aus, lauschte der Stille des Waldes und dachte mir, wie unwirklich sich dieser Moment anfühlte.

Die Wehen der Übergangsphase kamen bald und mein anfängliches Frösteln verflog. Keine Wehe konnte ich in derselben Stellung aushalten. Nach einer heftigen Übergangsphase und wenigen Presswehen wurde der Kopf geboren. Das Baby tat einen kräftigen Strampler in mir, ich spürte, wie die Schultern sich drehten und – flutsch – war er draußen.

Es war 3.19 Uhr auf meiner Uhr, so viel konnte ich an diesem frühen schwedischen Sommermorgen erkennen.

Ein Junge! Ich nahm ihn hoch, spürte sein Herz schlagen, rubbelte ihn ein bisschen. Er schrie nicht, sondern schaute interessiert um sich. Ich wickelte ihn in ein Handtuch, machte ein Foto und rief meinen Mann auf dem Handy an. Er kam kurz darauf und erriet bereits am Gesicht, dass wir einen Sohn hatten.

Wir wanderten zurück zum Haus. Nach nur wenigen Schritten kam die Plazenta, die ich hockend auf den Waldboden gebar.

Zu Hause duschte ich, dann kuschelten wir uns ins Bett und schliefen die restlichen Stunden bis zum Morgen.

Meine zweite Alleingeburt (drittes Kind)

Meine dritte Schwangerschaft, etwas über ein Jahr später, verlief wieder unauffällig und ich verzichtete, wie gehabt, auf die offizielle Vorsorge. Der rechnerische Termin war der 31. Mai.

Ich ging aber davon aus, wie zuvor deutlich über den Termin zu gehen. Deswegen maß ich den harmlosen Wehen, die ich am 30. und 31. tagsüber regelmäßig hatte, keine große Bedeutung bei. Falscher Alarm kurz vor Termin war mir von der zweiten Schwangerschaft her noch zu gut im Gedächtnis. Allerdings wurden die Wehen abends am 31. schon heftiger als noch am Vortag.

Als ich um 21 Uhr die Kinder ins Bett brachte, musste ich schon konzentriert atmen. Mein Mann übernahm die Kinder nach einer Viertelstunde. Ich beantwortete noch E-Mails und erzählte im Hausgeburtsforum von meinen harmlosen, aber regelmäßigen Wehen. Kurz nach 22 Uhr kam mein Mann runter. Er schlug vor, dass wir erstmal wie gewöhnlich duschen und ins Bett gehen und gucken, was in der Zwischenzeit passiert.

Im Bad fror und schwitzte ich gleichzeitig, meine Beine zitterten. Mein Mann war besorgt, ob das normal sei. Ich sagte: Ja, in der Übergangsphase ist das normal.

Der rationale Teil in mir hatte analysiert: Übergangsphase. Aber begriffen hatte ich es irgendwie trotzdem nicht. Das war doch viel zu früh. Die Wehen waren viel zu harmlos. Außerdem wollten wir noch Bauchfotos machen und am nächsten Tag hatte ich eine Einkaufstour geplant.

Wir beschlossen, schnell noch die Bauchfotos zu machen. Wir schafften drei Fotos, wobei ich noch wiederholte, dass mir eine Geburt heute, hier und jetzt eigentlich gar nicht passt. Beim letzten Foto rollte die erste Presswehe über mich. Ich merkte, dass ich gleich Stuhlgang haben würde, und sprang zur Toilette. An der Badtür die nächste Presswehe, die Fruchtblase platzte.

Jetzt hatte ich begriffen. Und ich wollte doch im Tipi gebären! Wir hatten es extra aufgebaut. Also lief ich los und griff unterwegs die Tasche mit den Geburtsutensilien, die ich erst im Laufe des Tages bereitgestellt hatte.

Ein paar Meter in den Garten rein die nächste Presswehe. Ein paar Schritte weiter die nächsten Wehe, bei der ich schon den Kopf fühlte. Das Tipi war kaum 15 Meter entfernt, aber ich konnte mich nicht mehr vom Fleck bewegen.

