Sophie Mereau: Das Blüthenalter der Empfindung

 

 

Sophie Mereau

Das Blüthenalter

der Empfindung

 

 

 

Sophie Mereau: Das Blüthenalter der Empfindung

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Francois Bouche, Junge Frau mit Blumen im Haar, um 1734.

 

ISBN 978-3-8430-8297-6

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7673-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7674-6 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Gotha (Justus Perthes) 1794.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Sophie Friederike Mereau: Das Blüthenalter der Empfindung, Gotha: Justus Perthes, 1794.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Ein paar Worte über das Folgende

Es giebt eine Zeit in unserm Leben, wo unser Gefühl in seiner ersten vollen Blüthe steht, wo das trunkne Herz, selbst in seinen Verirrungen noch unschuldig, nach jedem Schattenbilde der Phantasie[1] hascht, wo wir in holden Träumen schwelgen, an Erfahrung Kinder, an Genuß Götter sind, wo selbst der Kummer noch süß ist. Wir denken, wir fühlen da wohl manches, was eine größere Reife des Geistes uns späterhin in ganz anderm Lichte erscheinen läßt; aber auch der Irrthum ist Uebung unsrer Kräfte, und wuchert für das künftige[2] Erkenntniß der Wahrheit. Diese Zeit, die die verschiedenen Verhältnisse der Dinge außer uns bei dem Einem verlängern und bei dem Andern abkürzen, nennen wir den Frühling unsers Lebens, und selbst der weisere Mensch schaut oft, wenn sie verschwunden, mit dem Blikke der Sehnsucht auf sie zurük. – Doch sie verschwindet [3] bald! – Der helle Stral der Vernunft wekt uns aus dem lieblichen Schlummer, wir fühlen, daß uns ein höheres Gesez vonnöthen ist, und das Bedürfniß, nach deutlichbestimmten Gründen zu handeln, regt sich immer lauter und lauter in uns.

Ob es mir gelungen ist, die Aeußerungen eines reinen Gefühls[4] , unter gewissen äußern Verhältnissen, befriedigend darzustellen, dies bleibt dem Urtheil jedes Einzelnen überlassen. Die höhern Forderungen einer reifern Vernunft zu entwikkeln, das lag nicht in meinem Plane.

Uebrigens soll das eben Gesagte die Aufmerksamkeit weder von dem folgenden ab- noch auf dasselbe hinziehen,[5] ziehen, sondern blos ganz einfach den Gesichtspunkt andeuten, woraus dieser erste kleine Versuch betrachtet zu seyn wünscht.

 

Die Verfasserinn.[6]

 

