Molière: Der Geizige

 

 

Molière

Der Geizige

Komödie in fünf Akten

 

 

 

Molière: Der Geizige. Komödie in fünf Akten

 

Übersetzt von Wolf Heinrich Graf von Baudissin

 

Vollständige Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

ISBN 978-3-8430-5600-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-1680-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-1681-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Paris 1669. Uraufführung: Paris, 9.9.1668. Hier nach der Übers. v. Wolf Graf Baudissin. Originaltitel: L'avare

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Molière: Der Geizige. Übers. v. Wolf Graf Baudissin, Leipzig: Philipp Reclam jun., [o. J.].

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen

Harpagon

 

Cléanthe, sein Sohn

 

Élise, seine Tochter

 

Valère, Élisens Liebhaber

 

Mariane, Cléanthes Geliebte, in die auch Harpagon verliebt ist

 

Anselme, Valères und Marianens Vater

 

Frosine, eine Gelegenheitsmacherin

 

Simon, ein Mäkler

 

Jacques, Harpagons Koch und Kutscher

 

Frau Claude, Harpagons Haushälterin

 

La Flèche, Cléanthes Diener

 

Brind'avoine,

La Merluche, Harpagons Lakaien,

 

Ein Kommissar und sein Schreiber

 

Szene: Paris, in Harpagons Hause.

 

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Valère. Élise.

 

VALÈRE. Wie, meine teure Élise, ich sehe Euch nachdenklich und sorgenvoll, nachdem Ihr eben die Großmut hattet, mich Eurer Treue zu versichern? Muß ich Euch – ach! – mitten in meiner Freude seufzen sehn? Ist's Euch leid, mich glücklich gemacht zu haben? Und bereut Ihr das Versprechen, zu dem meine Leidenschaft Euch überredet hat?

ÉLISE. Nein, Valère, ich kann nichts bereuen, was ich für Euch getan habe; ich fühle mich durch eine zu sanfte Gewalt dazu hingezogen und kann nicht einmal wünschen, daß dies alles nicht geschehn wäre. Aber wenn ich Euch die Wahrheit gestehn soll, unser bisheriger Erfolg beunruhigt mich, und ich fürchte zuweilen, ich liebe Euch mehr, als ich sollte.

VALÈRE. Aber, geliebte Élise, was könnt Ihr von Eurer Güte gegen mich besorgen?

ÉLISE. Ach, hunderterlei: den Zorn meines Vaters, die Vorwürfe der Familie, das Urteil der Welt: mehr aber als dies alles, Valère, die Wandelbarkeit Eures Herzens und die schnöde Kälte, mit der ihr Männer so oft die zu warmen Äußerungen einer unschuldigen Neigung vergeltet.

VALÈRE. Um alles in der Welt, tut mir nicht das Unrecht an, mich nach andern zu beurteilen. Traut mir alles mögliche zu, teure Élise, nur nicht, daß ich meine Pflicht gegen Euch vergessen könnte. Dazu liebe ich Euch zu sehr, und meine Liebe wird nur mit meinem Leben erlöschen.

ÉLISE. Ach, Valère, das sagt jeder. Alle Männer gleichen sich in ihren Reden, und nur ihre Taten unterscheiden sie.[5]

VALÈRE. Wenn wir denn nur an unsern Taten erkannt werden, so wartet wenigstens, bis Ihr mein Herz nach meinem Tun beurteilen könnt, und laßt Eure ungerechte Furcht, die nur auf einer melancholischen Voraussicht beruht, mir nicht Verbrechen andichten, die meiner Seele fern liegen. Erspart mir, ich bitte Euch, die tödlichen Dolchstiche eines kränkenden Verdachts und gönnt mir Zeit, Euch durch tausend und aber tausend Beweise von der Aufrichtigkeit meiner Liebe zu überzeugen.