Endlich kam mein Mann. Er hatte Kohlen und Anzünder geholt, damit wir es im Tipi warm haben, und zum Glück hatte er in der Eile auch an die Videokamera gedacht. Schon war der Kopf geboren und mit der nächste Wehe der ganze kleine Mann. Ich ging in die Hocke und ließ ihn ins Gras gleiten. Es war 22.56 Uhr.

Ich nahm ihn auf und er guckte mich mit großen Augen an. Wir deckten ihn zu, als er sich über die Kälte zu beschweren begann. Dann saßen wir im Gras und staunten. Alles war so unwirklich schnell gegangen.

Schließlich gingen wir zum Haus zurück. Die Plazenta gebar ich noch auf dem Rasen. Dann duschte ich und wir kuschelten uns alle drei ins Bett.

Meine dritte Alleingeburt (viertes Kind)

Meine vierte Schwangerschaft, wieder gut ein Jahr später, verlief wieder problemlos und ohne offizielle Vorsorge.

Fünf Tage über Termin hatte ich ab dem Nachmittag immer mal eine deutliche Wehe, wie auch schon einmal ein paar Tage zuvor. Nachts nahmen die Wehen an Intensität zu, so dass ich sie beatmen musste. Die Abstände waren aber mit 15 bis 30 Minuten zu groß für eine baldige Geburt.

Ich zwang mich, im Bett liegen zu bleiben und zwischendurch zu schlafen. Gegen 2 Uhr nachts glaubte ich, dass ich es im Liegen nicht mehr aushalte. Ich begann, das Wohnzimmer vorzubereiten – für eine Draußengeburt war es jetzt, Ende April, noch deutlich zu kalt. Aber während ich räumte, kam keine einzige Wehe mehr. Also ging ich wieder ins Bett, wo die Wehen wie gehabt in großen Abständen aber kräftig wiederkamen.

Am Vormittag dasselbe. Ab und zu eine kräftige Wehe. Bald wurde es schwerer, die Kinder mit ihren vielen Forderungen zu bedienen und gleichzeitig meine Wehen zu beatmen. Ich ging immer wieder schnell ins Bad, schloss zu, beatmete die Wehe, und kam wieder raus, um den davor wartenden Jungs eine Banane zu geben, den Popo zu putzen und was sonst so minütlich mit kleinen Kindern anfällt. Jetzt kamen die Wehen dichter und wollten vertönt werden. Die Jungs begannen mich zu stören.

Dummerweise war die Oma ausgerechnet heute recht weit weg unterwegs. Bei einer Nachbarin, die sich angeboten hatte, einzuspringen, ging keiner ans Telefon.

Also schlug mein Mann vor, die Kinder zu nehmen und einfach wegzufahren, damit ich in Ruhe gebären konnte. So ein Vorschlag von meinem Mann! Ich war platt.

Aber wer sollte dann die Fotos machen und filmen? Unserer Großen hatte ich versprochen, dass sie bei der Geburt dabei sein durfte, aber jetzt reizte sie mich mit ständigen Diskussionen so sehr, dass ich sie mit den Jungs ausquartieren wollte.

Mein Mann erreichte schließlich eine andere Nachbarin. Gegen halb 12 brachte er die Jungs dorthin. Die Große versprach, lieb zu sein, und durfte im letzten Moment bleiben.

Endlich kehrte Ruhe im Haus ein. Ich wanderte wehend im Wohnzimmer auf und ab. Mein Mann war schnell wieder da und setzte sich mit der Großen und einem Buch hin. Bald zog es mich nach nebenan ins Spielzimmer. Ich wollte während der heftigen Übergangswehen unbeobachtet sein. Ich versuchte zu singen, was mir sonst immer so gut geholfen hatte, aber das ging diesmal gar nicht.

Dann die erste Wehe, die sich am Schluss schon nach Pressen anfühlte. Endlich!

„Jetzt kannst du filmen“, sagte ich zu meinem Mann. Abgestützt stehend ließen sich die Presswehen am besten bewältigen. Es war heftig, gewaltig und nicht ganz schmerzfrei.

Dann spürte ich den Kopf kommen und im nächsten Moment glitt unser Baby in meine Hände. Ein Mädchen! Die Kleine wurde ausführlich bewundert, nicht zuletzt von ihrer stolzen, großen Schwester.

Dann kam auch die Oma. Sie holte die Jungs von der Nachbarin, die ihre kleine Schwester eine Stunde nach der Geburt ebenfalls begrüßten.

