Johann Christoph Gottsched: Der sterbende Cato

 

 

Johann Christoph Gottsched

Der sterbende Cato

Ein Trauerspiel

 

 

 

Johann Christoph Gottsched: Der sterbende Cato. Ein Trauerspiel

 

Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Guillaume Guillon Lethière, Der Tod des Cato, 1795

 

ISBN 978-3-8430-5481-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-1659-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-1660-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden: 1730.

Erstdruck: Leipzig (Teubners Buchladen), 1732.

Uraufführung Januar 1731 durch die Neubersche Theatergruppe.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Joachim Birke, Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Band 2: Sämtliche Dramen, Berlin: Walter de Gruyter & Co., 1968/1970.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

Des Herrn Verfassers Vorrede

zur ersten Ausgabe 1732

Ich unterstehe mich eine Tragödie in Versen drucken zu lassen, und zwar zu einer solchen Zeit, da diese Art von Gedichten in Deutschland, seit dreyßig und mehr Jahren, ganz ins Vergessen gerathen; und nur seit kurzem auf unserer Schaubühne sich wieder zu zeigen angefangen hat. Diese Verwägenheit ist in der That so groß, daß ich mich deswegen ausführlich entschuldigen muß. Ich weis zwar, daß ein einziges treffliches Muster, dieser in Verfall gerathenen Art der Gedichte, wohl eher ganze Nationen rege gemachet, und ihnen einen Geschmack davon beygebracht hat. Der berühmte Cid des Corneille hat dieses in Frankreich, die Merope des Hrn. Maffei in Italien, und Hrn. Addissons Cato in Engelland zur Gnüge erwiesen. Allein ich bin auch im Gegentheile versichert: daß Leute, die einer Sache nicht recht gewachsen sind, durch übelgerathene Proben alles verderben; und oftmals eine Art von Poesien in solche Verachtung bringen können, daß sich niemand mehr die Mühe nimmt, sie zu übertreffen, oder dasjenige, was sie schlimm gemachet haben, wieder zu verbessern.

Eben deswegen habe ich mich seit dreyen Jahren, da ich in meiner kritischen Dichtkunst unsre Nation zu Hervorsuchung dieser Art großer Gedichte aufgemuntert, und einige Anleitung dazu gegeben, nicht gewaget, selbst ans Licht zu treten, oder andern mit meinem Exempel vorzugehen. Ich habe gewartet, ob sich nicht etwa ein geschickterer Poet unsres Vaterlandes hervorthun, und ein Werk unternehmen würde, welches ihm[3] und Deutschland Ehre machen könnte. Es fehlet uns in der That an großen und erhabenen Geistern nicht, die zur tragischen Poesie gleichsam gebohren zu seyn scheinen. Es kömmt nur auf die Wissenschaft der Regeln an; die aber nicht ohne alle Bemühung und Geduld gefasset werden können. Es gehöret auch Gelegenheit dazu, die deutsche Schaubühne nach ihren bisherigen Fehlern und erfoderlichen Tugenden kennen zu lernen: wie denn auch die Kenntniß des französischen, englischen und italiänischen Theaters einiger maßen hierzu nöthig ist. Und ungeachtet ich Ursachen habe, zu glauben, daß es verschiedene unter unsern Dichtern giebt, die mit allen diesen Vortheilen reichlich versehen sind; wie ich denn selbst einige davon nennen könnte: so habe ich doch bisher vergeblich auf die Erfüllung meines Wunsches gehoffet.

Ehe ich mich aber erkläre, aus was für Ursachen ich mich endlich entschlossen habe, dieses Trauerspiel ans Licht zu stellen, muß ich mit wenigem melden, wie ich zuerst auf die theatralische Poesie gelenket worden; und was mich endlich bewogen, selbst Hand anzulegen, und einen Versuch darinnen zu thun. Es sind nunmehro 15 oder 16 Jahre, als ich zuerst Lohensteins Trauerspiele las, und mir daraus einen sehr wunderlichen Begriff von der Tragödie machte. Ob ich gleich diesen Poeten von vielen himmelhoch erheben hörte: so konnte ich doch die Schönheit seiner Werke selber nicht finden, oder gewahr werden. Ich ließ also diese Art der Poesie in ihren Würden und Unwürden beruhen: weil ich mich nicht getrauete, mein Urtheil davon zu sagen. Ich las auch um eben die Zeit, Opitzens Antigone, die er aus dem Sophokles verdeutschet hat. Allein ob mir wohl die andern Gedichte dieses Vaters unsrer Dichtkunst ungemein gefielen: so konnte ich doch die rauhen Verse dieser etwas gezwungenen Uebersetzung nicht leiden; und daher kam es, daß ich auch an dem[4] Inhalte dieser Tragödie keinen Geschmack fand. Ich blieb also im Absehen auf die theatralische Poesie in vollkommener Gleichgültigkeit oder Unwissenheit, bis ich etliche Jahre hernach den Boileau kennen lernte. Damals ward ich denn, theils durch die an Molieren gerichtete Satire; theils durch den hin und her eingestreuten Ruhm und Tadel theatralischer Stücke, begierig gemachet, selbige näher kennen zu lernen.

Obwohl ich nun Molieren leicht genug zu lesen bekam; so war doch in meinem Vaterlande keine Gelegenheit eine Komödie oder Tragödie spielen zu sehen: als wozu mir dieses Lesen eine ungemeine Lust erwecket hatte. Ich mußte mir also diese Lust vergehen lassen, bis ich im 1724. Jahre nach Leipzig kam; und daselbst Gelegenheit fand, die privilegirten dresdnischen Hofkomödianten spielen zu sehen. Weil sich dieselben nur zur Meßzeit allhier einfanden, so versäumte ich fast kein einziges Stück, so mir noch neu war. Dergestalt stillte ich zwar anfänglich mein Verlangen dadurch; allein ich ward auch die große Verwirrung bald gewahr, darinn diese Schaubühne steckete. Lauter schwülstige und mit Harlekins Lustbarkeiten untermengte Haupt- und Staatsactionen, lauter unnatürliche Romanstreiche und Liebesverwirrungen, lauter pöbelhafte Fratzen und Zoten waren dasjenige, was man daselbst zu sehen bekam. Das einzige gute Stück, so man aufführete, war der Streit zwischen Ehre und Liebe, oder Roderich und Chimene; aber nur in ungebundener Rede übersetzet. Dieses gefiel mir nun, wie leicht zu erachten ist, vor allen andern, und zeigte mir den großen Unterscheid, zwischen einem ordentlichen Schauspiele, und einer regellosen Vorstellung der seltsamsten Verwirrungen, auf eine sehr empfindliche Weise.

Hier nahm ich also Gelegenheit, mich mit dem damaligen Principal der Komödie bekannt zu machen, und zuweilen von[5] der bessern Einrichtung seiner Schaubühne mit ihm zu sprechen. Ich fragte ihn sonderlich, warum man nicht Andr. Gryphs Trauerspiele, imgleichen seinen Horibilicribrifax u.d.m. aufführete? Die Antwort fiel, daß er die erstern auch sonst vorgestellet hätte: allein itzo ließe sichs nicht mehr thun. Man würde solche Stücke in Versen nicht mehr sehen wollen: zumal sie gar zu ernsthaft wären, und keine lustige Person in sich hätten. Ich rieth ihm also einmal ein neues Stück in Versen zu versuchen; und versprach selbsten einen Versuch darinn zu thun. Da ich aber noch keine Regeln der Schauspiele verstund, ja nicht einmal wußte, ob es dergleichen gäbe: so übersetzte ich aus den Fontenellischen Schäfergedichten den Endimion, so wie ich denselben bey der ersten Auflage der Gespräche von mehr als einer Welt habe drucken lassen; machte aber hier und da, noch einige Zusätze von lustigen Scenen darzwischen, welche zusammen ein Zwischenspiel ausmachten, so mit der Haupthandlung gar nicht verbunden war. Ich verstund nämlich die Schaubühne so wenig, als der Principal der Komödie; und ungeachtet es mich damals verdroß, daß er das Herz nicht hatte meine Uebersetzung aufzuführen: so ist mirs doch itzo sehr lieb, daß solches nicht geschehen ist; zumal da Endimion sich besser zu einer Oper, als zu einer Komödie geschicket hätte.

Indessen gaben mir die schlechten Stücke, die ich spielen sah, vielfältige Gelegenheit, auch ohne alle Kenntniß der Regeln, das unnatürliche Wesen derselben wahrzunehmen: zugleich aber machte mich dieses begierig, mich um die Regeln der Schaubühne zu bekümmern. Ich konnte mir nämlich leicht einbilden, daß eine so weitläuftige Art der Gedichte unmöglich ohne dieselben bestehen könnte; da man es den allerkleinsten Poesien daran nicht hatte fehlen lassen. In allen unsern deutschen[6] Anleitungen zur Poesie fand ich kein Wort davon; ausgenommen in Rothens deutscher Poesie, die 1688. hier in Leipzig herausgekommen. Alle übrige, auch so gar Menantes in seinen theatralischen Gedichten, und der von ihm ans Licht gestellten allerneuesten Art zur galanten Poesie zu gelangen, hatten nur eine seichte Anleitung zur Oper gegeben. Doch da mir auch Rothe noch kein Gnügen that, ob er gleich nicht übel davon gehandelt hat; und ich in ihm Aristotels Poetik gelobet fand: so ward ich begierig dieselbe zu lesen: und es fiel mir zu allem Glücke Daciers französis. Uebersetzung derselben in die Hände. Diese hielt außer dem Texte sehr ausführliche Anmerkungen in sich, und gab mir also den längstgewünschten Unterricht in diesem Stücke. Es kamen mir nachmals Casaubonus DE POESI SATYRICA GRAECORUM, Rappolts POETICA ARISTOTELICA, imgleichen Heinsius DE TRAGŒDIÆ CONSTITUTIONE, des Abts Hedelin von Aubignac PRATIQUE DU THEATRE, und andre Schriften mehr in die Hand, die nur beyläufig von diesen Sachen handelten; dahin ich hauptsächlich den englischen Spectator, und den St. Evremont rechnen muß. Und zu geschweigen, daß ich mir des CORNEILLE, RACINE, LA GRANGE, LA MOTTE, MOLIERE, VOLTAIRE u.a. Schauspiele nebst denen ihnen vorgesetzten Vorreden, und beygefügten kritischen Abhandlungen bekannt gemachet: so kam endlich auch noch des Abts BRUMOIS THEATRE DES GRECS, und des Italiäners RICCOBONI HISTOIRE DU THEATRE ITALIEN dazu, die mir noch mehr Licht in dieser Materie verschaffeten.

Jemehr ich nun durch die Lesung aller dieser Werke die wohleingerichteten Schaubühnen der Ausländer kennen lernte: destomehr schmerzte michs, die deutsche Bühne noch in solcher Verwirrung zu sehen. Indessen aber, daß mir das Licht nach und nach aufgieng: so geschah es, daß die dresdenischen Hofkomödianten einen andern Principal bekamen; der nebst seiner[7] geschickten Ehegattin, die gewiß in der Vorstellungskunst keiner Französinn oder Engelländerinn was nachgiebt, mehr Lust und Vermögen hatte, das bisherige Chaos abzuschaffen, und die deutsche Komödie auf den Fuß der französischen zu setzen. Den ersten Vorschub dazu that so zu reden der hochfürstl. Braunschweigische Hof: woselbst zu des höchstsel. Herzogs Anton Ulrichs Zeiten, schon längst ein Versuch gemachet worden war, die Meisterstücke der Franzosen in deutsche Verse zu übersetzen, und wirklich aufzuführen. Man gab ihnen die Abschriften vieler solchen Stücke; und ob sie gleich mit dem Regulus des Pradons, eines nicht zum besten berüchtigten Poeten, den Anfang machten, welchen Bressand an obgedachtem Hofe schon vor vielen Jahren, in ziemlich rauhe Verse übersetzet hatte: so gelung ihnen doch dieses Stück durch die gute Vorstellung so gut, daß sie auch den Brutus, imgleichen den Alexander und Porus von eben diesem Uebersetzer; und bald darauf auch den Cid des Corneille aufführeten: der aber von einem weit geschicktern Poeten, in viel reinere und angenehmere Verse übersetzt war, als jene; und also auch ungleich mehr Beyfall fand, als alle poetische Stücke, die man vorhin gesehen hatte.

Hierauf schlug ich, die angefangene Verbesserung unsrer Schaubühne, so viel mir möglich war, fortzusetzen, und zu unterstützen, dem dermaligen Director derselben, auch den, von einem vornehmen Raths-Gliede in Nürnberg, übersetzten Cinna vor: der in der Sammlung seiner Gedichte, die unter dem Titel der Vesta und Flora herausgekommen, befindlich ist. Wie nun dieses Meisterstück des Corneille durchgehends großen Beyfall fand: so machte ich selbst endlich mit Uebersetzung der Iphigenia aus dem Racine einen Versuch, und spornte zugleich ein paar gute Freunde, und geschickte Mitglieder der deutschen Gesellschaft allhier an, dergleichen zu thun: da denn der eine den zweyten Theil des[8] Cids, oder Chimenens Trauerjahr; der andere aber die Berenice aus dem Racine ins Deutsche brachte. Alle drey wurden mit ziemlichem Beyfalle aufgeführet, so daß man dergestalt schon acht regelmäßige Tragödien in Versen auf unsrer Schaubühne sehen konnte. Ich schweige noch, was wir durch einige andere nicht ganz ungeschickte Federn bald darauf erhalten haben.

Nachdem ich also beyläufig eine kurze Historie von der angefangenen Verbesserung der deutschen Schaubühne gegeben: so muß ich endlich auch auf meinen Cato kommen, und überhaupt von der Einrichtung dieses Stückes Rede und Antwort geben.