E. T. A. Hoffmann: Der Artushof / Die Bergwerke zu Falun

 

 

E. T. A. Hoffmann

Der Artushof

Die Bergwerke zu Falun

Zwei Erzählungen

 

 

 

E. T. A. Hoffmann: Der Artushof / Die Bergwerke zu Falun. Zwei Erzählungen

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Vincent van Gogh, Bergarbeiter im Schnee, 1882

 

ISBN 978-3-8430-6331-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9866-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9867-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Der Artushof

Erstdruck in: Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1817

Die Bergwerke zu Falun

Erstdruck in: Die Serapionsbrüder, Erster Band, Februar 1819

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

E.T.A. Hoffmann: Poetische Werke in sechs Bänden, Band 3, Berlin: Aufbau, 1963.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Der Artushof

Gewiß hast du, günstiger Leser, schon recht viel von der alten merkwürdigen Handelsstadt Danzig gehört. Vielleicht[182] kennst du all das Sehenswerte, was sich dort befindet, aus mancher Beschreibung; am liebsten sollt' es mir aber sein, wenn du selbst einmal in früherer Zeit dort gewesen wärest und mit eigenen Augen den wunderbaren Saal geschaut hättest, in den ich jetzt dich führen will. Ich meine den Artushof. – In den Mittagsstunden wogte drängend und treibend der Handel den mit Menschen der verschiedensten Nationen gefüllten Saal auf und ab, und ein verwirrtes Getöse betäubte die Ohren. Aber wenn die Börsenstunden vorüber, wenn die Handelsherren bei Tische saßen, und nur einzelne geschäftig durch den Saal, der als Durchgang zwei Straßen verbindet, liefen, dann besuchtest du, günstiger Leser, der du in Danzig warst, den Artushof wohl am liebsten. Nun schlich ein magisches Helldunkel durch die trüben Fenster, all das seltsame Bild- und Schnitzwerk, womit die Wände überreich verziert, wurde rege und lebendig. Hirsche mit ungeheuern Geweihen, andere wunderliche Tiere schauten mit glühenden Augen auf dich herab, du mochtest sie kaum ansehen; auch wurde dir, je mehr die Dämmerung eintrat, das marmorne Königsbild in der Mitte nur desto schauerlicher. Das große Gemälde, auf dem alle Tugenden und Laster versammelt mit beigeschriebenen Namen, verlor merklich von der Moral, denn schon schwammen die Tugenden unkenntlich hoch im grauen Nebel, und die Laster, gar wunderschöne Frauen in bunten schimmernden Kleidern, traten recht verführerisch hervor und wollten dich verlocken mit süßem Gelispel. Du wandtest den Blick lieber auf den schmalen Streif, der beinahe rings um den Saal geht, und auf dem sehr anmutig lange Züge buntgekleideter Miliz aus alter reichsstädtischer Zeit abgebildet sind. Ehrsame Bürgermeister mit klugen bedeutsamen Gesichtern reiten voran auf mutigen, schön geputzten Rossen, und die Trommelschläger, die Pfeifer, die Hellebardierer schreiten so keck und lebendig daher, daß du bald die lustige Soldatenmusik vernimmst und glaubst, sie werden[183] nun gleich alle zu jenem großen Fenster dort hinaus auf den langen Markt ziehen. – Weil sie denn nun fortziehen wollten, konntest du nicht umhin, günstiger Leser, insofern du nämlich ein rüstiger Zeichner bist, mit Tinte und Feder jenen prächtigen Bürgermeister mit seinem wunderschönen Pagen abzukonterfeien. Auf den Tischen ringsumher lag ja sonst immer auf öffentliche Kosten Papier, Tinte und Feder bereit, das Material war also bei der Hand und lockte dich unwiderstehlich an. Dir, günstiger Leser, war so etwas erlaubt, aber nicht dem jungen Kaufherrn Traugott, der über ähnlichem Beginnen in tausend Not und Verdruß geriet. – »Avisieren Sie doch sogleich unsern Freund in Hamburg von dem zustandegekommenen Geschäft, lieber Herr Traugott!« – So sprach der Kauf- und Handelsherr Elias Roos, mit dem Traugott nächstens in Kompanie gehen und dessen einzige Tochter Christina er heiraten sollte. Traugott fand mit Mühe ein Plätzchen an den besetzten Tischen, er nahm ein Blatt, tunkte die Feder ein und wollte eben mit einem kecken, kalligraphischen Schnörkel beginnen, als er, nochmals schnell das Geschäft, von dem er zu schreiben hatte, überdenkend, die Augen in die Höhe warf. – Nun wollte es der Zufall, daß er gerade vor den in einem Zuge abgebildeten Figuren stand, deren Anblick ihn jedesmal mit seltsamer unbegreiflicher Wehmut befing. – Ein ernster, beinahe düsterer Mann mit schwarzem krausem Barte ritt in reichen Kleidern auf einem schwarzen Rosse, dessen Zügel ein wundersamer Jüngling führte, der in seiner Lockenfülle und zierlicher bunter Tracht beinahe weiblich anzusehen war; die Gestalt, das Gesicht des Mannes erregten dem Traugott innern Schauer, aber aus dem Gesichte des holden Jünglings strahlte ihm eine ganze Welt süßer Ahnungen entgegen. Niemals konnte er loskommen von dieser beider Anblick, und so geschah es denn auch jetzt, daß, statt den Aviso des Herrn Elias Roos nach Hamburg zu schreiben, er nur das wundersame Bild anschaute und gedankenlos[184] mit der Feder auf dem Papier herumkritzelte. Das mochte schon einige Zeit gedauert haben, als ihn jemand hinterwärts auf die Schulter klopfte und mit dumpfer Stimme rief: »Gut, – recht gut! – so lieb' ich's, das kann was werden!« – Traugott kehrte sich, aus dem Traume erwachend, rasch um, aber es traf ihn wie ein Blitzstrahl – Staunen, Schrecken machten ihn sprachlos, er starrte hinein in das Gesicht des düstern Mannes, der vor ihm abgebildet. Dieser war es, der jene Worte sprach, und neben ihm stand der zarte wunderschöne Jüngling und lächelte ihn an wie mit unbeschreiblicher Liebe. »Sie sind es ja selbst«, so fuhr es dem Traugott durch den Sinn. – »Sie sind es ja selbst! – Sie werden nun gleich die häßlichen Mäntel abwerfen und dastehen in glänzender altertümlicher Tracht!« – Die Menschen wogten durcheinander, verschwunden im Gewühl waren bald die fremden Gestalten, aber Traugott stand mit seinem Avisobriefe in der Hand, wie zur starren Bildsäule geworden, auf derselben Stelle, als die Börsenstunden längst vorüber und nur noch einzelne durch den Saal liefen. Endlich wurde Traugott Herrn Elias Roos gewahr, der mit zwei fremden Herren auf ihn zuschritt. »Was spintisieren Sie noch in später Mittagszeit, werter Herr Traugott«, rief Elias Roos, »haben Sie den Aviso richtig abgeschickt?« – Gedankenlos reichte Traugott ihm das Blatt hin, aber da schlug Herr Elias Roos die Fäuste über den Kopf zusammen, stampfte erst ein klein wenig, dann aber sehr stark mit dem rechten Fuße und schrie, daß es im Saale schallte: »Herr Gott! – Herr Gott! – Kinderstreiche! – dumme Kinderstreiche! – Verehrter Traugott – korrupter Schwiegersohn – unkluger Associé. – Ew. Edlen sind wohl ganz des Teufels? – Der Aviso – der Aviso, o Gott! die Post!« – Herr Elias Roos wollte ersticken vor Ärger, die fremden Herren lächelten über den wunderlichen Aviso, der freilich nicht recht brauchbar war. Gleich nach den Worten: »Auf Ihr Wertes vom 20sten hujus uns beziehend«, hatte nämlich[185] Traugott in zierlichem kecken Umriß jene beiden wundersamen Figuren, den Alten und den Jüngling, gezeichnet. Die fremden Herren suchten den Herrn Elias Roos zu beruhigen, indem sie ihm auf das liebreichste zusprachen; der zupfte aber die runde Perücke hin und her, stieß mit dem Rohrstock auf den Boden und rief: »Das Satanskind, – avisieren soll er, macht Figuren – zehntausend Mark sind – fit!