Das Blüthenalter der Empfindung

Seit vier Wochen' war ich in Genua. Hier erst verschwand der Unmuth, der wie ein Nebel die schönen Erscheinungen der Geister und Sinnenwelt für mich bis jezt verschleiert hatte. Ich war in meiner Heimath glüklich gewesen, und hatte mich mit gnügsamer Empfänglichkeit innigst an die stillen Freuden eines eingeschränkten Wirkungskreises, wo unsre Kräfte nur geübt, nicht angespannt werden, gewöhnt. Ohne beim Genuß sehr lebhaft ihren Reiz zu fühlen, thut uns ihre Entbehrung doppelt weh. Mein Vater wünschte mich vor Einseitigkeit gesichert zu wissen, er wollte[3] meine Kenntnisse vervielfältigen, meine Begriffe berichtigen, und meiner Urtheilskraft eine freiere und festere Richtung geben. Deshalb ließ er mich reisen, und ich befolgte seinen Willen gern. Aber die lieblichen Bilder der Kindheit und des ersten Jünglingsalters schwebten noch so lebhaft vor meinen Blikken, daß ich mitten im Gewühl der neuen Gegenstände nur die väterlichen Fluren meiner Heimath sah, und unter allen fremden Tönen, die mein Ohr umsummten, nur die Stimmen meiner Gespielen vernahm. Nach und nach wurden diese Bilder verdunkelt. Im Vollgenuß der Gesundheit, in keine Verhältnisse verwikkelt, von keinen Vorurtheilen gefesselt, stand ich da – ein freier Mensch! – Gleich einem rein gestimmten Instrument, das nur auf den Künstler[4] wartet, welche Harmonien er darauf hervorrufen will, war mein Herz für jeden Eindruk empfänglich, von süßen Ahndungen beflügelt, und mit heitern Bildern erfüllt. Ich drükte die ganze Welt an meinen Busen, und dürstete nach dem Genuß aller der Herrlichkeiten, die ich in süßer Trunkenheit verworren vor mir verbreitet sah. Die ganze Natur schien in mein Schiksal verwebt zu seyn. Das frohe Aufstreben ihrer Kräfte, das lebendige Spiel ihrer Erzeugnisse, der jugendliche Reiz ihrer Formen, alles trug so sichtbar die Farbe meiner innern Erscheinungen. Im frohen Taumel gab ich mich allem hin, und fand mich in allem wieder. Ich kannte keinen andern Führer, keinen andern Richter, als mein innres Gefühl; es rein zu erhalten, war meine einzige[5] Sorge, und mit glüklicher Selbstzufriedenheit lachte ich der kühnen Geister, die durch kalte Grübeleien sorgfältig den Menschen in sich erstikken wollen, und zulezt all' ihr erkünsteltes todtes Wissen gern für einen Funken lebendiges Gefühl hingeben möchten. Damals war es, als ich mit sanfter Entzükkung in dem glüklichen Clima, wo ich jezt lebte, alle Erzeugnisse der Natur in fröhlichem Ueberfluß neben einander aufquellen und gedeihen sah, wo ich mit dem Bild eines glüklichen Menschenvolks meine seligsten Stunden ausfüllte. Sorgfältig entließ ich alle Vorurtheile auf ewig aus ihren verjährten Diensten. Ich sah nur einen fruchtbaren Boden, wo alles in üppiger Fülle neben einander aufwächst und gedeiht – ein fröliches Gewühl von aufstrebenden geistigen[6] und körperlichen Kräften. Daß ich meinen Traum noch in der Wirklichkeit wiederzufinden, dies große Geschenk vielleicht selbst dem Menschengeschlecht zu bringen hoffte – dies war das Criterium meines jugendlichen Wahnsinns, das glükliche Vorrecht meiner gutherzigen Unerfahrenheit. Es schien mir so leicht, glüklich zu seyn, daß ich mein Geheimniß allen andern mitzutheilen hoffte. Fand ich die Menschen für meine Empfindungen kalt, so vergaß ich bei dem innigen Einklang der Natur bald meinen mißlungnen Versuch. Die Kehle des Vogels hatte willkührlichen Ausdruk; das Wehen des Blüthenbaums war Zeichen innrer Gefühle. Beides wirkte innig auf mich; mit beiden fühlte ich mich verwandt, und es schien mir, als verstünde ich ihre stille[7] Sprache, ohne sie in Worte übersezzen zu können. Gieng ich dann aus meinen Blüthenwäldern hervor, und trat auf die Höhen hin, wo ich in die unermeßliche Sphäre von Gewässer hinaussah – ha! wie ergriff mich da der Anblik dieser ungeheuern Wasserwelt, die, wie die Phantasie keine Gränzen hat! – Es drohte mir die Brust zu zersprengen; verschlungen in die Unermeßlichkeit des Weltalls, verschmolzen in die allgemeine Harmonie der Wesen, fühlte ich mich selbst in dieser Größe untergehen. Ich kannte keinen entzükkendern Gedanken als den, mit allen Geistern ein Ganzes auszumachen, und fühlte mich durch diese Einigung von allen Menschen aufs innigste angezogen. – Was für ein ganz anderes Wesen ist der Mensch, wenn er allein ist! – wie Eins[8] mit der Natur, wie mit sich selbst verstanden! – Ein magischer Flor umzieht die Wirklichkeit, und nur veredelte Gestalten haben das Recht hier aufzutreten. – In seiner idealischen Schöpfung hindert, drängt, verzehrt sich nichts. Der seligste unter seinen Göttern, steht er da in seinem Himmel, und schaut mit unbeschreiblicher Zufriedenheit auf sein gelungnes Werk. – Ganz andere Vorstellungen warten seiner, wenn er in die Gesellschaft tritt. Hier legen ihm die Verhältnisse, die Ansprüche seiner Mitbürger, ganz andere Verbindlichkeiten auf. Ueberall umgeben ihn die Ringmauern des Gebrauchs, die Manen des verfloßnen Zeitalters; überall ragt ihm das stolze Selbst eines Andern hochmüthig entgegen; überall läuft er Gefahr, daß eine fremde Vernunft ihr Siegel auf[9] seine Eigenthümlichkeit drükke. Er kämpft um die natürlichsten Rechte – quält sich mit erkünstelten Bedürfnissen – und übt Gerechtigkeit auf Kosten seiner Ruhe. Und doch bildete die Natur ihren Menschen für ein geselliges Leben. Sie verlieh ihm nicht allein Sprachorgane; auch auf seine Stirn, in seine Augen legte sie den zarten Ausdruk seiner innern Gefühle. Kaum ist das zarte Gebilde seiner Empfindungen vollendet, so erscheint es auch auf seinem Gesicht. Warum trachteten die Menschen diese göttliche Schrift zu verwischen? – Warum fanden so wenig Nationen das Geheimniß, das Glük des Einzeln im Wohl des Ganzen zu begründen? – Diese und ähnliche Betrachtungen waren mir ein unerschöpflicher Stoff zu Gemälden, die ein schuldloses Herz entwarf,[10] und wozu eine lachende Imagination die Farben mischte.

Einst hatte ich mich, von meinem Herumlaufen ermüdet, unter die Zweige eines Limonienbaums niedergeworfen. Ich hatte gelesen bis mein Lesen in Empfinden übergegangen war, und ich mich in meine gewöhnlichen süßen Träumereien verloren hatte. Der Ort war wenig besucht; ein kleines Rosengebüsch versteckte mich den Vorübergehenden. So wohl mir war, so sehnte ich mich doch aufs herzlichste nach einem Wesen, dem es ein gleiches Bedürfniß wäre, die Menschen glüklich zu wissen, vor dem ich meine geheimen Seligkeiten aufschließen, und in dessen Umgang ich neue Schäzze finden könnte. – Ich weiß nicht, warum mir meine Phantasie, so oft ich daran dachte, immer ein[11] weibliches Bild vorhielt, aber ich konnte mich nicht davon trennen, und ich wollte es auch nicht. Ich schloß die schöne Erscheinung mit Innbrunst in meine Arme, und schwelgte unersättlich in dieser lachenden Vorstellung. Ganz nahe Schritte störten mich endlich. Ja, Undankbare, hörte ich sagen, eh' ich mich noch aufrichten konnte, ich will nicht länger einer Neigung fröhnen, die mich entehrt! – Ich will diese Fesseln zerreißen, ohne große Anstrengung, hoff ich. Du selbst warst meiner Liebe nicht werth, nur die Liebe lieh dir Reize, die du nicht wirklich hast. Signor, erwiederte eine melodische weibliche Stimme, ich danke Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit. Aber, wenn die Liebe Reize leiht, warum entlehnten Sie keine von ihr? – Wars der reine Wohllaut[12] einer unverdorbnen Jugend, wars diese edle Haltung bei beleidigter Selbstliebe, oder die leichte Wendung, mit der sie die Spitze auf ihren Gegner wandte, – genug, ich fand in dieser Antwort Etwas, was mir unbeschreiblich, was mir über alles wohlgefiel – die glüklichste Mischung von ruhiger Feinheit und treffendem Wizze. Ich rafte mich auf, denn ich brannte vor Begierde, den Mund zu sehen, der noch unsichtbar so sehr zu bezaubern verstand. Durch einen Umweg kam ich ihnen entgegen. Sie begegneten mir. –

Der Künstler, der aus bescheidnem Mißtrauen gegen seine Kunst, den Amor zuerst mit verbundnen Augen malte, nicht um dadurch die Blindheit dieses Gottes anzudeuten, sondern weil er die Augen verbergen wollte, die er nicht malen[13][14]