Dank an Rudolf Aichner für seine unermüdliche und kritische Redigierung, Silke Ruthenberg für die feine Grafik, Angela Schumitz, Christiane Hüttner, Dr. Martin Engler für das Lektorat und Prof. Guntram Knapp, der mich für die Philosophie begeistert hat. Besonderer Dank an Prof. Henning Ottmann, der mir Nietzsche nahe brachte.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2017 Dr. Walther Ziegler

Umschlaggestaltung und Grafik des gesamten Buches: Silke Ruthenberg

unter Verwendung von Illustrationen von:

Raphael Bräsecke, Creactive – Atelier für Werbung, Comic & Illustration (Zeichnungen)

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© Valerie Potapova - Fotolia.com (Bilderrahmen)

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Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783746001302

Inhalt

Nietzsches große
Entdeckung

Friedrich Nietzsche (1844-1900) gilt unter allen Philosophen als der dunkelste, der radikalste und der umstrittenste. Der dunkelste, weil er einen tiefen Zweifel hegte an allem, was den Menschen bis dahin Trost, Geborgenheit und Hoffnung gab, der radikalste, weil er es wagte, alles mit der Wurzel auszureißen, was über Jahrhunderte Gültigkeit und Bestand hatte und der umstrittenste, weil seine provokante Philosophie bis zum heutigen Tag ebenso viele erbitterte Kritiker wie glühende Anhänger hat.

Nietzsches Werk ist mehr als nur ein Meilenstein der Philosophiegeschichte, es ist ein Wetterleuchten und eine Zeitenwende in der Selbstwahrnehmung der Menschheit. Sein Kerngedanke hat sich tief in das moderne Bewusstsein eingegraben. Mit einem einzigen kurzen Satz sprach er aus, was der gesamten westlichen Zivilisation bis zum heutigen Tag zum Problem werden sollte:

Auf der ganzen Welt ist dieser Ausspruch bekannt, selbst bei denjenigen, die noch nie etwas von Nietzsche gehört haben. Denn er hat damit ein Gefühl auf den Punkt gebracht, das die Menschen im Gefolge der aufblühenden Naturwissenschaften ergriffen und nie mehr verlassen hat. Ein Gefühl, das im modernen Massenatheismus gipfelt und uns zwingt, die Sinnfrage völlig neu zu stellen. Dabei ist der Tod Gottes, den Nietzsche 1885 in seinem Hauptwerk Zarathustra proklamiert, kein singuläres Ereignis, sondern ein Prozess, der seine Schatten vorauswirft:

Fast zweitausend Jahre lang konnte uns das Christentum die Welt erklären. Zweitausend Jahre lang fühlten sich die Menschen als Geschöpfe Gottes. Nietzsche spürte als einer der ersten, dass das alte Weltbild unwiederbringlich zerbrechen würde.

Sein Zeitgenosse Darwin entwickelte kurz zuvor die Evolutionstheorie, wonach der Mensch kein Geschöpf Gottes, sondern nur noch ein höheres Säugetier ist. Marx forderte die Menschheit auf, ihre Geschichte endlich selbst in die Hand zu nehmen, die Physik, die Medizin und die anderen Naturwissenschaften traten ihren weltweiten Siegeszug an. Alles, was nicht beweisbar war, wurde in Frage gestellt, die Schöpfungsgeschichte, die jungfräuliche Empfängnis und am Ende auch Gott selbst. Aber nicht nur die Wissenschaftler und Forscher, so Nietzsche, sondern wir alle haben Gott Schritt für Schritt seine welterklärende Kraft entzogen:

Nietzsche bezeichnet sich selbst als „Antichristen“ und „Immoralisten“, doch sein Kerngedanke erschöpft sich keineswegs in der bloßen Kritik am Christentum und der Moral. Nein – ihn interessiert vor allem Eines: Wie soll es weitergehen, wenn der Glaube an das Jenseits in den nächsten zwei Jahrhunderten seine Kraft verloren hat? Was passiert, wenn der Nihilismus um sich greift und die religiöse Geborgenheit ein für alle Mal verloren geht?

Damit stellt Nietzsche die große Frage nach der Identität im Zeitalter des heraufziehenden Nihilismus. Mit dem Tod Gottes verlieren auch die Zehn Gebote, die Frömmigkeit und die Demut ihre ordnende Kraft. Gibt es dann überhaupt noch Werte, für die es sich zu leben und zu sterben lohnt?