Was dich erwartet

Dies ist ein persönliches Buch. Ich werde dir von meinen Gedanken und Erfahrungen erzählen, und du wirst Einblick in die Gedanken und Erfahrungen anderer Alleingeburtsmütter und Alleingeburtsväter bekommen.

In diesem Buch findest du all jenes Wissen, das ich in Vorbereitung auf meine selbstbestimmten Geburten, aber auch auf der Suche nach Antworten auf die Fragen anderer Frauen aus verschiedenen Wissensquellen zusammengetragen habe.

Das, worüber ich schreibe, basiert unter anderem auf den Erfahrungen unzähliger Frauen, die ihre Geburtsberichte im Internet geteilt haben. Aber auch das niedergeschriebene Wissen und der Erfahrungsschatz von Hebammen und Ärzten, die es gewagt haben, in der Geburtshilfe sowie in anderen Bereichen neue Wege zu gehen, finden in dieses Buch Einlass. Hier sind, allen voran, Alfred Rockenschaub, Michel Odent, Weston Price, Gregory White, Grantly Dick-Read und Ina May Gaskin gemeint, um nur ein paar von ihnen zu nennen.

Erwarte dir von diesem Buch kein Rezept für eine Traumgeburt! Es ist vielmehr ein Buch, das dich zum Selberdenken, zum Neudenken, zum Querdenken und zum nicht-konformen Denken ermutigen will. Und dazu, gut informierte Entscheidungen zu treffen, die aus deinem Herzen kommen und sich nicht von Angst einschüchtern und verdrehen lassen.

Es soll dir helfen, deinem Körper und deiner Intuition über allen Stimmen, die von außen auf dich einstürmen, zu vertrauen.

Sei beruhigt: Es ist für eine Geburt in Eigenregie nicht notwendig, dass du den Inhalt dieses Buches auswendig lernst. Viele Details sind eingeflossen, damit du zu aufkommenden Fragen einfach nachschlagen kannst.

In diesem Buch will ich dich dazu ermutigen, die besten Entscheidungen für dich und dein Baby zu treffen – egal, wie sie aussehen mögen.

Dabei werde ich die moderne Medizin nicht komplett ausklammern, denn wir wollen sie dann nutzen, wenn wir sie brauchen oder ihre Hilfe explizit wünschen.

Je mehr Frauen gut informiert ihre Rechte einfordern, desto eher wird die Geburtshilfe eines Tages den Platz einnehmen, der ihr zusteht: als demütige Dienerin an Frau und Kind, und nicht als besserwissender Vormund.

In den vorliegenden Kapiteln beschränke ich mich auf die häufigsten Fragen zum Thema Schwangerschaft und Geburt in Eigenregie.

Sollten für dich nach der Lektüre noch Fragen offen sein, so zögere nicht, deine eigenen gründlichen Recherchen anzustellen, bis alle Fragen beantwortet sind und du ein sicheres Fundament hast, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

Über Verantwortung, Angst und Sicherheit

Verantwortung und die Ängste der anderen

Als ich vor über acht Jahren meinen ersten positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt, gab es für mich keine Frage, was nun als Nächstes zu tun sei: Selbstverständlich machte ich einen Termin bei der Frauenärztin aus! Ich fragte mich nicht, warum ich das tat und ob ich das brauchte, sondern ich tat es, weil ich gelernt hatte, dass man es eben tut.

„Das kann ich aber nicht verantworten!“

Bei diesem Satz meiner Frauenärztin wurde mir die Veränderung, die für mich mit dem bloßen Eintritt der Schwangerschaft stattgefunden hatte, das erste Mal so richtig bewusst. Ich saß der Gynäkologin gegenüber und hatte ihr eben mitgeteilt, dass ich die weitere Schwangerschaftsvorsorge bei einer Hebamme machen wollte. Die ärztlichen Besuche waren mir von Anfang an unangenehm gewesen und ich hatte diese Frauenärztin einfach deshalb ausgewählt, weil sie meinem damaligen Wohnort am nächsten war. Aber nun fühlte ich mich von ihrer Art bevormundet und hatte die Nase voll. Eine Hebamme versprach mehr Einfühlungsvermögen, auch wenn ich in dem Moment noch gar keine Hebamme hatte. Ich musste einfach weg von dieser Frau.