ÉLISE. Wie leicht läßt man sich überreden, wenn man liebt! Ja, Valère, ich halte Euch für unfähig, mich zu betrügen; ich glaube, daß Ihr mich wirklich liebt und mir treu bleiben werdet; ich will nicht länger zweifeln und meinen Kummer auf die Furcht vor dem Tadel beschränken, der mich treffen wird.

VALÈRE. Was aber habt Ihr zu fürchten?

ÉLISE. Nichts, Valère, wenn die ganze Welt Euch mit meinen Augen ansähe; und ich finde in Eurem Wesen die beste Berechtigung für mich, zu handeln, wie ich's tue. Meine Herzenswahl wird gerechtfertigt durch Euer Verdienst und stützt sich überdem auf eine Dankbarkeit, zu der der Himmel selbst mich gegen Euch verpflichtet hat. Jede Stunde denke ich an die entsetzliche Gefahr, in der wir uns zuerst einander begegneten; an die bewundernswürdige Großmut, mit der Ihr Euer Leben wagtet, um das meinige den tobenden Wellen zu entreißen; an die zärtliche Sorgfalt, die Ihr mir erwiest, nachdem Ihr mich aus den Fluten gerettet, und an die fortdauernd dargebrachte Huldigung Eurer Liebe, die weder Zeit noch Schwierigkeiten erschüttern konnten und die Euch dazu gebracht hat, Eltern und Heimat zu verlassen und hier zu verweilen. Seid Ihr doch, um mich sehn zu können, so weit gegangen, einen Dienst im Hause meines Vaters anzunehmen! Das alles mußte einen unwiderstehlichen Eindruck auf mich machen und ist in meinen Augen mehr als hinreichend, um das Versprechen zu rechtfertigen, das ich gestern eingegangen bin; aber es genügt vielleicht nicht für die übrige Welt, und ich bin nicht sicher, ob diese meine Gesinnungen billigen wird.

VALÈRE. Von allem, was Ihr eben angeführt habt, ist es nur meine Liebe, durch die ich hoffe, etwas bei Euch zu[6] gelten; und was Eure sonstigen Zweifel betrifft, sorgt leider Euer Vater selbst am besten dafür, Euch vor der ganzen Welt zu rechtfertigen; denn sein übertriebener Geiz und die Strenge, mit der er seine Kinder behandelt, könnten noch ganz andre Dinge entschuldigen. Verzeiht mir, geliebte Élise, wenn ich so vor seiner Tochter spreche; Ihr wißt, man kann ihn in dieser Beziehung nicht loben. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, meine Eltern wiederzufinden, und wenn mir das gelingt, wird es nicht schwer sein, ihn für uns zu gewinnen. Ich erwarte mit Ungeduld Nachrichten von ihnen und will, wenn diese nicht bald eintreffen, mich selbst aufmachen, um sie mir zu holen.

ÉLISE. Ach, Valère, ich bitte Euch, verlaßt mich nicht und denkt nur darauf, Euch bei meinem Vater in Gunst zu erhalten.

VALÈRE. Ihr seht ja, wie mir's bisher gelungen ist und durch welche geschickte Nachgiebigkeit ich es durchgesetzt habe, in seinen Dienst zu kommen; wie ich unter der Maske gleicher Neigungen und Gesinnungen es dahin gebracht habe, ihm zu gefallen, und welche Rolle ich täglich spiele, um mir seine Gewogenheit zu sichern. Ich habe auch schon die überraschendsten Fortschritte in seiner Gunst gemacht und überzeuge mich, daß es kein besseres Mittel gibt, sich bei den Menschen beliebt zu machen, als mit ihren eignen Ansichten vor ihnen schön zu tun, ihre Grundsätze zu verteidigen, ihren Fehlern zu huldigen und alles zu bewundern, was sie tun. Man braucht nicht zu fürchten, diese Geschmeidigkeit könnte ihnen übertrieben erscheinen; die Art, wie man sie zum besten hat, mag noch so augenscheinlich sein – selbst die Klügsten sind einem Schmeichler gegenüber die Allerverblendetsten, und es gibt nichts so Widersinniges und Abgeschmacktes, das sie nicht verschlucken, wenn man es mit Lob zu würzen versteht. Freilich kommt die Ehrlichkeit ein wenig zu kurz bei dem Handwerk, das ich jetzt treibe; aber wenn man die Leute braucht, so muß man sich schon nach ihnen richten; und da man sie nur auf diese Weise gewinnen kann, sind nicht die Schmeichler die Schuldigen, sondern sie selbst, die geschmeichelt sein wollen.

