Titelangaben



Edgar Allan Poe

 


Die Morde in der Rue Morgue


The Murders in the Rue Morgue










Edgar Allan Poe


Edgar Allan Poe wurde am 19. Januar 1809 als Sohn eines Schauspieler-Ehepaares in Boston in den USA geboren. Nachdem der Vater 1810 die Familie verlassen hatte und ein Jahr später seine Mutter starb, wuchs er in einer Bostoner Kaufmannsfamilie auf, die 1815 nach Großbritannien zog.

 

Bis zur Rückkehr der Familie ins amerikanische Richmond im Jahr 1820 besuchte Poe verschiedene Schulen in Schottland und England. 1826 begann Poe ein Studium der alten und neuen Sprachen an der Universität von Virginia in Charlottesville. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Ziehvater brach Poe dieses Studium ab und verpflichtete sich 1827 als Soldat.

 

Nach Abbruch einer Offiziersausbildung in West Point ging Poe 1831 schließlich nach Baltimore, wo er mit dem Schreiben von Erzählungen begann. 1836 zog er nach Richmond, wo er als Journalist für eine Literaturzeitschrift, den „Southern Literary Messenger“, arbeitete und im selben Jahr seine Kusine Virginia heiratete. Im Messenger erschienen frühe Erzählungen und sein berühmter Roman „Die Geschichte von Arthur Gordon Pym“.

 

Nach seiner Zeit beim Messenger zog Poe nach New York und später nach Philadelphia, wo er seinen Lebensunterhalt als freier Journalist und Schriftsteller verdiente. 1839 wurde er Redakteur und später auch Mitherausgeber von „Burton's Gentleman's Magazine“, das er allerdings 1840 wieder verließ. 1841 erschien in der Nachfolgepublikation „Graham's Lady's and Gentlemen's Magazine“ seine erste Detektivgeschichte „The Murders in the Rue Morgue“.

 

Ab 1844 arbeitete Poe in New York als Journalist, Literaturkritiker und Autor. In dieser Zeit veröffentlichte er unter anderem sein Gedicht „The Raven“. Drei Jahre später starb seine Frau Virginia im Alter von gerade einmal 24 Jahren. 1849 plante er eine Wiederheirat mit einer mittlerweile verwitweten Jugendliebe. Doch diese Absicht konnte er nicht mehr realisieren: Der Schriftsteller, der die Geschichte der modernen Kriminalliteratur, der Science-Fiction und auch der Horrorliteratur entscheidend prägte, starb unter ungeklärten Umständen am 7. Oktober 1849 in Baltimore.









„Die Wahrheit ist keineswegs immer in einem Brunnen versteckt ..."



„Die Wahrheit ist keineswegs immer in einem Brunnen versteckt. Ich glaube vielmehr, dass sie, soweit wichtigere Dinge in Frage kommen, meist auf der Oberfläche liegt. Die Wahrheit liegt nicht in den tiefen Tälern, wo wir sie suchen, sie liegt auf der Höhe der Berge, wo wir sie finden.“

 


“Truth is not always in a well. In fact, as regards the more important knowledge, I do believe that she is invariably superficial. The depth lies in the valleys where we seek her and not upon the mountaintops where she is found.”









Was Sie über diese Geschichte wissen sollten


Poes Kurzgeschichte „Die Morde in der Rue Morgue“, die 1841 erschien und deren Inhalt hier nicht vorweggenommen werden soll, stellt einen literarischen Klassiker im besten Sinne dar: Auf erzählerisch meisterhafte Weise wird ein vermeintlich unauflösbares Problem konstruiert, um im Anschluss auf überzeugende Weise enträtselt zu werden. Das löst die aufgebaute Spannung, „reinigt“ die Seele und schafft Vergnügen – wie es ja schon Aristoteles wusste. Die Beschäftigung mit dieser Erzählung bietet auch heutigen Lesern ein spannendes Lesevergnügen. Dabei sorgt sie nicht nur für Kurzweil, sondern kann auch Nachdenkenswertes zutage fördern.

 

Zunächst führt die Geschichte den Leser an den historischen Ursprung einer literarischen Gattung. Es geht um die Geburt der Detektivgeschichte, eines Genre, dessen Erfolg auch noch fast 180 Jahre später ungebrochen anhält. Die Nachfolger von Poes Meisterdetektiv C. Auguste Dupin, der in dieser Erzählung zum ersten von insgesamt drei Malen die literarische Bühne betritt, sind längst Legion. So wird noch heute rund ein Viertel des Belletristik-Umsatzes im deutschen Buchhandel mit Spannungsliteratur erzielt, was durch die Bücherstapel in den Buchhandlungen und jede aktuelle Bestsellerliste eindrucksvoll bestätigt wird. Mit „Die Morde in der Rue Morgue“ steht man also buchstäblich an der geistigen Wiege eines Milliardenmarktes – eine eher tragische Tatsache, da Edgar Allan Poe Zeit seines Lebens um seinen Lebensunterhalt kämpfen musste, bekanntlich ein Schicksal, das er mit vielen Künstler und Erfindern teilte.

 

Poes Originalität bewährte sich aber nicht nur in wirtschaftlicher und literaturgeschichtlicher Hinsicht. Auch unter geistesgeschichtlichen Aspekten lohnt es sich, über diese Erzählung nachzudenken. Mit gutem Grund ließe sich nämlich behaupten, dass Poe mit seinem Detektiv nicht nur eine wirkungsmächtige, fiktive Figur geschaffen hat, sondern mit ihr in gewisser Weise ein Sinnbild des neuzeitlichen Menschen vorstellt. Der Detektiv als Figur repräsentierte dann gleichsam die fleischgewordene Aufklärung und die moderne Wissenschaft. Der neuzeitliche Kriminalermittler verkörpert eine forschende Einstellung, die der Welt noch die dunkelsten Geheimnisse zu entreißen vermag. Dabei spielt es noch nicht einmal eine Rolle, dass viele der späteren Detektivgeschichten der Literaturgeschichte weniger auf genialische Rationalität als auf Intuition oder minutiöse Ermittlungsarbeit ihrer Protagonisten setzen. Wer die Vorstellungswelten der Antike und des Spätmittelalters hinter sich gelassen hat, in denen durch Folterung erpresste Geständnisse als Beweismittel im Strafverfahren zugelassen waren, für den zählt nicht göttlicher Beistand, sondern allein die durch empirisches und logisches Vorgehen nachprüfbare Faktenlage.

 

Natürlich ist die Figur des ersten Detektivs der Literaturgeschichte an die Vorstellungen des 19. Jahrhunderts gebunden. Auguste Dupin und sein noch berühmterer Nachfolger Sherlock Holmes zeigen ein heute eher naiv wirkendes Vertrauen auf die geistige Leistungsfähigkeit und die Unbestechlichkeit des Genies, das auch hilfreiche Vertraute wie den Ich-Erzähler dieser Geschichte oder den späteren Dr. Watson im Prinzip nur als staunendes Publikum oder Stichwortgeber benötigt. Allerdings lässt sich die Grundidee, dass sich die Fülle divergierender Fakten und Indizien erst in der Person des Detektivs zu einem schlüssigen Gesamtbild entfaltet, heute noch in fast jedem TV-Krimi entdecken. Dass sich diese Originalität, die schon Dupin auszeichnet, letztlich der Daten sammelnden Effizienz des staatlichen Ermittlungsapparates überlegen erweist, ist auch heute noch ein konstitutives Konstruktionsprinzip von Drehbüchern und Kriminalgeschichten.

 

Doch nicht dem Detektiv, sondern dem Autor der Geschichte gebührt Lob ob seiner Originalität. Was Poe mit „The Murders in the Rue Morgue“ geschaffen hat, ist mehr als eine Geschichte voller neuer Ideen. Für ihn als Künstler gilt, was Hegel schon in seiner Ästhetik festgehalten hat: „Die Originalität ist deshalb vor allem von der Willkür bloßer Einfälle abzuscheiden. Denn gewöhnlich pflegt man unter Originalität nur das Hervorbringen von Absonderlichkeiten zu verstehen.“ Und von den allgegenwärtigen Possenreißern des heutigen Kunstbetriebs ist Poes Dichtkunst tatsächlich meilenweit entfernt.

 

Ob man dieser Einschätzung nun folgen will oder nicht: Es lohnt sich in jedem Fall diese Geschichte zu lesen – nicht nur für bekennende Krimifans. Für alle, die außerdem ihre englischen Sprachkenntnisse auffrischen möchten, enthält diese Ausgabe neben einer neu bearbeiteten deutschen Übersetzung auch die englische Originalfassung der Detektivgeschichte. Natürlich wurde – wie bei allen Werken der ofd edition – die ursprüngliche Druckfassung nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig neu editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst – die bessere Lesbarkeit und Gestaltung verhilft so zu einem ungetrübten Lesegenuss.






Die Morde in der Rue Morgue


Was für ein Lied die Sirenen sangen oder unter welchem Namen Achilles sich unter den Frauen versteckte, das sind allerdings verblüffende Fragen – deren Lösung jedoch nicht außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt.


Sir Thomas Browne

 


Die Besonderheit der geistigen Eigenschaften, die man „analytisch“ zu nennen pflegt, sind ihrer Natur nach selbst der Analyse schwer zugänglich. Wir schätzen sie nur wegen ihrer Wirkungen. Was wir außerdem von ihnen wissen, ist, dass sie demjenigen, der sie in ungewöhnlich hohem Grade besitzt, eine Quelle höchster Genüsse sind. Wie der starke Mann sich seiner körperlichen Kraft freut und besonderes Vergnügen an allen Übungen findet, die seine Muskeln in Tätigkeit setzen, so erfreut sich der Analytiker jener geistigen Fähigkeit, die das Verworrene aufzulösen vermag. Ihm gefallen auch die gewöhnlichsten Beschäftigungen, sofern sie ihm nur die Gelegenheit geben, sein Talent zu entfalten. Er liebt Rätsel, Wortspiele, Hieroglyphen und entwickelt bei ihrer Lösung oft einen Scharfsinn, der den mit dem Durchschnittsverstand begabten Menschen geradezu unnatürlich erscheint. Obwohl seine Resultate nur das Ergebnis einer geschickt angewandten Methode sind, erwecken sie doch den Eindruck, als handele es sich um höhere Eingebungen.

 

Die Fähigkeit, etwas Verworrenes in seine Bestandteile aufzulösen, wird möglicherweise durch mathematische Studien noch bedeutend erhöht, und zwar besonders durch das Studium jenes höchsten Zweiges der Mathematik, den man nicht ganz richtig und wohl nur wegen seiner rückwärts wirkenden Operationen vorzugsweise „Analyse“ genannt hat. Allerdings heißt rechnen noch nicht analysieren. Ein Schachspieler zum Beispiel tut das Eine, ohne sich um das Andere im Mindesten zu kümmern. Daraus folgt, dass man das Schachspiel in seiner Wirkung auf den Geist meistens sehr falsch beurteilt. Ich will hier keine gelehrte Abhandlung schreiben, sondern nur eine sehr seltsame Geschichte durch einige mir in den Sinn kommende Bemerkungen einleiten. Doch möchte ich die Gelegenheit nutzen, um die Behauptung aufzustellen, dass die höheren Kräfte des denkenden Geistes durch das bescheidene Damespiel viel nutzbringender und lebhafter angeregt werden als durch die mühe- und anspruchsvollen Nichtigkeiten des Schachspiels. Bei letzterem Spiel, in dem die Figuren verschiedene wunderliche Bewegungen von ebenso unterschiedlichem und veränderlichem Wert ausführen können, wird etwas, was nur sehr kompliziert ist, irrtümlicherweise für etwas sehr Scharfsinniges gehalten.

 

Beim Schachspiel wird vor allem die Aufmerksamkeit stark in Anspruch genommen. Wenn sie auch nur einen Augenblick erlahmt, so übersieht man leicht etwas, das zu Verlust oder Niederlage führt. Da die uns zu Gebote stehenden Züge zahlreich und dabei von ungleichem Wert sind, ist es natürlich sehr leicht möglich, dieses oder jenes zu übersehen. In neun von zehn Fällen wird der Spieler, der seine Gedanken vollkommen zu konzentrieren versteht, selbst über einen geschickteren Gegner den Sieg davontragen.

 

Im Damespiel hingegen, wo es nur eine Art von Zügen mit wenig Veränderungen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit eines Versehens geringer, die Aufmerksamkeit wird weniger in Anspruch genommen, und die Vorteile, die ein Partner über den anderen erringt, verdankt er seinem größeren Scharfsinn. Stellen wir uns, um weniger abstrakt zu sein, eine Partie auf dem Damebrett vor, bei dem nur noch vier Damen vorhanden sind und wo ein Versehen natürlich nicht zu erwarten ist. Nehmen wir an, dass die Gegner einander gewachsen sind, so ist es klar, dass der Sieg hier nur durch einen außerordentlich geschickten Zug, der das Resultat einer ungewöhnlichen Geistesanstrengung ist, entschieden werden kann. Wenn der Analytiker sich seiner gewöhnlichen Hilfsquellen beraubt sieht, denkt er sich in den Geist seines Gegners hinein, identifiziert sich mit ihm, und dann gelingt es ihm nicht selten, auf den ersten Blick eine oft verblüffend einfache Methode zu finden, durch die er den anderen irreführen oder zu einem unbesonnenen Zug veranlassen kann.

 

Das Whist-Spiel ist schon lange berühmt dafür, dass man ihm einen gewissen Einfluss auf das sogenannte Berechnungsvermögen zuschreibt. Tatsache ist, dass die hervorragendsten Männer dieses Spiel ganz besonders bevorzugt haben, während sie das Schachspiel als weniger anspruchsvoll verschmähten. Allgemein anerkannt ist, dass es kein anderes Spiel gibt, das die analytischen Fähigkeiten in so hohem Grad in Anspruch nimmt. Der beste Schachspieler der Christenheit ist vielleicht nicht mehr als eben nur der beste Schachspieler; die Tüchtigkeit und Gewandtheit im Whist lassen aber auf einen feinen Kopf schließen, der überall, wo der Geist mit dem Geist kämpft, des Erfolges sicher sein kann. Wenn ich hier von Gewandtheit spreche, so verstehe ich darunter die vollkommene Beherrschung des Spieles, die mit einem Blick alle Möglichkeiten erkennt, aus denen sich ein rechtmäßiger Vorteil ziehen lässt.

 

Es gibt dabei viele und sehr verschiedenartige Hilfsquellen, die es aufzufinden und zu nutzen gilt; indessen erschließen sie sich meistens nur einer höheren Intelligenz und sind Menschen von gewöhnlicher Begabung unzugänglich. Aufmerksam beobachten heißt ein gutes Gedächtnis besitzen, sich gewisser Dinge deutlich erinnern können, und insofern wird der Schachspieler, der an die Konzentration seiner Gedanken gewöhnt ist, sich sehr gut zum Whist eignen, vorausgesetzt, dass er die Spielregeln Hoyles – die in allgemeinverständlicher Weise den Mechanismus des Whists erklären – gut beherrscht. Daher kommt es, dass man gewöhnlich glaubt, ein gutes Gedächtnis zu besitzen und regelrecht nach dem Buche spielen zu können, sei alles, was zu einem feinen Spiele erforderlich sei. Aber die Kunst des Analytikers bewährt sich in solchen Dingen, die außerhalb der Grenzen aller Regel liegen. In aller Stille macht er Beobachtungen, aus denen er seine Schlüsse zieht. Seine Mitspieler tun wahrscheinlich dasselbe; der Unterschied des erlangten Wissens liegt weniger an der Richtigkeit des Schlusses als an dem Wert der Beobachtung.

