Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.

Die offene Gesellschaft und ihre Feinde Neue Verfassung Juni 2016 - Neuauflage

Books on Demand GmbH

ISBN: 9783741213649

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Inhaltsverzeichnis

„[…] ein Verfahren, aufgrund dessen wir in der Lage sein werden, über jedes vorgelegte Problem aus anerkannten Meinungen (endoxa) zu deduzieren und, wenn wir selbst ein Argument vertreten, nichts Widersprüchliches zu sagen.“

„Wir faßten die Begriffe unsres Kopfs wieder materialistisch als die Abbilder der wirklichen Dinge, statt die wirklichen Dinge als Abbilder dieser oder jener Stufe des absoluten Begriffs. […] Damit aber wurde die Begriffsdialektik selbst nur der bewußte Reflex der dialektischen Bewegung der wirklichen Welt, und damit wurde die Hegelsche Dialektik auf den Kopf, oder vielmehr vom Kopf, auf dem sie stand, wieder auf die Füße gestellt.“

„Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.“

„Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammengesetzt ist.“

„Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig.“

„Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist.“Die Diskussion im Rahmen des Positivismusstreits war von dem Hegelschen Verständnis des Begriffes, dessen Modifikation durch Marx und der Kritik an diesen Positionen geprägt. Nach dem Selbstverständnis der Dialektiker erfasst diese Methode die Grundstruktur der Wirklichkeit. Nur sie könne diese wahrhaft in ihrer Ganzheit erfassen. Der Widerspruch liege hier in der Natur des Denkens und damit auch in der Sache selbst. Weil das systematische und deduktive Denken Widersprüche kategorisch ablehne und ablehnen müsse, da es an der Basis untrennbar an die Logik gekettet sei, könne es diese Wahrheit nicht anerkennen. Aus dieser Sicht steht es dem dialektischen Denken unvereinbar gegenüber.

Dialektik

Dialektik ist ein uneinheitlich gebrauchter Ausdruck der westlichen Philosophie.

In der Antike und im Mittelalter bezeichnete er eine Methode der Gesprächsführung oder Argumentation sowie den Bereich, der heute mit Logik bezeichnet wird.

Seit dem 18. Jahrhundert setzte sich eine neue Verwendung des Worts durch: Die Lehre von den Gegensätzen in den Dingen bzw. den Begriffen sowie die Auffindung und Aufhebung dieser Gegensätze. Rein schematisch kann Dialektik in diesem neueren Sinn vereinfachend als ein Diskurs beschrieben werden, in dem einer These als bestehende Auffassung oder Überlieferung ein Aufzeigen von Problemen und Widersprüchen als Antithese gegenübergestellt wird, woraus sich eine Lösung oder ein neues Verständnis als Synthese ergibt. Dieses aus der Antike bekannte klassische Instrument der Rhetorik wird als Mittel zur methodischen Wahrheitsfindung benutzt, um Gegensätze zwischen Begriff und Gegenstand, Gegensätze zwischen den Diskussionsteilnehmern oder reale Gegensätze in der Natur oder der Gesellschaft zu analysieren und zu beschreiben. Eingesetzt wird dieses rhetorische Stil- und Analysemittel vor allem in der Diskussion, in der philosophischen Schrift oder auch im kabarettistischen Monolog.

Begriff

Das Wort Dialektik ist abgeleitet von griechisch διαλεκτική (τέχνη), dialektiké (téchne) = ‚Kunst der Unterredung‘; gleichbedeutend mit lateinisch (ars) dialectica = ‚(Kunst) der Gesprächsführung‘.

Das Wort Dialektik stammt ursprünglich von dem griechischen medialen Deponens dialegesthai, das ein Gespräch führen bedeutet. Dialegesthai setzt sich zusammen aus dem Präfix dia- und der Wurzel leg-, die in logos (Grundbedeutung: Rede; auch: Rechnung, Verhältnis, Vernunft) und legein (sagen, reden) enthalten ist. Der Infinitiv dialegesthai wird bei Herodot, Thukydides und Gorgias im Sinne des Gesprächs gebraucht. Dialektikê tritt zuerst bei Platon adjektivisch und als Substantiv auf und wird hier und in der Folge zu einem technischen Terminus einer Methode bzw. zur Bezeichnung einer Wissenschaft.

Dialektik ist ein schon in der Antike nicht einheitlich gebrauchter Ausdruck. Bis in die Neuzeit jedoch behält er im Wesentlichen die Bedeutung einer auf einem Gespräch fundierten Disziplin oder Methode bei, die zur Wahrheitsfindung dient. Seit dem 18. Jahrhundert hat der Ausdruck viele andere Verwendungen erfahren.

Platon

Zum ersten Mal findet sich der Ausdruck Dialektik bei Platon. Er grenzt die Dialektik von dem rhetorischen Monolog und der Eristik der Sophisten ab, welche er als Methode zur Durchsetzung beliebiger Meinungen betrachtet. Platons Dialektikbegriff ist vieldeutig: In den frühen Dialogen ist Dialektik eine argumentative Form der Gesprächsführung: Sokrates stellt unter der Verwendung des Elenchos (Prüfung) eine ungeprüfte Meinung eines Proponenten auf den Kopf bzw. widerlegt sie. Oft enden diese Gespräche in einer Aporie, d. h. nach dem dialektischen Gespräch ist nur bewiesen, dass die alte These zu verwerfen ist, aber eine neue ist dadurch (noch) nicht gefunden.