Da diese Frage gerade heute brandaktuell ist, gilt Nietzsche als der erste postmoderne Denker. Warum postmodern? Die Moderne war noch getragen vom Optimismus und der Fortschrittserwartung der Aufklärung. Denker wie Rousseau, Voltaire, Montesquieu, Kant, Locke und Hume wollten die Menschen zwar auch von Aberglaube und Demut befreien. Aber Nietzsche ist radikaler. Er geht noch einen großen Schritt weiter und stellt die Frage, was denn nach dieser Befreiung passieren soll. Was gibt dem Leben noch einen Sinn, wenn alle mythischen und religiösen Weltbilder zerstört sind? Seine Antwort ist konsequent:

Wir haben also die „ungeheure Aufgabe“, uns selbst die Ziele zu geben, die künftig auf der Erde gelten sollen. Das ist die große Freiheit, die uns nach dem Tod Gottes zukommt. Doch, so Nietzsche, anstelle sich dieser Freiheit bewusst zu werden und von ihr Gebrauch zu machen, erschaffen sich die Menschen sofort wieder neue Götter und Götzen, die ihnen Geborgenheit und Orientierung versprechen. Die „Kleingeister“, so prognostiziert Nietzsche, werden anstelle der alten Gottesverehrung zu hunderttausenden materiellen Heilsversprechen Glauben schenken. Sie laufen künftig blind dem Nationalismus, Sozialismus, Rassismus oder den „Segnungen“ des modernen Kapitalismus und der Demokratie hinterher. Nietzsche kritisiert erstaunlich weitsichtig diese neue Götzenverehrung. Als überzeugter Europäer ärgert er sich besonders über die Deutschtümelei seiner Zeitgenossen und jede Art von nationalistischer Ausrichtung:

Neben den nationalistischen „Hornviechern“ gibt es auch viele „Schafe“, die anstelle der alten Religion einen Führer brauchen, dem sie hinterherlaufen können:

Die Massen, die solchermaßen einem Führer aus ihrer Mitte hinterherlaufen, bezeichnet Nietzsche als „Nullen“:

Auch den Antisemitismus sieht Nietzsche als kleingeistigen Versuch einer Sinngebung und als Pseudoüberhöhung des eigenen Daseins:

Kein Zweifel. Nietzsche war vieles – aber kein Nazi. Das einzige, was Hitler tatsächlich von Nietzsche eins zu eins übernehmen konnte, war sein Original-Spazierstock, den ihm posthum seine Schwester Förster-Nietzsche als Geschenk überreichte. Gelesen hat er Nietzsche nie.

So wie Nietzsche den Nationalismus und Antisemitismus verurteilt, sieht er auch den Sozialismus als Gefahr an. Denn auch der Sozialismus gibt den Entwurzelten nach dem Tod Gottes wieder ein neues Heilsversprechen. Doch statt der versprochenen Erlösung im Arbeiterparadies steht am Ende die Unterdrückung jeder Individualität:

Ebenso deutlich kritisiert Nietzsche die neue Sucht nach Konsumgütern sowie die kapitalistische Produktionsweise. Alle Werte werden dem Spiel von Angebot und Nachfrage untergeordnet, am Ende auch der Mensch selbst:

Der „Fluch des Geldes“, der Güterkonsum und die Suche nach kurzlebigen Genüssen erschaffen zusammen einen neuen Götzen, den die gesamte westliche Welt anbetet:

Es ist aber, so Nietzsche, unterwürfig und ängstlich, nach dem Tod Gottes gleich wieder neue Götzen zu verehren und bei den Heilsversprechen des Nationalismus, Antisemitismus, Sozialismus oder Kapitalismus Trost zu suchen. Stattdessen empfiehlt er, die Frage nach dem Weiter erst einmal in aller Radikalität an uns selbst zu richten:

Nietzsche beantwortet die Frage mit einem klaren „Ja“. Wir müssen nach dem Tode Gottes den Mut aufbringen, unser Leben fortan eigenverantwortlich zu gestalten, ohne jede Fremdbestimmung durch ideologische Ersatzgötzen, einzig und allein aus uns selbst heraus. Der aufkommende Nihilismus kann nur überwunden werden, wenn wir an die Stelle Gottes treten und uns dafür zu einer neuen und höheren Seinsform aufschwingen, zum Übermenschen:

Der Übermensch ist voll und ganz selbstverantwortlich. Um aber diese große Aufgabe der eigenen Sinnstiftung übernehmen zu können, benötigt der Mensch zuallererst eine Weiterentwicklung seiner Fähigkeiten und Potentiale hin zu diesem neuen Persönlichkeitstypus. Dieser philosophische Entwurf des „Übermenschen“ war so vermessen und unbotmäßig, dass er nicht nur den Kirchenvertretern, sondern auch aufgeklärten Zeitgenossen als verrückt erschien. Nie zuvor hat jemand gewagt, die Weiterentwicklung der Menschheit in dieser zugespitzten Form zu fordern:

Nietzsche empfiehlt uns jetzt, einen gefährlichen Weg einzuschlagen. Einerseits dürfen wir unsere wertvollen Instinkte und unsere animalische Herkunft nicht verleugnen oder gar verlieren, andererseits müssen wir nach vorne schauen und uns zu einem höheren Typus Mensch weiterentwickeln:

Nietzsche selbst bezeichnete sich als „Philosoph mit dem Hammer“, der das Alte zertrümmert, um Platz für das Neue zu schaffen. Aber was ist das Neue, jenseits aller Ideologie und Götzenverehrung? Wie kommen wir über unser bisheriges Menschsein hinaus? Nietzsches Antwort ist von bestechender Kürze und Klarheit: