Johann Nestroy: Die schlimmen Buben in der Schule

 

 

Johann Nestroy

Die schlimmen Buben

in der Schule

Burleske mit Gesang in einem Akt

 

 

 

Johann Nestroy: Die schlimmen Buben in der Schule. Burleske mit Gesang in einem Akt

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Melchior Fritsch, Johann Nepomuk Nestroy als Willibald, 1857

 

ISBN 978-3-8430-6533-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7899-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7900-6 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstaufführung am 10. Dezember 1847

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen

 

Herr von Wolkenfeld, Gutsbesitzer

 

Sternau, Landrat

 

Wampl, provisorischer Magister loci

 

Nettchen, seine Tochter

 

Herr von Wichtig, Wirtschaftsintendant

 

Stanislaus, dessen Sohn

 

Franz Rottmann, Aufseher

 

Frau Schnabel, Beschließerin auf dem Schlosse

 

Willibald, ihr Sohn

Peter Petersil, Sohn des Schloßgärtners

Anton Waldfuchs, Sohn des Försters

Blasius Pichler, Sohn des Kellermeisters

Sebastian Grob, Sohn des Inspektors

Christoph Ries, Sohn des Amtsschreibers, alle Schüler in Wampls Schule

 

Mehrere Schüler

 

Babett, Wampls alte Magd

 

Die Eltern sämtlicher Schüler

 

Zwei Trompeter

 

Ein Pauker

 

Ein Kammerdiener

 

Ein Jäger

 

Zwei Bediente

 

Die Handlung geht auf dem Schlosse des Barons in Wampls Wohnung vor und währt vom Morgen bis Mittag.

 

Die Bühne stellt eine Schule dar, die Eingangstüre ist im Prospekt, rechts und links, ganz im Vordergrunde, Seitentüren. An der linken Seite zieht sich, von der Seitentüre angefangen, über zwei Kulissen eine drei Stufen hohe Tribüne, worauf das Katheder steht, längs der Seitenwand hin. Am Ende dieser Tribüne nach rückwärts steht die Rechentafel. Im Hintergrunde ist einiger Raum frei. Dem Katheder vis-à-vis stehen vier Bänke hintereinander, dem Zuseher die Seite zugekehrt. Im Vordergrunde ist freier Raum.

 

Erste Szene

Landrat Sternau. Franz.

Mit dem Aufrollen des Vorhanges tritt Franz mit dem Landrat Sternau ein. Sternau ist in einen simplen Überrock gekleidet, Franz trägt ein großes Paket Bücher, in Packpapier emballiert.

 

FRANZ. Wie gesagt, zu Hause ist er nicht, ich habe ihn diesen Morgen schon begegnet – das Paket auf die vordere Bank ablegend aber wenn Sie ihn hier erwarten wollen –

STERNAU. Sie haben mir auf dem Wege von der Post bis hieher den Mann so lebhaft geschildert, daß ich kaum mehr nötig habe, ihn persönlich kennenzulernen. Nur scheint es, daß Sie mit zuviel Vorliebe –

FRANZ. Der Magister ist gewiß ein braver, herzensguter Mann!

STERNAU. Ich höre aber von Unordnungen im Schulwesen hier auf dem Schlosse; warum schweigen Sie darüber?

FRANZ etwas stockend. Weil – für sich dieser Fremde hat so etwas Gebieterisches und Vertrauenerweckendes zugleich –

STERNAU. Fürchten Sie nicht, durch Offenheit dem Magister zu schaden!

FRANZ. Er trägt auch gewiß keine Schuld. Die liebe Jugend ist dem guten alten Mann etwas über den Kopf gewachsen, das ist das Ganze.

STERNAU. Das passiert diesen Herrn öfters. Das Alter allein ist nicht genug, die Jugend in Respekt zu erhalten, es bringt nur leider oft die entgegengesetzte Wirkung hervor. Aber Sie sollten dann um so mehr – Sie sind ja sein Gehilfe!

FRANZ. Ach, wenn ich's wäre! Aber er verweigert mir durchaus diesen Titel! »Aufseher« – das ist alles, was er mir zugesteht. Dadurch schmälert er mein Ansehn und hindert mich, so zu wirken, wie ich's gerne möchte.

STERNAU. Ist er Ihnen abgeneigt?

FRANZ. O nein! Aber – man kann ihm's im Grunde nicht verargen – er ist ängstlich, fürchtet immer, seine nicht gesicherte Stellung hier zu verlieren, und will es daher durchaus nicht merken lassen, daß er altershalber schon eines Gehilfen bedürfte.

STERNAU nachsinnend, für sich. Nun – nun – wir werden ja sehn –

FRANZ. Nun darf ich wohl auch fragen, mit wem ich die Ehre hatte –

STERNAU. Ich – ich bin – ich schreibe für den Landrat.

FRANZ beiseite. Ein Schreiber? Und mich so auszufragen – fast möchte ich –

STERNAU. Leben Sie wohl!

FRANZ für sich. Man darf's nicht verderben mit solchen Leuten. Laut. Sie erlauben, daß ich Sie begleite. Geht mit Sternau zur Mitte ab.

 

Zweite Szene

Nettchen (allein).

 

NETTCHEN tritt mit einem Abstauber in der Hand aus der Seitentüre rechts. Über eine Stunde läßt er mich vergebens warten, der Abscheuliche – ach, er verdient es nicht –! Geht auf die Stufen des Katheders und fegt den Tisch rein. Es ist doch ein eigenes Gefühl, wenn man auf einem Katheder steht, und sei's auch nur, um den Staub abzufegen! Dieser Staub hier ist Schulstaub, im Schulstaub steckt Gelehrsamkeit, in der Gelehrsamkeit Pedanterie, in der Pedanterie kalte Strenge, und deren bedarf ich jetzt, um dem Mosje Franz den gebührenden Verweis zu geben.

 

Dritte Szene

Franz. Die Vorige.

 

FRANZ Zur Mitteltüre eintretend und Nettchen erblickend. Nettchen, liebes, teures Nettchen! Will auf sie zueilen.

NETTCHEN. Zurück! Was ist das für ein Benehmen! Man bleibe an der untersten Stufe des Katheders stehn!

FRANZ. Sie zürnen mir?

NETTCHEN. Man antworte auf meine Frage! Wo war man heute morgens?

FRANZ. Ich mußte –

NETTCHEN. Keine Ausflüchte! Warum ist man nicht als Mann von Wort am Geländer eines gewissen Blumengärtchens vorübergegangen?

FRANZ. Wie gerne wär' ich – aber ich mußte nach der Post.

NETTCHEN. Was hatte man dort zu tun?

FRANZ auf den Pack zeigend, welchen er früher mitgebracht. Dies Paket in Empfang zu nehmen; es ist zwar an Ihren Herrn Vater adressiert, aber ich hielt es für meine Pflicht, ihn der Mühe zu überheben, die nicht gar leichte Last den weiten Weg hieherzutragen.

NETTCHEN gerührt. Franz, Sie sind so gut – so – sich wieder zusammennehmend ich vergesse mich, ich bin zu nachsichtig. Sie haben Strafe verdient.

FRANZ. Hätten Sie mir wirklich welche zugedacht?

NETTCHEN. Hm, ein Stündchen knien wäre nicht zuviel!

FRANZ. O, lassen Sie mich lieber den ganzen Tag hier knien, Sie anbetensreizendes Wesen – die Strafe ist gar zu schön! Kniet sich auf die unterste Stufe des Katheders nieder.

NETTCHEN erschreckend. Gott, was tun Sie? Wenn der Vater käme! Nähert sich ihm, um ihn aufzuheben.

FRANZ sie umarmend. Nettchen! Himmlisches Nettchen!

NETTCHEN ihn abwehrend. Aber, Franz, Sie vergessen, daß Sie in der Schule sind.

FRANZ. Wer sagt Ihnen denn, daß ich ein Schüler bin?

NETTCHEN. Der Vater tagtäglich!

FRANZ aufstehend. Er merkt es also ebensowenig als der verstorbene Magister, daß ich schon drei Jahre hier sitze, um nur mit Ihnen unter einem Dache zu sein! Übrigens ist es undankbar von ihm –

NETTCHEN. Ach, nennen Sie den Vater nicht undankbar, er erkennt Ihre Verdienste gewiß, aber seine Ängstlichkeit –

FRANZ. Ich tue gewiß alles für ihn, was nur ein ordentlicher Schulgehilfe tun kann, und liebe sogar seine Tochter.

NETTCHEN. Gehört das auch unter Ihre Verdienste?

FRANZ. Ach, ich meine nur, daß ich Sie heirate, wenn ich Schullehrer im Städtchen werde, daß dann Ihr Vater sich nicht mehr zu plagen braucht und bei uns in Ruhe leben kann und eine Abdankung nicht so zu fürchten braucht.

NETTCHEN. Und haben Sie Aussicht?

FRANZ. Eingekommen bin ich wohl –

NETTCHEN. Das ist eine Fernsicht, und Fernsichten sind für Liebende keine willkommene Aussicht. Übrigens wissen Sie, daß der Vater in seinem neuerwählten Magister-Beruf durchaus ohne fremde Beihilfe wirken will, weshalb er Ihnen auch durchaus den Titel eines Schulgehilfen verweigert.

FRANZ. Leider weiß ich's! Der Aufsehertitel ist das einzige, was er mir zugesteht. Nun, er wird schon sehen –

NETTCHEN. Wir wollen das Beste hoffen. Was ist denn in dem Paket?

FRANZ. Unser gnädiger Herr sendet Bücher zur Preisverteilung an die Jugend.

NETTCHEN. Ah, das ist schön! Als Magisterstochter darf ich's schon öffnen.

FRANZ das Paket auf den Kathedertisch legend