ÉLISE. Warum bemüht Ihr Euch aber nicht auch um den[7] Beistand meines Bruders für den Fall, daß Frau Claude unser Geheimnis verraten sollte?

VALÈRE. Das läßt sich nicht vereinigen; Vater und Sohn sind in ihrer Gesinnung so gründlich verschieden, daß es mir unmöglich scheint, sich mit beiden gut zu stehn. Ihr aber, teure Élise, tut das Eurige bei Eurem Bruder und benutzt seine Freundschaft für Euch, um ihn in unser Interesse zu ziehn. Er kommt, und ich entferne mich. Der Augenblick ist günstig; sprecht mit ihm und entdeckt ihm von unserm Verhältnis, soviel Euch ratsam scheint.

ÉLISE. Ich weiß noch nicht, ob ich den Mut haben werde, mich ihm anzuvertrauen.[8]

 

Zweiter Auftritt

Cléanthe. Élise.

 

CLÉANTHE. Es ist mir lieb, dich allein zu treffen, Schwester, denn ich konnte es nicht erwarten, mit dir zu sprechen, um dir ein Geheimnis mitzuteilen.

ÉLISE. Ich bin ganz Ohr, lieber Bruder. Was hast du mir zu sagen?

CLÉANTHE. Sehr viel, Schwester. Und doch umschließt das alles ein einziges Wort: ich liebe.

ÉLISE. Du liebst?

CLÉANTHE. Ja, ich liebe. Ehe ich aber fortfahre – ich weiß, daß ich einen Vater habe, von dem ich abhänge, und daß der Name Sohn mich seinem Willen unterwirft; daß wir unser Herz nicht ohne die Einwilligung unsrer Eltern verschenken dürfen; daß der Himmel sie als Gebieter über unsre Wünsche eingesetzt hat und daß es unsre Pflicht ist, uns ihrer Führung zu überlassen; daß sie, von keiner törichten Leidenschaft beherrscht, in der Lage sind, sich weit weniger als wir selbst zu täuschen und viel besser zu beurteilen, was uns frommt; daß wir uns sicherer auf ihre Einsicht und ihr Urteil verlassen können, als auf unsre blinde Leidenschaft, und daß die stürmische Heftigkeit der Jugend uns nur zu oft in die gefährlichsten Abgründe stürzt. Das alles sage ich dir, meine gute Schwester, damit ich dir die Mühe erspare, es mir zu[8] sagen – denn meine Liebe will nichts hören, und ich bitte dich, mich mit allen Gegenvorstellungen zu verschonen.

ÉLISE. Hast du dich schon mit deiner Geliebten verlobt, Bruder?

CLÉANTHE. Nein, aber ich bin dazu entschlossen, und ich beschwöre dich noch einmal, komme mir nicht mit Gründen, um mir's einzureden.

ÉLISE. Hältst du mich denn für so wunderlich?

CLÉANTHE. Nein, Schwester; aber du liebst nicht; du weißt nichts von der süßen Gewalt, die eine zärtliche Neigung über unser Herz hat, und ich fürchte dein besonnenes Urteil.

ÉLISE. Ach, Bruder, sprechen wir nicht von einer Besonnenheit; es gibt niemand, den sie nicht einmal im Stich ließe, und wenn ich dir mein Herz eröffnen wollte, würde ich dir vielleicht, sehr viel unbesonnener vorkommen als du dir selbst.

CLÉANTHE. Oh, wollte doch Gott, daß deine Seele wie die meinige wäre ...