Der Satz „Das kann ich aber nicht verantworten!“ überraschte mich und sollte mir noch lange in den Ohren klingen. Wieso fühlte sie sich für die von mir getroffene Wahl verantwortlich? War nicht ich, ob schwanger oder nicht, verantwortlich für meine eigenen Entscheidungen?

Offenbar wussten plötzlich andere Menschen ganz genau, was gut für mich war: Ich sollte keine Kisten mit mehr als fünf Kilogramm Gewicht heben. Ich sollte kein rohes Fleisch, keine rohen Eier, keine Rohmilchprodukte und keinen Ostseefisch essen. Ich sollte im Krankenhaus kein Blut mehr abnehmen und auch sonst am besten keinem Patienten zu nahe kommen. Ich sollte zu bestimmten Terminen einen Arzt aufsuchen, mein Blut untersuchen lassen und meinen Bauch mit Ultraschall beschallen lassen. Die Liste war in Wahrheit noch viel länger.

Es stand nicht in Frage, ob ich das alles auch wollte oder sinnvoll fand, sondern man hatte in weiser Voraussicht bereits beschlossen, was für mich als Schwangere gut und notwendig war. Von mir erwartete man nur noch, dass ich mich dankbar fügte. Solange ich das tat, war alles gut. Doch sobald ich auch nur eine kleine Blutabnahme verweigerte oder mein Interesse an einer Hausgeburt andeutete, gab es Stress. Augenscheinlich war offiziell nicht mehr ich für meine Schwangerschaft verantwortlich, sondern andere: allen voran meine Frauenärztin, und später meine Hebamme. Verantwortlich sein bedeutet, dass der, der die Verantwortung trägt, am Ende dafür geradesteht, wenn etwas schiefgeht. Und am möglichen Unglück einer werdenden Mutter und ihres Kindes wollte niemand schuld sein.

Ich tat also, was von mir erwartet wurde: Trug keine schweren Kisten (außer, es guckte niemand zu), nahm kein Blut ab, achtete auf meine keimfreie Ernährung, ging brav zu jedem Arzt- und Hebammentermin und sprach nur vorsichtig und im geschützten Umfeld über meine Hausgeburtspläne. Man will ja niemandem einen Schrecken einjagen.

Und da sind wir beim Thema Angst. Noch mehr bei den Frauenärzten als bei den Hebammen ist der Fokus der Vorsorge auf die Suche nach Krankhaftem gerichtet. Damit geht als unvermeidliche Begleiterin die Angst einher. Schlägt das Herz noch? Weist die Nackenfaltenmessung auf einen Chromosomendefekt hin? Sind die Laborwerte und allerlei Tests in Ordnung?Sind die Organe angelegt? Ist genug Fruchtwasser da? Ist das Kind zeitgerecht entwickelt?

Die immer ausgefeiltere Technik gibt Antworten auf Fragen, die sich unseren Großmüttern so nie gestellt haben. Sie suggeriert uns Sicherheit und Kontrolle über eine Sache, die zu einem bestimmten Grad immer ungewiss sein wird und sich über weite Strecken unserem Einflussbereich entzieht.

Die Ängste der anderen beeinflussen jede Schwangerschaft auf die eine oder andere Weise. Am tückischsten allerdings sind die Ängste des geburtshilflichen Personals. Leute dieser Sorte tarnen sich gern mit diversen Ratschlägen, die manchmal in geschmackloser Manipulation oder Drohungen münden, wenn eine Frau gegen bestimmte Maßnahmen Widerstand leistet. Sie wird dann bisweilen als verantwortungslos und ihr Kind gefährdend hingestellt, und es wird auch mal zu Hause hinterher telefoniert, nur weil sie, ein paar Tage über dem errechneten Entbindungstermin, die Einleitung verweigert oder den geplanten Kaiserschnitt bei Beckenendlage ablehnt.

Angst wird in der Geburtshilfe gern gegen uns Frauen eingesetzt, damit wir uns den vorgegebenen Normen anpassen und so die Ängste der Gesellschaft und nicht zuletzt der Geburtshelfer lindern. Sitzt man einem Angst-Arzt gegenüber und bekommt eine beunruhigende Diagnose präsentiert, sollte man sich nie zu vorschnellen Entscheidungen drängen lassen oder bei Drohungen klein beigeben.