In späteren Dialogen (insbesondere dem Phaidon, der Politeia, dem Phaidros und dem Sophistes) ist Dialektik Platons Fundamentalwissenschaft. Sie stellt die Methoden bereit, mit der in der Philosophie sachgerecht unterschieden werden soll und Wissen über die Ideen – insbesondere über die Idee des Guten – erlangt werden soll: das Hypothesis-Verfahren und das Dihairesis-Verfahren.

Der Terminus Dialektik enthält bei Platon also mehrere Bedeutungsdimensionen. Da es äußerst viele, sich teilweise stark widersprechende Deutungen der Dialoge gibt, erscheint es sinnvoll, einige wichtige Textstellen zur Dialektik zu zitieren, damit sich der Leser seine Informationen direkt aus der Quelle schöpfen kann. Folgende Einteilung ist nicht kanonisch, sondern dient nur zur Orientierung. Erstens bedeutet Dialektik schlicht Philosophie und philosophische Haltung:

Transzendentale Dialektik bei Kant

Bei Kant ist die transzendentale Dialektik ein wesentlicher Abschnitt in der Kritik der reinen Vernunft. Hier setzte er sich kritisch mit Aussagen über die Wirklichkeit auseinander, die völlig ohne Erfahrung auskommen wollen. Er bezeichnete solche Formen der Erklärung, die sich auf rein formale Logik gründen, als „Blendwerk“ und als eine „scheinbare Kunst des Denkens.“ Durch solche „Vernünfteleien“ werde Dialektik zu einer reinen Logik des Scheins (KrV B 86-88). Inhaltlich befasst sich die transzendentale Dialektik mit den drei Grundthemen der Metaphysik: der Freiheit des Willens, der Unsterblichkeit der Seele und dem Dasein Gottes (KrV B 826). In erkenntniskritischer Absicht argumentierte Kant in den Paralogismen dafür, dass das Leib-Seele-Problem nicht lösbar sei. Ebenso zeigen die Antinomien, dass von empirischen Erfahrungen nicht auf das Unbedingte geschlossen werden kann. Folgende Sätze kann man formallogisch beweisen, aber man kann ebenso gut das Gegenteil beweisen (KrV B 454 ff).

„Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.“

„Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammengesetzt ist.“

„Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig.“

„Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist.“

Schließlich zeigt er in der kritischen Auseinandersetzung mit den Gottesbeweisen, dass man die Existenz eines nur gedachten Objektes nicht beweisen kann. Man kann Gott denken, aber nicht erkennen. Die „endlosen Streitigkeiten der Metaphysik“ führen in allen drei Fragen zu keinem sinnvollen Ergebnis, weil sie die Grenzen der menschlichen Vernunft übersteigen. Sinnvolle Metaphysik kann sich daher nur damit befassen, was die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis sind.

Nach Kant

Kants Dialektik wurde von späteren Philosophen wie etwa Schopenhauer als abgeschlossen angesehen. Andere gingen davon aus, dass Kants Auffassung der Dialektik durchaus noch verbessert werden könne, so etwa Fichte und Schelling.

Hegels Dialektik

Für Hegel ist bereits der antike Philosoph Heraklit ein früher Dialektiker. Der Logos als das Prinzip der Welt besteht für Heraklit im Streit („polemos“) als „Vater aller Dinge“. Die sich ständig wandelnde Welt ist geprägt von einem Kampf der Gegensätze, vom ewigen Widerspruch der Polaritäten. Im Gegensatz zeigt sich eine „tieferliegende, verborgene Einheit, ein Zusammengehören des Verschiedenen“. Hegel verbindet seine Methode mit dem Begriff der Dialektik. Seit der Phänomenologie des Geistes gilt ihm die dialektische Bewegung als das eigentlich Spekulative, „den Gang des Geistes in seiner Selbsterfassung.“ Darin ist die Dialektik „das treibende Moment des Vernünftigen innerhalb des Verstandesdenkens, durch das sich der Verstand schließlich selbst aufhebt.“ Was oft Hegels Dialektik genannt wird, ist für ihn Logik. Das Wahre oder der Begriff, er sagt auch das Logisch-Reelle, besteht dabei wesentlich aus drei Momenten. Diese können nicht voneinander abgesondert betrachtet werden.

„Das Logische hat der Form nach drei Seiten: α) die abstrakte oder verständige, β) die dialektische oder negativ-vernünftige, γ) die spekulative oder positiv-vernünftige.“

– G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse

  1. Das endliche, verständige Moment: Der Verstand setzt etwas als seiend.
  2. Das unendlich negative, dialektische Moment: Die Vernunft erkennt die Einseitigkeit dieser Bestimmung und verneint sie. Es entsteht so ein Widerspruch. Die begrifflichen Gegensätze negieren einander, d. h. sie heben sich gegenseitig auf.
  3. Das unendlich positive, spekulative Moment: Die Vernunft erkennt in sich selbst die Einheit der widersprüchlichen Bestimmungen und führt alle vorherigen Momente zu einem positiven Resultat zusammen, die in ihr aufgehoben werden.

In der Spekulation schlagen die negierten Gegensätze in ein positives Resultat um. Der Kern seiner Methode ist die Negation. Sie macht die dialektische Darstellung als „voraussetzungsloser, selbstbewegter und selbstbestimmter Entwicklung der Sache selbst, nach dem omnis determinatio est negatio“. Die Negation der Negation oder doppelte Negation ist wieder etwas Positives. Hegel nennt sie Affirmation.

Max Weber stellte in seinen Arbeiten zur Wissenschaftslehre im Anschluss an Heinrich Rickert und Emil Lask der analytischen Logik die emanatistische Logik gegenüber, als welche er eine Begriffslogik verstand, die sich an Hegels Dialektik orientiere.

Materialistische Dialektik

Dialektik bei Marx und Engels

Karl Marx trennte sich vom Standpunkt des Hegelschen Idealismus und setzte die Dialektik auf historisch-materialistischer Grundlage als Methode, als dialektische Darstellungsmethode, zur Kritik der politischen Ökonomie ein. Laut einer Sentenz von Friedrich Engels stellt man durch die Rückkehr zum Materialismus die Dialektik Hegels „vom Kopf, auf dem sie stand, wieder auf die Füße“.

„Wir faßten die Begriffe unsres Kopfs wieder materialistisch als die Abbilder der wirklichen Dinge, statt die wirklichen Dinge als Abbilder dieser oder jener Stufe des absoluten Begriffs. […] Damit aber wurde die Begriffsdialektik selbst nur der bewußte Reflex der dialektischen Bewegung der wirklichen Welt, und damit wurde die Hegelsche Dialektik auf den Kopf, oder vielmehr vom Kopf, auf dem sie stand, wieder auf die Füße gestellt.“

– Friedrich Engels: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Teil IV

Marx äußert sich in den Ökonomischphilosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844 über die Hegelsche Dialektik, überhaupt und wie sie in der „Phänomenologie“ und „Logik“ von Hegel ausgeführt ist, und deren Rezeption durch die Junghegelianer. Ludwig Feuerbach sei der einzige, der hierzu ein kritisches Verhältnis bewiesen habe und als Überwinder Hegels gelten dürfe. Denn Feuerbach habe nachgewiesen, dass Hegels Philosophie die Theologie fortgesetzt habe.

„Die Aneignung der zu Gegenständen und zu fremden Gegenständen gewordenen Wesenskräfte des Menschen ist also erstens nur eine Aneignung, die im Bewußtsein, im reinen Denken, i. e. in der Abstraktion vor sich geht, die Aneignung dieser Gegenstände als Gedanken und Gedankenbewegungen, weshalb schon in der „Phänomenologie“ – trotz ihres durchaus negativen und kritischen Aussehns und trotz der wirklich in ihr enthaltenen, oft weit der späteren Entwicklung vorgreifenden Kritik – schon der unkritische Positivismus und der ebenso unkritische Idealismus der späteren Hegelschen Werke – diese philosophische Auflösung und Wiederherstellung der vorhandenen Empirie – latent liegt, als Keim, als Potenz, als ein Geheimnis vorhanden ist.“

– Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844

Hegels Idealismus habe Feuerbach den wahren Materialismus und die reelle Wissenschaft entgegengesetzt. Das „unglückliche Bewusstsein“, das „ehrliche Bewusstsein“, der Kampf des „edelmütigen und niederträchtigen Bewusstseins“ etc., diese einzelnen Abschnitte enthielten die kritischen Elemente – aber noch in einer entfremdeten Form – ganzer Sphären, wie der Religion, des Staats.

Das Große an der Hegelschen „Phänomenologie“ und ihrem Endresultat – der Dialektik der Negativität als dem bewegenden und erzeugenden Prinzip – sei also, dass Hegel die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozess fasst, die Vergegenständlichung als Entgegenständlichung, als Entäußerung und als Aufhebung dieser Entäußerung; dass er also das Wesen der Arbeit fasst und den gegenständlichen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift.

Für Marx ist nichts anderes als die gesellschaftliche Wirklichkeit die Grundlage für den „Gang der Sache selbst“. Nicht die Entwicklung der Begriffe oder des Geistes bestimmen die Wirklichkeit, sondern das Handeln der Menschen, orientiert an der tatsächlichen Befriedigung der Bedürfnisse und der durch die ökonomischen Verhältnisse bestimmten Interessen, bestimmen ihr Denken und damit die Entwicklung von Ideen. Gemäß Marx ist die materialistische Dialektik zugleich logisch und geschichtlich. Der Widerspruch vereint nicht zwei Gegensätze zu einem höheren Dritten wie bei Hegel, sondern löst einen Prozess der historischen Durchsetzung der logisch besseren und stärkeren Verhältnisse aus, die so in der menschlichen Praxis als Triebkraft der Geschichte wirken. In der gesellschaftlichen Praxis gestaltet der menschliche Wille die soziale Wirklichkeit, durch willentliche Beeinflussung der gesellschaftlichen Prozesse und der vorgefundenen Verhältnisse entsprechend historisch bestimmten Gesetzen der sozialen Entwicklung.