« – Er blies durch die Finger und weinte dann wieder: »Zehntausend Mark!« – »Beruhigen Sie sich, lieber Herr Roos«, sprach endlich der ältere von den fremden Herrn, »die Post ist zwar freilich fort, in einer Stunde geht indessen ein Kurier ab, den ich nach Hamburg schicke, dem gebe ich Ihren Aviso mit, und so kommt er noch früher an Ort und Stelle, als es durch die Post geschehen sein würde.« – »Unvergleichlichster Mann!« rief Herr Elias mit vollem Sonnenschein im Blick. Traugott hatte sich von seiner Bestürzung erholt, er wollte schnell an den Tisch, um den Aviso zu schreiben, Herr Elias schob ihn aber weg, indem er mit recht hämischem Blicke zwischen den Zähnen murmelte: »Ist nicht vonnöten, mein Söhnlein!« – Während Herr Elias gar eifrig schrieb, näherte sich der ältere Herr dem jungen Traugott, der in stummer Beschämung dastand, und sprach: »Sie scheinen nicht an Ihrem Platze zu sein, lieber Herr! Einem wahren Kaufmann würde es nicht eingefallen sein, statt, wie es recht ist, zu avisieren, Figuren zu zeichnen.« – Traugott mußte das für einen nur zu gegründeten Vorwurf halten. Ganz betroffen erwiderte er: »Ach Gott, wie viel vortreffliche Avisos schrieb schon diese Hand, aber nur zuweilen kommen mir solche vertrackte Einfälle!« – »Ei, mein Lieber«, fuhr der Fremde lächelnd fort, »das sollten nun eben keine vertrackte Einfälle sein. Ich glaube in der Tat, daß alle Ihre Avisos nicht so vortrefflich sind, als diese mit fester Hand keck und sauber umrissenen Figuren. Es ist wahrhaftig ein eigener Genius darin.« Unter diesen Worten hatte der Fremde den in Figuren übergegangenen Avisobrief[186] dem Traugott aus der Hand genommen, sorgsam zusammengefaltet und eingesteckt. Da stand es ganz fest in Traugotts Seele, daß er etwas viel Herrlicheres gemacht habe als einen Avisobrief, ein fremder Geist funkelte in ihm auf, und als Herr Elias Roos, der mit dem Schreiben fertig geworden, noch bitterböse ihm zurief: »Um zehntausend Mark hätten mich Ihre Kinderstreiche bringen können«, da erwiderte er lauter und bestimmter als jemals: »Gebärden sich Ew. Edlen nur nicht so absonderlich, sonst schreib' ich Ihnen in meinem ganzen Leben keinen Avisobrief mehr, und wir sind geschiedene Leute!« – Herr Elias schob mit beiden Händen die Perücke zurecht und stammelte mit starrem Blick: »Liebenswürdiger Associé, holder Sohn! was sind das für stolze Redensarten?« Der alte Herr trat abermals ins Mittel, wenige Worte waren hinlänglich, den vollen Frieden herzustellen, und so schritten sie zum Mittagsmahl in das Haus des Herrn Elias, der die Fremden geladen hatte. Jungfer Christine empfing die Gäste in sorgsam geschniegelten und gebügelten Feierkleidern und schwenkte bald mit geschickter Hand den überschweren silbernen Suppenlöffel. – Wohl könnte ich dir, günstiger Leser, die fünf Personen, während sie bei Tische sitzen, bildlich vor Augen bringen, ich werde aber nur zu flüchtigen Umrissen gelangen und zwar viel schlechteren, als wie sie Traugott in dem ominösen Avisobriefe recht verwegen hinkritzelte, denn bald ist das Mahl geendet, und die wundersame Geschichte des wackern Traugott, die ich für dich, günstiger Leser, aufzuschreiben unternommen, reißt mich fort mit unwiderstehlicher Gewalt! – Daß Herr Elias Roos eine runde Perücke trägt, weißt du, günstiger Leser, schon aus obigem, und ich darf auch gar nichts mehr hinzusetzen, denn nach dem, was er gesprochen, siehst du jetzt schon den kleinen rundlichen Mann in seinem leberfarbenen Rocke, Weste und Hosen mit goldgesponnenen Knöpfen, recht vor Augen. Von dem Traugott habe ich sehr viel zu sagen, weil es eben seine[187][188][189][190][191][192]