ÉLISE. Sprechen wir nur zuerst von deinen Angelegenheiten, und sage mir, wen du liebst.

CLÉANTHE. Ein junges Mädchen, das erst seit kurzem in dieser Gegend wohnt und ganz dazu geschaffen scheint, jedem, der sie erblickt, Liebe einzuflößen. Nie hat die Natur etwas Reizenderes hervorgebracht, und ich war vom ersten Augenblick an bezaubert von ihrer Schönheit. Sie heißt Mariane und lebt unter der Obhut einer guten ehrlichen Mutter, die fast immer krank ist und für welche das liebe Mädchen die rührendste Sorgfalt an den Tag legt. Sie pflegt sie, tröstet sie und bemitleidet sie in einer Weise, die dein ganzes Herz gewinnen würde. Alles, was sie tut, ist anmutig, jeder Bewegung leiht sie einen neuen Reiz und zeigt eine so liebenswürdige Sanftmut, eine so unwiderstehliche Güte, eine so entzückende Sittsamkeit, ein ... Ach, Schwester, ich wünschte nur, du könntest sie sehn!

ÉLISE. Ich sehe schon genug, Bruder, aus allem, was du mir von ihr sagst; und um ihren Wert zu erkennen, brauche ich nur zu wissen, daß du sie liebst.

CLÉANTHE. Ich habe unterderhand erfahren, daß sie nicht[9] wohlhabend sind, und daß sie trotz ihrer Eingezogenheit Mühe haben, ihre wenigen Ausgaben zu bestreiten. Denke nur, Schwester, welche Freude es sein müßte, die Lage eines geliebten Wesens zu verbessern, auf feine Weise dem bescheidenen Bedarf einer tugendhaften Familie zu Hilfe zu kommen, und du wirst einsehn, wie schmerzlich es für mich sein muß, mich durch den Geiz unsres Vaters außerstande zu sehn, mir dies Glück zu verschaffen und meiner Geliebten irgendeinen Beweis meiner Zärtlichkeit zu geben.

ÉLISE. Ja, ich begreife ganz, Bruder, welchen Kummer du dabei empfinden mußt.

CLÉANTHE. Ach, Schwester, er ist größer, als du ihn dir vorstellen kannst. Sag selbst, kann man sich etwas Grausameres denken als die harte Sparsamkeit, die man gegen uns ausübt, und die unerhörte Dürftigkeit, in der wir schmachten müssen? – Wozu hilft uns unser Vermögen, wenn es uns erst in einer Zeit zufällt, wo wir nicht mehr in den schönen Jahren sind, es genießen zu können? wenn ich jetzt, um nur zu bestehn, nach allen Seiten Schulden machen muß und so wie du gezwungen bin, täglich die Gefälligkeit der Kaufleute in Anspruch zu nehmen, um mir nur einigermaßen anständige Kleider zu verschaffen? – Ich habe dich bitten wollen, liebste Schwester, mir unsern Vater über meine Neigung ausforschen zu helfen; und wenn ich sehe, daß er taub für meine Wünsche bleibt, bin ich entschlossen, mir eine andre Heimat zu suchen und mit dem geliebten Mädchen mein Schicksal dem Himmel anheimzustellen. Ich bemühe mich deshalb, wo ich kann, Geld aufzunehmen, und wenn deine Lage, liebste Schwester, der meinigen gleichen sollte und unser Vater sich dir ebenso widersetzt wie mir, so laß uns ihm beide entfliehen und uns von der Tyrannei freimachen, in der sein unerträglicher Geiz uns schon so lange gefesselt hält.

ÉLISE. Es ist wahr, daß er uns täglich mehr und mehr Ursache gibt, den Tod unsrer Mutter aufs neue zu beweinen.

CLÉANTHE. Ich höre seine Stimme: laß uns in dein Zimmer gehn, um unsre Geständnisse weiter auszutauschen, und dann mit vereinten Kräften einen Angriff auf seinen harten Sinn versuchen.[10]