Friedrich Engels unterscheidet im Abschnitt Grundgesetze der Dialektik seines Werks „Dialektik der Natur“ ganz gemäß dem materialistischen Dialektik-Ansatz zwischen objektiver und subjektiver Dialektik:

„Die Dialektik, die sog. objektive, herrscht in der ganzen Natur, und die sog. subjektive Dialektik, das dialektische Denken, ist nur Reflex der in der Natur sich überall geltend machenden Bewegung in Gegensätzen, die durch ihren fortwährenden Widerstreit und ihr schließliches Aufgehen ineinander, resp. in höhere Formen, eben das Leben der Natur bedingen. “

Die materialistische Dialektik bei Marx und Engels kann somit als Methodologie des Marxismus zur Grundlegung des wissenschaftlichen Sozialismus aufgefasst werden. Sie wird in der weiteren Geschichte der kommunistischen Philosophie zum grundlegenden Bestandteil des historischen wie des dialektischen Materialismus, wie er jedoch nicht immer ganz untereinander übereinstimmend bei Friedrich Engels, Lenin oder dogmatisch stark vergröbert bei Stalin anzutreffen ist. Die dialektischen Gesetze existieren hier zunächst unabhängig vom Bewusstsein. Durch revolutionäre Umgestaltung der Produktionsbedingungen und -verhältnisse sowie der dann möglichen Ausnutzung jener Gesetze bestehen diese sodann in Wechselwirkung mit dem Bewusstsein.

Dialektik des Kritischen Rationalismus

Karl Popper hat Hegels Dialektik im Rahmen der formalen Logik nach folgendem Schema interpretiert:

P1 VT FE P2

Das Schema kennzeichnet den Fortschritt der Wissenschaft: Aufgrund eines Problems P1 aus Welt 3 erfolgt die Aufstellung einer zunächst rein hypothetischen Vorläufigen Theorie VT. Diese wird (z. B. empirisch) überprüft, unhaltbare Elemente in einer Fehlerelimination FE ausgeschieden. Das Resultat ist nicht ein absolutes Wissen, sondern ein elaborierteres Problem P2. FE setzt dabei voraus, dass logische Widersprüche vermieden werden müssen, da ansonsten eine Elimination von Theorieelementen, die in Widerspruch zu den bei der Theorieprüfung angeführten Argumenten stehen, nicht möglich ist.

Besonders herausgestellt hat Popper sein Beharren auf dem "Gesetz vom Widerspruch" in seinem Artikel „What Is Dialectic“ von 1937, worin er die nicht-verbesserte dialektische Methode für ihre Bereitwilligkeit kritisierte, sich mit Widersprüchen abzufinden. Später behauptete Popper, dass Hegels Akzeptanz von Widersprüchen zu einem gewissen Grad verantwortlich für die Erleichterung des Aufstiegs des Faschismus in Europa ist, indem es zum Irrationalismus ermutigt und ihn zu rechtfertigen versucht. Im Abschnitt 17 seines Nachtrags von 1961 zur Offenen Gesellschaft, im englischen Original betitelt „Facts, Standards, and Truth: A Further Criticism of Relativism“, lehnte Popper es ab, seine Kritik an der Hegelschen Dialektik zu relativieren, er argumentierte, dass sie eine große Rolle beim Untergang der Weimarer Republik gespielt hat, indem sie zum Historizismus und anderen totalitären Denkmoden beitrug und dass sie die traditionellen Standards der intellektuellen Verantwortung und Redlichkeit herabgesetzt habe. Dieser Auffassung hat u. a. Walter A. Kaufmann widersprochen.

Moderne Formalisierung der Dialektik

Der Philosoph und Logiker Gotthard Günther legte im Rahmen seiner Polykontexturalitätstheorie einen seit 1933 mehrfach ausgebauten Ansatz vor, die hegelsche Dialektik im Rahmen einer mehrwertigen Logik zu formalisieren , wobei er sich kritisch namentlich von Jürgen Habermas absetzte.

Dialektik in der Frankfurter Schule

Die von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno verfasste Essay-Sammlung Dialektik der Aufklärung, welche 1944 in den USA erschien, gilt heute als Schlüsselwerk der Frankfurter Schule. Das Werk, welches Thesen dazu enthält, "warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt" , versteht den historischen Prozess der Aufklärung als dialektisch, diagnostiziert aber, in ihrem vermeintlichen Abschluss in der Moderne sei sie in erstarrter Form die Basis für eine neue Barberei, die sich im Faschismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts äußere. Adorno bezeichnet sein Verständnis von Wissen über die soziale Wirklichkeit im gleichnamigen, 1966 erschienenen, Buch als Negative Dialektik. Es geht um eine Kritik am theoretischen Abschluss der Philosophie zu einem System. Philosophiehistorische Grundüberlegungen sind ein gesellschaftskritisches Korrelat.

Für Adorno ist eine Methode auf Basis des Konzeptes der Dialektik Voraussetzung für eine Theorie, die offen für das bleibt, was begrifflich noch nicht erfasst ist.