Besser ist es, im Fall des Falles eine Nacht darüber zu schlafen und mit einer erfahrenen Hebamme zu sprechen. So kann man sein Gemüt abkühlen lassen und noch einmal in Ruhe nachdenken, was in der entsprechenden Situation wirklich das Beste für einen selbst und das Kind ist. Hängt man als Schwangere erst einmal am Wehentropf oder liegt auf dem OP-Tisch, ist es zu spät, um zurückzurudern.

Niemand zwingt eine Schwangere, während der Zeit der guten Hoffnung auch nur ein einziges Mal zum Arzt oder zur Hebamme zu gehen oder ein bestimmtes Krankenhaus für die Geburt aufzusuchen. Jede Frau ist frei, darüber zu entscheiden, wenngleich in manchen Ländern (z.B. in Österreich) finanzielle Einbußen mit der absoluten Selbstbestimmung in Schwangerschaftsfragen verbunden sind.

Mit der eigenen Angst umgehen

Wenn man als Frau das erste Mal schwanger wird, beginnt man nicht bei null. Das Bild vom Kinderkriegen wurde schon lange vorher geprägt. Durch unsere eigene Geburt, die Erzählungen unserer Eltern, Freunde, Leute um uns herum und nicht zuletzt durch die Medien meinen wir zu wissen, wie eine Geburt abzulaufen hat. Automatisch sind dabei auch die Ängste unserer Umgebung irgendwie zu unseren eigenen Ängsten geworden.

Wie viel Vertrauen eine Frau in ihren weiblichen Körper und seine Fähigkeit zu gebären mitbringt, kann sehr verschieden sein. Wer selbst zu Hause geboren wurde und vermittelt bekommen hat, dass die Geburt etwas Schönes ist, das man aus eigener Kraft erreichen kann, der wird womöglich mit einem ganz anderen Mut an die Sache herangehen als eine Frau, deren Mutter keine weiteren Kinder mehr wollte, weil ihre erste Geburt so traumatisch verlief.

Wenn wir uns mit den Ängsten der anderen beschäftigen, kommen wir nicht umhin, unseren eigenen Ängsten zu begegnen. Von Natur aus neigen wir dazu, diesen Schritt zu vermeiden. Wir fürchten uns davor, unseren Ängsten ins Gesicht zu sehen. Wir wollen am liebsten nicht hinsehen und lieber bei jemandem Unterschlupf suchen, der uns verspricht, die Gefahr von uns fernzuhalten. Deshalb sind die Versprechungen und Angebote der Geburtsmedizin auch so verlockend.

Es ist bequem, die Verantwortung einfach abzugeben. Doch wer eine selbstbestimmte Geburt will, muss sich seinen Ängsten stellen. Das bedeutet, sie nicht einfach zu ignorieren oder zu verleugnen, sondern sie anzuschauen. Dabei lohnt es, auf folgende Fragen eine Antwort zu finden: Was genau macht mir Angst? Warum macht mir gerade das Angst? Wie wahrscheinlich wird das eintreten, was ich fürchte? Was tue ich, wenn das, was ich fürchte, tatsächlich eintritt? Diesen Weg zu gehen lohnt sich, und am Ende stellt man womöglich fest, dass alles weit weniger gefährlich war als angenommen.

Wer sich seiner Sache sicher ist, der wird in der Regel auch weniger von den Ängsten anderer berührt. Zum Beispiel würde heute keiner mehr Angst davor haben, bei einer Segeltour am Ende der Welt abzustürzen – selbst wenn einer daherkäme und genau das behauptete. Das liegt daran, dass wir inzwischen ohne Zweifel wissen, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist.

Um möglichst viele falsche Vorstellungen und Unsicherheiten zu beseitigen, werde ich in einem späteren Kapitel ausführlich auf die ganz spezifischen Sorgen und Ängste eingehen, die sich beim Gedanken an eine selbstverantwortete Schwangerschaft und vor allem Geburt auftun.

Zum Beispiel: Woran merke ich konkret, dass es meinem Kind gut geht, wenn es mir kein Arzt/keine Hebamme bestätigt? Was ist, wenn das Baby bei der Geburt die Nabelschnur um den Hals hat? Und was mache ich nach der Geburt mit der Nabelschnur und mit der Plazenta? Was ist, wenn das Baby bei der Geburt stecken bleibt oder ein anderer plötzlicher Notfall eintritt? Für mich persönlich hat allein durch die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen die Geburt ihre Unwägbarkeit und Unabsehbarkeit fast vollständig verloren.

Im ersten und letzten Drittel der Schwangerschaft sind Frauen bedingt durch die hormonalen Veränderungen besonders empfänglich für alle möglichen konkreten und diffusen Ängste. Auch dann, wenn intellektuell gesehen alle Fragen bereits zufriedenstellend beantwortet wurden. Sogar in meiner vierten Schwangerschaft überkamen mich an manchen Tagen heftige Ängste, ohne dass es dafür einen offensichtlichen Anlass gab.

Allen, denen es ähnlich geht, möchte ich sagen: Diese Ängste sind zwar lästig, aber ziemlich normal und ganz einfach ein Teil des Mutterwerdens. Man darf diesen Ängsten gelassen ins Gesicht sehen und sagen: „Ich kenne euch schon. Ihr seid haltlos und verschwindet wieder. Und bis dahin kann ich euch aushalten.“

Das Aushalten ist nicht immer leicht, und ich kann verstehen, dass viele Frauen Sicherheit darin suchen, dass ihnen ihr Arzt oder ihre Hebamme bestätigt, dass alles in Ordnung ist. Gleichzeitig werden wir so aber Getriebene unserer Angst und gelangen schnell in eine Abhängigkeit von der Bestätigung anderer, die wir eigentlich gar nicht wollen. Auch im Hinblick auf eine selbstbestimmte Geburt ist es hilfreich, wenn wir lernen, mit den Ängsten in uns besonnen umzugehen.

In solchen Phasen der Schwangerschaft, in denen ich selbst innerlich nicht stabil war, vermied ich es, meine Ängste mit jemandem zu teilen, von dem ich annahm, dass er diese Ängste ebenfalls hegte. Alles, was er oder sie sagen würde, hätte meine Unsicherheit nur verstärkt.

Hier gelangen wir an ein Thema, das bis ins Herz unserer Existenz hineinreicht. Es ist gut, wenn man sich dann in dieser Welt geliebt, gewollt und beschützt weiß – egal, was Menschen sagen oder denken. Wenn man einen verlässlichen inneren Anker hat, fällt es leichter, mit den tiefsten Unsicherheiten und Ängsten des Menschseins zu leben, ohne davon kopflos umhergetrieben zu werden.

Angst ist eine schlechte Ratgeberin, heißt es. Wenn irgend möglich sollten wir daher keine wichtigen Entscheidungen treffen, solange wir blind von Angst und Panik getrieben werden. Was auch immer uns aufwühlt: Es ist besser, erst einmal zur Ruhe kommen und so nüchtern wie möglich zu betrachten, wovor wir da eigentlich Angst haben. Für gewöhnlich sieht die Situation dann schon nicht mehr so schlimm aus und es findet sich meist ein Weg, den wir bei der ersten panischen Flucht gar nicht gesehen haben.

Angst ist nicht per se schlecht. Sie kann auch als Warnsignal in besonderen Situationen und vor drohenden Gefahren dienen. Deshalb ist es wichtig, seine Ängste anschauen, bewerten und unterscheiden zu können. Droht wirklich Gefahr? Handelt es sich um irrationale Ängste? Was, außer meiner Angst, deutet darauf hin, dass etwas nicht stimmt?

Unter der Geburt, kurz vor der Austreibungsphase, spielt die Angst eine natürliche Rolle. Die in diesem Moment freiwerdenden Hormone sorgen für einen Ausnahmezustand, der auch als Angst erlebt werden kann. Hier ist zwar keine Gefahr im Verzug, aber die Angst ist häufig Teil des natürlichen Prozesses, der es möglich macht, dass eine Frau ihr Kind loslassen und gebären kann. Diese Phase ist allerdings in der Regel kurz und mit Einsetzen der Presswehen verwandelt sich die Angst in Mut und Entschlossenheit, das Kind jetzt zur Welt zu bringen.