 

Das Wichtigste ist, sich ganz klar darüber zu sein, was man beobachten muss. Der wirklich feine Spieler hat seine Augen überall, und neben dem Spiel, das natürlich Hauptsache ist, verschmäht er es nicht, Schlüsse aus Dingen zu ziehen, die nur als Äußerlichkeiten erscheinen. So beobachtet er zum Beispiel den Gesichtsausdruck seines Partners und vergleicht ihn sorgfältig mit dem seiner Gegner. Er achtet darauf, wie die Mitspielenden ihre Karten in der Hand ordnen; oft zählt er Trumpf auf Trumpf, Honneurs auf Honneurs an den Blicken nach, mit denen ihre Besitzer sie mustern. Er merkt sich im Verlauf des Spieles jede Veränderung ihres Gesichtsausdruckes und zieht seine Schlüsse aus jedem Wort, aus jeder Triumph, Überraschung oder Ärger verratenden Geste. Aus der Art, wie jemand einen Stich aufnimmt, schließt er darauf, ob der Betreffende noch mehr Stiche in dieser Farbe machen kann. Ebenso erkennt er an der Weise, wie eine Karte auf den Tisch geworfen wird, ob jemand mogelt. Ein zufälliges, unbedachtes Wort, das gelegentliche Fallenlassen oder Umwenden einer Karte, die Ängstlichkeit, einen so unbedeutenden Vorgang verbergen zu wollen, oder auch die Gleichgültigkeit dagegen, das Zählen der Stiche und die Art, sie zu ordnen, das verwirrte, zögernde, hastige oder übereifrige Wesen des Spielenden, alles muss ihm zum Erkennungszeichen dienen, das ihm den Stand der Dinge verrät. Er macht dabei den Eindruck, als erkenne er dies alles kraft einer Intuition. Wenn die ersten zwei oder drei Runden gespielt sind, dann weiß er genau, in welcher Hand die Karten sind, und er spielt seine eigenen mit einer so absoluten Sicherheit aus, als ob sämtliche Mitspielenden ihm ihre zeigten.

 

Indessen darf man die Fähigkeit zur Analyse keineswegs mit der Klugheit verwechseln, denn während der Analytiker unbedingt klug ist, haben doch oft recht kluge Leute nicht das geringste Talent zur Analyse. Die Kombinationsgabe, durch die sich die Klugheit gewöhnlich äußert und der die Phrenologen, wie ich glaube irrtümlich, ein besonderes Organ zugewiesen haben, da sie dieselbe für eine angeborene Fähigkeit halten, ist so häufig bei Menschen, deren Verstand fast an Blödsinn grenzt, wahrgenommen worden, dass die Tatsache die Aufmerksamkeit vieler Gelehrten auf sich gezogen hat. Zwischen Klugheit und analytischer Fähigkeit besteht aber ein Unterschied, der größer ist als der zwischen Phantasie und Einbildungskraft; indessen ist er von streng analogem Charakter. Man kann beinahe mit Sicherheit behaupten, dass die klugen Menschen stets phantasiereich und die mit wirklicher Einbildungskraft begabten stets Analytiker sind.

 

Die folgende Erzählung möge dem Leser als Kommentar dieser Behauptungen dienen.

  

Als ich mich im Frühling und während eines Teils des Sommers 18.. in Paris aufhielt, machte ich die Bekanntschaft eines Herrn C. August Dupin. Dieser junge Mann gehörte einer sehr guten, ja sogar berühmten Familie an, die jedoch durch eine Reihe von Schicksalsschlägen in so tiefe Armut geraten war, dass die Energie seines Charakters darunter erlag, so dass er sich ganz von der Welt zurückgezogen hatte und keine Versuche mehr machte, sich in eine bessere Lage emporzuarbeiten. Seine Gläubiger waren so anständig gewesen, ihn im Besitz eines kleinen Restes seines väterlichen Vermögens zu lassen, dessen Zinsen bei äußerster Sparsamkeit zu einem sehr bescheidenen Leben genügten, ihm jedoch auch nicht den kleinsten Luxus gestatteten. Bücher waren das einzige, dem er nicht ganz zu entsagen vermochte – und diesen Luxus kann man sich in Paris ohne große Kosten leisten.