„Der Widerspruch ist nicht, wozu Hegels absoluter Idealismus unvermeidlich ihn verklären mußte: kein herakliteisch Wesenhaftes. Er ist Index der Unwahrheit von Identität, des Aufgehens des Begriffenen im Begriff. Der Schein von Identität wohnt jedoch dem Denken selber seiner puren Form nach inne. Denken heißt identifizieren. [...] Insgeheim liegt es in Kant, und wurde von Hegel gegen ihn mobilisiert, es sei das dem Begriff jenseitige An sich als ganz Unbestimmtes nichtig. Dem Bewußtsein der Scheinhaftigkeit der begrifflichen Totalität ist nichts offen, als den Schein totaler Identität immanent zu durchbrechen: nach ihrem eigenen Maß. Da aber jene Totalität sich gemäß der Logik aufbaut, deren Kern der Satz vom ausgeschlossenen Dritten bildet, so nimmt alles, was ihm nicht sich einfügt, alles qualitativ Verschiedene, die Signatur des Widerspruchs an.“

– Theodor W. Adorno: Negative Dialektik

Das philosophische Problem des Verhältnisses zwischen Denken bzw. Sprache und Objekt, das Hegel dadurch löste, den Begriff als potentiell identisch mit dem Objekt (und damit Kants Ding an sich als leere Menge) zu denken, ist bei Adorno also so gedacht, dass das Denken selbst den Schein vom vollständigen Erfassen der Wirklichkeit produziert und das, was in der Kohärenz alles Denkens zu einem Zeitpunkt ("Totalität") nicht erfasst ist, in diesem als Widerspruch enthalten ist.

Positivismusstreit

Die Diskussion im Rahmen des Positivismusstreits war von dem Hegelschen Verständnis des Begriffes, dessen Modifikation durch Marx und der Kritik an diesen Positionen geprägt. Nach dem Selbstverständnis der Dialektiker erfasst diese Methode die Grundstruktur der Wirklichkeit. Nur sie könne diese wahrhaft in ihrer Ganzheit erfassen. Der Widerspruch liege hier in der Natur des Denkens und damit auch in der Sache selbst. Weil das systematische und deduktive Denken Widersprüche kategorisch ablehne und ablehnen müsse, da es an der Basis untrennbar an die Logik gekettet sei, könne es diese Wahrheit nicht anerkennen. Aus dieser Sicht steht es dem dialektischen Denken unvereinbar gegenüber.

Habermas erläuterte diese Problematik wie folgt:

„Insofern fällt der dialektische Begriff des Ganzen nicht unter die berechtigte Kritik an den logischen Grundlagen jener Gestalttheorien, die auf ihrem Gebiete Untersuchungen nach den formalen Regeln analytischer Kunst überhaupt perhorreszieren; und überschreitet dabei doch die Grenzen formaler Logik, in deren Schattenreich Dialektik selber nicht anders scheinen kann denn als Schimäre“

– Jürgen Habermas: Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik

Kritik

Die dialektische Vorgehensweise Hegels ist von Zeitgenossen und in der Nachfolge kritisiert worden. Schopenhauer sprach von der Philosophie Hegels abschätzig als „Hegelei“. Seit Kierkegaard ist eine Protesthaltung gegen das System der Dialektik nicht unüblich geworden. Auch der dialektische Materialismus war besonders in der politischen Diskussion des 20. Jahrhunderts heftig umstritten. Es trat insbesondere die Frage auf, wieso sich die ökonomische Gesellschaft zwangsläufig als Klassenkampf darstelle, der sich fortschreitend entwickele.

Die analytische Philosophie kritisierte zuallererst die dialektische Sprache, die sich aus Sicht der Sprachkritik nach der linguistischen Wende nicht an die Standards der Logik halte. Man kann sogar sagen, dass die Feindseligkeit gegen oder Empfänglichkeit für Dialektik eines der Dinge ist, welche im 20. Jahrhundert die anglo-amerikanische Philosophie von der sogenannten Kontinentalen Tradition spaltet, eine Kluft, die nur wenige gegenwärtige Philosophen (darunter Richard Rorty) gewagt haben zu überbrücken.

Der analytische Philosoph Georg Henrik von Wright hat der Dialektik eine kybernetische Deutung gegeben, indem er Dialektik als Kette negativer Rückkopplungen deutet, die jeweils zu einem neuen Gleichgewicht führen. Anders als die Dialektiker versteht von Wright die Verwendung logischer Begriffe innerhalb der Dialektik als metaphorisch, wobei etwa „Widerspruch“ für Realkonflikte steht. Damit trägt er der Kritik an den Dialektikern Rechnung, nach der sie einer Verwechslung zwischen logischen Widersprüchen, die nur zwischen Sätzen und Propositionen bestehen können, und realen Gegensätzen unterliegen würden, etwa zwischen physikalischen Kräften oder auch gesellschaftlichen Interessen.

Philosophie

In der Philosophie (altgriechisch φιλοσοφία philosophía, latinisiert philosophia, wörtlich „Liebe zur Weisheit“) wird versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen.

Von anderen Wissenschaften unterscheidet sie sich dadurch, dass sie sich nicht auf ein spezielles Gebiet oder eine bestimmte Methodologie begrenzt, sondern durch die Art ihrer Fragestellungen und ihre besondere Herangehensweise an ihre vielfältigen Gegenstandsbereiche charakterisiert ist.

In diesem Artikel wird die westliche (auch: abendländische) Philosophie, die im 6. Jahrhundert v. Chr. im antiken Griechenland entstand, behandelt. Hier nicht behandelt werden die mit der abendländischen Philosophie in einem mannigfaltigen Zusammenhang stehenden Traditionen der jüdischen und der arabischen Philosophie sowie die ursprünglich von ihr unabhängigen Traditionen der afrikanischen und der östlichen Philosophie.

In der antiken Philosophie entfaltete sich das systematische und wissenschaftlich orientierte Denken. Im Lauf der Jahrhunderte differenzierten sich die unterschiedlichen Methoden und Disziplinen der Welterschließung und der Wissenschaften direkt oder mittelbar aus der Philosophie, zum Teil auch in Abgrenzung zu irrationalen oder religiösen Weltbildern oder Mythen.

Kerngebiete der Philosophie sind die Logik (als die Wissenschaft des folgerichtigen Denkens), die Ethik (als die Wissenschaft des rechten Handelns) und die Metaphysik (als die Wissenschaft der ersten Gründe des Seins und der Wirklichkeit). Weitere Grunddisziplinen sind die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, die sich mit den Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns im Allgemeinen bzw. speziell mit den Erkenntnisweisen der unterschiedlichen Einzelwissenschaften beschäftigen.

Einführung

Es gibt Probleme, die sich nicht mit Hilfe der „gewöhnlichen“ Wissenschaften bearbeiten lassen: die Fragen etwa nach dem, was „gut“ und „böse“ ist, was „Gerechtigkeit“ bedeutet, ob es einen Gott gibt, ob der Mensch eine unsterbliche Seele besitzt oder was der „Sinn des Lebens“ ist.

Eine weitere Klasse von Fragen kann ebenfalls nicht Gegenstand der Wissenschaften sein:

So untersucht die Biologie zwar die Welt des Lebendigen, sie kann aber nicht bestimmen, was das „Wesen“ des Lebendigen ausmacht, ob und wann lebende Organismen getötet werden dürfen oder welche Rechte und Pflichten das menschliche Leben beinhaltet.

Mit Hilfe von Physik und Mathematik können zwar Naturgesetze ausgedrückt werden, aber die Frage, ob die Natur überhaupt gesetzmäßig aufgebaut ist, kann keine Naturwissenschaft beantworten.

Die Rechtswissenschaften untersuchen und legen fest, wann etwas im Einklang mit den Gesetzen geschieht; was aber wünschenswerte Inhalte des Gesetzbuches sein sollten, dies übersteigt ihren Rahmen.

Allgemein erhebt sich nicht nur hinsichtlich jeder Einzelwissenschaft, sondern grundsätzlich die Frage, wie wir mit dem daraus gewonnenen Wissen umgehen sollen.

Zudem gibt es Probleme, die die Grenzen des Denkens berühren, wie etwa die Frage, ob die in diesem Moment individuell erlebte Wirklichkeit auch tatsächlich existiert.

In allen solchen Fällen versagen die Erklärungsmodelle der Einzelwissenschaften. Bei diesen Problemen handelt es sich um philosophische Fragen.

So hegte etwa der griechische Philosoph Platon bereits vor mehr als zwei Jahrtausenden Zweifel an dem Bild, das der Mensch von sich selbst und von der Welt entwickelte. In seinem berühmten Höhlengleichnis reflektierte er unter anderem die begrenzte Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit des gewöhnlichen Menschen. Dieser sitzt mit seinesgleichen nebeneinander aufgereiht in einer Höhle, alle in einer Weise gefesselt, dass sie nur starr geradeaus die Höhlenwand vor sich betrachten können. Licht gibt ein Feuer, das weit im Rücken der Menschen im entfernten Teil der Höhle brennt. Zwischen den Menschen und dem Feuer befindet sich – ebenfalls in ihrem Rücken – eine Mauer, hinter der verschiedene Gegenstände getragen und bewegt werden, die die Mauer überragen und den auf ihre Höhlenwand fixierten Menschen als mobile Schatten erscheinen. Stimmen und Geräusche von dem Treiben hinter der Mauer würden den fixierten Beobachtern demzufolge ebenfalls als Hervorbringungen der Schatten vor ihren Augen gelten müssen. Mit diesem Szenario kontrastiert Platon die uns geläufige „wirkliche“ Welt im Sonnenlicht außerhalb der Höhle und macht durch diesen Kunstgriff begreiflich, warum Philosophen die Wahrheit, d. h. die Nähe zur Wirklichkeit menschlicher Wahrnehmung in Frage stellen.

Die Philosophie behandelt zumeist Sachverhalte, die im Alltag zunächst einmal völlig selbstverständlich erscheinen: „Du sollst nicht töten“, „Demokratie ist die beste aller Staatsformen“, „Wahrheit ist, was nachprüfbar stimmt“, „Die Welt ist, was sich im Universum vorfindet“ oder „Die Gedanken sind frei“. Für manche Philosophen ist erst der Augenblick, in dem solche Überzeugungen, in dem das bisher fraglos Hingenommene fragwürdig wird, der Geburtsmoment der Philosophie. Menschen, denen nichts fragwürdig erscheint, werden demnach nie Philosophie betreiben. Auch das kindliche Staunen wird oft als Beginn philosophischen Denkens angeführt:

„Das Staunen ist die Einstellung eines Mannes, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“

Anders als Religionen, religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen stützt sich die Philosophie bei der Bearbeitung der oben genannten „philosophischen“ Fragen allein auf die Vernunft, d. h. auf rationale Argumentation, die keine weiteren Voraussetzungen (wie z. B. den Glauben an eine bestimmte zugrundeliegende Lehre) erfordert.

Was ist Philosophie?

„Philosophie“ lässt sich nicht allgemeingültig definieren, weil jeder, der philosophiert, eine eigene Sicht der Dinge entwickelt. Daher gibt es annähernd so viele mögliche Antworten auf die oben gestellte Frage wie Philosophen. Carl Friedrich von Weizsäcker hat einmal formuliert: „Philosophie ist die Wissenschaft, über die man nicht reden kann, ohne sie selbst zu betreiben.“ Deswegen hat der Begriff neben seiner „harten“ auch viele weichere Konnotationen und kann dann Weltanschauung, Unternehmenskultur etc. bedeuten.

Zu den philosophischen Arbeitsfeldern gehört zunächst die Untersuchung von Methoden, Prinzipien und der Gültigkeit jeglicher Erkenntnisgewinnung wie auch der Argumente und Theorien auf wissenschaftlicher Ebene. Philosophie kann in diesem Zusammenhang als Grundlagenwissenschaft verstanden werden. Denn philosophisches Nachdenken und In-Frage-Stellen hat die Einzelwissenschaften stets befruchtet und in ihrer Entwicklung gefördert. Die Philosophie stellt Fragen von einer Art, die Spezialwissenschaften (bisher) nicht beantworten können, die durch Versuche, Berechnungen oder andere Forschungen mit den bisherigen Instrumenten nicht zu beantworten sind. Derartige Problemstellungen können aber das Forschen in eine neue Richtung lenken. So werden mitunter neuartige Forschungsfragen in den einzelnen Wissenschaften auf den Weg gebracht; Philosophie leistet folglich über das ureigene Feld hinaus einen Beitrag zur Hypothesenbildung.

Weitergehende philosophische Bemühungen erstrecken sich auf eine systematische Ordnung menschlichen Wissens zwecks Herstellung eines in sich schlüssigen Weltbilds unter Einbeziehung menschlicher Werte, Rechte und Pflichten.

Sinn und Arten des Philosophierens

Viele Menschen betreiben Philosophie um ihrer selbst willen: um sich selbst und die Welt, in der sie leben, besser zu verstehen; um ihr Handeln, ihr Weltbild auf eine gut begründete Basis zu stellen. Wer ernsthaft philosophiert, stellt kritische Fragen an die ihn umgebende Welt und lässt sich im Idealfall nicht so leicht täuschen oder manipulieren. Das kritische Potenzial der Philosophie liegt im Hinterfragen der gesellschaftlichen Verhältnisse ebenso wie in einer Relativierung der Ansprüche von Wissenschaften und Religionen. Hierbei beschränkt sich die Philosophie nicht auf die kritische Analyse, sondern sie liefert auch konstruktive Beiträge, beispielsweise durch die rationale Rekonstruktion und Präzisierung vorhandener Wissenssysteme oder die Formulierung von Ethiken. Ein selbstbestimmtes und vernunftbasiertes Leben auf der Grundlage eigenen Nachdenkens (sapere aude!) ist das Ziel vieler Philosophierender.

Bei dem auf individuellen Nutzen gerichteten Philosophieren sind vor allem zwei Arten oder Ausrichtungen zu unterscheiden:

Das Streben nach Weltweisheit soll dem Verstand Orientierung und Sicherheit in allen lebenspraktischen Bezügen verschaffen und die Fähigkeit zu sinnvoller gedanklicher Einordnung alles Begegnenden begünstigen. Es soll gleichsam die Unerschütterlichkeit des eigenen Verstandes durch das Geschehen in der Welt bewirken, sodass der Intellekt jede Lebenssituation souverän zu verarbeiten vermag. Wem von seinen Mitmenschen Weisheit zuerkannt wird, der vermittelt durch seine Reaktionen und Äußerungen den Eindruck, dass er über solche Souveränität verfügt.

Demgegenüber legt die Philosophie als Lebensweise den Akzent auf die Umsetzung der Ergebnisse philosophischer Reflexion in die eigene Lebenspraxis. Auf die richtige Weise zu leben und den Lebensalltag zu gestalten, setzt hiernach ein in vertiefter Form eingeübtes und daraus sich entwickelndes richtiges Denken voraus. Und umgekehrt ist es zur Beglaubigung des philosophischen Denkens nötig, dass es sich in der Lebensweise erkennbar spiegelt.

, „Diogenes“, 1860. Phantasiedarstellung, die auch die namensgebenden Hunde (altgr.) der vorführt.

Sehr ausgeprägte Anwendungsformen einer philosophisch bestimmten Lebensweise hat es insbesondere in der Antike gegeben, vor allem in den Reihen der Stoiker, der Epikureer und der Kyniker. Für das Ideal der Übereinstimmung von Denken und Tun hat der Kyniker Diogenes von Sinope durch seine von radikaler Enthaltsamkeit gekennzeichnete Lebensweise Anhängern wie Gegnern dieser Art philosophischer Ausrichtung ein oft zitiertes Beispiel gegeben. Die Einheit von Theorie und Praxis wird jedoch auch in der östlichen Philosophie betont.

Diogenes, der seinem philosophischen Denken Ausdruck verlieh, indem er dem weltlichen Treiben entsagte, zeugt auch davon, dass zum Philosophieren Ruhe und Muße gehören. (Noch unser Wort „Schule“ geht auf das griechische Wort in der alten Bedeutung für Muße [σχολή, schol] zurück.)

Ein großer Gewinn des Philosophierens besteht in der Schulung des Denkens und des Argumentierens, denn sowohl in methodischer Hinsicht als auch beim sprachlichen Ausdruck werden im fachlichen Diskurs strenge Anforderungen an die Philosophierenden gestellt. Das akademische Philosophieren unterscheidet sich vom alltäglichen Philosophieren nicht prinzipiell durch die Fragen, sondern eher durch den Rahmen – in der Regel die Universität – und durch bestimmte Formen der Aus- und Abgrenzung philosophischer Tätigkeit. Es gelten verschiedene Übereinkünfte über die Formen des Argumentierens und der wissenschaftlichen Publikation sowie die zugelassene Fachterminologie. Die Tätigkeiten des akademisch Philosophierenden umfassen dabei die unten genannten Methoden.

Philosophisch gebildete Menschen unterscheiden sich von den übrigen nicht darin, dass ihnen mehr (nützliches) Wissen zur Verfügung stünde. Ihnen steht allerdings in der Regel ein besserer Überblick über die Argumente zur Verfügung, die in einer philosophischen Debatte hinsichtlich eines bestimmten Diskussionsgegenstands bereits vorgebracht wurden. So kann es etwa hilfreich sein, bei einem aktuell diskutierten Problem (z. B. Euthanasie) danach zu fragen, welche Antwortmöglichkeiten die Philosophie in den letzten 2500 Jahren dazu angeboten hat und wie die Auseinandersetzungen um diese Vorschläge bisher verlaufen sind. Neben dieser historischen Kenntnis sollte ein ausgebildeter Philosoph eher in der Lage sein, die prinzipiell vertretbaren Positionen zu unterscheiden, deren Folgen vorauszusehen sowie Probleme und Widersprüche zu erkennen.

Weitere Anwendungen und Aufgaben der Philosophie bestehen darin, die grundlegenden Begriffe, Fragen, Thesen und Positionen, die die einzelnen Wissenschaften verwenden, zu thematisieren. So fragt die Philosophie etwa, was den Begriff der „Würde“ ausmacht, wenn er in Diskussionen der Rechtswissenschaften oder der Soziologie verwendet wird.

die unausgesprochenen Begriffe, Fragen, Thesen und Positionen herauszuarbeiten, die anderen Wissenschaften zugrunde liegen. So fragt etwa die Ethik: „Was ist Gerechtigkeit?“ und untersucht dabei auch Begriff, Grundlagen und Bedingungen der Rechtswissenschaften überhaupt.

die Fragen nach Denkmustern bzw. Denkgewohnheiten vergangener Zeiten zu beantworten, auf die die überlieferten Artefakte im Museum keine Antworten zu geben vermögen.

Methoden

Die Methoden der Philosophie umfassen verschiedene geistige Bemühungen. „Geistige Bemühungen“ kann dabei das Nachspüren von Denkrichtungen, Denktraditionen und Denkschulen meinen. Um das Denken geht es beim Philosophieren immer. Denken kann Nach-Denken sein, Analysieren oder Systematisieren. Intuitive Erkenntnisse, Glaubenswahrheiten und rationale Argumente werden auf der Grundlage der Lebenswirklichkeit des philosophierenden Menschen, mithilfe der Mittel des vernünftigen, rationalen und kritischen Denkens, geprüft.

Zudem vermag die philosophische Geisteshaltung in einem methodischen Zweifel radikal alles in Frage zu stellen – sogar die Philosophie selbst. Dabei beginnt die Philosophie mit jedem Philosophierenden gleichsam wieder bei null. Es gehört zur Haltung eines Philosophierenden, auch scheinbar grundlegende oder alltägliche Gewissheiten in Frage stellen zu können. Menschen, denen sich die Lebenswirklichkeit nicht auch als Frage oder Problem aufdrängt, erscheint solch fundamentaler Zweifel nicht selten befremdlich. Über lange Zeiträume gesehen stellt die Philosophie in zentralen Bereichen immer wieder dieselben Grundfragen, deren Antwortmöglichkeiten sich prinzipiell ähneln (Philosophia perennis). Aufgrund der historischen und sozialen Veränderungen der Lebensumstände und Weltanschauungen werden jeweils neue Formulierungen für die Antworten auf die Grundfragen des Menschen notwendig. Anders als in den einzelnen Wissenschaften häufen weder die Philosophie noch die einzelnen Philosophierenden Wissen an oder verfügen über definitive und allgemein anerkannte Ergebnisse („Skandal der Philosophie“). Sie sammeln historische Antworten, reflektieren diese und können dadurch zeitgebundene Blickwinkelverengungen, wie sie in manchen Spezialwissenschaften anzutreffen sind, vermeiden. Insofern kann der philosophische Diskurs als ein in sich nicht abschließbarer Prozess betrachtet werden – als ein kontroverses Gespräch über die Jahrhunderte hinweg.

Grundsätzlich lassen sich zwei Ansätze bzw. Bereiche des heutigen „professionellen“ Philosophierens unterscheiden: die historische und die systematische Vorgehensweise:

Historisch arbeiten Philosophen dann, wenn sie versuchen, die Positionen und Thesen von Denkern wie z. B. Platon, Thomas von Aquin oder Immanuel Kant zu rekonstruieren und zu interpretieren. Auch die Herausarbeitung bestimmter philosophischer Strömungen oder Auseinandersetzungen in der Geschichte gehört hierzu, ebenso das Verfolgen der Geschichte von Begriffen und Ideen.